Die alte Göttin und ihre Pflanzen - Wolf-Dieter Storl - E-Book

Die alte Göttin und ihre Pflanzen E-Book

Wolf-Dieter Storl

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  • Herausgeber: Kailash
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Neues vom Allgäu-Schamanen

Die Naturverbundenheit unserer Ahnen war so stark, dass sie die Natur als beseelt empfanden. Wolf-Dieter Storl zeigt uns anhand von alten Sagen, Mythen und Märchen, welche Urgötter, Schamanen und spirituellen Heilkräfte sich in der Pflanzenwelt verbergen: Was für eine Bedeutung haben Frau Holle, des Teufels Großmutter und Aschenputtel? Welche Rolle spielen dabei der Holunderstrauch, Wachholder oder das Gänseblümchen? Storl öffnet uns die Augen für eine heilsame Beziehung mit der Natur: Wir entdecken den tiefen Sinn und den Geist, der allem innewohnt, und finden so den Weg zurück zu unserer natürlichen Urspiritualität.

Inspirierend und wunderschön vierfarbig gestaltet.

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Seitenzahl: 281

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2. Auflage

Originalausgabe

© 2014 Kailash Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Janette Schroeder Illustration: Florian Mitgutsch Umschlaggestaltung und Layout: Daniela Hofner, München Umschlagmotiv: Frank Brunke

Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN 978-3-641-12170-9

www.kailash-verlag.de

Inhalt

Bevor wir in den Wald gehen

Die Zeit des Vergessens

Die Utopie vom ursprünglichen Matriarchat

Die Steinzeitmenschen und das Mysterium der Welt

Am Anfang war harmonische Polarität

Das Medizinrad der europäischen Waldvölker

Das Sonnenkreuz

Halloween und die Geisterzeit

Wintersonnenwende und der alte Wintergott

Die Percht, das Fest der Lichtbirke und die Fastnacht

»Die Jungfrau mit der Schlüsselblume«

Frühlingsgleiche, blühender Schwarzdorn und Ostern

Walpurgis und Maifeiertag

Sonnwendfeuer und Johanniskräuter

Kornernte, Augustfeuer und Bilwiss-Schnitter

Herbstgleiche, heiliges Blut und Michaels Drachen

Das Leben – ein ewiger Kreislauf

Der Tag – das kleine Jahr

»Die Legende von der heiligen Notburga«

Frau Holle und der Holunder

Das Holle-Reich und der Weg dorthin

»Frau Holle«

»Der Weg der Seelenvögel«

Die Baba Jaga

»Wassilissa, die Wunderschöne«

Die Farben der Göttin

Weiß, Rot und Schwarz

»Sneewittchen«

Von Störchen, Schwänen und Käfern

Der Glück bringende Storch

Der göttliche Schwan

»Die Schwanenjungfrau«

Vom Sonnenkind zum Marienkäfer

Die Göttin der Tiere und Pflanzen

Sedna, die Frau Holle der Inuit

»Wie ein Angakoq Sedna gnädig stimmt«

Hüterin der Samen und der Kinderseelen

Orte der Kinderempfängnis

Die spinnenden Göttinnen

Die Schicksalsfrauen Urd, Werdandi und Skuld

Spinnende Frauen und die Macht des Schicksals

Holunder – ein Baum mit zwei Gesichtern

Droge, Medizin und Nahrungsmittel

Baum des Todes und des Lebens

Krankheiten schamanisch entsorgen

Der Teufel und seine Großmutter

Verteufelte Naturgeister

»Der Teufel und der gewitzte Bauer«

»Rendezvous mit dem Teufel«

Den Tabak hat der Teufel gebracht

»Bauernschlau«

Die Holle hat den Teufel im Griff

»Der Teufel mit den drei goldenen Haaren«

So wirkt der Zauber des Holunders

»Vom Ende der Gichtplage«

Krankheiten schamanisch entsorgen

Was beim Zurückschneiden des Hollers zu beachten ist

Wacholder: Schutz auf dem Weg ins Jenseits

»Das Märchen vom Machandelboom«

Von der Umwandlung der Seele

Schamanische Zerstückelung

Wiederbelebungsrituale

»Die erlene Hex«

»Thor zu Gast«

Hagedorn: Schutz gegen alles Böse

»Schneeweißchen und Rosenrot«

Von Zaunreiterinnen und Heckensitzerinnen

»Merlin unterm Weißdorn«

Haselstrauch: Verbindung zur Anderswelt

»Die weiße Schlange«

Von Haselwürmern, Wünschelruten und Wollust

»Der Lachs und Finn, der Seher«

»Aschenputtel«

Brennnessel: Schwanenflug und das Hier und Jetzt

»Die sechs Schwäne«

Der Segen des Seehundes

»Jungfrau Marleen«

Von Gänseblümchen, Beifuß und Pferden

»Die Gänsemagd«

Beifuß

Der Pfad zu den Ahnen

Wie alt sind die Märchen?

Wer waren unsere Ahnen?

Das lebendige Universum, Götter und Bäume

Entmachtung und Weiterleben der alten Götter

Altsteinzeit: Himmelszelt und Glasberg

Die Milchstraße und der Götterbär

Die Urgermanen

Frau Sonne

»Der Froschkönig«

Die Erde gehört den Frauen

Die Invasion kriegerischer Hirtenvölker

Kelten, eine pan-europäische Kultur

Der Hirsch und weitere heilige Tiere der Kelten

Über die Kraft des Zaubers und der Illusionen

Nachwort

Anmerkungen

Über den Autor

DasMedizinradder europäischen Waldvölker

Ihre so einmalige Kontur erhielt unsere mitteleuropäische Kultur nicht zuletzt aufgrund ihrer typischen Vegetation, besonders der des Waldes sowie des Kontinentalklimas, das sich durch große Temperaturschwankungen auszeichnet und somit vier deutlich unterscheidbare Jahreszeiten hervorbringt. Den Jahreslauf betrachteten die Wald- und Bauernvölker als ein Rad mit acht Speichen, das sich um seine Achse dreht. (Indoeuropäische Reitervölker brachten die Speichenräder; vorher kannte man nur aus Baumstämmen geschnittene, grobe Holzscheiben.) Das Jahresrad hatte vier Hauptspeichen, vier Kardinalpunkte: die beiden Tagundnachtgleichen im Frühling und im Herbst, und die beiden Sonnenwenden, im Sommer, wenn die Sonne am Zenit steht, und demgegenüber, im Winter, wenn sie ihren tiefsten Stand erreicht hat.

Das Sonnenkreuz

Diese vier Kardinalpunkte machen das Sonnenkreuz aus. Man nennt es auch das keltische Radkreuz oder Slawenkreuz, dessen senkrechte Achse den Stamm des Weltenbaums darstellt. Es handelt sich um das Kreuz der vier Kardinalrichtungen, (Norden, Osten, Süden, Westen), der vier Jahreszeiten (Winter, Frühling, Sommer, Herbst) und der vier Lebensalter (Kindheit, Erwachsensein, Alter, Tod). Es ist außerdem das Questen-Kreuz, das mit frischem grünem Laub geschmückte Kreuz, das seit der Megalithzeit im Frühling sonnenläufig (im Uhrzeigersinn) rituell um die Felder getragen wurde, um diese mit Wachstum und Gedeihen zu segnen, und das bis heute in der Palmprozession am Palmsonntag, dem Sonntag vor Ostern weiterlebt. Dieses Kreuz, welches in seiner Mitte alle Gegensätze vereint, wurde auch im vierblättrigen Kleeblatt als Symbol des Glücks und der Ganzheit verehrt.

Da das Kreuzsymbol für sie nichts Fremdes war, hatten die Heiden kein Problem mit dem Sühnekreuz der christlichen Glaubensboten.

