Die drei ??? und der rote Pirat (drei Fragezeichen) - William Arden - E-Book

Die drei ??? und der rote Pirat (drei Fragezeichen) E-Book

William Arden

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Beschreibung

Wer verbirgt sich hinter der Maske des Roten Piraten? Und warum bedroht dieser Justus, Bob und Peter? Was steckt hinter den Tonbandinterviews von Major Karnes? Wonach gräbt er heimlich in der Piratenbucht? Trotz aller Gefahren lassen die drei ??? nicht locker, bis sie das Rätsel um den legendären Piratenschatz gelöst haben. Ein Schatz, an dem allerdings einiges mehr als faul ist ...

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und der Rote Pirat

erzählt von William Arden

Aus dem Amerikanischen übertragen von Leonore Puschert

Kosmos

Umschlagillustration von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)

Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage

der Gestaltung von Aiga Rasch

Aus dem Amerikanischen übertragen von Leonore Puschert

Titel der Originalausgabe: „The Three Investigators in The Mystery of the Purple Pirate“

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele weitere Informationen zu unseren Büchern, Spielen, Experimentierkästen, DVDs, Autoren und Aktivitäten findest du unter kosmos.de

© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur.

ISBN 978-3-440-14182-3

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Albert Hitfield lädt zum Wettbewerb ein

Hallo, Krimi-Freunde! Wieder einmal kann ich einen spannenden Fall der drei ??? präsentieren. Bitte, darf ich sie kurz vorstellen? Justus Jonas, Erster Detektiv, ist ein Junge, der gern gut isst und gern gute Rätsel löst. Sein unbestechliches Gedächtnis und seine vortreffliche Kombinationsgabe konnten das Trio schon aus mancherlei Engpässen befreien. Es folgt der große, sportliche Zweite Detektiv, Peter Shaw, der angesichts einer Gefahr leicht nervös wird, ihr aber dennoch mutig entgegentritt. Zu guter Letzt kommt Bob Andrews, dem die Recherchen und das Archiv obliegen, ein zuverlässiger ruhender Pol, unentbehrlich für seine beiden Detektivkollegen.

Diesmal übernehmen die Jungen einen mit viel Kopfzerbrechen verbundenen Fall in der Heimstatt des Roten Piraten und an Bord des Kaperschiffs »Schwarzer Geier«. Bestimmte sonderbare Ereignisse legen es nahe, dass ein gewisser Pirat an seinem einstigen Zufluchtsort noch quicklebendig sein muss – einer der berüchtigten Freibeuter Kaliforniens …

Das geheimnisvolle Abenteuer ist ein wahrer Prüfstein für die detektivischen Talente der drei ???, und mehrmals geraten sie in die Klemme. Messt euren Scharfsinn mit den drei ??? und versucht, ob ihr mit ihnen – oder gar schon vorher? – das Geheimnis des Roten Piraten enträtseln könnt!

Albert Hitfield

Banditen, Briganten und Seeräuber!

Beim Rasseln des Weckers öffnete Peter ein Auge und stöhnte. Erst zwei Wochen Sommerferien, und schon bereute er es zutiefst, dass er für seine Nachbarn die Gartenarbeit übernommen hatte, solange die Leute verreist waren. Doch in der Kasse des Detektivteams »Die drei ???« herrschte Ebbe, denn das Trio war zum Ferienbeginn nach Disneyland gereist. Nun brauchten die Jungen dringend Geld, um in diesem Sommer über die Runden zu kommen. Auch die beiden anderen hatten Arbeit übernommen: Bob Andrews versah seinen stundenweisen Job in der Bücherei, und Justus Jonas hatte sich widerwillig zu Überstunden im »Gebrauchtwaren-Center T. Jonas«, das sein Onkel Titus und seine Tante Mathilda führten, bereiterklärt.

Unter erneutem Stöhnen kroch Peter aus dem Bett und stieg in seine Kleider. Als er in der Küche eintrudelte, fand er seinen Vater schon beim Frühstück vor.

»Hallo – so früh schon auf?«, Mr Shaw grinste und legte die Zeitung weg.

»Muss dummerweise zur Arbeit«, knurrte Peter. Er holte sich Orangensaft aus dem Kühlschrank.

