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Popper kritisiert in seinem Buch "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" geschlossene totalitäre Systeme. Der Autor arbeitet im Detail die Situation in der Subgesellschaft Schule und Bildung auf. Er zeigt, wie das Schulsystem alleine durch seine Konzeption eher ein geschlossenes System ist, und grundsätzlich eine schließende Tendenz hat. Er zeigt auf, wer die 'Feinde' eines offenen toleranten Bildungssystems sind: Systemerhalter, Ideologie, Religion und Parteipolitik, staatliche Finanzierung, Zentralismus, Hierarchie, Bürokratie und Überplanung, nationale Lehrpläne, Lehrinhalte etc. Der Autor kritisiert aber nicht nur das herrschende Bildungssystem sondern bietet Ansätze für eine Verbesserung und Öffnung an. Er behandelt die philosophischen Grundlagen eines offenen toleranten Bildungssystems: Bildungsevolution kontra Bildungsplanung, Chancen- und Förderungsgleichheit für alle Schüler etc. Die organisatorischen Grundlagen für ein offenes tolerantes Bildungssystem werden dargestellt, wie rechtliche und wirtschaftliche Grundlagen, Wettbewerb zur Qualitätssteigerung, Nachhilfeunterricht und Sitzenbleiben als Symbol des Scheiterns des staatlichen Schulsystems etc. Ein spezielles Kapitel behandelt die Situation und Entwicklung an den Universitäten.
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Seitenzahl: 213
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die dazu beigetragen haben,
dass dieses Buch erscheinen konnte.
Ich widme dieses Buch allen Menschen,
die sich nicht vorschreiben lassen wollen,
was sie glauben sollen.
Vorwort
Die offene Bildungsgesellschaft
Die Bedeutung von Bildung für eine Gesellschaft
2.1 Das Bildungssystem als Subsystem der Gesellschaft
2.2 Die Reproduktion einer Gesellschaft durch ihr Bildungssystem
2.3 Bildung in einer geschlossenen Gesellschaft
2.4 Die Entstehung geschlossener pädagogischer Systeme
2.5 Kollektiv herrscht über Individuum oder: Autonomie und Individualität als Störfaktoren
2.6 Die Systemerhalter als Feinde oder: der Lehrer als Erfüllungsgehilfe und Opfer
2.7 Ideologie, Religion und Parteipolitik als Feind
2.8 Die staatliche Finanzierung als Feind
2.9 Zentralismus, Hierarchie, Bürokratie und Überplanung als Feind
2.10 Nationale Lehrpläne und Lehrinhalte als Feind
2.11 Lebensferne Lehrerausbildung als Feind
2.12 Die neue Rechtschreibung als Ausdruck eines geschlossenen Bildungssystems
Philosophische Grundlagen eines offenen toleranten Bildungssystems
3.1 Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Toleranz
3.2 Eine offene Gesellschaft benötigt ein offenes Bildungssystem
3.3 Bildungsevolution kontra Bildungsplanung
3.4 Freiheit von Forschung und Lehre an allen Schulen
3.5 Chancen- und Förderungsgleichheit für alle Schüler
3.6 Das falsche Prinzip des Fehlerzählens
3.7 Emotionales Lernen
Organisatorische Grundlagen eines offenen toleranten Bildungssystems
4.1 Rechtliche Grundlagen
4.2 Die Organisation eines offenen toleranten Bildungssystems
4.3 Wirtschaftliche Grundlagen
4.4 Wettbewerb zur Qualitätssteigerung des Bildungssystems
4.5 Nachhilfeunterricht als Symbol des Scheiterns des staatlichen Schulsystems
4.6 Der dynamisch Prozess des Öffnens
4.7 Qualitätsentwicklung an österreichischen Schulen – der Prozess des Öffnens beginnt
Die Situation an den Universitäten
5.1 Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre
5.2 Die Verschulung der Universitäten
5.3 Die Theologie hat an den Universitäten nichts verloren
5.4 Der Bologna-Prozess
5.5 Die Vorstufen zum Bologna-Prozess
5.6 Die Magna Charta der Universitäten – 1988
5.7 Die Sorbonne-Erklärung – 1998
5.8 Die Bologna-Erklärung – 1999
5.9 Prager Kommuniqué – 2001
5.10 Berliner Kommuniqué – 2003
5.11 Bergener Kommuniquè – 2005
