Der Troubadour des Teufels - Paul-Rainer Zernikow - E-Book

Der Troubadour des Teufels E-Book

Paul Rainer Zernikow

0,0

Beschreibung

Justus von der Damsheide nimmt zur Zeit des Herrschers Friedrich I. Barbarossa seine Reise längs des Rheines auf. Als Troubadour die Laute auf dem Rücken zieht er von Stadt zu Stadt. Von Köln über Koblenz bis hinein nach Speyer. Von schönen Frauen verführt, von Häschern unbemerkt gejagd, legt er eine Spur des Todes. Die romantischen Treffen mit den Frauen enden für die Auserwählten meist tragisch. Der Ruf eines beliebten Minnesängers wird immer mehr zum Ruf eines erbarmungslosen Frauenmörders.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 303

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Köln

Herzrasen

Bonn

Koblenz

Trier

Mainz

Worms

Heidelberg

Speyer

Die Flucht

Zurück, aber noch nicht angekommen

Das Ritterturnier

Die Wendeltreppe

Vorwort

Dem Wunsch meines Jagdfreundes Rolf S. gehorchend, habe ich mich mit dem fünften Buch meiner historischen Ausflüge einer erotischen Thematik zugewandt. Da dieses eher eine Kunst des weiblichen Geschlechts ist, gehe ich davon aus, dass es nur beim untauglichen Versuch geblieben ist.

Die ersten bezeugten Minnesänger waren die Trobadors in Südfrankreich. Es war eine Art Literatursprache oft als provenzalisch bezeichnet, mit Elementen aus diversen okzitanischen Dialekten. Auch der später entstandene Minnesang der nordfranzösischen Trouveres hatte wesentlichen Einfluss auf den deutschen Minnesang. Es entstand ein Bemühen auf deutscher Seite mit raffinierten Metren und Reimtechniken ähnlich, artifiziell zu glänzen wie die französischen Sangesakrobaten. Minnesang versteht sich als ritterliche Liebhaberei und im Rahmen der höfischen Ritterkultur Hochadeliger untereinander anlog zu anderen Formen des Wettkampfes, etwa dem Turnier oder der Jagd. Es richtete sich an eine verehrte Dame der Gesellschaft (Frauendienst), ist jedoch kein Ausdruck lebensweltlicher Verhältnisse, eher ein romantischer Gefühlsausdruck, keine Erlebnislyrik, sondern eher ein ritterlich-ethisch geprägtes Sprach- und Musik-Ritual.

Die Recherche in Bezug auf die Sexualität im Mittelalter hat zu erstaunlichen Ergebnissen geführt.

Erst mit dem steigenden Einfluss der Kirche haben wir Körperlichkeit als etwas Böses und Ungutes wahrgenommen.

Die Lockerheit, die noch in den normalen Badehäusern des frühen Mittelalters gang und gäbe war, ist der Flucht in Scham und Heimlichkeit gewichen.

Der Rückzug in Verklemmtheit und Intimität ist der Kirche zu verdanken, die sich gerade dieses Themas gern annahm, um die Menschen an ihrer empfindlichsten Stelle zu treffen. Der Trieb, der seit jeher zum Menschsein gehört, wurde dazu genutzt, in die Privatsphäre eines jeden Menschen einzudringen, um diesem ein schlechtes Gewissen zu machen und ihn damit auf ewig zu beherrschen.

Schon die gedankliche Auseinandersetzung mit dieser Materie gilt als Sünde. Der Kirche gelingt aber damit höchste Präsenz bis in die letzte Keimzelle der Gesellschaft.

In den Zeiten davor, weder in der Antike noch im frühen Mittelalter hat es das Verdammen der Körperlichkeit in dieser Form nicht gegeben.

Die Kirche sollte sich den gesellschaftlichen Gepflogenheiten und den moralischen Vorstellungen der Zeit anpassen und nicht umgekehrt. Die Gläubigen wenden sich immer weiter ab, wenn die Vorstellungen der Kirche nicht mehr der gelebten Realität entsprechen. Sollte es gerade auch unter dem Gesichtspunkt der aufgedeckten jahrzehntelangen Missbräuche hier keine rasante Kehrtwende geben, wird sich die Kirche irgendwann selbst überleben. Man kann nicht »Wasser predigen und Wein trinken«. (Heinrich Heines Versepos »Deutschland. Ein Wintermärchen«)

Die Missbräuche und die Uneinigkeit der christlichen Kirchen schwächen die Reihen der Gläubigen, treiben sie in die Hände anderer Glaubensgemeinschaften oder gar in die Verzweiflung. Die Selbstzufriedenheit der christlichen Kirchen ist der Motor für den besten Weg in die endgültige Selbstzerstörung. Die Menschen wenden sich ab und suchen den Halt in sich selbst oder in anderen moralischen Taktgebern. Die ehemalige Geschlossenheit der Christen über Jahrhunderte gegenüber anderen Religionen geht unter in der Selbstverherrlichung und der Kritiklosigkeit der Amtskirche.

Mit den Anfängen der Hanse im 11. Jahrhundert und der Aufnahme des Handels in Europa kam es zu Verbindungen mit fremden Staaten und ihren Menschen in friedlicher Konkurrenz und damit insbesondere zur Weiterung des menschlichen Horizonts.

Über London zur östlich vom schwedischen Festland gelegenen Insel Gotland, mit der wachsenden Einflussnahme norddeutscher Fürsten und der Stadt Lübeck im 13. Jahrhundert, führte der kaufmännische Tatendrang nach einer zwischenzeitlichen Vormachtstellung der Dänen zu einem Zugang zum begehrten Ostseehandel.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind weder gewollt noch möglich.

Ich bedanke mich bei meiner Ehefrau Bernadette, die mir mit viel Geduld immer wieder zugehört hat.

Ebenso bedanke ich mich bei meinen historischen Beratern Reiner Nürnberger, und Jens Bergmann. Auch die Mitarbeit meiner Kinder Tatjana und Nikolai war absolut hilfreich. Ebenso unverzichtbar waren die Hinweise meines Jagdfreundes Dr. Justus Senska.

