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Die Brüder Pico und Diego Alvaro verlieren durch ein Feuer ihren ganzen Besitz. Eine wahrhaft unrealistische, aber von den drei ??? – befeuert durch Justus' Eigen- und Spürsinn – gehegte Hoffnung könnte die Lage zum Guten wenden: wenn sich nämlich das juwelenbesetzte sogenannte "Aztekenschwert" finden ließe, das ein Alvaro-Ahn seinerseits von Cortez persönlich geschenkt bekam. Mühselige und teilweise lebensgefährliche Ermittlungen – und immer verfolgt von undurchsichtigen Fremden – bringen die drei ??? und Diego auf eine heiße Spur. Wird es den vier Jungen gelingen, noch vor ihren Verfolgern das legendäre Cortez-Schwert zu finden?
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Seitenzahl: 214
und das Aztekenschwert
erzählt von William Arden
Aus dem Amerikanischen übertragenvon Leonore Puschert
Kosmos
Umschlagillustration von Aiga Rasch
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
Aus dem Amerikanischen übertragen von Leonore Puschert
Titel der Originalausgabe: „Alfred Hitchcock and The Three Investigators in The Mystery of the Headless Horse“
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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur.
ISBN 978-3-440-14186-1
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Willkommen wiederum in der Welt der drei ???, jener nervenaufreibend emsigen Jungdetektive, die ich gelegentlich – und dies durchaus zu meinem Vergnügen! – an dieser Stelle präsentieren darf. Die Burschen haben gerade ein höchst bemerkenswertes und lehrreiches Abenteuer glücklich überstanden, und das möchte ich eurer Aufmerksamkeit wärmstens empfehlen.
Höchst bemerkenswert ist das ohne Zweifel – ein Geheimnis zu lüften, das aus so ferner Zeit stammt wie der Krieg zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten. Mit diesem Geheimnis tauchen auf: ein Pferd ohne Kopf, ein legendäres juwelenbesetztes Schwert und ein Trio längst dahingegangener Schurken, deren gewundenen Pfaden es nach mehr als 130 Jahren zu folgen gilt! Und lehrreich ist ohne Frage die Entdeckung, dass verstaubte alte Schriftstücke nicht immer die Wahrheit enthalten. Zumindest ist es ratsam, zwischen den Zeilen zu lesen!
Solcherart ist also der faszinierende und schwierige Fall, den unsere jungen Detektive auf den Seiten dieses Buches enträtseln. Ansporn für ihre Mühen sind uneingeschränkt lobenswerte Motive – selbstlose Hilfsbereitschaft für die stolze und ehrbare Familie Alvaro, die von den ersten Siedlern in Kalifornien abstammt, und altersgemäßer Appetit auf Spannung und Abenteuer. Sobald die Jungen diesen neuesten Fall in Angriff nehmen, beweisen sie wieder Einfallsreichtum und Mut, die sie bei Lesern und Freunden in aller Welt berühmt gemacht haben.
Wie? Da sagt doch tatsächlich jemand, er habe noch nie von den drei ??? gehört! Dann ist es höchste Zeit, mit ihnen Bekanntschaft zu schließen! Anführer des Trios ist der ausgefuchste Justus Jonas, dessen Geistesgaben nur noch von seinen überzähligen Kilos aufgewogen werden. Seine Freunde und Helfer sind Peter Shaw, ein muskelstarker, munterer Knabe, der allerdings leicht die Nerven verliert, und der bedächtige und belesene Bob Andrews. Alle drei Jungen wohnen in dem Küstenstädtchen Rocky Beach in Kalifornien, nicht weit von Hollywood. Ihr Hauptquartier, die »Zentrale«, ist ein alter Campingwagen, gut versteckt auf dem weithin berühmten Trödelmarkt »Gebrauchtwaren-Center T. Jonas«.
Damit wäre der Form genügt. Nun lest weiter und folgt den drei ??? durch Geheimnis und Gefahr – wenn ihr den Mut dazu habt!
Albert Hitfield
»Hallo, Just! Diego Alvaro will mit dir reden«, rief Peter Shaw. Gerade trat er aus der Schultür. Für heute war Schluss mit dem Unterricht, und seine Freunde Justus Jonas und Bob Andrews warteten draußen schon auf ihn.
»Ich wusste gar nicht, dass du mit Alvaro bekannt bist«, sagte Bob zu Justus.