5.12 Londoner Kommuniqué – 2007
5.13 Leuvener Kommuniqué – 2009
5.14 Erklärung von Budapest und Wien – 2010
5.15 Bukarester Kommuniqué – 2012
5.16 Jerewan-Kommuniqué – 2015
5.17 Ministerkonferenz in Paris – 2018
5.18 Treffen Bologna – 2019
5.19 Rom Kommuniqué – 2020
5.20 Kritik des Bologna-Prozesses
5.21 Zusammenfassung des Bologna-Prozesses
5.22 Das Problem der Peer-Reviews
5.23 Staatliche Förderungen und private Gewinne
Zusammenfassung und Ausblick
Kurz nach Karl Raimund Poppers Tod (17.09.1994), als in einem Nachruf eine seiner Hauptaussagen aus seiner Philosophie sinngemäß wiedergegeben wurde: „Jede Ideologie, die den Menschen das Himmelreich auf Erden versprochen hat, hat ihnen noch die Hölle beschert“1 begann ich mit meinen Studien zur Philosophie von Karl Popper. Sie wurden erstmals im Jahr 1998 in einer kleinen Auflage als Privatdruck veröffentlicht und umfassten damals vierhundert Seiten. In den letzten gut zwanzig Jahren habe ich diese immer wieder überarbeitet und ausgebaut, sodass sie inzwischen auf über tausend Seiten angewachsen sind. Ich bringe diese Studien zur Philosophie von Karl Popper in einer erweiterten Neuauflage als dreibändiges Werk wieder heraus. So haben die drei Hauptgebiete jeweils genügend Raum, um halbwegs erschöpfend behandelt zu werden.
Band 1:
Die offene tolerante Bildungsgesellschaft
und ihre Feinde
Poppers Gesellschaftskritik mit Blick auf das Bildungssystem
Band 2:
Eine kritische Betrachtung der Theorien
von Karl Raimund Popper
Weiterentwicklung des »kritischen« zum »toleranten« Rationalismus
und der »offenen« zur »offenen toleranten« Gesellschaft
Band 3:
Die offene tolerante Gesellschaft mit
humankapitalistischer Marktwirtschaft
Entwurf einer neuen gerechteren Wirtschafts- und
Gesellschaftsordnung basierend auf Volks-Souveränität,
individueller Freiheit und minimaler staatlicher Intervention
Durch den oben zitierten Ausspruch von Popper über die Auswirkungen der oft hehren Ziele von Ideologien wurde mir plötzlich klar, dass seine Anschauungen von offenen und geschlossenen Gesellschaften nicht nur auf die Gesellschaft im Ganzen angewandt werden können, sondern genauso gut auch für Teilbereiche derselben. Und da war es dann nur ein kleiner Schritt zum Bildungs- bzw. Schulbereich bis hin zur univeritären Lehre und Forschung.
So war also der Ausgangspunkt für diese Arbeit die Frage: Ist unser Bildungswesen ein offenes oder geschlossenes System? Es zeigte sich nach kurzer Beschäftigung, dass es weit eher einem geschlossenen System entspricht als einem offenen. Daher formulierte ich damals den Titel angelehnt an Poppers Buch »Die offene Bildungsgesellschaft und ihre Feinde« (heute ist dies der Band 1), denn es gibt – so meine Hypothese – Kräfte, die nicht an einer Öffnung der Schule und des Bildungsbereiches interessiert sind, bzw. diese geradezu verhindern. Ich habe sie daher wie Popper als die Feinde des Systems bezeichnet. Persönlich betrachte ich sie nicht als Feinde, weil ich der Überzeugung bin, dass viele von ihnen ihre Position absolut nicht in schlechter Absicht, sondern ganz im Gegenteil ehrlich in subjektiv bester Absicht vertreten und durchsetzen.
Das Werk »Die offene Gesellschaft und ihre Feinde« ist nun über achtzig Jahre alt (Popper begann es am 13. März 1938 in Neuseeland zu schreiben, an dem Tag, an dem er vom Einmarsch Hitlers in Österreich hörte).2 Es ist eine fundamentale Kritik von geschlossenen Systemen, besonders von totalitären Gesellschaftssystemen. Diese seine Kritik hat in der sogenannten westlichen, freien Welt im Laufe der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, abgesehen von Marxisten, weitestgehende Anerkennung erlangt und stellt Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts fast schon eine Selbstverständlichkeit im politischen Alltag dar.
