5,99 €
Das aufregende Leben der schillerndsten Frau der Renaissance … Italien gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Als Tochter des mächtigen Herzogs von Mailand führt die schöne Caterina Sforza ein sorgloses Leben. Doch auch wenn die leidenschaftliche junge Frau am liebsten ihren Gedanken nach Freiheit und persönlichem Glück nachhängt, ist ihr ein anderes Leben vorherbestimmt: In Rom wird sie gegen ihren Willen mit dem skrupellosen Neffen des Papstes verheiratet – und sprengt schon bald ihren goldenen Käfig, indem sie sich in die Politik des Vatikans einmischt. Als Papst Sixtus stirbt, wagt Caterina, sich allein gegen die mächtigen Kardinäle – allen voran den mächtigen Cesare Borgia – zu stellen. Unerschrocken bricht sie mit ein paar Getreuen auf, um die Engelsburg, das uneinnehmbare Kastell der Päpste, zu erobern … »Frederik Berger, ein großer Meister historischer Romane, versteht, den Leser von der ersten bis zur letzten Seite gefangen zu nehmen.« Bücherschau Ein farbenprächtiger historischer Roman über das Leben der Caterina Sforza: Ein Leben voller Liebe, triumphaler Siege und tragischer Verluste – Fans von Matteo Strukul werden begeistert sein!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 914
Über dieses Buch:
Italien gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Als Tochter des mächtigen Herzogs von Mailand führt die schöne Caterina Sforza ein sorgloses Leben. Doch auch wenn die leidenschaftliche junge Frau am liebsten ihren Gedanken nach Freiheit und persönlichem Glück nachhängt, ist ihr ein anderes Leben vorherbestimmt: In Rom wird sie gegen ihren Willen mit dem skrupellosen Neffen des Papstes verheiratet – und sprengt schon bald ihren goldenen Käfig, indem sie sich in die Politik des Vatikans einmischt. Als Papst Sixtus stirbt, wagt Caterina, sich allein gegen die mächtigen Kardinäle – allen voran den mächtigen Cesare Borgia – zu stellen. Unerschrocken bricht sie mit ein paar Getreuen auf, um die Engelsburg, das uneinnehmbare Kastell der Päpste, zu erobern …
Über den Autor:
Frederik Berger (geboren 1945 in Bad Hersfeld) studierte Literatur- und Sozialwissenschaften und lebte einige Zeit im englischen Cambridge und in der Provence. Er arbeitete als Literaturwissenschaftler und Journalist, bevor er hauptberuflich Schriftsteller wurde. Neben Gegenwartsromanen, Sachbüchern und zahlreichen Aufsätzen verfasste er verschiedene historische Romane über den Glanz und die Schatten europäischer Adelsfamilien. Frederik Berger reist viel und ist begeisterter Fotograf. Er lebt mit seiner Frau in Schondorf am Ammersee.
Die Website des Autors: frederikberger.de
Der Autor auf Instagram: instagram.com/fritzgesing/
Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine historische Romantrilogie »Das Siegel der Farnese« mit den Bänden »Die Geliebte des Papstes«, »Die Tochter des Papstes« und »Die Kurtisane des Papstes«. Außerdem erschienen seine opulenten historischen Romane »Die heimliche Päpstin«, »Die Provençalin«, »Der Gang nach Canossa«, »Die Schwestern der Venus«, »Die Madonna von Forlì« und »Der Botschafter des Kaisers«.
***
eBook-Neuausgabe Januar 2025
Dieses Buch erschien 2004 als Taschenbuch-Ausgabe unter dem Titel »La Tigressa« bei Aufbau.
Copyright © der Originalausgabe Rütten & Loening Berlin GmbH, 2002
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/John Erickson, 4zevar und die Digitale Bibliothek München
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)
ISBN 978-3-98952-699-0
***
dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13, 4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/egmont-foundation. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
***
Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
***
Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)
***
Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Die Madonna von Forlì«an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)
***
Besuchen Sie uns im Internet:
www.dotbooks.de
www.facebook.com/dotbooks
www.instagram.com/dotbooks
blog.dotbooks.de/
Frederik Berger
Die Madonna von Forlì
Historischer Roman
dotbooks.
Für Patricia
Caterina Sforza, signora di Forlì, impavida col ferro e col fuoco difese la sua rocca, mirabile esempio di energia e di valore al tramonto del triste secolo XV.
Caterina Sforza, die Herrin von Forlì, verteidigte unerschrocken mit Feuer und Schwert ihre Burg, ein bewundernswertes Beispiel an Tatkraft und Tapferkeit am Ausgang des traurigen 15. Jahrhunderts.
Gedenkstein an der Rocca von Forlì
DIE SCHLANGE UND DIE ROSE
Caterina war wütend. Soeben hatte die neunte Stunde vom Torturm des Castello Sforzesco geschlagen, Girolamo mußte jeden Augenblick erscheinen. Täglich galoppierte er auf Brutus, seinem Rappen, in den Innenhof des herzoglichen Palasts, sprang mit einem Satz aus dem Sattel, und Caterina mußte an sich halten, ihm nicht in die Arme zu fliegen. Sie liebte ihren lockigen Reitlehrer aus dem alten Mailänder Adelsgeschlecht der Olgiati, weil er stark und sanft war, atemberaubende Kunststücke auf dem Rücken seines Pferdes beherrschte und ihr alle Tricks zeigte, wie sie Maestoso, ihren Schimmelhengst, zu reiten habe.
Heute jedoch hatte ihre sehnsüchtige Vorfreude ein jähes Ende gefunden. Ihr Vater, Galeazzo Maria Sforza, der Herzog von Mailand, hatte ihr verboten, mit Girolamo das Castello zu verlassen und in das angrenzende Parkgelände zu reiten.
»Es ziemt sich nicht für die Tochter eines Herzogs«, hatte er ihr vom Rücken seines Pferdes zugerufen. »Wenn ihr zusammen reiten wollt, dann bleibt im Hof der Zitadelle. Denk daran, daß du kein Kind mehr bist. Irgendwann endet das verantwortungslose Leben.«
Sie verstand ihn nicht. Was war heute anders als gestern? Wäre sie heute fünfzehn Jahre alt geworden und damit ins heiratsfähige Alter gekommen – dann hätte sie ihn vielleicht verstanden. Aber sie war erst dreizehn! Sonst verbot er ihr nie etwas. Er nahm sie mit auf die Jagd und spielte mit ihr pallacorda, sie durfte beim Nachtmahl an seiner Seite sitzen und wurde von ihm immer wieder in die Arme genommen. Meist roch er wunderbar nach Zedernbalsam. Zu ihrem zwölften Geburtstag hatte er ihr Maestoso geschenkt. Einen stolzen andalusischen Hengst! Solche Pferde waren rar und teuer. Außerdem wurden Hengste nur von Männern geritten, von erfahrenen Reitern. Aber sie konnte mit Pferden umgehen wie keine zweite, das wußte ihr Vater, und mit einem braven, gutmütigen Gaul mochte sie sich nicht zufrieden geben.
Caterina starrte ihrem Vater nach, wie er, begleitet von ein paar Soldaten, durch das Nordtor verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ungezügelt fuhr sie sich in ihre strenggeflochtenen Haare und stieß einen leisen trotzigen Schrei aus. Warum mußte der Vater ihr gerade heute ihre größte Freude nehmen! Zum ersten Mal war es ihr gelungen, sich beim Reiten auf Maestosos Kruppe zu stellen – und dieses Kunststück wollte sie Girolamo vorführen.
»Ich reite, wann und mit wem und wohin ich will!« rief sie ihrem Vater nach. Natürlich konnte er sie nicht mehr hören.
Als sich Girolamo endlich hinter einer Reihe schwerbeladener Maultiere durch das Tor schob, sah sie bereits an seiner Miene, daß der Vater auch ihm sein Verbot mitgeteilt haben mußte. Caterina sprang ihm entgegen, ihr Herz schlug bis hoch in den Hals. Girolamo, mit Brutus am Zügel, begrüßte sie knapp.
»Wir müssen im Großen Hof reiten. Wie langweilig! Aber Seine Herrlichkeit hat es so befohlen.« In höhnischer Verachtung verzog er seinen Mund. »Also auf, gehorchen wir dem Sohn eines Condottiere und einer illegitimen Visconti-Tochter!«
Caterina überging den Seitenhieb gegen ihren Vater, berührte Girolamo wie unabsichtlich und flüsterte ihm zu: »Ich muß dir heute etwas zeigen.«
Er wirkte wenig neugierig, und sie erfaßte erneut trotzige Wut gegenüber dem väterlichen Verbot. Sie ärgerte sich allerdings auch ein wenig über Girolamos Verhalten.
»Laß uns in den Park reiten«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Gleichzeitig schaute sie, ob jemand sie beobachtete. Die Wachen lungerten gelangweilt im Torschatten, die Gärtner harkten die Rabatten, und die Händler ließen ihre Lasten vom Rücken ihrer Maultiere abladen. Bona, ihre Stiefmutter, die morgens gerne am Brunnen des Cortile stickte und sich dabei von Caterinas Musiklehrer schmachtende Lieder vorsingen ließ, war noch nicht erschienen. Niemand beachtete Caterina, und sie sah Girolamo auffordernd an.
»Du weißt doch, daß es dein Vater verboten hat«, sagte er unschlüssig.
Caterina zog verächtlich die Augenbraue hoch. »Du bist ein Feigling!« rief sie leise. »Mein Vater ist längst weg. Der kommt so schnell nicht wieder.«
»Die Torwachen sehen uns ...«
»Sie sagen nichts. Und wenn: Ich werde mit meinem Vater schon fertig.«
Girolamo schaute noch immer skeptisch.