Köln

Seine Schritte schienen leicht und federnd, obwohl das alte Pflaster mit dem rissigen Steinmuster keinen normalen Gang zuließ. Die Laute auf seinem Rücken schwang bei jedem seiner Schritte mit und erzeugte dazu dumpfe, melodielose Klänge. Ein Lächeln stand in seinem jugendlich schönen Gesicht, welches ganz und gar von leuchtenden, interessierten Augen beherrscht wurde. Das lange blonde Haar hatte Justus von der Damsheide mit einem Lederband zum Zopf gebunden. Ein Filzhut mit bunter Feder gab seinem Aussehen eine etwas beschwingte, lustige Note. Er strahlte Abenteuerlust und jugendliche Neugierde aus. Unter einem fein genähten Hemd mit bauschigen Ärmeln lugten muskulöse, sonnengebräunte Arme hervor.

Die untergehende Sonne warf lange schwarze Schatten, als er sich frohen Mutes durch die Stadt Köln bewegte. Die hohen Türme der wuchtigen Stadtmauer ließen ihn klein und schemenhaft erscheinen. Es kam nicht von ungefähr, dass er sich gerade diese bedeutende Stadt als Ausgangspunkt seiner langen Reise nach Speyer ausgesucht hatte. Eine Stadt, die bereits von den Römern gegründet worden war.

Sie lag in der Kölner Bucht, einer trichterförmigen, durch den Rhein geprägten Flusslandschaft.

Die günstige Lage mit der Querung bedeutender West-Ost-Handelsstraßen trug bereits 50 nach Christus, als die römischen Besatzer fast fünfhundert Jahre vor Ort waren zur überregionalen Geltung Kölns bei.

Die Beschaffenheit der Natur dieser Region war geprägt durch die fruchtbaren Böden der Schwemmland-Ebene dort am Rhein. Im Westen wurden sie von Löss überdeckt, der einstmals zu ertragreichen, ackerbaulich genutzten Lehmböden verwittert war. In der Rheinaue waren durch sich wiederholende Überflutungen aus ausgeschwemmtem Bodenmaterial fruchtbare braune Auenböden entstanden. Der äußerste Osten des Stadtgebietes zählte bereits zum Sockel des rheinischen Schiefergebirges. Diese eher minderwertigen Böden wurden als Heiden oder aber auch waldwirtschaftlich genutzt. Immer wieder war Köln von Hochwassern heimgesucht worden.

Insbesondere, wenn die Winter extrem ausfielen, führten Schneeschmelze sowie das aufbrechende Eis für Rekorde beim Hochwasser. Fluten, auf denen schwere Eisschollen trieben, verwüsteten Uferbefestigungen, Gebäude und Schiffe. Die Natur bot hier eine Heimat für seltene Tier- und Pflanzenarten und eine charakteristische Auen- und Waldlandschaft. Rechtsrheinisch fand man eher Wald und Heidelandschaften.

Der Name Köln leitete sich von ihrem antiken Namen Colonia Claudia Ara Agrippinensium ab. Er ging auf die römische Kaiserin Agrippina zurück, eine Gattin von Claudius, die sogar am Rhein geboren wurde. Sie ließ die Ubiersiedlung Oppidum Ubiorum im Jahre 50 n. Chr. zur Stadt erheben. In der Römerzeit war dieser Ort Statthaltersitz der Provinz Germania inferior.

Zurzeit, im Jahre 1189, war Köln eine bedeutende Siedlung. Mit vierzigtausend Einwohnern die größte Stadt des deutschsprachigen Raumes, mit der zwingenden Folge, dass die Stadtmauern immer wieder erweitert werden mussten. Es war auch die Zeit, in der Deutschland, Burgund und Italien von Kaiser Friedrich I., Barbarossa, einem Staufer, regiert wurden.

Er wurde 1152 von den deutschen Fürsten zum König gewählt und reiste 1155 nach Rom, um sich vom Papst zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches krönen zu lassen. Durch den Investiturstreit des 11. Jahrhunderts zwischen Kaiser Heinrich IV. und Papst Gregor VII. war das Verhältnis zwischen Kaisertum und Papsttum erheblich angespannt. Sowohl die Autorität des Königs als auch die Macht der Kirche waren infrage gestellt worden.

Das Zeitalter der Kreuzzüge war angebrochen.

Seit 1096 zogen christliche Ritter durch Europa und ins Heilige Land, um Jerusalem den Moslems zu entreißen. In den ersten Tagen des Aufbruchs kam es immer wieder zu Judenverfolgungen in ganz Europa.

Barbarossas Politik im Inneren zielte darauf ab, seine Zentralgewalt auszudehnen und die selbstherrlichen Gebietsfürsten, wie Heinrich den Löwen, Herzog von Bayern und Sachsen, in die Schranken zu weisen sowie die Selbständigkeitsbestrebungen der oberitalienischen Städte zu unterdrücken. Er schuf nicht nur neue Reichsgesetze, sondern gründete neue Städte oder befreite andere von landesfürstlicher Okkupation. Nach einem Versprechen auf dem Mainzer Hoftag 1188 hatte sich Friedrich I., Barbarossa verpflichtet, mit einem gewaltigen Heer in den Orient zu ziehen. Im Mai 1189 war er bei Regensburg aufgebrochen und gen Osten gezogen, begleitet von einer Vielzahl deutscher Hochadeliger. Sicherheitshalber vermied er den Seeweg und zog zu Lande zur Heiligen Stadt. Sie befand sich wieder in moslemischen Händen, sodass Papst Clemens III. zum Dritten Kreuzzug aufgerufen hatte.

Genau zu dieser Zeit befand sich Justus auf seiner Reise am Rhein entlang. Einem drängenden Wunsch seines Vaters gehorchend, der sich dieses für sich selbst immer gewünscht, aber nie hatte verwirklichen können. Ihm war sehr daran gelegen, dass sein ältester Sohn als sein angedachter Nachfolger die bedeutendsten Städte und Baudenkmäler des Reiches in eigenem Erleben kennenlernt.

Justus ging unaufhaltsam auf die Stadtmauer zu. Es war damals die längste Stadtmauer im Reich mit zwölf Torburgen und zweiundfünfzig Wehrtürmen in der Ringmauer, zweiundzwanzig Pforten und kleinen Toren in der Rheinmauer verbaut. Sie war gewaltiger als die fast gleichzeitig durch König Phillip II. in Paris erbaute und war fast 7,5 Kilometer lang.

