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In der Märchen Wunderwelt zählen niemals Gut und Geld. Auf Gefühle kommt es an und dass das Edle siegen kann! Lehrreich sind sie ohnehin, das ist der Märchen tiefer Sinn. In diesem kleinen Band, den du nun hälst in deiner Hand, geht es um Lieb und Treu und Glück. Nimm dir dafür Zeit, nicht nur einen Augenblick und du wirst es sogleich verstehn, die Reime und Bilder sind wunderschön!
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Seitenzahl: 234
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Die Schneekönigin
(
in sieben Geschichten
)
Der Reisekamerad
Der fliegende
Koffer
Der Schmetterling
Die Galoschen des
Glücks
(
in sechs Geschichten
)
Zwölf mit der Post
Der Halskragen
Das Liebespaar
Die Nachtigall
Die Stopfnadel
Wie’s der Alte macht; ist’s immer recht
Das Fleidermütterchen
Der Flaschenhals
Der Wassertropfen
Das Mädchen mit den Schwefelhölzern
Die kleine Meerjungfrau
Des Kaisers
neue Kleider
Die erste Geschichte fängt nun an,
weil ich gerade zu schreiben begann.
Am Anfang wissen wir nicht viel,
alles zu erfahren, ist unser Ziel.
In dieser ersten Geschichte
treibt ein böser Zauberer sein Unwesen!
Ja, er ist der allerschlimmste
von allen Zauberern gewesen!
Der Teufel persönlich war es!
Wollt ihr wissen, was er tat?
Dann müsst ihr weiterlesen!
Eines Tages, vielleicht war es auch in der Nacht,
da war er recht bei Laune,
denn er hat einen Spiegel gemacht.
Dieser war ein ganz besonderes Ding,
das alles durcheinanderbringt!
Das Gute und Schöne,
welches man im Spiegel zu sehen bekam,
schwand zu einem Nichts zusammen,
es ein hässliches Aussehen bekam!
Doch das, was nichts taugte,
schlecht und böse war,
trat besonders hervor,
wurde noch schlimmer und ärger,
wie sonderbar!
Die schönsten Landschaften
sahen in diesem Spiegel aus
wie gekochter Spinat.
Die besten und schönsten Menschen
man nur noch als Fratzen gesehen hat!
Ihre Gesichter wurden so verdreht,
dass jeder sie als hässlich erkennt und versteht.
Sie standen auf dem Kopf
und wurden ohne Rumpf,
ohne Arme und Beine dargestellt!
Die Hässlichkeit ist des Teufels Welt!
Als lustig hat der Teufel
diese Bilder empfunden.
Die Menschen aber, die so gezeichnet waren,
fühlten sich beleidigt und geschunden!
Des Teufels Zauberschüler
gingen mit dem Spiegel hinaus in die Welt
und erzählten einem jeden,
ob er es wissen wollte oder ob es ihm nicht gefällt:
Ein Wunder sei geschehen.
In des Teufels Spiegel
könne man die Menschen
ganz genau so, wie sie wirklich sind,
erkennen und auch sehen!
Sie liefen damit durch jedes Land.
Sodass am Ende ein jeder,
der in den Spiegel hineingeschaut,
seinen Augen wohl nicht traut
und sich selbst nicht hat erkannt!
Am Ende wurden alle darin verdreht.
Den Sinn dafür, der Teufel selbst wohl nicht versteht!
Als sie auf Erden all das hatten vollbracht,
haben sie sich auf dem Weg
zum Himmel hinauf gemacht.
Nun wollten sie sich über die Engel
und den Herrgott lustig machen.
Doch der versteht keinen Spaß in solchen Sachen!
Kaum dass der Teufel und seine Schüler
in seiner Nähe waren,
erkannten sie gleich die Gefahren!
Der Spiegel erzitterte, entglitt ihren Händen.
Sein Schicksal war nicht mehr zu wenden!
Er stürzte hinab und zerschellte
in hundert Millionen Stücke,
auf der Erde auf einem Stein!
Das Unglück, das nun geschah,
konnte gar nicht größer sein!
