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Eine willkommene Abwechslung für die drei ???: Als Reporter sollen sie über das rauschende Kostümfest auf der Insel Ragnarson Rock berichten. Doch der kleine Spaß entwickelt sich zum handfesten Fall. Spukt es auf der Insel? Wer will ihnen die Fotos abjagen? Und was ist dran an den Gerüchten von einem sagenhaften Goldschatz, der auf Ragnarson Rock versteckt sein soll?
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Seitenzahl: 210
und das Gold der Wikinger
Erzählt von William Arden
Aus dem Amerikanischen übertragenvon Leonore Puschert
Kosmos
Umschlagillustration von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
Umschlaggestaltung von eStudioCalamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch
Aus dem Amerikanischen übertragen von Leonore Puschert
Titel der Originalausgabe: „Alfred Hitchcock and The Three Investigators
in The Mystery of the Wrecker’s Rock“
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© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur.
ISBN 978-3-440-14050-5
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Willkommen, Krimifreunde! Es gibt Neues von den drei ??? und ihren Glanzleistungen zu berichten. Diesmal schlittern die eifrigen jungen Detektive ganz unfreiwillig in einen Fall hinein, und dabei wollten sie doch nur harmlose Fotos von einem Familientreffen machen. Bei solchen Anlässen geht es normalerweise recht munter zu, doch diese Festlichkeit wird von rätselhaften, bedrohlichen Vorkommnissen überschattet – nachts tauchen Gespenster auf, und unheimliches Geheul ertönt. Und bestimmte Zeitgenossen haben etwas dagegen, fotografiert zu werden!
Wer die drei ??? noch nicht kennt, sei hiermit ins Bild gesetzt: Erster Detektiv ist Justus Jonas, der etwas übergewichtige Anführer des Teams, der sich durch bemerkenswerten Scharfsinn und überragenden Verstand auszeichnet. Zur Seite stehen ihm Peter Shaw, stark und sportlich, jedoch nicht völlig frei von Gespensterfurcht, und Bob Andrews mit solidem Wissen, leisem Humor und Spürsinn fürs Recherchieren.
Die drei Jungen sind an der Pazifikküste in Kalifornien zu Hause, in der kleinen Stadt Rocky Beach unweit von Hollywood. Ihre Geheimzentrale mit Detektivlabor ist in einem Campinganhänger untergebracht, der für Unbefugte unauffindbar und unzugänglich auf dem Schrottplatz des »Gebrauchtwaren-Center T. Jonas« steht. Dieses Unternehmen mit seiner einzigartigen Angebotspalette gehört Justus’ Onkel und Tante, bei denen er aufgewachsen ist. Nun aber los zum Schauplatz der Ereignisse voller Spannung und Abenteuer – auf zur Felseninsel Ragnarson Rock!
Albert Hitfield
Das Boot mit dem Außenbordmotor hob und senkte sich rhythmisch in der Dünung des Pazifiks vor der kleinen Insel, an deren westlichem Ende ein gewaltiger Felsen aufragte.
»Ähnlich wie der Felsen von Gibraltar«, fand Bob Andrews.
»Entfernt ähnlich, Bob«, meinte Justus Jonas mit prüfendem Blick, »nur eben eine Idee kleiner, meinst du nicht?«
»So ungefähr tausendmal kleiner«, drückte es Peter Shaw genauer aus. »Eine Taschenausgabe des Felsens von Gibraltar!«
Das jugendliche Detektivtrio »Die drei ???« war etwa zwanzig Kilometer südlich von Rocky Beach zum Fischen aufs Meer hinausgefahren. Justus mit seiner in grellen Farben fluoreszierenden Schwimmweste glich einem riesigen Ballon. Unbestritten war der Erste Detektiv ein Geistesathlet, doch andere athletische Leistungen lagen ihm weniger. Peter hingegen, der große, muskulöse Zweite Detektiv, hätte mit Schwimmweste ein prachtvolles Motiv für eine Sportwerbung abgegeben. Bob, der Mann für Recherchen und Archiv, blickte angespannt ins Wasser, als könnte er damit einen Fisch zum Auftauchen bewegen.
