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Woher kommt das schauerliche Heulen im "Tal der Wehklagen"? Justus, Bob und Peter wollen nicht glauben, dass an den Gerüchten, ein alter, längst totgesagter Bandit gehe hier um, etwas dran ist. Doch dann entdeckt Justus ein winziges schwarzes Steinchen und das ist alles andere, als ein gewöhnlicher Stein...
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Seitenzahl: 183
und der Teufelsberg
erzählt von William Arden
Aus dem Amerikanischen übertragen von Leonore Puschert
Kosmos
Umschlagillustration von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch
Hinweis: Dieses Buch wurde vor vielen Jahren geschrieben und veröffentlicht. Es ist ein Produkt seiner Zeit. Daher kann es diskriminierende Darstellungen enthalten, die in der Gesellschaft zu wenig infrage gestellt wurden. Jegliche Art von Diskriminierung passt nicht zu unserem heutigen Verständnis von einer vielfältigen und gleichberechtigten Gesellschaft. Wir haben uns dennoch entschlossen, das Buch in seiner Originalfassung zu belassen. Wir empfehlen, sich kritisch mit dem Thema Diskriminierung auseinanderzusetzen.
Aus dem Amerikanischen übertragen von Leonore Puschert
Titel der Originalausgabe: „Alfred Hitchcock and The Three Investigators in The Mystery of the Moaning Cave“
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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Wir behalten uns auch die Nutzung von uns veröffentlichter Werke für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur.
ISBN 978-3-440-14181-6
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Es ist mir ein Vergnügen, meine Leser bei diesem jüngsten Fall, der den drei ??? Rätsel aufgibt, willkommen zu heißen. Solltet ihr nicht schon anlässlich früherer Taten mit ihnen Bekanntschaft geschlossen haben, so erlaube ich mir vorzustellen: die drei Detektive alias Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews, alle aus Rocky Beach in Kalifornien, unweit der weltbekannten Filmstadt Hollywood.
Seit einigen Jahren besteht nun schon die Detektivzentrale der drei ??? zur Aufklärung aller geheimnisvollen Fälle, die den Jungen begegnen. Firmenchef ist Justus Jonas, bekannt für seinen scharfen Verstand, seinen kühlen Kopf und seinen hartnäckig durchgehaltenen Vorsatz, niemals vor der Lösung eines Rätsels aufzugeben. Zweiter Detektiv ist Peter Shaw, der dem Trio als talentierter und geübter Sportler schon oft in gefährlichen Situationen zur Ehre gereichte. Dritter im Bunde ist Bob Andrews, äußerst belesen und gründlich, dem die Recherchen und die Führung des Archivs obliegen. Als Zentrale dient den Detektiven ein im Verborgenen abgestellter Campinganhänger auf dem Gelände der Firma »Gebrauchtwarencenter T. Jonas«, die Justs Onkel Titus und Tante Mathilda gehört. Natürlich ist die Zentrale nur über gut verborgene Geheimzugänge zu erreichen.
»Wir übernehmen jeden Fall«, ist das Motto der Jungen, und auch diesmal treten sie dafür den Beweis an und reisen zu einer Ranch in den Bergen, um dort Ermittlungen anzustellen: über eine Höhle, aus der unheimliches Heulen und Stöhnen dringt, einen sagenumwobenen Banditen, der im Tode keine Ruhe findet, und allerlei sonderbare Vorfälle in einem abgelegenen Tal. Was sie dabei entdecken, könnte gruselanfälligen Lesern eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken jagen – also: Lesen auf eigene Gefahr!
Doch nun sei es genug der Vorrede. Gleich geht es los – aufgepasst und mitgeraten!
Albert Hitfield
»Huuuuu-uuu!«
Das unheimliche Wehklagen hallte durch das im Dämmerlicht liegende Tal.
»Das war es«, flüsterte Peter Shaw. »Es hat also wieder angefangen.«
Peter, Justus und Bob kauerten auf einem steilen, lang gestreckten Bergrücken in einer abgelegenen Ecke der Mendoza-Ranch, nur etwa hundert Meter landeinwärts von der Pazifikküste.