Denn jede Spiegelscherbe
hatte die selben Kräfte behalten,
die der heile Spiegel einst besessen.
So konnte sich des Spiegels Unart
auf der ganzen Welt entfalten.
Was man dagegen tun konnte,
hatten die Menschen wohl vergessen!
Die Spiegelscherben, die klein wie ein Sandkorn waren,
flogen umher in der ganzen Welt.
Sie kamen überall an, obwohl sie nicht bestellt,
und trafen in viele Augen hinein.
Die Menschen, denen das geschah,
sahen alles verkehrt.
Für sie sollte von Stunde an
das Verkehrte das Richtige sein!
Solch Schlimmes mussten sie erfahren!
Größere Scherben trafen so manchen
in sein Herz hinein.
Dessen Unglück konnte nicht größer sein!
Sein Herz ward ein Klumpen aus Eis,
der so hart war wie ein Stein!
Aus noch größeren Scherben
wurden Fensterscheiben gemacht.
Durch sie zu sehen, hat nur Frust gebracht!
Alles war schräg, verschwommen und schlecht,
diese Erfahrung kam keinem recht!
Andere Scherben kamen in Brillen hinein.
Wer diese trug, um gut zu sehen,
konnte niemals gerecht mehr sein!
Der Böse hatte all’ das den Menschen verpatzt,
nun lachte er sich krumm,
sodass der Bauch ihm fast geplatzt!
Und immer noch ist die Luft
mit den Spiegelscherben gefüllt!
Des Teufels Tücke wird durch sie gestillt!
Auch in unserem Märchen spielen sie eine Rolle,
aber leider keine wirklich tolle!
Drinnen in der großen Stadt,
so mancher keinen Garten hat.
Damit man das Blühen nicht vergisst,
ein Blumentopf Ersatz wohl ist!
Zwei arme Kinder lebten dort,
an diesem ach so tristen Ort.
Bruder und Schwester sind sie nicht,
doch sie waren sich so gut,
als wären sie es gewesen!
Man sah es stets an ihrem Gesicht
und auch an ihren Gesten.
Ihre Eltern wohnten einander gerade gegenüber.
Zwei Dachkammern waren ihr Zuhaus.
Von jeder Seite führte ein Fenster
auf das Dach hinaus.
Die Dächer der Häuser, in denen sie gewohnt,
stießen auf einer Seite aneinand,
dazwischen sich eine gemeinsame Dachrinne befand.
Ein großer Schritt aus dem Fenster,
über die Rinne hinaus,
führte direkt auf das Nachbarhaus.
Der flache Balkon grenzte daran,
den man von beiden Seiten benutzen kann.
Ein Holzkasten mit Erde gefüllt,
wurde auf diesen Balkon gestellt.
Darin wuchsen Küchenkräuter,
die man zum Kochen nützt
und zwei Rosenstöcke, ganz beschützt.
Ein Garten ist das wohl nicht gewesen,
aber mehr doch als ein Blumentopf, ganz auserlesen!
Immer wieder trafen sich die Kinder dort,
an dem für sie so schönen Ort.
Im Schatten der Rosen haben sie gesessen,
gespielt und ihre Armut ganz vergessen.
Im Winter hatte das Vergnügen ein Ende.
Frost und Schnee brachten die Wende.
Der Wind pfiff ihnen um die Ohren.
Die beiden Fenster waren zugefroren.
Auf den Öfen wärmten die Kinder Kupfertaler an,
mit denen man ein rundes Loch
in die zugefrorenen Fensterscheiben schmelzen kann.
Ein Guckloch ist so in jeder Scheibe entstanden,
hinter denen die Äuglein des Jungen und des Mädchens
sich oft genug befanden.
Dass sie sich nun sehen konnten,
das fanden beide schön.
Wollten sie aber zueinander gelangen,
mussten sie nun über viele Treppenstufen gehn.
Natürlich haben die Kinder Namen besessen.
Diese zu nennen, hätte ich beinahe vergessen!
Kai und Gerda 1 wurden sie genannt.
Er war als kluger und stolzer Knabe und sie
als schönes und mutiges Mädchen bekannt.
