Götterpflanze Bilsenkraut - Wolf-Dieter Storl - E-Book

Götterpflanze Bilsenkraut E-Book

Wolf-Dieter Storl

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Beschreibung

Bilsen, Bilz, Pilsenkraut, Pilsnerkraut, Tolle Bülsen, Saukraut, Zankkraut, Teufelskraut, Todtenkräutl, Wolffskraut.an die 200 mundartlichen Benennungen gibt es im Volksmund von dem bei uns vorkommenden Bilsenkraut (Hyoscyamus niger). Für unsere heidnischen Vorfahren, für die weisen Frauen und Schamanen, war das Bilsenkraut ein Schlüssel zum Tor in die Anderswelt. Die, im richtigen Umgang Unterwiesenen, konnten damit das Totenreich besuchen, die Göttersphären oder auch die Elementarwelt. Es war die Zauberdroge, die es ermöglichte hinter der äusseren Erscheinungswelt im Bereich der Ursachen zu agieren, es war Flugkraut und Liebesmittel. Heute weiss man kaum etwas mehr über die korrekte Dosis und Anwendung dieser Heilpflanze. Kirche und Staat haben seit Jahrhunderten versucht, das Wissen um den Gebrauch dieser Pflanzen auszurotten und zu verteufeln. Das Aufklärungsbuch Götterpflanze Bilsenkraut räumt mit diesem Aberglauben und Unwissen auf.

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Seitenzahl: 196

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Wolf-Dieter Storl – Götterpflanze Bilsenkraut

Erster Titel in der Reihe:Die Nachtschattengewächse – Eine faszinierende Pflanzenfamilie Hrsg. von Roger Liggenstorfer und Christian Rätsch

Bereits veröffentlichte Titel:

Christian Rätsch: Schamanenpflanze Tabak, Band I (2002)

Christian Rätsch: Schamanenpflanze Tabak, Band II (2003

Markus Berger: Stechapfel und Engelstrompete (2003)

Patrizia F. Ochsner: Hexensalben und Nachtschattengewächse (2003)

Claudia Müller-Ebeling, Christian Rätsch: Zauberpflanze Alraune (2004)

Markus Berger, Oliver Hotz: Die Tollkirsche (2008)

Orestes Davias: Chillifeuer und Knollengenuss (2009)

Markus Berger: Kleines Lexikon der Nachtschattengewächse (2010)

Wolf-Dieter Storl

Götterpflanze Bilsenkraut

Belisa, du Betörende,durch das Schlangentor bin ich Dir gefolgt,ans Gestade des goldenen Landes.Erschrocken ob der Götter alle, die sich mir da zeigten,erschrocken mehr noch ob der eigenen Göttlichkeit,flüchtete ich zurück ans diesseitige Ufer.Segne mich nun, Göttin,mit wahren Worten lasse mich von dir künden.

… gewidmet dem visionären, biodynamischenKompost- und Gärtnermeister Manfred Stauffer,einem meiner Lehrer, der mir bei unserer letzten Begegnungnahe legte, mich mit zwei zu Unrecht vergessenengroßen Heilpflanzen zu befassen,mit dem roten Gauchheil und dem Bilsenkraut.

Impressum

Verlegt durch

NACHTSCHATTEN VERLAG AG

Kronengasse 11

CH - 4502 Solothurn

www.nachtschattenverlag.ch

[email protected]

© 2000 Nachtschatten Verlag AG

© 2000 Wolf-Dieter Storl

2. Auflage 2004 Conny Schönfeld

3. Auflage 2010

Gestaltung und Satz: Janine Warmbier

Fotos & Illustrationen: soweit nicht anders vermerkt aus dem Archiv von Christian Rätsch

Lektorat der 2. Auflage: Conny Schönfeld

e-Book: mbassador GmbH, Luzern

ISBN 978-3-907080-63-4eISBN 978-3-03788-208-5

Alle Rechte der Verbreitung durch Funk, Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, elektronische Medien und auszugsweiser Nachdruck sind vorbehalten.

Warnung und Hinweis

Nachtschattengewächse und viele andere Pflanzen können bei unsachgemässem Gebrauch negative Erscheinungen zeigen. Ältere Rezepte enthalten Gewichts- und Dosierungsangaben, die je nach Region stark variieren. Alle in diesem Buch publizierten Rezepte dienen allein der Illustration und sollen in keiner Art und Weise zu Selbstversuchen animieren, da diese tödlich enden könnten.