Wieder ließ sich das Heulen oder Stöhnen hören – lang gezogen und gruselig. »Huuuuu-uu!«
Peter erschauerte. »Ich kann es den Landarbeitern von der Ranch nicht verübeln, dass sie nicht mehr hierherkommen wollen«, sagte er zu seinen Gefährten.
»Vielleicht kommt es von dem Leuchtturm her, den wir unterwegs gesehen haben«, meinte Bob leise. »Vielleicht ist es eine Art Echo vom Nebelhorn.«
Justus schüttelte den Kopf. »Nein, Bob, ich glaube nicht, dass es vom Leuchtturm kommt. Der Klang ist ganz anders als bei einem Nebelhorn. Und außerdem haben wir heute Abend gar keinen Nebel.«
»Was könnte es dann –«, fing Bob an, aber da kauerte Justus schon nicht mehr an seiner Seite. Zielbewusst schritt der stämmige Erste Detektiv den Grat des Hügels entlang nach rechts. Peter und Bob sprangen auf und folgten ihm. Die Sonne war jetzt fast ganz in einem Einschnitt zwischen den Bergen an der Küste versunken und ein dunstiger roter Widerschein lag über dem Tal.
Nach ungefähr fünfzig Metern blieb Justus stehen. Wieder kam das Stöhnen. Er horchte angespannt, die hohle Hand hinters Ohr gelegt.
Peter sah verdutzt drein. »Was haben wir eigentlich vor, Just?«
Justus gab keine Antwort. Er machte nur kehrt und schritt beinahe hundert Meter in entgegengesetzter Richtung los.
»Soll das hier oben ein längerer Spaziergang werden, Just?«, fragte Bob, über das sonderbare Benehmen des Ersten Detektivs ebenso verwundert wie Peter.
Ehe Justus antworten konnte, schallte erneut ein unheimliches Heulen durchs Tal. »Huuuuuuu!«
Justus wandte sich an seine Freunde. »Nein, Bob – unser Experiment ist beendet.«
»Was denn für ein Experiment?«, gab Bob zurück. »Außer Herumlaufen haben wir ja gar nichts getan!«
»Wir haben uns das Stöhnen von drei verschiedenen Punkten auf diesem Hügel aus angehört«, erklärte Justus. »Im Geist zog ich Linien von meinem jeweiligen Standpunkt bis dahin, woher das Stöhnen zu kommen scheint. Wo die drei Linien sich kreuzen, dort ist der genaue Ursprungsort der Töne.«
Plötzlich hatte Bob begriffen. »Aber ja, Peter«, sagte er. »Das ist trigonometrische Vermessung. Geometer arbeiten immer damit, stimmt’s?«
»Genau«, sagte Justus. »Natürlich war meine Methode sehr grob, aber für uns erfüllt sie ihren Zweck.«
»Welchen Zweck, Just?«, fragte Peter. »Ich meine, was haben wir damit rausgefunden?«
»Wir haben herausgefunden, dass der Ursprung der Töne in dieser Höhle im Berg liegt – in El Diablos Höhle«, verkündete Justus.
»Na und?«, rief Peter. »Das wussten wir doch schon von Mr und Mrs Dalton.«
Justus schüttelte den Kopf. »Gute Detektive nehmen die Aussagen anderer Leute nicht hin, ohne sie selbst nachzuprüfen. Denn auf Zeugen ist oft wenig Verlass, worauf uns Mr Hitfield schon mehrfach hingewiesen hat.«
Justus sprach vom Filmregisseur Albert Hitfield, dem guten Freund der drei ??? seit jener Zeit, als sie ihre abenteuerlichen Ermittlungen erstmals aufgenommen hatten, um für eines seiner Filmprojekte ein Spukhaus zu finden.
»Du hast wirklich recht«, sagte Peter. »Mr Hitfield hat uns klargemacht, wie wenig Zeugen tatsächlich sehen.«
»Oder hören«, ergänzte Justus. »Aber jetzt zweifle ich nicht mehr daran, dass das Heulen oder Stöhnen aus El Diablos Höhle kommt. Nun müssen wir nur noch herausfinden, was hier so stöhnt, und –«
Der Erste Detektiv brachte seinen Satz nicht zu Ende, denn die Klagelaute drangen schon wieder herüber. Unirdisch und grauenerregend hallte es durch das düstere Zwielicht über dem Tal. »Huuuuu-uuu!«
Selbst Justus erschauerte diesmal, denn jetzt krochen schon lange Schatten durch das Tal hin.