Der Wind trug nun den Schnee durchs Land,
was Kais Großmutter erwähnenswert fand.
Sie sagte: »Das sind die weißen Bienen, die schwärmen!
Sie sind eiskalt und wollen sich wärmen!«
Da kam dem Knaben in den Sinn:
»Haben sie auch eine Königin?«
Er wusste, dass die richtigen Bienen
eine Königin haben besessen.
Der Großvater hatte es ihm einst erzählt
und er hat es nicht vergessen!
»Natürlich!«, sagte die Großmutter,
»sie haben eine Königin
wo der Schwarm am dichtesten ist,
dort hält sie sich auf,
dort fliegt sie stets hin!
Sie ist die größte von allen,
bleibt nie auf der Erde liegen.
Hoch zu den schwarzen Wolken muss sie fliegen.
Manchmal schaut sie zu den Fenstern herein,
dann frieren sie zu, erzeugen Frostblümelein.«
Ja, das hatten die Kinder schon gesehen
und konnten das Gesagte verstehen.
»Kommt die Schneekönigin vielleicht
dann auch zu uns herein?«, fragte ängstlich das Mägdelein.
»Lass sie nur kommen«,
fiel dem Knaben ein,
»dann setze ich sie auf den warmen Ofen
und bald schon wird die zu Wasser geschmolzen sein!«
Die Großmutter strich über sein Haupt.
Jedes Wort aus der Geschichte
hatten die Kinder ihr geglaubt!
Und natürlich auch all’ ihre sonstigen Berichte!
Am Abend, vor dem Schlafengehen,
wollte Kai noch einmal aus dem Guckloch sehen.
Ein paar Schneeflocken sind gefallen
und eine, die allergrößte von allen,
blieb am Rand des Blumenkastens liegen.
Sie wuchs mehr und mehr
und zuletzt ist aus ihr eine Frau gestiegen.
Sie war in weißen Flor gekleidet,
der aus sternartigen Flocken bestand.
Ein Eiszepter hielt sie in der Hand.
Doch Kai sie darum nicht beneidet!
Sie war so schön und auch so fein,
doch aus leblosem, blinkendem
Eise musste sie wohl sein!
Ihre Augen blitzten wie zwei klare Sterne.
Ruhelos blickten sie in die Ferne.
Sie nickte zum Fenster,
hob für Kai grüßend die Hand!
Der kleine Junge erschrak
und angstvoll hat er sich abwandt!
Er ist vom Stuhle gesprungen.
Ihm war es, als flöge ein großer Vogel vorbei,
der ihm ein seltsames Lied gesungen!
Trotz seines Mutes war ihm das nicht einerlei!
Bald darauf ging der Winter zu Ende.
Der Schnee begann zu schmelzen.
Wilde Wasser sich ins Tale wälzen.
Die Sonne begleitete des Frühlings Wende.
Die Kinder spielten wieder
in ihrem Blumenkastengarten.
Auf das Erblühen der Rosen
sie an allen Tagen warten.
Ein kleines Lied zur Abendstund
erklang aus beider Kinder Mund:
»Die Rosen blühen und vergeh’n.
Den Weihnachtsbaum werden wir bald wiedersehn!«
Die Uhr am Kirchturm
hatte gerade fünf geschlagen,
da hörte Gerda Kai laut klagen:
»Au, es stach mir ins Herz
und etwas flog mir ins Auge hinein!
Die Schmerzen kann ich kaum ertragen,
hoffentlich wird es nichts Schlimmes sein!«
Das erschreckte Gerda sehr,
doch Kai wollte von ihr keine Hilfe mehr.
Er blinzelte ein wenig mit den Augen,
aber es war nichts zu sehn.
»Ich glaube, es ist fort!«, sprach er
und ließ das Mädchen einfach stehn.
Glassplitter vom zerbrochenen Zauberspiegel
waren in sein Auge und sein Herz geflogen.
Solche, die alle guten Menschen sehr betrogen.
Die all’ das Schöne klein und hässlich gemacht,
aber das Schlechte und Hässliche besonders hervorgebracht!