Inhalt

Vorwort von Christian Rätsch

Botanik und Signatur

Das Giftgewächs

Behandlung bei Vergiftung

Nomen est Omen

Die heilige Pflanze des Belenos und der Blumengöttin

Das europäische Medizinrad

Bildekräfte

Zur Dosierung

Der Kessel der Keridwen

Der Kessel der Freude, des Lebens und des Todes

Die Einweihung des kleinen Gwion

Schamanische Initiation

Das Kraut des Thinggottes oder vom Dingen der Dinge

Das Kraut des Totengottes Odin

Dichtermet

Totenbegleitpsychedelikum

Das Bierkraut des Donnergottes

Der Sommerbock

Regenmädchen

Hyoscyamos: Die Saubohne

Hexenkraut

Der tolle Dill

Hexenwissen: Die richtige Zeit, die richtige Konstellation

Salbenkochen

Badezauber, Liebeszauber, christlicher Gegenzauber

Das Kraut der Schmerzlinderung

Trank des Vergessens

Zahnwürmer und Zahnschmerzen

Heutige Heilindikationen

Bandj, Bilsenkraut in der arabischen Heilkunde

Bilsen in der Ayurveda und der tibetanischen Heilkunde

Rudolf Steiner und das Bilsenkraut

Das Bilsenkraut der Indianer und Urvölker

Das Kraut der Jäger und der Hühnerdiebe

Nachwort

Anhang

Bibliographie

Vorwort

Begrüßung zur neuen Reihevon Christian Rätsch

Herzlich willkommen zum Bilsenkraut, einem der kulturträchtigsten Nachtschattengewächse.

Die Nachtschattengewächse oder Solanaceen zählen zu den botanisch wichtigsten Säulen menschlicher Kultur. Sie sind weltweit verbreitet, und ethnobotanisch reichlich genutzt. Es gibt in ihrer Familie Pflanzen, die dem Menschen

NahrungGenussmittelMedizinRauschmittelReisekräuterRäucherstoffe

zur Verfügung stellen.

Diese botanisch definierte Pflanzenfamilie hat viele vegetable Berühmtheiten hervorgebracht. Wie die Kartoffel, die Tomate, den Paprika, die Aubergine, den Chilipfeffer, aber auch den Tabak, das Bittersüss, die Schlafbeere, den Schwarzen Nachtschatten, die Tollkirsche, den Stechapfel, die Engelstrompete, die Alraune und das Bilsenkraut.

Diese letztgenannten Pflanzen können stark auf das Bewusstsein wirken, es verändern und dadurch auch kulturverändernd wirken, so wie auch Bücher psychotrop sein können, so wie die Nachtschattenbücher. Diese stark psychoaktiven Nachtschattengewächse wurden seit der Antike mit zauberischen, seit dem Mittelalter mit hexerischen, in der Moderne mit psychotischen Anwendungen assoziiert. Man hat sie mit dem Wahnsinn, mit der Dunkelheit, mit dem Schatten der Nacht (=Nachtschaden) in Verbindung gebracht. Aber: Diese Pflanzen sind Lehrer – unverhohlen und gnadenlos. Sie können aphrodisische Wonnen in den Geniesser zaubern oder höllische Schrecken in Drogenkonsumenten heraufbeschwören. Sie sind Pflanzen der Schamanen, Seherinnen und Zauberer. Man sollte ihnen mit Respekt begegnen. Man sollte über sie informiert sein, falls man sie verwenden wollte. Deshalb wird diese Buchreihe herausgegeben. Information schafft Respekt. Erfahrung führt zur Verehrung. Damit kann ein ignoranter Fehlgebrauch verhindert werden, aber auch die Möglichkeit kultureller Reflektion und ästhetischen Genusses gegeben sein.

Nachtschattengewächse sind keine Dämonen. Nur die Menschen, die sie benutzen, können dabei ihren eigenen Dämonen begegnen. Das Bilsenkraut ist die Schamanenpflanze des vorkatholischen Europas. Deshalb ist sie die kulturelle Wurzel unserer Kultur und damit die für uns bedeutendste Pflanze aus der Familie der Nachtschattengewächse. Sie ist aber kein Spielzeug, sondern ein Geschenk der heidnischen Götter. So wie dieses Buch von Wolf-Dieter Storl ein Geschenk für uns sein wird.

Botanik und Signatur

Die giftigen Solanaceen sind eben zu hoch entwickelte Pflanzen,als daß der Mensch mit ihnen fertig werden könnte.

(GERBERT GROHMANN, Botaniker)

Have we eaten of the insane rootThat takes the reason prisoner?