Peter schluckte. »Ach was, Just – Mr Dalton und der Sheriff haben die Höhle schon dreimal untersucht. Und sie haben nichts gefunden.«
»Vielleicht ist es irgendein Tier«, brachte Bob vor.
»Das hört sich nach keinem mir bekannten Tier an«, erwiderte Justus, »und von einem gewöhnlichen Tier hätten der Sheriff und Mr Dalton auch Spuren entdeckt. Sie sind erfahrene Jäger und Fährtensucher.«
»Von einem gewöhnlichen Tier?«, wiederholte Peter unbehaglich.
»Ja, möglicherweise ist es ein Tier, das niemand hier vermuten würde«, meinte Justus. »Oder vielleicht« – und die Augen des Ersten Detektivs funkelten – »ist es El Diablo selbst!«
»Du bist ja nicht bei Trost!«, rief Peter. »Wir glauben doch nicht gar an Gespenster – oder?«
Justus grinste. »Wer hat denn was von Gespenstern gesagt?«
»Aber El Diablo ist schon fast hundert Jahre tot«, wandte Bob ein. »Wenn du kein Gespenst meinst, Just, was meinst du dann?«
Justus blieb keine Zeit mehr zum Antworten, denn in diesem Augenblick entflammte der Himmel über dem Tal plötzlich in grellroten Lichtblitzen. Die Jungen rissen weit die Augen auf, als das ganze Tal in einer Kette von Explosionen zu erbeben schien.
»Was ist das, Just?«, fragte Bob.
Justus schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.«
Das Blitzen hatte aufgehört und das Echo der Explosionen verhallte. Die drei Jungen sahen einander an. Dann schnalzte Bob mit den Fingern. »Ach, jetzt weiß ich: Es ist die Marine! Weißt du noch, wie wir all die Schiffe beim Manöver sahen, als wir hergefahren kamen, Just? Bestimmt veranstalten die draußen bei den Kanal-Inseln Zielschießen.«
Erleichtert lachte Peter. »Klar, das machen die mehrmals im Jahr. Ich habe auch in der Zeitung davon gelesen. Sie schießen da draußen auf so eine unbewohnte Insel.«
Justus nickte. »Erst gestern stand es in der Zeitung. Zielschießen als Nachtübung. Kommt jetzt, ich will zurück zur Ranch und mehr über das Tal hier erfahren.«
Bob und Peter war das gerade recht, denn inzwischen lag das Tal völlig im Finstern. Die drei Jungen gingen zu ihren Fahrrädern, die sie zuvor auf einem Feldweg abgestellt hatten.
Plötzlich hörten sie vom Tal her ein lautes Rumpeln, dem ein lang gezogener Klagelaut folgte.
Der Klageton verebbte über dem Tal.
»Das war nicht das Stöhnen aus der Höhle!«, rief Peter.
»Nein«, bestätigte Justus. »Das war ein Mensch!«
»Jemand in Not«, setzte Bob hinzu. »Kommt mit, Freunde!«
Der Laut war vom Fuß des Berges zwischen dem Tal und dem Ozean herübergedrungen. »Teufelsberg« wurde er wegen der beiden wie Hörner geformten Gipfelzacken genannt.
Die Jungen durchquerten das Tal in schneller Fahrt auf ihren Rädern, bis sich vor ihnen der Teufelsberg erhob. Gesteinsmassen von einem soeben niedergegangenen Steinschlag versperrten den ansteigenden Weg. Der Staub hing noch in der Luft.
»Hilfe!«, rief eine schwach vernehmbare Stimme.