Das Sonnenkreuz wurde zusätzlich noch einmal geviertelt. Zwischen den vier Kardinalpunkten des Jahresrads wurden vier weitere eingefügt, die sogenannten Kreuzvierteltage in Februar, Mai, August und November. Diese Kreuzvierteltage waren weniger an den Lauf der Sonne gebunden, sondern eher an den Wechsel der Mondphasen. Daher waren sie beweglich. Ehe sie kalendarisch fixiert wurden, fielen diese Kreuzvierteltag-Feste auf den jeweiligen Vollmond. Bei Vollmond feiern alle Naturvölker, nicht nur weil man dann nachts besser sehen kann, sondern – das wissen auch heutige Polizisten, Barkeeper, Nervenärzte und Prostituierte – weil dieser die Fantasie und den Geschlechtstrieb stark anregt. Nach irischer Überlieferung wurde das Maifest (keltisch: Beltene) erst dann gefeiert, wenn der Vollmond in die Weißdornblüte fiel. Unser bewegliches Osterfestdatum ist ein später Nachklang dieser, an den Mond gebundenen Feste.

Für die Kelten bestand das Jahr aus einer Abfolge von acht Zeiträumen. Jeder Raum galt als der Herrschaftsbereich eines Götterpaares. In der kurzen Phase des Übergangs von einem Zeitraum in den nächsten herrschten jedoch schöpferisches Chaos und Interregnum. Die Grenzen zwischen den Welten verwischten sich; alles war möglich und nichts war fix. Wunder konnten geschehen und die alltäglichen Gesetze waren außer Kraft gesetzt. Elfen, Totengeister und Götter traten in die Menschenwelt ein und der Mensch hatte Visionen.

Schauen wir uns diese acht magischen Zwischenzeiten etwas genauer an:

Halloween und die Geisterzeit

Für die Kelten begann der neue Jahreszyklus im November zu Samhain (auch Samuin), was soviel heißt wie»Jahresende, Zeit der Sammlung«. Es ist eine dunkle und neblig-trübe Zeit. Wie der Bär in seine Höhle, so verschwindet die kraftlose Sonne in die Tiefe, ins Reich der Frau Holle. Es ist Totenzeit, Zeit der Jagd und des Schlachtens. Eine britische Legende erzählt, dass der Sonnenhirsch jetzt von dem schwarzen Jäger niedergestreckt wird und stirbt. Die Blumenbraut, die Vegetationsgöttin, folgt dem schwarzen Jäger (der schwarzen Sonne) in die Tiefe und buhlt um ihn; sie wird zur Göttin der Toten.

In einer anderen Imagination erscheint nun die Göttin als eine alte, graue Spinnerin. Die langen, flirrenden Spinnenfäden, die im Altweibersommer (schweizerdeutsch: Witwesömmerli; englisch: goose summer, also Gänsesommer) durch die Luft schweben, sind das Werk ihrer Spindel.

In der Samhain-Nacht (englisch: Halloween) schwärmen die Totengeister aus und betteln um milde Gaben und Speisung. Als Gespenster maskierte Jugendliche spielen die Rolle der Geister – oder, besser gesagt, die Geister verkörpern sich vorübergehend in den Maskenträgern. Wenn man ihnen etwas gibt, dann segnen sie die Lebenden und werden zu dankbaren Toten (englisch: grateful dead); wenn man es ihnen verweigert, dann werden sie spuken und Schabernack treiben. Für die Toten stellte man Lichter in ausgehöhlten Rüben vors Haus, in die Fratzen geschnitzt waren. Heute verwendet man dafür die aus Amerika stammenden Kürbisse.

Das altheidnische Fest lebt weiter in Allerseelen, Allerheiligen, Volkstrauertag und anderen Totengedenktagen. Auch der Martinstag mit seinen Laternenumzügen, an dem die Kinder »Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne« singen und die Martinsgans gehören dazu.

Wintersonnenwende und der alte Wintergott

Zur Wintersonnenwende, in der dunkelsten, tiefsten Nacht des Jahres, der Mutternacht (angelsächsisch: modraniht), wird das Sonnenkind unter dem Weltenbaum wiedergeboren. Wagenräder, Spinnräder, Mühlräder und alle anderen Räder mussten in dieser heiligen Zeit stillstehen. Erst am Ende der zwölf heiligen Tage stößt der starke goldborstige Eber (germanisch: Gullinborsti) – er war das Tier des gütigen Freyr, des altgermanischen Gottes der Fruchtbarkeit – das Jahresrad wieder an und setzt es dadurch in Bewegung. Die Germanen schlachteten ein Wildschwein und verspeisten es zu Ehren Freyrs. Noch immer gehören Schinken, Schweinesülze, in England boars head und in Skandinavien das Jul-Schwein, zumWeihnachtsfest. Auch das Glücksschwein aus Marzipan, das man gegen Ende dieser Sonnwendfeiertage, am heutigen Neujahrstag, verschenkt, geht auf diesen Brauch zurück.