»Ach ja, eure Moneten für den Sommer! Na, vielleicht lässt sich auch mit weniger Mühe etwas verdienen. Sieh mal, das hat uns gestern Abend jemand in den Briefkasten gesteckt.«

Mr Shaw legte seinem Sohn einen gelben Zettel auf den Platz. Peter sah ihn sich an, während er seinen Saft trank. Es war ein Werbeblatt des Typs »An alle Haushaltungen«. Und dann las Peter mit wachsendem Interesse den in leuchtendem Blau gedruckten Text:

SEERÄUBER!

FREIBEUTER!

Abenteurer! Historiker! Leseratten! Piraten-Nachfahren!

Der Verein zur Rehabilitierung der Seeräuber, Freibeuter, Banditen und Briganten bezahlt 25 Dollar je Stunde an jedermann, der ausführliche Informationen über einstmals hier ansässige Piraten, Banditen, Strauchdiebe und sonstige schillernde Gauner aus Kaliforniens turbulenter Vergangenheit liefert.

Sprechstunden vom 18.–22. Juni, täglich 9–17 Uhr,

De La Vina Street 1995.

BANDITEN!

BRIGANTEN!

»Hoppla!«, rief Peter. »Da können wir ja reich werden, Papa! Wir wissen doch eine ganze Menge über das Gesindel von anno dazumal, besonders Justus kennt sich aus! Ich muss das gleich mal Justus und Bob zeigen. Heute ist ja der Achtzehnte, und es ist schon gleich acht!«

»Nun mal langsam«, mahnte Mr Shaw. »Ehe du Millionär wirst, iss erst dein Frühstück.«

»Aber Papa! Ich muss noch drüben den Rasen sprengen, und dann –«

»Mit leerem Magen kommt man doch gar nicht in Fahrt – und das gilt besonders für Justus. Komm, greif zu!«

Peter maulte: »Na schön, dann eben ein paar Cornflakes.«

Die schlang er herunter, dann schnupperte er an dem Teller mit Toast und gebratenem Speck, den ihm sein Vater vorsetzte.

»Na ja …«, meinte Peter. »Das werd’ ich auch noch schaffen.«

Sein Vater lächelte wortlos. Peter aß alles auf, holte sich einen Nachschlag und nahm dann den Werbezettel und sprang auf. Er lief zu Nachbars Garten, sprengte den Rasen, kehrte die Zufahrt und schwang sich auf sein Fahrrad. Er sauste los, und Punkt neun Uhr kam er bei dem langen, bunt angemalten Zaun um den Schrottplatz der Firma T. Jonas an. Dieser Zaun war von einheimischen Malern als Kunstwerk ausgestaltet worden. Neben einer Ecke prangte ein sinkendes Schiff in einem grünen Ozean, und ein gemalter Fisch reckte den Kopf aus den Fluten. Peter drückte auf das Fischauge, und eine Planke schwenkte zur Seite – das war das Grüne Tor.

Peter schlüpfte hindurch und stand nun in Justs Freiluftwerkstatt dicht bei der gut versteckten »Zentrale« der drei ???, die in einem alten Campingwagen untergebracht war. Der Zweite Detektiv stellte sein Rad zu den beiden anderen in die Werkstatt und kroch in die für einen Erwachsenen zu enge Einmündung einer langen Wellblechröhre. Die Röhre, genannt Tunnel II, führte unter einem gewaltigen Schrotthaufen hindurch, der rings um den Wagen aufgetürmt war. Alle anderen hatten längst vergessen, dass der Campingwagen überhaupt noch auf dem Gelände stand. Am Ausgang des dunklen Schlauchs drückte Peter eine Luke hoch, und sein Kopf tauchte in dem kleinen Innenraum des Wagens auf. Der war vollgestopft mit Möbeln und all den Gerätschaften, die die Jungen für ihre Detektivarbeit brauchten.

»Freunde, ich hab’ was!«

Peter schwenkte den gelben Handzettel. Dann hielt er inne und machte große Augen. Justus Jonas, der etwas rundliche, aber blitzgescheite Erste Detektiv, stand am Schreibtisch. Bob Andrews, der schlanke, blonde Junge, der so fleißig recherchierte und archivierte, hatte sich an einen Aktenschrank gelehnt. Beide hatten auch dieses Werbeblatt in der Hand!