(WILLIAM SHAKESPEARE, »Macbeth« I,3)

… es könnte was Teuflisches sein, was Schwarzes,also ein Zwischenwesen,irgendein Wesen, das nicht in unsere freundlichen Gefilde gehörtsondern aus einer uralten Zeit noch hier istoder so was in der Richtung.(HANS PETER DUERR, Kulturanthropologe, zum Thema Bilsenkraut)

Das Bilsenkraut (Hyoscyamus) ist wahrscheinlich ein Archäophyt, also eine Pflanze, die in vorgeschichtlicher Zeit nach Mitteleuropa eingewandert ist. Sie kam mit den matrifokalen Bauern, die nicht mehr nur umherstreifende Jäger und Sammler waren, sondern den Wald brandrodeten, Getreide und Leguminosen anbauten und sich dazu einige Rinder, Zeigen, Schafe und Schweine hielten. An den reichlich mit Urin, Kot und Asche gedüngten Rändern der festgetrampelten Wege, auf den Schutt- und Abfallhaufen rund um die Siedlung gediehen stickstoffliebende, schnellwüchsige Pionierpflanzen als so genannte »Kulturbegleiter« recht gut. Diese den Archäologen als Bandkeramiker bekannten Urbauern, kamen aus dem östlichen Mittelmeerraum; sie zogen allmählich entlang der Donau und deren Nebenflüssen und besiedelten die fruchtbaren Flußtäler.

Dass das Bilsenkraut aus dem Süden kam, verraten bestimmte physiologische Merkmale. Bilsensamen keimen spät im Jahr, erst, wenn der Boden richtig warm ist. Das Kraut hat wie Lavendel, Königskerze, das klebrige Greiskraut, Salbeiarten und andere Gewächse, die aus den trockenen, mediterranen Gegenden stammen, eine eher graue Erscheinung. Diese rührt davon her, dass sich die Pflanze mit einem feinen Pelz aus klebrigen Härchen gegen die sengende Sonne schützt.

Es gibt ungefähr ein Duzend Hyoscyamus-Arten – je nach dem, welchen Taxonomen man fragt. Die meisten sind an heiße, trockene Standorte gebunden. Sie spielen alle ein wichtige Rolle als Heil- und Zauberpflanzen. Hier wollen wir uns aber vor allem mit dem bei uns gelegentlich wild wachsenden schwarzen Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) befassen.

Es steckt eine gewaltige Vermehrungskraft in dieser Pionierpflanze. In den rund 50 Früchten, die eine mittelgroße Pflanze hervorbringt, entwickeln sich bis zu 10.000 Samen, und diese behalten ihre Keimfähigkeit in tiefen, luftabgeschlossenen Erdschichten mehrere hundert Jahre lang. Der dänische Medizinhistoriker Jens Lind fand Bilsenkrautsamen bei der Ausgrabung einer Burgruine, die vermutlich 800 Jahre in Samenruhe verharrt hatten (HANSEN 1983:45). Vor der Neuzeit war das Nachtschattengewächs häufiger anzutreffen, jedoch nie in dem Maße wie die üppig wuchernden Brennnesseln, Gundermann, Giersch und andere Wildkräuter. Die mittelalterlichen Braumeister, die ihre eher schwachen Biere in rauschige Starkbiere verwandeln wollten, mussten sich deshalb Bilsenkrautpflanzungen anlegen. Gemeindenamen wie Bilwsgarten, Bilsensee, Bilsdorf, Bilsen (Holland) oder Pilsen (Böhmen) sind nach solchen Äckern benannt. Massive Anwendung von Herbiziden, Planierungen und großflächige Überbauungen haben bei uns das Bilsenkraut als Wildpflanze zur Seltenheit gemacht. Auch der zu Kaiser Wilhelms Zeiten eingeschleppte, aus Amerika stammende Kartoffelkäfer (Coloradokäfer) hat das Seinige dazu getan. Heute steht die Pflanze unter Naturschutz.

Das Giftgewächs

Auf die botanischen Details werden wir hier nicht weiter eingehen, mehr auf die symbolische und kulturgeschichtliche Bedeutung. Auffallend ist allenfalls die Signatur der Blüte. Der liebende Blick würde sie schön nennen.

