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Der Dönermann und die Badeschlappenschönheit, die gesammelten Ratschläge befreundeter Damen und die Traurigkeit des Kleingedruckten: In den poetischen Welterkundungen von Politycki wird gesagt, besungen und beschimpft, worauf es wirklich ankommt im Leben, die großen Schicksalsschläge wie die verflixten Nichtigkeiten. Voller Wucht, Esprit und Eleganz, unerschrocken und direkt - so alltagsinnig wird derzeit selten gedichtet. Von der deftigen Büttenrede bis zum sublimen Parlando, hier ist unerschrocken in Rhythmus und Reim verwandelt, worauf es wirklich ankommt im Leben, die Liebe und der Tod, die großen Schicksalsschläge wie die verflixten Nichtigkeiten, bei denen sich am Ende alles in einem Schluck Rauch und Nebel verflüchtigt. Und das Schönste daran ist: Mit Politycki zwischen den Sekunden danach und denen davor zu verweilen, heißt immer auch, trotz allem Pathos angesichts der tagtäglichen Katastrophen nicht den Humor zu verlieren, der selbst die schwersten Verse plötzlich ganz leicht macht.
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Seitenzahl: 57
Matthias Politycki
Die Sekunden danach
88 Gedichte
Hoffmann und Campe Verlag
Die überwiegende Mehrheit der hier versammelten Gedichte entstand zwischen 2004 und 2008; das meiste wurde während verschiedener Aufenthalte im Svendborger Brechthaus geschrieben oder zumindest maßgeblich bearbeitet. Im Grunde hätte der Band also den Untertitel »Svendborger Gedichte« tragen müssen – als Dank an den Genius loci wie auch an die Menschen, die ihn für die »Nachgeborenen« erhalten. Im Hinblick auf Brecht verbot sich das freilich von selbst. Mit dessen »Svendborger Gedichten« hätte das Buch ohnehin nur insofern zu tun gehabt, als die intensivste Arbeit daran just in seinem ehemaligen Arbeitszimmer stattfand, denselben Anblick des Svendborger Sundes vor Augen. – MP, 29/9/08
Wenn es dann schließlich eintritt, ist ja alles
schon tausendmal durchdacht und längst besprochen,
hast du dich schon so oft mit deiner Angst verkrochen
und alles durchgerechnet für den Fall des Falles,
daß nun, wo’s wirklich ernst wird, nicht einmal ein Pochen
im Hals dir zeigt, wie es mit Urgewalt
dich überkommt. Mit einem Herz aus Glas, ganz kalt,
tust du und läßt, was du dereinst versprochen,
und lebst ansonsten einfach weiter. Erst nach Wochen
fällt dir ein Wimmern auf, wie es ununterbrochen
ans Ohr dir dringt. Doch nebenan der Raum ist leer,
und wie du schließlich merkst, du selber bist es, der
ganz leis’ zu hören ist, da wird dir jählings schwer
ums Herz, und erst in diesem Augenblick ist es gebrochen.
Der Dönermann macht eifrig sein Gesicht,
bedrängt mich gleich, »Was kann ich für dich tun?«,
als hätt’ er nichts gesehn, »Kalb oder Huhn?«,
sein unrasiertes Grinsen mag ich nicht,
auch nicht die Stille hier, an jedem Spieß
hängt eine halbe Welt, der Rest sortiert
und roh und rot, mit Paprika garniert,
es zischt, der Hammeldunst dazu echt fies,
und warum ist es denn hier drin so heiß?
Im Spiegel seh’ ich, wie ein Polizist
da draußen auftaucht und auch gleich im Kreis
der Gaffer fragt, was vorgefallen ist,
wie man nur mit den Schultern zuckt, und nun
hör’ ich erneut: »Was kann ich für dich tun?«
in einer vom Sommer richtig aufgeheizten Stadt
ein quengelndes Kind
eine zuklappende Autotür
ein kleines Geplapper
vom andern Ende der Ausweglosigkeit
mehr nicht
irgendwann ein Gedengel
als ob jemand mit Eifer eine Sense schleift
kurz drauf überraschend laut
überraschend nah
ein Martinshorn
und danach ist bis Montag dann
weiß Gott nichts mehr zu hören
Kioskbetreiber Ansgar Wischenbart, 51, konzentriert sich aufs Wesentliche
Die Mauern speichern Hitze und
die Unverbesserlichen Hoffnung –
es liegt mal wieder Sommer in der Luft,
die Vorstädte so leergefegt,
daß jedes Geräusch wie sein eignes Echo daherkommt,
nur da und dort noch Dönerspieße in Bewegung
und im Himmel ein Heißluftballon,
drunten am Fluß dagegen, in den Strandbars,
buntes Kesseltreiben auf alles,
was sich an ’nen Cocktail klammert,
diskret die Kulisse der Docks gegenüber und
naja, der ganze andre Quatsch,
der dich mit seiner Bugwelle dann doch noch so oft erwischt hat,
daß du jetzt lieber im Frühling schon
mit dem Kopfschütteln beginnst und dich ansonsten
auf die leeren Blumenkästen konzentrierst
und den Grill und
naja, auf den ganzen andern Quatsch,
vielleicht noch dreißig, vierzig Sommer lang, egal,
Hauptsache, du sitzt hier nicht auf dem Trocknen,
guckst ganz gemütlich in die Röhre
und in 117 Tagen ist wieder mal Herbst
Nichts unbefriedigender als
– sagen wir dienstags um sieben –
nach einem sonndurchglühten Tag
inmitten glimmernder Großstadtlandschaft
(aus jedem zweiten Fenster die Musik
des Feierabends, auf dem Gehsteig allerorten
gedeckt ein Tisch, von dem es pausenlos
Geklirr, Gebrabbel, Lachen hoch in deine Stube trägt)
nichts unbefriedigender als an einem solchen Tag
geschloßnen Auges auf all das hinauszulauschen,
zu dem man jedenfalls für heute abend nicht gehört,
und dann klingelt mit einem Mal das Telephon
auf der gegenüberliegenden Straßenseite,
und es hebt noch nicht mal einer ab.