Bob seufzte. »Vor fünf Minuten kam ich hier an – mit der gleichen Sache!«

»Und bei mir war das Ding auch schon eingetroffen«, ergänzte Justus. »Es sieht ganz so aus, Freunde, als hätten wir alle drei die gleiche Idee zum Geldverdienen!«

Peter stieg vollends ins Detektivbüro hinauf und ließ sich in einen alten Polstersessel fallen, den sie vom Schrottplatz stibitzt hatten. »Die Plackerei hängt uns ja wohl inzwischen allen zum Hals heraus«, fand Peter.

»Arbeit hat noch keinem geschadet«, wies Justus den Zweiten Detektiv zurecht. Dann setzte er sich auf den Stuhl beim Schreibtisch. »Zugegeben: Tag für Tag auf dem Schrottplatz schuften – das ist schon brutal. Vielleicht kann dieser ›Verein zur Rehabilitierung der Seeräuber und so weiter‹ uns von der Fron befreien.«

»Von mir aus mit Freuden, falls nur ein bisschen was dabei für uns rausspringt«, sagte Bob.

»Über wen könnten wir den Leuten denn etwas erzählen?«, meinte Peter.

»Oh, da wäre einmal der französische Freibeuter de Bouchard«, erklärte Justus. »Er ist als berühmtester Pirat in die Geschichte Kaliforniens eingegangen.«

Peter wusste auch etwas. »Und dann gibt es El Diablo, den Banditen, dem wir in unserem Fall ›Teufelsberg‹ begegneten.«

»Und die Soldaten, die Don Sebastian Alvaro töteten, um an die Waffe des Feldherrn Cortez zu kommen – siehe Fall ›Aztekenschwert‹«, setzte Bob hinzu.

»Ja, und dann ist da noch dieser Nachfolger von de Bouchard – William Evans, der Rote Pirat«, sagte Justus. Er warf einen Blick auf die alte, von ihm mit Hingabe und Sorgfalt reparierte Standuhr. »Aber all diese Geschichten sind nicht nur uns bekannt. Wir sollten uns also beeilen.«

Gesagt, getan. Hintereinander ließen sie sich durch die Bodenluke hinunter und krochen durch Tunnel II zur Werkstatt. Als die drei Jungen ins Freie traten, hörten sie lautes Rufen: »Justus! Wo steckst du wieder? Justus!«

»Das ist Tante Mathilda, Just«, sagte Bob.

Wer da rief, war wegen des rings um die Zentrale gestapelten Trödels nicht zu erkennen. Doch die Stimme kam unaufhaltsam näher.

»Wetten, dass sie uns Arbeit aufhalsen will?«, rief Peter.

Justus wurde bleich. »Schnell weg!«

Die Jungen schnappten sich ihre Fahrräder, entwischten durchs Grüne Tor und fuhren los zum Stadtrand von Rocky Beach. Als sie sich der genannten Hausnummer an der De La Vina Street näherten, kam Bob das Gebäude bekannt vor.

»Das ist doch dieser alte Bau aus der spanischen Zeit, mit dem rings ummauerten Innenhof, und vorn an der Straße sind Ladenräume. Die meisten stehen allerdings zurzeit leer.«

Justus strampelte keuchend daher. »Deshalb hat sich dieser Verein wohl dort niedergelassen. Die haben den Laden sicher billig gemietet, und für Befragungen ist es ja ein ruhiger Platz.«

Als die Jungen dann bei Haus Nr. 1995 anlangten, befand sich bereits eine kleine Menschenansammlung, die von Sekunde zu Sekunde größer wurde, vor dem geschlossenen hölzernen Tor in der hohen Mauer. Justus sah sich die Gruppe aufmerksam an.

