Die Schattenmatrix - Marion Zimmer Bradley - E-Book

Die Schattenmatrix E-Book

Marion Zimmer Bradley

0,0

Beschreibung

Bestsellerautorin Marion Zimmer Bradley ("Die Nebel von Avalon") hat mit dem opulenten Darkover-Zyklus eine einzigartige Romanreihe geschaffen: Die fesselnde Geschichte einer geheimnisvollen fremden Welt und ihrer Bewohner ist Kult! Marguerida Alton gehört zu den faszinierendsten Frauengestalten, die Marion Zimmer Bradley je geschaffen hat. In diesem großen Roman muss sie sich gegen die Ränkespiele der herrschenden Familien Darkovers durchsetzen – und sie muss lernen, mit der Macht der geheimnisvollen Schattenmatrix umzugehen, die in ihre Hand eingebettet ist... Marguerida hat auf Darkover ihre wahre Heimat und die große Liebe gefunden. Doch sie darf ihren Geliebten Mikhail Hastur nicht heiraten. Während sie sich zur Ausbildung in den Turm von Arilinn begibt, muß Mikhail eine schwierige politische Mission übernehmen. Doch seine Aufgabe, unter den Söhnen des Hauses Elhalyn einen geeigneten Herrscher zu finden, gerät zum Fiasko. Der abgelegene Herrensitz ist verwahrlost, seine Bewohner stehen im Bann einer rätselhaften Frau. Auch Mikhail kann sich der Beeinflussung nicht entziehen. Zudem kehrt Margueridas Erzfeindin Ashara erneut zurück, um Verderben zu bringen. Nur mit Hilfe eines Verstorbenen und einer Zeitreise sind die Geliebten in der Lage, die Gefahr abzuwenden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 1004

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Marion Zimmer Bradley – Der “Darkover”-Romanzyklus bei EdeleBooks:

ISBN 978-3-95530-591-8Die LandungISBN 978-3-95530-598-7Herrin der StürmeISBN 978-3-95530-597-0Herrin der FalkenISBN 978-3-95530-609-0Der Untergang von NeskayaISBN 978-3-95530-608-3Zandrus SchmiedeISBN 978-3-95530-607-6Die Flamme von HaliISBN 978-3-95530-594-9Die Zeit der hundert KönigreicheISBN 978-3-95530-592-5Die Erben von HammerfellISBN 978-3-95530-593-2Die zerbrochene KetteISBN 978-3-95530-603-8Gildenhaus ThendaraISBN 978-3-95530-595-6Die schwarze SchwesternschaftISBN 978-3-95530-596-3An den Feuern von HasturISBN 978-3-95530-588-8Das ZauberschwertISBN 978-3-95530-599-4Der verbotene TurmISBN 978-3-95530-589-5Die Kräfte der ComynISBN 978-3-95530-586-4Die Winde von DarkoverISBN 978-3-95530-601-4Die blutige SonneISBN 978-3-95530-602-1Hasturs ErbeISBN 978-3-95530-585-7Retter des PlanetenISBN 978-3-95530-587-1Das Schwert des AldonesISBN 978-3-95530-600-7Sharras ExilISBN 978-3-95530-590-1Die WeltenzerstörerISBN 978-3-95530-604-5Asharas RückkehrISBN 978-3-95530-606-9Die SchattenmatrixISBN 978-3-95530-605-2Der Sohn des Verräters

Marion Zimmer Bradley

Die Schattenmatrix

Ein Darkover Roman Ins Deutsche übertragen von Fred Kinzel

Copyright dieser Ausgabe © 2014 by Edel eBooks, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg.

Copyright © 1997 by Marion Zimmer Bradley 

Copyright First german Edition © by Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München.

Die Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel "The Shadow Matrix"

Ins Deutsche übertragen von Fred Kinzel

Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-606-9

edel.comfacebook.com/edel.ebooks

Prolog

Erzähl mir doch noch mal, wieso wir hierher gekommen sind, um Priscilla Elhalyn zu besuchen«, brummte Dyan Ardais, als er vor Mikhail die Treppe hinabstieg. »Und wieso wir uns auf diese Sache eingelassen haben.«

Mikhail Lanart-Hastur betrachtete seinen Begleiter im flackernden Licht der Laternen, die dunklen Haare und den hellen Teint, und setzte zu einer Antwort an. In diesem Augenblick erleuchtete ein Blitz den abgenutzten Teppich unter seinen Füßen, und ein Donnerschlag ließ die Wände von Burg Elhalyn erbeben. Regen prasselte gegen die Fensterscheiben.

»Wir waren damals eben ein bisschen betrunken«, sagte er schließlich, als der Lärm verebbte. »Außerdem waren da die vielen Mädchen in Thendara, die sich für uns hübsch gemacht hatten.«

»Schön, aber jetzt sind wir nicht betrunken, und eine Séance entspricht nicht gerade meiner Vorstellung von einem lustigen Abend!«

»Woher willst du das denn wissen? Auf wie vielen Séancen warst du denn schon?«

»Auf keiner! Ich finde es abartig, mit toten Leuten zu reden oder es zu versuchen.«

Mikhail lachte leise. Dyan Ardais junior, dessen Friedensmann er war, war ein ziemlich nervöser Achtzehnjähriger. »Was ist denn los? Hast du etwa Angst, dass Priscillas Medium deinen Vater heraufbeschwört?«

»Bei den Göttern! Daran hatte ich nicht einmal gedacht! Ich habe ihn nicht gekannt, solange er lebte, und jetzt will ich seine Bekanntschaft auch nicht mehr machen!«

Mikhail hatte bereits mehrere Tage Zeit gehabt, die spontane Eingebung zu bereuen, die sie zu dem allmählich verfallenden Steinhaufen namens Burg Elhalyn geführt hatte. Er wusste, er war schon zu alt für solche Dinge, und er war für Dyan verantwortlich. Wenn sie sich nur nicht so gelangweilt hätten. Sie waren einfach reif gewesen für ein wenig Unfug, und jetzt ließ sich die Sache nicht mehr rückgängig machen. Sie waren die Gäste von Priscilla Elhalyn, der Schwester von Derik Elhalyn, dem letzten König von Darkover, und sie konnten schwerlich einfach ihre Pferde besteigen und in den Sturm davonreiten.

»Höchstwahrscheinlich wird es ein totaler Reinfall, Dyan, und sie werden den Geist von Derik Elhalyn nicht aus der Oberwelt herüberlocken können. Und auch nicht Priscillas Vater oder meine Großmutter Alanna Elhalyn. Obwohl ich nichts dagegen hätte, sie mal zu sehen. Sie ist lange tot, und ich war schon immer neugierig auf sie. Ich wette, wir können nicht einmal eine gute Geschichte erzählen, wenn wir zurückkommen.«

»Das wäre mir ganz recht.« Dyan klang nicht mehr so gereizt; Mikhails gute Laune hatte ihn besänftigt. »Bis jetzt war es eine ziemlich fade Zeit, wenn man mal von ihren Gefolgsleuten absieht, die wir neulich getroffen haben. Ich habe noch nie gehört, dass jemand einen Knochendeuter und ein Medium bei sich aufnimmt.«

»Die Elhalyns waren schon immer ziemlich exzentrisch.«

»Damit willst du wohl sagen, dass Priscilla fast genauso verrückt ist wie ihr wahnsinniger Bruder. Dieser Burl ist mir jedenfalls unheimlich, und ich bin mir sicher, wir haben es ihm zu verdanken, dass wir bei dieser Geisteranrufung mitmachen müssen.«

Mikhail lachte erneut, aber er teilte Dyans Ansicht über den Knochendeuter. Leute wie ihn traf man auf dem Marktplatz jeder darkovanischen Stadt an, allerdings begegnete man ihnen normalerweise nicht im Hause einer Comynara. Andererseits wusste Mikhail, dass es ein absolut menschliches Verlangen war, in die Zukunft sehen zu wollen, und wahrscheinlich verfügte dieser Burl lediglich über ein geringes Talent, ein Laran, nicht unähnlich der Aldaran-Gabe des Hellsehens.

Ysaba, die andere Vertraute Priscillas, war seiner Meinung nach die seltsamere von den beiden. Knochendeuter und andere Wahrsager hatte Mikhail schon früher gesehen, aber ein echtes Medium zu treffen war für ihn eine neue Erfahrung. Er spürte, dass sie Laran besaß, aber keines, dem er bisher begegnet war; vermutlich war die Frau nie in einem Turm ausgebildet worden. Er hätte sie nur zu gerne danach gefragt, aber das wäre sehr unhöflich gewesen.

Die beiden jungen Männer schritten durch einen staubigen Korridor und wurden von Duncan MacLeod in Empfang genommen, der für die Ställe verantwortlich war, aber auch als Coridom Dienst tat. Er war ein grauhaariger Mann mit wettergegerbtem Gesicht und misstrauischen Augen. Immerhin befanden sich die Ställe in gutem Zustand – in einem besseren als die Burg, die unter Priscillas nachlässiger Verwaltung dem Verfall preisgegeben war. Priscillas Personal war schon alt und nicht sehr zahlreich. Es gab weder junge Dienstmädchen, die die Zimmer in Ordnung gehalten hätten, noch Burschen, die lernten, wie man die Stallungen verwaltete, was Mikhail ebenfalls verwunderte. Burg Elhalyn war auf eine entmutigende Weise beinahe menschenleer.