»Bekannt ist zu viel gesagt«, gab Justus zurück. »Wir sind zwar beide im Forscherclub für kalifornische Geschichte, aber er ist eher ein Einzelgänger. Was will er denn, Peter?«
»Weiß ich nicht. Er fragte nur, ob du ihn nach der Schule am Sportplatzeingang treffen könntest – falls du Zeit hättest. Ich hatte den Eindruck, es ist ihm ziemlich wichtig.«
»Vielleicht hat er einen Auftrag für die drei Detektive«, meinte Justus hoffnungsvoll. Justus, Peter und Bob hatten sich als Detektivteam nun schon längere Zeit nicht mehr aktiv einsetzen können.
Peter zuckte die Achseln. »Kann sein. Aber er will nur mit dir reden.«
»Wir gehen alle drei hin«, bestimmte Justus.
Peter und Bob nickten und schlossen sich ihrem wohlbeleibten Freund an. Sie taten eigentlich immer, was Justus wollte. Als Intelligenzler und Anführer traf Justus die meisten Entscheidungen für die drei ???. Immerhin erhoben die beiden anderen auch manchmal Einwände. Peter, ein großer, kräftiger Junge, fand Justs Angewohnheit, sich bei Ermittlungen unbekümmert in Gefahr zu begeben, schlicht unmöglich. Und Bob, der drahtige Bücherfreund, bewunderte Justs schnellen und scharfen Verstand, aber das selbstherrliche Gehabe des Ersten Detektivs brachte ihn gelegentlich zur Weißglut. Doch wo Justus aufkreuzte, wurde es eben nie langweilig. Er hatte einen fast unheimlichen »Riecher« für Geheimnisse und einen sechsten Sinn für Abenteuer. Und so waren die drei Jungen meistens dicke Freunde.
Justus schritt als Erster um die Ecke des Schulhauses und bog in eine ruhige, von Bäumen gesäumte Seitenstraße ein. Weiter hinten war das Tor zum Sportplatz der Schule. Die Jungen schlüpften in ihre Anoraks. Es war ein Donnerstagnachmittag im November, und obwohl die Sonne schien, wehte eine kühle Brise die Straße entlang.
»Ich seh’ Diego ja gar nicht«, sagte Bob mit einem scharfen Blick durch seine Brillengläser, als die drei sich dem Tor näherten.
»Dafür ist ein anderer da!«, entgegnete Peter mit einem unwilligen Laut.
Gleich hinter dem Tor parkte ein kleines, offenes Fahrzeug, halb Transporter und halb Personenwagen – einer der neuen Geländewagen. Ein breitschultriger, stämmiger Mann mit Cowboyhut, Jeansanzug und Cowboystiefeln hockte auf einem der vorderen Kotflügel. Neben ihm lehnte lässig ein großer magerer Junge mit langer Nase. Auf der Wagentür stand der goldene Schriftzug »Norris-Ranch«.
»Skinny Norris!« Bob verzog unmutig das Gesicht. »Was hat der hier –«
Ehe Bob seinen Satz zu Ende bringen konnte, hatte der große Junge die Freunde erspäht und rief herüber:
»Wen haben wir denn da? Sherlock Holmes in Breitformat und seine zwei vertrottelten Spürhunde!« Skinny lachte boshaft.
Skinny – sein voller Name war Skinner Norris – war der Erzfeind der drei ???. Als verwöhnter Sohn eines wohlhabenden Geschäftsmannes war Skinny ein fürchterlicher Angeber, der fortwährend zu beweisen versuchte, dass er klüger sei als Justus. Das glückte ihm zwar nie, aber er brachte es doch immer wieder zuwege, den drei ??? Prügel zwischen die Beine zu werfen. In einem Punkt war er ihnen gegenüber nämlich im Vorteil – er war ein paar Jahre älter und hatte schon den Führerschein und dazu einen eigenen Sportwagen. Für die drei Freunde war er also beneidenswert mobil, aber auch ganz und gar unausstehlich.
Diese neueste Verhöhnung konnte Justus Skinny nicht durchgehen lassen. Er blieb dicht vor dem Sportplatztor stehen und sagte schlicht: »Hast du da eben jemanden reden hören, Bob?«
»Sehen kann ich keinen«, gab Bob zurück.
