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Matthias Politycki ist als Romancier und Lyriker bekannt; er hat sich aber auch immer den ästhetischen oder politischen Fragen der Zeit gestellt, in Debatten eingegriffen oder sie, dem herrschenden Konsens meist einen Gedankengang voraus, überhaupt erst angestoßen. »Erzählende Essays« könnte man die Texte dieses Bandes nennen, der Matthias Polityckis viel beachteten Streitschriften wie »Relevanter Realismus«, »Der amerikanische Holzweg« oder »Weißer Mann - was nun?« versammelt, aber auch stillere Prosastücke, die ihn als notorischen Ausflügler in unsere digitale oder ganz reale Alltagswirklichkeit zeigen. Geharnischte Abrechnungen und temperamentvolle Liebeserklärungen, das Ende der Volksparteien oder die nicht enden wollende Welttournee der Rolling Stones: Matthias Politycki schreibt stilistisch stets auf höchstem Niveau, voller leidenschaftlichem Ernst und luzider Bissigkeit. Und er hat das Ganze mit einer fulminanten Grundsatzerklärung »Alt werden, ohne jung zu bleiben« versehen, die ihn als politischen Autor verortet, aber als einen, der nicht aus einer weltanschaulich fixierten Ecke heraus schreibt, sondern aus postideologischer Lust an nahezu allem, was der Fall ist.
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Seitenzahl: 451
Matthias Politycki
Vom Verschwinden der Dinge in der Zukunft
Bestimmte Artikel 2006–1998
Hoffmann und Campe Verlag
Der Deutsche ist schüchtern und schön … – revisited
Nirgendwo war das Bild des häßlichen Deutschen so allgegenwärtig wie in Deutschland selbst; wahrscheinlich gab es – trotz aufwendiger Imagekampagnen à la »Du bist Deutschland« – weltweit keine Nation, die so beharrlich mit sich haderte, deren Verhältnis zur eignen Geschichte so nachhaltig korkte, deren Vertreter sich im Ausland so systematisch voreinander verleugneten. Nation? Konnte man das Wort überhaupt noch gebrauchen, ohne von besorgten Bedenkenträgern als Nationalist, Faschist, Nazi, zumindest als erzkonservativ gebrandmarkt zu werden? Man mußte es sogar, sonst hätten es bald wirklich nur noch die »Rechten« verwendet; mit der Folge, daß es von den »Linken« wie viele andre unschuldige Vokabeln vor ihm auch zunehmend mit Bedenklichkeit aufgeladen und schließlich als »rechts« aus dem Sprachschatz verbannt worden wäre. Erstaunlich ohnehin, daß niemand während all jener politisch korrekten Selbstzerfleischungsjahre auf die Idee verfiel, das Wort »deutsch« zum Unwort des Jahrhunderts zu erklären, das durch den Verlauf unsrer jüngeren Geschichte so nachhaltig beschädigt, ja zum Quasisynonym für Unmenschlichkeit und Barbarei geworden sei, daß man es besser … genau: gar nicht mehr in den Mund nehme. Zum himmelhoch jauchzenden, zu Tode betrübten Wesen des Deutschen hätte eine derartige Selbstausmerzung eigentlich gepaßt.
Dann aber kam eines Tages Jürgen Klinsmann und mit ihm eine unverkrampft schwarzrotgoldene WM-Party, wie wir sie uns zuvor selber nie zugetraut hätten. Allerorten feierte man die längst überfällige Rückkehr der Deutschen zur Normalität im Umgang mit der eignen Identität – gerade auch im Ausland. Plötzlich war der, der jetzt noch fragte »Dürfen wir das? Mit unsrer Geschichte?«, selber ein Konservativer, jedenfalls einer, der nichts aus der Geschichte gelernt hatte: Im neuen Fußballpatriotismus verwandelte sich ja nichts abstrakt Bedachtes und auf den ideologischen Begriff Gebrachtes, keine Idee von Deutschland und womöglich dem Deutschtum, sondern jeder einzelne Deutsche, sogar in seiner Spielart als Türke, und zwar ebenso spontan wie unreflektiert. Allerdings so entschlossen, daß man seiner kollektiven Selbstumwandlung einen Wunsch zur Nachhaltigkeit nicht absprechen konnte: Würde er sich nach der WM wieder als die alte Dumpfbacke gerieren, deren deutsche Tugenden er insgeheim selber nicht sonderlich schätzte, er würde im In- wie im Ausland schlichtweg unglaubwürdig sein, seine konkrete Erscheinung würde einfach nicht mehr zum neuen Bild des Deutschen passen und wahrscheinlich als Ausnahme der Regel achselzuckend beiseitegelächelt. Im Ernst: Es wird nicht leicht sein, diesem neuen möchtegernmediterranen Selbstverständnis als Deutscher auch weiterhin gerecht zu werden; dahinter zurückzufallen wird man sich aber einfach nicht erlauben können.
»Ein Land braucht eine jüngere Geschichte, auf die es stolz sein kann«, hatte uns noch rechtzeitig vor dem Eröffnungsspiel die amerikanische Philosophin Susan Neiman empfohlen (SZ,21./22. 1. 2006); spätestens seit dem glücklichen Sieg gegen Argentinien, dem tragischen Ausscheiden gegen Italien und dem beherzten »Kleinen Finale« gegen Portugal, für das uns selbst Holländer und Engländer nicht länger hassen konnten, haben wir wieder eine: Schließlich wurden wir (»wir«) mit unserem dritten Platz »Weltmeister der Herzen«, und darauf kann man als Deutscher wirklich stolz sein. Insbesondere im Ausland: Ob wir nebenbei auch noch aus dem Land der Dichter und Denker kommen oder doch eher aus dem der Richter und Henker, wird dort erfahrungsgemäß die allerwenigsten interessieren – sofern der deutsche Fußball auch weiterhin so attraktiv bleibt.
Aber ja, so erschreckend einfach erringt man bei weiten Teilen der Weltbevölkerung Sympathie oder eben nicht; wenn in Zukunft auch deutsche Rucksacktouristen nationale Embleme aufs Gepäck nähen (wie Vertreter anderer Nationen schon lange), so wird das mehr über die schlichten Mechanismen unsres Selbstverständnisses aussagen als jeder komplizierte Essay. Und falls wir zu dieser neuen Lockerheit in Zukunft ab und zu auch außerhalb von Spaß- und Freizeitkultur fänden, könnte aus dem Flirt mit der Fahne tatsächlich eines Tages noch eine ganz vernünftige Liebesbeziehung werden. Ob sich Fußballpatriotismus allerdings dabei zum Verfassungspatriotismus läutern läßt, wie ihn Jürgen Habermas so beharrlich für uns alle anmahnt, mag bezweifelt werden. Ganz ohne Patriotismus wird es indessen auch bei uns nach diesem berauschenden Sommer 2006 nicht mehr gehen, und wir tun gut daran, seine Kanalisierung nicht wieder nur den radikalen Kräften unsrer Gesellschaft zu überlassen.
Ein Nachruf zu Lebzeiten
Wer sich ein bißchen außerhalb Europas herumgetrieben hat, weniger als Tourist denn als Reisender, und dabei manchmal, wie ich, gerade noch mit dem Schrecken davongekommen ist, wird vielleicht schon ahnen, was ich im folgenden schlaglichtartig zu beleuchten suche, wenn ich vom »Untergang des Weißen Mannes« spreche. Ich gebrauche den Begriff ausdrücklich nur in polemischer Absicht – als Kürzel für das, was ich unter der kerneuropäischen, nach wie vor der Aufklärung verpflichteten Spielart westlicher Kultur verstehe; mit der Hautfarbe im engeren Wortsinn hat er lediglich metaphorisch zu tun. Daß die gewählte Metapher zu einigen Karl-May-haften Assoziationen reizt, darf nicht davon abhalten, sie für komplexere Gedankengänge zu funktionalisieren; die Wirklichkeit läßt sich nun mal am besten demaskieren, wenn man sie erst einmal auf ihr Klischee reduziert.
Für die Recherchen zu meinem Roman »Herr der Hörner« lebte ich einige Monate auf Kuba, im schwarzen Süden der Insel, und zwar nach Möglichkeit nicht wie ein Dollar-Tourist, sondern auf Peso-Basis: eine unvergeßliche Zeit, in deren Verlauf ich sämtliche Positionen, für die ich früher fraglos einstand, zu überdenken hatte. Eine Zeit auch, in der ich mitunter den Tränen nahe war, so hart empfand ich sie, körperlich wie seelisch. Die Brutalität des alltäglichen Lebens, keinerlei Rücksicht auf die moralischen oder gar ästhetischen Standards eines Alten Europäers nehmend, häufig noch nicht mal die allermindesten Höflichkeitsformen beachtend, diese ungebremste Wildheit des Willens, die sich nicht selten in schierer Gewaltanwendung Bahn brach – durfte ich sie als Mangel an Kultur verachten? Oder hatte ich sie als Überschuß an Vitalität zu bewundern, angesichts dessen ich von vornherein den kürzeren zog? Daß man sich, nach ein, zwei Stunden Schlangestehen für ein Brot, schließlich um den Einlaß in die Bäckerei prügelte, konnte ich noch verstehen; daß man das auch um einen Sitzplatz im Bus tat, schien auf mehr zu deuten als den puren Kampf ums Überleben, auf einen Kraftüberschuß zumindest, von dem man sich im saturierten Europa keine Vorstellung macht. Wohlgemerkt, es ging nicht um die Lust randalierender Banden, sich an Schwächeren auszutoben, sondern um spontane Energieentladung einzelner, bei denen sich ganz offensichtlich so viel angestaut hatte, daß sie’s bei erstbester Gelegenheit ablassen mußten.