Dies war wirklich der sonderbarste Haushalt, den Mikhail je gesehen hatte. Abgesehen von ihren Kindern und den wenigen Dienern hatte Priscilla seit den Tagen der Sharra-Rebellion und den tragischen Ereignissen, die so viele Mitglieder der Comyn in den Tod oder Wahnsinn getrieben hatten, alleine in der Burg gewohnt. Sie schien völlig zufrieden mit ihrer Einsamkeit, ein wenig verwirrt bisweilen, aber nicht so offenkundig verrückt, wie es ihr Bruder gewesen war. Die Elhalyns waren häufig geistesgestört, wie Mikhail wusste.

Er hatte eine ganze Reihe Fragen, die er allerdings nicht stellen konnte, ohne unverschämt zu wirken; eine davon – sicher nicht die unerheblichste – war die nach der Vaterschaft von Priscillas fünf Kindern. Da waren der fast fünfzehnjährige Alain, Vincent mit dreizehn und Emun mit zehn, dazu zwei Töchter, Miralys und Valenta, schüchterne Mädchen von neun und acht Jahren. Priscilla hatte nie geheiratet, und ihre zahlreichen Liebhaber waren stets namenlos und unbekannt geblieben. Da die Frauen der Elhalyns den Status einer Comynara innehatten, war Priscilla in ihrer Wahl sehr frei, was den meisten Frauen nicht gestattet war, aber Mikhail fand die ganze Sache dennoch beunruhigend. Er hatte sich nie für prüde gehalten, und dennoch irritierte ihn dieser ungebührliche Lebensstil.

Duncan geleitete sie durch einen schmalen Gang, der den Haupttrakt der Burg mit dem engen Kerker verband, einem Überbleibsel aus einer sehr viel früheren Zeit Darkovers, als die Familien mit Landbesitz noch schreckliche Kriege gegeneinander geführt hatten. Es roch nach Moder, nach uralten Steinen und den Knochen unter der Erde, und Mikhail versuchte das bedrückende Gefühl abzuschütteln, das ihn überkam.

Schließlich öffnete Duncan eine wuchtig gezimmerte Tür, und ein kalter Windstoß fuhr herein. Genau in diesem Moment ertönte ein erneuter Donnerschlag, das Dach des Verbindungsgangs erzitterte und ließ einen feinen Regen aus Sägespänen und Verputz auf den Ärmel seiner Jacke rieseln. Dyan stieß einen angewiderten Laut aus und fuhr sich nervös mit den Fingern durchs Haar.

Sie folgten Duncan in einen runden Raum, der beinahe gemütlich gewirkt hätte, wenn es nicht so kalt gewesen wäre. Der kleine Kamin war zwar angezündet und duftete nach Balsamscheiten, reichte aber nicht aus, um den Raum zu erwärmen. Die Wände waren aus Stein, und sie waren feucht und kalt. Mikhail sah die zahlreichen Schimmelflecken, deren muffigen Geruch der angenehme Duft des Holzes kaum verdeckte. Auf einem kleinen Tisch in der Mitte des Raumes standen ein paar knisternde Kerzen, die unheimliche Schatten auf die vermodernden Teppiche an den Wänden warfen.

Mikhail versuchte, sich den Raum in der Vergangenheit vorzustellen, mit den längst toten Elhalyns, die hier Zuflucht gesucht hatten, belagert von ihren Feinden. Aber der Raum war zu heruntergekommen, zu kalt und öde für romantische Vorstellungen. Er war ein Relikt aus einer anderen Zeit, und Mikhail war froh, dass sie lange vorüber war.

Priscilla und ihr Medium Ysaba betraten den Raum und unterbrachen seine Träumereien. Mikhail hatte die kleine Hausherrin noch nie so aufgeregt gesehen, ihre Augen leuchteten im flackernden Kerzenschein. Sie strahlte große Vorfreude aus; offenbar stand ein wundervolles Ereignis bevor. Ihr Haar war rotblond, und ihre Haut schimmerte in dieser Beleuchtung beinahe golden. Man konnte sie zwar nicht als Schönheit bezeichnen, aber sie wirkte durchaus anziehend in ihrem unverhüllten Eifer.

»Bitte setzt euch doch an den Tisch«, sagte sie mit einer einladenden Geste.

Mikhail rückte ihr galant einen Stuhl zurecht und sah, dass Dyan dem Medium die gleiche Gefälligkeit erwies, wobei ihm seine Unlust dabei deutlich anzusehen war. Die beiden nahmen die verbleibenden Plätze ein, und Mikhail fragte sich, wo der Knochendeuter Burl blieb.

Der Tisch war erst vor kurzem poliert worden, er glänzte in dem goldenen Licht, und seine Oberfläche duftete angenehm nach Bienenwachs. Mikhail wandte seine Aufmerksamkeit einer großen Quarzkugel in der Tischmitte zu. Sie schimmerte leicht blau, es war jedoch nicht das intensive Blau eines Matrixkristalls. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Duncan etwas in den Kamin warf; die Flamme loderte kurz auf. Ein schwerer, blumiger Geruch erfüllte den Raum, ähnlich dem Weihrauch, den seine Schwester Liriel immer benutzte, aber kräftiger und lange nicht so angenehm. Der Rauch brannte ihm in den Augen, und seine Finger wurden allmählich taub.

Ysaba blickte mit blassen, völlig ausdruckslosen Augen in die Kugel. Sie war keine sehr anziehende Frau und hatte den typischen hellen Teint der Trockenstädter, außerdem war Mikhail sich über ihr Alter im Unklaren. Es donnerte erneut, und für einen Augenblick blendete ihn der Blitz, der vor den hohen, schmalen Fenstern aufleuchtete. Der Wind fegte in Böen um den altertümlichen Kerker, und die Wände erzitterten unter dem Wüten des Sturms.

In der Kammer war es, abgesehen vom Knistern des Feuers und dem Heulen des Windes, sehr still. Mikhail spürte dicht über dem Boden einen Luftzug, der von der Tür hinter ihm kam, und wackelte mit den Zehen in seinen Stiefeln. Er hoffte, die Sache dauerte nicht zu lange. Das schäbige Zimmer, das er sich mit Dyan teilte, war zumindest warm, und er wollte so bald wie möglich dorthin zurück und sich ins Bett legen!

»Bitte fasst euch an den Händen«, unterbrach Priscilla seine Gedanken.

Dyan zuckte leicht zusammen, schob aber seine linke Hand widerstrebend in Mikhails rechte, anschließend streckte er die freie Hand aus, und Ysaba ergriff sie. Mikhail spürte, wie Priscilla mit ihren erstaunlich warmen und weichen Fingern seine linke Hand nahm und ihre andere in die des Mediums legte.

»Ihr dürft den Kreis nicht unterbrechen«, sagte das Medium ruhig.

Wieso habe ich mich von dir zu dieser Sache überreden lassen,Mik?

Wir konnten Priscillas Bitte schwerlich ablehnen, was?

Wenn einer von uns beiden auch nur ein wenig Rückgrathätte, dann hätten wir es mit Sicherheit getan!

Mikhail spürte, wie sich der Jüngere vor Unbehagen beinahe krümmte. Ihm war zwar ebenfalls nicht ganz wohl bei der ganzen Geschichte, aber er teilte Dyans Empfindungen nicht, denn seine stets wache Neugier war nun voll entbrannt. Wenn das hier erst vorbei war, hatte er eine wunderbare Geschichte zu erzählen!

Man hörte ein Stöhnen, und nach einem kurzen Augenblick erkannte Mikhail, dass es diesmal nicht der Wind war, sondern das Medium. Das Geräusch klang sehr merkwürdig, und er vermochte kaum zu glauben, dass es einem menschlichen Körper entstammte. Der dichte, beißende Geruch aus dem Kamin schien intensiver zu werden, und er hatte das plötzliche Bedürfnis zu niesen. Er zog die Nase kraus, und es gelang ihm, den Reflex zu unterdrücken.

Die Kugel in der Mitte des Tisches verdunkelte sich, als wäre sie mit Rauch gefüllt. Langsam formte sich darin eine Gestalt, und Mikhail spürte, wie sich die Härchen in seinem Nacken vor Furcht aufstellten. Ein Teil seines Gehirns wusste genau, dass es sich um eine besondere Form von Laran handelte, aber in einem anderen Teil hausten noch immer die Gespenstergeschichten, die man ihm als Kind erzählt hatte.

Die Gestalt verdichtete sich, und etwas Blasses und Dünnes schien aus dem Quarz zu sickern. Das lange, gewundene, zähflüssige Gebilde schwebte einen Augenblick in der Luft und neigte sich dann zu dem Medium hinab. Mikhail hörte Dyan rau und geräuschvoll atmen und sah ihn an. Sein junger Begleiter hatte die Augen fest geschlossen, seine Hand bebte in Mikhails Griff. Trotz des qualmenden Weihrauchs nahm er deutlich den Geruch von Schweiß wahr – seines eigenen und Dyans. Als er seinem Freund aufmunternd – wie er hoffte – die Hand drückte, berührte das Gespenst Ysabas Brust.

Eine kurze Weile herrschte Schweigen, dann drang eine Stimme aus der Kehle des Mediums. »Wer sind diese Fremden?« Es war ein ziemlich zittriger Tenor, schrill und unangenehm.

Mikhail spürte, wie Dyans Hand in seinem Griff zuckte. Was soll das denn für ein Geist sein, der nicht einmal weiß, wer wir sind?

Derik – falls er es ist – hat uns nie kennen gelernt.

Ach so. Seine telepathische Stimme klang nur wenig überzeugt, und Mikhail gab ihr Recht, wollte aber erst einmal abwarten, was weiter geschah. Da er seine erste Furcht überwunden hatte, begann ihn die ganze Angelegenheit zu interessieren. Wie, fragte er sich, erzeugte Ysaba diese Stimme?