Der weißbärtige Alte aus dem Walde, der Weihnachtsmann, kam, wie alle guten Geister, durch den Geistereingang des Rauchfangs, um seinen Segen zu verteilen. Einst brachte er den weiß gepunkteten, karminroten Fliegenpilz mit, der es den Weisen ermöglichte, zur Sonnenwende in die Welt der Zwerge und noch tiefer, in die der Ahnen zu reisen. Der Pilz war bei den Germanen dem Odin/Wotan geweiht, bei den Westslawen dem Svantewit. Beide Gottheiten reiten Schimmel; wenn der Schaum aus dem Pferdemaul auf die Erde tropft, entstehen diese Pilze. Kulturforscher wie Christian Rätsch vertreten die Ansicht, dass der Weihnachtsmann mit seinem roten Mantel kein anderer sei als der Schamanengott Odin. Vom germanischen Norden bis über Sibirien hinaus nach Nordamerika nahmen die Schamanen zur Wintersonnwendzeit diesen bewusstseinserweiternden Pilz ein, um in der dunklen Stille mit den Ahnen zu kommunizieren. Die Kelten scheinen den »Glückspilz« jedoch nicht benutzt zu haben. Kleine Fliegenpilze aus Marzipan sind noch heute Teil der Winterfestlichkeit.

Der alte Wintergott kennt viele Erscheinungsformen. Er ist der Weihnachtsmann aus dem tiefen Tannenwald, der mit Hülsengrün geschmückte, keltische Stechpalmenkönig, das slawische Väterchen Frost aus dem eisigen Reich im Norden. Er kommt auf einem Schimmel geritten, oder, wie in Skandinavien, auf einem Rentierschlitten. Seine Gaben – Äpfel, Nüsse, Süßigkeiten – bringt er durch den Schornstein. In einer Hand trägt er ein Büschel Haselruten, welche die Kraft und den Segen der Ahnenwelt vermitteln. Je nach Region kommt er mit dem Christkind, mit seiner Enkeltochter Schneeflöckchen, mit der Hollefrau oder mit der Percht. Ebenso, wie die Kirche das Jesuskind an die Stelle des neugeborenen Sonnenkindes stellte, so ersetzten sie den alten Wintergeist durch den heiligen Nikolaus, den Bischof von Myra (Kleinasien) aus dem 4. Jahrhundert, dessen Gedenktag auf den 6. Dezember fällt. Trotz dieser Vereinnahmung lebt die alte Gottheit munter weiter als Pelznickel, Sinterklaas, Samichlaus, Santa-Claus – dass er eine Erfindung des größten Softdrinkherstellers der Welt sein soll, gehört zu den modernen Mythen.

Überall brachte man immergrüne Wintermaien ins Haus – Tannenzweige, Nadelbäumchen, und in Westeuropa, Efeu und Stechpalme. Die Kelten hängten Mistelzweige über die Türschwellen. Das kugelförmige, immergrüne Gewächs wurzelt – als typisches »Zwischenwesen« – zwischen Himmel und Erde auf Bäumen. Unter dem Mistelstrauß hatten normale Gesetze und Konventionen keine Gültigkeit mehr, da befand man sich in der magischen Sphäre, zwischen Raum und Zeit.

Das Julfest war eine Zeit außerhalb der Zeit. Die ganze Sippe, die Lebenden wie die Verstorbenen, feierte zusammen, schmauste und berauschte sich mit starkem Bier und Met. Und da die Tore zur Anderswelt offen waren, war es eine gute Zeit zum Orakeln. In den zwölf Weihnachtsnächten konnte man sehen, was die zwölf kommenden Monate bringen werden; was man in dieser Zeit träumt, wird in Erfüllung gehen.