Wohingegen ich? zunächst stirnrunzelnd danebenzustehen suchte, wenn sich die archaische Grobheit des Alltags mal wieder Bahn brach, auf Dauer aber so nicht weiterkam. Was tun? Mitunter war ich so restlos beschämt von diesen Eruptionen physischer Macht – und sie spiegelte sich für mich noch in der machohaften Heftigkeit gewisser Begrüßungscodes –, daß ich mir einzureden suchte, in meiner weißen Haut die epochale Erschöpfung der gesamten Alten Welt zu spüren; es half mir gar nichts, die schiere Schwäche angesichts des Faktischen als Überlegenheit einer verfeinerten Vernunft zu camouflieren. Im Gegenteil, bald spürte ich die Kraft dieser Menschen auch dann, wenn sie nur herumlungerten und mich vom Straßenrand beobachteten, da lag mitunter ein Lauern in der Luft, daß man sich als Europäer jedenfalls arg zusammenreißen mußte, um erhobnen Hauptes seiner Wege zu gehen.
Die größte Massenschlägerei habe ich freilich gar nicht in Kuba, sondern im schwarzen Südzipfel von Indien erlebt, auch hier in der Rolle des (einzigen) Weißen, der seine körperliche Unterlegenheit mit der Überlegenheit dezenter Zurückhaltung zu kaschieren suchte: in Trivandrum, einem tristen Millionendorf, dessen Sehenswürdigkeiten selbst von Gutwilligen innerhalb eines halben Tages abgehakt sind. Bleibt ein Besuch im Zoo, warum nicht, und erstaunlicherweise wartet man vor dem Eingang nicht allein, zusehends gesellen sich Paare und Passanten dazu, und als das Kassenhäuschen dann endlich öffnet: herrscht im Handumdrehen eine solch ernsthafte Schlägerei um die Plätze, jeder will der erste sein – nicht in einer Bäckerei, deren Angebot aller Voraussicht nach nicht ausreichen wird, nein!, sondern in einer Freizeitanlage, bei deren Besuch man zwischen traurig dahinsiechenden Tieren eine Art Freizeitdepression erleiden wird. Zuvor aber, ich übertreibe nicht, mußte die Polizei anrücken, um mit wahllos ausgeteilten Schlagstockhieben wenigstens vorübergehend eine Ordnung wiederherzustellen: Klaglos nahmen die potenziellen Zoobesucher die Prügel hin, duckten sich Richtung Kassenhäuschen, denn von ihrem Ziel ließen sie nicht ab, um wenig später, wenn man ihnen drinnen wieder begegnete, den müßigen Flaneur zu geben.[21]
Was ist da eigentlich eben passiert? fragt man sich, während man das vereiterte Knie eines Lamas betrachtet: Welch ein gewaltiger Wille steckt in jedem einzelnen dieser ausgemergelten Kerle, daß sie allesamt vor dem bräsig abwartenden Europäer Einlaß fanden? Und wieso ist man in derartigen Szenarien stets der einzige, der sich zur Pauschalironie dessen flüchtet, der’s angeblich besser weiß? Während alle andern auf ganz unbeirrbare Weise ihr konkretes Ziel verfolgen, dafür einen Preis in Kauf nehmend, der bei unsereinem allenfalls die Frage aufwirft, ob man davon bleibende Schäden davontragen, ob man sie dann wenigstens bei irgendeiner Versicherung geltend machen könnte.
Und die bedrohlichste Erfahrung des Belauertwerdens? Nach wie vor wird mir unwohl, wenn ich an eine Situation in Burundi denke, die sich nur auf den ersten Blick als friedliche Straßenszene darstellte: Während einer der Pausen im damaligen Bürgerkrieg zwischen Tutsi und Hutu, der bereits zu nächtlichen Abschlachtereien unvorstellbaren Ausmaßes geführt hatte, fuhren wir auf einem umgerüsteten Lkw in die Hauptstadt des Landes ein, Bujumbura, und ich spüre noch heute dies intensive Lauern, das uns vom Straßenrand entgegenkam, aus jedem Hauseingang. Geradezu körperlich zu registrieren, selbst von instinktgeschwächten Weißen, daß es hier jeden Moment vorbei sein konnte mit der trügerischen Ruhe, daß sich etwas Bahn brechen konnte, bei dem höchstwahrscheinlich auch wir und unser Lkw auf der Strecke bleiben würden.
Wünschten wir uns in dieser Situation wenigstens Waffen? Nicht mal das wagten wir, anerkannte Kriegsdienstverweigerer oder jedenfalls überzeugte Humanisten, die wir waren, hatten im übrigen ausreichend zu tun, unsre schlimmsten Befürchtungen voreinander zu verbergen: Um Gottes willen, die würden doch nicht? die waren doch wohl denselben ethischen Werten verpflichtet wie wir? die konnten doch nicht einfach, aus heiterem Himmel? Oh, die würden sehr wohl, die waren überhaupt nicht, die konnten.[22]
An dieser Stelle fällt mir die Geschichte eines Farmers aus Zimbabwe ein, die durch die Presse ging: Zu Zeiten grassierender Zusammenrottungen schwarzer Landarbeiter, bei denen es, von Staats wegen stillschweigend gebilligt, zunehmend zu Exekutionen weißer Großgrundbesitzer kam, fragte der besorgte Farmer seine eignen Arbeiter, ob sie ihm etwa Ähnliches anzutun gedächten, schließlich sei er ihnen doch jahrzehntelang ein guter Dienstherr gewesen. Bewahre! dementierte man: Jeder der ihren gehe ausschließlich zu benachbarten Farmen, sei der Weg auch noch so lang.
Wie beruhigend![23] Und daher skizziere ich jene Erlebnisse ja: Nicht einer heimlichen Sehnsucht nach Gewalt zollen sie Tribut, sondern der schieren Angst, wie man sie in dieser Form in Mitteleuropa gar nicht mehr kennt – am deutlichsten in Schwarzafrika, heftig noch in den karibischen Slumgegenden, in homöopathischer Dosis selbst in einem Land wie Indien zu spüren, sofern man die touristischen Hochburgen verläßt und sich einem Leben konfrontiert sieht, dem man in seiner archaischen Härte erst einmal nichts entgegenzusetzen weiß, nichts.
Denn selbstredend kann es nicht angehen, unsre kulturelle Entwicklung hin zu einer relativ friedliebenden und gesittet miteinander kommunizierenden Spezies rückgängig zu machen, das wäre die reinste Bankrotterklärung. Überdies ist das Problem kein rein physisches; im Fernen Osten erfahren wir unsre Kraftlosigkeit eher auf intellektueller Ebene, als Versagensangst angesichts eines wirtschaftlichen Expansionsstrebens, dessen ungebremste Energie uns weniger mit spezifischen ethischen Bedenken als mit einem grundsätzlichen Gefühl der Ohnmacht erfüllt, gerade auch in Alltagssituationen. Wer sich je in solch kapitalen Megametropolen wie Seoul, Tokio oder neuerdings Shanghai seinen Weg bahnen mußte, der kennt den kleinen Schrecken, wenn die Fußgängerampel auf Grün springt und sich Hunderte phalanxartig aufeinander zu bewegen, in offensichtlicher Weise zielstrebiger und entschlossener als man selber; kennt den großen Schrecken, wenn der Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen mit 300 Stundenkilometern am Bahnsteig vorbeischießt wie eine Langstreckenrakete. Sekunden später wird alles wieder von einer trügerischen Höflichkeit unkenntlich gemacht, bald weiß man nicht mehr, in welchem Film man gerade ist.
Immer nur lächeln? Die Aggressivität, die den Turbo-Kapitalismus in Fernost so erfolgreich und für uns so bedrohlich macht, läßt nur unter Alkoholeinfluß kurz die Maske sinken: »Natürlich wollen wir die Welt beherrschen!« hört man dann von betrunknen japanischen Managern, ihr ökonomischer Größenwahn sattelt auf einem bestürzend ungebrochnen nationalen Sendungsbewußtsein, einem ungeschmälerten Stolz auf die eigne »überlegene« Kultur. Die europäischen Märkte seien im Grunde sogar leichter zu erobern als das neuerdings erwachte China, erfährt man an solch denkwürdigen Abenden; und in der Tat, auch von Maos Erben wird mit beänstigender Energie an der Zukunft gebaut. Daß dabei ohne Skrupel abgerissen, umgesiedelt, Vergangenheit geflutet wird, daß dabei komplette Großstädte auf dem Reißbrett entstehen, sind nur die überdeutlich sichtbaren Indikatoren einer weit tiefergreifenden Entwicklung, hin zu einer neuen Unfreiheit des einzelnen zugunsten des florierenden Gesamtsystems – war Kapitalismus zu Zeiten des Kalten Krieges nicht mal so was wie der kleine Bruder der Freiheit gewesen?