»Aber riechen tu’ ich irgendwen.« Peter schnüffelte. »Oder irgendwas.«
Der stämmige Cowboy auf dem Kotflügel des Wagens lachte und sah Skinny an. Der große Junge wurde rot. Mit geballten Fäusten schritt er drohend auf die drei ??? los. Er wollte gerade etwas sagen, als eine neue Stimme laut wurde:
»Justus Jonas! Es tut mir leid, dass ich zu spät komme. Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
Ein schlanker Junge mit dunklem Haar und dunklen Augen kam vom Sportplatz durch das Tor. Er hielt sich so aufrecht, dass er größer wirkte, als er tatsächlich war. Er trug enge, alte Jeans, Reitstiefel mit kurzem Schaft und ein weites weißes Hemd mit farbigen Stickereiborten. Er sprach akzentfrei, aber seine ausgewählte Redeweise ließ ahnen, wie sehr er noch dem alten spanischen Brauchtum verbunden war.
»Was denn für einen Gefallen, Diego?«, fragte Justus.
Skinny Norris lachte. »Aha, du gibst dich neuerdings mit mexikanischen Zugereisten ab, Dicker? Sieht dir ähnlich. Sorg lieber dafür, dass er wieder nach Mexiko abhaut – tu’ uns allen einen Gefallen.«
Diego Alvaro fuhr herum. Es ging so blitzschnell und glatt, dass er dicht vor Skinny stand, noch ehe der große Junge mit Lachen aufhören konnte.
»Das wirst du zurücknehmen«, sagte Diego. »Du wirst dich entschuldigen.«
Einen Kopf kleiner als Skinny, jünger und bei weitem nicht so schwer, hatte sich Diego vor dem größeren Jungen aufgepflanzt. Er sah so würdevoll aus wie ein spanischer Grande.
»Denkste«, sagte Skinny. »Bei einem Mexikaner entschuldige ich mich doch nicht.«
Wortlos verabreichte Diego dem grinsenden Skinny eine saftige Ohrfeige.
»Hör mal, du kleiner –!«
Skinny schlug den Jungen zu Boden. Doch sofort sprang Diego wieder auf die Füße und versuchte bei Skinny einen Treffer zu landen. Der große Junge schlug ihn noch einmal nieder. Diego stand auf, ging wieder zu Boden, stand wieder auf. Aus Skinnys Gesicht verschwand das Grinsen. Er stieß Diego von sich, auf die Fahrbahn hinaus, und blickte sich um, als hätte er gern jemanden hier, der dem ungleichen Kampf ein Ende setzen sollte.
»He, könnte mal eben einer diesen Knilch –«
Justus und Peter traten auf die beiden zu. Da sprang der stämmige Cowboy lachend vom Wagen auf.
»Okay, Alvaro«, sagte der Cowboy. »Nun lass mal. Ziehst ja doch den Kürzeren.«
»Nein!«
Alle standen starr. Der schroffe Befehl kam von einem Mann, der scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war. Er sah aus wie eine ältere Ausgabe von Diego. Obwohl er viel größer war, hatte er den gleichen schlanken, aber kräftigen Körperbau und ebenfalls dunkles Haar und dunkle Augen. Auch er trug eine alte Jeans als Reithose, Cowboystiefel mit Stulpen und ein verziertes Hemd – aus verblichenem schwarzem Stoff mit roter und gelber Stickerei. Auf dem Kopf hatte er einen schwarzen Sombrero mit conchos – runden Silberplättchen. Seine Miene war stolz und hochmütig, sein Blick hart und kalt.
»Keiner mischt sich hier ein«, gebot der Neuankömmling barsch. »Das sollen die Jungen unter sich ausmachen.«
Der Cowboy zuckte die Achseln und lehnte sich wieder gegen den Wagen. Auch die drei ???, vom Ungestüm des Mannes eingeschüchtert, zogen sich in die Zuschauerrolle zurück. Skinny schoss wütende Blicke um sich und wandte sich wieder Diego zu. Auf der Straße hob der kleinere Junge die Fäuste und kam näher.
»Aha, du hast wohl noch nicht genug?«, fauchte Skinny.
Auf dem freien Platz zwischen dem Geländewagen und dem nächsten parkenden Auto ging die Rauferei weiter. Plötzlich machte Skinny einen Satz rückwärts, um zu einem letzten vernichtenden Schlag auszuholen.
»Vorsicht!«, schrien Peter und Bob gleichzeitig.