Die Percht, das Fest der Lichtbirke und die Fastnacht

Rund vierzig Tage nach Weihnachten folgte das Kreuzviertelfest, das die Iren Imbolg (auch Imbolc)nannten und das man in unseren Breiten als Lichtmess kennt. Die jungfräuliche, weißgewandete Göttin Brigid (auch Brig, schottisch Bride) tritt in Erscheinung. Wo sie wandelt, keimen unter dem Schnee die Samen, Schneeglöckchen und Hasel blühen und der Saft steigt in die noch kahlen Bäume. Mit ihr kommt der Bär aus der Höhle, schnuppert die Luft und schaut, ob die Sonne scheint. Wenn es zu hell ist, geht er für weitere sechs Wochen wieder zurück in die Höhle – dann wird es einen späten Frühling geben. Der Bär ist nämlich die vermummte Sonne, und die lichthafte Brigid ist seine Braut.

Als es in unseren Breiten keine Bären mehr gab, schauten die Bauern auf das Erscheinen des Dachses. In Nordamerika beobachten die Farmer das Waldmurmeltier. Lichtmess ist dort Murmeltiertag (englisch: groundhog day) und gilt, wie es die keltische Überlieferung will, als magische »Zeit zwischen der Zeit«.

In manchen Regionen, wie in Thüringen, sah man nun die weiße Göttin auf einem Hirsch über das Land reiten. Es heißt, der Sonnenhirsch macht zu Lichtmess einen Sprung, sodass die Tage merklich länger werden.

Schon in der Steinzeit zapften die Menschen zu dieser Zeit die Birke an, deren Saft reinigend und entschlackend ist, und – falls vergoren – berauschend wirkt. Die Birke war überall der weißen Göttin geweiht und symbolisiert bis heute Neuanfang und Reinigung. Die Römer feierten ihre Version des Reinigungsfestes und nannten es Februa– daher der Monatsname.

Das archaische Fest wurde von der Kirche als Mariä Lichtmess beibehalten und zur »Reinigung Marias« umgedeutet. Nach jüdischem Brauch galten Frauen nach der Niederkunft als unrein; vierzig Tage später wurde im Tempel die Reinheit rituell wiederhergestellt. Gläubige Christen bringen an diesem Tag ihre Kerzen in die Kirchen, um sie weihen zu lassen. Im Haus steht der Frühjahrsputz an.

Den ganzen Februar hindurch zieht die alte Göttin in der Gestalt der Percht oder Berta mit ihrer Geisterschar durchs Land. Die Menschen werden davon mitgerissen und feiern jetzt Fastnacht, Fasching, Karneval und andere Narrenfeste. Es ist die Urkraft der Wildnis und des Waldes, die in Gestalt von Naturgeistern, Teufeln und Hexen über die kultivierte, zivilisierte Welt herfällt. Da es sich um Geister handelt, können sie auch durch die Köpfe der Menschen ziehen, sodass diese selber wild, närrisch und geil werden. Die traditionellen Masken der alemannischen Fasnet sind getreue Abbildungen der einst hellsichtig geschauten wilden Geister, die durchs Land zogen.

Diese Kreaturen der ungezähmten Wildnis regen zum lustvollen Treiben an. Das Wort Fastnacht hat nichts mit Fasten zu tun, wie es uns die Kirchendoktrin glauben machen will. Es kommt vom neuhochdeutschen Wort faseln (mittelhochdeutsch: vaselen) und bedeutet gedeihen, fruchtbar machen. Schon Bonifatius, der angelsächsische Missionar und sogenannte Apostel der Deutschen, der die heiligen Eichen umhauen ließ, verdammte in der Synode von Liftinae in Belgien (745) diese »unflätigen Feste im Februar«.

Bei den Kelten und Germanen sah man die Große Göttin als Hausfrau, als Husfreyja,Herrin des Gehöfts – Frau, wie auch der Name Freya, bedeuten ja nichts anderes als Herrin –, daher hatte sie die Schlüsselgewalt. Das heißt, sie allein trug den Schlüsselbund, mit dem man alle Türen, Tore und Truhenschlösser öffnen konnte. Die Himmelsschlüssel oder Schlüsselblumen (Primula), die zu dieser Zeit anfangen zu blühen, galten als die Schlüssel der Freya, mit der sie das Tor aufschließt, sodass der Lenz eintreten kann.