Viele aber empfinden eher Abscheu: »Wenn man das schreckliche Bilsenkraut sieht, mit seiner Kadaverfarbe und der violetten Leichenbläue, so sieht man Tod und Wahnsinn« (AUGUST STRINDBERG, Sylva Sylvarum, 1895); anderswo wird der Blütenkelch als »schmutzig-gelb, mit violettem, nach geronnenem Blut aussehehendem Blütenboden« beschrieben (STORL 1993:304). HAROLD HANSEN spricht von »leichenfarbigen, violettgeäderten Blüten, die einen sehr stark an den ›bösen Blick‹ erinnern« (HANSEN 1983:42). WERNER C. SIMONIS, ein anthroposophischer Arzt, vergleicht den »intensiven, unangenehm bis widerlich empfundenen Duft« der klebrigen Stengel mit den »Ausdünstungen gewisser Raubtiere« (SIMONIS 1983:573). »Der Geruch ist ähnlich dem, den durchnäßte, langhaarige Hunde in die Stube bringen« (PELIKAN 1975:175). »Hundepisswurzel« heißt sie, des Geruchs wegen, bei den Dänen, »Hunsfotzegraut« bei den Pennsylvania-Deutschen, »Stinking Roger« in England, »Hundepiws-rod« in Jütland (HANSEN 1983:43).

Auffallend ist ebenfalls die strenge, geradezu zwanghaft symmetrische, stufenartige Anordnung der grobbuchtig gezähnten Blätter, die, ohne Blattstiele, an den Hauptspross gefesselt sind, ebenso die wohlgeordnete, doppelte Reihe von Samenkapseln, die sich wie eine Wirbelsäule hinzieht, wie ein sich reckender Tierrücken (GROHMANN 1991:164).

Die Pflanze, die nach dem Keimen freudig emporwächst, erlebt alsbald eine merkliche Wachstumshemmung. Mit dem sehr früh einsetzenden Blühen kommt es zur Stauung und zum Verlust der grünen, wuchernden Lebenskraft. Die unteren Blätter verdorren bald und sterben ab. Schnell vergilbt die Pflanze und hinterlässt ein graues, knochentrockenes Gerüst mit trockenen, urnenförmigen Deckelkapseln, die viele kleine aschefarbene, nierenförmige Samen enthalten (PELIKAN 1998:95).

Für jemanden, der Pflanzen gut kennt, erweisen sich diese auffälligen Eigenschaften als sichere »Signatur«. Die Starrheit, der penetrante Duft, die ungewöhnlichen, tierhaft animierten Blüten deuten an, dass wir es mit einem Giftgewächs zu tun haben.

Was mit der Signatur einer Giftpflanze gemeint ist, wollen wir hier erläutern. Pflanzen offenbaren die Kräftefelder, in denen sie sich befinden. Jede Art ist Spiegel des Spektrums der Energien (Vektoren), die auf sie einwirken. In den wachsenden grünen Erdbewohnern kommen vor allem zwei ineinander greifende Urprinzipien zum Ausdruck: Die vitalisierenden Kräfte des Erdbodens einerseits, die formgebenden Impulse des Kosmos – das Licht der Sterne, der Sonne und des Mondes – andererseits. Das rege, saftstrotzende, fröhliche Wachstum der grünen Stengel, Sprosse und Blätter ist immer Ausdruck der Lebenskraft (Ätherkraft), die die Erde vermittelt. Der nach oben wuchernde, vitale Wachstumstrieb wird von dem entgegengesetzten kosmischen Impuls gedämpft, sodass die Pflanze vegetative Kraft verliert und zu blühen anfängt. Das Blühen impliziert die Berührung mit der Sphäre der Beseeltheit – der so genannten Astralität. Das ist die Sphäre, in welcher der saftig grüne, pflanzliche Ätherleib von kosmischen Licht- und Wärmekräften berührt und durchdrungen wird. Dadurch verliert die Pflanze an Vitalität, dafür wird sie aber tierähnlicher, sie verfärbt sich bunt, entwickelt starke Aromen und messbare Wärme (Blütenwärme), erzeugt stickstoffhaltige Molekularverbindungen, von denen manche den Stoffwechselprodukten tierischer Organismen ähneln. Das Seelenhafte hemmt die und zehrt an der Vitalität der Pflanze, gleichwie die Flamme am Wachs der Kerze. Die kosmische Astralität, die der Vegetation bunte Farben (Blütenblätter, Herbstlaub) und Duftstoffe beschert, lässt auch eine ganze Palette von Wirkstoffen entstehen, die in den Körpern und Psychen von Menschen und Tieren starke Reaktionen auslösen können. Die Blüten, diese pflanzlichen Reproduktionsorgane, sind dermaßen beseelt, dass sie – nach dem Prinzip »Gleiches wirkt auf Gleiches« – andere beseelte Wesen, nämlich Bienen, Schmetterlinge und Käfer, scharenweise anlocken. Auch für uns enthalten Blüten seelische Resonanzen, die uns zu Botschaften werden können. Wir können mit Blumensträußen und Blütengewinden unsere Gefühle oft besser ausdrücken als mit Worten. Blumen dienen allen seelischen Regungen, der Liebe und Freude wie jenen der Trauer und Melancholie. Im romantischen Mittelalter gab es eine ausgeprägte »Blumensprache«. In Bezug auf das Bilsenkraut sagt die Blumensprache folgendes aus: Wer es an sich trägt, der besagt, er sei »närrisch und kühn« (ZACHARIAS 1982:26).