Alle westlichen und nach der Wende im Ostblock im Jahr 1989 auch praktisch alle ehemaligen kommunistischen Staaten betrachten oder bezeichnen sich als offene Gesellschaften im Sinne Poppers. Zugegeben, viele Restriktionen, denen Bürger des ehemaligen Ostblocks ausgesetzt waren, sind dreißig Jahre nach dem Zerfall des Ostblocks für diese nicht mehr vorhanden. Ihre Gesellschaften haben sich merklich geöffnet. Auch nationale Grenzen, welche westliche Bürger in ihrer Freiheit teilweise einschränkten, sind im Zuge der EU-Integration in den letzten Jahren durchlässiger geworden und fallen durch das Schengener Abkommen komplett weg.
Diese Tatsache könnte fast zu der Meinung führen, dass für einen großen Teil der Menschheit bereits kurz nach Poppers Tod seine Vision einer offenen Gesellschaft in vielen Staaten der Erde weitgehend verwirklicht sei. Tatsache ist allerdings, dass gerade in den letzten beiden Jahren der so genannten Corona-Pandemie in fast allen Ländern der Welt eine derart dramatische Einschränkung von Grundrechten ohne effektive wissenschaftliche Evidenz verfügt wurde. Diese Maßnahmen sind durchaus in vielen Bereichen bereits vergleichbar mit den Zuständen in China, der Sowjetunion oder den faschistischen Diktaturen in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Daher muss man eigentlich sagen, dass wir aktuell kurz vor einer Eine-Welt-Diktatur stehen, beherrscht von den globalen Konzernen von Big-Tech, Big-Data, Big-Pharma, Big-Media und Big-Finance.
Ein Großteil der weltweiten so genannten politischen und wirtschaftlichen Eliten haben sich von Klaus Schwab und seinem World-Economic-Forum, von Bill Gates und seiner Stiftung, von Zuckerberg, Soros oder der Kommunistischen Partei Chinas kaufen lassen, oder sind mit deren finanzieller Hilfe an die Macht gekommen. Sie dienen nicht mehr ihrem Volk, dem wirklichen Souverän, sondern nur noch der globalen bzw. globalistischen Agenda. Sehr deutlich zeigt sich das spätestens seit der Migrationskrise 2015, der Coronakrise 2020/21 und der gerade gepuschten Klimakrise (Hochwasser im Ahrntal!) und der damit zusammenhängenden fahrlässigen Untätigkeit der Bundesregierung in Berlin. Zu dieser globalen und globalistischen so genannten Elite gehören bzw. gehörten in Deutschland die weitgehend autokratisch regierende Angela Merkel sowie Jens Spahn und die speziell von den Medien gehypte Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, in Frankreich Emmanuel Macron und Sebastian Kurz in Österreich.
Wenn es noch einen Beweis bedurfte, dass sich die politische Klasse im Land von der Realität abgekoppelt hat, dann hat diesen die Flutkatastrophe erbracht. Die Eliten sehen ihre Hauptaufgabe offensichtlich nicht darin, dem Land und dem eigentlichen Souverän zu dienen, sondern in der Umerziehung des Bürgers mit allen Möglichkeiten. Gleichzeitig wurde diesem Staat jegliche Kriesentauglichkeit geraubt.3*
Ich bin nun aber grundsätzlich der Ansicht, dass es weder eine absolut »geschlossene« noch eine absolut »offene« Gesellschaft gibt, sondern, dass man, den Gegebenheiten besser entsprechend, einerseits von relativ »geschlossenen« bzw. relativ »offenen« Gesellschaften und andererseits von Prozessen des Öffnens bzw. des Schließens sprechen müsste. Meiner Meinung nach wäre es sinnvoller, Gesellschaften zu vergleichen und festzustellen, welche von beiden (relativ) offener ist als die andere; oder innerhalb einer Gesellschaft zu untersuchen, welche Bereiche offener und welche geschlossener sind.
Einer jener Bereiche, der in praktisch allen Gesellschaften (oder Staaten) nach wie vor mit zu den geschlossensten zählt, sogar einer der geschlossensten ist, ist der Bereich der Bildung und Erziehung, speziell der Bereich der Schulen. Da ich Österreicher bin, werde ich natürlich bei der konkreten Betrachtung der Problematik besonderes Augenmerk auf die Schul- und Bildungssituation in Österreich werfen. Allerdings ist die Situation in Deutschland in weiten Teilen absolut vergleichbar.