Gleich sofort ist Kais Herz zu Eis geworden,
es tat nicht weh und konnte ihn nicht morden!
Aber es war da und Gerda ahnte nicht, was geschah.
»Weshalb weinst du?«, stellte er ihr seine Frage dann.
»Wenn du heulst, sieht man dir
deine Hässlichkeit besonders an!
Alle Rosen finde ich abscheulich nun,
werde sie sofort aus dem Kasten tun!«
Mit seinem Fuße stieß er den Blumenkasten um
und trat auf den schönen Blüten herum,
über die er sich gerade noch gefreut!
Was ist mit ihm nur geschehen heut’?
»Kai, was machst du da?«,
rief das Mädchen in seinem Schreck.
Da riss der Knabe den Rosenstock aus dem Boden
und mit Schwung schmiss er ihn weg!
Er ließ das liebe Mädchen stehn
und wollte alleine nur seine Wege gehn.
Immer wieder versuchte sie,
mit ihm Kontakt zu bekommen.
Doch richtig ernst hat er sie nie mehr genommen.
Kam sie mit dem Bilderbuch an,
so meinte er, dass man damit
nur noch Babys erfreuen kann.
Großmutters Geschichten kommentierte er stets
mit einem »Aber« oder »Vielleicht«.
Was hatte er damit wohl erreicht?
Er machte Oma in vielen Dingen nach,
hat sie oft trefflich imitiert.
Die Leute, die das sahen,
lachten dann die Oma aus,
immer wenn das war passiert!
Auch seine liebe Gerda
hatte nun nichts mehr zu lachen.
Immer wieder gelang es ihm,
dumme Späße über sie zu machen!
Des Teufels Spiegelsplitter hatten aus dem Knaben
ein anderes Kind gemacht!
Seine Fröhlichkeit, die er besessen, ging dahin!
Er hatte vergessen, wie man lacht
und so veränderte sich seines Lebens Sinn!
Als dann erneut der Winter zog ins Land,
er eine neue interessante Beschäftigung fand!
Unter der Lupe schaute er sich Schneeflocken an
und darüber er Folgendes berichten kann:
»Sieh nur Gerda, jede Schneeflocke
sieht wie eine prächtige Blüte aus.
Sie ist ein sechseckiger Stern.
Ach, wie gerne nähm ich sie mit nach Haus.
Leider schmilzt sie in der Wärme dann dahin,
darüber ich sehr traurig bin!«
Die Kinder hatten sich angewöhnt,
ihre Schlitten an die Wagen der Bauern zu binden.
Fuhren diese los, wurden sie mitgezogen.
Das war ein Gefühl, als wären sie geflogen!
Immer wieder versuchten sie, neue Wege zu finden,
weil das ihr Spiel so sehr verschönt!
Eines Tages kam während dieses Spiels
ein großer, weißer Schlitten auf dem Spielplatz an.
Kai überlegte nicht lange
und band seinen Schlitten an diesen an.
Darin saß eine Frau,
in einen weißen Mantel gekleidet.
Sehr warm sah dieser Mantel aus,
so mancher sie darum beneidet.
Der Kutscher, der auf dem Bocke des Schlittens saß,
lächelte den kleinen Kai gar freundlich an.
Diese Geste er nicht vergaß.
Es folgte ein großes Abenteuer sodann.
Die wilde Fahrt begann!
Zweimal wurde um den Platz gefahren,
dann sie sehr schnell am Stadtrand waren.
Kai hat nun die Angst ergriffen,
was gerade geschah, hatte er nicht begriffen!
Sein kleiner Schlitten
hing an dem großen Schlitten fest!
Die Schnur, mit der er ihn angebunden,
sich nun nicht mehr lösen lässt!
In Windeseile rasten die Schlitten dahin.
Kais laute Rufe machten keinen Sinn!
Niemand schien ihn zu hören
und keiner ließ sich durch sie stören.
Gerne hätte er nun ein Gebet gesprochen,
doch leider hatte er den Text vergessen!
Nur das große Einmaleins fiel ihm noch ein,
doch das nun aufzusagen, wäre wohl vermessen!
Irgendwann blieb der weiße Schlitten stehen.