Skinnys Sprung nach hinten hatte ihn unmittelbar vor ein herannahendes Auto gebracht! Doch Skinny hatte nur Augen für Diego und merkte nicht, in welcher Gefahr er war!
Bremsen quietschten, aber das Auto konnte unmöglich noch rechtzeitig anhalten!
Mit gesenktem Kopf sprang Diego auf Skinny los und rammte ihm mit aller Kraft die Schulter in den Bauch, um ihn so aus der Bahn des sich nähernden Wagens zu werfen. Beide Jungen stürzten auf den Asphalt, während das Auto vorüberschlitterte und ein paar Meter weiter quietschend zum Stehen kam.
Zwei reglose Körper lagen auf der Straße. Voll banger Ahnungen stürzten die Umstehenden auf sie los.
Da rührte sich Diego und erhob sich langsam, mit einem Lächeln. Er war unverletzt! Und auch Skinny war nichts passiert. Diegos rascher Angriff hatte ihn unsanft, aber wirkungsvoll aus der Gefahrenzone geschleudert.
Erleichtert klopften Bob und Peter Diego auf die Schulter, als der Autofahrer herzulief.
»Gute Reaktion, Junge! Alles in Ordnung mit dir?«
Diego nickte. Der Fahrer dankte ihm, vergewisserte sich, dass auch Skinny unversehrt war, und dann fuhr er weiter. Skinny lag noch auf der Fahrbahn, bleich und verstört.
»Glück muss der Mensch haben!«, murmelte Skinnys Cowboy-Freund, als er dem Jungen auf die Beine half.
»Der … der Kleine war meine Rettung«, sagte Skinny.
»Kann man wohl sagen!«, rief Peter. »Bedank dich mal schön.«
Skinny nickte verdrossen. »Danke, Alvaro.«
»Du dankst mir?«, sagte Diego. »Das ist alles?«
Skinny sah verdutzt drein. »Was denn noch?«
»Ich habe deine Entschuldigung noch nicht gehört«, sagte Diego gelassen.
Skinny starrte den schlanken Jungen verdutzt an.
»Du nimmst jetzt zurück, was du vorhin gesagt hast«, forderte ihn Diego auf.
Skinny wurde rot. »Wenn dir das so wichtig ist, na schön. Dann nehm’ ich das eben zurück. Ich …«
»Das genügt mir«, sagte Diego. Er drehte Skinny den Rücken zu und ging ein paar Schritte weg.
»Na hör mal –«, fing Skinny an. Dann sah er Bob, Peter und Justus grinsen. Sein hageres Gesicht wurde zornrot. Er lief auf den Geländewagen zu. »Cody!«, rief er dem Cowboy zu. »Los, hauen wir hier ab!«
Der Cowboy sah Diego und den erzürnten Unbekannten an, der jetzt neben dem Jungen stand.
»Da habt ihr euch aber was eingebrockt«, sagte Cody. Dann stieg er zu Skinny in den Wagen und fuhr los.
Codys Drohung noch in den Ohren, sahen die drei ??? Diego bestürzt dem Wagen nachblicken.
»Das war wieder falsch mit meinem Stolz!«, sagte Diego zerknirscht. »Der wird uns noch ruinieren!«
»Nein, Diego!«, fuhr der unbekannte Mann auf. »Du hast es gut gemacht. Für einen Alvaro zählen vor allen Dingen Stolz und Ehre.«
Diego wandte sich den Jungen zu. »Das ist mein Bruder Pico. Er ist unser Familienoberhaupt. Pico, das sind meine Freunde Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews.«
Ernsthaft und gemessen verbeugte sich Pico Alvaro vor den Jungen. Er war nicht älter als fünfundzwanzig, aber auch in alten Jeans, abgewetzten Stiefeln und abgetragenem schwarzem Hemd wirkte er wie ein spanischer Edelmann der alten Zeit.
»Señores – es ist uns eine Ehre, eure Bekanntschaft zu machen.«
»De nada«, sagte Justus und erwiderte die Verbeugung.