Schon im § 2 (1) des österreichischen Schulorganisationsgesetzes finden wir einen Schlüsselsatz, der auf der einen Seite so selbstverständlich klingt, dass ihn vermutlich jeder Staatsbürger, vor allem aber jeder, der mit Schule und Bildung zu tun hat, sofort vollinhaltlich unterschreiben würde, der aber andererseits praktisch einen Rückgriff auf Platon darstellt, dessen Bestimmung der höchsten Ideen den Schlussstein seiner totalitäre Staatsidee bildet. Dieser Satz lautet:
Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken.4
In kleinen Sozialsystemen (Familien) gibt es ein typisches Problem einer geschlossenen Gesellschaft. Die Eltern wollen (fast immer) »das Beste« für ihre Kinder. Dass dieses »Beste« diese aber oftmals in ihrer eigenständigen Entwicklung mehr oder weniger behindert, erkennen die Eltern kaum, oder wollen es nicht erkennen. In großen Sozialsystemen (Gemeinden, Länder, Staaten, EU) wollen die Politiker, zumindest in ihren Äußerungen und Stellungnahmen ebenfalls (fast immer) »das Beste« für die Erziehung und Bildung der Jugend, weil es gesellschaftlich absolut unbestritten ist, dass eine bessere Bildung bzw. Ausbildung für das Wohl aller Staatsbürger und des Staates ausschlaggebend ist. Diese zweifelsohne richtige Diagnose führt leider in der Praxis häufig zu einer kontraproduktiven, nämlich zentralistischen Zwangsbeglückung.
Kein Lehrer kann jemals einem Schüler etwas beibringen, wenn dieser nicht ein Mindestmaß an Motivation, Interesse und Lernbereitschaft mitbringt. Meiner Meinung nach ist – insofern dies nicht schon vorhanden ist – nur die jeweilige Fachkraft in der Lage aber auch dazu verpflichtet, in den Schülern und Studenten das Interesse und die Begeisterung für ihr Fach zu wecken. Wer das nicht schafft, ist fehl an diesem Platz. Gerade aber dieses Schulsystem, das in vielen Fällen den Schülern Antworten auf nichtgestellte Fragen gibt, dafür aber die Fragen, die sie haben, leider oft unbeantwortet lässt, ist demotivierend und wirkt sich damit wiederum negativ aus im Sinne des Gesetzes der ungewollten Nebenwirkungen in der Erziehung, wie sie Spranger5, in Anknüpfung an Wundt6, beschreibt.
Ich möchte in den vorliegenden Studien zeigen, wie sich Platons Gedanken und Ideen eines idealen Staates auf die heutigen Bildungsgesellschaften im Allgemeinen und auf die Schul- und Bildungssysteme im Besonderen auswirken. Gerade die Coronakrise hat diese autoritäre diktatorische Vorgangsweise in den Schulen und Universitäten wieder eklatant aufgezeigt. Ich erwähne hier nur das gesundheitsschädliche Tragen von Atemschutzmasken, die laut Zulassung keinen Virenschutz bieten, die Verwendung von nicht aussagekräftigen Schnelltests, die teilweise nicht einmal für Kinder und Jugendliche zugelassen sind, Homeschooling und Telelearning, Klassenteilungen und Unterbinden fast aller sozialen Kontakte sowie permanentes Lüften, auch dann, wenn keine einzige Person positiv getestet, geschweige denn wirklich erkrankt ist. Übrigens, es ist wissenschaftlich-medizinisches Grundwissen, dass jede Krankheit mit Symptomen einhergeht, asymptomatische Kranke gibt es ebensowenig, wie die wannenlose Badewanne von Daniel Düsentrieb.
Im Zuge der Beschäftigung mit den Theorien Poppers begann ich eine zunehmend kritischere Haltung einzunehmen, weil ich bemerkte, dass z.B. die Falsifizierung von (wissenschaftlichen) Aussagen nicht der Realität der Forschungspraxis entspricht und andererseits die Rigidität, mit der Popper diese verlangt, diese selbst zu Fall bringen kann. Ich erkannte dies am »Vierklee-Dilemma«. 7
Dies führte dazu, dass ich auch den »Kritischen Rationalismus« Poppers selbst einer kritischen Prüfung unterzog. Diese Studien sind jetzt im Band 2 dieser Reihe enthalten. Ich stellte dabei fest, dass die Falsifikation Poppers ein Fall unter mehreren möglichen ist. Daher erstellte ich in einem größeren Rahmen ein logisches System, in welchem und mit welchem klar ist, unter welchen Bedingungen eine Hypothese „sicher falsch“, „sicher wahr“, „vorläufig falsch“ und „vorläufig wahr“ ist.
Weiters zeige ich auf, dass ich mit Hilfe der Falsifikation einerseits eine Hypothese immer wahrheitsähnlicher formulieren kann, dass ich damit aber ähnlich wie bei der Heisenberg’schen Unschärferelation8 andererseits oft die praktische Anwendbarkeit einbüße. Mit Hilfe des »Generalitätsaxioms« versuche ich dieses Dilemma zu lösen.