Die zwölf Tore- sieben mächtige Doppelturmtorburgen, drei riesige Turmtorburgen und zwei kleinere Doppelturmpforten- in die halbkreisförmige Stadtmauer integriert- sollten an das himmlische Jerusalem erinnern.

Justus von der Damsheide hatte immer wieder die Nähe zu Agatha von Blaichstein gesucht, der bekannten Frau eines Kreuzritters, der sich zu dieser Zeit auf einem Kreuzzug in Akkon aufhielt, um sie von den Muslimen zurückzuerobern. Akkon, ein Hauptbollwerk gegen die Christen, die Sultan Saladin aus dem Hause der Ajubiden gegen den Rat seiner Gefolgsleute hatte wiederaufbauen lassen; wehrhafter als je zuvor mit neuen Gräben, Wällen, Türmen und Bastionen, mit einer kampferprobten Garnison, von ihm persönlich dort stationiert.

Der Ritter war also weit weg von seiner schönen, attraktiven Gemahlin aus edlem Geschlecht. Justus wollte dieser Frau zu Diensten sein. Doch so einfach war es nicht, sich ihr unbeobachtet zu nähern. Frauen faszinierten ihn, sie waren so anders, so wunderbar anders als die meist grobschlächtigen, unerzogenen Männer seiner Zeit. Er liebte unter anderem ihre unaufdringliche Bildung, doch er verabscheute es, wenn sie bemüht schienen, sich den Männern unterzuordnen. Justus hatte gelernt, sich in Geduld zu üben, und sich geschickt, aber sorgsam geplant, zu nähern. Es zog ihn nicht zu den jungen, unerfahrenen Frauen hin, sondern er liebte eher die Frauen, die lebenserfahren und selbstständig waren. Sie sollten sie schon mitbringen, diese Lust nach körperlicher Berührung und das Interesse am anderen Geschlecht.

Er wusste, dass die meisten nicht aus Liebe verheiratet wurden, sondern entweder aus praktischen oder dynastisch- politischen Motiven heraus. Manche wurden gar nicht erst gefragt und von ihren Familien für eine Ehe ausgesucht. Dabei spielte insbesondere das Alter des Mannes eine absolut untergeordnete Rolle. Die Ehe brauchte nicht einmal vor einem Priester geschlossen zu werden, deshalb gab es viele Trennungen und außereheliche Verbindungen, Tagelieder genannt. Das war moralisch wenig verwerflich.

Das Leben der einfachen Menschen, das wusste Justus von seiner gebildeten Mutter, war kurz und beschwerlich. Im Reich Barbarossas waren es zu über achtzig Prozent Bauern. Gearbeitet wurde von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.

Der Vater von Justus gehörte zu einem bedeutenden Adelsgeschlecht. Er war schon als Ritter mit seinem Kaiser durch das Reich gezogen und hatte ihn auf dessen Ersten Kreuzzug ins Morgenland begleitet. Er hatte sich mit viel Mut und Begeisterung ein Gestüt aufgebaut, das über die Grenzen des Reiches bekannt war. Er war spezialisiert auf die Pferderassen, die man bei den kriegerischen Auseinandersetzungen gebrauchte, und die auch auf Turnieren in der Lage waren, einen Mann mit schwerer Rüstung zu tragen.

Seine Nähe zum königlichen Hof Barbarossas hatten ihm viele Vorteile gebracht, und die Reichsritter waren sehr geneigt, seine gut ausgebildeten Pferde zu kaufen.

Er war ein groß gewachsener schlanker Mann mit einem wohlfälligen sympathischen Gesicht, welches immer zu lächeln schien. Auch er trug wie sein Sohn Justus die langen blonden Haare mit einem Zopf zusammengebunden. Das Alter hatte ihm harte Züge gezeichnet, und manche Narbe zeugte davon, dass er ein vielgelobter, schlachtenbewährter Kämpfer gewesen war. Die grauen Schläfen und die graumelierten Strähnen im Haar konnten nicht den Eindruck schmälern, dass er ein immer noch imposantes Mannsbild war.

Er liebte seine Söhne über alles, ließ ihnen eine gute Ausbildung angedeihen, in der Hoffnung, dass sie irgendwann das immer größer werdende Gestüt übernehmen würden. Gute Männer konnte man dort an jeder Stelle und in jeder Funktion gebrauchen. Für die waffentechnische Ausbildung sorgte er höchstpersönlich, und nur der Burgvogt durfte ihn bei Abwesenheit und nach Anweisung ersetzen. Für die Bildung und das musische Talent fühlte er sich nur teilweise verantwortlich. Den größten Anteil hierbei überließ er gerne seiner hochgebildeten, äußerst schönen und liebenswürdigen Ehefrau.

Justus war mit viel Liebe seiner Eltern aufgewachsen, war wohlerzogen und kannte sich insbesondere mit Rittertugenden gut aus.

Seine Mutter war frei von irgendwelchen Zwängen des Vaters, der immer besonderen Wert daraufgelegt hatte, sie als gleichgeordnet neben sich anzuerkennen. Das war ein seltsames Gebaren für die gebräuchlichen Ehemuster seiner Zeit.

Justus war nicht entgangen, dass Selbstbestimmung das Zauberwort hieß, was für ein einigermaßen glückliches Leben mitverantwortlich war.

Er war tolerant und von jung auf darin geschult, den Mitmenschen Gestaltungsspielräume zu lassen, solange sie nicht gewisse Regularien überschritten. Er kannte die Grenzen seines Körpers und schulte ihn so gut es ging in allen Phasen seines jungen Lebens. Das betraf nicht nur die Bildung an sich, sondern auch die Umgangsformen und insbesondere das musische Element.

So hatte er Harfe, Gitarre und die Laute erlernen dürfen, war aber auch nach dem Willen des Vaters an den herkömmlichen Waffen wie Schwert und Lanze ausgebildet worden. Er hatte dreizehn Jahre diese Ausbildung auf den Weg eines Ritters durchlaufen müssen und hatte auch seine Zeit als Knappe erfolgreich hinter sich gebracht.