»Ah?« Pico lächelte. »Du sprichst Spanisch, Justus?«
»Lesen geht ganz gut«, sagte Justus bescheiden, »aber sprechen kann ich es nicht richtig. Lange nicht so, wie Sie Englisch sprechen.«
»Ihr müsst auch keine zwei Sprachen beherrschen«, sagte Pico höflich. »Wir sind stolz auf unsere Abstammung, deshalb sprechen wir Spanisch. Aber wir sind Amerikaner wie ihr, also ist auch Englisch unsere Sprache.«
Ehe Justus etwas erwidern konnte, platzte Peter ungeduldig heraus: »Was wollte denn dieser Cody damit sagen, als er meinte, ihr hättet euch da was eingebrockt?«
»Aufgeblasenes Gerede, es hat nichts zu bedeuten«, sagte Pico voll Verachtung.
Diego meinte unbehaglich: »Ich weiß nicht, Pico. Mr Norris hat …«
»Behellige andere nicht mit unseren Sorgen, Diego.«
»Sie haben Sorgen?«, fragte Justus. »Mit Cody und Skinny Norris?«
»Eine Bagatelle, nicht der Rede wert«, erklärte Pico.
»Uns die Ranch stehlen – für mich ist das keine Bagatelle!«, sagte Diego.
Bob und Peter machten große Augen. »Eure Ranch? Wie …?«
»Lass gut sein, Diego«, sagte Pico. »Stehlen ist ein hartes Wort.«
»Welches Wort passt denn besser?«, fragte Justus.
Pico überlegte kurz. »Vor einigen Monaten hat Mr Norris die Ranch neben uns gekauft. Er will in der Nachbarschaft noch weitere Grundstücke erwerben und alles zu einem großen Gutsbesitz vereinigen – ich nehme an, als Geldanlage. Er wollte auch unsere Ranch aufkaufen, aber die ist alles, was wir haben, und obwohl er uns ein gutes Angebot machte, wollen wir nicht verkaufen. Da war Mr Norris sehr verärgert.«
»Wild ist er geworden, wie ein gereizter Stier«, sagte Diego mit einem Grinsen.
»Es ist nämlich so«, fuhr Pico fort, »auf unserem Land ist ein alter Staudamm mit einem Rückhaltebecken am Flusslauf des Santa Inez Creek. Für seine große Ranch braucht Mr Norris dieses Wasser. Als wir uns weigerten zu verkaufen, bot er uns noch mehr Geld. Und als wir dann immer noch nicht wollten, versuchte eruns nachzuweisen, unser Anrecht auf das Land, das uns seinerzeit die Spanier zugewiesen hatten, sei ungesetzlich. Damit hat es seine Ordnung. Unser Land gehört uns zu Recht.«
»Er hat sogar durch Cody dem Sheriff melden lassen, unsere Ranch sei bei einem Brand ein Umweltrisiko, weil wir nicht genug Leute haben«, sagte Diego empört.
Mr Norris verdient nach diesen bedenklich stimmenden Auskünften über seine Grunderwerbs-Taktik wohl kaum mehr Sympathie als sein ungeratener Sprössling. Dieser dezente Hinweis auf eine mögliche Bedrohung der Hacienda Alvaro scheint uns ein nicht ungefährliches Spiel mit dem Feuer …
»Wer ist eigentlich dieser Cody?«, wollte Bob wissen.
»Der Gutsverwalter von Mr Norris«, erklärte Pico. »Norris ist Geschäftsmann. Von der Landwirtschaft hat er keine Ahnung.«
»Und der Sheriff war wegen der Feuergefahr anderer Meinung?«, fragte Peter. »Ihre Ranch ist also sicher?«
Pico seufzte. »Wir kommen schon zurecht, aber wir haben wenig Geld. Mit der Steuer sind wir im Rückstand. Davon hat Mr Norris Wind bekommen, und da versuchte er durchzusetzen, dass unsere Ranch von den Finanzbehörden beschlagnahmt wird, damit er sie auf diesem Umweg kaufen kann. Also mussten wir schnellstens unsere Steuern auf einen Schlag bezahlen, und da …«
»Da haben Sie bei einer Bank eine Hypothek aufgenommen«, sagte Justus ahnungsvoll.