»Wenige Erwachsene, vorwiegend Kinder und junges Volk«, stellte der Erste Detektiv fest. »Heute ist ja ein normaler Werktag, und die Berufstätigen können erst abends kommen. Günstig für uns, Freunde!«

Während die Jungen ihre Fahrräder an ein Eisengeländer anschlossen, öffnete sich das hohe, hölzerne Eingangstor, und ein kleiner Mann mit weißem Haar und buschigem Schnauzbart trat flink heraus. Er trug eine Tweedjacke, Reithosen, Stiefel und ein Seidentuch um den Hals. In einer Hand wippte eine Reitgerte. Er sah aus wie ein Kavallerieoffizier von früher. Der Mann trat vor die Versammlung hin und hob die Gerte, um sich Gehör zu verschaffen.

»Ich darf mich vorstellen: Major Karnes! Im Namen des Vereins für die Rehabilitierung der Seeräuber, Freibeuter, Banditen und Briganten heiße ich Sie alle willkommen. Wir werden Sie einzeln berichten lassen, aber für heute sind es leider schon zu viele. Folglich müssen wir unsere Befragung auf diejenigen Besucher beschränken, die die weiteste Anreise hatten! Nur die Anwesenden, die außerhalb von Rocky Beach wohnen, werden heute interviewt. Alle Übrigen können nach Hause fahren und an einem anderen Tag wiederkommen.«

Ein vielstimmiges Murren der Enttäuschung drang aus der Menge. Die jungen Leute fingen einfach an zu drängeln und zu schubsen. Major Karnes wich betroffen zurück, stieß gegen einen der hohen Torflügel und schob beide zu. Mit dem Rücken zum Tor versuchte er weiterzureden, kam aber gegen die erbosten Halbwüchsigen nicht an.

»He, was soll’n das?«

»Da kommt man extra hierher – und dann is’ nix!«

»Mann, Sie ha’m vielleicht Nerven!«

Major Karnes fuchtelte mit seiner Reitgerte vor dem jugendlichen Publikum herum. »Nun macht schon, dass ihr wegkommt!«

Da ging der Krawall erst richtig los. Ein großer Kerl riss dem kleinen Mann die Reitgerte aus der Hand und warf sie in hohem Bogen weg. Die anderen schoben sich bedrohlich näher heran. Major Karnes wurde blass.

»Hilfe! Hubert!«

Aber die aufgebrachte Horde drängte sich schon ganz dicht vor ihm!

Betrug!

»Hilfe!«, schrie Major Karnes, als die wutentbrannten jungen Leute ihm zu Leibe rückten. »Hubert! Hilf mir doch!«

Peter wandte sich rasch an Justus. »Du, die hauen hier ja ganz schön auf den Putz. Bring du den Major in Sicherheit.« Dann sprang der große Junge auf das Dach eines in der Nähe abgestellten Autos und wies die Straße entlang.

»Polizei!«, rief er. »Die Bullen rücken an!«

Die Schreier und Raufbolde drehten sich um und blickten erschrocken zu Peter hin. Bob und Justus schlüpften flink durch die Menge und traten auf den Major zu.

»Los, verschwinden!«, brüllte Peter. »Wir hauen ab!«

Er sprang vom Wagendach und rannte auf der Straße in der Gegenrichtung los. Ein paar Jungen liefen ihm hinterher, andere zögerten noch. Im Hintergrund zog Bob einen der schweren hölzernen Torflügel auf.

»Nach Ihnen, Sir.« Justus schob den Major durch. Gleich darauf tauchte Peter in dem sich langsam auflösenden Menschenknäuel auf und schlüpfte hinter Major Karnes, Justus und Bob in den Hof. Mit vereinten Kräften drückten die Jungen die Torflügel zu. Major Karnes lehnte keuchend an der Innenseite der Mauer.

»Hubert!«, schrie er aus vollem Hals.

Der Hof war mit großen, alten Steinplatten belegt. Dazwischen wuchsen Pfeffersträucher und anderes Gebüsch. Die hohe Mauer verbarg sich innen fast ganz unter blühenden Schlinggewächsen. Sie umgab den ganzen Hofraum, nur unterbrochen durch die kurze Ladenreihe vorn an der Straße. Die Läden waren offenbar alle unbenutzt. Ein Transporter parkte einsam vor der Ladenfront.