In den Tieren inkarniert sich die kosmische Astralität vollkommen. Tiere sind eben beseelte Wesen. In den gewöhnlichen Pflanzen hingegen umwebt das seelisch-astrale Prinzip den grünen, ständig im Wachstum begriffenen Pflanzenleib von Außen – nur im Blütenkelch macht die pflanzliche Seele einen zaghaften Ansatz, sich physisch zu verkörpern. Aber weiter kann sie nicht. Würde sie das Seelisch-Astralische tiefer in sich hineinnehmen, dann müsste sie sich in ein Tier verwandeln. Nach dem Blühen bleibt der normalen Pflanze nichts anderes übrig als die Rückkehr zur Mutter Erde. Sie verwelkt und versamt. Zum feuchten, dunklen Erdboden zurückgekehrt, kann sie sich erneut mit ätherischer Lebenskraft vollsaugen.

Kosmisch-astrale und ätherisch-terrestrische Impulse im Pflanzenwachstum

Einige Pflanzen verharren länger im Bereich der lebensschwangeren Erdkräfte; sie werden dick, saftig und schwer; sie haben – wie Kohl, Kürbis oder Comfrey – einen mächtigen Ätherleib. Andere Pflanzenarten – wie Beifußarten, Rauten und Schirmblütler – geben sich mehr jenen Lichtkräften hin, die dem Blattwerk die Substanz rauben, sodass es, feingefiedert und oft mit ätherischen Ölen durchtränkt, häufig einen ästhetischen Eindruck auf uns macht.

Dann gibt es solche wie die Nachtschattengewächse Wolfsmilch oder Schirling, die von den einströmenden, planetarischen Seelenkräften praktisch überwältigt werden. Es scheint, als könnten sie diese Energien kaum verkraften oder verarbeiten. Die Blätter werden blass, schlapp und riechen abstoßend (wie beim Schierling), sie gabeln sich oder nehmen eine ungewöhnliche Starre an (wie bei den Wolfsmilchgewächsen). Derartige astralisierte, von kosmischen Licht- und Feuerenergien »vergewaltigte« Gewächse entwickeln einen ungewöhnlichen Stoffwechsel, sie reagieren mit der Bildung von Alkaloiden – das sind Abbauprodukte des Eiweißes –, sie werden »giftig«. Der Habitus dieser astralisierten Pflanzen wirkt verkrampft. Sie geben einen warnenden Geruch von sich oder die Blüten lodern entzündlich auf wie ein Feuerwerk. Oft sind diese Blüten tiefschlündig, grellfarbig oder sonstwie »bizarr«. Die Beseelung solcher Pflanzen ist dermaßen stark, dass sie etwas Tierhaftes an sich haben. Auch im menschlichen Mikrokosmos – wenn dieser sie als Droge zu sich nimmt – entfalten sie häufig eine starke seelische, sprich, psychoaktive Wirkung. Oft eignen sie sich als vorzügliche Genussmittel – Genießen ist eine seelische Fähigkeit. Meist wirken sie auch auf die Reproduktionssphäre, auf den sexuellen Trieb des Menschen, denn im Sexus – nicht im Kopf, wie es der moderne Aberglaube will – ist der Mensch am stärksten beseelt. Zugleich haben stark astralisierte Pflanzen eine dämpfende, hemmende Auswirkung auf die menschliche Vitalität, denn das Seelische zehrt von der Lebenskraft. Viele von ihnen können die Seele gar aus dem Körper herausheben, herauspusten. Sie können – in zu starker Dosierung – töten.

Das Bilsenkraut ist eine solche stark astralisierte Pflanze. Zuerst, nach dem Keimen, bringt es fleischige Blätter, voller Kraft und Saft, hervor. Sehr früh aber wird die krautige Pflanze von der kosmischen Astralität ergriffen. Der Blühimpuls macht nicht halt am oberen Ende des Stengels, wie es bei den gewöhnlichen Pflanzen, den Gänseblümchen oder Sonnenblumen, der Fall ist. Nein, er überrumpelt die Pflanze regelrecht. »Der Blütenprozess ist tief eingesenkt, eingepresst in das eben erst entstehende Blatthafte« (PELIKAN 1975:174).