Peter kniete neben dem grauhaarigen Mann nieder, der am Boden lag, ein Bein in unnatürlich verdrehter Haltung unter den Steinen begraben, das Gesicht schmerzverzerrt. »Bleiben Sie ganz ruhig liegen«, sagte Peter zu ihm. »Wir holen Sie schon hier heraus.«
Er stand auf und sah Justus an. »Ich glaube, er hat sich das Bein gebrochen. Wir sollten lieber rasch Hilfe holen.«
Der Mann am Boden trug abgeschabte bäuerliche Arbeitskleidung. Mit zusammengebissenen Zähnen stieß er hervor: »Geht zur Mendoza-Ranch. Da arbeite ich. Sagt Mr Dalton, er soll ein paar Männer herschicken.«
Die Jungen sahen sich bestürzt an. Schon wieder ein Unglücksfall bei Mr Daltons Leuten! Und noch mehr Unheil im Tal der Wehklagen!
Dieser erste Ausflug bescherte den drei ??? außer dem Marine-Geschützdonner noch unheimlichere Hör-Erlebnisse: erst Heulen und Stöhnen scheinbar unirdischen Ursprungs und nun Schmerzensschrei und Hilferuf des Verletzten. Ob hier tatsächlich ein gewisser El Diablo – »Der Teufel« – durch die Gegend geistert und Unheil stiftet?
Peter war zur Mendoza-Ranch gekommen, um bei Mr und Mrs Dalton, denen die Ranch seit Kurzem gehörte, vierzehn Tage Ferien zu machen. Jess Dalton hatte als berühmter Rodeo-Reiter bei mehreren Wildwestfilmen mit Mr Shaw zusammengearbeitet. Jetzt hatte er beschlossen, sich zur Ruhe zu setzen und von seinen Ersparnissen eine Ranch zu erwerben. Die Daltons hatten jedoch kaum damit begonnen, die abgewirtschaftete Ranch wieder in Schuss zu bringen, als die Pechsträhne begann.
Das Tal der Wehklagen, das seinen Namen aus alten indianischen Sagen und den Wirren der von den Spaniern regierten Zeiten hatte, war jüngst wieder berüchtigt für sein schauerliches Heulen und Stöhnen – nach fünfzig Jahren des Schweigens. Und nicht genug damit, dass dies die auf der Ranch neu eingestellten Landarbeiter in Schrecken versetzte – es ereigneten sich seither auch immer wieder Unglücksfälle.
Das erste Mal passierte es, als zwei Arbeiter eines Abends nach Einbruch der Dämmerung durch das Tal der Wehklagen ritten. Plötzlich hörten sie einen sonderbaren Heulton, bei dem ihre Pferde scheuten und die beiden Reiter abwarfen. Ein Mann brach sich dabei den Arm und nach ihrer Rückkehr zur Ranch erzählten sie überall von dem »Spuk« dort im Tal. Bald darauf brach mitten in der Nacht eine Rinderherde ohne erkennbaren Anlass in panische Flucht aus. Dann wieder schwor ein Landarbeiter, der abends durchs Tal ging, er habe aus El Diablos Höhle am Fuß des Teufelsberges eine riesenhafte Gestalt auftauchen sehen. Und kurz danach verschwanden zwei Arbeiter ohne jegliche Ankündigung, und obwohl der Sheriff versicherte, er sei ihnen im benachbarten Santa Carla wieder begegnet, fand er bei den Leuten auf der Ranch wenig Glauben.
Schon nach kurzem Aufenthalt auf der Ranch merkte Peter, dass das Ehepaar Dalton sich große Sorgen machte. Nachforschungen in der Höhle lieferten keine Erklärung und Spukgeschichten und Schauermärchen konnte der Sheriff nicht nachgehen. Er und auch Mr Dalton waren sich darüber einig, dass sich alles leicht aufklären lassen müsste, aber dies war bisher noch niemand gelungen. Also hatte Peter rasch entschlossen Bob und Justus herkommen lassen, denn es sah ganz so aus, als sei dies ein weiterer rätselhafter Fall für die drei ???.
Die beiden anderen Jungen hatten ohne Weiteres die Erlaubnis zur Reise erhalten und die Daltons nahmen sie gern auf ihrer Ranch auf.