Die Göttin und ihr Schlüsselbund lebten noch lange in den Sagen fort, wie etwa in folgender schwäbischer Erzählung:

Die Jungfrau mit der Schlüsselblume

Eine weiße Jungfrau erschien einem Hirten, der bei einem Felsen einsam seine Schafe hütete. Sie schenkte ihm eine Schlüsselblume und sagte: »Damit kannst du den Felsen aufschließen. Drinnen wirst du Schätze finden. Aber vergiss das Beste nicht!«

Der Hirte wunderte sich nicht lang. Nachdem die Geisterfrau verschwunden war, versuchte er sein Glück. Er berührte die Felswand mit der Blume und – siehe da – sie öffnete sich. Ganze Berge von blitzenden Edelsteinen, Gold und Silber lagen da. Wie im Rausch füllte er seine Taschen. Die Schlüsselblume aber ließ er achtlos liegen. Ohne diese, jedoch, konnte er das Felsentor nie wieder öffnen. Er hatte das Beste vergessen.

Einmal, um zu sehen was die Konkurrenz macht, schlich sich der Teufel an die Himmelstür heran. Da erschrak Petrus und ließ den Schlüsselbund fallen. Als er auf der Erde landete, verwandelte er sich in Himmelsschlüsselblumen.

Die Kirche übrigens beraubte die Göttin der Schlüsselblume und gab sie dem Petrus. Mit dem Bund Schlüsselblumen schließt er seither den guten Seelen die Himmelspforte auf.

Frühlingsgleiche, blühender Schwarzdorn und Ostern

Meistens blüht um den 21. März (Tagundnachtgleiche), wenn die Tag- und die Nachtstunden gleich lang sind, die Schlehe, auch Schwarzdorn genannt. Das sperrige, schwarze, dornige Gehölz, das bei den Kelten der Winter- und Totengöttin geweiht war, bricht, noch vor den grünen Blättern, in einer weißen Blütenpracht aus: Die Göttin legt sich ein weißes Gewand an, hieße es dann.

Für die Mitteleuropäer (auch für die Römer) fing jetzt das Bauernjahr an: »Im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt ...«. Zuerst aber, ehe gepflügt wurde, weihte man die Äcker und Wiesen, noch vor Sonnenaufgang, mit Flurumgängen, Umzügen und Umritten. Der Huftritt eines Pferdes, so glaubte man, gibt der Scholle Fruchtbarkeit – so wie ein an die Tür genageltes Hufeisen dem Haus Glück bringt. Kinder, Jungfrauen und auch das Vieh begleiteten die Umrundung der Felder; dabei machten sie viel Lärm, sangen Lieder und trugen grüne Zweige, Blumen und Radkreuze. Der Palmwedel, der den Einzug Jesu in Jerusalem darstellen soll, ist eigentlich die Weiterführung dieses alten, bis in die Megalithzeit zurückreichenden Brauchs. Im Allgäu trägt man den auf einem Haselstab gesteckten Palmboschen. Dieser besteht aus einem Radkreuz, geschmückt mit Weidenkätzchen, Fichte, Weißtanne, Wacholder, Eibe und anderem Grünzeug. Die vier Speichen des Rads bestehen aus geschälten Holunderzweigen. Die Dorfbewohner haben zwar längst die ursprüngliche Bedeutung vergessen, aber das einst der Frau Holle geweihte Holunderholz wurde geschält, »damit sich keine Hexe, also unholdes Astralwesen, zwischen Rinde und Holz verstecken kann.« Der Haselstab vermittelt die Kraft der Anderswelt. Im Ganzen sind es neun (!) Pflanzen, die für den Palmwedel verwendet werden.

Tacitus, der römische Germanenforscher, beschreibt den Umzug der germanischen Erdgöttin Nerthus (auch Herda oder Erda) in einem von Kühen gezogenen Wagen-Schiff. Auch Freya und Freyr, die friedlichen, Freude und Fruchtbarkeit spendenden Wanengötter, dargestellt von einer jungen Priesterin und ihrem Begleiter, hielten Umzug von Hof zu Hof. Wenn die junge Priesterin während dieser Zeit schwanger wurde, galt das als ein gutes Omen.