Peter runzelte die Stirn. »Was ist denn eine Hypothek, Just?«
»Man beleiht ein Haus oder Grundstück, oder beides«, erklärte Justus. »Wenn man dann den Kredit nicht zurückzahlt, geht das Haus oder das Land an die Bank über.«
»Das heißt also«, sagtePeter, »dass ich einen Kredit aufnehme, um meine Steuerschuld zu bezahlen, damit das Finanzamt mir die Ranch nicht wegnimmt, aber ich muss zugleich den Bankkredit zurückzahlen, sonst kassiert die Bank meine Ranch! Da komme ich ja vom Regen in die Traufe.«
»Nein«, sagte Justus. »Steuerschulden muss man sofort und in voller Höhe begleichen, einen Kredit dagegen kann man in einzelnen Raten abtragen. Dabei entstehen zwar zusätzliche Kosten, weil man noch Zinsen bezahlen muss, aber man gewinnt dadurch Zeit, und kleine Zahlungen lassen sich leichter aufbringen.«
»Ein Haken ist dabei«, sagte Pico mit einem Unterton von Empörung. »Ein Amerikaner mexikanischer Abstammung, der mehr Grundbesitz als flüssige Mittel hat, bekommt in Kalifornien nicht so leicht einen Bankkredit. Ein alter Freund und Nachbar, Emiliano Paz, hat uns gegen eine Hypothekensicherheit Geld geliehen, damit wir unsere Steuern bezahlen konnten. Jetzt können wir aber das Hypothekendarlehen nicht abtragen, und deshalb kommen wir zu dir, Justus.«
»Zu mir?«
»Solange ich lebe, werden wir Alvaros von unserem Land nichts mehr verkaufen«, sagte Pico wütend. »Aber im Lauf der Generationen haben die Alvaros eine Menge Möbel, Kunsthandwerk, Bücher, Kleidung, Hausgeräte und so weiter angesammelt. Es ist schmerzlich, sich von Traditionswerten zu trennen, aber wir müssen unsere Zahlungen aufbringen, und so wird es Zeit, dass wir Entbehrliches verkaufen. Ich habe gehört, dass dein Onkel Titus solche Dinge zu einem angemessenen Preis aufkauft.«
»Na, und ob!«, rief Peter. »Je älter, je lieber!«
»Ich glaube«, sagte Justus, »Onkel Titus wird begeistert sein. Gehen wir!«
Justus hatte keine Eltern mehr. Er wohnte am Stadtrand von Rocky Beach bei seinem Onkel Titus und seiner Tante Mathilda. Gegenüber dem Wohnhaus, auf der anderen Straßenseite, lag der Familienbetrieb, das »Gebrauchtwaren-Center T. Jonas.« Dieser Super-Trödelmarkt war im ganzen Küstengebiet von Südkalifornien bekannt. Er führte nicht nur den handelsüblichen Schrott und Trödel – alte Eisenrohre und Bauholz, billige Möbel, gebrauchte Haushaltsgeräte –, sondern auch viele Kostbarkeiten, die Onkel Titus mit liebevoller Sorgfalt zusammentrug: hölzerne Wandverkleidungen mit Schnitzwerk, antike Badezimmereinrichtungen aus Marmor, schmiedeeiserne Gitter.
Das Alltagsgeschäft im Betrieb überließ Onkel Titus seiner Ehefrau Mathilda. Er interessierte sich mehr fürs Aufspüren von Wertobjekten, die sich gewinnbringend verkaufen ließen. Haushaltsauflösungen, Konkursversteigerungen, Verkaufsaktionen infolge Brandschaden – all diese Gelegenheiten nahm er wahr, und mit Feuereifer war er zur Stelle, wenn es Hausgeräte aus langjährigem Familienbesitz zu erwerben galt. Wie Justus und Peter vorausgesagt hatten, war er vom Angebot der Alvaros begeistert.
»Worauf warten wir noch?«, sagte er mit funkelnden Augen. Schon Minuten später startete der Lastwagen der Firma Jonas nach Norden, landeinwärts in Richtung auf die Ausläufer des Küstengebirges, wo die Alvaro-Ranch lag. Patrick, einer der beiden muskelstarken irischen Helfer im Betrieb, saß am Lenkrad, neben sich Onkel Titus und Diego. Justus, Peter, Bob und Pico saßen hinten auf der Pritsche des offenen Wagens. Die Nachmittagssonne schien noch, aber schon ballten sich dunkle Novemberwolken über den Bergen zusammen.
»Was meint ihr, ob die Wolken dort endlich Regen bringen?«, fragte Bob. Seit Mai hatte es nicht mehr geregnet, doch nun konnte der Winterregen mit jedem Tag einsetzen.