»Nur in den Park! Ich muß dir unbedingt etwas zeigen.« Sie schwang sich in den Sattel.
Girolamo folgte ihr.
Ohne sich umzublicken, trabte Caterina durch das Tor. Einige der Wachsoldaten schauten erstaunt, aber keiner rief ihr etwas nach. Kaum lag der letzte Wassergraben hinter ihr, galoppierte sie los, als sei die Armee des Teufels ihr auf den Fersen.
Maestoso flog mit ihr an einer Baumgruppe entlang und durch einen Hohlweg zu einer Lichtung, die von Sonnenstrahlen durchschnitten war. Als sie auf eine freie Wiese hinausstürmte, mußte sie geblendet die Augen schließen. Hinter ihr hörte sie Girolamos Anfeuerungsrufe und die donnernden Hufe seines Wallachs. Dann schloß er auf. Als sie nebeneinander galoppierten, stellte er sich auf Brutus’ Kruppe, der auf seinen Befehl hin langsamer wurde. Caterina zügelte Maestoso ebenfalls. Vorsichtig zog sie die Beine an, kniete sich auf den Sattel und stellte sich ebenfalls. Es gelang ihr! Sie juchzte auf.
»Bravo!« schrie Girolamo. »Du bist meine Göttin!«
Beide Pferde bewegten sich fast im Gleichschritt. Girolamo reichte Caterina die Hand. Sie nahm sie, hielt sie fest. Was für ein unglaubliches Gefühl der Leichtigkeit und Unbesiegbarkeit! Sie schwebte, sie flog! Es war, als würden die langmähnigen Rosse des Sonnengottes sie bis in den siebten Himmel tragen.
Vor einer Gruppe von Schirmpinien blendete sie die Sonne, und als sie in den Schatten der Bäume tauchte, sah sie auf einmal nichts mehr und wurde einen Augenblick unsicher. Sie verlor Girolamos Hand, schon taumelte sie. Sie versuchte, sich auf den Sattel zu retten, aber es gelang ihr nicht, ein Wirbel aus Pinienhimmel, Pferdeleibern, Girolamos erschrockenen Augen, und dann ein dumpfer Schlag. Sie sah Sterne. Die Luft blieb ihr weg. Sie konnte nicht atmen. Auch dann nicht, als Girolamos ängstliches Gesicht über ihr auftauchte. Da erschien Maestoso und stupste sie mit seinem Maul. Sie wollte etwas sagen, stöhnte nur.
»Hast du dich verletzt?« hörte sie von ferne. Girolamo beugte sich nieder, nahm ihren Kopf in seine Arme.
Warum küßt er mich nicht? dachte sie noch, dann wurde ihr schwarz vor Augen.
Irgendwann kam sie wieder zu sich. Sie versuchte zu lächeln. Girolamo schrie auf vor Freude. Er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen, drückte ihren Kopf an seine Brust.
»Tut dir etwas weh?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie war lediglich ein wenig benommen. Unaufhörlich küßte er sie, auf die Stirn, auf die Augen und schließlich auf die Lippen.
»Ich liebe dich«, flüsterte er und drückte sie so an sich, daß ihr erneut die Luft wegzubleiben drohte.
Schließlich zog er sie an den Stamm der Pinie und lehnte sie an die rauhe Rinde. Ihr ging es schon wieder gut. Es roch wunderbar nach Harz und frischem Gras. In der Nähe mußten Veilchen blühen. Caterina atmete tief durch. Die Pferde rupften zufrieden die Halme, vertrieben mit leichten Schweifschlägen die Fliegen. Ihr war tatsächlich nichts geschehen bei dem Sturz. Daß sie eine Weile nicht atmen konnte, kannte sie aus ihrer Kindheit. Sie war oft gestürzt, nie hatte sie sich etwas gebrochen, lediglich eine Narbe über dem Auge davongetragen.
Bis auf den Tod darnieder lag sie in ihrem bisherigen Leben lediglich einmal, mit einem gräßlich juckenden Ausschlag, hohem Fieber und Kopfschmerzen, daß sie fast aus dem Fenster gesprungen wäre. Immer saß die Großmutter an ihrem Bett, hielt ihre Hand, legte ihr einen nassen Lappen auf die Stirn, sprach leise mit einem Medicus und betete. Manchmal las sie ihr auch Geschichten von griechischen Heldinnen vor. Dann kam sogar ihr Vater von einem Kriegszug zurück. Ihretwegen! »Du darfst nicht sterben!« rief er aufschluchzend aus. »Du bist mein Liebling!« Sie wollte ihn trösten, weil er so mit ihr litt, und gewiß nicht sterben, sondern immer sein Liebling bleiben. Er legte sich sogar zu ihr ins Bett, nahm sie in den Arm und weinte! Es war das einzige Mal, daß sie ihn weinen sah.
Prompt wurde sie wieder gesund.
Jetzt dagegen war gar nichts geschehen. Sie war nur glücklich. Girolamos Lippen näherten sich ihr wieder. Sie kam ihm entgegen, und beide sanken sie auf den Boden. Ihre Körper umklammerten sich, süße, drängende Schauer rasten durch ihr Inneres, sammelten sich im Unterleib, dort, wo die Ehre einer Jungfrau gehütet werden mußte. Ihre Stiefmutter hatte ihr kürzlich flüsternd und stockend erklärt, was geschah, wenn Männer und Frauen sich liebten, und sofort betont, sie, des Vaters Augapfel, müsse auf ihre Jungfräulichkeit besonders achtgeben, weil sie sonst keinen Mann finde, im Kloster lande und dort vertrockne wie eine wurmige Backpflaume, die auf den Boden gefallen sei ...
Girolamo hatte seine Zunge zwischen ihre Lippen geschoben. Caterina wollte sie zurückdrängen, sie ließ sich jedoch nicht vertreiben, sondern spielte mit ihrer Zunge. Während sie dieses Spielchen fortsetzten, ergriff Girolamo ihre Hand und führte sie unter den Saum seines Wamses. Da bewegte sich etwas, wurde dick und hart. Er stöhnte auf, wand sich wie vor Schmerzen, und als sie schon glaubte, er hätte sich irgendwie verletzt, warf er sich über sie, preßte sich an sie, zuckte mit den Beinen und sank schließlich kraftlos neben sie. Sie schaute in sein Gesicht. Er hatte die Augen geschlossen, lächelte entspannt und glücklich. Sie bettete ihren Kopf auf seine Brust. Stumm fuhr er mit seinen Fingern in ihre dichten Haare und bedeckte mit ihnen sein Gesicht.
Sie lagen lange reglos unter dem Dach der Pinie, während durch die Zweige die Strahlen der Sonne auf sie fielen, und als Caterina die Augen schloß, bildeten sich orangefarbige Ringe, die ineinanderflossen, sich vereinigten, explodierten und dann wieder zu hellen Punkten schrumpften, während gleichzeitig die Vögel um sie herum ihre Gesänge in den Himmel schmetterten.
Plötzlich hörte Caterina ein dumpfes Dröhnen, das sich ihnen rasch näherte. Sie fuhr auf. Ein Dröhnen von vielen Pferdehufen! Auch Girolamo schreckte hoch. Da donnerten sie heran! Vorneweg ihr Vater, neben ihm Onkel Lodovico. Ihnen folgten Jagdaufseher, Falkner und mehrere Milizionäre. Einen Augenblick hoffte Caterina, sie und Girolamo könnten unentdeckt bleiben. Die Fuchsstute ihres Vaters wieherte, als wollte sie sie warnen, und schon hatte er sie entdeckt. Er riß das Pferd herum, die anderen folgten ihm. Rot vor Wut sprang er aus dem Sattel. Girolamo hatte sich erhoben, half Caterina auf die Beine.
»Wie kannst du es wagen ...?« schrie ihn der Vater an. »Gegen mein Verbot ... Du Ratte!«
Girolamo zuckte zurück, reckte dann stolz den Kopf und funkelte ihn an. Caterina ahnte, was nun geschehen würde. Bevor sie sich dazwischenwerfen konnte, schlug der Vater ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, und als Girolamo nicht einen Schritt zurückwich, sondern Augen und Lippen zusammenpreßte, schlug er mit der Faust zu. Die Jagdgesellschaft bildete einen stummen, undurchdringlichen Ring. Girolamos Verhalten reizte den Vater noch mehr, das sah Caterina. Eine falsche Bewegung oder ein falsches Wort – und der Vater würde seinen Dolch ziehen.
Zum Glück warf sich Girolamo auf die Knie und rief: »Verzeiht mir, großmütiger Herzog!« Es klang wie Hohn. Er wiederholte seine Worte mit zitternder Stimme. Der Vater riß einem der Milizionäre einen Degen vom Gürtel und peitschte mit der Klinge auf Girolamo ein.
»Hör auf!« schrie Caterina.
Der Vater hielt inne, warf ihr einen bösen Blick zu, preßte Girolamo die Spitze des Degens unters Kinn, stieß »Wag es noch einmal, elende Ratte!« aus, warf dann den Degen dem Milizionär zu und schwang sich wieder auf sein Pferd. Er winkte seinen Begleitern, und die Gruppe donnerte davon. Der Vater hatte sie keines weiteren Blickes mehr gewürdigt, lediglich Onkel Lodovico drehte sich um und grinste höhnisch. Sie streckte ihm wütend die Zunge heraus.