Er beherrschte zwar dieses rohe, handwerkliche Waffengeschick, doch ihm lag die Musik viel näher. Es war ein gottgegebenes Talent.

Justus kannte nicht nur herkömmliche Melodien, sondern sein Ehrgeiz trieb ihn fortwährend dazu, etwas Neues auszuprobieren. Seine Laute trug er ständig bei sich am Körper, und er war jederzeit in der Lage, ihr die schönsten Melodien zu entlocken. Es war ein Zupfinstrument mit Korpus und angesetztem Hals. Die Laute war ein sehr altes Musikinstrument und gehörte bereits zuvor zur Kultur verschiedener Nomadenvölker. Sie war sowohl im alten Ägypten als auch bei den Persern bekannt, die dort wohl als Weiterentwicklung der indischen Langhalslaute zu finden war. Nach Europa schienen die Lauten möglicherweise durch die Kreuzfahrer gekommen zu sein oder auch durch das maurische Spanien, vielleicht auch aus dem an Persien grenzenden byzantinischen Reich.

Justus ahnte, dass seine Musik den Zugang zu jeder Art von Gesellschaft bedeuten würde. Ob arm oder reich, ob frei oder unfrei, würde sie ihn, selbst in der Fremde, mit den Menschen zusammenbringen. Sie hörten ihm oft genug mit geschlossenen Augen verzückt zu, und er erntete so manches geheimnisvolle Lächeln einer schönen Frau. So spielte er nicht nur im Kreise seiner Familie, die großen Wert auf musikalische Ausbildung legte, sondern auch anlässlich von Burgfesten und höfischen Begegnungen der örtlichen Ritterschaften. Auch die vom Vater besuchten Ritterturniere boten hier und da Gelegenheit zum gesellschaftlichen Musizieren.

Das war sein Leben, das begehrte er. Er wollte anderen das Glück näherbringen, auch wenn es manchmal nur sehr kurz war. Er wollte umherreisen und die Welt kennenlernen. Er hatte den Segen und das nötige Geld von seinem Vater erhalten. Zwar stand dessen Sinn eher nach Kreuzzügen und viel Ehr durch kriegerisches Können, doch er liebte seinen Sohn und verstand ihn. Dafür hatte ihm Justus versprechen müssen, die bedeutendsten Orte und Bauwerke des Reiches in der Nähe des Rheines zu besuchen. Dieses freie Leben aber zeitlich zu begrenzen, um nicht im Nichtstun zu verlottern. Seine vier Brüder waren dem Vater gegenwärtig genug, sodass er dem Ältesten aufgrund seines besonderen Talents diesen Lebenstraum gönnte. Auch seine zwei kleinen Schwestern waren von der Idee begeistert und wünschten ihm alles Glück der Welt. Das wiederum garantierte seinem Sohn Freiheit und Unabhängigkeit. In seinem Herzen schlummerte aber auch die Bewunderung für den Vater, den angesehenen Reichsritter im Tross Barbarossas, insbesondere für sein Verhandlungsgeschick und seine Kriegskünste. Ja, auch er wollte einmal ein Ritter werden, umgarnt von schönen Frauen und von ehrlichen Bewunderern seiner Waffenkünste. Doch Justus hatte diese Träume beiseitegeschoben, ihnen vorerst keinen Platz eingeräumt. Sein musisches Talent bestimmte sein momentanes Verhalten. Er wollte die Welt von seinen Sangeskünsten überzeugen, vorgetragen in jugendlicher Unbekümmertheit, angetrieben von Lust auf Freiheit und Abenteuer.

Justus war ohne Sorgen groß geworden. Die Mutter von adeliger Abstammung, groß gewachsen von begeisternder Statur, hatte die Kinderschar jeden Abend um sich versammelt und ihnen Geschichten erzählt. Keine Frage war unbeantwortet geblieben. Alle Kinder waren frei und unabhängig erzogen. In der Natur hatte man erstaunt mitbekommen, wie Nachwuchs gezeugt wurde und wie die Kleinen zur Welt kamen.

Die Kirche prägte die Gesellschaft mit strengen Vorschriften, die nichts Sexuelles zuließen. Allein der Gedanke daran war eine Sünde. Doch die Menschen lebten trotzdem ihre Sexualität ziemlich derbe aus. Bauern trieben es hinter den Büschen mit den Mägden, Priester verführten Frauen, die zur Beichte kamen, und junge Burschen besuchten verheiratete Frauen, wenn deren Männer außer Haus waren.

Es war wie eh und je, in der mittelalterlichen Gesellschaft existierten zwei völlig verschiedene Verhaltensweisen nebeneinander.

Die erste strenge Einstellung zur Sexualität erwartete man von der Frau. Ihr war es verboten, ihren geheimen Wünschen nachzugeben. Der Mann hingegen, der seinen natürlichen Trieb ausleben wollte, wurde dafür nicht verurteilt, wenn er seine Sexualität spüren wollte. Es war in dieser Zeit so, dass Sex nicht etwas war, was man miteinander tat, sondern etwas, was der Mann mit der Frau tat. So war dieser immer der aktive Part und die Frau der passive Part.

Justus kannte die allgemeine Meinung, dass die Frauen lüsterner waren als die Männer, wobei diese Ansicht mit hoher Wahrscheinlichkeit von Mönchen verbreitet worden war. Ein Mönch durfte nämlich keinen Sex haben, doch sah er eine Frau, so wurde er sexuell stimuliert, was er unterdrücken musste, gab der Frau hingegen die Schuld, die ihn verführen wollte, weil sie eben lüsterner war.

Das 12. Jahrhundert, in dem Justus herangewachsen war, kannte nur wenige Repressionen. Erst im Laufe der Zeit nahm die Kirche immer mehr Einfluss auf die Prostitution und andere Bereiche des Sexualverhaltens, um sie mit aller Strenge zu reglementieren. Die Kirche war es, die Normen durchsetzen wollte, und stellte die Sexualität als etwas Sündiges und Böses dar.

Doch die Gesellschaft wiederum war es, die eben unterschiedliche Ansichten dazu vertrat und dieses auch tatsächlich vorlebte.