Die Jungen hatten Angeln mit leichten Senkbleien und fischten bei den Stellen, wo sich der Buntbarsch im Tang versteckt hielt. Bisher hatte der Buntbarsch allerdings nur wenig Interesse für ihre Bemühungen aufgebracht. Erst drei mittelgroße Fische schwammen träge im Eimer.
»Ich hab euch doch gesagt, drüben beim Genoa Reef ist es besser«, beklagte sich Peter, während er wieder einmal seine Schnur einholte, um den Köder zu wechseln. »Was sollen wir hier auf dem weiten Meer für deinen Vater eigentlich fotografieren, Bob?« Bobs Vater arbeitete als Reporter bei einer Tageszeitung in Los Angeles.
»Wollte er nicht näher erklären«, sagte Bob. Er gab etwas mehr Schnur, immer bereit für den blitzschnellen Anbiss des Barsches. »Er sagte nur, wir sollten am Dienstag hier draußen vor Ragnarson Rock fischen, und drängte mich, meine Kamera mitzunehmen. Wenn uns gute Fotos glücken, will er uns die bezahlen, aber was wir knipsen sollen, das sagte er nicht. Als ich danach fragte, lachte er nur und meinte, wenn wir es vor Augen hätten, wüssten wir dann schon Bescheid.«
»Mich interessiert an der Sache das Honorar«, erklärte Justus. »In der Kasse unseres Unternehmens herrscht beklagenswerte Ebbe. Wenn wir nicht demnächst wieder Einnahmen verbuchen können, werden wir uns wohl notgedrungen meiner Tante Mathilda als Helfer anbieten müssen.«
»Bloß das nicht …«, stöhnte Peter.
Bei der äußerst unangenehmen Vorstellung, auf dem Schrottplatz für Mrs Mathilda Jonas schuften zu müssen, ließen alle drei die Köpfe hängen. Zurzeit hatte das jugendliche Detektivteam Sommerferien, und Justus’ energische Tante packte des Öfteren die willkommene Gelegenheit beim Schopf und ließ die Jungen im Betrieb allerlei Extraarbeiten erledigen. Daher gaben sich die drei nun alle erdenkliche Mühe, den misstrauischen Buntbarsch aus seinem sicheren Aufenthalt im Tang zu locken, denn mit einem guten Fang würden sie sich ein schönes Taschengeld verdienen können. Nur sahen das die Fische leider nicht ein, und es biss keiner mehr an. Peter gähnte und ließ den Blick über das blaue Wasser ringsum schweifen. Da bekam er plötzlich große Augen.
»Dort, seht mal!«, rief der Zweite Detektiv und zeigte auf die knapp zwei Kilometer lange Insel Ragnarson Rock.
Ein langes, niedriges Wikingerschiff kam um die östliche Spitze gesegelt. Die Nachmittagssonne spiegelte sich in den Schilden, die längs der Bordwände aufgehängt waren. Der Bug endete in einem grimmigen, hocherhobenen Drachenkopf, dessen weit aufgerissene Kiefer kunstvoll geschnitzte, spitze Zähne zeigten. Wilde, kriegerische Gestalten mit gehörnten Helmen, zottigen Bärten und dicken Felljacken schwangen Schwerter und Streitäxte. Vom Mast und von dem hohen Achtersteven wehten Flaggen. Raue Schlachtrufe der Krieger drangen zu den Jungen herüber.
»Das muss es sein«, stellte Justus fest. »Ganz klar!«
Bob hatte die Kamera schon schussbereit. »Mein Vater sagte, er will uns alle Bilder abkaufen, die wir machen können.«
Das Wikingerschiff näherte sich rasch. Nun sahen die Jungen, dass es sich in Wahrheit nur um ein großes Boot mit Außenbordmotor handelte, auf dem man die Attrappe eines Wikingerschiffes montiert hatte. An Bord befanden sich sechs oder sieben »Krieger« mit falschen Bärten und bemalten Holzschwertern. Lachend fuchtelten die Männer mit ihren dekorativen Waffen herum, als das imitierte Langschiff am Boot der Jungen vorbeiglitt und eine kleine Bucht am Strand der Insel ansteuerte.