Schön ist das alles nicht. Aber in einer verwirrend faszinierenden Weise massiv da. Und effizient. Selbst der deutsche Transrapid darf in Shanghai längst fahren, ohne jede Diskussion mit etwelchen grünen Bedenkenträgern; und mit dem langen Atem eines unbeirrbar starken Willens – Kraft äußert sich in dieser Weltregion weniger als eruptiver Impuls denn als ausdauernde Beharrlichkeit – ist man drauf und dran, die Schlüsselindustrien zu erobern: Spitzentechnologie ist keine Domäne des Westens mehr, die globale Arbeitsteilung ist schon heute in Frage gestellt. Angeblich können die USA ihre wirtschaftliche Führungsrolle derzeit nur deshalb noch halten, weil 40 Prozent ihres High-Tech-Sektors von asiatischen Einwanderern betrieben werden; die PC-Produktion von IBM ist de facto bereits von der chinesischen Lenovo übernommen, die Fernsehsparte der Firmen Schneider und Thomson von TCL:[24] Vor wenigen Jahren hätte man derartige Meldungen als Aprilscherz abgetan.
Die Weltwirtschaftsordnung ist aus den Fugen geraten, die kulturelle wird es als nächstes tun, Stichwort chinesische Regisseure, chinesische Modemacher, chinesische Starlets, chinesische Bestsellerautor(inn)en. Während die deutschen Goethe-Institute weltweit auf dem Rückzug sind und in den vorhandenen bald keiner mehr eine Sprache lernen will, die sich in ihrer rasant betriebnen Selbstauflösung überflüssig gemacht hat, sind die chinesischen Konfuzius-Institute auf dem Vormarsch, das nächste seiner Art soll in Berlin entstehen.[25] Denn die fernöstliche Innovationsbegeisterung ist niemals abgekoppelt von einem kulturellen Sendungsbewußtsein zu denken: Im weltweiten Globalisierungswettlauf ist man nur deshalb so erfolgreich, weil man die Riesenschritte in die Zukunft aus einem intakten historischen Selbstverständnis heraus tut.[26] Ein lebendiges Erbe ist ja nicht zuletzt auch ein Fundus an gespeicherten Denk-, Struktur- und Verhaltensmöglichkeiten, ein Inspirationsquell für alle Art aktueller Aufgabenstellung.
Wohingegen wir in Mitteleuropa? drauf und dran sind, die letzten Reste unsres eignen Jahrtausenderbes – die Vielfalt der Sprachen und damit verknüpfter Identitäten – zugunsten einer grassierenden Pseudoamerikanisierung preiszugeben.[27] Und damit das, was sich in der Vernetzung kulturell höchst eigenständiger Einzelleistungen als unser Standort begreifen ließe, als unsre Spielart einer alteuropäischen Position, gegen ein haltloses Mitschwimmen im Strom der globalistischen Kulturindustrie einzutauschen: Zum schreckhaften Begreifen der eignen physischen beziehungsweise ökonomischen Schwäche bahnt sich als weitere Demütigung für Europa die kulturelle Ausrichtung auf eine neue Weltmacht an, die sich schon heute als selbstbewußter Global Player aktiv in den allgemeinen Weltkulturstrom einbringt.[28]
Bezeichnenderweise sieht man unser Defizit jedoch nicht von China aus am deutlichsten, sondern vom arabischen Raum – einer Weltgegend also, die de facto zwar vornehmlich Überbleibsel einstiger Hochkulturen vorzuweisen hat, dies freilich mit der Überzeugungskraft dessen, der sich seiner Superiorität trotz alledem sicher ist. Die zweifelsohne vorhandnen Kulturleistungen des Islam will ich nicht in Abrede stellen; aber mit der aktuellen Alltagswirklichkeit beispielsweise im Maghreb hat das Bild vom aufgeklärten Moslem herzlich wenig zu tun. Wo sonst in der Welt wird man so voller Verachtung gemustert, als Vertreter einer gottlosen Gesellschaft von Schlappschwänzen und Huren (wie man sie aus »schamlosen« Filmen und Videoclips zu kennen glaubt), wie in Marokko? Nun, in Jamaica kennt man in dieser Hinsicht auch keine falsche Zurückhaltung, die Rastas bezeichnen die gesamte westliche Welt unverblümt als »Babylon«. Wer, zurückgekehrt nach Deutschland, die Dokumentation unsrer Verkommenheit in ekelhaft liberal sich gebenden Postkarten-Moralsprüchen (»Wer ficken will, muß freundlich sein«)[29] in Betracht zieht, mag den Rastas sogar versuchsweise recht geben.
Doch zurück zum juvenilen Potenzgeprotze, das im arabischen Raum besonders ausgeprägt scheint; kaum eine Kultur der Welt gibt sich dermaßen phallisch, und natürlich will man als Europäer nicht mithalten, wenn enthemmt balzende Jungmänner an vorzugsweise blonden Touristinnen ihren Testosteronhaushalt auszugleichen suchen. Natürlich? Natürlich! Das eigentlich Bestürzende hinter diesem Phänomen ist nicht etwa, daß wir als postemanzipierte Mitteleuropäer – schon in Ost- und Südeuropa ist man in dieser Hinsicht wesentlich breitbeiniger aufgestellt – mittlerweile auch im heiklen Bereich der Zwischengeschlechtlichkeit zu den allerheimlichsten Erwägungen gezwungen sind. Wer sich angesichts des maghrebinischen Machismo zu nichts anderem als zur Würde eines altersgerechten Auftretens bekennt, wer sich in die Überlegenheit dessen flüchtet, der »das alles ja schließlich gar nicht nötig hat«, ist im Spiel der Evolution jedenfalls verloren.[30]
Das Bestürzende an solchen Reiseerlebnissen ist weniger die Scham angesichts einer ungebremst sich inszenierenden Virilität, sondern die kulturelle, besser: weltanschauliche Schwäche, die wir nebenbei bitter zu fühlen bekommen. Selbst aufgeklärte Moslems handeln aus einer kohärenten Weltanschauung heraus, haben die Wahrheit schon immer, die wir als Individualisten von Fall zu Fall erst suchen müssen: eine Hase-und-Igel-Konstellation, bei der wir von vornherein als tendenziell Irrende dastehen; und erfuhr man in derlei Gesprächen früher mitleidige Belehrung, so ist der Ton seit Bin Ladens hochemotionalisierter Kampfansage deutlich rauher, ja unversöhnlich geworden.[31] Toleranz? Aber man ist doch im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit! Aufklärerische Skepsis? Ist die Weltsicht von Weicheiern; man selber hat dagegen das ungebrochne Pathos eines Glaubens, der 600 Jahre jünger ist als der christliche und daher, was seine Entfaltung im Lauf der Zeit betrifft, noch auf dem Entwicklungsstand der Inquisition steht. Insofern wäre’s sogar als Zeichen eines islamischen Humanismus zu deuten, wenn man als touristischer Freigeist nicht mit Stockhieben, sondern nur mit Verachtung gestraft wird.[32]
Der Untergang des Weißen Mannes, wie er sich im »Kampf der Kulturen« abzeichnet,[33] hängt auf kategorielle Weise mit dem religiösen Vakuum zusammen, das wir zwar seit Feuerbach und Heine mit Ersatzreligionen anzufüllen verstanden, zum Beispiel mit»Kultur«, »Nation«, »Wiederaufbau«, deren letzte jedoch, die »Freiheit des Westens«, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks eine Leerstelle zurückgelassen hat, die mit Spaßkultur nur vorübergehend zu besetzen war. Noch nie war unser Wertehorizont so leergewischt wie heute, noch nie waren wir als Vertreter einer spätdekadenten Zivilisationsstufe, von der man bereits in den USA kaum eine Ahnung, erst recht keinen Begriff hat – noch nie waren wir so hilflos angesichts außereuropäischer Herausforderungen wie heute. Bräuchte der islamische Raum vielleicht dringend eine kräftige Injektion kritischer Vernunft (wie man als Utopist grüner Provenienz sympathischerweise glaubt), oder brauchen, im Gegenteil, wir selber eine Reduktion derselben, um durch Vereinfachung einer allzu komplexen Weltsicht wieder an ihre vitalen Wurzeln zurückzukommen?[34]
Vielleicht kann man aus den Demütigungen, die man als Alter Europäer derzeit auf den verschiedensten Ebenen erlebt, vielleicht kann man von all jenen, die uns physisch, wirtschaftlich, kulturell und vor allem religiös herausfordern, eines lernen: die Herausforderung anzunehmen und ein gesamtgesellschaftlich getragenes Selbstverständnis zu entwickeln, das aus Verbrauchern wieder Menschen macht, Menschen, die ihr Glück jenseits von Renditeerwartung und Steuervorteil suchen. Und dies notfalls in einer Sprache zum Ausdruck bringen, die auch von Fundamentalisten verstanden wird; möglicherweise müssen wir sogar auf eine – ich kann’s nicht anders als im Paradoxon ausdrücken – antifundamentalistische Weise fundamentalistisch, nein: fundamental werden.
Worauf aber könnte ein mitteleuropäischer Fundamentalismus hinauslaufen,[35] wenn nicht auf ein robusteres Mandat für Freiheit, Toleranz und Höflichkeit im Umgang mit all den Unhöflichen dieser Welt?[36] Es klingt absurd, nachgerade pervers, dieser altersschwach gewordnen Grundtoleranz des Westens jetzt einen Schuß Intoleranz beizugeben, auf daß sie überleben möge im weltweiten Wettstreit juveniler Weltbilder, und man sollte es auf keinen Fall nach Art amerikanischer Imperatoren tun. Doch es gibt eben nicht nur eine Toleranz der Schwäche, die rückgratlos alles abnickt, was der Fall ist,[37] sondern auch die der Stärke, die aus einer bewußt eingenommenen Position heraus erwächst und dem Fremden gegenüber so lange couragiert Distanz hält, bis es zur wechselweisen Anerkennung kommt.