Die weitere Entwicklung ging während der Beschäftigung mit dieser Arbeit dahin, dass es für mich nicht zufriedenstellend war, nur die Theorien Poppers wiederzugeben und zu kritisieren. Meine Gedanken beschäftigten sich immer mehr mit der für mich unbefriedigenden Situation, dass es eine zunehmende Zahl von unterschiedlichen Philosophien gibt, die einander teilweise oder sogar gänzlich widersprechen. Dies alleine müsste bereits ausreichen, um alle (bis auf maximal eine, die Frage ist nur welche?) als falsifiziert zu verwerfen.
Aber selbst der »kritische Rationalismus«, der eigentlich das Instrument zur Prüfung der Richtigkeit von Theorien sein sollte, erwies sich ebenso wenig praktikabel. Offensichtlich gibt es bei jeder Theorie unzählige Beispiele, die ihre Gültigkeit bestätigen, aber ebenso Beispiele, die sie falsifizieren. So war es mein Bestreben, einen theoretischen Rahmen zu finden, der so weit gespannt und umfassend ist, dass alle Theorien darin Platz haben. Daher habe ich versucht, den »kritische Rationalismus« zu einem »toleranten Rationalismus« auszuweiten.
Da die Realität aus meiner Sicht eine ganzheitliche ist, habe ich diesen »holistischen Realismus« untersucht. Er macht verständlich, warum auch einander widersprechende Theorien eine Berechtigung haben und warum sogar falsifizierte Theorien nicht nur nicht – wie Popper es verlangt – zu verwerfen, sondern praktikabel sind und auch tatsächlich angewandt werden. Ich zeige weiters, dass die Realität eine »fraktale« Struktur hat, d.h. dass es eine vielschichtige, mehrdimensionale Vielfalt gibt, bei der sich ähnliche Strukturen im Kleinen wie im Großen finden lassen.
Gerade dieser Ansatz schafft den Rahmen und Platz für die unterschiedlichsten Theorien. Auch hier gilt der Satz: Das Ganze (die Gesamtheit aller Theorien) ist mehr als die Summe seiner Teile.
Ähnlich, wie beim »kritischen Rationalismus«, ist auch die Situation bei Poppers Theorie der »offenen Gesellschaft«. Ich habe oben gezeigt, dass die Demokratien, wie sie heute tatsächlich existieren, einerseits oft selbst starke schließende Züge aufweisen und dass sie keineswegs den nicht mehr zu überbietenden Zustand einer offenen Gesellschaft darstellen. Ich habe aber auch andererseits gezeigt, dass dieses permanente Falsifizieren, Modifizieren und Verwerfen Sicherheit und Stabilität untergräbt, und damit selbst zu einem enormen Störfaktor werden können. Daher finde ich, dass es notwendig ist, die »offene Gesellschaft« von Popper zur »offenen toleranten Gesellschaft« auszubauen. Diese Studien finden sich jetzt im Band 3.
Jede Gesellschaft benötigt sowohl ein gewisses Maß an Stabilität als auch an Sicherheit in den allgemein anerkannten Grundlagen des Sozialgefüges. Die Toleranz muss sich daher generell auf alle Lebensbereiche erstrecken. Es kann nicht mehr Ziel sein, die „wahre Gesellschaftsordnung“ zu definieren, zu errichten oder zu erhalten. Ziel der »offenen toleranten Gesellschaft« muss es sein, jegliche Form von Herrschaft zu minimieren und jede Art von Selbstbestimmung bzw. Selbstverantwortung zu maximieren.
Im Laufe der Beschäftigung mit den unterschiedlichen Gesellschaftstheorien bin ich auch zum Schluss gekommen, dass die offenen und die geschlossenen Gesellschaften nicht die zwei Pole oder Extreme aller möglichen Gesellschaftsformen sind, wobei die geschlossene die schlechteste und die offene die beste Variante ist.
Ganz im Gegenteil, aus meiner Sicht ist der Gegenpol zur geschlossenen Gesellschaft die Anarchie. Die offene tolerante Gesellschaft finden wir dann genau in der Mitte zwischen den beiden Extremen. Dabei handelt es sich hier immer um einen absolut fragilen und labilen Gleichgewichtszustand, der jederzeit sowohl in die eine als auch in die andere Richtung abgleiten kann.