»Was soll denn das ganze Theater?«, rief Peter verwundert.
»Weiß ich nicht«, antwortete Bob. »Jedenfalls konnte ich ein paar gute Bilder schießen.«
»Ich vermute –«, setzte Justus an.
Weiter kam der Erste Detektiv nicht. Mit offenem Mund starrte er auf ein zweites Boot, das ebenfalls um die Ostspitze der Insel gebogen war und schnell näher kam.
»Was ist denn das nun noch?« Peter kam aus dem Staunen nicht heraus.
Das zweite Boot war lang und flach. Es war ein Zwischending aus Ruderboot und Kanu, aus massiven Planken gebaut. Bug und Heck liefen spitz zu und waren etwas hochgezogen. Und dieses eigenartige Wasserfahrzeug wurde vom rhythmischen Paddelschlag einer Mannschaft von sechs »Indianern« in stolzem Federschmuck und ledernem Gewand vorangetrieben. Schrilles Kriegsgeheul schallte herüber.
»Das ist ein typisches Kanu der Chumash!«, erkannte Justus. »Dieser Indianerstamm war hier in der Gegend ansässig. Oben in Santa Barbara gab es einmal eine große Siedlung, und man hat dort Reste ihrer seetüchtigen Kanus gefunden. Damit fuhren sie weit aufs Meer hinaus, zum Fischen und zur Jagd auf Wale und Seehunde. Sie waren ein friedfertiges Volk, und manche Familien wohnten draußen auf den Kanalinseln vor Santa Barbara.«
»Nachhilfe in Geschichte brauchst du uns nicht zu geben, Justus«, meinte Peter. »Schließlich haben wir mit dir das Geheimnis des lachenden Schattens aufgeklärt, daher kennen wir ja die Chumash-Indianer. Ich wusste nur nicht, dass sie auch hier auf Ragnarson Rock hausten.«
Justus schüttelte den Kopf. »Taten sie eben nicht, Peter. Ihre Wohnplätze lagen weiter nördlich auf den größeren Inseln.«
»Ist doch jetzt egal!«, rief Bob dazwischen. »Versucht lieber das Boot still zu halten, damit ich besser fotografieren kann.«
Bob richtete seine Kamera auf das große Kanu mit den kriegerischen Indianern. Es hielt in schneller Fahrt auf ebenjene Bucht zu, in die zuvor die Wikinger gefahren waren. Das Kanu legte auch an, und speerschwingend erstürmten seine Insassen das Land. Nun entspann sich ein wildes Scheingefecht zwischen Wikingern und Indianern um den Besitz der Insel Ragnarson Rock. Heftig schwangen die Männer ihre dekorativen hölzernen Waffen. Schwerthiebe knickten den Federschmuck, Speere prallten an den Schilden der Nordmänner ab. Jeder Wikinger und jeder Indianer hatte sich ein Tuch in den Gürtel gesteckt – rot bei den Indianern, weiß bei den Wikingern. Jeder Krieger suchte solche feindlichen »Wimpel« zu erobern, während sich das Kampfgetümmel zu dem hohen Felsmassiv an der westlichen Spitze der Insel hinbewegte.
Die drei Jungen in ihrem Boot lachten und feuerten die Kämpfer mit begeisterten Rufen an. Peter und Bob hatten für die Indianer Partei ergriffen, Justus hielt es mit den Wikingern. Noch ehe die wilden Krieger den mächtigen Felsen erreicht hatten, musste Bob einen neuen Film einlegen.
»Los, fahren wir näher ran!«, forderte er die Freunde auf. »Wenn ich den ganzen Verlauf der Schlacht auf den Film bekomme, gibt das eine phantastische Bilderserie für die Zeitung, und mein Vater kauft uns bestimmt eine Menge Fotos ab.«
»Ausgezeichnete Idee, Bob«, fand Justus.
Sie ließen den Motor an, und Peter lenkte das Boot in die Bucht hinein. Bob knipste wie besessen, bis die Schlacht entschieden war und alle Wikinger mit den erbeuteten roten Wimpeln oben auf dem Felsen standen. Diese schwenkten sie zusammen mit ihren eigenen weißen Bannern, und alle Beteiligten jubelten und lachten und beglückwünschten einander.
