Die Sekunden danach - Matthias Politycki - E-Book

Die Sekunden danach E-Book

Matthias Politycki

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Beschreibung

Der Dönermann und die Badeschlappenschönheit, die gesammelten Ratschläge befreundeter Damen und die Traurigkeit des Kleingedruckten: In den poetischen Welterkundungen von Politycki wird gesagt, besungen und beschimpft, worauf es wirklich ankommt im Leben, die großen Schicksalsschläge wie die verflixten Nichtigkeiten. Voller Wucht, Esprit und Eleganz, unerschrocken und direkt - so alltagsinnig wird derzeit selten gedichtet. Von der deftigen Büttenrede bis zum sublimen Parlando, hier ist unerschrocken in Rhythmus und Reim verwandelt, worauf es wirklich ankommt im Leben, die Liebe und der Tod, die großen Schicksalsschläge wie die verflixten Nichtigkeiten, bei denen sich am Ende alles in einem Schluck Rauch und Nebel verflüchtigt. Und das Schönste daran ist: Mit Politycki zwischen den Sekunden danach und denen davor zu verweilen, heißt immer auch, trotz allem Pathos angesichts der tagtäglichen Katastrophen nicht den Humor zu verlieren, der selbst die schwersten Verse plötzlich ganz leicht macht.

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Seitenzahl: 57

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Matthias Politycki

Die Sekunden danach

88 Gedichte

Hoffmann und Campe Verlag

Die überwiegende Mehrheit der hier versammelten Gedichte entstand zwischen 2004 und 2008; das meiste wurde während verschiedener Aufenthalte im Svendborger Brechthaus geschrieben oder zumindest maßgeblich bearbeitet. Im Grunde hätte der Band also den Untertitel »Svendborger Gedichte« tragen müssen – als Dank an den Genius loci wie auch an die Menschen, die ihn für die »Nachgeborenen« erhalten. Im Hinblick auf Brecht verbot sich das freilich von selbst. Mit dessen »Svendborger Gedichten« hätte das Buch ohnehin nur insofern zu tun gehabt, als die intensivste Arbeit daran just in seinem ehemaligen Arbeitszimmer stattfand, denselben Anblick des Svendborger Sundes vor Augen. – MP, 29/9/08

Das Unglück

Wenn es dann schließlich eintritt, ist ja alles

schon tausendmal durchdacht und längst besprochen,

hast du dich schon so oft mit deiner Angst verkrochen

und alles durchgerechnet für den Fall des Falles,

daß nun, wo’s wirklich ernst wird, nicht einmal ein Pochen

im Hals dir zeigt, wie es mit Urgewalt

dich überkommt. Mit einem Herz aus Glas, ganz kalt,

tust du und läßt, was du dereinst versprochen,

und lebst ansonsten einfach weiter. Erst nach Wochen

fällt dir ein Wimmern auf, wie es ununterbrochen

ans Ohr dir dringt. Doch nebenan der Raum ist leer,

und wie du schließlich merkst, du selber bist es, der

ganz leis’ zu hören ist, da wird dir jählings schwer

ums Herz, und erst in diesem Augenblick ist es gebrochen.

I.Ein Schluck Rauch und Nebel

Die Sekunden danach

Der Dönermann macht eifrig sein Gesicht,

bedrängt mich gleich, »Was kann ich für dich tun?«,

als hätt’ er nichts gesehn, »Kalb oder Huhn?«,

sein unrasiertes Grinsen mag ich nicht,

auch nicht die Stille hier, an jedem Spieß

hängt eine halbe Welt, der Rest sortiert

und roh und rot, mit Paprika garniert,

es zischt, der Hammeldunst dazu echt fies,

und warum ist es denn hier drin so heiß?

Im Spiegel seh’ ich, wie ein Polizist

da draußen auftaucht und auch gleich im Kreis

der Gaffer fragt, was vorgefallen ist,

wie man nur mit den Schultern zuckt, und nun

hör’ ich erneut: »Was kann ich für dich tun?«

Sonntagsgeräusche

in einer vom Sommer richtig aufgeheizten Stadt

ein quengelndes Kind

eine zuklappende Autotür

ein kleines Geplapper

vom andern Ende der Ausweglosigkeit

mehr nicht

irgendwann ein Gedengel

als ob jemand mit Eifer eine Sense schleift

kurz drauf überraschend laut

überraschend nah

ein Martinshorn

und danach ist bis Montag dann

weiß Gott nichts mehr zu hören

Feierabend

Kioskbetreiber Ansgar Wischenbart, 51, konzentriert sich aufs Wesentliche

Die Mauern speichern Hitze und

die Unverbesserlichen Hoffnung –

es liegt mal wieder Sommer in der Luft,

die Vorstädte so leergefegt,

daß jedes Geräusch wie sein eignes Echo daherkommt,

nur da und dort noch Dönerspieße in Bewegung

und im Himmel ein Heißluftballon,

drunten am Fluß dagegen, in den Strandbars,

buntes Kesseltreiben auf alles,

was sich an ’nen Cocktail klammert,

diskret die Kulisse der Docks gegenüber und

naja, der ganze andre Quatsch,

der dich mit seiner Bugwelle dann doch noch so oft erwischt hat,

daß du jetzt lieber im Frühling schon

mit dem Kopfschütteln beginnst und dich ansonsten

auf die leeren Blumenkästen konzentrierst

und den Grill und

naja, auf den ganzen andern Quatsch,

vielleicht noch dreißig, vierzig Sommer lang, egal,

Hauptsache, du sitzt hier nicht auf dem Trocknen,

guckst ganz gemütlich in die Röhre

und in 117 Tagen ist wieder mal Herbst

Auch das noch (I)