Es erfordert eine permanente Aufmerksamkeit, damit ein mögliches Abgleiten schon frühzeitig erkannt und verhindert werden kann. Einerseits gibt es immer Gruppen, die in die eine Richtung ziehen, und gleichzeitig auch immer Gruppen, die in die gegenteilige Richtung ziehen. Den chaotischen anarchistischen Menschen ist die offene tolerante Gesellschaft immer noch viel zu geregelt, den Möchte-gerne-Diktatoren ist diese aus ihrer Sicht noch immer viel zu freizügig und ungeregelt.
Ein wesentlicher Schlüssel dazu ist u.a. eine Änderung des Wahlsystems. Das Volk, also die wahlberechtigten Bürger als Souverän müssen wesentlich mehr in Entscheidungsfindungen eingebunden werden und andererseits auch viel mehr direkt entscheiden dürfen, statt durch für eine Legislaturperiode gewählte Parteienvertreter repräsentiert zu werden, die zwar offiziell nur ihrem Gewissen und ihren Wählern verpflichtet sind. Tatsächlich zeigt sich aber leider viel zu oft, dass sie die Interessen der Lobbyisten wesentlich häufiger umsetzen als die des Volkes.
Ich habe den Titel dieses Buches, »Die offene tolerante Bildungsgesellschaft und ihre Feinde«, wie oben erwähnt, deshalb gewählt, weil ich der Meinung bin, dass es im Bildungs- und Schulbereich aufgrund der historischen Entwicklung zu einem weitgehenden Schließen des Systems gekommen ist, dass aber andererseits im viel zitierten Zeitalter der Globalisierung eine Öffnung, gerade auf diesem Sektor, unumgänglich sei.
Genauso wie die Umsetzung der Idee der »offenen Gesellschaft« im politischen Bereich zu einer Verbesserung geführt hat, wird es diese auch im Bildungsbereich geben müssen. Je früher und je beherzter eine Gesellschaft diesen Schritt des Öffnens macht, desto schneller wird sich auch hier ein positiver Effekt auswirken. Leider muss ich rückblickend feststellen, dass sich in den letzten gut 25 Jahren die Situation nicht wesentlich verbessert hat.
Ganz im Gegenteil, hat sie sich während der Corona-Krise – wie auch in vielen anderen Bereichen – eher verschlechtert.
Ich möchte diese Arbeit aber nicht nur als eine Fundamentalkritik sehen. Damit es auch eine positive Perspektive für die Zukunft gibt, habe ich sie mit einem allerdings nicht allzu ausführlichen Konzept für ein offenes Bildungssystem abgeschlossen, wobei ich sowohl die philosophischen, als auch die organisatorischen Grundlagen eines offenen toleranten Bildungs-bzw. Gesellschaftssystem beschreibe.
Ich bin mir bewusst, dass ich im Rahmen dieser Arbeit kein neues Schul- oder Gesellschaftssystem bis ins Detail ausarbeiten und darstellen kann. Ein solches wäre an sich bereits wiederum widersinnig, denn durch die Systematisierung wäre in ihm der Impuls zum Schließen schon enthalten. Es kann und wird nur ein Konzept sein, das zeigen soll, auf welche Faktoren ein besonderes Augenmerk gelegt werden muss, damit sich ein offenes tolerantes Schul-, Bildungs- und Gesellschaftssystem entwickeln kann und die oft zitierte Bildungsgesellschaft zu einer offenen und toleranten wird.
War ich zu Beginn dieser Arbeit (1994) eher pessimistisch, was den Zeithorizont für eine wesentliche Öffnung des Bildungssystems betraf, so ist in den darauffolgenden Jahren, in denen ich mich mit dem Thema intensiv auseinandersetzte, doch einiges in Österreich und in anderen Ländern in Bewegung gekommen. Die Hoffnung, dass eventuell gerade die angespannte budgetäre Situation das längerfristige Weiterführen des herrschenden, weitestgehend geschlossenen Schulsystems verhindert wird, hat sich leider als nicht sehr stark erwiesen.