Nun ließ Bob die Kamera sinken. Die drei Jungen hatten ihren Spaß an der turbulenten Szene auf der Insel – bis Justus zufällig über die Schulter zurückschaute.
»Bob! Peter!«
Da kam noch ein Boot an, und gleich würde es krachen!
Das kleine Motorboot hielt direkt auf sie zu. Dann rammte es – glücklicherweise nicht stark – das Boot der Jungen, dümpelte auf den kleinen Wellen in der Bucht vor sich hin, und noch einmal gab es eine leichte Kollision.
»Das Boot treibt nur.« Peter erkannte sofort die Situation. »Der Motor läuft überhaupt nicht.«
»Und es sitzt niemand drin!«, rief Bob. »Schaut doch, das Ankertau hängt schlaff im Wasser. Das Boot muss sich irgendwo losgerissen haben.«
Peter untersuchte das zerfaserte Ende des Taues. »Nein, das wurde nicht gekappt. Sieht so aus, als hätte es sich durchgescheuert, während das Boot vor Anker lag, vielleicht an einem Felsen oder einer Kaimauer.«
Justus hatte sich noch nicht geäußert, sondern nur mit wachem Blick das leere Boot betrachtet. Nun wies der Erste Detektiv auf die Reling bei der mittleren Sitzbank. »Seht euch das an – hier, an der Riemendolle und an der Bordwand!«
Die beiden anderen schauten betroffen auf die dunklen Flecken an dem grauen Metall der Riemendolle und an der Oberkante der Bordwand. Es waren tiefrote Flecken, die im Licht der Nachmittagssonne fast schwarz wirkten.
»Das sieht ja aus wie … wie …«, stammelte Peter.
»Blut!«, vollendete Bob.
»Ja.« Justus nickte. »Als hätte sich jemand verletzt oder …« Der Anführer der drei ??? zögerte und sah seine beiden Getreuen an. »Oder als wäre jemand gestürzt und hätte sich an der Dolle den Kopf aufgeschlagen.«
Peter packte die Bordwand des leeren Bootes und zog es ganz heran. Alle drei Jungen sahen sich das Innere an. Auf dem Boden bei der mittleren Sitzbank stand ein Kasten mit Angelzubehör, daneben ein Eimer für den Köder. Ein offener Essensbehälter enthielt einige Sandwiches und einen Apfel. Dann gab es noch eine große Schwimmweste von der Art, wie sie auch die Jungen trugen.
»Alles vorhanden«, sagte Justus bedächtig, »nur die Angelrute mit der Rolle fehlt.«
»Du, Justus …«, meldete sich Bob voll Unbehagen. »Da, unter dem Sitz, schau mal – ist das ein Hut?«
Peter hielt mit einer Hand das abdriftende Boot fest und griff mit der anderen Hand unter die Sitzbank. Er brachte einen Anglerhut mit breiter Krempe zum Vorschein. Der Hutkopf war an einer Seite aufgerissen, und auf dem Ölzeug waren ebensolche dunklen Flecken wie am Boot zu sehen.
Justus war sehr ernst geworden. »In diesem Boot hatte jemand einen Unfall. Die Frage ist nun, wo befand sich das Boot, als das geschah?«
»Wie meinst du das, Justus?« Peter runzelte die Stirn. »Was spielt es für eine Rolle, wo das Boot war?«
»Justus fragt sich, ob das Boot draußen auf See war oder ob es vielleicht am Ufer vor Anker lag«, meinte Bob. »Das ist doch sicher wichtig.«
»Und war der Angler allein im Boot?«, überlegte Justus weiter. »Kam ihm vielleicht jemand aus einem anderen Boot zu Hilfe und brachte ihn an Land, und hinterher riss sich das verlassene Boot los? Oder hat es sich so zugetragen, dass der Bootsführer … einfach über Bord fiel?«
Peter und Bob sahen einander erschrocken an.