Girolamo erhob sich langsam. Er zitterte, und sein Gesicht war bleich wie der Tod. Während er sein Wams zurechtzupfte, starrte er der Reitergruppe nach, die nun hinter einem Wäldchen verschwand. Caterina wollte ihn in den Arm nehmen, aber irgend etwas hielt sie zurück. Girolamos Gesichtszüge verzerrten sich. Sie wußte nicht, ob die Wut ihm diese Grimasse ins Gesicht schrieb oder ob er nur ein Aufheulen zu unterdrücken versuchte. Mit marionettenhaften Bewegungen griff er nach Brutus’ Zügeln, warf Caterina einen schmerzlich-liebenden, aber auch verwundeten und wütenden Blick zu, sprang in den Sattel und jagte in gestrecktem Galopp davon.
»Warte!« rief sie ihm nach. Er drehte sich jedoch nicht mehr um.
Langsam wandte Caterina sich Maestoso zu. Der Hengst war herangekommen, streckte ihr den Kopf entgegen und schaute sie mit seinen großen Augen an. Sie drückte ihre Wange an seinen Hals, kraulte ihn zärtlich hinter den Ohren und sog den Geruch seines rauhen Fells ein. Die Vögel um sie herum lärmten noch immer, als sei nichts geschehen. Caterina sah Girolamo nun hinter einem Hügel verschwinden.
Langsam stieg sie in den Sattel und trabte weinend zum Castello zurück.
Kaum war sie dort angekommen, erwartete sie bereits der Haushofmeister und bat sie, sich sofort bei der Herzogin zu melden. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und schlich mit gesenktem Kopf zum Empfangsraum ihrer Stiefmutter.
»Wie siehst du aus!« rief ihr Bona entgegen. »Mit aufgelösten Haaren, geröteten Augen, voller Schmutz! So wird dich nie ein Mann heiraten.«
»Ich werde nicht heiraten«, antwortete Caterina trotzig.
Bona lachte sie aus. Die dreifache Perlenkette tanzte auf ihrer hervorquellenden Brust. Sie fühlte, ob ihr Netz noch ordentlich auf den schwarzen Haaren lag, warf das Flohpelzchen zur Seite und streckte Caterina die Arme entgegen.
»Komm her, mein Wildfang!« rief sie, und plötzlich verspürte Caterina ihr gegenüber eine intensive Zuneigung. Als müsse sie Schutz suchen, flog sie an Bonas weichen, nach Nelken und Lavendel duftenden Busen.
»Ich kann mir denken, was ihr angestellt habt. Dein Vater sprach mich bereits auf den jungen Olgiati und eure Ausritte an.« Bona strich ihr beruhigend über die Haare.
Schluchzend erzählte Caterina, was geschehen war.
Bona hörte ihr geduldig zu, nickte immer wieder. Als Caterina schließlich schwieg, nahm sie ihre Hand, schaute ihr in die Augen und sagte leise: »Du darfst deinen Vater nicht reizen, auch wenn du seine Lieblingstochter bist. Wenn sich jemand seinen Befehlen widersetzt – und seine Eitelkeit gekränkt wird ... Es sind bereits einige Männer in Mailand eines unnatürlichen Todes gestorben, verstehst du? Dein Reitlehrer muß sich in acht nehmen. Oder möchtest du etwa, daß ihm etwas zustößt?«
Caterina sah Girolamos schön geschwungene Lippen und seine dämmergrauen Augen vor sich, mit einem Lächeln beugte er sich über sie – wie nach seinem Sieg beim Palio, damals, als sie sich in ihn verliebt hatte ...
Langsam wich das süße Traumbild, sie öffnete die Augen. Sterne tanzten, gereiht wie eine Perlenkette, durch ihr Zimmer. Es waren jedoch keine Sterne, sondern Staubkörnchen, die ein scharfer Sonnenstrahl traf.
Noch einmal schloß Caterina die Augen, um Girolamos Antlitz zurückzurufen. Nun umgab sie Schwärze, in die Taubengurren und Dohlenrufe, ja sogar Krähengekrächze drangen. Sie haßte Krähen. Überhaupt alle Aasvögel – im Gegensatz zu Singvögeln, mit denen sie seit ihrer Kindheit spielte und deren Gesang sie mit Hingabe lauschen konnte. Im Nebenzimmer, bei Rosaria, ihrem Kammermädchen, reihten sich mehrere Käfige mit Kanarienvögeln, Zeisigen und Stieglitzen. Wenn sie sich nicht gerade im Lateinunterricht quälte oder mit dem Musiklehrer Lautezupfen übte, nahm sie die weichen Vögelchen aus den Käfigen, ließ sich picken, gab ihnen sogar Küßchen und redete mit ihnen. Dies hatte sie Fra Lauro, ihrem Beichtvater, abgeschaut, der auch die Vögel liebte und heimlich zu ihnen sprach.
Sie setzte sich auf, ließ sich dann zurück in die Kissen fallen. All die Traumbilder von Girolamo hatten sich aufgelöst. Seit Tagen war er nicht mehr im Castello erschienen. Daran trug ihr Vater die Schuld: Er hatte ihn geschlagen und gedemütigt, und nun liebte Girolamo sie vermutlich nicht mehr.
Natürlich hatte sie den Vater auf sein Verbot angesprochen, aber er wollte sich auf keine Diskussion einlassen. Als sie vor Wut schrie, lief er plötzlich dunkelrot an und gab ihr eine schmerzhafte Ohrfeige. Vor lauter Schreck heulte sie auf. Er nahm sie sofort tröstend in den Arm und erklärte schließlich: »Du wirst älter, mein Herz, wir müssen dich auf die Ehe vorbereiten. Auch Bona sagt, daß du zu frei aufwächst, das macht eine unzufriedene, wenn nicht gar unglückliche Ehefrau. Keiner hindert dich am Reiten, du darfst jedoch nicht mehr ohne Aufsicht mit einem jungen Mann gesehen werden. Eine Sforza ist erste Wahl, selbst eine illegitime Sforza. Es gibt genügend ehrgeizige Emporkömmlinge, die mit Hilfe einer reichen Tochter aus bestem Hause ... Den Olgiati mußt du dir auf jeden Fall aus dem Kopf schlagen.«
Caterina wühlte sich in die Kissen. Sie schlug sich Girolamo nicht aus dem Kopf! Hatte ihr Vater sich denn ihre Mutter aus dem Kopf geschlagen, als er Bona heiratete? Und die anderen Geliebten? Obwohl Bona inzwischen vier Kinder auf die Welt gebracht hatte und ein fünftes im Leib trug, besuchte er weiterhin ihre Mutter oder andere Mailänderinnen, die ihm ihre Gunst gewährten.
Er war allerdings ein Mann. Ein Mann mußte sich nicht unterordnen, er nahm sich eine Geliebte, wenn es ihm paßte, ging zu Kurtisanen, wenn ihm danach war, oder fiel ungestraft über irgendeine Küchenmagd her. Seine Ehefrau sollte ein solches Verhalten am besten nicht kommentieren, denn tat sie es, lief sie Gefahr, Prügel einzustecken. So war es doch! Hatte Bona jemals ihr Gesicht verzogen, wenn der Vater morgens in lindgrünem Brokatwams und duftenden Seidenhandschuhen auftauchte? Jeder wußte, daß er dann nicht in die Signoria ritt, sondern Lucrezia Landriani besuchte, die Mutter seiner Tochter Caterina und dreier weiterer Kinder. In die Signoria begab er sich nur in schwarzem Samt und einem Übermantel mit Hermelinbesatz. Bona auf jeden Fall ließ ihn ziehen, setzte sich an den plätschernden Brunnen im Cortile, rief ihre Malteserhündchen herbei, die sich wie weiße Bettvorleger um sie lagerten, strich sich über ihren schwellenden Leib und lauschte der schmelzenden Engelsstimme des Lautespielers.
Caterina verließ das Bett und sprach ihr Morgengebet vor dem Bild der gebenedeiten Jungfrau. Kürzlich hatte ihr Vater neben die Gottesmutter und das Kruzifix noch das Wappen der Familien Visconti und Sforza aufhängen lassen und ihr einen Vortrag über seine Bedeutung gehalten. Seitdem konnte sie nie zu der Madonna oder dem Gekreuzigten aufschauen, ohne daß sie der einäugige Blick eines Drachen bannte, der ein Kind oder einen Sarazenen verschlang, auf jeden Fall ein nacktes menschliches Wesen. Der Drache war genaugenommen eine Schlange, die sich nach oben wand. Das Wappen konnte aber auch bedeuten, daß die Schlange ein Kind herauswürgte, zur Welt brachte, wie der griechische Göttervater Zeus, der seine geharnischte Tochter Athene seinem Kopf hatte entspringen lassen. Caterina entdeckte allerdings keine junge Göttin, sah lediglich ein halb verschlungenes Kind, das um Hilfe schrie.
Caterina tappte zum Nordfenster, um die Läden zu öffnen. Von hier aus überblickte sie den Cortile des herzoglichen Palasts und die Rocchetta, in der ihr Onkel Lodovico und die anderen Brüder des Vaters wohnten. An klaren Tagen erhob sich über den Dächern des Palasts die leuchtend weiße Kette der fernen Alpengipfel. Caterina liebte diesen Blick über alles. Es war, als verspräche ihr der gezackte Horizont eine wunderbare Zukunft, als läge dort ein lächelndes Land, in dem sie wie eine Prinzessin geliebt und bewundert würde.
Inzwischen war Rosaria in ihr Zimmer gekommen und begann, sie zu waschen. Dann ging es an das Auskämmen ihrer lang wallenden, blonden Mähne. Sie haßte das Flechten und Zusammenbinden ihrer Haare, weil sie lange stillsitzen mußte und am Ende so brav aussah. Am liebsten trug sie ihre Haare offen oder nur flüchtig zusammengesteckt, genauso wie sie am liebsten ihr leichtes Reitkleid überzog oder einen einfachen Kittel, der sie kaum von den Mägden unterschied.