Eine große, schlanke Frau in einem weißen Pelz
hat Kai nun aussteigen gesehen.
Ihr Mantel und ihre Mütze waren aus Schnee gemacht.
Das kann nur die Schneekönigin sein,
das hat Kai sogleich gedacht.
Die Dame umarmte ihn
und küsste ihn auf die Stirn.
Oh, das war kälter als Eis!
Dagegen er sich nicht zu wehren weiß!
Ihm war es, als sollte er sterben,
bestimmt kam das von des Teufels Scherben!
Aber auch der Tod wäre ihm nun recht!
Irgendwie, als käme es von ganz weit her,
fühlte er sich furchtbar schlecht!
Nach dem zweiten Kuss der Schneekönigin
hatte er Gerda, die Großmutter
und alle daheim vergessen,
als hätte er ihre Liebe nie besessen!
Die Schneekönigin sagte:
»Nun bekommst du keine Küsse mehr,
auch wenn es mir fallt so schwer.
Jeder weitere meiner Küsse brächte dich in Not!
Es gilt, was man oft sagen hört:
Sonst küsse ich dich tot!«
Kai sah sie an, sie war so schön!
Eine schönere Frau hatte er noch nie gesehn.
Er dachte nicht mehr daran,
dass sie aus Eis ist gewesen
und seine Angst vor ihr,
die er früher einmal besessen,
hatte er nun schon lange vergessen!
Er erzählte ihr, dass er mit Brüchen rechnen kann,
und fing das große Einmaleins aufzusagen an.
Sie lächelte und nahm seine Hand.
In neue Sphären sie mit ihm verschwand!
Flog mit ihm über Meere und Länder hinaus.
Danach schlief er sich
zu Füßen der Schneekönigin aus.
1 Im Original verwendet Andersen die Namen Karl und Gretchen. Durch viele Quellen wurden Kai und Gerda eingeführt. Aus Bekanntheitsgründen habe ich sie weitergeführt.
Aber wie ist es der kleinen Gerda ergangen,
als Kai, vielleicht für alle Zeiten, war fortgegangen?
An dem Wintertage kehrte er nicht heim!
Wohin mag er gegangen sein?
Seine Spielkameraden berichteten,
dass sie es gesehen haben,
wie er seinen Schlitten
an einen großen hatte angehängt,
der gleich sofort durch das Stadttor wurde fortgelenkt.
Seitdem war er verschwunden!
Niemand wusste, wo man ihn suchen könnt’,
darum wurde er auch nicht gefunden.
Sein böses Schicksal bedauerte Gerda sehr
und sie weinte um ihn immer mehr!
Sie fürchtete, er sei gestorben
und sie würde ihn nie wiedersehn!
Dann ging der Winter vorbei
und die Frühlingssonne lachte schön.
»Kai ist tot!«, sagte das Mädchen erneut.
»Das glaube ich nicht!«, meinte der Sonnenschein erfreut!
»Er ist tot!«, sagte sie zu den Schwalben, die vorüberziehn.
»Das glauben wir nicht!«, erwiderten die,
»du wirst ihn sicher wiedersehn!«
Und nun glaubte es Gerda auch nicht mehr!
Der Sonne und der Schwalben Widerspruch,
freuten sie ja so sehr!
»Ich ziehe meine liebsten, roten Schuhe an,
mit denen ich dann zum Fluss gehen kann.
Dann frage ich höflich bei dem Flusse an,
ob er mir meinen Spielkameraden hat genommen,
als er im Winter zu ihm war gekommen?
Ich schenke dir meine roten Schuhe sogleich,
gibst du mir den Kai zurück, dann machst du mich reich!«
Dann nahm sie ihre roten Schuhe
und warf beide in den Fluss hinaus.
Doch der Fluss gab sie gleich wieder heraus.
Die Wellen spülten sie ans Ufer zurück.
Es war, als wolle der Fluss ihr Liebstes nicht annehmen,
denn auch den kleinen Kai hatte er nicht genommen!
Aber auf diese Idee ist Gerda nicht gekommen!