»Lieber Bruder, darf ich dir Dom Mikhail Hastur, den Sohn von Javanne Hastur und Enkel von Alanna Elhalyn, und Dom Dyan Ardais, den Sohn von Dyan-Gabriel Ardais vorstellen?« Priscilla klang wie eine perfekte Gastgeberin, nicht wie jemand, der zu einem Geist spricht, und Mikhail ertappte sich dabei, dass er ihre Ruhe bewunderte.

»Warum sind sie hier? Was wollen sie von mir?« Der weinerliche Tonfall in seinen Worten ging Mikhail auf die Nerven.

»Sie sind hier, um mich zu besuchen, was sehr nett von ihnen ist, da wir nur selten Gäste auf Burg Elhalyn haben. Ohne die Kinder und Ysaba und Burl wäre ich sehr einsam.«

»Sie sind Spione!«

»Unsinn! Das sind ganz normale junge Männer.« Priscilla wirkte weit munterer als in den letzten Tagen seit Mikhails Ankunft; sie schien den Streit mit ihrem toten Bruder zu genießen. »Sie haben mit den Kindern gespielt, sind über die Ländereien geritten und fühlen sich hier schon wie zu Hause.«

»Schick sie weg! Sie stören mich.«

»Ich habe meine Einsamkeit satt, Derik«, antwortete sie verdrießlich. »Es ist so angenehm, endlich mal jemanden zum Reden zu haben.«

»Schick sie weg! Sie wollen mich verletzen.«

»Derik – wie könnten sie dir wehtun?«

Während die beiden weiterstritten, warf Mikhail einen langen Blick auf Ysaba. Im flackernden Kerzenschein beobachtete er ihre Kehle, um zu sehen, ob sich ihre Muskeln bewegten, wenn Derik sprach, und er stellte fest, dass dies nicht der Fall war. Woher zum Teufel kam die Stimme dann? Lauschten sie tatsächlich einem Geist?

Auf einmal sah Mikhail, dass etwas über dem Kopf des Mediums in der Luft schwebte. Es war nur eine flüchtige Bewegung, wie von einer Rauchfahne, und er konnte undeutlich die Züge eines Mannes ausmachen. Im Raum wurde es plötzlich kälter, das flüchtige Etwas verdichtete sich und wurde undurchsichtig, so dass die Wand hinter Ysaba nicht mehr zu sehen war.

»Dyan Ardais war nie mein Freund«, sagte das Wesen. »Alle waren sie meine Feinde, Schwester, alle. Du bist mein einziger Freund. Und ich muss dir noch etwas sagen!« Seine Worte hatten etwas Verschwörerisches und verhießen sowohl ein Versprechen als auch Unheil.

»Aber Derik – du musst es mir erzählen! Ich warte seit Monaten darauf!«

»Es ist eine Verschwörung gegen mich im Gange. Nicht diese Männer ... aber andere. Und diese Jünglinge hier werden alles verraten ... dadurch wird alles zunichte gemacht! Sie werden versuchen, uns davon abzuhalten ...« Die Stimme verlor sich.

Priscilla dachte einen Moment über die Worte nach, wobei sie Mikhail und Dyan mit ihren grauen Augen musterte. Sie legte kurz die Stirn in Falten, entspannte sich aber rasch wieder und sagte: »Mikhail, versprich Derik, dass du niemandem von diesem Abend erzählen wirst.« Sie schien die Ängste ihres Bruders gewohnt zu sein und klang, als würde sie einem nörgelnden Kind mal wieder seinen Willen lassen. Gleichzeitig hatte ihre Stimme einen rauen Unterton, der sich für Mikhail sehr wenig geschwisterlich anhörte.

Mikhail zögerte. Er hatte es immer ernst genommen, wenn er sein Wort gab, und er wollte keinen Eid schwören, den er nicht halten konnte. Aber wem er auch von diesem Erlebnis erzählte, man würde ihn ohnehin für ebenso verrückt wie Derik halten. Außerdem wusste niemand, dass er und Dyan auf Burg Elhalyn weilten, es wäre also nicht sehr schwierig, die Sache geheim zu halten. Und er war so neugierig auf die Worte des Geistes, dass er alles versprochen hätte. »Ich schwöre, dass ich niemandem von diesem Abend erzählen werde.«

Neben ihm rutschte Dyan auf seinem Stuhl hin und her. »Auch ich schwöre, dass ich niemandem etwas sagen werde.« In seiner Stimme lag eine gewisse Heftigkeit, und Mikhail wusste, dass er meinte, was er sagte. Ich werde die Sache soschnell wie möglich vergessen!

»Siehst du?«, sagte Priscilla erfreut.

»Schwüre kann man brechen.«

»Aber warum sollten sie das denn tun? Sie wollen dir doch nichts Böses, mein lieber Bruder.«

Darauf folgte ein langes Schweigen, und die neblige Gestalt über dem Medium wirbelte durch die Luft und veränderte elegant ihre Form. Die Wirkung war verblüffend. Dann stürzte sich der Geist ohne Vorwarnung auf Mikhail und Dyan, wobei er lange Dunstbahnen hinter sich herzog. Mikhail spürte, wie ein Nebelschleier über seine Stirn strich, und schrak zurück. Sein Herz klopfte heftig. Neben ihm stieß Dyan einen Schreckensschrei aus und umklammerte Mikhails Hand so fest, dass er ihm fast die Finger brach.

Es dauerte nicht lange, und der Nebel verzog sich wieder, aber Mikhail musste feststellen, dass er nach Luft schnappte und trotz der Kälte schweißgebadet war. Unter dem Tisch schlotterten seine Knie.

»Sie scheinen ganz in Ordnung zu sein«, gab der Geist widerwillig zu.

»Aber natürlich sind sie in Ordnung. Es sind sehr nette Jungs.«

Trotz seines Entsetzens hätte Mikhail beinahe aufgelacht, weil Priscilla ihn einen netten Jungen nannte. Sie war vielleicht elf Jahre älter als er, aber sie benahm sich die meiste Zeit wie ein altes Weib. Er sog die Wangen ein, um das Lachen zu unterdrücken, das aus ihm herauszubrechen drohte. Er hatte immer schon dazu geneigt, aus Angst oder bei Gefahr zu lachen, und seine Mutter hatte einmal gesagt, er würde wahrscheinlich sogar lachend zum Galgen schreiten.

Langsam schwand seine Furcht und mit ihr der Drang zu lachen. Er schluckte trocken und sehnte sich nach einem Glas Wein. Wenn dieser Geist nichts weiter konnte, als ihn mit Nebel einzuhüllen, bestand wahrhaftig kein Grund zur Angst. Und es war ein Jammer, dass er sein Wort gegeben hatte, nichts zu erzählen – schade um die gute Geschichte.

Mikhail war so sehr in Gedanken versunken, dass er Deriks nächste Worte beinahe überhört hätte. »Der Wächter braucht dich. Es ist Zeit!«

»Endlich!« Priscilla sah begeistert aus. Ihr schmales Gesicht leuchtete vor Freude, und sie wirkte plötzlich wie ein junges Mädchen und nicht wie eine Mutter von fünf Kindern. Ihre Reaktion hatte jedoch auch etwas Unheilvolles, und Mikhail senkte rasch den Blick. Wächter? Was bedeutete das? »Bald sind wir wieder vereint, Bruder«, flüsterte sie, gerade laut genug, dass Mikhail sie verstehen konnte.

Trotz seiner gewaltigen Neugier beschloss er, dass er nicht mehr erfahren wollte, als er bereits wusste. Wieder vereint? Wollte Priscilla etwa sterben? Es hatte sich nicht so angehört. Er zuckte die Achseln, um seine Anspannung zu lösen und seine Verlegenheit zu vertreiben. Er war da in etwas hineingestolpert, das ihn nichts anging, und je eher er wieder aus der Sache herauskam, desto besser.

Die schimmernde Gestalt über dem Medium löste sich langsam auf, und die Kugel auf dem Tisch füllte sich wieder mit Nebel. Ysaba öffnete die Hände und ließ ihre Nachbarn los, dann sackte sie nach vorn auf die Tischplatte. Ihr Kopf schlug hörbar auf die polierte Oberfläche; Mikhail zuckte mitfühlend zusammen.

Duncan, der die ganze Zeit über im Halbschatten gestanden hatte, trat vor. Mit einem Glas Wein in der Hand richtete er die Frau auf und hielt ihr das Glas an die Lippen. Dann traf sein Blick den von Mikhail, und ein Ausdruck von Scham und Abscheu lag darin. Das Medium öffnete leicht den Mund und nahm ein wenig Wein zu sich. Das meiste lief ihr allerdings das Kinn hinab.

Mikhail sah aus den Augenwinkeln, wie sich Dyan die Hand, die Ysaba gehalten hatte, an der Hose abwischte. Sein jugendliches, vor Ekel verzerrtes Gesicht erzeugte in Mikhail Gewissensbisse. Er hätte seinen Freund nicht auf Burg Elhalyn mitnehmen sollen.

Mik, ich fühle mich schmutzig! Ich möchte so etwas nie wieder durchmachen! Lass uns beim ersten Morgenlicht aufbrechen – bitte! Es ist schrecklich hier!

Ich glaube, du hast Recht. Aber ich frage mich, wer oderwas dieser Wächter ist.

Und wenn es Aldones persönlich ist – es ist mir egal. Ich will nur weg von hier!

Mikhail stimmte Dyans Empfindung schweigend zu.

Am folgenden Morgen ritten sie trotz des Regens zurück nach Thendara. Wie durch eine stillschweigende Vereinbarung sprachen sie weder auf dem Heimritt noch später je über das seltsame Ereignis. Aber von Zeit zu Zeit dachte Mikhail daran, und er fragte sich, ob sie tatsächlich den Geist von Derik Elhalyn gehört hatten und wer dieser Wächter sein könnte.