»Hast du Nachricht von Girolamo?« fragte sie.
Rosaria schüttelte den Kopf.
»Ich werde ihm schreiben.« Sie wühlte ihre mühsam zurechtgelegten Haare durcheinander. »Ich kann ihn nicht vergessen!«
»Caterina, du versteigst dich in etwas. Wer dich einfach sitzenläßt, ist es nicht wert, daß du ihn liebst.«
Caterina fuhr wütend auf und gab Rosaria einen heftigen Stoß. Rosaria hatte ihn offensichtlich erwartet und fing ihn geschickt ab. Als Milchschwester, kindliche Spielgefährtin und langjähriges Kammermädchen war sie Caterinas Vertraute und die einzige unter den Bediensteten, die sich eine solche Bemerkung erlauben durfte. Doch auch als Vertraute durfte sie sich nicht alles herausnehmen.
Noch vor der Morgenandacht setzte sich Caterina an ihr Pult und schrieb Girolamo einen Brief, in dem sie ihm ihre Gefühle gestand und ihn eindringlich bat, mit ihr doch wenigstens im Großen Hof der Zitadelle zu reiten. Sorgfältig versiegelte sie den Brief, übergab ihn Rosaria und schärfte ihr ein, niemandem von diesem Auftrag zu erzählen und den Brief Girolamo Olgiati persönlich zu überreichen.
»Ich bin mir nicht sicher, ob wir beide nicht etwas Falsches und Gefährliches tun.« Unschlüssig schaute ihr Rosaria ins Gesicht. »Warum muß eine Herzogstochter einem Reitlehrer schreiben?«
»Das weißt du genau. Du mußt unbedingt gehen. Ich schenke dir auch meine Bernsteinkette.«
Rosaria schüttelte den Kopf: »Ich will deine Kette nicht.«
Caterina ergriff ihre Hand, sah sie so lange bittend an, bis sich Rosaria wortlos auf den Weg machte.
Tatsächlich erschien am nächsten Tag Girolamo um Schlag neun und tat so, als sei er während der letzten Wochen jeden Morgen im Castello gewesen. Caterina suchte seinen Blick, er wich ihr jedoch aus. Vermutlich quälte ihn sein schlechtes Gewissen. Sie tat so, als sei nichts geschehen, und zog mit ihm und den Pferden zum Großen Hof.
In der Zitadelle, die das Castello zur Stadt hin erweiterte, herrschte der gewöhnliche morgendliche Betrieb. Pferde wurden gesattelt, Zimmerleute bauten an einem der massigen Ecktürme ein Gerüst auf, und irgendwo wurde gehämmert. Die Veteranen ihres Großvaters würfelten, spielten Karten oder streckten ihre gichtigen Glieder in die Sonne. Als seien sie die Söhne von Kriegsgott Mars persönlich, kommentierten sie mit spöttischem Gelächter die Fechtübungen der Milizionäre. Caterina winkte ihnen zu und wurde mit fröhlichen Zurufen begrüßt.
Seit ihrer Kindheit kannte Caterina diese Männer, sowohl die jüngeren, die auf einen neuen Krieg warteten, wie auch die alten zahnlosen Krüppel in ihren verschlissenen Wämsern, die nach säuerlichem Wein, Schweiß und Sekrethaus stanken. Die Veteranen liebten sie, weil sie sich bereits als kleines Mädchen auf jedes Tier hatte setzen lassen, weil sie mit Begeisterung focht, rang und rannte und es im Bogenschießen mit den meisten Männern aufnehmen konnte. Und weil sie sich gerne ihre Kriegsabenteuer erzählen ließ und ihren Lobeshymnen auf den Großvater lauschte, den großen Condottiere Francesco Sforza, der keiner Schlacht ausgewichen sei, die meisten gewonnen und darüber hinaus in seiner ungestümen Männlichkeit acht legitime und mindestens siebzehn illegitime Kinder gezeugt habe.
Aus einem der Tore trat nun der bärtige Glatzkopf Gian Antonio Ghetti, der Hauptmann der väterlichen Milizen, Caterinas bewunderter Fechtmeister und, bis Girolamo auftauchte, ihr Reitlehrer. Auch ihm winkte sie zu, er winkte zurück und kam herbeigestapft.
»Wollten wir nicht reiten?« hörte sie Girolamos ungeduldige Stimme hinter sich.
»Laß mich erst Gian Antonio begrüßen.«
Sie gab Ghetti einen Kuß auf seine bärtige Wange, und er hob sie empor, als wäre sie noch immer ein vierjähriges Kind.
Weil Girolamo schon zur Springstrecke vorgegangen war, sprang sie ihm hüpfend nach und schwang sich dann auf den Sattel. Zu ihrem Erstaunen band Girolamo sein Pferd an einem Karren fest und nickte ihr auffordernd zu.
»Spring!«
»Und du?«
»Ich will zuerst deine Fortschritte sehen.« Ungeduldig schlug er mit der Reitpeitsche gegen sein Bein.
Caterina spürte einen Anflug von Ärger, weil Girolamo seine schlechte Laune offensichtlich nicht überwinden konnte! Sie wollte sich aber ihren Spaß am Reiten nicht nehmen lassen und sprang mit Schwung und Tempo über die Hindernisse. Nach drei Durchgängen hielt Girolamo sie an und kritisierte ihr waghalsiges Anreiten und außerdem die Zügelhaltung. Dann erhöhte er so lange die Hindernisse, bis Maestoso den Sprung verweigerte und Caterina im Sand landete. Girolamo half ihr auf und fragte, ob sie sich verletzt habe. Wütend schüttelte sie den Kopf. Er nahm ihre Hände und zeigte ihr den angeblichen Fehler bei der Haltung der Zügel. Zuerst wollte sie ihn wegstoßen, doch dann begriff sie, daß seine Kritik ein Vorwand war, sie zu berühren und ihr tief in die Augen zu schauen. Ihr Wut verflog, und sie umarmte ihn, ohne daran zu denken, daß jeder sie sehen konnte.
Da die Veteranen auch sofort pfiffen, zogen sie sich hinter mehrere Ochsenkarren zurück und hockten sich nebeneinander auf einen Stapel Baumaterial. Als hätte er schon lange darauf warten müssen, ergriff Girolamo Caterinas Hand, küßte sie, starrte dann plötzlich unsicher auf den Boden und zog mit seiner Ferse mehrere Streifen in den Sand. Wollte er ihr auf diese Weise seine Liebe gestehen? Er begann jedoch, von ihrem »tyrannischen« Vater zu sprechen, der ihn zutiefst gedemütigt habe. »Unter den Visconti hätte ein solches Verhalten nur mit dem Degen gesühnt werden können. Aber unter den Visconti galt Ehre noch etwas, und unsere Familie war hoch angesehen.«
Was gab es darauf zu antworten? Sie mochte nicht, daß Girolamo ihren Vater beschimpfte, beabsichtigte allerdings auch nicht, ihn zu verteidigen. Überhaupt wollte sie möglichst schnell vergessen, was vor einigen Tagen geschehen war.
Girolamo wechselte das Thema und berichtete von seinem Lehrer und dessen Ausführungen über das Ende der römischen Republik.
Sein Geschichtsunterricht interessierte sie nun noch weniger als das Loblied auf die ehrversessenen Zeiten der Visconti. Nach einem verhaltenen Seufzer zeichnete sie mit ihrer Reitpeitsche ein Herz neben seine geheimnisvollen Striche. Doch Girolamo achtete nicht darauf, sondern erzählte von dem »Freiheitshelden« Brutus, dem »mutigen Kämpfer« gegen den »tyrannischen Caesar«.
Caterina schüttelte heftig den Kopf, weil es ihr reichte. »Ich halte Gaius Julius Caesar für einen genialen Feldherrn und weisen Staatsmann!« rief sie aus. »Dein ehrenwerter Brutus wurde von ihm wie ein Sohn geliebt und gefördert – und wie hat der Verräter es ihm gedankt?«
Girolamo überging ihren Einwurf und betonte, er hasse alle »usurpatorischen« Herrscher. Plötzlich wurde Caterina ganz flau im Magen, und sie zerstörte kurzentschlossen das Herz im Sand.
Mitten im Satz verstummte Girolamo und starrte auf die verwischten Spuren. Ohne Caterina in die Augen zu blicken, nahm er ihre Hand und führte sie an seine Lippen. Aber dann erhob er sich, schaute ihr wehmütig in die Augen, schwang sich auf den Rücken seines Pferds und trabte zum Tor – ohne Erklärung, ohne Abschiedsworte, ohne Wink.
Sie wollte ihm etwas nachrufen, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Es war, als würde ihr jemand den Hals zuschnüren. Da saß sie, zwischen Holzstapeln und Karren, rang nach Luft und starrte zum Tor, durch das ihr Geliebter verschwunden war. Ein eigentümliches Gefühl von Endgültigkeit und Unabänderlichkeit ergriff sie, und es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder in der Lage fühlte, Ghetti mit seinen Veteranen, Fra Lauro oder irgendeinem anderen Menschen gegenüberzutreten.