Welchen Wert eine restlos aufgeklärte, sprich: gottlose Gesellschaft der (partiell) unaufgeklärten entgegenzusetzen hat – das ist das Grundproblem, an dem viele Hochkulturen zugrunde gegangen sind. Nun geht als nächstes also auch die Mission des Weißen Mannes zu Ende, wie sie seit der beginnenden Neuzeit betrieben wurde, nicht zuletzt aufgrund ihrer zunehmenden Konzentration aufs Diesseitige: Nahezu niemand außerhalb der westlichen Welt will aufs Dach einer schützenden, sinnstiftenden Transzendenz verzichten, wenn er dafür nur die fragwürdigen Früchte des Nihilismus erhält; die jahrhundertelang betriebne Aufklärung der Unaufgeklärten erfährt nun selber, da sie zur reinen Lehre vom Konsum verkommen scheint, so etwas wie eine Gegenmissionierung.
Selbst am Ursprungsort dieser Aufklärung müssen wir, die wir unser Leben so behaglich in ironischer Distanz zu jedweder Position eingerichtet haben, allenthalben Zeichen einer Sehnsucht nach festen Standorten wahrnehmen, die auf eine sanfte Gegenaufklärung hinauslaufen: auf eine neue, zunächst eklektische Religiosität aus esoterischen Versatzstücken, die sich bereits jeder dritte nach Gusto zusammensetzt, als behelfsweisen Reflex auf eine Glaubensintensität, mit der wir seit ein paar Jahren so massiv von außen konfrontiert werden. Ja mehr noch, sind wir letzten Aufklärer mittlerweile nicht vielleicht selber unsrer freischwebenden Ungebundenheit satt, sehnen uns nach einer neuen Verwurzelung und sind bereit, den Hiatus zwischen alles zersetzender Vernunft und irrationaler Vision zu wagen?[38]
Oft habe ich mich während meiner karibischen Monate gefragt, warum ich, erschöpft von der Vitalität der anderen, ausgerechnet in afrokubanischen Kulten wieder zu Kräften kam, ausgerechnet eine Geborgenheit während der Ausübung geheimbündlerisch anmutender Rituale der Santería und des Palo Monte verspüren konnte, die sogar noch im Alltag eine Weile nachwirkte: Gerade deshalb, so mußte ich mir gegen meinen Willen immer wieder antworten, weil die Aufklärung nicht nur jede Menge gibt, sondern letztlich das Allerwichtigste nimmt, was uns das Leben leichter und das Glück erfahrbarer macht: Gewißheit jenseits des Wissens, Unerschütterlichkeit trotz aller Erschütterungen – und weil eben das von jedem praktizierenden Santero oder Palero glaubhaft vermittelt wird. Erst während ihrer stundenlangen Rituale habe ich wieder das kathartische Erschauern vor dem Jenseitigen verspürt, das sich insbesondre in der protestantischen Kirche zum Programm der Nächstenliebe verflüchtigt hat:[39] Wer will schon Brot und Wein, wenn er Blut und (Opfer-)Fleisch bekommen kann? Wer will schon einen gütigen Gott irgendwo im Abstrakten, der sich seiner eignen Schöpfung entzogen, dazu einen Oberhirten, der trotz Papst-Hype immer unsicher wirkt,[40] wenn er Priester haben kann, von denen er klare Anweisungen und Lebensgewißheit erhält, wenn er Tote haben kann, die mit ihm reden, wenn er Götter haben kann, die mit Wucht in ihre Jünger fahren, um mit ihnen zu tanzen, zu rauchen und zu trinken? Wer einmal miterlebt hat, mit welcher Ungebrochenheit in der Karibik noch geglaubt wird, mit welch afrikanischer Intensität, die immer auch Angst und Schrecken einschließt, Grauen und Entsetzen, bis hin zur Barbarei, der weiß, daß sich unsre gottlose Gesellschaft nicht auf Dauer mit individualistischer Privatesoterik dagegen rüsten kann.[41]
Denn was nützt uns all die »Freiheit wovon«, wenn wir sie nicht mehr als »Freiheit wozu« nützen können? Selbst das Projekt der Aufklärung, wie’s als philosophische Spitzenleistung des Alten Europa einen Siegeszug um die Welt gemacht hat, markiert ganz offensichtlich noch längst nicht das Ende der weltanschaulichen Evolution, außer für die »happy few« einer freidenkerischen Elite, die jede Gesellschaft braucht. Aufklärung oder Gegenaufklärung, das ist die anstehende »Schicksalswahl«, die ganz gewiß nicht auf demokratische Weise entschieden werden wird. Wirtschaftswachstum – Innere Sicherheit – Vollbeschäftigung? Nein, Glaube – Liebe – Hoffnung, darunter scheint’s auf Dauer auch bei uns nicht zu gehen; und eben das gilt es jetzt ohne Häme zu begreifen, selbst von überzeugten Atheisten, die das Zerschreddern unsrer vertrauten Welt im Mahlwerk des Globalismus unverdrossen mit rein politischen Mitteln verhindern oder gar betreiben wollen. Andernfalls sind wir schon morgen nichts als Nachwelt.
(2005)
Weißer Mann – was nun? – revisited
Ist Deutschland ein Übernahmekandidat? Man bedenke, daß der voangehende Essay im Spätsommer ’05 geschrieben wurde, zu einem Zeitpunkt, da Karikaturenstreit, Aufstand der Migranten in den Pariser Vorstädten, Foltermorde an Juden (ebenfalls in Frankreich), Wahlsieg der radikalpalästinensischen Hamas, ein weiterer Krieg zwischen Israel und seinen Nachbarn in weiter Ferne lagen – und mit ihm der ganze Themenbereich »Kampf der Religionen« bzw. eigentlich: der Weltanschauungen. Daher wurde er mit folgender Einleitung versehen:
Nun ist es plötzlich vorbei mit Abwarten-und-Jammern, die allgemeine Verzagtheit in Deutschland weicht zusehends einer unerwartet betriebsamen Aufbruchsstimmung. Eifrig werden Leitartikel geschrieben und Manifeste verfaßt, ja vor allem auch ersehnt, verlangt, mitunter gewaltsam herbeigezwungen, als ob man auf diese Weise wenigstens anderen schon mal die Entschlossenheit unterschieben könnte, die man selber noch nicht hat: Der schleichende Niedergang der Parteiendemokratie [Vgl. dazu »Jungs, nehmt den Finger aus’m Arsch, es gibt Arbeit«, S. 42ff] und »Weniger Demokratie wagen«, S. 55ff., wie wir ihn als Telekratie seit Jahren miterleben müssen – als Simulationsterror der Meinungsbarometer und Talkshows, die mit ihren Standardmoralkeulen fast jedes authentische Sprechen unmöglich machen –, hat ein gefährliches Machtuakuum bewirkt, das nicht etwa nur von »Frustrierten«, sondern vor allem von der intellektuellen Mitte unsrer Gesellschaft wieder neu gefüllt werden will.
Doch selbst wenn das gelänge (und nebenbei das Kunststück, aus einem hochverschuldeten Sanierungsfall ein florierendes Restart-up-Unternehmen BRD-II herauszulösen), stünde dahinter nach wie vor als weit größeres, zentraleuropäisches Problem: der drohende Abstieg des ehemaligen »Westens« als eines seit Generationen gepflegten Lebens- und Kulturprinzips, vergleichbar demjenigen der habsburgischen k.u.k. Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg. Mit der Postmoderne und ihrem zersetzenden »Anything goes« haben wir das Ende der Aufklärung erreicht, ist die Skepsis der Freigeisterei so weit fortgeschritten, daß sie anstelle ernsthafter Visionen nurmehr eine müde Generalironie entwickelt, ein achselzuckendes Laissezfaire, Tarnvokabel »Toleranz«, gegenüber allem und jedem: Das entsprechende Erstarken inter- wie intranationaler »Ränder« wird uns eine Unzahl an Sub- und Parallelwelten bescheren, wird am Ende auf eine radikale Parzellierung der Gesellschaft hinauslaufen – nicht zuletzt aufgrund passiver Eliten, die dem Zerfall des Ganzen zur bloßen Summe seiner Teile nichts entgegenzusetzen haben und dies auch längst nicht mehr wollen.
Jenem uneuphorischen Auftakt zum Trotz: Hier schreibt kein resignierter Ex-Rot-Grüner, am allerwenigsten ein verkappter Rechter, der mit seiner These vom »Untergang des Weißen Mannes« erstsämtliche Frauen- und Multikultibeauftragten hinwegbeleidigen und anschließend eine krawattengeschnürt neokonservative Revolution ausrufen möchte. Im Gegenteil, das ist ja bereits Teil des Problems, die meisten, mit denen ich in letzter Zeit gesprochen habe, gehören – obwohl allesamt überzeugte Demokraten – einer viel zu lang schon schweigenden Mehrheit an, die unter ihren politischen Repräsentanten kaum noch einen ausmacht, uon dem sie sich angemessen repräsentiert fühlt: Deshalb kommt ja nun endlich, wo diese parteipolitisch entwurzelte, gefährlich hin und her schwankende Mitte zu einer neuen Sprache finden muß, eine Diskussion in Schwung, die ein verschärftes Aufmucken freischwebender Intellektueller jenseits des überkommenen Links-Rechts-Denkschemas erkennen läßt.