Ja, das Bilsenkraut ist giftig. Die meisten Menschen haben Angst davor. Symptome der Vergiftung sind unlöschlicher Durst, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Wahnsinn, Muskelstarre, Koma, Atemlähmung und schließlich der Tod. Mit Teufel und Hexen wird das unheimliche Gewächs assoziiert. Wer würde sich schon solch ein Kraut einverleiben wollen?

Für unsere heidnischen Vorfahren, für die weisen Frauen und Schamanen, war das Bilsenkraut jedoch ein Schlüssel zum Tor in die Anderswelt. Die im richtigen Umgang Unterwiesenen konnten damit das Totenreich besuchen, die Göttersphären oder auch die Elementarwelt. Es war – wie wir gleich sehen werden – die Zauberdroge, die es ermöglichte, hinter der äußeren Erscheinungswelt im Bereich der Ursachen zu agieren, es war Flugkraut und Liebesmittel. Der trockene Rachen, verschwommenes Sehvermögen, heiße, trockene Haut – alles Zeichen der Aktivierung des sympathetischen Nervensystems – wurden in Kauf genommen, um sich mit seiner Hilfe in Tiere zu verwandeln, durch die Lüfte zu fliegen und die Innenseite der Welt zu erkunden (STORL 1993:304).

Heute weiß man kaum mehr etwas über die korrekte Dosis und Anwendung. Angst- und machtbesessene, behördlich sanktionierte Fanatiker (die kirchlich-staatliche Inquisition) haben die letzten Wissenden verfolgt und umgebracht. Was bleibt, ist ein ziemlich verworrenes, von Aberglauben durchsetztes Bild von der Wirkung der Pflanze.

Um die drastische Toxizität des Bilsenkrauts zu illustrieren, greifen fast alle, die über das Thema schreiben, auf ein Zitat aus SHAKESPEARES »Hamlet« zurück. Der dänische König, Opfer eines Anschlags – ihm wurde der giftige Saft des Bilsenkrauts ins Ohr geträufelt –, erscheint seinem Sohn als Geist und sagt:

Da ich im Garten schliefWie immer meine Sitte nachmittags,Beschlich dein Oheim meine sich’re StundeMit Saft verfluchten Bilsenkrauts im Fläschchen,Und träufelt’ in den Eingang meines OhrsDas schwärende Getränk; wovon die WirkungSo mit des Menschen Blut in Feindschaft steht,Daß es durch die natürlichen KanäleDes Körpers hurtig wie Quecksilver läuftUnd wie ein saures Lab, in Milch getropft,Mit plötzlicher Gewalt gerinnen machtDas leichte reine Blut …So ward ich schlafend und durch BruderhandUm Leben, Krone, Weib mit eins gebracht …

(»Hamlet«, 5. Szene)

Soweit die Übersetzung des englischen Dramatikers durch AUGUST WILHELM SCHLEGEL ET AL. Was er als »Bilsenkraut« übersetzt hatte, heißt im Original Hebenon. SHAKESPEARE hatte den Begriff »Juice of Hebon« von Marlow abgekupfert. Hebon, ein altes Wort für die Eibe (Taxus), war im elisabethanischen Zeitalter der Inbegriff eines tödlichen Gifts überhaupt. In dem Kräuterbuch von LYTE, geschrieben um diese Zeit (1578), heißt es, »man braucht nur unter dem Hebonbaum zu schlafen und man wird schwer krank oder man stirbt sogar« (GRIEVE 1982:398). Der Eibe – sie enthält ein herz- und nervenlähmendes Alkaloidgemisch – kann man diese Giftwirkung wohl eher zutrauen als dem in geringen Dosen eher harmlosen Bilsenkraut. In der Antike träufelten die Ärzte lauwarm gemachten Bilsenkrautsaft sogar absichtlich ins Ohr, denn »das behebt wunderbar die Ohrenschmerzen; und wenn es Würmer gewesen sind, so tötet er sie« (PSEUDO-APULEIUS, 5. Jh. n. Chr.).

Gelegentlich liest man, dass der englische Massenmörder Dr. Crippen mit dem Kraut eine ganze Reihe von Frauen getötet haben soll. Aber das kann ebenso wenig stimmen wie die Vermutung, die rasenden, tätowierten, nackten keltischen Krieger hätten ihre Wurfspeere mit dem Bilsenkrautsaft behandelt. Dr. Crippen standen schneller und besser wirkende Gifte als das Hyocinin zur Verfügung, und die Kelten benutzten wohl eher den Saft des viel tödlicheren Eisen- oder Sturmhuts (Aconitum spp), um Feinde tödlich zu verwunden.