Caterina übergab Maestoso einem Pferdeknecht und suchte ihren Beichtvater auf. Er wirkte nicht überrascht über ihr Erscheinen, im Gegenteil, schien sie sogar erwartet zu haben. Sie küßte ihm den Ring, er strich ihr nach einem prüfenden Blick über die Haare, legte seinen Arm auf ihre Schultern und führte sie schweigend in die herzogliche Kapelle. Hier ließ er sie das Pater noster aufsagen. Kaum hatte sie das Gebet mit dem Schlußsatz »und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel« beendet, fügte er ein betontes »Amen!« an und forderte sie auf, noch eine stumme Zwiesprache mit dem Allmächtigen zu führen.
Caterina schloß die Augen. Sie betete allerdings nicht, sondern versuchte, die gemeinsamen Stunden mit Girolamo nachzuerleben. Das Bild seines wortlosen Abschieds wurde zunehmend von dem überwältigenden Gefühl ihrer Liebe verdrängt.
Fra Lauro schien zu spüren, was sie ablenkte; er räusperte sich vernehmlich und erklärte: »Ich muß mit dir reden, mein Kind – bevor du womöglich einen jungen Menschen ins Unglück stürzt.«
Sie öffnete die Augen. Natürlich konnte es sich wieder nur um Girolamo handeln. Obwohl sich ihr Beichtvater offenkundig bemühte, eine ernste und strenge Miene aufzusetzen, ruhte sein Blick gütig und liebevoll auf ihr.
»Warum darf ich nicht mehr mit Girolamo in den Park reiten?« fragte Caterina ohne Umschweife. »Ich liebe ihn!« Sie fuhr sich durch die Haare und merkte selbst, wie trotzig sie klang.
»Weißt du überhaupt schon, was Liebe ist?«
Caterina senkte die Augen. Sollte sie wirklich ihrem Beichtvater sagen, welche Gefühle sie durchstürmten, wenn sie an Girolamo dachte? Bevor sie einen Entschluß fassen konnte, sprudelten bereits die Worte aus ihr heraus: »Wenn ich morgens aufwache und an Girolamo denke, dann kribbelt alles, es wird mir heiß und kalt, mein Herz rast los und scheint dann auszusetzen, und wenn er mich erst küßt ...«
»Du bist heftig verliebt«, unterbrach er sie, und es klang, als spreche er von einer gefährlichen Krankheit.
»Am liebsten möchte ich mit ihm auf den weißen Rossen des Helios über den Himmel ziehen.«
Fra Lauro mußte lachen. »Du bist doch keine Göttin.« Nach einer kurzen Pause beugte er sich ihr zu. »Aber du bist eine Sforza. Du wirst den Himmel nicht stürmen können, trotzdem hat dein Vater mit dir Großes vor. Noch bist du sehr jung, dein Vater könnte jedoch bereits an die Zukunft denken, an einen mächtigen Herrn, einen wichtigen Verbündeten – daß Ehen selten aus Liebe geschlossen werden, ist dir sicher bekannt.«
Nun war endlich heraus, was sie schon befürchtet hatte! Sie sollte verheiratet werden – obwohl sie erst dreizehn Jahre alt war.
»Ich bin sicher, daß auch du ein Leben in Luxus einem Leben in ärmlichen Verhältnissen vorziehst – obwohl Reichtum für das Seelenheil gewiß nicht entscheidend ist.«
Es gab keinen Zweifel: Fra Lauro sollte ihr Girolamo ausreden. Unverzüglich regte sich Widerstand in ihr, und sie sah ihren Beichtvater herausfordernd an. »Aber Christus hat Armut gepredigt«, entgegnete sie mit Triumph in ihrer Stimme. »Selig sind, die da arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.«
Fra Lauro lachte. »Mein Kind, du hast ein Wort ausgelassen. Geistlich arm, sagte unser Heiland, und meinte die Menschen, die sich in Demut ihrer inneren Armut bewußt sind. Wir sind alle auf Gottes Gnade angewiesen ...«
»Ihr Franziskaner verzichtet doch auch auf alle äußeren Reichtümer. Es muß also gottgefällig sein, wenn man im Vertrauen auf Gottes Gnade die inneren Werte bevorzugt ... Girolamos Familie ist zwar nicht reich, aber ihr Ruf ist untadelig, und Girolamos Tugend nicht minder. Sollte es wirklich gegen Gottes Willen sein, einen armen, tugendhaften Mann zu lieben?«
Fra Lauro schüttelte lächelnd den Kopf. »Es geht jetzt ausnahmsweise nicht um Gottes Willen, sondern um den Willen deines Vaters.«
»Der Allmächtige steht über meinem Vater.«
Weil Fra Lauro nun mit einem leisen Kräuseln seiner Augenbrauen schwieg, packte Caterina der Trotz. Für eine Heirat war sie noch zu jung, und daher gab es keinen Anlaß, ihr unbedingt jetzt die Liebe zu Girolamo ausreden zu wollen. Sie wußte selbst, daß sie in ein paar Jahren im Interesse der Sforza-Familie einen mächtigen und reichen Mann zu heiraten hatte. Sie wußte im Grunde ihres Herzens auch, daß es ihr schwerfallen würde, in Armut zu leben. Sie liebte große Paläste, wie ihr einschüchternd weitläufiges und trutziges Castello hier in Mailand oder den mit Gemälden, Teppichen und Skulpturen ausgestatteten Palast der Medici in Florenz. Sie liebte schöne Kleider, edle Pferde, Perlen, Rubine und Seidenhandschuhe – und dennoch wollte sie von Girolamo nicht lassen. Daß die Olgiati verarmt waren, hatte sie nie bestritten, aber konnte Girolamo nicht eines Tages ein siegreicher Condottiere werden? Und sich dann wie der Großvater Francesco ein Herzogtum erobern?
Fra Lauro beobachtete sie. Er versuchte, ihre Gedanken zu lesen – was ihm vermutlich gelang, denn sie hatte ihm während der letzten Jahre all ihre Taten und Gedanken gebeichtet und noch nicht einmal ihre geheimsten Regungen verschwiegen. Sie hatte ihm gestanden, daß sie gelegentlich eifersüchtig auf ihre pummelige Stiefmutter Bona war, daß sie ihre eigene Mutter zwar immer noch schön, aber auch ein wenig dumm fand, sich selbst dagegen zu dürr und langnasig, daß sie lieber ein Junge wäre und ein legitimes Kind ihres Vaters – in diesem Fall würde nämlich sie der nächste Herzog von Mailand und nicht Bonas Ältester Gian Galeazzo, der ihr immer nur blaß und mit verschüchterten Augen begegnete und sich mit seinen sechs Jahren noch nicht auf ein Pony traute. Sie hatte nicht verschwiegen, daß sie von einem zweiten Besuch in Florenz träumte, dem Prunk und Reichtum, den sie dort erlebt hatte, den Turnieren, Banketten und Tanzvorführungen, nicht zuletzt von den eleganten Frauen und lässigen jungen Männern. Sie hatte bis heute nicht Lorenzo il Magnificos Bruder Giuliano vergessen, obwohl ihr erster Besuch in Florenz bereits Jahre zurücklag und sie damals sehr jung gewesen war. Vielleicht hatte sie sich in Girolamo Olgiati verliebt, weil er sie an Giuliano de’ Medici erinnerte.
Caterina seufzte tief, sprang auf, griff nach Fra Lauros Hand und küßte seinen Ring.
»Und Ihr? Habt Ihr eigentlich nie geliebt?«
Fra Lauro schaute sie erschrocken an. Seine Augen wurden für einen Augenblick ernst. Dann lächelte er schon wieder, weise, abgeklärt, wie man es von einem Beichtvater erwartete.
»Ich liebe Jesus Christus ... und den heiligen Franciscus.«
»Und seid Ihr nie von einem jungen, hübschen, armen Weib in Versuchung geführt worden?«
Er lächelte gezwungen. »Mein Kind, bleiben wir bei der Versuchung, der du zur Zeit zu erliegen scheinst.«
Während der nächsten Wochen wurde über Girolamo Olgiati kaum gesprochen. Caterina dachte gelegentlich an die Warnung ihrer Stiefmutter, konnte aber nicht glauben, daß der Vater ihrem Reitlehrer wirklich nach dem Leben trachtete. Ihre Sehnsucht nach ihm wuchs wieder derart, daß sie ihm einen zweiten Brief schrieb, in dem sie ihm mitteilte, wie sehr sie ihn vermisse. Erneut ließ sie Rosaria den Brief überbringen. Rosaria brauchte lange, bis sie zurückkehrte. Mit aufgelösten Haaren und verwirrten Augen huschte sie schließlich in Caterinas Zimmer.
»Was ist denn mit dir geschehen?« fragte Caterina erschrocken, wartete jedoch keine Erklärung ab. »Hast du eine Antwort?«
Rosaria schüttelte den Kopf. »Die Wachen haben mich am Tor abgefangen und ausgehorcht«, berichtete sie stockend. »Sie wollten wissen, wo ich war und wer mich geschickt hat. Als ich schwieg, haben sie mich – ziemlich unsanft angepackt.« Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.
»Du hast aber nichts verraten.«
Rosaria schüttelte den Kopf.
»Und wird Girolamo mir antworten – oder kommen?«
»Ich weiß es nicht.«
Er erschien weder noch sandte er eine Botschaft. Nachdem Caterina eine weitere Woche gewartet hatte, drängte es sie, ihm einen dritten Brief zu schreiben. Während sie am Pult saß, merkte sie, wie sie sich über sein Schweigen ärgerte, wie tief enttäuscht sie war – und sie zerriß das Papier.
Um sich auf andere Gedanken zu bringen, ließ sie sich täglich bei den Veteranen sehen und übte Fechten mit Ghetti. Manchmal brach sie die Fechtstunden abrupt ab, weil sie an Girolamo denken mußte und ihr zum Heulen zumute war. Ghetti, der wahrscheinlich mit Fra Lauro gesprochen hatte, schien ihren Stimmungswechsel zu begreifen, denn er knuffte sie sacht und sagte leise: »Du wirst ihn vergessen.«
Caterina schüttelte den Kopf.