TEIL EINS

1

Mikhail Lanart-Hastur ritt am Ufer des Valeron entlang und genoss den schönen Herbsttag. Der sanfte Wind zerzauste sein goldenes Haar, und seine blauen Augen spiegelten die Farbe des Wassers wider. Die Luft war frisch, und die Bäume am Ufer trugen ein goldenes und rostbraunes Laubkleid, was ihn an ein gewisses durchdringendes Augenpaar erinnerte, das seiner Base Marguerida Alton gehörte. Aber natürlich erinnerte ihn beinahe alles an Marguerida, und es fiel ihm unglaublich schwer, nicht an sie zu denken und sich stattdessen auf die vor ihm liegende Aufgabe zu konzentrieren.

Er kehrte auf die Ländereien von Elhalyn zurück, die er vor vier Jahren kurz besucht hatte. Damals war er der Friedensmann von Dyan Ardais und der nominelle Erbe von Regis Hastur gewesen – woran sich freilich nichts geändert hatte. Inzwischen war er zum Regenten der Domäne Elhalyn ernannt und mit der Aufgabe betraut worden, die Söhne von Priscilla zu prüfen, damit entschieden werden konnte, ob einer von ihnen die psychische Stärke besaß, das größtenteils zeremonielle, aber dennoch wichtige Amt des Königs auszuüben.

Mikhail dachte an seine letzte Begegnung mit Priscilla, die mit einer Séance geendet hatte, und schüttelte leicht den Kopf. Er fragte sich, ob der Knochendeuter Burl und das Medium Ysaba noch immer ihre Gefährten waren. Er wusste, dass die Elhalyns die Burg kurz nach seinem und Dyans Besuch verlassen hatten und wieder nach Haus Halyn gezogen waren. Dorthin war er nun unterwegs, begleitet von den beiden Wachen Daryll und Mathias. Er hätte eigentlich mit einem größeren Gefolge reiten sollen – seine neue und ungewollte Stellung verlangte es. Aber Priscilla hatte ihn gebeten, allein zu kommen, und so begierig sein Onkel auch darauf war, das Königtum der Elhalyns wiederherzustellen – das kam nun doch nicht in Frage. Regis hatte ihm die beiden Wachen mitgegeben, und Mikhail war froh über ihre Gesellschaft.

Sooft Mikhail an die Sitzung in der Kristallkammer von Burg Comyn kurz vor Mittsommer dachte, sank ihm der Mut. Er war die Ereignisse wieder und wieder durchgegangen und hatte versucht, sie zu entwirren. Als Erstes hatte sein Onkel verkündet, dass er den Telepathischen Rat auflöste, der mehr als zwanzig Jahre an der Regierung Darkovers mitgewirkt hatte, und stattdessen den traditionellen Rat der Comyn wieder einsetzte. Dann hatte er Mikhail ohne Vorwarnung oder vorherige Absprache zum Regenten von Elhalyn ernannt, und sein Neffe hatte den Posten aus Pflichtgefühl angenommen. Mikhail hatte nicht die Zeit gehabt, darüber nachzudenken und die möglichen Vorzüge und Folgen abzuwägen. Es war ihm keine andere Wahl geblieben als anzunehmen.

Die unendliche Wut, die schon monatelang in ihm gärte, rumorte auch jetzt in seinem Bauch. Mikhail hatte bisher nie Grund gehabt, wütend auf seinen Onkel zu sein, und er hasste dieses Gefühl. Aber er konnte sich der Erkenntnis nicht erwehren, dass Regis ihn in eine Position manövriert hatte, die er selbst nicht ausüben wollte, und dass er sich weigerte, ihm die wahren Gründe mitzuteilen. Sein tief verwurzeltes Pflichtgefühl hatte Mikhail zähneknirschend gehorchen lassen, obwohl er nicht verstand, was hier vor sich ging. Sein einziger Trost war, dass er mit diesem Gefühl nicht allein war – niemand, außer vielleicht Danilo Syrtis-Ardais, wusste wirklich, was Regis Hastur gegenwärtig vorhatte.

Mikhail kannte seinen Onkel als klugen und gerissenen Mann, dem es gelungen war, Darkover durch ein schreckliches Kapitel seiner langen und blutigen Geschichte zu führen. Er hatte seinem Onkel immer vertraut, aber nun brachten seine zwiespältigen Gefühle und Zweifel dieses Vertrauen ins Wanken. Er hatte das Problem analysiert, so gut er konnte, und so viele Widersprüche darin entdeckt, dass er ziemlich beunruhigt war. Er hatte sich sogar die Überlegung gestattet, ob Regis Hastur überhaupt noch wusste, was er tat – allerdings nur kurz. Dann hatte er den Gedanken eilig wieder verdrängt und in die hinterste Ecke seines Bewusstseins verbannt.

Mikhail dachte an sein letztes Gespräch mit Regis, unmittelbar vor seiner Abreise. Sein Onkel hatte müde und zerstreut gewirkt, und ihm war nicht wohl dabei gewesen, Regis‘ Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Die Regentschaft über Elhalyn war wirklich eine geringfügige Angelegenheit, verglichen mit der Wiederherstellung des Rates, dem Problem der umstrittenen Erbfolge in der Domäne Alton oder einer möglichen Rückkehr der Aldarans in die Gesellschaft der Comyn.

Vom familieneigenen Charme der Hasturs, den Regis im Übermaß besaß, was nichts zu spüren gewesen. Mikhail hatte in aller Kürze die Fragen gestellt, die er beantwortet haben wollte – musste –, und weniger als zufrieden stellende Antworten bekommen. Sein Onkel hatte ihm gegenüber nicht die geringsten Andeutungen über seine Absichten gemacht, und im Nachhinein musste sich Mikhail sagen, dass er nicht gerade sehr hilfreich oder auch nur aufmerksam gewesen war. »Du wirst das schon machen, Mikhail, da bin ich mir sicher. Wir reden weiter, wenn du zu Mittwinter wieder nach Hause kommst. Lass dir ruhig Zeit damit, die Burschen zu prüfen. Die Sache eilt nicht.«

Bei diesem Treffen hatte Mikhail deutlich gespürt, dass die ihm zugewiesene Aufgabe nicht besonders wichtig war. Und, schlimmer noch, dass er selbst ebenfalls nicht wichtig war. Er hatte sich ausgeschlossen gefühlt, so wie damals, als Regis‘ Sohn Danilo geboren wurde; unerwünscht und irgendwie störend. Sein Verstand sagte ihm, dass dies nicht der Fall war – weder damals noch jetzt –, aber er war ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass seine Gefühle mehr als nur ein bisschen verletzt waren.

Seiner Ansicht nach bestand das Problem darin, dass Regis offensichtlich versuchte, das Rad der Zeit zurückzudrehen, indem er behauptete, die Wiederherstellung des Königtums der Elhalyns sei notwendig, ebenso wie der Rat der Comyn. Gleichzeitig beharrte er darauf, dass diese Maßnahmen nicht reaktionär seien, sondern im Interesse der Zukunft geschähen. Sein Vorhaben klang plausibel, bis Mikhail es einer sorgfältigen Prüfung unterzog.

Er zweifelte keinen Augenblick daran, dass Regis längst irgendeinen ausgeklügelten Plan im Kopf hatte. Die einzige verwertbare Information, die er seinem Onkel abringen konnte, war dessen Überzeugung, dass Darkover vereint werden musste – indem die Aldarans Mitglied im Rat der Comyn wurden –, und zwar bald.

Da die anderen Domänen den Aldarans nicht trauten, konnte Regis die übrigen Mitglieder des Rates nur mit Mühe dazu überreden, dem Teil seines Plans, den er enthüllt hatte, zuzustimmen. Selbst Mikhails Eltern standen dem Vorschlag ablehnend gegenüber, ebenso Lady Marilla Aillard und ihr Sohn Dyan Ardais. Dom Francisco Ridenow schien seine Meinung täglich zu ändern, lediglich Lew Alton unterstützte die Idee uneingeschränkt.

Mikhail teilte die Vorbehalte seiner Eltern hinsichtlich der Aldarans nicht, die er vor Jahren einmal heimlich besucht hatte. Er war mit dem alten Dom Damon bekannt, ebenso mit seinem Sohn und Erben Robert sowie mit dessen Zwillingsbruder Hermes Aldaran, der kürzlich das Amt des darkovanischen Vertreters beim terranischen Senat von Lew Alton übernommen hatte. Und er kannte Gisela Aldaran, die Schwester der beiden, seinerzeit eine reizende junge Frau. Er hatte die Familie sehr gemocht und wusste ganz genau, dass sie im Grunde anständige Leute waren.

Aber das Vorurteil gegen die Aldarans war alt und saß tief. Die Darkovaner hatten ein sehr gutes Gedächtnis, vor allem wenn es um Verrat ging, und die Aldarans hatten den Rat vor vielen Jahren einmal betrogen. Da mochte Regis noch so oft sagen, dass man die Vergangenheit ruhen lassen solle und dass es an der Zeit sei, alte Wunden zu heilen. Er hatte den hartnäckigen Widerstand, auf den seine Vorschläge stießen, eindeutig unterschätzt.