Die Mendoza-Ranch lag nur zehn Meilen von dem modernen Urlaubsort Santa Carla entfernt und nur hundert Meilen nördlich von Rocky Beach, ebenfalls an der Küste Kaliforniens. Zerklüftete Gebirge, tiefe Täler und Schluchten kennzeichneten die Landschaft und entlang der Pazifikküste gab es einsame Buchten. Bobs Eltern und Justs Onkel und Tante hatten es sehr begrüßt, dass sich den Jungen Gelegenheit bot, eine richtige Ranch kennenzulernen und dort reiten, schwimmen und fischen zu können.
Doch statt Reiten, Fischen oder Schwimmen hatten die Jungen anderes im Sinn: das Geheimnis über dem Tal der Wehklagen zu ergründen. Und dabei hatten sie nun diesen Mann entdeckt, der da hilflos und stöhnend am Boden lag, das Bein unter dem Steinhagel begraben.
»Dieses verhexte Tal, daher kommt das ganze Übel«, murmelte der Mann unter Schmerzen vor sich hin. »Ich hätte nicht herkommen sollen … Das Geheul bringt nur Unglück, wirklich großes Unglück.«
»Nein, diesmal bestimmt nicht«, sagte Justus ernsthaft. »Ich vermute, dass sich bei den Detonationen des Marine-Manövers ein paar Steine losgelöst und einen Steinschlag verursacht haben. Diese Flanke des Teufelsberges fällt ziemlich steil ab und das Gestein ist sehr spröde.«
»Und es war doch das Geheul«, widersprach der Verletzte eigensinnig.
»Wir sollten jetzt wirklich Hilfe holen, Freunde«, sagte Peter. »Die Steine kriegen wir nicht allein weg.«
In diesem Augenblick wieherte ganz in der Nähe ein Pferd. Die Jungen drehten sich um und erblickten drei Männer, die vom Tal her auf sie zuritten. Einer führte ein reiterloses Pferd am Zügel. Ganz vorn ritt Mr Dalton selbst.
»Was treibt denn ihr Jungen hier?«, fragte Mr Dalton, als er vom Pferd stieg. Er war ein großer, drahtiger Mann in leuchtend rotem Hemd, verwaschenen Jeans und Cowboystiefeln mit hohen Absätzen und Sporen. Sein sonnengebräuntes Gesicht mit der lederartigen Haut war sorgenzerfurcht.
Die Jungen erklärten, wie sie den Verunglückten gefunden hatten.
»Wie geht’s, Cardigo?«, fragte Mr Dalton, als er neben dem Mann niederkniete.
»Ich hab mir das Bein gebrochen«, murmelte der Mann, »und schuld dran ist nur dieses verfluchte Tal. Ich bleib hier nicht länger.«
»Ich glaube, durch das Schießen haben sich ein paar Felsbrocken gelockert und einen Steinschlag ausgelöst«, erklärte Justus.
»Natürlich«, pflichtete Mr Dalton bei. »Das war es. Halt jetzt still, Cardigo, dann haben wir dich im Nu hier frei.«
Wenige Augenblicke später hatten sie die Steine von dem Verletzten weggehoben und die beiden anderen Männer hatten den Lastwagen geholt. Sie fuhren im Rückwärtsgang zu der Unfallstelle vor und betteten Cardigo vorsichtig auf die Pritsche. Dann fuhr der Wagen los zum Krankenhaus in Santa Carla und die drei Jungen gingen zu ihren Fahrrädern zurück.
Als Bob, Peter und Justus später auf der Ranch ankamen und ihre Räder abstellten, war es schon ganz dunkel geworden. Insgesamt gab es fünf Gebäude auf der Ranch: die Wohnbaracke für die Landarbeiter, eine große Scheune, eine kleinere Scheune, ein Wirtschaftsgebäude mit Küche und Vorratsräumen und schließlich das große Wohnhaus. Das war ein alter zweigeschossiger Bau aus Holzbalken und Lehmziegeln mit einer luftigen, überdachten breiten Veranda, die um das ganze Haus lief. Die Mauern waren über und über mit hell- und dunkelrot blühenden Kletterpflanzen bewachsen. Umzäunte Koppeln umgaben die Häusergruppe.