Nichts unbefriedigender als

– sagen wir dienstags um sieben –

nach einem sonndurchglühten Tag

inmitten glimmernder Großstadtlandschaft

(aus jedem zweiten Fenster die Musik

des Feierabends, auf dem Gehsteig allerorten

gedeckt ein Tisch, von dem es pausenlos

Geklirr, Gebrabbel, Lachen hoch in deine Stube trägt)

nichts unbefriedigender als an einem solchen Tag

geschloßnen Auges auf all das hinauszulauschen,

zu dem man jedenfalls für heute abend nicht gehört,

und dann klingelt mit einem Mal das Telephon

auf der gegenüberliegenden Straßenseite,

und es hebt noch nicht mal einer ab.

einflüsterungdesinkubusaneinemfreitagabendaufderausgehmeile

Mit Zwischenfrage meines Sohnes

ogottogottdasisthierjaderhelle

dasdarfdochgarnichtwahralsobhiereinequelle

istjaschiernichtdasgrenztjaschonanskriminelle

ichglaubmichtrittdasallesistineinemeinzgenleben

verfluchterscheißjawirklichsehr

Du meinst, es sollte dein und mein Bestreben –?

meinsohnwennwirnichthierundjetztundaufderstelle

dannbrauchenwirauchnieundnimmermehr

Badeschlappenschönheit

Kein Wort über die Blässe ihres ungeformten Fleisches,

keins über das Lockvogelgrüßgott des Arschgeweihs

Gelobt allein seien die Füße,

ihr hautfarbnes Leuchten mit und ohne Knöchelkettchen,

gepriesen die Schrunden der Hornhaut am Hacken,

verwitterte Borke, am oberen Rand zart bemoost,

gerühmt die Zehen mit und ohne Silberschmuck,

so flach und freundlich frischsortiert,

gewürdigt schließlich auch die Badeschlappen

und wie sie dir darin entgegenschlurft

so brasilianisch es nur irgend geht –

eine Hymne solcher Frau.

Des Teufels Amulett

Angefertigt für Broder Broschkus

Dir schenke ich mein Herz, nur für den Fall,

daß du mal eines brauchen solltest,

und dazu alles, was ich sonst noch habe (doch

das ist fast nichts), gesetzt, du wolltest

noch mehr, so nimm’s! Nimm jedes meiner Worte mit,

das ich dir zugeflüstert, zugedacht

am Morgen, Mittag, Abend, in der Nacht,

nimm jede kleinste Silbe, meine ganze Liebe,

so daß – verstummt bis an das Ende meiner Tage –

ich nur ein leeres Blatt noch wär’ im wirren Weltgetriebe,

wenn ich nicht wüßte, nicht ganz sicher wüßte,

daß ich dich noch mal wiedersehen müßte

in dieser oder jener Welt –

Fast eine Romanze (I)

Nie werd’ ich wissen, wie du wirklich heißt,

wie du wohl lächeln würdest, wenn ich sagte,

daß ich mich schier nicht mehr zu regen wagte,

als du den Raum betratst, ich saß wie hingeschweißt,

sah, wie du rauchst und trinkst, das Haar wegstreichst

und eine SMS schreibst, schließlich gehst

und neben meinem Tisch dann plötzlich stehst

und dort erst deine Rechnung schnell begleichst

und wie dein Blick, ganz ohne innre Glut,

sich jäh verhakt und kurz in meinem ruht

– schon seh ich dich von hinten, seh den Hut

aus Stroh, das Sommerkleid, darum ein Band

in Dunkelblau, ein letztes Unterpfand

von dir, tief in den Nachmittag gebrannt.

Stammtischlers Unruh

Selbst wenn er dich endlich mal sähe, der Kellner,

selbst wenn er sie aufnähme, deine Bestellung,

selbst wenn er’s damit bis zur Bar zurückschaffte

und dort deinen Auftrag dem Zapfer erteilte

Selbst wenn der sofort mit dem Zapfen begönne

und jede Bestellung der Reihe nach sorgsam

erledigte, selbst wenn er auch noch am Ende

für dich ein Glas fände, ergriffe und füllte

So könnte noch immer der Strom plötzlich ausfall’n,

die Sperrstunde anbrechen oder die Erde

sich auftun, es könnte dein Gläubiger oder

dein Richter zur Tür hereinkommen, dein Henker

Gib’s auf! Und sei froh, daß du hier noch ein Weilchen

in aller Bescheidenheit welken und dabei

ganz langsam verdursten darfst, obendrein heute,

am Freitag, siehst selbst ja, wie voll es da ist

Hymne auf den unbekannten Nachbarn

Rudi Schachtlmacher blickt auf die andre Straßenseite

Also ma ehrlich,

schräg gegenüber, ein Stock tiefer, ja?

Da hörste nie was von wegn Lachn oda Streitn

oda daß einer seine Schlümpfe Blockflöte spieln läßt oda

die Sportschau läuft – kein Piepser, kein Garnichts, nie!

Aba wasde hörst, den liebn langng Abend,