Mikhail bezweifelte, dass es seinem Onkel trotz dessen großer Überzeugungskraft gelingen würde, die Wogen zu glätten. Je mehr Druck er ausübte, desto mehr Widerstand schlug ihm entgegen, vor allem bei Mikhails Mutter Javanne Hastur. In vielerlei Hinsicht war das Benehmen seiner Mutter seit der Sitzung in der Kristallkammer sogar quälender als das von Regis. Sie war schon immer eine eigensinnige Frau gewesen, aber die Bekanntgabe seiner Regentschaft hatte eine Wut in ihr ausgelöst, die er nicht verstand. Sie war für ihn plötzlich nicht mehr die vertraute Mutter, sondern eine abweisende und distanzierte Fremde. Es hatte Momente gegeben, in denen er sich die Überlegung gestattete, ob sie noch bei Verstand war. Ihre Mutter war nämlich eine Elhalyn gewesen, und die waren schließlich bekannt für ihre psychische Labilität. Er hegte diesen fürchterlichen Gedanken jedoch nicht sehr lange, sonst hätte er womöglich auch noch an seinem Onkel, ihrem Bruder, zweifeln müssen – und das war mehr, als er ertragen konnte.

Der Wind blies das Laub über den Weg, die Blätter hatten dasselbe Rot wie Margueridas Haar. Mikhail beschloss, lieber von seiner Geliebten zu träumen, als sich weiter mit verworrenen Problemen zu beschäftigen.

Der Abschied im Turm von Arilinn vor fünf Tagen war ihnen sehr schwer gefallen, obwohl sie beide eine tapfere Miene aufgesetzt hatten. Marguerida hatte sich in jene ihr eigene Schüchternheit zurückgezogen, hinter der sie sich immer dann verbarg, wenn sie besonders aufgewühlt war. Sie hatten nicht von ihrer Liebe zueinander gesprochen, das wäre zu schmerzlich gewesen. Stattdessen hatten sie über belanglose Dinge geredet und so ihre Gefühle verschleiert, die sie beide zu überwältigen drohten.

Mikhail und Marguerida waren unmittelbar nach Mittsommer in Arilinn eingetroffen; Marguerida, um ihr Studium der Matrixwissenschaften aufzunehmen, und Mikhail, um sich das nötige Wissen anzueignen, damit er die Elhalyn-Knaben auf Laran testen konnte, was sich weit komplizierter als erwartet gestaltet hatte. Es entbehrte seiner Meinung nach nicht einer gewissen Ironie, dass Marguerida ausgerechnet die Matrixwissenschaften erlernen wollte, nachdem die Kristalle in gewisser Weise ein Fluch für sie waren. In den ersten Wochen dort hatte sie einen neuen Anfall der Schwellenkrankheit erlitten. Ausgelöst wurde sie wahrscheinlich durch die Nähe der Matrixrelais im Turm – zumindest war das die einzig mögliche Erklärung.

Sehr zum Missfallen von Mestra Camilla MacRoss, die die neuen Schüler in Arilinn betreute, hatte Marguerida die Erlaubnis erhalten, in einem der kleinen Häuser zu wohnen. Diese waren eigentlich nur für Besucher, Gäste und die Familien derer vorgesehen, die zur Heilung in den Turm kamen. Eine solche Übereinkunft war noch nie zuvor getroffen worden, und dass sie nicht mit den anderen im Schlafsaal schlief, hatte Margueridas Lage nur noch schwieriger gemacht. Mestra MacRoss mochte es nicht, wenn einer ihrer Schützlinge eine Sonderbehandlung erhielt, es sei denn, sie hatte sie ihm selbst gewährt.

Mikhail schmunzelte bei dieser Erinnerung, denn er kannte Mestra Camilla noch aus seiner eigenen Zeit in Arilinn. Sie war damals schon sehr alt gewesen; inzwischen musste sie uralt sein. Niemand, nicht einmal Jeff Kerwin, der Bewahrer von Arilinn, wagte es, ihr einen Rückzug von ihrem Amt nahe zu legen. Sie war sehr entschlossen und unglaublich streng, was weiter nicht verwunderte, denn ihrem Kommando unterstanden fast ausschließlich junge Leute. Die Heranwachsenden, die gerade in ihr Laran kamen; sie sprühten vor Lebensenergie, hatten nur Unfug im Kopf und waren mit Kräften ausgestattet, die sie noch nicht ganz unter Kontrolle hatten.

Die beiden Frauen hatten sich vom ersten Moment an nicht gemocht. Mestra Camilla konnte eigentlich sehr gut mit Jugendlichen umgehen, aber Marguerida war eine Erwachsene und keine besonders gefügige dazu. Oder vielmehr, überlegte Mikhail, war seine unabhängige, selbstständige Base auf ihre Weise sehr diszipliniert und sogar gehorsam, allerdings entsprach diese ganz und gar nicht den Vorstellungen der älteren Frau. Sie stellte einfach zu viele Fragen, eine eingefleischte Gewohnheit nach zehn Jahren akademischer Studien. Sie wollte immer wissen, warum etwas in einer bestimmten Weise geschah, obwohl sie ihre lebhafte Neugier ernsthaft zu zügeln versuchte. ›Warum‹ gehörte nun mal nicht zu den Wörtern, die Camilla MacRoss besonders schätzte.

Die anderen Schüler in Arilinn hatten die Situation auch nicht gerade entspannt. Sie waren alle wild entschlossen, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, und konnten es kaum erwarten, ihren Schülerstatus abzulegen und endlich Mechaniker oder Techniker zu werden oder vielleicht sogar Bewahrer. Gewohnt, sich stets sowohl nach Camilla als auch nach Loren MacAndrews, der ältesten Schülerin, zu richten, behandelten sie Marguerida wie einen Eindringling. Sie waren neidisch auf ihr Alter, ihre Erfahrung und die Geschwindigkeit, mit der sie lernte. Und die Tatsache, dass sie eine Alton und außerdem die Erbin der Domäne Alton war, behagte ihnen ebenfalls nicht. Die Alton-Gabe des erzwungenen Rapports war gleichermaßen gepriesen wie gefürchtet, und dass ausgerechnet eine Frau sie besaß, die den größten Teil ihres Lebens nicht auf Darkover verbracht hatte, machte alle nervös. Niemand konnte einschätzen, ob sie sich auch anständig benehmen und ihre Gabe moralisch einwandfrei einsetzen würde.

Marguerida, dickköpfig wie ein Esel, hatte mit Stolz und wilder Entschlossenheit reagiert. So krank sie auch war, lehnte sie die Sonderbehandlung ab. Jeff hatte also eingreifen müssen, was Margueridas Verhältnis zu Camilla jedoch nur verschlechtert hatte. Das Ganze roch nach Vorzugsbehandlung, weil sie mit Jeff verwandt war. Die beiden Frauen hatten sich schließlich auf einen förmlich-distanzierten Umgang geeinigt, was die Feindseligkeit zwischen ihnen lediglich verschleierte, anstatt sie abzubauen.

Mikhail war froh, dass er jetzt da war, obwohl es für sie beide schwer gewesen war, sich so nahe zu sein und einander mit nüchterner Sachlichkeit behandeln zu müssen. Ihre Liebe, die sie sich noch vor Mittsommer gestanden hatten, war unverändert groß, aber die Umstände verhinderten, dass es zu mehr kam als zu gelegentlichen gemeinsamen Spaziergängen in einem der Gärten Arilinns oder zu einigen Ausritten an schönen Nachmittagen. Sie sprachen über alles, angefangen von den Sitten, die Marguerida als lächerlich empfand, bis zum Wesen der Gottheiten auf Darkover und in anderen Welten. Mikhail hatte sich immer danach gesehnt, einmal zu den Sternen zu reisen, und er fand es wundervoll und zugleich traurig, wenn sie ihm von den Planeten erzählte, die sie bereits besucht hatte. Er beneidete sie um ihre Reisen und ihre Bildung, und doch schätzte er jeden Augenblick, den er in ihrer faszinierenden Gesellschaft verbrachte. Immerhin war seine Schwester Liriel noch in Arilinn, und sie war eine echte Freundin für Marguerida. Aber Mikhail wusste, dass sie ihn vermisste, und er war insgeheim froh darüber.

Mikhail dachte an Margueridas Stiefmutter, Diotima Ridenow-Alton, die an einer schweren Krankheit litt, die weder terranische Ärzte noch darkovanische Heiler eindeutig diagnostizieren konnten. Es handelte sich wahrscheinlich um eine Art Krebs, aber die Patientin hatte bisher auf keine Behandlung angesprochen. Die Ärzte hatten wochenlang versucht, den Verfall ihres mittlerweile zerbrechlichen Körpers aufzuhalten. Nach heftigen Diskussionen hatte man dann beschlossen, sie in einen künstlichen Dauerschlaf zu versetzen, bis eine neue Therapie entdeckt würde. Diese Maßnahme war jedoch bestenfalls ein Notbehelf.

Seine Geliebte war darüber mehr als besorgt gewesen, denn sie liebte Diotima wie ihre eigene Mutter. Der Versuch, möglichst nahe bei den mächtigen Matrixschirmen zu leben, das Wiederauftreten der Schwellenkrankheit und die tiefe Sorge um ihre Stiefmutter hatten sie abwechselnd rasend vor Angst gemacht oder völlig deprimiert. Und obwohl Marguerida sich die größte Mühe gegeben hatte, so zu tun, als sei sie guter Dinge, und sogar über seine Scherze gelacht hatte, wusste Mikhail, dass sie eigentlich litt. Nur ihr wilder Stolz verhinderte, dass sie die Beherrschung verlor – und ihre Dickköpfigkeit.