Der Major zog ein rotes Taschentuch heraus und tupfte sich die Stirn ab. »Vielen Dank für die Hilfe, ihr drei. Gut, dass sich die Polizei um die Rabauken kümmert.«

Peter lachte. »Da war gar keine Polizei, Sir. Aber ich musste mir doch was einfallen lassen, damit die sich am Riemen reißen und Ihnen keinen Ärger machen!«

»Und inzwischen konnten wir das Tor öffnen«, setzte Bob hinzu.

Der Major war beeindruckt. »Ihr seid ja ganz fixe Jungs. Na, dann bekommt eben ihr das erste Interview, egal, wo ihr wohnt. Hubert, du Trottel! Komm endlich raus!«

»Oh, vielen Dank, Sir!«, riefen Peter und Bob.

»Schon gut.«

Justus zog die Brauen zusammen. »Ich fürchte nur, die draußen werden das als bevorzugte Behandlung ansehen.«

»Ich werd’ mich doch nicht von einem Haufen Schuljungen einschüchtern lassen!«, fuhr der Major auf. »Hubert, du Schafskopf! Wo steckst du denn?«

Die Tür eines der leerstehenden Läden flog auf, und ein grobschlächtiger Riese kam zu dem kleinen Major gelaufen. In der grauen Chauffeurslivree, die ihm zu eng war, sah er aus wie ein Elefant. Er hatte ein Vollmondgesicht; das Alter war schwer zu schätzen. Eine ulkige, viel zu kleine Schildmütze saß auf dem dichten, roten Haarschopf, und die blauen Augen waren angstvoll aufgerissen.

»T-t-tut mir leid, M-Major.«

»Idiot! Die da draußen hätten mich fast gelyncht! Wo warst du denn?«

»I-ich war hinten und machte den Kassettenrecorder fertig. Carl brüllte so laut herum, und da hörte ich gar nicht –«

»Will ich gar nicht wissen!«, tobte der Major. »Nun geh raus und sag denen, dass wir in zehn Minuten das Tor wieder aufmachen. Sie sollen sich schön in einer Reihe aufstellen. Und sag ihnen, dass ich keinen aus der Stadt drannehme, also brauchen die von hier schon mal gar nicht zu warten!«

Hubert trottete folgsam zum Tor. Als er die beiden Flügel öffnete, stieg aus der draußen versammelten Menge Gebrüll auf. Alle drängelten nach vorn, bis sie den riesigen Kerl zu Gesicht bekamen. Dann trauten sie sich nicht mehr weiter.

Zufrieden beobachtete der Major, wie Hubert die Wartenden in eine Reihe scheuchte. »Ist schon erstaunlich, wie Hubert Ordnung schafft – er muss sich nur in voller Größe zeigen!«

»Auf mich würde das jedenfalls auch gewaltigen Eindruck machen«, gestand Bob.

»Der könnte einen Panzer aufhalten!«, übertrumpfte ihn Peter.

»Könnte er durchaus«, schnaubte der Major, »wenn er nur nicht dauernd über seine eigenen Füße stolperte! Na, ihr drei, nun kommt mal mit.«

Der Major führte die Jungen in den mittleren Laden und durch das leere Vorderzimmer in einen kleinen Raum nach hinten. Aus dem Fenster sah man in einen mit Unkraut überwucherten Garten und auf die hohe Mauer im Hintergrund. Die Fenster waren jedoch geschlossen, und unter dem einen surrte ein Klimagerät. Bis auf einen Schreibtisch, ein Telefon und ein paar Klappstühle gab es keine Möbel im Zimmer. Ein gedrungener, dunkelhaariger Mann war mit einem Kassettenrekorder auf dem Schreibtisch beschäftigt. Er trug grobe Arbeitskleidung.

»Solange Carl noch an der Maschine bastelt, werde ich euch über den Verein zur Rehabilitierung der Seeräuber, Freibeuter, Banditen und Briganten aufklären.« Der Major lehnte sich gegen den Schreibtisch und tippte mit der Reitgerte an die Kante. »Diesen Verein gründete mein schwerreicher Großonkel im Zuge seiner Forschungen über das Leben unseres Ahnherrn, Kapitän Hannibal Karnes, besser bekannt als Barracuda-Karnes. Er segelte in der Kolonialzeit als Freibeuter durch die Karibik.«