Pico zuckte die Achseln. »Vielleicht. Es sind nicht die ersten Wolken, die wir in diesem Herbst beobachtet haben. Den Regen könnten wir schon gebrauchen. Auf der Alvaro-Ranch haben wir zum Glück das Staubecken, aber es muss jedes Jahr aufgefüllt werden. Der Wasserstand ist zurzeit sehr niedrig.«
Pico sah hinaus auf die dürre braune Landschaft mit ihrem spärlichen Bewuchs von staubbedeckten immergrünen Eichen.
»Früher einmal«, sagte er, »gehörte all das Land hier den Alvaros. Die ganze Küste entlang und bis weit über die Berge hinaus. Mehr als zwanzigtausend Morgen!«
»Die Hacienda Alvaro.« Bob nickte. »Wir haben das in der Schule gelernt. Eine Landzuweisung durch den König von Spanien.«
»Ja«, sagte Pico. »Unsere Familie lebt schon sehr lange in der Neuen Welt. Juan Cabrillo, der als erster Europäer in das noch unbekannte Kalifornien vordrang, hat das Gebiet im Jahre 1542 für Spanien in Besitz genommen. Aber Carlos Alvaro war schon vor dieser Zeit auf dem amerikanischen Kontinent! Er diente unter dem Konquistador Hernando Cortez, als dieser das Aztekenreich besiegte und 1521 den Süden von Mexiko eroberte.«
»Das war ja schon einhundert Jahre, ehe die Pilgerväter bei Plymouth Rock an Land gingen!«, rief Peter.
»Und wann kamen nun die Alvaros nach Kalifornien?«, fragte Justus.
»Viel später«, antwortete Pico. »Die Spanier begannen erst mehr als zweihundert Jahre nach Cabrillos Entdeckung damit, Kalifornien zu besiedeln. Kalifornien lag ja sehr weit von der neuspanischen Hauptstadt Mexico City entfernt, und die kriegerischen Indianerstämme und das unwirtliche Land legten ihnen große Hindernisse in den Weg. Zunächst war Kalifornien für die Spanier nur auf dem Seeweg zu erreichen.«
»Damals glaubten sie sogar, Kalifornien sei eine Insel, nicht?«, meinte Justus.
Pico nickte. »Eine Zeitlang, ja. Dann führte Hauptmann Gaspar de Portolà 1769 eine Expedition in den Norden und kam auf dem Landweg nach San Diego. Mein Vorfahr, Leutnant Rodrigo Alvaro, war sein Gefolgsmann. Im Verlauf seiner Reise entdeckte Portolà die Bucht von San Francisco, und schließlich errichtete er 1770 eine Siedlung in Monterey. Auf dem Zug nach Norden sah mein Vorfahr Rodrigo das Gebiet, in dem heute Rocky Beach liegt, und später beschloss er, sich hier niederzulassen. Er ersuchte den Gouverneur der Provinz Kalifornien um das Land und erhielt es im Jahr 1784 zugewiesen.«
»Ich denke, er bekam das Land vom König von Spanien«, sagte Peter.
Pico nickte. »Gewissermaßen ja. All das neuspanische Gebiet gehörte von Rechts wegen dem König. Aber die Gouverneure von Mexiko und Kalifornien konnten in seinem Auftrag Landzuweisungen vornehmen. Rodrigo bekam mehr als zweiundzwanzigtausend Morgen. Heute sind uns davon nur noch einhundert Morgen geblieben.«
»Wie ist es dazu gekommen?«, fragte Bob.
»Ach …«, sagte Pico mit einem Blick aus dem Wagen über das Land. »Vielleicht eine Art Gerechtigkeit, Bob. Wir Spanier hatten den Indianern das Land weggenommen, und andere nahmen es wiederum uns weg. Im Lauf der Jahre gab es in der Sippe Alvaro viele Nachkommen, und der Besitz wurde immer wieder geteilt. Manches wurde verkauft, manches verschenkt, manches gestohlen – Machenschaften von Feinden und Kolonialbeamten. Es kam scheinbar nicht sehr darauf an, das Gebiet war ja so groß. Nachdem Kalifornien im Jahr 1848 in die Vereinigten Staaten aufgenommen wurde, gab es Besitzstreitigkeiten und Gebietsabtretungen zur Steuerentschuldung. Allmählich wurde unsere Ranch zu klein, um noch Gewinn abzuwerfen. Aber unsere Familie war immer stolz auf ihre spanisch-mexikanische Abstammung – meinen Namen erhielt ich nach dem letzten mexikanischen Gouverneur von Kalifornien, Pio Pico, und eine Statue des großen Cortez steht heute noch auf unserem Besitz. Die Alvaros weigerten sich, ihre Existenz als Rancheros aufzugeben. Als sie aus dem Grundbesitz keinen Gewinn mehr erwirtschafteten, verkauften sie Teile davon, um leben zu können.«
»Und jetzt will Mr Norris auch noch den Rest haben!«, rief Peter.