Damals, nach dem Scheitern von Rot-Grün und dem Vorziehen der nächsten Bundestagswahl auf den 18. September, standen Pro und Contra eines grundsätzlichen Kurswechsels deutscher Innenpolitik auf der intellektuellen Agenda; daß es in weiten Teilen der Welt gerade spürbar ungemütlicher wurde und man das nicht beliebig lange als atavistisches Getöse von Globalisierungsverlierern würde marginalisieren können, ließ sich im allgemeinen Aufbruchstaumel leicht als störende Panikmache beiseite schieben. Heute, ein ernüchterndes Jahr später, spricht jeder von der Rückkehr der Religionen, die man im Zeitalter der Digitalisierung gar nicht mehr, und schon gar nicht so heftig, erwartet hätte. Tut dies freilich auf solch kennerhaft selbstverständliche Weise, als hätte man’s insgeheim trotzdem schon immer gewußt, daß – ja, was denn? Daß wir uns seit dem 11. September 2001 im weltweiten Kampf der Kulturen befinden, einer geostrategischen Neuaufteilung der globalen Landkarte wie zu Zeiten des Kalten Krieges? Nur daß es jetzt ein Heiliger Krieg ist und also zukünftig auch kein Eiserner Vorhang, sondern ein Eiserner Schleier sein wird, der die Demarkationslinie zwischen »gläubigen« und »ungläubigen« Gebieten markiert? Wer könnte mittlerweile noch so tun, als sei dem nicht so; wer könnte’s noch wagen, die alte Zauberformel vom »Dialog der Kulturen« herunterzubeten, wenn die al-Quaida in der ihr eignen markigen Diktion »die ganze Welt als offenes Schlachtfeld« deklariert und »Muslime überall [auffordert], zu kämpfen und Märtyrer im Krieg gegen die Zionisten und die Kreuzfahrer zu werden« (Videobotschaft, zit. nach: SZ,28. 7. 2006)?
Denn natürlich meint das nicht nur Israelis und Amerikaner, das meint – und spätestens mit den Fernsehbildern von brennenden deutschen Fahnen (anläßlich einer im Grunde pazifistischen Äußerung des Papstes im September 2006) müßte das sogar hartgesottnen Multikultiträumern klargeworden sein –,[42] das meint auch uns, meint uns alle. Ein Großteil der islamischen Welt sucht die Konfrontation, und daß dieser Kampf der Weltanschauungen von einigen Feuilletonisten alter Schule stereotyp als »dumpf« etikettiert wird, trägt wenig zur Erhellung des komplexen Problems bei. Im Spätsommer ’05 jedoch schien das Thema in seiner ungeschminkt entsetzlichen Konsequenz – Ermordung des islamkritischen Filmemachers Theo van Gogh am 2. 11. 2004 incl. Bekennerschreiben, dem Sterbenden mit einem Messer in den Bauch gerammt – erst in den Niederlanden angekommen und also noch weit weg zu sein; entsprechend hoch schlugen die Wogen nach Veröffentlichung von »Weißer Mann – was nun?«. Daß sich die entzauberte Welt unsres spätkapitalistischen Turbo-Individualismus auf die Herausforderungen ganzheitlicher Lebensformen einzustellen habe (wie sie jede religiös strukturierte Gesellschaft anbietet), ging damals noch ans Eingemachte, rührte an ein Tabu, wie es in Zeiten transzendentaler Obdachlosigkeit anscheinend als ausgemacht gilt: »Alles Spirituelle ist suspekt«, so die stillschweigende Überzeugung unsrer mehrheitlich atheistischen Avantgarde, »und wer sich nicht zumindest ironisch damit auseinandersetzt, der ist es ebenfalls«. Typisch postmodern? Für die Unmengen an zustimmenden bis euphorischen Leserbriefschreibern – meist Menschen, die länger im Ausland gelebt hatten – war die Postmoderne zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht angebrochen oder schon wieder beendet.
So oder so, ein jahrzehntelang kaum ernsthaft hinterfragter Common sense der bundesrepublikanischen Gesellschaft war an einer empfindlichen Stelle getroffen; die Stellungnahmen, die man in Folge auf Diskussionspodien und in Rundfunksendungen von mir erwartete, waren entsprechend einseitig. Aber wie wären diese Erwartungen zu erfüllen gewesen? Wer Religion predigt, hat sie in der Regel verloren, das weiß man doch nicht erst seit gestern, ansonsten würde er sie schließlich praktizieren. Hat sie unwiederbringlich verloren; auch wenn ich mich als hartgesottener Atheist auf Kuba immerhin an die Vorstellung gewöhnen mußte, daß Gläubige mitnichten »simpler gestrickt« waren als Glaubenslose, daß sie sich durch ihre Ausrichtung auf ein Jenseits keinen Deut »unfreier« im Diesseits fühlten, daß sie sich trotz ihrer Offenheit gegenüber dem Mysterium keineswegs als »irrationale«, »unaufgeklärte« Vertreter einer niedrigeren Zivilisationsstufe abtun ließen. Und das, obwohl ich es nicht mit irgendeiner diffus gefühligen fernöstlichen Schweige- oder indianischen Schwitzhüttenreligiosität zu tun bekommen hatte, sondern mit ziemlich deftigem Hardcore, der hierzulande selbst in seiner Voodoo-Klischeeform ein unwohles Gruseln erzeugt.
Mit wie vielen Ausrufezeichen hatte ich mich in diese afrokubanischen Kulte hineinbegeben, in der Haltung des hochmütig-ethnologischen Beobachters, der alles, was er sehen und erleben würde, schon im vorhinein als Mumpitz rubriziert hatte; und mit wie vielen Fragezeichen war ich zurückgekehrt nach Deutschland, in die vertraute und doch mit einemmal merkwürdig öde Geheimnislosigkeit einer säkularen, im Grunde gottlos-hedonistischen Gesellschaft. Noch heute habe ich eher Fragezeichen als Ausrufezeichen zu diesem ganzen Themenkomplex anzubieten, betone aber gern auch an dieser Stelle, daß ich mich nach wie vor im Zweifelsfall, ohne eine Sekunde zu zögern, auf die Seite des Individualismus und des Rechts auf Ungläubigkeit schlagen würde. Gerade deshalb, weil ich ganz genau weiß, wo ich stehe, habe ich an den Fragen, wie ich sie im Jahre 2005 gestellt habe, auch jetzt kein einziges Wort zurückzunehmen.
Und gar im anstehenden Weltkonflikt! Der hat in seiner fundamentalistischen Grundierung nichts, aber auch gar nichts mit den Mysterien gemein, wie man sie in den polytheistischen Ritualen der Karibik erleben kann; gegen einen militanten Monotheismus (nicht etwa nur den islamischen) gibt es nur ein einziges Mittel: das robuste Mandat, wie es in meinem Essay ja benannt ist. Zunächst allerdings ist endlich zu begreifen, daß wir der transzendentalen Herausforderung nicht mit altgewohnter Blasiertheit Herr werden können:
Da verschickt ein 61jähriger aus dem Ruhrgebiet – und zwar mitten im Karikaturenstreit, überall auf der Welt brennen dänische (und verwechslungshalber auch Schweizer) Flaggen, gibt es Tote bei moslemischen Massenaufmärschen, werden von Fanatikern sogar vereinzelt Priester ermordet –, da verschickt einer Toilettenpapier mit dem Aufdruck »Der Heilige Koran« an Fernsehanstalten und islamische Einrichtungen, im Begleitschreiben bezeichnet er den Koran als »Kochbuch für Terroristen«. Selbstverständlich protestiert die iranische Regierung beim Auswärtigen Amt, gibt es Morddrohungen, muß der Mann untertauchen. (SZ,24. 2. 2006) Hallo, Titanic? Leider nein. Ein bißchen mehr Achtung vor den Wahrheiten und Werten einer Weltreligion stünde uns als den möglichen Verlierern der globalen Kräfteverschiebungen gut an.
Vier Fragen nach dem Anschlag aufs World Trade Center
Erstens. Als meine 80jährige Mutter am Tag des Anschlags auf die amerikanischen Nationalsymbole beim nachmittäglichen Zappen ziemlich zeitnah mit den ersten Katastrophenbildern konfrontiert wurde, schaltete sie den Apparat erbost aus: »Jetzt zeigen sie so ’nen Quatsch schon am Nachmittag«, wetterte sie in der festen Überzeugung, an einen Science-fiction-Film geraten zu sein, und da sie derlei »absurde« Horrorszenarios nicht goutiert, war der Fernsehnachmittag gelaufen. – Auch ich dachte an jenem Dienstag, angesichts all der entsetzt gen Himmel staunenden Menschen in den Straßenschluchten von Manhattan (das World Trade Center stand zu diesem Zeitpunkt noch), an Science-fiction: an Roland Emmerichs 1996 gelaufnen Film »Independence Day«. Nur ist es darin kein normales Passagierflugzeug, sondern wenigstens ein riesiges UFO, das den Traum von der amerikanischen Unverwundbarkeit beendet. Allerdings nicht nur den! Ähnlich gigantische UFOs tauchen zeitgleich über London auf, über Paris, Berlin usw. – im Film, bloß im Film![43] Doch die Blicke der ungäubigen gen Himmel starrenden Menschen waren in realitas die gleichen. Nachdem sich die wirkliche Wirklichkeit angeschickt hat, die Visionen des Kinos einzuholen, bedarf es für künftige Schocker wahrscheinlich gar keiner UFOs mehr: Die nächste Welle an Hollywood-Produktionen wird uns präziser zeigen, wohin unser aller Horrortrip geht, als jeder Leitartikel, der zur Zeit geschrieben wird. Könnte’s sein, daß der Science-fiction-Film in puncto Welterkenntnis mittlerweile der Schulphilosophie und sogar der Talkshow den Rang abgelaufen hat?