Behandlung bei Vergiftung

Als Gegenmittel bei Bilsenkrautvergiftung wird eine Magenspülung vorgenommen, Tierkohle eingenommen und Physostigmin (Eserin, ein Hauptalkaloid der Calabrabohne) bis 0,01 Gramm gegeben, welches durch Cholinesterasehemmung parasympathikomimetisch wirkt (BUFF/VON DER DUNK 1988:322). In der Antike galt Eselsmilch als Gegenmittel. In einem alten Kräuterbuch heißt es: »So man durch innerlichen Gebrauch des Dollkrauts sich Schaden gethan, kann man hiervor Ziegenmilch, Meth, Nessel- oder Kürbissamen, Zwiebeln, Knoblauch, Rettig oder Radieß in Wein einnehmen« (SCHIERING 1995:81). Die heutige Volksmedizin verschreibt als Antidotum Wermut und Kümmel in Wein gesotten, reichlich getrunken, drastische Brech- und Abführmittel, und danach viel starken, schwarzen Kaffee (WILLFORT 1997:599). Erfahrene Hexen jedoch, die vom Bilsen-Trip herunterkommen wollen, halten sich angeblich einige Fliegenpilzhüte (Amanita muscaria) bereit, denn diese haben genau die entgegengesetzte Wirkung auf das vegetative Nervensystem: Die Pupillen verengen sich wieder, Speichel, Schweiß und Körpersäfte fließen wieder – der Parasympathikus kommt wieder in Gang. Auf keinen Fall sollen, wie hier und da angegeben, Morphin oder Opiate als Antidota gegeben werden, denn das könnte die Atmungsfähigkeit beeinträchtigen.

Nomen est Omen

Jedes Wesen, ob Stein, Tier oder Mensch, hat seinen eigenen Namen. Dieser Name ist nicht, wie die Gescheiten heute glauben, willkürlich oder zufällig gegeben, sondern er gehört zu der Wesenheit, wie die weiße Kälte zum Schnee, wie das Rot zum Blut, wie der Lichtschein zum Feuer. Der wahre Name stimmt mit dem Wesen eines jeden Dinges überein. Als Nama-Rupa bezeichnen die indischen Weisen diese Erkenntnis (GOTTWALD 1999:250).

So auch bei unseren schweigsamen, wachsenden, grünen Brüdern und Schwestern. Will man eine Pflanze kennenlernen, dann setze man sich still zu ihr hin, betrachte sie – so etwa, wie man eine Geliebte oder einen Geliebten betrachtet –, schnuppere an ihr und berühre sie sanft, koste ein Blättchen, ein Wurzelstückchen. Auch wo sie wächst, den Standort, an dem sie sich wohl fühlt, sollte man nicht außer Acht lassen. All das ist wichtig, aber erst, wenn man weiß, wie sie heißt, hat man einen Schlüssel zu ihrem inneren Wesen. Irgendwann stößt man zufällig auf den Namen der noch unbekannten Pflanze, jemand sagt es einem oder man schaut in einem Bestimmungsbuch nach. Neben der offiziellen wissenschaftlich-lateinischen Bezeichnung hat jede Region, jede Provinz, jede Sprachgemeinschaft – in den Bergen praktisch jedes Tal – eine mundartliche Benennung. Manchmal ist es die Pflanze selber, die dem Suchenden ihren Namen im Traum oder als plötzliche Eingebung zuflüstert. So erfahren viele Pflanzenschamanen die heiligen Namen. Meine Erfahrung ist es, dass man dem Charakter einer Pflanzenpersönlichkeit ganz nahe kommt, wenn man sämtliche Namen, mit der eine Pflanze benannt wurde, zusammen betrachtet.

Jede Pflanzenart hat ihre eigentümliche Urschwingung. Diese Schwingung ist das Urmantra der Pflanze, ist ihre Klanggestalt, ihr Lied oder, wie es die südamerikanischen Pflanzenschamanen nennen, ihr Icaros. Wenn sich der geistige Archetypus der Pflanzenart in der diesseitigen Dimension physisch verkörpert, zerteilt sich seine Schwingung und zersplittert in dieses oder jenes Fragment. Jede Kultur, jedes Zeitalter fängt den einen oder anderen Splitter auf und leitet daraus den profanen Pflanzennamen ab.