Vor dem Küchenhaus standen Männer in Grüppchen beisammen und unterhielten sich offensichtlich über den Unglücksfall. Sie sprachen leise, aber aus ihren Gesichtern waren Besorgnis und Empörung abzulesen. Die Jungen wollten gerade ins Wohnhaus eintreten, als aus der Nacht eine Stimme zu ihnen drang – eine tiefe, raue Stimme.
»Wo habt ihr Burschen euch wieder rumgetrieben?«
Auf der Veranda bewegte sich etwas und die Jungen erkannten die kleine, magere Gestalt und das kantige, wettergegerbte Gesicht von Luke Hardin, dem Vorarbeiter auf der Ranch.
»Ganz schön groß, die Ranch hier«, sagte Hardin. »Da verirrt man sich leicht mal.«
»Wir sind an freies Land und Berge gewöhnt, Mr Hardin«, erwiderte Justus. »Um uns brauchen Sie sich ganz bestimmt nicht zu sorgen.«
Der Vorarbeiter trat einen Schritt näher. »Ich hab schon gehört, wo ihr gewesen seid. Im Tal der Wehklagen, was? Das ist aber gar nicht der richtige Ort für euch Grünschnäbel, hört ihr? Bleibt da schön weg in Zukunft!«
Ehe die Jungen widersprechen konnten, ging die Haustür auf und eine kleine, energische Frau mit grauem Haar und tiefbraunem Gesicht kam aufgeregt heraus.
»Unsinn, Luke!«, fuhr Mrs Dalton den Mann an. »Die Jungen sind keine kleinen Kinder mehr. Sie scheinen mir eine ganze Menge mehr Verstand zu haben als du.«
»Das Tal der Wehklagen ist eine üble Gegend«, sagte Hardin eigensinnig.
»Ein erwachsener Mann wie du«, rief Mrs Dalton. »Und hat Angst vor einer Höhle!«
»Ich hab keine Angst«, sagte Hardin langsam. »Und Tatsachen sehe ich ins Auge. Ich hab hier mein ganzes Leben zugebracht. Schon als Junge hörte ich vom Tal der Wehklagen. Damals glaubte ich kein Wort von diesen Geschichten, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher.«
»Ach, dummes Zeug! Das ist doch lauter alter Aberglaube und das weißt du ganz genau!«, sagte Mrs Dalton. Trotz ihrer beherzten Worte war Mrs Dalton anzumerken, dass auch sie unsicher war.
»Woher kommt denn Ihrer Meinung nach das Stöhnen, Mr Hardin?«, fragte Justus den Vorarbeiter.
Luke Hardin blickte Justus aus zusammengekniffenen Augen an. »Weiß ich eben nicht, Junge. Das weiß überhaupt keiner. Wir haben nachgeschaut, aber niemand hat bisher was gefunden. Auf jeden Fall nichts Sichtbares.« Die Augen des Mannes schienen in der Dunkelheit aufzuglimmen.
»Die Indianer sagen schon immer, dass keiner das Wesen aus der Urzeit zu Gesicht bekommt!«
»Luke!«, empörte sich Mrs Dalton.
Aber der Mann ließ sich nicht zurechtweisen. »Ich sag ja nicht, dass ich die Geschichten glaube. Aber alles kann man nun mal nicht wegdiskutieren. Das Heulen aus der Höhle hat wieder angefangen und eine Erklärung dafür hat immer noch keiner gefunden. Wenn es nicht das Urwesen ist, was ist es wohl dann?«
Damit schritt Luke Hardin von der Veranda herunter und auf die Baracke zu. Mrs Dalton sah ihm mit starrem, sorgenvollem Gesicht nach.
»Ich fürchte fast, das alles breitet sich so richtig aus hier«, sagte sie dann. »Luke ist sonst ein so tapferer Bursche, wie ich selten einen kannte. So wie vorhin habe ich ihn noch nie reden hören.«
»Mich wundert, warum er vor uns überhaupt von diesem ›Urwesen‹ angefangen hat«, meinte Justus nachdenklich.
Da lächelte Mrs Dalton plötzlich. »Luke wird ganz einfach müde sein. Wir haben uns alle zu viel Sorgen gemacht und zu viel gearbeitet. So, und was meint ihr drei jetzt zu Milch und selbst gebackenen Keksen?«
»Fein, Madam!«, antwortete Peter schnell für alle.