Das Rauschen des Wassers erinnerte ihn an ihr Lachen, das er in diesen Tagen nur zu selten hörte, und die frische Brise auf seiner Haut an ihre scharfe Zunge. Er lachte laut auf. Bei dem Geräusch schnaubte Stürmer, sein mächtiger Brauner, als Antwort und stellte die Ohren auf. Mikhail hörte die Glöckchen im Zaumzeug der beiden Wachen und spürte, dass sie sich nach dem Grund für seine Heiterkeit fragten. Die Erklärung war zu kompliziert, selbst für Männer, die er so gut kannte wie Daryll und Mathias. Außerdem wollte er nicht zugeben, dass er auf dem besten Wege war, sich in einen liebeskranken Romantiker zu verwandeln. Mit achtundzwanzig sollte er ein so kindisches Benehmen eigentlich abgelegt haben. Als Nächstes würde er wohl noch Liebesgedichte schreiben!

Es war lange her, dass er in Gesellschaft von Mitgliedern der Garde gewesen war, und ihm war nicht ganz wohl dabei. Wenn er als Kind auf Burg Comyn herumgetollt war, hatte sich immer ein Gardist in der Nähe befunden. Er hatte sie stets als freundliche Männer erlebt, die ihn huckepack reiten ließen oder ihm Geschichten erzählten. Damals hatte er nicht gewusst, dass es einen guten Grund für ihre Wachsamkeit gab und dass sich Mörder in den Straßen von Thendara herumtrieben, die sogar Kinder in ihren Wiegen umbrachten.

Aber nachdem die Weltenzerstörer einmal besiegt waren und sein Onkel Regis Hastur Lady Linnea kennen gelernt und die beiden ihr erstes Kind bekommen hatten, war er von der Anwesenheit der Gardisten einigermaßen befreit gewesen. Nicht ganz allerdings, schließlich war er immer noch der offizielle Erbe von Hastur. Er war vierzehn gewesen, als Danilo Hastur zur Welt kam, alt genug, um zuerst in Arilinn eine kurze Ausbildung zu absolvieren und dann für zwei Jahre in die Kadettengarde einzutreten. Damals war er sich gar nicht im Klaren darüber gewesen, dass sich damit sein Status änderte, dass er nun nicht mehr das bevorzugte Kind war wie in den Jahren zuvor. Erst als er zum Friedensmann für den jungen Dyan Ardais wurde, waren die Mitglieder der Garde nicht mehr ständig in seiner Nähe, wie es Erwachsenen entsprach. Während seiner Zeit in der Garde hatte er einige enge und dauerhafte Freundschaften geschlossen, und die Männer, die hinter ihm ritten, waren eher Gefährten und Waffenbrüder als Wachhunde.

Jetzt wollte er nur noch so schnell wie möglich Haus Halyn erreichen, die Knaben prüfen, einen geeigneten Kandidaten für das Amt des Königs finden und die Regentschaft wieder loswerden. Er wollte gar nicht daran denken, wie sein Leben aussehen würde, wenn dieser Plan nicht aufging. Er tätschelte den kräftigen Hals seines Braunen und dachte an das letzte Mal, als er diesen Weg geritten war.

Wessen Idee war es damals eigentlich gewesen, loszuziehen und die zurückgezogen lebende Priscilla Elhalyn zu besuchen – seine oder Dyans? Mikhail erinnerte sich nicht mehr. Er wusste nur noch, dass es etwa vier Jahre zurücklag und dass sie beide reif für ein Abenteuer gewesen waren. Sie waren auf ihre Pferde gestiegen und zum Spaß nach Westen geritten, ohne sich auch nur das Geringste dabei zu denken. Dass Priscilla sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen würde, war ihnen erst in den Sinn gekommen, als sie schon fast angekommen waren, und keiner von ihnen konnte mehr einen Rückzieher machen, ohne als Trottel dazustehen.

Nach einem dreitägigen Ritt waren sie schließlich unangemeldet auf Burg Elhalyn eingetroffen. Priscilla hatte sich allerdings nicht sehr beunruhigt über die Störung gezeigt. Immerhin war Mikhail der Enkel von Alanna Elhalyn, der Schwester ihres Vaters Stefan. Der Besuch eines Vetters, so hatte ihre Haltung ausgedrückt, war immer willkommen. Und irgendwie wirkte sie auf ihre verwirrte Art beinahe so, als hätte sie die beiden erwartet. Die kleine Frau mit Augen wie graue Glasmurmeln lebte umgeben von ihren Kindern und wenigen Dienern und war durchaus eine nette Abwechslung, aber wohl kaum das Abenteuer, auf das er gehofft hatte.

Burg Elhalyn war ein bescheidenes Anwesen – lange nicht so groß und eindrucksvoll wie Ardais –, aber solide gebaut. Einer der Diener hatte erzählt, dass sie noch aus dem Zeitalter des Chaos stammte, als der Vertrag endlich die Kriege beendete, die den Planeten so lange bestimmt hatten. Mikhail hatte die Steine untersucht und herausgefunden, dass das Gebäude noch nicht so alt war. Doch bei dem Durcheinander, das damals geherrscht hatte, war alles möglich.

In jenen wirren Zeiten war sehr vieles verloren gegangen, viele Aufzeichnungen und auch viel Wissen. Einiges davon blieb allerdings besser für immer verloren, denn wie Mikhail wusste, hatte man Matrizen damals auf eine für ihn unvorstellbare Art und Weise eingesetzt. Da hatte es das Haftfeuer gegeben, das an der Haut kleben blieb und sich bis zum Knochen durchfraß – ein grauenhafter Gedanke. Und das war noch nicht einmal das Schlimmste gewesen. Mikhail konnte sich das alles kaum vorstellen und war froh für Darkover, dass diese schrecklichen Zeiten lange zurücklagen.

Was nicht heißen sollte, dass in jüngerer Zeit nichts passiert wäre. Kurz nach seiner Geburt hatte die Sharra-Rebellion den Planeten erschüttert, und ein paar Jahre später hatten die Weltenzerstörer versucht, die gesamte Ökologie auf Darkover zu vernichten. Doch seit fast zwei Jahrzehnten herrschte nun endlich Ruhe auf dem Planeten. Es bestand demnach kein echter Anlass für den Schutz durch die Gardisten, außer dass Mikhail als Regent von Elhalyn einen gewissen Status besaß und dass es der Sitte entsprach.

Der miserable Zustand von Burg Elhalyn hatte Mikhail schockiert. Das Klima auf Darkover war wirklich unbarmherzig. Die Winter waren grausam, und die Häuser wurden allein deshalb gut in Schuss gehalten, um die Gesundheit ihrer Bewohner während der kältesten Monate zu garantieren. Zugige Flure und Türen, die in den Angeln knarrten, waren eine neue und ziemlich unangenehme Erfahrung für ihn. Dyan hatte ein paar bissige Bemerkungen darüber gemacht, aber Mikhail hatte diese Nachlässigkeit auf die wohl bekannte Verschrobenheit der Elhalyns zurückgeführt.

Mikhail hatte bei Priscillas fünf Kindern immerzu nach Anzeichen für die nachweisliche Geistesgestörtheit der Elhalyn-Linie gesucht, aber trotz ihres eigenartigen Zuhauses wirkten sie alle gesund und durchaus normal. Sie waren keine Fremden gewohnt und deshalb zunächst sehr schüchtern, aber schon nach einem Tag hatten sie die beiden Männer akzeptiert. Die beiden Nesthäkchen Miralys und Valenta versteckten sich nicht mehr hinter den Röcken ihrer Mutter, und die Knaben Alain, Vincent und Emun stellten neugierige Fragen über Pferde, Thendara, die Terraner und viele andere Dinge. Die Jungen hatten damals Valient, den Vater seines jetzigen Pferdes, ebenso bewundert wie Dyans temperamentvolle Stute Roslinda, sie hatten Bemerkungen über ihre Kleidung gemacht und sich alles in allem wie andere junge Burschen benommen, die er kannte.

Bis zur Nacht der Séance war der Aufenthalt ziemlich langweilig gewesen. Wer oder was immer damals gesprochen hatte – Mikhail erinnerte sich noch genau an die kalte Berührung und schauderte. Im Nachhinein war er sehr froh darüber, dass der Geist von Derik – falls er es denn gewesen war – ihm den Eid abgenommen hatte, niemals über das Vorkommnis zu sprechen. Er hätte mit dieser Geschichte bestimmt ernsthafte Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit geweckt.

Allerdings hatte er bei diesem Versprechen nicht damit gerechnet, je nach Elhalyn zurückzukehren oder Priscilla und ihre Kinder jemals wieder zu sehen. Niemals hätte er sich auch nur träumen lassen, dass er einmal Regent der Domäne Elhalyn werden und von Regis Hastur den Befehl bekommen würde, unter Priscillas Söhnen denjenigen auszuwählen, der den lange verwaisten Thron des Königs von Darkover einnehmen könnte.

Mikhail hatte seit jener tumultartigen Sitzung in der Kristallkammer bereits mehrfach den Wunsch verspürt, die Regentschaft abzulehnen. Diese Entscheidung hätte wahrscheinlich die Beziehung zu seinen Eltern wiederhergestellt und ihn zudem von einer unerwünschten Last befreit. Doch sein Pflichtgefühl war zu stark. Er brachte die Worte einfach nicht heraus. Hätte man ihn doch nur nicht zum Herrscher ausgebildet!

Und wären seine Eltern doch nur nicht so starrsinnig und misstrauisch gegenüber ihm, Lew Alton und Marguerida gewesen, was diese Angelegenheit betraf. Sie argwöhnten nur das Schlimmste! Man hatte Mikhail einst dazu ausgebildet, einmal der pflichtbewusste Erbe von Regis Hastur zu werden und über Darkover zu herrschen, doch dann war ihm alles weggeschnappt worden. Nun blieb ihm nichts weiter übrig, als die vor ihm liegende Aufgabe so gut wie möglich zu meistern, auch wenn er das Gefühl hatte, dass man ihn nur aus dem Weg haben wollte. Jede Leronis hätte die Jungen prüfen können, das wusste er genau. Doch Regis hatte darauf bestanden, dass Mikhail es tat, und wollte sich mit keinem anderen begnügen.