Wenige Wochen später ließ ihr Vater sie in sein Studiolo rufen. Er räusperte sich und erklärte ohne Umschweife, ihr stünden wichtige Tage bevor. »Wir bekommen Besuch aus Rom.« Ein schiefes Lächeln huschte über sein Gesicht, dann wurde er wieder ernst. »Von dem Neffen des Papstes, von Girolamo Riario.«
Bei dem Namen Girolamo durchfuhr es Caterina heiß, weil sie sofort an Olgiati denken mußte, aber sie ließ sich nichts anmerken, noch nicht einmal, als die Augen ihres Vaters prüfend auf ihr lagen.
»Möchtest du einmal in einem großen Palast leben und die Frau eines einflußreichen Mannes sein?«
Selbstverständlich wollte sie in einem Palast leben. Schließlich war sie eine echte Sforza, das hatte der Vater oft genug betont, und ihre Großmutter hatte ihr einmal zugeflüstert: »Du hast die Stärke und den Adel der Visconti.« Sie vereinigte also die Vorzüge beider Geschlechter ...
Der Vater erwartete offensichtlich keine Antwort. »Ich brauche die Verbindung mit Rom, um mich gegen Venedig abzusichern, während der Papst für seine anspruchsvolle Familie reiche Verwandtschaft aus dem Norden sucht«, erklärte er.
Sie wußte es! Der Vater wollte sie mit diesem Riario verheiraten. Deswegen auch sein Verbot, mit Girolamo auszureiten, und Fra Lauros Andeutungen!
Er verzog verächtlich seinen Mund. »Der Vater des nicht mehr ganz jungen Papstneffen war Schuster oder Zöllner, Riario selbst hat in seinen Jugendjahren Oliven und Obst verkauft, irgendwo in Ligurien – mittlerweile sind sie aber ganz oben und werfen mit dem Geld der Gläubigen nur so um sich.«
Caterina beschlich ein ungutes Gefühl, sie wußte jedoch nicht, was sie sagen sollte.
»Warum schweigst du so betont? Dein Mund steht doch sonst selten still.«
Ihre Blicke trafen sich. Sie fühlte den Stolz in diesen dunkelbraunen, immer ein wenig hochmütigen Augen. Plötzlich quollen Tränen unter ihren Lidern hervor, und sie versteckte ihr Gesicht an seinem duftenden Hals.
Er strich ihr über den Kopf. »Du bist meine starke und mutige Tochter, das weiß ich. Wärst du ein Junge, würdest du ein Condottiere. Aber du bist ein Mädchen und mußt einen für uns wichtigen Mann heiraten.«
Noch am Abend traf der Besuch aus Rom ein. Caterina hörte Pferdegetrappel, Stimmengewirr, Rufe. Es mußte eine zahlreiche Truppe sein, die den Neffen des Papstes begleitete. Sie brannte vor Neugier, ihn und seine Begleiter zu sehen, war jedoch angewiesen worden, in ihrem Schlafzimmer zu bleiben, weil Bona, ihre Stiefmutter, sie auf die Begegnung mit ihrem zukünftigen Verlobten vorbereiten wollte. Auch ihr Lateinlehrer und Fra Lauro erschienen, außerdem, auf ausdrücklichen Befehl des Herzogs, ihre richtige Mutter Lucrezia Landriani. Caterina flog ihr an den Hals, Bona begrüßte sie mit einem kurzen, zwischen Hochmut und Unsicherheit schwankenden Nicken.
Aus den Truhen wurden die schönsten Kleider der Familie geholt und auf dem Bett ausgebreitet. Gleichzeitig legte ihr der Lehrer eine Textstelle aus Ciceros De natura deorum vor, die sie auswendig zu lernen habe. Bona bestand darauf, daß sie zudem ein Sonett Petrarcas vorsingen sollte, und Fra Lauro hielt ein Blatt Papier in der Hand, auf das er säuberlich einige Stellen aus dem Hohelied Salomos geschrieben hatte.
Caterina verstand zuerst gar nicht, was von ihr erwartet wurde. »Du mußt morgen einen guten Eindruck machen, sonst überlegt es sich der Papstneffe noch anders«, rief Bona aufgeregt und ruckte am Ausschnitt ihres Kleides, das offensichtlich ihren Bauch und ihre schwellende Brust drückte.
»Ist sie nicht wirklich noch zu jung?« unterbrach sie ihre Mutter. »Schaut sie an, wie hochgeschossen sie ist, und geht es ihr überhaupt schon nach der Art der Frauen?«
»Dies ist zur Zeit nicht entscheidend«, antwortete Bona kurzangebunden mit einem Seitenblick auf die beiden Männer im Raum.
»Wenn er nun darauf besteht, die Ehe sofort vollziehen zu wollen?« Die Stimme der Mutter nahm einen weinerlichen Ton an.
Bona versuchte, mit einer heftigen Armbewegung die Einwände beiseite zu wischen. »Ihr solltet froh sein, daß Eure Tochter einem solch reichen Mann versprochen wird, dem Lieblings-neffen des Heiligen Vaters, einem Mann mit großer Zukunft – wer weiß, ob er nicht abspringt, wenn Caterina keinen guten Eindruck hinterläßt.« Sie griff sich ihr Schoßhündchen und rauschte hinaus.
Caterinas Mutter verdrehte die Augen, der Lehrer schaute unsicher auf das Blatt Papier, als müsse er etwas auswendig lernen. Lediglich Fra Lauro lächelte und erklärte Caterina, sie werde am nächsten Morgen dem hohen Herrn aus Rom vorgestellt. »Dein Vater hat sich gedacht, daß du schön herausgeputzt den Girolamo Riario begrüßt und dann eine Stelle aus Ciceros Ausführungen über das Wesen der Götter vorträgst. Damit nicht alles so ernst und philosophisch bleibt, wirst du anschließend ein Sonett von Petrarca singen ...«
»Singen? Und wer begleitet mich auf der Laute?« fiel ihm Caterina ins Wort.
»Du sollst dich selbst begleiten.«
»Aber ich kann nicht richtig Laute spielen. Ich würde ihm viel lieber vorführen, wie ich auf Maestosos Rücken stehen kann. Ich könnte mit ihm sogar fechten!«
Fra Lauro mußte lachen, und ihre Mutter verdrehte wieder die Augen.
»Gut, dann lassen wir deinen Musiklehrer dich begleiten«, fuhr Fra Lauro fort. »Zum Schluß trägst du noch ein paar Verse aus dem Hohelied Salomos vor. Schöner und gleichzeitig züchtiger kann man einem Herrn aus einer geistlichen Familie nicht auf die Reize ehelicher Liebe hinweisen.«
Noch während des Abends lernte Caterina Ciceros Ausführungen, Petrarcas Verse und die Bibelstellen auswendig, übte mit ihrem Musiklehrer das Singen des Sonetts, und schlief des Nachts sehr schlecht. Am nächsten Morgen mußte sie das Gelernte noch einmal unter Fra Lauros Aufsicht wiederholen und ein wenig gefühlvoller gestalten. Es fiel sogar der Besuch der Heiligen Messe aus. Statt dessen erschien Bona mit einem Gefolge von Näherinnen und Kammerfrauen. Caterina wurde unter ihrer Anleitung gekämmt und mit nach Veilchen duftender Salbe eingerieben, schließlich wurde ihr ein blütenweißes Seidenhemd und ein dunkelgrünes Kleid aus Samt übergezogen. Den Ausschnitt verschloß schmucklos ein brauner Latz. Der Busen mußte ihr tatsächlich noch wachsen. Auch in Hinsicht auf Perlen und Edelsteine solle sie bescheiden auftreten, belehrte sie die Stiefmutter. Ihr natürliches, einnehmendes Wesen habe den zukünftigen Ehemann zu überzeugen, nicht prunkvoller Schmuck, der einem so jungen Mädchen noch nicht anstehe. »Außerdem erwecken zu viele Perlen falsche Vorstellungen und stacheln lediglich Riarios Geldgier an – hat dein Vater gesagt.«
Caterina wollte etwas anmerken, kam aber nicht zu Wort. Ihre Füße wurden in Orangenblütenwasser getaucht und mußten in Pantoffel schlüpfen, auf die mit Goldfäden das Wappen der Sforza-Visconti gestickt war. Caterina fand die Sorgfalt, mit der Bona ihre Füße bekleidete, übertrieben. Die Stiefmutter betonte jedoch: »Die Männer schauen auf unsere Füße. Sie verraten ihnen viel.« Caterina mußte lachen. Ein tadelnder Blick traf sie. Sie wurde wieder ernst und erklärte trotzig, ihr Hals sei viel zu nackt.
»Du hast einen Schwanenhals«, antwortete Bona nicht ohne Spott.
»Ja eben«, Caterinas Stimme wurde lauter, »warum mußt du eine dreifache Kette tragen, während ich halb nackt vor meinen Zukünftigen trete?«
Bona überging ihren Einwand und befahl, ihre blonden Haare streng zu scheiteln und die Zöpfe zu Schnecken zusammenzubinden. An den Schläfen durften sich ein paar Löckchen kringeln.
Schließlich war es soweit. Caterina fühlte eine solche Anspannung, daß ihr Mund ganz trocken wurde, ihr aber gleichzeitig vor Schweiß das Hemd am Körper klebte. Zum Glück durfte wenigstens Fra Lauro an ihrer Seite bleiben, während sie ihrem zukünftigen Gemahl in dem reich geschmückten Empfangssaal entgegenschritt.