Zweitens. Viel ist zur Zeit die Rede vom Ende des (seit Amtsantritt von Bush jr. im Januar 2001 wieder offen grassierenden) Antiamerikanismus, wie er insbesondre unter Intellektuellen angesagt gewesen und dem ich für meine Person nur entkommen war, indem ich seinen negativen Grundimpetus in einen positiven umzumünzen suchte: Bereits Ende der 90er fand ich’s erstrebenswert, eine neue Identität jenseits alter Nationalklischees zu gewinnen und mich als europäischer Schriftsteller zu begreifen, sprich, der amerikanischen Herausforderung auch im Bereich der Literatur mit einem dezidiert europäischen Gegenkonzept zur Seite zu treten.[44] Doch jetzt, wo mir’s selbst beim Dauerlauf rund um die Hamburger Alster die Kehle schnürt, nämlich dort, wo man an der blumengesäumten Absperrung des amerikanischen Konsulats vorbeiläuft,[45] jetzt ist auch einer wie ich gern bereit, sich probeweise als »Amerikaner« zu begreifen. Als Teil also der weltweit vernetzten westlichen Wertegemeinschaft, und tatsächlich verspüre ich sogar die Verlockung, die amerikanische Erschütterung als meine ureigne zu begreifen. Doch was wird auf diese große Sympathiewelle folgen, sobald Bush zum Gegenschlag ausgeholt hat? Wahrscheinlich zögert er nur deshalb noch, weil ihm partout kein passendes islamisches Symbol einfällt, das es im Gegenzug zu zerstören gälte – die einzig angemeßne Kaaba liegt nun mal nicht im Irak, sondern auf dem Territorium eines Bündnispartners. Womit sich der traditionelle Vorzug des amerikanischen Denkens, komplexe Probleme auf einfache reduzieren und ihnen ein Gesicht geben zu können, in einen strategischen Nachteil verwandelt hat: Die Hydrastruktur des aktuellen Gegners hat nun mal tausend Köpfe.[46] Steht damit aber nicht auch von vornherein fest, daß die USA – und die hektisch betriebene Beförderung Bin Ladens zum Märtyrer in spe wird ihre nächste Niederlage bewirken –, daß die USA, was immer sie auch zerbomben werden, in diesem Kampf der Symbole nicht gewinnen können?[47]
Drittens. Noch vor wenigen Jahren herrschte auf der Welt das Gleichgewicht des Schreckens, kein Mensch konnte sich vorstellen, daß ein Riesenreich wie die UdSSR einmal auf vergleichsweise friedliche Weise implodieren und die USA als alleinige Supermacht übrigbleiben würden. Seither kann (und will) sich niemand vorstellen, daß den USA ein ähnliches Schicksal bevorstehen könnte, unter den neuesten Auspizien freilich eher als unfriedliche Explosion. – Die neue Verwundbarkeit macht die USA zwar wieder sympathisch, doch eben auch besiegbar;[48] wäre sie’s nicht, könnte sie’s sich ja leisten, den Tag des Terroranschlags zum Nationaltrauertag zu erklären und die Welt zu verblüffen: indem sie auf Gegenterror verzichtet. Und statt dessen alle islamischen bzw. islamistischen Führer zum Gespräch nach Ground Zero einlädt – auf ebenjenen Schuttberg, der einmal World Trade Center hieß. Aber die USA haben ihre einstige Handlungssouveränität schlagartig eingebüßt, und indem sie jetzt so übereifrig das zentralasiatische Machtvakuum für sich entdecken wollen, zeigen sie vor allem, daß sie bereits während der kurzenPhase des selbstgewählten Isolationismus unter Bush von der Supermacht zur Großmacht geschrumpft sind. Wenn aber das 20. Jahrhundert zu Recht das amerikanische genannt wird: Könnte der Sieger des neuen »grauen« Krieges, in dem sich islamische und westliche Welt zermürben werden, könnte der »lachende Dritte« nicht ebenfalls schon feststehen – und haben wir also vor wenigen Tagen zwar noch nicht den Anbruch, aber immerhin das Präludium des chinesischen Jahrhunderts erlebt?[49]
Viertens. Oder hat die alte Weltordnung doch noch eine Chance? Kriege, die im Namen Christi geführt wurden, sind durch den Verlauf der europäischen Moderne ad absurdum geführt geworden – welch ein Segen für die gesamte Menschheit, daß wir sukzessive »abgefallen sind vom rechten Glauben«, daß wir Ungläubige geworden sind, die sich trotzdem einen Minimalkonsens übers Miteinander-in-Frieden-Leben bewahrt haben! Wie, wenn wir das heilsame Gift der Aufklärung in die islamische und, leider sieht’s in gewissen Teilen der israelischen Bevölkerung ja nicht minder orthodox aus, in die jüdische Glaubenswelt hineinzuträufeln suchten, allerdings ex negativo: Höchste Zeit auch dort für einen Gottesstaat! Vergleichbar unserm Kirchenstaat und auch entsprechend winzig dimensioniert, zwecks Kanalisierung überschüssiger Glaubensenergien, die damit vom restlichen vorder- bzw. mittelasiatischen Raum abgezogen würden – das Konzept hat bei uns ja schließlich schon mal funktioniert! Aber kann man ein Erfolgsrezept überhaupt wiederholen – die Deklaration Gesamt-Jerusalems zur hochheiligen Zone, zur Schutzzone gewissermaßen für Fundamentalisten jeder Religion, bei gleichzeitiger Säkularisierung der restlichen Welt, die derzeit noch unter dem Syndrom antiquierter Glaubensdoktrin leidet? Ach, wahrscheinlich ist das nur ein unfrommer Wunsch in entsetzlich fromm anbrechenden Zeiten,[50] eine Frage mehr an den letzten Ausläufer einer Epoche, die unter der Last ihrer Antworten bald beendet sein wird.
(2001)
»Jetzt zeigen sie so ’nen Quatsch schon am Nachmittag« – revisited
Aufnotiert wurden diese vage gehaltnen Fragen sechs Tage nach dem Anschlag auf die Zwillingstürme, zu einem Zeitpunkt, da sich die Schlagzeilen überstürzten und mit ihnen die sachverständigen Erklärungen von Islamkundlern, Amerikanisten, Politologen, Verschwörungstheoretikern, Nahost- und Terrorexperten jedweder Couleur. Inzwischen liegen weitere Jahre weltweiten Terrors hinter uns, in deren Verlauf die Bombeneinschläge nicht nur sprichwörtlich näher kamen; man bekommt die Chronik der laufenden Ereignisse in der bloßen Erinnerung gar nicht mehr lückenlos zusammen, so häufig war von Entführungen, Geiselexekutionen, Selbstmordanschlägen, Massendemonstrationen, Fahnenverbrennungen und regelrechten Kriegen (Irak, Palästina, Libanon, Somalia …) die Rede. In summa von einer dezentralisierten Schlacht der Weltanschauungen, die nicht zuletzt mit Hilfe der Medien und der prägenden Botschaften ihrer Bilder geschlagen wird.
Wie aber wird es weitergehen? Die aktuellen Produktionen der Massenkultur sind wahrscheinlich auch weiterhin Seismographen zukünftiger Entwicklungen: Im 2006er-Actionstreifen »Tal der Wölfe«, erfolgreichster türkischer Film aller Zeiten, rächt sich die während des Irakkriegs durch die USA gedemütigte Türkei in Person ihres TV-Serienhelden Necati Şaşmaz. Der bringt den christlichen US-Schurken am Ende mit einem Dolchstoß zur Strecke und befriedigt damit religiöse wie nationale Emotionen – nicht selten soll es zum Schluß der Vorführung Beifall gegeben haben. Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach von einer »Attacke auf die Werte der westlichen Zivilisation« (Charlotte Knobloch, zit. nach: SZ,18./19. 2. 2006) und appellierte an die Kinobetreiber, den Film wegen antisemitischer Aspekte aus dem Programm zu nehmen.
Es geht indes noch drastischer. In seinem Thriller »Prayers for the Assassin« (erschienen März ’06) entwirft der amerikanische Autor Roberto Ferrigno eine USA des Jahres 2040 als islamistische Republik, regiert von Seattle aus. Der Plot: Nach Atomschlägen auf New York und Washington kommt es im ganzen Land zu bürgerkriegsbedingten Verwüstungen; in der Hoffnung auf Sicherheit und Ordnung wendet sich die Bevölkerung sukzessive dem Islam zu. Nur diejenigen, die auch zuvor schon über einen festen Glauben verfügten, können sich dem neuen Trend entziehen: die Juden durch Flucht; die Turbo-Kapitalisten durch Errichtung eines »Freistaats Nevada«; die bibelfesten Südstaatler; die Mormonen um Salt Lake City. Daß die Religionspolizei im neuen Staatswesen eine unheilvolle Rolle spielt, versteht sich; daß es auch innerhalb des islamischen Territoriums fundamentalistische wie moderate, ja modernistische Kräfte gibt, desgleichen – Gut und Böse stehen sich nun innerhalb der Elitetruppe der Fedajin gegenüber. Das Buch jage dem Leser, schreibt Jordan Mejias in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (6. 3. 2006), »kulturkämpferische Schauder über den Rücken« und lasse »das patriotische Blut in Wallung geraten«: »In seinem Zukunftsbild stauen sich die Ängste der Gegenwart.«
Ob auf Papier oder auf Zelluloid, für Amerikaner scheinen in jedem Fall schwere Zeiten anzubrechen. Doch nicht nur für sie! Auch für die Europäer hält der angebrochene Kampf der Kulturen albtraumhafte Zukunftszenarios in petto: Wird Europa bei Ferrigno schlichtweg durch Ein- und Unterwanderung zu einem islamischen Erdteil – in der wirklichen Wirklichkeit wurde ebendies dem Dekan von Pappenheim von einem türkischen Passanten prophezeit (»Sie hatten seit langem nur zwei Taufen; bei uns kommt mindestens das Zehnfache nach. In zehn Jahren gehört Pappenheim uns.« Zit. nach: SZ,18. 9. 2006) –, so rechnet ein türkischer »Schundroman«, der kurz nach den gescheiterten Beitragsverhandlungen der EU mit der Türkei Schlagzeilen machte, weit grundsätzlicher mit der Alten Welt ab: indem er sie in einen dritten Weltkrieg verwickelt. Die von der Europäischen Union endgültig enttäuschte Türkei verbündet sich mit Rußland, das die Demütigungen der Rußlanddeutschen nicht länger tatenlos hinnehmen will, und erobert Mitteleuropa; das Zentrum einer neuenEU verschiebt sich nach Istanbul. Titel und Autor des Romans? Habe ich als Bürger der alten EU umgehend verdrängt.