Abschließend noch ein Zitat von Popper und eine Bemerkung zu meiner Grundhaltung der Arbeitsweise:
Er [Kant] hat ein Buch geschrieben, das großartige Ideen enthält, aber ein Problem angreift, das nicht lösbar ist, das auf einem Mißverständnis beruht. Er wollte zeigen, warum Newtons Theorie wahr ist (…) Das Ganze war eine unglückliche Situation, aus der ein zum Teil unverständliches oder sehr schwer verständliches Buch entstanden ist: die Kritik der reinen Vernunft. Durch und durch ehrlich, ein wunderbares Buch, aber sehr schwer verständlich. Er hat sein Problem nicht gelöst und auch nicht lösen können. Dadurch ist aber in Deutschland die Identifikation von Schwerverständlichkeit und Tiefe entstanden. Wenn etwas verständlich ist, dann hat es keine Tiefe – das ist die direkte, mißverständliche Folgerung aus diesem historischen Unglück.9
Als Konsequenz dieser Aussage habe ich versucht, diese Arbeit so zu schreiben, dass sie verständlich ist und Tiefe hat, denn Philosophie soll den Menschen helfen, das Leben zu verstehen und Probleme zu lösen, und soll nicht selbst das unverständliche und unlösbare Problem darstellen. Es soll für den interessierten Laien verständlich sein, aber auch den Fachleuten neue Einsichten, Ideen und Verbesserungsvorschläge vermitteln.
1 Popper: Das Elend des Historizismus, S. VIII: …[denn] die Hybris, die uns versuchen lässt, das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, verführt uns dazu, unsere gute Erde in eine Hölle zu verwandeln – eine Hölle, wie sie nur Menschen für ihre Mitmenschen verwirklichen können.
2 Erste Veröffentlichung des englischen Originals in London 1945, erste Veröffentlichung in Deutsch in Bern: Band I 1957, Band II 1958
3https://kopp-report.de/migration-corona-flut-die-politik-versagtin-jeder-krise/ Stefan Schubert: Migration, Corona, Flut: Die Politik versagt in jeder Krise. 2021-07-23
* Zitate sind immer in Kursivschrift wiedergegeben.
4 Bundesgesetz vom 25. 07 1962, BGBl. Nr. 242, über die Schulorganisation (Schulorganisationsgesetz)
* Hervorhebungen von mir
5 Spranger: Das Gesetz der ungewollten Nebenwirkungen in der Erziehung, Heidelberg, 1962
6 Wundt: Grundriß der Psychologie. Achte, verbesserte Auflage. Mit 23 Figuren im Text. Leipzig, 81907
7 Im Band 2 enthalten
8 Entweder ist der Impuls eines Elektrons bekannt, dann ist sein Ort ungenau bestimmt, oder umgekehrt
9 Popper; Lorenz: Die Zukunft ist offen. S. 104
Die Entwicklung des Menschen zeigt, vereinfacht dargestellt, folgende Stationen: die steinzeitlichen Gesellschaften der Sammler und Jäger, die nomadisierenden Hirtenvölker, die Ackerbaukulturen, die Industriegesellschaft und die postindustrielle Gesellschaft. Diese ist die erste, in der immaterielle Güter, nämlich Wissen, Information, Kommunikation, Beziehungen und Service im großen Stil nicht nur das Leben und die Wirtschaft beeinflussen bzw. bestimmen, sondern auch für einen immer größer werdenden Teil der Menschen auch die Arbeit ist, mit der sie ihr Einkommen erwirtschaften.
Niemals gab es in der gesamten menschlichen Evolution, soweit wir darüber Bescheid wissen, ein Zeitalter, das in so großem Maße von Wissen geprägt wurde wie das ausgehende zwanzigste und derzeitige einundzwanzigste Jahrhundert.
Die Entwicklung des Wissens hat in den letzten zweitausend Jahren eine exponentielle Entwicklung genommen: Nimmt man das gesamte Wissen zu Christi Geburt als Einheit, so geht man davon aus, dass es sich in ca. eintausendfünfhundert Jahren verdoppelt hat. Die nächste Verdoppelung wurde bereits nach zweihundertfünfzig Jahren erreicht (1750), dann in einhundertfünfzig Jahren (1900), fünzig Jahren (1950), zehn Jahren (1960), dann in sieben sechs usw. Und heute rechnet man mit 1 bis 1½ Jahren.10
Galt es noch vor wenigen Jahrzehnten, dass man am Ende der Schulzeit oder der Lehrzeit »ausgelernt« hatte, so spricht man heute bereits vom lebenslangen Lernen. Die Schul- oder Berufsausbildung ist eine notwendige, aber keine hinreichende Basis für beruflichen Erfolg, teilweise nicht einmal mehr für den Berufseinstieg.