»Oder«, fuhr Justus fort, »war da noch ein anderer im Boot?«
Peter wurde blass. »Du meinst, der Angler wurde vielleicht umgebracht?«
»Wir wollen keine voreiligen Schlüsse ziehen«, sagte Justus vorsichtig. »Bisher haben wir nur sehr dürftige Beweise.« Die drei Jungen saßen einen Augenblick stumm da und starrten in das leere Boot mit den dunklen Flecken. Schließlich meldete sich Bob zu Wort.
»Vielleicht gehört das Boot einem dieser Wikinger oder Indianer auf der Insel. Und wahrscheinlich hat sich jemand geschnitten oder sonst wie verletzt.«
»Immerhin möglich, Bob«, bestätigte Justus. »Das sollten wir nun herausfinden.«
Bob und Justus hielten das zerschlissene Ankertau des leeren Bootes fest, und Peter startete den Motor ihres eigenen Bootes und steuerte die Insel an. Die Wikinger und die Indianer schlenderten gerade von dem gigantischen Felsen herunter auf die Bucht zu. Noch immer schwenkten sie ihre Trophäen und schlugen sich gegenseitig begeistert auf die Schultern. Einige der triumphierenden Kämpfer erspähten Bob mit seiner Kamera. Als sich das Boot der Jungen dem Ufer näherte, wo das Wikingerschiff und das Kanu der Chumash neben einigen anderen Booten festgemacht waren, riefen die Männer herunter: »Hallo, macht mal ein paar Fotos!«
»Kommt an Land, dann gibt es bessere Bilder!«
»Fotografiert uns, die Indianer!«
»Nein, uns Wikinger! Wir sind die Sieger!«
»Kommt rüber, ihr könnt mit uns essen!«
Die drei Jungen winkten lachend ab.
»Gehört dieses Boot jemand von Ihnen?«, rief Justus dann übers Wasser.
»Nein, das ist keins von uns!«, rief ein Wikinger zurück.
»Los, kommt her und macht noch mehr Bilder!«, forderte ein Indianer die Jungen auf.
Um dem Fotografen etwas zu bieten, stellten sich einige der Wikinger und Indianer in eindrucksvoller kriegerischer Pose auf und hielten einander Speere und Äxte an die Kehlen. Bob grinste und schoss noch ein paar Bilder.
Mittlerweile ging es auf der Insel lebhaft zu. Auf einer Anhöhe über dem Strand wurden Zelte aufgeschlagen, und rings um ein großes Lagerfeuer bereiteten Frauen und Kinder das Essen zu. Zum Schluss fotografierte Bob die baumlose Insel aus verschiedenen Blickwinkeln.
»Nun mach schon«, drängte ihn Peter, »sonst haben wir keine Zeit mehr zum Fischen, und das soll uns doch auch was einbringen.«
»Der Film ist sowieso gleich voll«, sagte Bob.
»Tut mir leid, Peter, aber wir sollten doch besser das leere Boot an Land bringen«, schaltete sich Justus ein. »Es kann ja sein, dass dem Eigentümer wirklich etwas zugestoßen ist.«
»Versuchen wir doch, von hier aus die Polizei zu verständigen«, schlug Peter vor. »Das eine oder andere Boot vor der Insel hat vielleicht Bordfunk.«
»Gute Idee, Peter«, meinte Justus. Er rief zu den nun friedlich speisenden Kriegern hinüber: »Entschuldigen Sie, sind das hier am Ufer Ihre Boote?«
Ein paar Männer nickten.
»Hat jemand von Ihnen ein Funkgerät an Bord?«
»Leider nicht«, rief ein Indianer zurück.
»Ich schon, aber das ist kaputt!«, meldete sich ein Wikinger.
Bob knipste das letzte Bild. »So, nun ist der Film voll. Was machen wir jetzt, weiterfischen oder zurückfahren?«
»Ich denke, wir sollten umkehren und das Boot zurückbringen«, meinte Peter ergeben.