Die Badestuben oder Badehäuser waren damals nicht nur beliebte gesellschaftliche Treffpunkte, sondern wurden auch zur Behandlung von Krankheiten durch den Bader genutzt und von einigen Betreibern auch als Bordell. So verfügten diese über weibliche Angestellte, die die männlichen Besucher gegen Bezahlung sexuell befriedigten.

In den Badestuben wurde nicht nur in Wasser gebadet, sondern man zog es vor, Dampfbäder zu nehmen. Eine Einrichtung, die man aus dem arabischen Kulturkreis mitgebracht hatte. Die Besucher nahmen ihre Utensilien meist von zu Hause mit. Im Badehaus trug man ein Tuch um den Körper oder war ganz nackt. Obwohl hier beide Geschlechter verkehrten, ging man ganz ungezwungen mit der Körperlichkeit um. Jeder zeigte seinen von Gott gegebenen Körper ganz ohne Scham. Dabei konnte es durchaus vorkommen, dass man sich vor den Augen anderer Badegäste mit sexuellen Praktiken vergnügte. Bordelle, aber auch Geschlechtskrankheiten waren in den Städten weit verbreitet.

Justus hatte über sein Elternhaus auch die Vorzüge einer intensiven Körperhygiene kennengelernt. Er wusch seinen Körper so oft es nötig war, besuchte Badehäuser und nahm jede Gelegenheit wahr, bei entsprechendem Wetter an sicheren Stellen von Flüssen schwimmen zu gehen. Auch das war ein Verdienst seines Vaters, der entgegen jeder Üblichkeit ihm frühzeitig das Schwimmen beigebracht hatte.

Von ihm kannte Justus auch die Geschichte der Düfte, angefangen von den Hochkulturen Ägyptens und Indiens, deren Priester bereits Duftmischungen für die Anwendung bei den Toten und den Lebenden vorsahen. Die Rohstoffe wurden später über weite Strecken von den Arabern nach Rom transportiert, um ihre Mischungen für Räucherrituale, medizinische Zwecke und zur Reinigung des Körpers zu verwenden. Den Gebrauch duftender Cremes für den Körper, parfümiertes Wachs für die Lippen und gründlich geputzter Zähne, so sein Vater, sollte sich jeder gebildete Mensch zu eigen machen.

Dies wurde von Justus beherzigt, und er verfolgte die Entwicklung diesbezüglicher handwerklicher Techniken mit den ersten Formen von parfümierten Salben durch Einlegen von Blumen und Blüten in Öle und feste Fette.

Sein Vater betonte stets, dass die abendländische Kultur erst durch die Kreuzzüge mit den duftenden Rohstoffen und Mixturen des Orients vertraut gemacht worden war.

Justus hatte seine ersten sexuellen Erfahrungen mit den Zofen machen dürfen, die ihn so manches Mal kichernd ausgezogen und an diversen Stellen berührt hatten. Es war irgendwie sehr anregend und spannend für ihn gewesen. Je älter er wurde, desto zurückhaltender waren sie leider geworden. Er hatte sie oft und gern belauscht, wenn sie über Männer sprachen und auch verschiedene Formen der Verhütung erörterten. Solche Dinge hatte er sich, obwohl noch sehr jung, gut gemerkt. Man wusste nie, wofür man derartiges Wissen einmal gebrauchen konnte.

Es waren in erster Linie Tierdärme, die Verhütung versprachen, ohne die Empfindungen zu sehr zu beeinflussen. Auch diverse Kräuter und Rezepturen fanden verbreitet Anwendungen. Aus der Antike war bereits der Coitus Interruptus bekannt, die Unterbrechung des Geschlechtsaktes. Verhütungsmittel als Essenzen gab es reichlich. So wurde Frauen geraten, den Kot des Krokodils in gegorenem Pflanzenschleim zu zerstoßen und als Scheidenzäpfchen einzuführen. Den Männern wurde empfohlen, ihren Penis mit Essig einzureiben. Bei allem spielte die Magie eine große Rolle. Doch die Verhütung wurde ständig verfeinert. Es änderten sich die Praktiken, und man griff immer öfter auf Kräuter zurück, die verhütend wirken sollten. Es war keine Besonderheit, sich früh mit diesen Dingen zu beschäftigen, da Frauen mit zwölf verehelicht werden konnten und die Männer mit vierzehn.

Für Justus war Sexualität etwas äußerst Spannendes, etwas, was ihn beflügelte und seine Laute zum Klingen brachte. Es war ihm schon bei den Zofen nicht unbemerkt geblieben, wie verschieden doch Frauen in ihren Lüsten und Neigungen waren. Es war ein Kapitel, welches er für sein Leben ganz weit aufzuschlagen gedachte. Die Gunst einer schönen Frau zu erringen, erfüllte ihn mit höchstem, besonderem Glück. Hatte jemand sein Interesse geweckt, war er nicht mehr zurückzuhalten. Der Weg dahin war oft schwer und steinig, aber auch spannend und unterhaltsam.

So zog es ihn immer wieder zu großen Ritterturnieren, die ihm den Blick freigaben auf so manche Schönheit, die einfach eroberungswürdig erschien.

Es drängte ihn, den Namen einer auffällig schönen Frau zu erfragen und heimlich Erkundigungen über diese Person einzuziehen, wenn er denn ganz und gar Feuer gefangen hatte.

Es gab immer wieder in der Bevölkerung Geschichtchen und Gerüchte, die einen beflügeln oder auch entmutigen konnten. Ausschlaggebend für sein Interesse war die Tatsache, ob sie seine Annäherungsversuche erwiderte oder nicht. Erst dann ließ er sich von dem äußeren Erscheinungsbild überzeugen.