Je länger er über die Sache nachdachte, desto sicherer war sich Mikhail, dass ihm entscheidende Informationen fehlten. Man hatte ihn nicht abgeschoben, egal wie er sich fühlte. Er war ein Teil des Plans – ein willenloser Bauer in einem von Regis‘ bösen Spielen. Es war zum Verrücktwerden! Er war ein Gefangener seiner eigenen Treue, aber auch von Regis‘ Manipulationen. Er war nicht frei, um seine eigenen Ziele zu verfolgen, und das ärgerte ihn mehr, als ihm bis zu diesem Augenblick bewusst gewesen war.

Das alles war sehr entmutigend. Die Erkenntnis, dass seines Wissens niemand uneingeschränkt glücklich mit den Vorschlägen seines Onkels war, tröstete ihn nur wenig. Er empfand tiefes Mitgefühl für seinen jungen Vetter Danilo Hastur, der inzwischen eigentlich längst zum Erben hätte ernannt werden müssen. Doch seine einzige Information war eine geheimnisvolle Bemerkung von Lady Linnea gewesen. »Regis ist sich mit Dani noch nicht sicher.« Wenn sich Mikhail schon gleichzeitig ausgeschlossen und gefangen fühlte, wie musste es dann erst Danilo Hastur gehen?

Was Regis auch vorgeschlagen hatte, selbst die Teilnahme der Aldarans am Rat der Comyn, klang äußerst logisch. Aber die Darkovaner waren kein logisch denkendes Volk. Sie waren sehr leidenschaftlich, und wenn ihre Gefühle mit ihnen durchgingen, wie es bei seiner Mutter offenbar gerade der Fall war, dann hörten sie nur noch auf ihr Herz. Regis schien das allerdings nicht zu begreifen.

Mikhail fragte sich, welche Geheimnisse sein Onkel wohl bewahrte, und dachte dabei ein bisschen schuldbewusst an seine eigenen. Er hatte nie von der Séance erzählt und auch über seine beiden Besuche bei den Aldarans geschwiegen. Aber das waren schließlich nur Kleinigkeiten. Außerdem hatte Regis einmal zu ihm gesagt, die halbe Staatskunst bestünde darin, über Informationen zu verfügen und zu wissen, wann und wie man sie einsetzte.

Mikhail tat seine widersprüchlichen Gedanken mit einem Achselzucken ab. Von der ganzen Grübelei schmerzte ihm nur der Kopf. Er wusste, dass sich Regis in mancherlei Hinsicht verändert hatte, aber er musste sich wohl oder übel damit abfinden. Er konnte die Veränderung nicht genau benennen, und wenn er mal genau darüber nachdachte, schien auch etwas Überstürztes in den Aktionen seines Onkels zu liegen, als folgte er einem geheimen Zeitplan, den er unbedingt einhalten musste.

Genug! Der Tag war zu schön für solche Gedanken. Er konnte die düster aufragende Masse von Burg Elhalyn bereits am Horizont erkennen und war froh, dass Priscilla von dort weggezogen war. Haus Halyn, der alte Landsitz der Familie, lag fünfzehn Kilometer näher am Meer, und Mikhail hoffte nur, er war in besserem Zustand als die zerfallene Burg, die sogar aus der Ferne traurig und heruntergekommen aussah.

Aber selbst wenn der Landsitz nicht besser erhalten war, glaubte er sich damit abfinden zu können. Schließlich war es nicht für immer, er würde lange vor seinem Lebensabend entweder die Regentschaft los sein oder ein für alle Mal die Möglichkeit, den Platz seines Onkels einzunehmen.

Seltsam. Früher hatte er sich sogar einmal danach gesehnt, diese undankbare Aufgabe zu übernehmen, die Regis zwei Jahrzehnte lang trefflich erfüllt hatte. Das war allerdings, lange bevor er Marguerida kennen gelernt hatte. Er stieß ein leises Lachen aus, bei dem Stürmer sofort die Ohren aufstellte. Mikhail gestattete sich einen Gedanken an die Listen, die er als junger Bursche angelegt hatte, mit all den Dingen, die er nach seiner Thronbesteigung tun wollte. Sie waren, so vermutete er, ebenso idealistisch wie töricht gewesen.

Der Wind drehte sich, und der Geruch des Meeres von Dalereuth wehte zu ihm herüber. Es war ein scharfer Geruch, nach Salz und etwas, das er nicht benennen konnte. Marguerida würde es bestimmt wissen, schließlich war sie auf einer Welt mit vielen Ozeanen aufgewachsen, nachdem sie Darkover im Alter von fünf Jahren verlassen hatte. Trotz der Eindrücke von Thetis, die er im Lauf der Monate durch sie gewonnen hatte, konnte Mikhail nicht wirklich nachvollziehen, wie es war, direkt an einem tosenden Ozean zu wohnen. Und auch die sonderbaren Geschöpfe, die wie Sterne aussahen, oder die springenden Meeressäugetiere, die sie Dolfine nannte, waren ihm nach wie vor fremd.

Mikhail wusste, dass Marguerida sich manchmal nach Thetis und der Wärme dort sehnte, und er fragte sich, ob sie auf Darkover je glücklich sein würde. Er hoffte es, denn sein Glück war ohne sie nicht vollkommen, und er hätte es nicht ertragen, wenn sie wieder fortgegangen wäre. Sobald sie ihre Ausbildung im Turm abgeschlossen hatte, würde ihr allerdings freistehen, genau das zu tun – nämlich Darkover zu verlassen. Das war kein erfreulicher Gedanke. Falls sie sich tatsächlich für eine Abreise entschied, würde sie ein großes Chaos verursachen und wahrscheinlich sämtliche Pläne zunichte machen, die Regis gerade ausheckte.

Ein seltsames Krächzen über seinem Kopf ließ ihn aufblicken und verscheuchte seine düsteren Gedanken. Es stammte von einem großen Vogel, einer Art Krähe, wie sie Mikhail noch nie gesehen hatte. Sie war glänzend schwarz, mit vereinzelt weißen Federn am Flügelrand. Das Tier sah ihn aus argwöhnischen roten Augen an, schrie noch einmal und kreiste genau drei Mal über ihm. Mikhail zuckte leicht zusammen, der Vogel sah gefährlich aus mit seinen gewaltigen Klauen und dem scharfen Schnabel.

Mikhail sah ihm zu, wie er seine Kreise drehte, und freute sich an der Vollkommenheit seines Fluges. Er sah ihm nach, bis er endgültig verschwand, dann trieb er sein Pferd an. Bis Haus Halyn waren es noch einige Kilometer, und wenn er vor Einbruch der Dunkelheit ankommen wollte, musste er sich beeilen.

Beim Weiterreiten überlief Mikhail ein leichter Schauder des Unbehagens, doch er schimpfte sich sofort lautlos einen abergläubischen Narren. Diese Seekrähe war bestimmt kein böses Omen, kein Wink des Schicksals. Ihm war nur nicht ganz wohl bei der Sache, weil man ihn mit einer Aufgabe betraut hatte, die er weder angestrebt noch gerne übernommen hatte.

Mikhail stimmte ein Trinklied aus ihrer Studentenzeit an, das er von Marguerida gelernt hatte. Es war ziemlich unanständig, und er hörte die Gardisten hinter sich kichern. Ihre Ausgelassenheit erfreute sein Herz so sehr, dass er seine Sorgen beinahe vergaß, während er auf Haus Halyn zuritt.

2

Es war ein Jammer, dachte Margaret Alton, dass ihr dieser wunderschöne Tag von Kopfschmerzen verdorben wurde. Sie saß auf einer niedrigen Bank im Duftgarten von Arilinn und versuchte die schmerzlindernden Methoden anzuwenden, die sie in den vier Monaten im Turm gelernt hatte. Doch obwohl sie die Technik beherrschte, hämmerte der Schmerz hartnäckig weiter in ihrem Schädel.

Sie zuckte zusammen, als die Stiche noch heftiger zu werden schienen; sie hatte das Gefühl, als bohrte ihr jemand Stilette in die Stirn, direkt über den Augen. Sie spürte den Puls, der heiß durch ihre Adern pochte, bis ihr plötzlich klar wurde, dass es diesmal keine gewöhnlichen Kopfschmerzen waren.

Nein, befand Margaret, das hier war nicht zu vergleichen mit dem scheußlichen Gefühl, das sie überkam, wenn sie mal wieder zu lange im Turm gewesen war. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich nicht in der Nähe großer Ansammlungen von Matrizen aufhalten konnte – obwohl schon der Anblick eines persönlichen Sternsteins ihr Übelkeit verursachte. Nichts und niemand hatte sie auf eine Umgebung wie den Turm von Arilinn vorbereitet – auf diese gewaltigen Energien, die hinter steinernen Wänden eingeschlossen waren. Und was noch schlimmer war: Die anderen hatten gar nicht begriffen, was ihr die großen Schirme antaten, bis sie schließlich ernsthaft krank wurde.

Ihre erste Erfahrung damit war sehr qualvoll gewesen, ein heftiger Schub der Schwellenkrankheit hatte sie niedergestreckt, fast so schrecklich wie der vom vorangegangenen Sommer auf Burg Ardais. Immer wenn sie das Gebäude ansah und an die ersten Nächte im Schlafsaal dachte, schauderte sie. Sie wusste, sie hätte sterben können.