PS: Im Herbst 2006 läuft in den USA der britische Fernsehfilm »Death of a President«, der in einer Mischung aus Archivmaterial und gestellten Szenen die Ermordung von George W. Bush im Jahre 2007 »zeigt« (SZ,4. 9. 2006). Obwohl nicht einmal das Weiße Haus protestiert hat: Die Freiheit der Kunst rechtfertigt nicht alles, auch die Würde eines suspekten amerikanischen Präsidenten sollte unantastbar sein.
Neulich, während einer halbverträumten U-Bahn-Fahrt, fiel mein Blick auf ein Plakat, und wie ich während des kurzen Halts halbautomatisch zu lesen begann, wurde ich Zeile für Zeile wacher: Welch eine lächerliche Werbung, fuhr ich am Ende fast vom Sitz, vollkommen unverständlich! Im Anfahren glitt mir der Blick dorthin, wo der Name des beworbenen Produkts zu erwarten gewesen wäre und wo statt dessen zu lesen stand: »Poesie in die Stadt«. Ach so. Ja dann. Kurzer Anflug von Ärger, daß hier Lyriksimulation an gutgläubigen U-Bahn-Probanden betrieben wurde – wer hatte diesen Käse denn ausgewählt und damit die ganze Aktion verschenkt? –, an der nächsten Station aber schon achselzuckendes Ist-doch-egal. War ja nicht das erste Mal, daß Verschwurbelt-Krautiges als Geniestreich angepriesen wurde, in Feuilletonkritiken, bei Preisverleihungen, meinetwegen auch an U-Bahn-Stationen; mehr, als dagegen mit den Achseln anzuzucken, lohnte nicht.
Wirklich nicht? In jenen Sekunden aufblitzender Empörung samt sofort sich anschließender Resignation war mein Lebensgefühl der letzten Jahre in nuce enthalten: Zähneknirschend hatte ich mich daran gewöhnt, daß es nicht nur in der Lyrik, nicht nur in der Literatur insgesamt und den Künsten, sondern auch im Fußball, in den Medien, der Wirtschaft und last not least natürlich der Politik mit Volldampf Richtung Mittelmaß ging, angeführt von einem Kanzlerdarsteller mit geschröderten Haaren und einer Opposition, die bislang bloß bei der Sixt-Werbung die bessere Frisur zeigte –[51] abhaken, weiter, eine andre Wahl hatte man ohnehin nicht.
Wirklich nicht? Deutschland wird zur Zeit in allen Disziplinen gedemütigt, als Insasse Deutschlands lebt man halbgeduckt voran, in der Gewißheit, daß es selbst nach der nächsten Wahl nicht besser werden wird. Gibt es eigentlich noch irgend etwas, das mich herausreißen könnte aus dieser grundsätzlichen Untergangsstimmung, gibt es irgend etwas in unserem Land oder wenigstens unserem Literaturbetrieb, das zur Hoffnung zwingt?[52] Bitte jetzt bloß keine Buchempfehlung! Sobald ich mich im Ausland befinde, vermisse ich die selbstreferenziellen Aufgeregtheiten unsres Feuilletonbetriebs am allerwenigsten: Aus der Distanz erscheint das meiste verdammt egal, was in Deutschland gedacht oder vielmehr nicht gedacht, was dort diskutiert, politisch korrekt verwässert, zum Kompromiß zerredet, auf die lange Bank geschoben wird, nicht mal mehr in den unmittelbaren Nachbarländern interessiert man sich noch dafür.
Und gar die deutsche Gegenwartsliteratur, für was sollte man sich denn da noch begeistern?[53] Außerhalb Deutschlands hat man das meiste, an dem sich unsre Autoren beharrlich abarbeiten, mittlerweile zu den Akten gelegt, weil man – gewiß: irrtümlich – glaubt, daß es daran gar nichts mehr zu bewältigen gibt. Nur bei den Deutschen ist man mit Vergangenheitsbewältigung immer auf der sicheren Seite, wir bewältigen einfach zu gern.[54] Ausgerechnet in dieser selbstgerechten Konzentration auf den Dreischritt unsrer jüngeren Nationalgeschichte – NS-Zeit, Teilung, Wiedervereinigung – frönen wir auf indirekte, immer gleich betroffene Weise unserem Nationalismus.
Wie langweilig! Wie irrelevant! Jedenfalls für 99,9 Prozent der Weltbevölkerung. Noch bleiben von der deutschen Gegenwart, natürlich, einzelne Personen, einzelne Autoren, Kritiker. Aber so ganz grundsätzlich gesprochen? Suche ich derzeit eher im Ausland nach neuen Impulsen, obgleich manchmal einem Wutausbruch nahe, wenn ich die Vitalität sehe, mit der dort an der Zukunft gebaut wird, wenn ich die Verachtung spüre, mit der man mir als politisch korrektem Schlappschwanzeuropäer entgegentritt. »Wir leben nicht unter den letzten Atemzügen einer ersterbenden Epoche, wir stehen am Morgen einer kerngesunden Zeit, es ist eine Lust zu leben!« So liest man es um 1900 in der Zeitschrift Jugend,[55] die Rede war von Deutschland.
Während an den Demarkationslinien der Kulturen die Kontur unsrer alten europäischen Welt gefährlich bröckelt, vom Niedergang der USA mal ganz zu schweigen, verhandeln deutsche Intellektuelle weiterhin mit Vorliebe Deutsches bzw. Deutsch-Deutsches aus »dunkler« oder zumindest »schwerer« Zeit, man könnte meinen, um sich vor dem Blick in eine Zukunft zu drücken, die weiß Gott nicht unbedingt leichter werden dürfte: Mayer-Vorfelder übernimmt die SPD, Ex-Mannesmann-Chef Esser wird als Bundeskanzler vereidigt, Schlingensief inszeniert das Drama der Rechtschreibreform, Deutsche Elf unter Waldemar Hartmann im 8–2-0-System von Österreich vermöbelt … Ein ganzes Land als Valentin-Musäum, da bleibt tatsächlich nur noch Novalis: Nach innen geht der geheimnisvolle Weg …[56]
Wirklich? Daß ich mit meiner achselzuckenden Verärgerung nicht allein stehe, bewies mir das jüngste Elmauer Treffen: Seit einigen Jahren kommen dort Autoren, Lektoren und Kritiker der Nach-68er-Generationen zusammen, um eine Art Theorie-Slam mit anschließender Rundum-Diskussion zu veranstalten.[57] Was, ganz ohne thematische Vorgaben, als überraschend präzises Stimmungsbarometer funktioniert, sozusagen als spielerische Analyse bundesrepublikanischer Befindlichkeiten. Heftig beklagte man diesmal[58] die Opakheit der Gesellschaft, sehnte sich nach neuen Standpunkten und positiven Utopien, zumindest nach neuen Spielgestaltern und Rädelsführern, um am Ende, zunehmend verärgert über die eigne sich im Kreis drehende Jammerei, zumindest begriffen zu haben, daß es so nicht weitergehen konnte: daß man zumindest schon mal im eignen Bereich anfangen mußte, selber anfangen mußte, nach neuen ästhetischen und womöglich moralischen Kriterien Ausschau zu halten – wer hätte das gedacht, nach all dem selbstreferenziellen Schlingern, ein zukunftsweisender Mehrheitsbeschluß, der Beginn einer ästhetischen Debatte, das Ende der Beliebigkeit![59]
Was freilich noch lange keine tatsächliche Veränderung garantiert, mit dem Handeln tun wir uns – die 78er und nachfolgende Generationen – weiterhin schwer, die mittlerweile größte Bevölkerungsgruppe beschränkt sich in der Regel aufs Beobachten. Mentalitätssache? Wie anders im Ausland, vorzugsweise im afrikanischen, karibischen, lateinamerikanischen, wo sich jeder in alles ungebeten einmischt und es auch gleich besser weiß! Auf Kuba wohnte ich während der letzten Jahre[60] neben einer, gelinde gesagt, kleinkriminellen Bande, die sich zur Mittagszeit mit Vorliebe zum Kiffen im Hof zusammenrottete. Wehe aber, es fuhr die Chefin unter sie, vielleicht die Mutter des Anführers, jedenfalls schwer und schwarz und wuchtig, mit Lockenwicklern im Haar: »Jungs, nehmt den Finger aus’m Arsch, es gibt Arbeit!« Manchmal wollte ich mich nach einer solchen Lockenwicklerin sehnen, die mit derbem Befehl die allgemeine Apathie auch in unserm Land beende.[61]
Was freilich, selbstredend, das Letzte wäre, was wir angesichts all unsrer eignen lautstark krakeelenden Lockenwickler, Schönfärber und juristisch abgesicherten Nichtschönfärber hier noch gebrauchen könnten, im Gegenteil: Niemand andrer als die Bedenkenträger par excellence, die Schriftsteller, sind meiner Meinung nach nun gefordert, sich ins große Ganze zurückzubegeben, raus aus ihren egomanischen Biotopen, rein ins Offne des gesellschaftlichen Gesprächs. Ja, ich habe ein altmodisches Bild vom Schriftsteller als Intellektuellem, der sich nicht allein als Schreibtischtäter begreift; ein Autor ist für mich, diesseits wie jenseits seiner Bücher, vor allem durch seinen Standpunkt definiert, das Recht auf ein radikal individualistisches Leben bedingt auch die Pflicht zur Anteilnahme am Allgemeinen.