So durfte sie nach seiner subjektiven Einschätzung nicht nur schön sein, sondern entscheidend war das Gesamtbild, was er sich von dieser Person vorab zu machen pflegte. Wie gab sie sich anderen Menschen gegenüber, war sie schroff oder freundlich, war sie charmant oder abweisend? Lächelte sie oder verzog sie keine Miene? War sie gut gekleidet und gebildet? Letzteres erfuhr er erst bei einem geschickt angebahnten Kurzgespräch. Die Kleidung verriet meist schon etwas über ihren Stand und die Art der Unterhaltung über ihre Bildung. Die Attribute, die Justus besonders gefielen, waren Schönheit mit Stolz und Höflichkeit gepaart. Er hatte im Laufe der Zeit gelernt, Schwerpunkte zu setzen, und vergab im ersten Gespräch wichtige Eckpunkte und Regeln. Er bediente sich bei der Gesprächsanbahnung meistens Zofen oder anderer Bediensteter. Das hatte so etwas Offizielles, Unverfängliches. Wichtig war ihm auch, Aufmerksamkeit zu erhaschen. Er war nämlich gezwungen, sich anzunähern und gesehen zu werden. Das schaffte er erstens durch sein auffälliges Äußeres und zweitens durch seinen Gesangesvortrag. Nicht nur seine aufrechte, nicht gerade kleine Gestalt, der kecke Hut mit der bunten Feder, sondern auch seine schlanke, leicht muskulöse Figur schienen die weiblichen Blicke auf ihn zu ziehen.

Diese Attribute setzte er aber nur dann ein, wenn es sich aus seiner Sicht auch lohnte. Das heißt, er musste schon Feuer gefangen haben. Etwas an der Auserwählten musste nicht nur sein Interesse geweckt haben, nein, es musste ihn auf eine bestimmte Art und Weise magisch anziehen. Er kannte sich zu gut, als dass er sich noch hätte täuschen können. Als sicheres Zeichen deutete er, wenn das Gesicht der Dame in seinen Träumen erschien.

Doch Justus war noch lernfähig. Er nahm alles auf, was ihn näher zu seiner Abgebetenen hätte bringen können.

Seine diesbezüglichen Bemühungen waren auf gewisse Dauer angelegt, auch wenn die Reisebedingungen einen großen Zeitaufwand eher begrenzten. Er wollte den Menschen dahinter, soweit es eben ging, genauer kennenlernen. Er musste in seinem Alter Erfahrungen sammeln. Die Welt war schön und reizvoll und voller Überraschungen.

Die holde Weiblichkeit war es, die den Ausschlag gab. Wie trist wäre ein Dasein ohne sie? Der Unterschied, schon im Körperbau, faszinierte ihn immer wieder. Diese Leichtigkeit des Gangs, die Geschmeidigkeit der Bewegungen. Schöne große Augen in einem wohlgeformten Gesicht mit gerader klassischer Nase. Ein flüchtiges Lächeln oder ein herzerfrischendes offenes Lachen, all das konnte Begehrlichkeiten wecken und ihn rasend vor Sehnsucht nach Frauen machen.

Justus war davon überzeugt, geboren zu sein, um Freude zu verbreiten. Man beschied ihm Heiterkeit, Anmut, Liebenswürdigkeit und eine Priese Gelassenheit. Deshalb passte das Talent des Musizierens perfekt zu der Einstellung, Fröhlichkeit und Glückseligkeit zu versprechen. So wie er fühlte, kam es auch herüber. Er war gern gesehener Gast an allen Örtlichkeiten, ob festlich geschmückte Burgen mit ihren Festivitäten oder auch örtliche Ritterturniere, außerordentlich bereit dazu, Einladungen auf der Stelle zu befolgen.

Bereits seine Mutter hatte das musische Talent in ihm früh entdeckt und mit der Anstellung geeigneter Privatlehrer gefördert. Er wurde bereits als Knabe immer wieder aufgefordert, Musikstücke vorzuführen. Er hatte sich daran gewöhnt und kannte weder Angst noch Scham, diese auch im großen Kreis darzubieten. Seine Eltern hatten ihre helle Freude daran, und es entsprach tiefstem Stolz, dies bei privaten Feierlichkeiten für ihre Gäste zu nutzen.

Deshalb, so mutmaßte Justus, war sein Vater nicht dagegen gewesen, ihn hinaus in die Welt zu schicken. Er war das beste Aushängschild für Gastlichkeit und Sinnesfreuden.

Sein Name war daher nicht unbekannt und in den höheren Kreisen des Adels mehr und mehr begehrt. Er kam darüber hinaus aus einem betuchten Elternhaus und war als Wunschkandidat einer Verehelichung oftmals im Gespräch. Bei seinem offenen Lächeln schmolz die Weiblichkeit dahin, und die Männer waren neidisch auf seinen natürlichen Charme.

Agatha war ihm bei einem Ritterturnier in den Rheinwiesen von Köln schon aufgefallen. Sie war von gerader, schlanker Figur. Ihr fein geschnittenes Gesicht war umrahmt von kastanienbraunen Haaren, die ihr bis auf die Schultern reichten. Ihre kohlrabenschwarzen Augen waren von unbeschreiblicher Tiefe und brennender Leidenschaft. Ihr Gang war graziös und leicht. Ihre Kleidung von herausragendem Geschmack und der Dezentheit einer Dame aus dem Hochadel.

Sie hatte auf der Ehrentribüne neben anderen schönen Edelfrauen gesessen, umrahmt von hochrangigen Adeligen und Repräsentanten der Kölner Bürgerschaft. Sie saß dort offensichtlich ganz ohne männliche Begleitung. Justus freute sich sehr darüber, denn sie war nicht nur eine besonders schöne, anmutige Frau, sondern schien ihre Umgebung mit ansteckender Offenheit und großem Interesse wahrzunehmen. Justus sprach bei der Turnierleitung vor. Der Herold kannte seinen Vater von früher und war hocherfreut, dem Sohn Gelegenheit für einen ersten richtig großen Auftritt zu geben.

»Zeigt es ihnen«, hatte er ausgerufen. »Zeigt, dass Ihr ein echter Mann von derer zur Damsheide seid. Ich habe bereits bei Eurem kurzen Vorspielen bemerkt, dass Ihr außergewöhnliche musikalische Fähigkeiten habt, werter junger Herr. Ihr werdet direkt nach dem Hörnerschall im Rahmen der Auszeichnung der Turniersieger ein musikalisches Intermezzo geben.

»Wer ist übrigens die auffällig schöne Frau auf der Ehrenloge, die scheinbar allein ohne Begleitung ihres Gatten das Turnier besucht?«, scheute Justus sich nicht zu fragen.

»Das ist Agatha von Blaichstein, werter Herr von der Damsheide, ein wirklich einzigartiges Juwel unter den Kölner Edelfrauen. Ihre bekannte Burganlage liegt direkt hier in der Nähe am Rhein. Ihr bekannter Gatte befindet sich gerade im Tross der Ritter um Barbarossa, der im Dritten Kreuzzug nach Jerusalem unterwegs ist.