Glücklicherweise war sie jedoch nicht gestorben, und das Problem ließ sich überraschend einfach lösen. Außerhalb des Turms und damit abseits der Energien der Matrizen klang die Krankheit sofort ab. Sie wohnte nun in einer kleinen Hütte außerhalb der Mauern, was sie sehr genoss, denn hier war sie das unaufhörliche Geschnatter und die offene Feindseligkeit ihrer Mitschüler ebenfalls los. Sie lebte zum ersten Mal allein, und das Gefühl der Abgeschiedenheit, des Ungestörtseins, linderte etwas in ihr, das sie bisher gar nicht als schmerzhaft empfunden hatte. Sie betrat den Turm jetzt nur noch zum Unterricht. Und der galt im Augenblick weniger dem Studium ihres eigenen Laran als vielmehr verschiedenen meditativen Techniken, durch die sie sich in der Nähe einer großen Anzahl von Matrixsteinen aufhalten konnte, wie sie in Arilinn oder in jedem anderen Turm untergebracht waren.

Der Turm war ganz anders, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Margaret hatte gedacht, es handle sich um ein einzelnes Gebäude, wie jene, die sie bei ihren beiden Besuchen in der Oberwelt vor ein paar Monaten kurz gesehen hatte. Stattdessen war Arilinn eine kleine, aber geschäftige Gemeinde mit dem Turm als Mittelpunkt. Dort lebten Weber, die Kleider speziell für die Insassen des Turms herstellten, Bauern, die Getreide anbauten, geschickte Kopisten, die in den Archiven arbeiteten und sich bemühten, die noch erhaltenen Schriften aus der Vergangenheit zu bewahren, und viele andere Handwerker.

Margaret fand schließlich heraus, dass es deshalb ein ganzes Leben dauern konnte, bis man die Matrixwissenschaften lernte, weil man immer nur sehr wenig auf einmal aufnehmen konnte. Es war nicht wie in Musik oder Geschichte, wo Studenten sich hinsetzten und ein Dutzend Texte lasen, an mehreren Seminaren teilnahmen und dann ein gewisses Fachwissen für sich in Anspruch nehmen konnten. Der alte Jeff Kerwin hatte sich inzwischen länger damit beschäftigt, als Margaret auf der Welt war, und selbst er lernte immer noch.

Das Haus, in dem sie wohnte, war erst wenige Jahre alt; ihr Onkel Jeff hatte die Anlage einst bauen lassen. Ihr Vater, Lew Alton, wohnte ebenfalls dort, wenn er zu einem seiner häufigen Besuche aus Thendara kam. Er wäre gerne für immer geblieben, um die Fortschritte von Diotimas Behandlung zu verfolgen, aber dem hatte Jeff einen Riegel vorgeschoben, weil er Lews Anwesenheit für störend hielt.

Dem war auch tatsächlich so, denn Lew neigte zu Zornesausbrüchen und Aufgeregtheit und verlangte stets nach Lösungen, obwohl noch niemand genau sagen konnte, welcher Art das Problem eigentlich war. Sie wussten nur, dass Dios Zellen aus irgendeinem Grund zerfielen – trotz aller Versuche, das Fortschreiten ihrer seltsamen Krankheit aufzuhalten.

Jetzt lag Diotima Ridenow in der Mitte des Raumes, in dessen Wänden riesige Kristalle leuchteten, und sie sah aus wie eine schlafende Märchenprinzessin. Margaret hatte es fertig gebracht, sie ein paar Mal zu besuchen, aber sie konnte die vielen Matrixsteine auf engstem Raum nicht lange ertragen. Sie hatte große Schuldgefühle deswegen und war unendlich wütend auf sich selbst. Sie wusste, dass sie sich das alles nur einredete, aber sie war im Innersten überzeugt, dass sie ihre tiefe Abneigung gegen die Matrizen durchaus überwinden und an Dios Seite sitzen könnte, wenn sie nur stark genug wäre.

Es hatte sie rasend gemacht, dass sie nichts für ihre geliebte Stiefmutter tun konnte. Sie war nun mal das Kind ihres Vaters und hatte wie er immerzu den gewaltigen Drang, aktiv zu sein, statt tatenlos zuzusehen. Nach mehreren frustrierten Wochen, in denen sie sich kaum dem Studium ihrer Gabe widmete, verfiel sie auf die Idee, ihre kostbare Aufnahmeausrüstung zweckzuentfremden, damit sie Dio Gesellschaft leisten konnte.

Mit Hilfe der beiden Aufnahmegeräte, die sie besaß – ihrem eigenen und dem von Ivor Davidson –, nahm sie alle Lieder auf, an die sie sich aus ihrer Kindheit auf Thetis erinnerte. Dazu die vielen Lieder, die sie seit ihrer Rückkehr nach Darkover neu oder wieder gelernt hatte, und alles, was ihr sonst noch so in den Sinn kam. Allein schon durch das Singen fühlte sie sich weniger hilflos. Sie wusste, sie war keine großartige Sängerin, nur eine sehr gründlich ausgebildete Musikerin. Margaret fehlte es an jenem gewissen Etwas, das den Künstler vom Liebhaber unterscheidet, aber ihre Stiefmutter würde sich wohl kaum daran stören.

Als sie eine Scheibe voll hatte – etwa sechsundzwanzig Stunden Gesang mit gelegentlichen Geschichten, die zur Musik passten –, hatte sie sich wieder in Dios Kammer gewagt, Ivors Abspielgerät aufgestellt und eingeschaltet. Margaret scherte sich keinen Deut darum, dass sie ein halbes Dutzend terranische Regeln über die Technologiebeschränkungen auf Planeten wie Darkover verletzte oder dass die Geräte eigentlich der Universität gehörten und sie diese eigentlich zurückgeben müsste. Sicher, sie hatte die Musikfakultät nicht darüber informiert, dass sie auf absehbare Zeit nicht an die Universität zurückkehren würde, und dort nahm man wahrscheinlich an, dass sie noch immer fleißig an dem Überblick über die darkovanische Musik arbeitete, wegen dem sie vor fünf Monaten wieder auf den Planeten gekommen war. Aber das waren alles nur Haarspaltereien. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie Darkover nicht mehr verlassen würde, und sie hatte gewiss nicht vor, ihre Arbeit der Fakultät zu übermitteln, damit hinterher irgendwer daran herumbasteln konnte.

Die Batterien, mit denen das Gerät lief, reichten etwa für sechs Monate Dauerbetrieb, und notfalls würde ihr der Bruder ihrer Mutter, Captain Rafe Scott, schon neue besorgen, falls sie welche brauchte. Er arbeitete im terranischen Hauptquartier in Thendara, und sie war überzeugt, dass er die Batterien beschaffen konnte. Margaret war klar, dass sie sich allein für solche Gedanken eigentlich verabscheuen müsste, aber sie tat es schließlich für Dio, und damit war es ihr wichtiger als alles andere.

Und so wurde die glitzernde Kammer rund um die Uhr mit Gesang erfüllt. Margaret wusste nicht, ob es wirklich half und ob Dio ihre Stimme, ihre Lieder überhaupt hörte, aber sie fühlte sich besser, wenn sie wusste, dass ihre Stiefmutter nicht völlig von jedem menschlichen Kontakt abgeschnitten war.

Manchmal kam Lew noch zu Margaret, nachdem er den ganzen Tag bei Dio verbracht hatte, er wirkte dann meist recht abgespannt, aber ruhig. Er sagte ihr mehrfach, dass ihre Lieder wunderschön seien und dass es ihm gut täte, ihre Stimme zu hören, selbst wenn es Dio nicht helfen sollte. Sogar einige der Techniker und Schüler in Arilinn, die sich normalerweise von Margaret fern hielten, hatten sie aufgesucht, um ihr zu sagen, dass sie oft ihrer Musik lauschten und sich neben Diotimas im Koma liegenden Körper setzten, wenn sie in die Kammer gingen, um die Frau zu überwachen. Dies war der freundlichste Kontakt, den Margaret je mit den Bewohnern im Turm hatte, und der einzige, der frei von Misstrauen und Abneigung war.

Sie war in der Erwartung hergekommen, eine Umgebung wie an der Universität vorzufinden, und hatte stattdessen feststellen müssen, dass Arilinn eine Brutstätte des Konkurrenzdenkens war. Wer einen hohen Grad an Laran besaß, neigte dazu, sich als Herr über diejenigen aufzuspielen, die einen niedrigeren hatten – einschließlich der beiden Töchter von Regis, die zur gleichen Zeit wie Margaret ihre Ausbildung begonnen hatten. Mehrere Frauen besaßen den Ehrgeiz, Bewahrerin zu werden, was nur verständlich war, denn außer zu heiraten oder eine Entsagende zu werden, konnte eine Frau auf Darkover nicht viel tun, wenn sie Einfluss ausüben wollte. Einige der Männer strebten dasselbe Ziel an, wenngleich männliche Bewahrer noch immer eine Seltenheit waren.

Der feindselige Empfang hatte Margaret gekränkt und verwirrt, und es hatte einige Zeit gedauert, bis sie begriff, dass sie genau das in reichem Maße hatte, wonach sich viele junge Menschen sehnten. Margaret wusste genau, sie wären entsetzt gewesen und hätten ihr sowieso nicht geglaubt, dass sie ihnen die Alton-Gabe und was sie von der Aldaran-Gabe der Voraussicht besaß, liebend gerne geschenkt hätte, wenn es nur möglich gewesen wäre. Sie hatte ihr Laran nie gewollt und wollte es noch immer nicht. Sie musste sich einfach damit abfinden, aber es bereitete ihr trotz geringer Fortschritte keine Freude.