Sie glaubte, sie müsse ihre Schuhe
viel weiter in den Fluss hinaus schmeißen,
um ihren Freund Kai
dem breiten Flusse zu entreißen!
Darum kroch sie in ein Boot,
das im Schilf lag ganz unvertäut!
Schmiss von dort die Schuhe
viel weiter in das Wasser hinein.
Doch schon bald hatte sie das bereut!
Denn dieses Geschenk brachte
das gewünschte Ergebnis nicht ein!
Stattdessen glitt das Boot
durch ihre Bewegung vom Lande ab,
direkt in die Mitte des Flusses hinein.
Es kam in seine reißende Strömung
und trieb in hohem Tempo den Fluss hinab.
Ganz ängstlich fing Gerda zu weinen an,
weil sie weder Kai, noch sich selbst retten kann!
Nur Sperlinge flogen neben ihr her.
Sie wollten das Mädchen trösten.
Ach, wenn es doch nicht untröstlich wär!
Die Ufer des Flusses waren schön bewachsen,
viele Tiere sah man in der Nähe stehen.
Aber Menschen hat sie leider keine gesehen!
»Vielleicht trägt der Fluss mich zu meinem Freund?«,
das hat Gerda zu sich selbst gemeint!
An einem Kirschgarten schwamm der Kahn entlang,
darin ein kleines Häuschen stand.
Das Dach war fein mit Stroh gedeckt,
zwei hölzerne Soldaten hat sie dort entdeckt.
Als sie das Mädchen sahen, präsentierten sie ihr Gewehr
und das gefiel der Gerda sehr!
Als sie nun um Hilfe hat gerufen,
kam aus der Haustür, hinab die Stufen,
eine alte Frau, mit einem Krückstock in der Hand.
Mit diesem zog sie Gerdas Kahn
endlich dann an Land.
Die Alte hatte einen Sonnenhut auf,
mit schönen Blumen war er bemalt.
Hat sie ihn selbst gemacht
oder gekauft und bezahlt?
Da kommst du sicher niemals drauf!
Die Alte sprach:
»Du armes kleines Kind,
wie bist du auf den Strom hinaus gekommen?«
»Der Kahn, in dem ich saß,
ist einfach fortgeschwommen!«
»Komm mit mir in mein Haus,
zieh die nassen Kleider aus.
Bis sie trocken sind, will ich dir eine Decke umlegen.
Die ist schön warm, für dich ein Segen!
Erzähl mir, wer du bist
und wie du zu mir gekommen?«
Gerda hat kein Blatt vor dem Mund genommen
und sprach:
»Mein Freund, der Kai, wurde entführt.
Das hat mein Herz so angerührt!
Nun suche ich ihn, so gut ich kann,
kam er etwa bei dir an?«
Doch das war nicht geschehen!
Die Alte antwortete: »Ich habe ihn nicht gesehen!
Doch sei nicht betrübt, sollst meine Kirschen probieren
und all die Blumen, in meinem Garten studieren!
Schönere als die, die in meinen Garten stehen,
hast du gewiss noch nicht gesehen!«
Dann führte sie das Mädchen in das schöne kleine Haus.
Die Fenster lagen hoch und die Scheiben
waren rot, gelb und blau.
Ich sah sie auch, erinnere mich genau.
Die Sonne, die durch sie schien,
sah irgendwie ganz seltsam aus.
Schwer war es zu beschreiben!
Eine Schale mit Kirschen stand auf dem Tisch,
sie waren saftig, schmeckten frisch.
Während sie aß, kümmerte sich die Alte
um des Mädchens Haar,
was ihr sichtlich angenehm war.
Sie kämmte es, bis es seidigen Glanz annahm,
und hörte erst auf, als es Löckchen bekam!
»Nach einem so lieben Mädchen
habe ich mich schon lange gesehnt!«,
dies die Alte nebenbei erwähnt.
»Du wirst sehn, unser Leben wird herrlich sein!
Seit du hier bist, bin ich nicht mehr allein.«
Und so, wie der Kamm
durch des Mädchens Haare glitt,
es immer weniger unter dem bösen Ereignis litt!
