Ratschlag zum Verzehr der Seidenraupe - Matthias Politycki - E-Book

Ratschlag zum Verzehr der Seidenraupe E-Book

Matthias Politycki

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Beschreibung

"Bin von einem Entzücken ins andre geraten und habe mich durch allerhand Tiefsinn hindurchgelacht." (Peter Rühmkorf) Matthias Polityckis Gedichte machen sich auf, die Welt zu erkunden, vom "Playmate" bis zum "flimmernd weißen Wüstenhimmel". Ob sie dabei kräftig zupacken, ob sie die Anflüge von Melancholie mit Rhythmus und Reim bändigen, immer zeigen sie, dass jeder Gegenstand es wert ist, in einem Gedicht aufzuscheinen - sofern er nur das Glück hat, von einem Sprachjongleur bearbeitet zu werden.

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Matthias Politycki

Ratschlag zum Verzehr der Seidenraupe

66 Gedichte

Hoffmann und Campe Verlag

Ratschlag zum Verzehr der Seidenraupe

Was dürfen wir hoffen? Was sollen wir glauben? Was können wir tun?

Wir fahren am Morgen

Wir fahren am Mittag

Wir fahren am Abend

Wir fahren

Und fahren

Unsre Nächte sind klein

Und sie knistern vor Kälte

Unsre Tage sind gelb

Voller Glitzern und Glimmern und Gleichmut und Wind

Hinter uns wirbelnder Staub und

Zehntausend zerflüsterte Worte

Mit uns Savanne Savanne Savanne

leergewischt vor uns der Horizont

Wir fahren am Morgen

Wir fahren am Mittag

Wir fahren am Abend

Wir fahren

Und fahren

I.Westöstliche Konfusionen

Das Werk

Der alte Chinese hatte alle Zeit der Welt.

Mit großem Getöse holte er

den Schleim tief aus dem Schlund,

sammelnd ein jegliches, was es in seinen

geheimsten Speiseröhrenfaltungen zu sammeln gab,

den Hals hinab bis ins Gekröse

besuchte und befand er sich.

Anschließend sog er sich die Atemwege frei,

nasenlochaufwärts übern Zungengrund,

nach innen streng den Blick gekehrt, bis er

mit Eifer schmatzte, schnalzte, kaute,

das große Ganze aus den Teilen formend.

Und als er schmeckte, nach geraumer Weile, daß es gut war,

nahm er sein Werk und warf es, ohne

das Leibliche erst lang zu schürzen,

warf’s aus der Mitte seines Wesens

direkt auf diese Gehsteigplatte hier,

wo’s prächtig aufklatschte, das Werk,

sehr dick und wohlgeraten, eine runde Sache,

gewaltig grün in seiner Art.

Fast hätten sich die Hände mir gefaltet,

fast hätte ich’s gestreichelt, dieses Werk,

oder auf andre Weise irgendwie gezeigt,

daß ich an Wunder wieder fest gewillt zu glauben.

So aber eilte ich ins Hutgeschäft,

um wenigstens beim nächsten Mal

gerüstet zu sein für solch einen Meister.

Bauer im Reisfeld

Was schert’s den Bauern im Reisfeld

dort hinterm Deich des Kaiserkanals,

ob ein Langnasenpoet

auf dem Rand einer Zeitung

(die er nicht einmal lesen kann)

versweis versucht,

seine einhundertacht Sorgen

der Strömung anzuvertrauen?

Nichts schert’s ihn, nichts.

Wohl aber der Schatten der Wolke,

der gesprungene Deckel der Teetasse,

der pochende Zahn (links unten),

der versterbende Vetter

und auch die Frau von gestern abend,

deren verfluchtes Spiegelbild ihm

hinter jedem Setzling entgegenlächelt,

das schert den Bauern im Reisfeld.

Ratschlag zum Erwerb des Huhns

Gegeben auf dem Markt zu Suzhou von der Hühnermörderin höchstselbst

Schau lang genug hin, deine Mahlzeit

versucht nicht mal, sich hinter hölzernen Gittern

vor dir zu verstecken. Ganz still hockt sie da,

harrt deiner seit Stunden und ist davon schon

recht benommen.

Die Nummer des Kettchens, die ich ihr –

noch während du mit mir das Feilschen versuchst –

ums Fußgelenk lege, die solltest du dir

gut merken. Schau sie noch mal an,

wie sie ohn’ Gegacker kopfunter im Topf mit

dem siedenden Wasser verschwindet,

und fürchte dich nicht: Ich halte

sie fest an den Füßen, sie zappelt

nur zwei, drei Sekunden.

Du siehst, wie ich sie in die Tonne daneben

hineinwerfe, die gleich das ruckelnde Drehen

und ratternde Rumpeln beginnt,

ja, begreif es: Gerupft wird die Mahlzeit,

schon zieh ich den Rest, weiß und schlaff und sehr dünn,

raus aus der Maschine – erkennst sie ja noch

an der Nummer des Kettchens –,

und während mein Enkel die Tonne ausspült,

zerhack ich sie. Lediglich Hals mitsamt Kopf

bekommst du im Stück, und das wird dich,

du darfst mir ruhig glauben,

das wird dich erfreuen, das liegt nicht

so leicht auf der Zunge.

Ratschlag zum Verzehr der Seidenraupe

Gegeben am Straßenrand zu Pusan von einem Schweizer Mundprobendichter

Schau bloß nicht zu lang in den Topf, wo

sie – dunkelbraun brodelnder Sud –

zu Hunderten köcheln.

Schau bloß nicht zu lang in den Becher,

den dir die Verkäuferin füllt: Ist

doch schließlich egal, ob es zwanzig,

ob dreißig von ihnen sind, die deiner

harren.

Fürchte dich nicht, sie sind so lang gekocht, daß

sie wirklich fest schlafen.

Nimm einen der Zahnstocher, wie du sie oft schon

in Würfel aus Käse gestoßen, und – tu’s.

Am besten, du zielst in den Rücken der Raupe,

dann mußt du nicht zusehen, wie sie womöglich,

zum letzten Sekundenschmerz kaum sich verkrümmend,

erwacht.

Und, hörst du, vermeide zunächst mal

die hellen, die sind nicht ganz durch,

die spritzen, sobald sie dir zwischen

die Zähne geraten.

Nimm eine der dunkler gesottnen, die liegen,

das wirst du gleich glauben,

die liegen ganz leicht auf

der Zunge.

Nebel

Der so gern dein Freund wäre

Oder wie eine der kleinen

Koreanischen Inseln

Nichts weiter

Als ein zerfurchter Felsen

Weit draußen im Meer

Wenn’s hoch kommt

Mit einer

Taifundurchschüttelten

Krummgedrückten

Flachgekrüppelten

Kiefer oben darauf

Und dir

Darüber kein Himmel

Geschweige ein Vogel

Darüber daneben dahinter davor

Nur kilometerhoch

Kilometerweit

Der Nebel der so gern

Dein Freund wäre

Aber das wäre

Die Kiefer

Wohl auch

Sogar an den Küsten Koreas

Sogar an den Küsten Koreas gelingt die

Betrachtung der Fettheit des Vollmonds nurmehr in

Gesellschaft von Reiswein: Wie rauscht da das Meer, rauscht