»Oh«, sagte Bob. »Von einem Barracuda-Karnes habe ich noch nie etwas gehört.«

»Ich auch nicht«, bekannte Justus nach leichtem Zögern. »Der einzige weltberühmte Pirat in dieser Region war meines Wissens Jean Lafitte.«

»Ja, richtig«, meinte der Major. »Barracuda-Karnes war aber während des Unabhängigkeitskrieges ebenso berühmt und zum wahren Volkshelden geworden wie Jean Lafitte im Krieg gegen Großbritannien von 1812 bis 1814. Nur ist Barracuda nicht in die Geschichtsbücher eingegangen. Übrigens waren weder Lafitte noch Karnes Seeräuber oder Piraten – sie waren Freibeuter, also Männer, die Schiffe aus Feindesland enterten und plünderten. Karnes lauerte britischen Schiffen auf und schaffte ihre höchst willkommene Ladung zu den revolutionären Kolonien. Lafitte war ein Schmuggler, der zuerst nur spanische Schiffe angriff, sich dann aber mit Andrew Jackson zusammentat, um unserem Land im Krieg gegen die Briten zum Sieg zu verhelfen. Niemand weiß, warum manche Männer berühmt, andere hingegen vergessen wurden. Mein Großonkel wollte hier Aufklärungsarbeit leisten. Er verwendete sein Millionenvermögen dazu, einen Verein zu gründen, der Bücher und Broschüren mit Beweismaterial dafür herausbrachte, dass viele vergessene Piraten, Straßenräuber und Diebe in Wahrheit unverstandene Volkshelden und Patrioten waren – wie Lafitte und Robin Hood!«

»Tja …«, setzte Justus zweifelnd an.

»Du würdest zu Recht staunen, junger Mann!«, eröffnete ihm der Major. »Viele Jahre lang durchstreifte mein Großonkel die ganze Welt, um Wissenswertes über jene längst dahingegangenen Freibeuter und Briganten in Erfahrung zu bringen. Nach seinem Tod beschloss ich, dieses löbliche Werk fortzusetzen. Hier in Kalifornien vermute ich eine Fundgrube für solch unentdeckte heldenhafte Banditen. Und nun ist mein Freund Carl vielleicht so weit …?« Der andere Mann nickte, und der Major wandte sich an die Jungen: »Schön, und mit wem fangen wir an?«

»Mit mir!«, rief Peter. »Mit der Geschichte des Banditen El Diablo!«

Justus, der seinerseits schon den Mund zum Reden aufgetan hatte, setzte sich auf einen Stuhl neben Bob und hörte sich verdrossen an, wie Peter von dem mexikanischen Banditen erzählte, der nach dem Krieg gegen Mexiko die amerikanischen Besatzer bekämpft hatte. Doch Peter kam nur bis zur Schilderung, wer El Diablo war, und da fiel ihm der Major auch schon ins Wort.

»Sehr gut. Dieser El Diablo scheint mir ein aussichtsreicher Kandidat für eine Veröffentlichung durch unseren Verein zu sein. So, wer ist der Nächste?«

Justus legte los: »Ich habe zwei Kandidaten, Major! Der französische Freibeuter Hippolyte de Bouchard und sein Gefolgsmann William Evans, der dann viel später als der Rote Pirat auftrat! Der Franzose de Bouchard war Hauptmann im Dienst Argentiniens, das 1818 Spanien den Krieg erklärte. Auf der mit 38 Geschützen bestückten Fregatte Argentina, dazu der Santa Rosa mit 26 Geschützen, und mit insgesamt 285 Mann Besatzung aus zehn Ländern wurde er ausgesandt, um spanische Schiffe und Kolonien zu überfallen. Er war den Kolonisten in Alta California weit überlegen. Er steckte Monterey in Brand, besiegte den Gouverneur Pablo Sola und zog dann zu einem weiteren Angriff in das Gebiet um Los Angeles, wo er –«

»Gut! Ausgezeichnet!«, rief Major Karnes und wandte sich an Bob. »Und du, was hast du zu bieten, Junge?«

Bei der jähen Unterbrechung blinzelte Justus den kleinen Major ungläubig an. Er und Peter tauschten einen vielsagenden Blick, als Bob von den Soldaten des Generals Fremont zu berichten begann, die versucht hatten, Don Sebastian Alvaro das Aztekenschwert des Cortez zu stehlen.