Viele Augen richteten sich auf sie. Der Vater lächelnd, stolz, Bona mit ihren vier kleinen Kindern, die Brüder und Schwestern des Vaters, vorneweg Onkel Lodovico, wie immer himmelblau gekleidet, überhaupt der ganze Hofstaat, der Kanzler Cecco Simonetta, der Erzbischof mit Gefolge, der podestà samt Magistrat, Vertreter der nobili – und in ihrer Mitte, auf einem geschnitzten Thronstuhl, ein Mann, der ihr Vater hätte sein können. Das Kinn auf eine Hand gestützt, starrte er sie an. Lang herabwallende Haare, die auch die Stirn bedeckten, ein starkes Kinn und kalte Augen.
Gott, wie weibisch sieht er aus, schoß es Caterina durch den Kopf. Was verbirgt sich hinter diesen Augen?
Er bewegte sich nicht, starrte sie nur an.
Plötzlich sprang er auf, ein Grinsen zog über seinen Mund, er eilte ihr entgegen und verbeugte sich übertrieben. Sie wagte kaum einen Blick. »Züchtig mußt du ihn anschauen«, hatte Bona ihr geraten, »Männer mögen Jungfrauen, die tugendhaft und gehorsam wirken.«
Er ergriff ihre Hand, zog sie an seine Brust. Nun wußte sie überhaupt nicht mehr, was sie tun sollte. Sie schaute sich nach Fra Lauro um, der ihr ermunternd zulächelte, warf einen kurzen Blick auf ihren Vater, dessen Mundwinkel sich verächtlich nach unten zogen. Neben ihm Bona, voller Ernst. Um sie herum die feixenden Kinder.
»Ich bin Girolamo Riario«, sagte ihr Gegenüber, »und soll Euch den Segen des Heiligen Vaters übermitteln.«
Die Stimme! Sie war nicht dunkel und nicht hell. Am Anfang schien sie zu krächzen, dann auszugleiten. Riario räusperte sich und schluckte. Caterina konnte nicht Girolamo denken, Girolamo war der andere ...
Riario verbeugte sich ein zweites Mal, auch vor ihrem Vater und vor Bona, und nahm wieder Platz. Sie jedoch – sie stand da inmitten all der Menschen und glaubte, kein einziges Wort hervorbringen zu können.
Fra Lauro flüsterte ihr »Cicero« zu.
Vor ihr saß der Papstneffe, sein Kinn wieder aufgestützt, und ließ langsam seinen Blick an ihr hinabgleiten.
»Gaius Julius Cicero: De natura deorum«, sagte sie mit zittriger Stimme.
Der Römer glotzte regelrecht. Unruhe unter den Zuhörern. Fra Lauro räusperte sich. Dann brach plötzlich ihr mohrenhaft dunkelhäutiger Onkel Lodovico in Gelächter aus, und es war kein Halten mehr. Der ganze Saal bebte vor Gelächter. Sogar der Erzbischof lachte. Und natürlich der Römer. Sie verstand nicht, was so witzig an Ciceros Namen war, begriff allerdings, daß man sie auslachte. Fra Lauro neben ihr berührte beruhigend ihre Hand und flüsterte ihr »Marcus Tullius Cicero« zu.
»Marcus Tullius Cicero«, schrie sie in das Gelächter, das sofort verstummte. Lediglich ihre kleinen Geschwister grimassierten noch, wurden aber durch einen strengen Blick des Vaters zurechtgewiesen. »De natura deorum!«
Caterina war so wütend, daß alle Anspannung von ihr abfiel. Sie schrie dem Römer Ciceros lange, gewundene Sätze entgegen, kein einziges Wort ließ sie aus. Allmählich wurde sie leiser, und sie merkte, daß sie nun auch an den richtigen Stellen Pausen einlegte. Die Augen des Römers zuckten, dann verzogen sich die Mundwinkel spöttisch. Verstand er Ciceros Ausführungen überhaupt? In Ligurien pries man sein Gemüse wohl kaum in lateinischen Drechselsätzen an.
Als Caterina den ersten Text beendet hatte, wurde vorsichtig applaudiert. Auch Riario deutete ein Klatschen an. Caterina gab nun dem Lautenspieler ein Zeichen und sang ein Sonett Petrarcas, das von der Sehnsucht und der Liebe handelte. Nicht immer traf sie den Ton, inzwischen hatte sie jedoch soviel Sicherheit gewonnen, daß sie stolz ihren Kopf reckte, als der Beifall nun deutlich länger und lauter sie einhüllte. Schließlich rezitierte sie noch das Hohelied: »Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born.« Das hätte eigentlich der Römer sagen müssen. Er hatte jedoch all seinen Spott verloren, schaute sie aus seinen kalten Augen undurchsichtig an. Mit den Worten »Ohne daß ich’s merkte, trieb mich mein Verlangen zu der Tochter eines Fürsten« schloß sie und verbeugte sich.
Ihr Vater war aufgesprungen, auch der Römer erhob sich, sie schüttelten sich die Hände. Caterina wollte sich zurückziehen, ihr Vater nahm sie jedoch in den Arm. All die Spannung, die in dem Raum geherrscht hatte, war von den Menschen abgefallen und entlud sich nun in lärmendem Rufen und Schreien. Caterina verstand weder, was ihr Vater, noch, was der Römer sprach. Aber alle schienen sie zufrieden zu sein.
Noch am Nachmittag, während Caterina sich in ihrem Zimmer ausruhen durfte, wurde der Vertrag mit dem Heiratsversprechen unterzeichnet und eine vorläufige Mitgift von zehntausend Dukaten festgesetzt und ausgezahlt. Anschließend holte Bona ihre Stieftochter und führte sie in ihr Gemach, in dem ihr Vater und der Bräutigam warteten. Mit einer generösen Geste wies der Römer auf seine Geschenke: ein Goldbrokatkleid, bestickt mit einer Unzahl großer und kleiner Perlen, dazu eine rote Samtrobe mit einem ärmellosen schwarzen Überkleid, das an den Seitennähten mit Goldstickerei versehen war, eine dreifache Kette, zwei Goldkreuze mit eingefaßten Diamanten und Rubinen, und eine saphirbesetzte Schließe, von der eine riesige, birnenförmige, matt schimmernde Perle baumelte.
Caterina staunte über all diesen Reichtum, der nun ihr gehören sollte. Am liebsten hätte sie augenblicklich eins der Kleider angezogen, aber Bona erklärte, sie müsse erst hineinwachsen, und fügte in leicht neidischem Ton an: »Mir würden sie sicher passen, wäre ich nicht in anderen Umständen.«
Als die engere Familie mit dem Gast am späten Abend noch plaudernd vor dem Kamin saß, fiel der Blick des Papstneffen auf das Wappen der Sforza. »Unser Wappen ziert eine Rose«, sagte er bedeutsam zu Caterinas Vater, »die Rose der Liebe, Symbol des von Christus vergossenen Bluts, Zeichen der ecclesia militans.« Mit einer schwungvollen Kopfbewegung wandte er sich dann an Caterina: »Du hast heute morgen so wohlgesetzte Worte über die Götter und über die Liebe gesagt, nun verrate mir, was das Wappen der Sforza bedeutet: Ich sehe eine Schlange, die ein Kind verschlingt!«
Es wurde still vor dem Kamin.
»Du wirst es sicher wissen, meine Kleine.«
Caterina ärgerte sich über den herablassenden, gönnerhaften Ton. »Natürlich weiß ich es«, antwortete sie. »Die Schlange verschlingt das Kind nicht; im Gegenteil: ihrem Kopf entspringt ein Kind – so wie die griechische Göttin Athene dem Kopf ihres Vaters Zeus entsprungen ist.«
Der Römer lächelte spöttisch: »Soso! Ich hätte die Schlange für eine gefräßige Natter gehalten.« Als er sah, wie das Gesicht des Herzogs vereiste, fügte er rasch an: »Aber du hast recht: Schlangen symbolisieren vielerlei ... Eva und die Schlange, die Schlange des Asklepios ... Eure Schlange soll vermutlich Fruchtbarkeit bedeuten. Ich bin beeindruckt.« Er nickte. »Jeder Mann wird sich freuen über eine Frau, die so klug und kämpferisch ist wie Pallas Athene und so fruchtbar wie ... wie der Göttervater.«
»Und früher, bei den Visconti, das hat mir meine Großmutter erzählt«, fiel ihm Caterina ins Wort, »war die Schlange ein Drachen, der all seine Feinde frißt.« Sie schaute ihren zukünftigen Gemahl triumphierend an.
Als hätte er ihre Worte nicht gehört, trank er einen großen Schluck Wein und ließ seinen Blick lange auf Caterina, dann auf dem Wappen ruhen: »Die Schlange und die Rose, was für eine Verbindung!«
Caterina war froh, als sie sich zurückziehen durfte. Nach dem Entkleiden wies sie Rosaria an, ihr die neuen Kleider überzuziehen. Sie ließ sich einen Spiegel aufstellen und betrachtete sich: Tatsächlich mußte sie noch in die schwere Brokat- und Perlenrobe hineinwachsen. Aber ihr Vater und der Papstneffe hatten ja lediglich das Eheversprechen unterzeichnet; erst in zwei Jahren erreichte sie das ehefähige Alter.