Justus lächelte, als er erwiderte: »Danke, verehrter Herold, es war ein Herzensanliegen, den Hintergrund dieser wunderschönen Dame näher kennenzulernen.«

Dort stand er nun inmitten der Menge von Hochgeborenen im Juwelengefunkel und dem sanften Schimmern von Samtgewändern. Prunkvolle Schwerter blinkten in der Sonne, wappengeschmückte Schilde, schabrackenbedeckte Rösser, Hufgeklapper, dröhnende Hörner, bunte Wimpel und Standarten flatternd im Sommerwind.

Justus wusste genau, wie er vorzugehen hatte.

Als die Augen aller nach den Trompetenklängen zur Eröffnung der Zeremonie auf ihn gerichtet waren, zog er bedächtig die Laute von seinem Rücken, gab dem Pferd mit seinem Schenkeldruck und den leise gezischten Zeichen das Gefühl, dem Reiter auf seinem Rücken Mut und Zuversicht übertragen zu müssen. Rosine, sein geliebtes Pferd über Jahre, wusste genau, was man von ihm jetzt erwartete.

Justus sang von einer Frau, deren junger Liebhaber auf dem Kreuzzug war, sang von Sehnsüchten, Liebe und Hoffnung.

Beim fingerfertigen Spiel seiner Laute schaute er seiner auserkorenen Dame ohne Unterlass in die tiefdunklen Augen und lächelte unentwegt zu ihr hinüber. Es hatte also begonnen, dieses wunderbare Spiel des Kennenlernens und Begehrens. Er wagte für sich die erste Prognose, dass diese wunderschöne Frau dort drüben voller Sehnsüchte und grenzenloser Leidenschaft war. Doch Justus ließ sich Zeit. Als der tosende Applaus seine Ohren erreichte und sein Herz wohlig erwärmte, verschwand er so plötzlich und unheimlich, wie er auch auf der Bildfläche des höfischen Lebens erschienen war. Doch er fühlte sich bereits infiziert von Neugier und drängendem Eroberungswillen. Er würde ihr bald seine Aufwartung machen. Das spürte er, doch es war ein Spiel von Geschicklichkeit, dieses im genierlichen Rahmen anzustellen.

So zog es ihn durch die Gassen dieser fortschrittlichen Stadt auf dem Weg zu seiner freudlosen Herberge am Rande eines der vielen unüberwindbaren Stadttore.

Es war ein Haus aus Naturstein. Justus hasste die einfachen Häuser aus Holz und Stroh. In den Fensterhöhlen gab es noch kein Glas. Die Kälte wurde mit hölzernen Fensterläden oder Vorhängen aus Tuch oder Tierhäuten abgehalten.

Es war auch üblich, sich zum Liegen auf zu kurze Bettkästen zu begeben und halbsitzend auf Kissen und Stroh zu schlafen. Dazu gab es kaum künstliche Beleuchtung, das war zu teuer. Man ging gezwungenermaßen mit den Hühnern schlafen. Bücher waren wertvoll und teuer. Lesen war eine außergewöhnliche und seltene Unterhaltung. Dieses Wissen hatte Justus von seinem Vater, der weit herumgekommen war.

Die meisten der Herbergen waren sehr schlicht. Manchmal gab es nur einen Schlafsaal, und nur die Gaststube war im Winter beheizt. Dort wurde meistens auch gekocht. Auch Pferdestall und Schuppen waren üblich. Sie waren verhältnismäßig teuer und meist nur von Adeligen zu stemmen. Da privat gebraut wurde, befanden sich vor Ort des Öfteren Brauereien und Mälzereien. In den Schlafsälen warfen die Reisenden oft genug ihre Sachen auf einen Haufen, was auf Justus sehr abschreckend wirkte. Deshalb pflegte er, einen Taler mehr drauf zu legen, um alleine in einer Kammer unterzukommen. Die höheren Herrschaften gönnten es sich, die komplette Herberge zu mieten, wozu dann Essen einfacher Art gereicht wurde, wie Suppen oder Grützen. Insbesondere waren beim Schlafen auch Doppelbelegungen möglich. Das war nicht nach Justus' Geschmack. Im Übrigen wurde oft nackt geschlafen. Selbst bei Frauen war das nicht unüblich.

Das Haus und sein Frieden waren unverletzlich. Kam ein Fremder in eine Stadt, hatte er direkt zum Haus des Gastgebers zu gehen und dort seine Waffen abzulegen. In manchen Städten bestand sogar ein Zwang zur Unterbringung, das heißt, die Stadt bestimmte, in welcher Herberge der Reisende untergebracht wurde.

Starb ein Reisender, so musste der Wirt die Habe aufbewahren. Er erhielt üblicherweise einen Teil des Besitzes dafür. Es gab Fristen, dreißig Tage oder manchmal ein Jahr, bevor die ganze Habe an Wirt oder Herrschaft fiel.

Die Herbergen waren sehr selten in privater Hand, wenn, dann nur in größeren Städten. Dort fand man kommerzielle Herbergen für jedermann, vorwiegend an Marktflecken, saisonabhängigen Marktorten oder Messeplätzen. Daneben gab es Herbergen vor allem an schiffbaren Gewässern, wie hier dem Rhein.

Auf dem Lande befanden sich Herbergen unter anderem an alten Fronhöfen. In den Städten wurden sie von der Obrigkeit, der Stadt, oder städtischen Gruppierungen, wie Räten, Geistlichkeit und Händlervereinigungen getragen.

Die Gebäude dafür wurden meistens an Wirtsleute verpachtet. Private Tavernen boten zwar Platz für Gastlichkeit und Freuden, aber verfügten über keine Übernachtungsmöglichkeiten. Hier gab es aber Unterhaltung und Entspannung. In manchen Orten waren sie bedeutende Handelszentren. Hier trafen sich Diener, Stallknechte, Unterhalter, Köche und Huren. Die reicheren Händler gingen dort ein und aus, indem sie ihre Waren feilhielten und Informationen austauschten.