»Ja, unbedingt«, beschloss Justus energisch. »Es könnte sich jemand in hilfloser Lage befinden.«
Sie machten das abgerissene Ankertau des leeren Bootes an ihrem Heck fest, und Peter ging auf Kurs in Richtung Heimat. Sie waren weit hinausgefahren, und Justus sah immer wieder besorgt auf die Uhr, während Peter den Konvoi über die langen Wellen des tiefblauen Pazifiks steuerte. Sie hielten nach einem Boot mit Bordfunk Ausschau, aber einem solchen begegneten sie nicht. Bob nahm während der Fahrt die wenigen Barsche aus, die sie gefangen hatten.
»Immerhin reicht es für unser eigenes Abendessen«, meinte er optimistisch.
Der Widerstand des Bootes im Schlepptau verringerte ihre Fahrt, und es war schon vier Uhr vorbei, als sie im Bootshafen von Rocky Beach eintrafen.
»Hey«, rief Peter vom Steuerhebel am Heck. »Steht dort am Bootssteg nicht Kommissar Reynolds?«
Justus und Bob drehten sich um und sahen hin.
»Klar – und er hat ein paar seiner Leute mitgebracht!«, bestätigte Bob.
Auf den Planken des langen Stegs, der als öffentliche Bootsanlegestelle diente, konnten sie die eindrucksvolle Gestalt des Polizeichefs von Rocky Beach sehen. Zusammen mit drei uniformierten Beamten stand er bei einer schlanken Frau. Sie trug ein elegantes grünes Kleid, und ihr rotes Haar leuchtete in der Abendsonne. Die Frau wirkte verstört, und im Gespräch mit dem Kommissar führte sie immer wieder ein Taschentuch an die Augen und sah suchend aufs Meer hinaus.
»Wer ist denn diese Frau?«, fragte Peter verwundert.
»Keine Ahnung, ich kenn’ sie nicht«, sagte Bob. »Aber sie schaut so auffällig zu uns her!«
Der Blick der Frau schweifte nun nicht mehr übers Wasser, sondern war starr auf die drei Jungen gerichtet. Sie hatte ihre blauen Augen weit geöffnet.
»Nicht zu uns«, stellte Justus richtig. »Aber zu dem leeren Boot. Sie kennt es wohl.«
»Na, dann kennt sie vielleicht auch den Hut«, meinte Peter. Als die Jungen bei der Anlegestelle ankamen, griff Peter in das Boot, das sie ins Schlepptau genommen hatten, und hielt den beschädigten, blutbefleckten Anglerhut in die Höhe. Die Frau wurde kalkweiß und fiel in Ohnmacht. Hauptkommissar Reynolds konnte sie gerade noch auffangen.
Diese Reaktion der besorgten Ehefrau ist natürlich zu verstehen. Doch wir wollen hoffen, dass der vermisste Angler noch gefunden wird – man sollte ja nicht gleich mit dem Schlimmsten rechnen.
Als der Kommissar die bleiche Frau auf einer Bank am Rand des Steges abgesetzt hatte, drängten sich die Polizisten und die drei Jungen heran.
»Nun haltet mal ein wenig Abstand, Jungs«, sagte der Polizeichef. »Und jetzt berichtet mir, wo ihr dieses Boot gefunden habt.«
Peter und Bob gaben die Ereignisse bei Ragnarson Rock in kurzen Worten wieder. Hauptkommissar Reynolds hörte aufmerksam zu, und als alles gesagt war, öffnete die Frau die Augen und machte Anstalten, aufzustehen.
»Ich muss sofort hinausfahren!«, rief sie.
Ein Polizist hielt die benommene und verstörte Frau behutsam zurück, und der Kommissar sprach beruhigend auf sie ein.
»In spätestens zwanzig Minuten sind wir mit einem Hubschrauber da draußen, Mrs Manning. Bleiben Sie hier sitzen, und versuchen Sie, sich zu entspannen. Sie können jetzt nichts tun, wir kümmern uns um alles.«
Er lächelte, und Mrs Manning ließ sich auf der Bank zurücksinken. Ihr Blick schweifte unruhig über die Umstehenden. Nun wandte sich der Kommissar an die Jungen.