»Großartig! Wieder eine feine Geschichte«, wurde auch Bob nach kurzer Zeit von dem Major unterbrochen. »Ihr Jungen habt eure Sache gut gemacht. Carl hat alles auf Band aufgenommen, und wenn wir die Berichte geprüft haben, werden wir euch wieder verständigen.«

»Wieder verständigen?«, wiederholte Peter. Das passte ihm gar nicht!

»Aber hören Sie«, erhob Justus Einspruch, »in Ihrer Anzeige hieß es doch –«

Der Major bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln. »Wir werden entscheiden, welche Geschichten für uns verwendbar sind, und euch anschließend wegen des ausführlichen Interviews zu 25 Dollar die Stunde anrufen. Ist doch ein schönes Taschengeld für euch Jungs, nicht? Wenn ihr weggeht, sagt Hubert, er soll den Nächsten hereinschicken.«

Völlig verdutzt gingen die Jungen durch das Tor hinaus und richteten Hubert aus, was Karnes von ihm wollte. Langsam schritten sie an der Schlange der Wartenden vor der Mauer vorüber und holten ihre Fahrräder. Peter sprach aus, was alle drei dachten.

»Freunde, da hat man uns ganz schön reingelegt!«

Bob war empört. »Und auf dem Handzettel hieß es, jeder, der einen Beitrag bringt, wird dafür bezahlt!«

»Ja, genau so stand es da, Bob«, bestätigte Justus.

»Den müsste man anzeigen!«, rief Bob.

»Wetten, dass der uns Jungen nicht für voll genommen hat?«, entgegnete Peter.

»So ist es«, stellte Bob fest. »Die Erwachsenen wird er besser behandeln!«

»Wenn er das tut, dann zeigen wir ihn aber bestimmt an«, drohte Justus an. »Ich meine, wir sollten diesen Major Karnes und seine Leute im Auge behalten. Los, kommt mit!«

Bobs Irrtum

Die drei ??? ließen ihre Fahrräder vorerst am Geländer angeschlossen und liefen um die Ecke zur hinteren Hofmauer. Bob und Peter erkletterten flink die rau verputzte Mauer und halfen dem ächzenden, aber zu allem entschlossenen Justus hinauf.

Nachdem sie alle drei vorsichtig heruntergesprungen waren, um kein Geräusch zu verursachen, waren sie nun an der Rückseite der Ladenreihe. In dem verwilderten Garten dahinter fanden sie zwischen einer knorrigen alten Eiche und einem ausladenden Jacaranda-Baum ein passendes Versteck, von wo sie den Major im Hinterzimmer beobachten konnten. Karnes und Carl interviewten wiederum einen Jungen. Wegen der geschlossenen Fenster und der surrenden Klimaanlage konnten die drei ??? das Gespräch nicht mithören, doch sie konnten sich vorstellen, was nun gleich passieren würde.

»Da habt ihr’s!«, sagte Peter leise.

Die drei Freunde sahen, wie der Junge im Raum erschrak und aufzubegehren versuchte, dann aber niedergeschlagen das Zimmer verließ, bedrängt von Major Karnes. Genau dasselbe hatten sie auch erlebt!

»Dann waren also nicht nur wir die Leidtragenden«, erkannte Bob.

Plötzlich schreckte Justus auf. »Freunde! Seht euch mal an, was dieser Carl macht!«

»Was denn, Just?« Peter schaute durchs Fenster.

»Wart nur ab, bis das nächste Interview endet«, sagte Justus. Bob und Peter sahen, wie ein Schuljunge das Zimmer betrat, kurz sprechen durfte und dann von Karnes hinauskomplimentiert wurde. Sofort drückte Carl auf einen Knopf am Kassettenrekorder. Er wartete kurz und drückte dann einen weiteren Knopf, schaltete das Mikrofon ab, und als der nächste Besucher eifrig zu reden begann, ließ er das Tonband wieder von vorn laufen.

»Er spult das Band einfach zurück und nimmt wieder neu auf, Just«, sagte Peter langsam. »Ich begreif’ nicht ganz …«