Über das lebenslange Lernen gibt es von mir ein eigenes Buch, in welchem ich darstelle, dass sowohl dieses als auch das autonome Lernen bereits eine zweitausendjährige Tradition haben.11
Blättert man in den Medien, so ist die Wichtigkeit dieses Aspektes der Bildung nicht mehr zu übersehen:
Lernen fürs Leben – lebenslang lernen. Zum Thema: Die Erkenntnis der Experten – nur wer flexibel ist und sich ständig weiterbildet, sichert sein berufliches Einkommen – wirkt ernüchternd. Überdies gibt es keine Garantie mehr, den erlernten Beruf ein Leben lang ausüben zu können.12
Startschuß für das Bildungs-Zeitalter.13
Wie Sie es schaffen, in ihrem Job immer etwas besser als die anderen zu sein: Weiterbildung, die sie wirklich weiterbringt.14
Ungelernte vermehrt im Abseits. Entspricht unser Berufsbildungssystem den Anforderungen der Zukunft? 15
Bildungsalternativen gesucht. Rascher Wandel des Wissensstoffes erfordert lebensbegleitendes Lernen – Staat soll helfen.16
Nur wer lernt, gewinnt. Zwei Studien zum Thema „Lernende Organisation – Lernendes Unternehmen“.17
Think global – act local! Ob Krise oder Chance: Experten diskutieren die Auswirkungen der Globalisierung auf Bildung und Karriere.18
Dieser kleine Überblick zeigt sehr deutlich, dass die Bildung im ausgehenden zwanzigsten und beginnenden einundzwanzigsten Jahrhundert ein bestimmender Faktor im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben geworden ist, und dass es daher durchaus zulässig ist, von einer Bildungsgesellschaft zu sprechen.
Wenn wir den Bereich Bildung und Schule unter den Aspekten offen und geschlossen betrachten, so zeigt sich auf den ersten Blick, dass wir es hier mit zwei sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen zu tun haben. Auf der einen Seite mit den sehr homogenen Bereichen der Schulen und der Universitäten, die sich als weitgehend geschlossene Systeme darstellen, und auf der anderen Seite mit den sehr heterogenen Bereichen der postschulischen und betrieblichen Aus- und Weiterbildung, sowie der Erwachsenenbildung inklusive der Seniorenbildung, die weit weniger geschlossene, teilweise sogar relativ offene und flexible Systeme sind. Dies ist sicherlich auch teilweise auf die inzwischen immer stärker werdenen Möglichkeiten des Internets zurückzuführen.
Geschlossene Systeme haben, wie oben gezeigt, neben dem Vorteil der Konstanz und Sicherheit aber auch den Nachteil, dass sie sich in Zeiten größerer Veränderungen meist nur schwer, zu gering und zu spät an die neuen Bedingungen anpassen können. Diese Probleme zeigen sich sowohl in geschlossenen Bildungssystemen, wie auch heute in den traditionellen Schulen mit zunehmender Brisanz.
Waren z.B. in den siebziger und achtziger Jahren Computer nur etwas für Großkonzerne, so sind heute viele Schüler oft schon beim Schuleintritt in diesem Bereich ihren Lehrern teilweise überlegen.19 Die Möglichkeiten von Computer und Internet werden oft nicht in ihren vollen Möglichkeiten ausgenützt, sondern werden derart in den Unterricht eingesetzt, dass sie einfach nur in die tradierten Strukturen eingebaut werden. Statt dem gedruckten Schulbuch gibt es dieses in digitaler Form. Anstatt die Hausübung in ein Heft zu schreiben, wird diese per Email geschickt. Gerade Computer und Internet könnten hervorragend für eine individuelle Steuerung der Lerninhalte und der Lerngeschwindigkeit verwendet werden. Dies ist aber in den klassischen Lehrplänen nicht vorgesehen und mit diesen auch nicht kompatibel.
Aber genau diese Veränderungen, die sich als Folge einer gewissen Öffnung der Gesellschaft ergeben haben, sind auch die neuen Herausforderungen für die Erziehung in einer offenen Gesellschaft.
Der Zerfall vieler Familien, Zunahme der Jugenddelinquenz, Probleme im Generationenverhältnis, Annäherung der Kulturen, wachsender Einfluss der neuen Medien, leichtfertige Umweltzerstörung, geänderte Wertpräferenzen, Aussteigertum, extremistische und nihilistische Tendenzen erhöhen den Bedarf an pädagogischen Dienstleistungen. Von Berufserziehern wird zunehmend erwartet, sich für soziale Grundlagenarbeit bereit zu halten. Gemessen an der Fülle und Vielschichtigkeit neuer Herausforderungen erscheint es mehr als fraglich, ob der Pädagogik überzeugende Problemlösungen möglich sein werden. Auf spektakuläre Erfolge wird man gewiß vergeblich warten.