»Mrs Mannings Ehemann fuhr gestern am späten Abend zum Fischen hinaus und sagte, er würde heute früh rechtzeitig zum Arbeitsbeginn um halb neun zurück sein. Das war nicht ungewöhnlich, denn er hat oft nachts gefischt. Er hatte Beleuchtung im Boot und ein Sprechfunkgerät, und er fuhr nie allzu weit aufs Meer hinaus. Aber heute Morgen kam er nicht zurück, und gegen Mittag meldete uns das Mrs Manning. Wir kamen hierher und stießen auf seinen abgeschlossenen Wagen, aber von ihm fanden wir keine Spur. Und niemand hatte das Boot gesehen, seit er gestern Abend hinausgefahren war. Bis ihr nun damit ankamt.«
Er sprach ganz ruhig, um Mrs Manning nicht zu erschrecken, aber er sah sehr besorgt aus, als er das leere Boot, das nun am Steg festgemacht war, ins Auge fasste.
Mrs Manning blinzelte die Jungen verwirrt an. »Was hatte Bill nur da draußen vor? Sonst war er noch nie allein so weit hinausgefahren. Er konnte ja nicht schwimmen – deshalb legte er auch immer die Schwimmweste an.«
»Wir können nicht sicher sagen, ob er so weit hinausgefahren war, Mrs Manning«, berichtigte Hauptkommissar Reynolds. »Vor der Küste herrscht oft eine starke Strömung in Richtung Ragnarson Rock. Die Jungen fanden das treibende Boot am Nachmittag. In der Zwischenzeit hätte es leicht aus dem Küstenbereich dorthin abdriften können.«
»Aber«, fing die Frau wieder an, »wo ist dann Bill?«
Es entstand ein beklemmendes Schweigen.
»Das müssen wir herausfinden, Mrs Manning«, äußerte der Polizeichef in zuversichtlichem Ton. »Bestimmt wird sich alles aufklären. Vielleicht ist er zurückgefahren und hat irgendwo angelegt, und später hat sich das Boot losgerissen und ist abgetrieben.«
»Aber warum ist er dann bis jetzt nicht nach Hause gekommen?«, fragte Mrs Manning. »Und warum ist er erst gar nicht ins Auto gestiegen?«
»Wir werden das aufklären«, sagte der Kommissar. »Wir haben bereits die Küstenwache mit der Suche beauftragt, und alle Polizeistationen in diesem Küstenbereich suchen ihn ebenfalls. Aber es ist ja durchaus möglich, dass er sich selbst wieder hier einfindet und alles erklären kann.«
»Möglich? Und damit soll ich mich abfinden?«
Mrs Manning blickte hochgradig erregt auf die Polizisten, die Jungen und den Kommissar. Ihr Gesicht war wieder sehr blass geworden. Erst befürchteten die Jungen, die Frau würde von Neuem ohnmächtig werden. Doch dann schüttelte sie langsam den Kopf. »Es ist möglich, dass er heil und gesund zurückkommt, aber sehr wahrscheinlich ist es nicht – wollen Sie das damit ausdrücken?« Plötzlich stand sie auf und nahm Peter den Fischerhut mit dem Riss aus der Hand. »Das ist sein Hut. Und es haftet Blut daran, oder etwa nicht?«
»Das könnte sein«, gab der Kommissar zu. »Ja.«
»Und hier am Boot?« Sie sah auf das leere Boot hinunter, das am Steg vertäut war. »Blut am Dollbord und an der Riemendolle. Sein Angelzeug ist nicht zusammengepackt, und die Rute samt der Rolle fehlt.« Wieder schüttelte sie den Kopf. »Da draußen ist etwas passiert – ich weiß das. Irgendetwas ist passiert, und Bill wird nie mehr zurückkommen.«
Sie brach in Tränen aus, ließ sich wieder auf die Bank sinken und schluchzte in ihr Taschentuch. Die drei ??? und die Polizisten standen voll Unbehagen da und wussten nichts zu sagen.