Mehr und mehr vergaß sie Kai, ihren Kameraden.
Das kam, weil die Alte eine Zauberin war
und das Vergessen war ihre Spezialität sogar!
Aber Gerda kam dabei nicht zu Schaden!
Nur zu ihrem Vergnügen zauberte die Alte ab und an,
damit sie das Mädchen bei sich behalten kann.
Sie war nicht böse, nicht gemein!
Ihre Zauberei sollte für sie nur ein kleiner Vorteil sein!
Darum streckte sie auch ihren Krückstock
gegen die wunderschönen Rosenstöcke aus
und verwandelte sie in Gartenerde.
Das alles nur, weil sie annahm, dass Gerda,
wenn sie die Rosen schaut,
sich nach Kai und ihrem Zuhause sehnen werde.
Kein Bilderbuch konnte hübscher und bunter sein,
das fiel Gerda sofort ein,
als die Alte sie durch ihren Garten führt’.
Die Blumenpracht hat das Mädchen sehr berührt!
Als die Sonne unterging,
bekam sie ein schönes Bett
mit weichen, roten Seidenkissen.
Wer solch eines nicht besitzt,
der wird es nun wohl sehr vermissen!
Mit Veilchenblüten waren sie gefüllt,
ihr Duft den ganzen Raum erfüllt.
Der führte dazu, dass sie sogleich schlief ein
und träumte, sie würde eine Königin
in ihrer Hochzeitsnacht sein.
An jedem Tag spielte sie im Blumengarten,
konnte den Morgen kaum erwarten.
Alle Blumen hat sie bald mit ihrem Namen benannt,
aber irgendwie spürte sie, dass etwas fehlt.
Doch was es war, das blieb ihr lange unbekannt!
Der Alten Sonnenhut hat es ihr verraten.
Was fehlte, stand einmal im Blumengarten!
Alle Rosen waren verschwunden!
Nur eine hat sie auf dem Hute aufgemalt gefunden.
Ob das wohl eine List der Alten ist,
damit den Kai sie schnell vergisst?
Die Rose auf dem Sonnenhut
vergaß die Alte wegzuzaubern.
Und nun vermute ich,
dass sie das sicher wird,
in naher Zeit wohl bedauern!
Und so ist es auch geschehen.
Als Gerda sich den Hut beschaut,
hat sie die Rose darauf sofort gesehen.
Und dass keine mehr im Garten war,
musste sie als Heimtücke verstehen.
Da fing sie bitterlich an zu weinen
und ihre heißen Tränen
tropften auf die Gartenerde,
das war nicht zu vermeiden!
Sie benetzte die Stelle,
wo einst die Rosen standen
und in blitzesschnelle sie sich wieder
an diesem schönen Platz befanden.
Nicht alle ihre Wurzeln
waren durch der Alten Zauber vergangen
und durch der Tränen Strom,
haben sie wieder zu wachsen angefangen!
Kaum blühten die Rosen,
dachte das Mädchen wieder an daheim
und da fiel ihr auch ihr Freund,
der kleine Kai, gleich wieder ein!
Sie rief: »Oh, wie bin ich in meiner Suche nach Kai
durch die Alte aufgehalten worden!
Ja, das macht mir große Sorgen.
Ich weiß nicht, wie es ihm ergeht
und wie es um sein Leben steht!
Ihr lieben Rosen, wisst ihr nicht, wo er ist,
ob er an mich denkt oder mich vermisst?
Ist er tot oder am Leben?
Für dieses Wissen würde ich vieles geben!«
Die Rosen antworteten:
»Sei nicht traurig, liebes Kind,
du weißt, dass wir aus der Erde gewachsen sind.
Aus der Erde, in der sich alle Toten befinden.
Kai ist nicht dort! Wir suchten nach ihm,
doch wir konnten ihn nicht finden!«
»Könnt ihr mir raten, wo ich ihn suchen soll?«
Doch alle Blumen träumten jede ihr eigenes Märchen
und was sie träumten, fühlte sich an ganz wundervoll!
Keine Blume wusste, was mit Kai geschehen!
Nein, keine einzige hatte den Knaben gesehen!