Und das gilt nicht nur für die Vertreter der Flakhelfer- oder der 68er-Generation, sondern auch und gerade für die ewigen Verweigerer unter ihren skeptisch-distanzierten Nachfahren, das gilt auch für meine eigene Generation. Nicht daß ich mir eine Handvoll neuer »Großintellektueller« wünsche, die bei näherem Hinsehen allenfalls als Scheinriesen Respekt erheischen! Was unsre niedergehende Gesellschaft bräuchte, wäre eine Vielzahl an Autoren mittlerer Jahre, die nicht an der Verlängerung ihrer Pubertät bis ins Rentenalter arbeiten, sondern mit dem bewußten Abschied von ihrer Dauerjugendlichkeit bereit sind, ihr reales Alter und damit die Pflichten eines Erwachsenen anzunehmen: soziale Verantwortung jenseits der eignen Werkabfolge. Politisch engagierte Literatur, das wäre mir ein Greuel; politisch engagierte Autoren hingegen, ein Netzwerk freier Radikaler, die unbestechlich und ungebeten überall dort ihre Meinung einbringen, wo man das Wort Integrität nicht mal mehr fehlerfrei buchstabieren kann – welches demokratisch verfaßte Gemeinwesen könnte auf Dauer darauf verzichten?
Phantasie an die Macht, hieß das früher. Phantasie an die Ohnmacht, wird es jetzt erst mal heißen, denn das ist der schlimmste Aspekt unsrer jahrzehntelangen Untätigkeit: daß wir in geradezu idiosynkratischer Abstinenz von aller Macht versäumt haben, Schlüsselpositionen zu besetzen, und daß dies Vakuum andre dazu eingeladen hat, es unter Vorspiegelung ethischer Positionen (»Der mündige Bürger kann alleine entscheiden«) zu tun: Quote ersetzte Diktum, Prominenz ersetzte Substanz, Meinung ersetzte Vision – die zur Elite Prädestinierten haben sich dagegen fast vollständig ins Unverbindliche zurückgezogen. So leben wir, bitter zu denken, nicht nur in der Endphase des Kapitalismus, sondern gleichermaßen in der Endphase der Demokratie, zumindest in ihrer fragwürdig gewordnen Form als Parteiendemokratie.[62] Denn wenn die Besten einer Gesellschaft (und die Rede ist längst nicht mehr nur von Schriftstellern) Besseres zu tun haben, als von ihren Führungspositionen aus mit sanft undemokratischen Mitteln den Rest der Gesellschaft anzuleiten, dann tun dies eben die Zweit-, schließlich auch die Zehntbesten, dann ist der gesamtdeutsche Küblböck obenauf:[63] Medienrummeldemokratie als kaum verkappte Diktatur der Gaußschen Glockenkurve, vulgo: des Proletariats.
Wer in seinem Herzen Demokrat ist, der muß nun schleunigst undemokratisch denken,[64] nicht von der Mitte, sondern vom Rand der Gesellschaft her, der muß Minderheiten zurück an die Macht bringen,[65] zum Wohle dessen, was dann vielleicht sogar mal wieder in eine echte Demokratie übergehen könnte. Mittlerweile nämlich sind wir auch im größer gewordnen Deutschland fällig, und als überzeugtem 78er gefällt mir die Niederschrift dieses Wortes überhaupt nicht, fällig für eine neue gesellschaftliche Revolution. Diesmal allerdings für eine elitäre, jenseits des alten Lagerdenkens und angezettelt nicht etwa bloß von einer Task Force im Beckenbauer-Format, sondern im Sinne von Platons Konzept einer Herrschaft der Besten;[66] andernfalls unsre, die Schuld der »Nachgeborenen«, nicht mehr wiedergutzumachen sein wird.
(2004)
»Jungs, nehmt den Finger aus’m Arsch, es gibt Arbeit« – revisited
Die Elite, deren Rückkehr ins Zentrum des gesellschaftlichen Gesprächs gegen Ende des vorangegangenen Aufsatzes angemahnt wird – welch ein Schindluder ist mit diesem Begriff getrieben worden! Schon der Klang des Wortes läßt jeden Altlinken erschauern – ein jahrzehntelang nicht hinterfragter Pawlowscher Reflex –, wittert er doch in jeder Elite eine faschistische Keimzelle. Zumindest einen arg rechtslastigen Geheimbund, Stichwort George-Kreis.
In unserer postmodernen Gesellschaft wirkt das egalitäre Mißtrauen gegenüber der intellektuellen Elite unhinterfragt fort, vor allem unter den Intellektuellen selbst, sogar auf den Begriff des Intellektuellen färbt es bis zu einem gewissen Grad ab: Die Intellektuellen mißtrauen einander auf eine ganz grundsätzliche Weise, am allermeisten dann, wenn sie sich als virtuelle Gemeinschaft imaginieren – keiner will so recht zugeben (außer neuerdings Universitätsrektoren), daß er Eliten befürwortet, nicht mal diejenigen, die ihr fraglos angehören würden.
Die »Elite«, ein von der Linken nachhaltig pejorativ besetzter Begriff, wahrscheinlich müßte man – nach dem Muster der Striptease-Schuppen, die man mit der Umetikettierung zu Tabledance-Bars über Nacht wieder salonfähig machte –, wahrscheinlich müßte man nur ein neues, unbelastetes Wort für sie finden, um auch die Sache wieder in neuem Licht erstrahlen zu lassen: am besten durch Übernahme eines fremdsprachigen Terminus, den wir nicht wirklich verstehen, dessen Klang jedoch eine heitere Selbstgenügsamkeit fern aller Machtgelüste suggeriert. Oder zumindest durch ausschließliche Verwendung der Pluralform, um durch die Vielheit verschiedener Eliten eine Art parlamentarisch parzelliertes Debattenforum zu suggerieren, in dem sich die einzelnen Vertreter desselben hoffentlich gegenseitig in Schach halten.
Wie auch immer wir sie nennen wollen, um die Sache selbst kommt auch ein demokratisch strukturiertes Gemeinwesen nicht herum, will es auf Dauer nicht nachhaltig Schaden nehmen. Im Gegenteil, je lebhafter all die verschiednen Funktions- bzw. Kompetenzeliten einer Gesellschaft an deren politischem Leben teilnehmen, desto systemstabilisierender wirken sie, trotz all der systemkritischen Denkansätze, die sie in die öffentlichen Debatten einspeisen; und zwar schlicht durch die Tatsache, daß sie auf eine unüberschaubar heterogene Weise da sind und sich angesichts ihrer Wachsamkeit nichts unter der Hand oder im Alleingang beschließen, gar umsetzen läßt. Weswegen sonst all die Säuberungsaktionen totalitärer Herrscher, ob Hitler, Stalin, Mao, ob Rote Khmer oder lateinamerikanische Caudillos? Vernichtung bzw. Vertreibung intellektueller »Ratten und Schmeißfliegen« (Franz Josef Strauß) ist geradezu notwendige Voraussetzung, um die verbliebene »Masse Mensch« auf die Rolle passiver Mitläuferschaft hinzutrimmen.
Denn jede Elite ist vor allem: ein extrem flexibles, beständig sein Kräftefeld veränderndes Sammelsurium an schwer kontrollierbaren, tendenziell aufmüpfigen Selbstdenkern. Habituell mißtrauisch gegenüber den Gelüsten einzelner oder einzelner Interessengruppen, übernimmt diese Sub- bzw. Supragesellschaft aus schierem Eigeninteresse eine nicht zu unterschätzende Verantwortung fürs Gemeinwohl, sichert durch ihr beständig kontrovers geführtes Gespräch die fortwährende Verteidigung der gemeinsamen humanistischen Grundlagen. Womit sie, die stellvertretende Stimmenvielfalt der »schweigenden Mehrheit«, den Raum des Bürgertums überhaupt erst definiert und, nicht zuletzt, darin einen gewissen Standard der Diskussion aufrechterhält (die ansonsten bald vollkommen in die Weblogs abwandern würde), bei der das technokratische Auflisten von Zahlenkolonnen nicht von vornherein als Beweismittel gilt, und schon gar nicht als Haltung.
Nur im Idealfall, ich weiß! Ebenjenen jedoch wünschte ich mir in den Schlußpassagen meines – wohlgemerkt: zu einer Zeit tiefster Politikmüdigkeit verfaßten – Zustandsberichts zum Sommer 2004