Mit den wichtigsten der zahllosen Namen des Bilsenkrauts wollen wir uns nun befassen. Jeder dieser Namen soll ein Schlüssel zum Verständnis dieser magischen und einst heiligen Pflanze sein. Dank an dieser Stelle dem Ethnobotaniker HEINRICH MARZELL, der über Jahrzehnte hinweg in unermüdlicher Sammlerleidenschaft über 125.000 alte und neuere, im deutschsprachigen Raum bekannte Pflanzennamen zusammengetragen hat. Auch vom Hyoscyamos niger hat er allein um die 200 Benennungen aufgezeichnet (MARZELL 1972:925). Die wichtigsten Namensgruppen sind folgende:

1.  Bilsen, Bülsen, Bilz, Pilsenkraut, Bilmeskraut, Pilsnerkraut u.ä.

2.  Tolle Bülsen, Dullbillerkrut, Dulle Dille, Dull Dill, Dodilen u.a.

3.  Saukraut, Schweinegift, Saubohnen

4.  Schlafkraut, Schlafberlin

5.  Altsitzerkraut

6.  Zankkraut

7.  Teufelskraut, Teufelswurz, Teufelsaugen

8.  Hühnergift, Hühnertodt, Gänsegift

9.  Totenblumenkraut, Todtenkräutl

10.  Hundskraut, Wolffskraut

11.  Zahnkraut, Zahnwehkräutl, Roßzahn

12.  Nifelkraut

In der Antike wurden die Bilsenkrautarten mit folgenden Namen belegt (RÄTSCH 1995:117). Auch diesen wollen wir hier, als Schlüssel zum Bilsenkrautwesen, nachgehen:

1.   Hyoskyamos (Schweinebohne)

2.   Dioskyamos (Götterbohne oder Zeusbohne. Zeus ist Götterkönig und Gewittergott des griechischen Pantheons)

3.   Pythonion (Pflanze des Erddrachens)

4.   Adamanta (die Unbezwingliche)

5.   Adamenon, Hypnotikon (die Schlafmachende)

6.   Emmanes (die Rasendmachende)

7.   Typhonion (Typhon, ein riesiges Ungeheuer mit hundert Drachenköpfen und Schlangenfüßen, ist Sohn der Erdmutter Gaia und des Tartaros)

8.   Asanium, Insana (Wahnsinn)

9.   Apollinaris (Pflanze des Apollo)

10.   Dentaria (Zahnkraut)

11.   Herba symphoniaca (von symphónia, »harmonische Musik«, wie sie etwa der Sonnengott Apollo auf seiner Kithara oder Leier hervorbringt)

12.   Herba canicularis, Caniculata (aus caliculata »mit einem Kelch versehen« und angelehnt an canis »Hund«)

Die heilige Pflanze des Belenosund der Blumengöttin

Ich meditiere das herrliche Licht des SonnengottesMöge er unseren Geist erleuchten,(uns zur richtigen Tat zur rechten Zeit inspirieren)(aus dem Gayatri-Mantra; Rigveda 3,62)

Ich nenne die Sonnedie »ordnende Hand des Lebendigen«.

(HANS-PETER DÜRR, Physiker)

Ich sage Euch, ein ganz besonderes Festsind die Reichtümer Beltaines,Bier, Kraut, süße Milchund Dickmilch auf dem Feuer.

(HIBERNICA MINORA)

Der Name Bilsen geht auf eine keltische Wurzel zurück. Bilisa und Belenuntia (auch Bilinuntia, Belinuntia, Bellanotem, Bellinotem) hieß es bei den Galliern, dem Volk des Asterix und Miraculix (HÖFLER 1911:274). Es war das Kraut des keltischen Sonnengottes Beal, Bel oder Belenos. Die Nordgermanen kannten diesen Lichtgott, den Gatten der Pflanzengöttin, als Baldur, Baldr, auch Phol und Beldeg (angelsächsisch). Der keltische Name für die Pflanze verbreitete sich – wahrscheinlich mit dem Kult des Belenos-Baldur – über das ganze heidnische Europa hinweg zu den Germanen, den Slawen, den Balten und sogar den Römern. Als Bilisa kannten die Goten das Kraut, als Beolene, Belene oder Henbell die Angelsachsen, als Bylne oder Bulurt die alten Dänen, als Bulma oder Bolmört die Schweden. Bilina hieß die Pflanze auf Mittelniederdeutsch. Velesa hieß es bei den Katalanen, Beleño heißt es noch heute in Spanien. Bei den Slawen heißt es Belena (russisch), Blen, Blin