Es kommt vor, dass gewisse Leute aus gewissen Beweggründen gewisse Schauergeschichten erfinden oder zumindest deren Verbreitung fördern … Seid auf der Hut, beobachtet gut!
Bald knabberten die Jungen im gemütlichen Wohnraum des alten Ranchhauses ihre Kekse. Farbenfrohe indianische Teppiche bedeckten den Fußboden unter den handgearbeiteten ländlichen Möbeln. Das Mauerwerk des großen Kamins nahm fast eine ganze Seite des Raums ein. An den Wänden hingen präparierte Köpfe von Rotwild, Bären und Berglöwen.
»Und was ist nun dieses Urwesen, Mrs Dalton?«, erkundigte sich Justus, ehe er sich noch einen Keks einverleibte.
»Das ist eine alte Sage der Indianer, Justus, sonst nichts. Als vor sehr langer Zeit die Spanier zum ersten Mal hierherkamen, erzählten die Indianer von einem blanken schwarzen Ungeheuer im Teufelsberg, das seit Urzeiten tief drinnen in der Höhle in einem Wasserloch lebt.«
Peter blinzelte. »Aber wenn man das Wesen nicht zu Gesicht bekam, woher wussten die Indianer dann, dass es blank und schwarz war?«
Mrs Dalton lachte. »Merkt ihr was? Es ist einfach ungereimtes Zeug. Wahrscheinlich glaubten sie, irgendwann hätte jemand das Wesen gesehen und anderen davon erzählt, und so wurde die Geschichte seither überliefert.«
»Was meinten denn die Spanier dazu?«, fragte Bob.
»Na, das ist reichlich lange her«, sagte Mrs Dalton, »und damals waren auch sie ganz schön abergläubisch. Sie behaupteten wohl, sie glaubten es nicht, aber wenn es nicht unbedingt sein musste, kamen sie dem Tal lieber nicht zu nahe. Nur die tapfersten Männer, solche wie El Diablo, wagten sich in die Höhle.«
»Könnten Sie uns was von El Diablo erzählen?«, bat Justus.
In diesem Augenblick kam Mr Dalton ins Zimmer und mit ihm ein kleiner, hagerer Mann mit dicken Brillengläsern. Die Jungen waren ihm schon vorher begegnet. Es war Professor Walsh, zurzeit ebenfalls Hausgast bei den Daltons.
»Na, ihr Jungen, ich höre da, dass ihr draußen in unserem mysteriösen Tal wart«, sagte der Professor.
»Dummes Zeug!«, fuhr Mr Dalton auf. »Da ist nichts passiert, was nicht auf einer x-beliebigen anderen Ranch auch passieren kann. Unglücksfälle, wie sie immer mal vorkommen.«
»Sie haben natürlich recht«, sagte Professor Walsh, »aber ich habe leider den Eindruck, dass Ihre Leute Ihnen das nicht abnehmen. Ungebildete Menschen glauben allzu leicht an übernatürliche Mächte – dabei ist ihr eigener Leichtsinn das größte Übel.«
»Wenn wir nur die Ursache aufdecken und sie überzeugen könnten«, meinte Mr Dalton. »Nach diesem Vorfall heute Abend laufen mir noch mehr Leute weg. Und dabei hat sogar Justus gemerkt, dass der Steinschlag von den Schießübungen der Marine vor der Küste ausgelöst wurde.«
»Entschuldigen Sie, Sir«, meldete sich Justus zu Wort, »aber wir möchten hier helfen, wenn wir können. Wir haben mit solchen Dingen einige Erfahrung, wie Ihnen Mr Shaw vielleicht berichtet hat.«
»Erfahrung?«, wiederholte Mr Dalton mit einem zweifelnden Blick auf die drei Jungen.
Justus zog zwei Karten aus der Tasche und gab sie Mr Dalton.
Der hochgewachsene Rancher las sorgfältig. Auf dem ersten Exemplar, einer großformatigen Geschäftskarte, stand:
Mr Dalton runzelte die Stirn. »Aha, Detektive? Na, ich weiß nicht … Dem Sheriff ist es vielleicht nicht gerade angenehm, wenn sich da Jungen einmischen.«