Daneben gab es die religiöse Gastlichkeit, das heißt, jeder, der sich als mittelloser Pilger auswies, durfte kostenfrei in Klöstern oder Pilgerhospizen nächtigen. Auch hier war absolute Schlichtheit gefragt mit einfachem Essen wie Suppen, Brei und Gemüseaufläufen. Solche Unterbringungen fanden sich entlang der bekannten Pilgerstraßen, etwa nach Rom oder nach Santiago de Compostela, Routen, die bei Gläubigen äußerst gefragt waren.

Justus wälzte sich auf seinem Strohkissen hin und her, weil Gedanken ihn gefesselt hielten, ganz und gar geprägt vom Gesicht der imponierenden Agatha.

Er wachte irgendwie zerschlagen und unruhig auf. Im Schatten der mächtigen Stadtmauer wusch sich Justus ausgiebig und ölte sich leicht ein. Er wusste, nicht definierbare Körpergerüche waren der Tod jeder Beziehungsanbahnung. Anschließend rekelte er sich gemütlich in den ersten wärmenden Strahlen der Morgensonne, die er an seinem üppigen Frühstück großzügig teilhaben ließ. In diesen Zeiten zwar nicht üblich, aber gewöhnt und mitgebracht als unverzichtbares Ritual seines fortschrittlichen Elternhauses.

Die ersten Gäste der Herberge wagten sich ebenfalls in die Sonne hinaus. Sie saßen auf Schemeln und Holzbänken. Stühle mit Lehnen im Sinne eines Thrones empfand man als anmaßend. Sie genossen ihr Essen mit den Fingern oder manchmal auch mit Löffeln aus tönernen Näpfen. Teller gab es kaum und Gabeln erst recht nicht. Messer trugen die Männer stets bei sich, nicht nur als Waffe, sondern zum Schneiden und Aufspießen des Essens.

Auf dem Speiseplan standen neben den bekannten Haustieren auch Krähen, Störche, Igel und Eichhörnchen. Zu jeder Mahlzeit wurde Brot gereicht. Gemüse, außer Rüben und Kohl, gab es kaum. Im Norden trank man Bier und im Süden hauptsächlich Wein zum Essen und auf Festen. Den Ärmeren blieb nur Milch oder Wasser. Da Vorratshaltung ohne Kühlung nicht möglich war und Konservierung nicht bekannt, lebte man von der Hand in den Mund. Große Hungersnöte bei den primitiven Anbaumethoden konnten gerade so vermieden werden. Das war dem zunehmenden Einsatz von Pferden als Zugtiere und der verstärkten Waldrodung zu verdanken, die zu einer Vergrößerung landwirtschaftlicher Nutzflächen führte.

Als Justus fertig gegessen hatte und die ersten morgendlichen Gäste der Herberge sich versammelt hatten, griff er wie so oft im familiären Umfeld zu seiner Laute und begann öffentlich zu musizieren. Er sang traurige, aber auch hoffnungsvolle Verse über die unerfüllten Sehnsüchte junger Frauen. Die Gäste hatten sich angenehm berührt umgedreht und lauschten den musikalischen Darbietungen des überaus gut gelaunten Justus von der Damsheide.

Das fröhliche Gelächter und Geplapper der Zuhörer veranlasste so manchen Torwächter in der Nähe, seine Rüstungsteile abzuwerfen und in die amüsierte Menge einzutauchen.

Bestimmte, bekannt gewordene Sangesstücke wurden erst mitgesummt und später laut mitgesungen, weil eine wundersame Fröhlichkeit die Umherstehenden erfasst hatte.

Besser konnte ein Tag nicht beginnen.

Hier amüsierte man sich, fern ab von den bedeutenden Entwicklungen der Zeit, wo das Papsttum immer drängender versuchte, eine Führungsrolle zu übernehmen. Es rivalisierte mit den Kaisern, den gewählten Führern des Heiligen Römischen Reiches. Die Machtelite des Reiches bildete eine adelige Oberschicht, die einen König an ihre Spitze auserkoren hatte. Das Rittertum hatte seine erste Blühte erreicht. Handel und Geldwirtschaft weiteten sich aus, die Urbanisierung, wie hier in Köln, nahm ständig zu, und die Wissenschaften erlebten ihren ersten fühlbaren Aufschwung.

Europa griff über seine Grenzen hinaus, auch wenn die Kreuzfahrernationen im Begriff waren, eine entscheidende Niederlage gegen die Ayyubiden zu erleiden, die neue Regionalmacht des Nahen Ostens. Europa war in zahlreiche Herrschaftsgebiete gegliedert, wobei die Menschen durch das Bekenntnis zum römisch- katholischen Christentum miteinander verbunden waren. In den europäischen Randgebieten Ost- und Südeuropas herrschte die christlich- orthodoxe Glaubensrichtung vor, während der Süden der Iberischen Halbinsel muslimisch geprägt war. In Westeuropa hingegen etablierten sich mit England und Frankreich zwei starke eigenständige Reiche.

Das spielte jedoch für Justus mit seiner unbändigen Lebensfreude keine Rolle, solange man ihn gewähren ließ.

Er bemerkte nur zusehends, dass die römisch-deutschen Könige durch ihre Königslandpolitik den Aufbau einer eigenen Machtbasis gegenüber den Adeligen anstrebten. Sie fassten die Territorien im Königsbesitz in immer größer werdenden Gebieten zusammen, die sie durch Ministerialen verwalten ließen. Ihre so errichteten Territorien sicherten sie unter anderem durch den Bau zahlreicher Burgen.

Gerade diese waren die Zielpunkte seiner lang geplanten Reise, solange er dort schöne Frauen vorfand, die sich zu erobern lohnten. Er wollte dieses nicht mit Rüstung, Pferd und Sturmleitern schaffen, sondern mit bedingungsloser Liebe und unendlicher Zuneigung.

Sein angedachter Plan sah vor, dass er, wenn ihn seine Sehnsüchte zu Edelfrauen führen sollten, stadtnahe Burgen wählte, um für sich immer einen möglichen Rückzugsort finden zu können.

Er musste bei seinen intimen, privaten Eroberungszügen Vorsicht walten lassen. Das war sein oberstes Gebot, denn das Leben war ihm weitaus wichtiger als seine körperlichen Siegeszüge.