»Die Hoffnung dürfen wir nicht aufgeben, Mrs Manning«, meldete sich schließlich Justus. »Sein … seine Schwimmweste liegt noch im Boot. Da er nicht schwimmen konnte, hätte er sie sicherlich getragen, solange er sich auf See befand. Also ist es durchaus möglich, dass er irgendwo an Land ging, wie auch Kommissar Reynolds vermutete.«
»Eben«, warf Peter ein. »Vor einem Landgang hätte er die dicke, unbequeme Weste abgelegt.«
»Aber seine Angelrute hätte er wohl kaum im Boot zurückgelassen«, sagte Bob, »damit sie nicht gestohlen wird.«
Mrs Manning lächelte betrübt und schüttelte wieder den Kopf. »Ich merke schon, dass ihr Jungen es gut meint, aber beim Fischen wollte Bill die Schwimmweste grundsätzlich nicht tragen. Damit fand er sich zu stark eingeengt. Er hatte sie griffbereit neben sich, aber er wollte ungehindert mit der Angelrute umgehen und auch das Radio mit dem Funk bedienen können. Das Gerät steckte immer in einer großen Tasche in seiner Fischerjacke, und beides ist ja auch weg, nicht wahr?«
Peter schluckte. »Hm … ja, Madam, stimmt, aber … aber …« Entmutigt gab er es auf.
Mrs Manning schüttelte nur immer wieder den Kopf. »Nein, Bill kommt nicht mehr zu mir zurück. Da ist etwas passiert. Er muss sich bei einem Sturz den Kopf angeschlagen haben, und dann ist er wahrscheinlich bewusstlos über Bord gefallen.« Sie blickte zu all den Umstehenden auf. »Ich sagte ihm immer, er sollte draußen auf See die Schwimmweste nicht ausziehen. Aber er hörte nicht auf mich. Und nun ist er nicht mehr da.«
Wieder war es auf dem Bootssteg bedrückend still.
»Das alles tut mir sehr leid, Mrs Manning«, sagte Hauptkommissar Reynolds. »Ich muss sagen, es sieht nicht gut aus, aber es kann sich doch noch alles zum Guten wenden.«
»Es könnte doch sein«, meinte Justus hoffnungsvoll, »dass er von einem Boot aufgefischt wurde, das keinen Funk hat und bis jetzt noch nicht an Land gekommen ist.«
»Oder dass er durch einen Schlag gegen den Kopf eine Gedächtnisstörung bekommen hat!«, setzte Peter hinzu.
»Oder dass er auf Ragnarson Rock an Land gegangen ist!«, erwog Bob.
Mrs Manning stand auf und strich ihr Kleid glatt. Sie lächelte schwach. »Vielen Dank euch Jungen und auch Ihnen, Herr Kommissar. Ich weiß, dass Sie alle es gut meinen. Aber all diese Möglichkeiten kommen nicht in Betracht, weil Bill niemals so weit hinausgefahren ist. Beim Fischen war er nie mehr als allerhöchstens eine Meile vom Ufer entfernt. Er sagte immer, eine Meile weit könnte er mit Schwimmweste im Wasser gut paddeln. Nein, er wird nicht mehr zurückkommen. Sein Boot war schon leer, ehe es zu dieser Insel hinüber trieb. Ich fahre jetzt mit unserem Wagen nach Hause, Kommissar, und dort warte ich auf Ihren Anruf, wenn Sie seine Leiche gefunden haben.«
Mrs Manning scheint sich tatsächlich schon mit dem Schlimmsten abgefunden zu haben. Und doch sind Bobs zuvor geäußerte Worte eine Überlegung wert. Könnte sich Mr Manning wohl zu den munteren Indianern und Wikingern auf Ragnarson Rock gesellt haben? Nur – wie hätte die Gruppe sein Auftauchen wohl aufgenommen? Dass der Gestrandete auf der kleinen Insel unbemerkt blieb, ist zugegebenermaßen unwahrscheinlich und auch nicht leicht zu erklären. Nun, ich will euch jetzt noch nicht zu vorläufig müßigen Spekulationen anregen …
Langsam ging die Frau zu dem Wagen, der in der Nähe des Steges geparkt war. Der Polizeichef schickte ihr zwei seiner Männer nach. Dann wandte er sich an die Jungen.
»Gut gemacht, Jungs, das Boot sicherzustellen.«