»Er wird ihn nicht bekommen«, erklärte Pico entschlossen. »Es ist kein sehr fruchtbares Land, und als Weideland ist es inzwischen zu klein, aber wir haben eine kleine Pferdezucht, und wir bauen Avocado-Bäume und Gemüse an. Mein Vater und mein Onkel gingen immer wieder zur Arbeit in die Stadt, um für die Ranch etwas zuschießen zu können. Jetzt, nach ihrem Tod, werden Diego und ich es ebenso machen, wenn es nötig ist.«
Die Landstraße, die der Lastwagen entlangfuhr, war nach Norden stetig durch hügeliges Gelände angestiegen. Jetzt durchquerte sie ein weites, offenes, ziemlich ebenes Gebiet. Hier machte die Straße in westlicher Richtung eine leichte Biegung nach links. Mitten in der Kurve zweigte ein gewundener Fahrweg nach rechts ab.
Pico wies diesen Weg entlang. »Der führt zur Norris-Ranch.«
Die drei ??? konnten in der Ferne die Gebäude der Norris-Ranch sehen, aber die Fahrzeuge davor konnten sie nicht genau erkennen. Sie fragten sich, ob wohl Skinny und Cody schon zurück waren.
Hinter der Biegung nach Westen führte die Landstraße auf einer kleinen Steinbrücke über ein ausgetrocknetes Flussbett.
»Das ist der Santa Inez Creek – unsere Gebietsgrenze«, sagte Pico. »Er führt erst wieder Wasser, wenn die Regenzeit kommt. Unser Staudamm am Creek ist etwa eine Meile weiter nördlich – da oben in den Bergen.«
Die langgestreckten Bergzüge, die Pico meinte, erhoben sich gleich hinter dem Fluss rechts von der Straße. Es war eine Reihe niedriger, schmaler, steil abfallender Kämme, die sich wie lange Finger vom Gebirge im Norden her ausbreiteten.
Als der Lastwagen am letzten Hügelzug vorbeifuhr, zeigte Pico zum Grat hinaus. Ein großes Reiterstandbild, ein Mann auf einem sich aufbäumenden Pferd, hob sich dort oben schwarz gegen den Himmel ab. Der Mann hatte einen Arm hoch erhoben, als gebiete er einer unsichtbaren Armee, ihm zu folgen.
»Der Eroberer Cortez«, sagte Pico stolz. »Das Wahrzeichen der Alvaros. Indianer haben das Standbild vor fast zweihundert Jahren gemacht. Cortez ist der Held der Alvaros.«
Nach dem letzten Bergrücken wurde das Land wieder flach, und die Straße führte auf einer weiteren Brücke über eine Schlucht.
»Ist das auch ein ausgetrocknetes Flussbett?«, fragte Peter.
»Das wäre gut«, sagte Pico. »Aber es ist nur ein Arroyo. Darin sammelt sich zwar nach starken Niederschlägen das Regenwasser, aber ein Arroyo wird nicht von einer Quelle gespeist wie ein Creek.«
Nun bog der Lastwagen rechts ab, auf einen von Avocado-Bäumen gesäumten Feldweg. Gleich darauf ging es noch einmal nach rechts, in einen großen öden Hof.
»Willkommen auf der Hacienda Alvaro«, sagte Pico.
Als die drei ??? auf den staubbedeckten Boden herunterkletterten, sahen sie ein langgestrecktes, niedriges Ranchhaus, eine Hacienda aus Lehmziegeln, mit weiß getünchten Mauern, tief eingeschnittenen Fenstern und einem Giebeldach aus roten Ziegeln. Gestützt von dunkelbraunem Gebälk, war das Dach über die ebenerdige, ziegelbelegte Veranda herabgezogen, die an der Hausfront entlanglief. Links daneben stand ein eingeschossiges Scheunengebäude mit Pferdestall. Davor war eine umzäunte Koppel. Krüppeleichen wuchsen rings um die Koppel, den Stall und auf dem ganzen Gelände. Unter dem dü