Unser Osterfest, benannt nach Ostara (auch Eostra oder Austra), der Göttin des neuen Lichts, der Morgenröte und der Frühlingssonne, wurde umgedeutet zum Auferstehungsfest des Heilands, des »Lichts der Welt«. Trotzdem hielt man an vielen heidnischen Elementen fest, wie etwa dem Osterei. Zwar sagt man, das Ei erhielte seine Bedeutung, weil das Essen von Eiern während der Fastenzeit verboten, nun aber wieder erlaubt war. Aber der Eierkult reicht viel weiter zurück.

Das Ei ist Sinnbild der Erneuerung. In der vedischen Mythologie legt der Schöpfergott Brahma in Gestalt eines Ganters ein goldenes Ei, aus dem das Universum schlüpft. Schon in vorchristlichen Zeiten färbten und verzierten die Germanen und Slawen Eier. Eierspiele, wie das Eierschlagen (Antupfen, Tätschen, Picken), Eierläufe, Eierrollen oder Eierverstecken sind ebenso alt.

Warum in unseren Breiten gerade der Osterhase die Eier legt, haben Volkskundler noch nicht geklärt. In einigen Gegenden Mitteleuropas bringen auch der Hahn, der Storch oder der Fuchs die Eier – doch meistens ist es der Hase. Er ist Sinnbild der regen Paarungskraft und Fruchtbarkeit und passender Begleiter der Frühlingsgöttin. Vielleicht war es diese Symbolik, die Papst Zacharias im 8. Jahrhundert dazu veranlasste, den Germanen den Genuss von Hasenfleisch zu verbieten.

Eine germanische Wintergöttin – vermutlich ist es Hreda,»die ruhmvoll, glänzende«, die Percht – erscheint in den bronzezeitlichen Felsbildern in Schweden als skilaufende Gestalt mit Hasenohren – und ist damit das erste Skihaserl. Sie herrscht bis zur Tagundnachtgleiche, bis Ostara mit den bunten Frühlingseiern kommt. Vielleicht ist sie der ursprüngliche Osterhase?

In dieser Frühlingszeit, wenn alles sprießt und blüht, sammelten die Frauen neunerlei Grünzeug, frische Wiesenkräuter, die sie zu einer Kultspeise machten, um die Familie wieder mit den Kräften des Lebens zu verbinden. Diese Kräuter entschlacken, stärken das Immunsystem und regen die Drüsen an. In der Gründonnerstagsuppe und im Wildkräuterfrühlingssalat findet sich dieser Brauch wieder.

Das Backen von Kultbroten in der Gestalt von Tieren und Göttern lebt weiter im Osterbrot oder dem Osterkuchen. Das Osterfeuer – ein neues, durch Reibung oder Quirlen gezeugtes Notfeuer –, gehörte zu diesem Fest, ebenso wie das Holen von Osterwasser. Dieses Wasser, Heilwag (mittelhochdeutsch: Heilwâg, heilbringendes Wasser), musste vor Sonnenaufgang, ohne ein Wort zu sagen und ohne zurückzuschauen, von der Quelle geschöpft werden. Es hat heilende Kräfte und verdirbt ein ganzes Jahr lang nicht.

Die Kirche besetzte den Tag der Tagundnachtgleiche mit dem heiligen Benedikt, der den Benediktinerorden und das erste christliche Kloster in Europa gegründet hatte. In diese Zeit fällt auch die heilige Gertrude, »die Spinnerin mit der Maus«, die vom Volk als Gartenheilige verehrt wird. An ihrem Tag, dem 16. März, beginnt die Arbeit im Garten:

Wer dicke Bohnen und Möhren will essen

Darf St. Gertrud nicht vergessen.

Und auf den 25. März fällt Mariä Verkündigung, der Tag der Verheißung der Geburt Jesu an Maria – da, so glaubte man, wird auch die Erde für den Samen empfänglich. Neun Monate später, zur nächsten Wintersonnenwende, wird das Christkind geboren.

Walpurgis und Maifeiertag