Caterina schlüpfte wieder aus ihren Roben und ließ Rosaria sie anprobieren. Rosaria nahmen sie jedoch die Luft, und außerdem schleiften sie über den Boden. Die beiden Mädchen kicherten über den ungewohnten Anblick, falteten schließlich die Kleider sorgfältig zusammen und verstauten sie in Caterinas Truhe. Einen Augenblick standen sie sich im halboffenen Hemd gegenüber, mit nackten Füßen. Rosaria lächelte Caterina an, ein wenig verschämt, ja, schuldbewußt. Obwohl Rosaria nicht älter als sie war, hatte sie bereits den Körper einer richtigen Frau und entwickelte offensichtlich den milchspendenden Reichtum ihrer Mutter, denn ihre Brüste prangten in unübersehbarer Fülle. Dafür war sie nahezu einen Kopf kleiner als sie und noch rundlicher als Bona. Ihre Haare waren so dunkel, wie Caterinas Haare blond waren. Ihre Augen glänzten wie schwarze Knöpfe, Caterinas bernsteinfarbene Augen dagegen zierten nur dunkle Pünktchen.
»Wir dürfen uns nie trennen«, flüsterte Caterina und umarmte Rosaria, »versprichst du es mir?« Sie fühlte eine vertraute Wärme. Früher hatten sie immer gemeinsam in einem Bett geschlafen, aber seit einiger Zeit unterließen sie es, weil sie so etwas wie Scham verspürten.
»Und wenn ich heiraten will?« flüsterte Rosaria zögernd.
»Du wirst schon nicht heiraten!« Caterina löste sich von ihr. »Und wenn, dann bleibst du trotzdem bei mir. Wir kriegen gemeinsam Kinder, und du wirst die Amme!«
Rosaria lächelte, schaute sie trotzdem ganz seltsam an.
Bevor Caterina sich endgültig schlafen legte, kniete sie vor dem Bild der gnadenreichen Jungfrau und betete das Ave Maria. Aber sie achtete kaum auf die Worte, denn sie sah die Geschehnisse des Tages noch vor sich. Das Bild des Römers verschwand ständig hinter dem Gelächter über ihren Versprecher. Zur Zeit konnte sie sich nicht vorstellen, mit ihm zusammenzuleben und Kinder zu bekommen. Bevor sie schwanger wurde, mußten sie jedoch die Ehe vollziehen. Genau dies konnte sie sich noch weniger vorstellen. Wie würde er sich ihr nähern? Und wie sie küssen?
Caterina spürte, wie sie errötete, und legte sich ins Bett. Ihr Herz pochte laut, sie sah zerwühlte Kissen vor sich, zerrissene Hemden, schließlich weiche Wiesenplätzchen im Schatten eines blühenden, duftenden Jasminstrauchs ... Sie wollte an ihren Girolamo denken, den Duft der Pinie atmen und sein Bild in ihre Arme holen. Es gelang ihr jedoch nicht; immer wieder entschwand ihr Geliebter.
Girolamo Riario schien es in Mailand zu gefallen. Gegen alle Erwartung reiste er nach dem Abschluß der Verlobungszeremonien nicht ab, sondern ging erst einmal mit dem Herzog auf die Jagd. Dann zogen sich die beiden Männer mit Kanzler Simonetta, dem Erzbischof und den Gesandten von Florenz, Mantua und Venedig zurück, um politische Fragen zu erörtern. Caterina waren Reit- und Fechtübungen untersagt und weiblichere Tätigkeiten anempfohlen worden. Der Musiklehrer erschien häufig. Meist kam er, leicht erhitzt, aus den Gemächern ihrer Stiefmutter, der er nicht nur das Lautespiel und das Singen beizubringen versuchte, sondern auch das Spiel an einem neuerstandenen Spinett.
Nach der Musikstunde durfte Caterina mit Fra Lauro im Park spazierengehen. Dabei informierte er sie darüber, daß die Verbindung mit dem Papstneffen weit über ein Heiratsversprechen hinausgehe. »Girolamo Riario wurde die kleine Mailänder Grafschaft Bosco verliehen, er darf sich jetzt Graf nennen. In erster Linie geht es aber um die strategisch bedeutende Stadt und Grafschaft Imola an der Via Emilia. Obwohl sie ein Lehen der Kurie ist, hat dein Vater sie seinem Herrschaftsbereich einverleibt und wollte sie für hunderttausend Dukaten an Florenz verkaufen, an seinen alten Freund Lorenzo de’ Medici.«
Bei dem Namen Medici horchte Caterina auf. Die unvergeßliche Prunkreise nach Florenz! Die Tage voller Gelächter und Spaß, mit all den charmanten Menschen und dem schönen Giuliano!
»Natürlich hat der Papst protestiert, weil er Imola als sein Gebiet betrachtet«, fuhr Fra Lauro fort.
Caterina schaute ihn mit wachsender Neugierde an, denn sie vermutete, daß der Beichtvater ihr die politischen Schachzüge des Vaters nicht ohne Grund berichtete.
»Dein Vater wünscht sich eine enge Beziehung zum Heiligen Stuhl, was er soeben durch die Verlobung unterstrichen hat, und möchte daher den Papst nicht vor den Kopf stoßen. Er ist daran interessiert, daß du nicht nur eine Gräfin wirst, sondern daß auch sein Schwiegersohn in der Geschichte Italiens eine wichtige Rolle übernimmt. Kurz, Imola soll für vierzigtausend Dukaten an den Heiligen Stuhl zurückgegeben werden, genauer: an die Familie Riario verkauft. Ja, man denkt bereits weiter: Forlì, das in der Nähe von Imola ebenfalls an der Via Emilia liegt, soll mit Imola vereinigt werden, wenn die dort herrschenden Ordelaffi vertrieben sind. Dann kontrolliert dein zukünftiger Gemahl den Kreuzungspunkt zweier wichtiger Verkehrswege. Dies verspricht politischen Einfluß und Zolleinnahmen.«
Fra Lauro machte eine kurze Pause. »Mein Kind, weißt du, was dies bedeutet?«
Caterina blieb ruhig. »Ich werde einmal Gräfin von Imola und Forlì.«
»Ja, so sieht es aus«, sagte Fra Lauro in einem Anflug von Begeisterung.
»Aber warum gibt mein Vater Imola nicht für hunderttausend Dukaten an Florenz und verheiratet mich mit Giuliano de’ Medici. Das wäre der bessere Handel, außerdem bände er Florenz noch enger an Mailand und seinen Freund Lorenzo an die Familie Sforza. Eine untrennbare Liga zwischen Mailand und Florenz wäre die stärkste Macht in Italien.«
Fra Lauro zog seine Augenbrauen erstaunt in die Höhe. »Ich hatte dich bisher für eine verliebte Amazone gehalten, aber daß du strategisch und gleichzeitig kaufmännisch denkst ...«
»Wenn ich schon irgendeinen Mann heiraten soll, den ich nicht liebe, warum dann nicht einen, den ich bewundere ...«
Fra Lauro schüttelte den Kopf. »Du kennst doch den Medici gar nicht ...«
»Ich kenne ihn sehr wohl! Ich erinnere mich noch gut an unseren Besuch in Florenz. Wir sind mit einem riesigen Troß in die Toskana gezogen. Allein zweitausend Jagdhunde waren dabei, und die Falken ... Überall sprangen Zwerge und Spaßmacher herum und machten ihre Faxen. Ich habe während des Besuchs kaum geschlafen. Einmal habe ich mich übergeben, weil mir die Füllung eines Pfaus nicht bekam, ich mußte im Haus bleiben und sollte auf einen vierjährigen Jungen der Medici aufpassen, Giovanni hieß er, glaube ich, er war ein hübscher Junge, aber ich wurde rasch wieder gesund. Außerdem erinnere ich mich an die Tänze. Giuliano hat mich einmal geführt, obwohl ich noch keine Schritte beherrschte, er trug mich regelrecht über die Tanzfläche ...«
Fra Lauro blieb stehen und schaute ihr forschend in die Augen. »Ich dachte«, sagte er leise, »du liebtest deinen Reitlehrer?«
»Das tue ich auch«, antwortete sie, nicht ohne zu erröten. »Aber warum soll ich meinen Girolamo nicht lieben können und trotzdem einen Mann heiraten, der Mailand viel Geld bringt?«
»Ja, wenn du es so siehst ...« Fra Lauros Stimme wurde rauh. »Die Liebe ... bringt jedoch bisweilen Unglück. Natürlich hast du recht, aber ... Giuliano de’ Medici wird bereits einem anderen Mädchen versprochen sein.«
»Wem?« fragte sie mit erhöhter Stimme.
»Ich weiß es nicht.«
Er hatte sich abgewandt und schaute den Weg entlang. Nach einer Weile wandte er sich wieder Caterina zu. »Es ist auch gleichgültig. Du bist soeben mit dem zukünftigen Grafen von Imola und Forlì verlobt worden. Und daran ist nicht mehr zu rütteln.«
Girolamo Riario reiste noch immer nicht ab. Wieder zogen die Männer auf die Jagd. Caterina sah tagelang weder ihren Vater noch ihren Verlobten. Kaum waren die beiden jedoch ins Castello zurückgekehrt, wurde Caterina zu ihrer Stiefmutter gerufen, die ihr mit wirren Worten all das berichtete, was sie bereits von Fra Lauro wußte.
»Aber es geht noch um etwas anderes«, fuhr Bona fort.
Die Art, wie sich die Stiefmutter verhielt, machte Caterina nervös. Schließlich erfuhr sie, was ihr den Atem nahm.
Bevor der Römer, ihr Verlobter, wieder nach Hause zurückkehrte, wünschte er, mit seiner Braut und zukünftigen Gemahlin die Ehe zu vollziehen.
Caterina wollte nicht glauben, daß sie dem Römer bereits jetzt ins Bett gelegt werden sollte.