Mit Zwischenfrage meines Sohnes
ogottogottdasisthierjaderhelle
dasdarfdochgarnichtwahralsobhiereinequelle
istjaschiernichtdasgrenztjaschonanskriminelle
ichglaubmichtrittdasallesistineinemeinzgenleben
verfluchterscheißjawirklichsehr
Du meinst, es sollte dein und mein Bestreben –?
meinsohnwennwirnichthierundjetztundaufderstelle
dannbrauchenwirauchnieundnimmermehr
Kein Wort über die Blässe ihres ungeformten Fleisches,
keins über das Lockvogelgrüßgott des Arschgeweihs
Gelobt allein seien die Füße,
ihr hautfarbnes Leuchten mit und ohne Knöchelkettchen,
gepriesen die Schrunden der Hornhaut am Hacken,
verwitterte Borke, am oberen Rand zart bemoost,
gerühmt die Zehen mit und ohne Silberschmuck,
so flach und freundlich frischsortiert,
gewürdigt schließlich auch die Badeschlappen
und wie sie dir darin entgegenschlurft
so brasilianisch es nur irgend geht –
eine Hymne solcher Frau.
Angefertigt für Broder Broschkus
Dir schenke ich mein Herz, nur für den Fall,
daß du mal eines brauchen solltest,
und dazu alles, was ich sonst noch habe (doch
das ist fast nichts), gesetzt, du wolltest
noch mehr, so nimm’s! Nimm jedes meiner Worte mit,
das ich dir zugeflüstert, zugedacht
am Morgen, Mittag, Abend, in der Nacht,
nimm jede kleinste Silbe, meine ganze Liebe,
so daß – verstummt bis an das Ende meiner Tage –
ich nur ein leeres Blatt noch wär’ im wirren Weltgetriebe,
wenn ich nicht wüßte, nicht ganz sicher wüßte,
daß ich dich noch mal wiedersehen müßte
in dieser oder jener Welt –
Nie werd’ ich wissen, wie du wirklich heißt,
wie du wohl lächeln würdest, wenn ich sagte,
daß ich mich schier nicht mehr zu regen wagte,
als du den Raum betratst, ich saß wie hingeschweißt,
sah, wie du rauchst und trinkst, das Haar wegstreichst
und eine SMS schreibst, schließlich gehst
und neben meinem Tisch dann plötzlich stehst
und dort erst deine Rechnung schnell begleichst
und wie dein Blick, ganz ohne innre Glut,
sich jäh verhakt und kurz in meinem ruht
– schon seh ich dich von hinten, seh den Hut
aus Stroh, das Sommerkleid, darum ein Band
in Dunkelblau, ein letztes Unterpfand
von dir, tief in den Nachmittag gebrannt.
Selbst wenn er dich endlich mal sähe, der Kellner,
selbst wenn er sie aufnähme, deine Bestellung,
selbst wenn er’s damit bis zur Bar zurückschaffte
und dort deinen Auftrag dem Zapfer erteilte
Selbst wenn der sofort mit dem Zapfen begönne
und jede Bestellung der Reihe nach sorgsam
erledigte, selbst wenn er auch noch am Ende
für dich ein Glas fände, ergriffe und füllte
So könnte noch immer der Strom plötzlich ausfall’n,
die Sperrstunde anbrechen oder die Erde
sich auftun, es könnte dein Gläubiger oder
dein Richter zur Tür hereinkommen, dein Henker
Gib’s auf! Und sei froh, daß du hier noch ein Weilchen
in aller Bescheidenheit welken und dabei
ganz langsam verdursten darfst, obendrein heute,
am Freitag, siehst selbst ja, wie voll es da ist
Rudi Schachtlmacher blickt auf die andre Straßenseite
Also ma ehrlich,
schräg gegenüber, ein Stock tiefer, ja?
Da hörste nie was von wegn Lachn oda Streitn
oda daß einer seine Schlümpfe Blockflöte spieln läßt oda
die Sportschau läuft – kein Piepser, kein Garnichts, nie!
Aba wasde hörst, den liebn langng Abend,