Die Werwölfe aus Singer Valley - AJ Tipton - E-Book

Die Werwölfe aus Singer Valley E-Book

AJ Tipton

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Beschreibung

Für das Werwolfsrudel, das in der Kleinstadt Singer Valley lebt, ist die Familie das Allerwichtigste. Doch plötzlich stellt sich einer der Ihren gegen das Rudel und die anderen müssen kämpfen, um zu überleben. Verfolgen Sie die magischen Abenteuer der Huntington-Familie, die sich tapfer gegen das Böse wehrt… und dabei ihre perfekten Gefährten finden.

Vom Werwolf geraubt: Jim ist ein Außenseiter, der beweisen will, dass er sich zum Alphawolf eignet. Osric ist ein erfolgreicher Trickbetrüger, der Jim vor vielen Jahren verlassen hat. Haben diese beiden Wölfe noch eine zweite Chance, die wahre Liebe zu finden?

Vom Werwolf verzaubert: Jared ist ein Werwolf aus einer Kleinstadt, der sein Rudel beschützen will. Tony ist ein freiberuflicher Hexer, der rastlos und suchend in der Welt herumreist. Gemeinsam müssen sie einen gefährlichen, inkompetenten Laienmagier stellen, der Jareds Familie für immer verfluchen will.

Vom Werwolf gerächt: Ty Collins ist Privatdetektiv. Er ist hinter dem Mann her, der seiner Familie ihren kostbarsten Besitz gestohlen hat. Morgan Huntington, Automechaniker in einer Kleinstadt, wird auf einmal in Dinge verwickelt, die außerhalb seiner Kontrolle liegen. Als die beiden sich begegnen, müssen sie sich gemeinsam einem mächtigen Feind stellen, oder alles verlieren, was ihnen lieb ist.

Vom Werwolf Gerettet: Adam ist ein Träumer, der seine Heimatstadt retten will. Charlie ist ein lebhafter, impulsiver Typ und Eigentümer eines Fitnessstudios, der seine entführte Familie befreien muss. Sind diese beiden ungleichen Männer ihrer Aufgabe gewachsen?

Kaufen Sie noch heute die Serie Die Werwölfe aus Singer Valley und kämpfen Sie für die wahre Liebe!

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Die Werwölfe aus Singer Valley

Eine Sammlung von M-M Liebesgeschichten mit Gestaltswandlern

AJ Tipton

Birga Weisert

„Die Werwölfe aus Singer Valley“

Von AJ Tipton

Übersetzung von Birga Weisert

Copyright © AJ Tipton 2015 Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion (auch auszugsweise) in irgendeiner Form (elektronisch, gedruckt, kopiert oder anderes) sowie die Einspeicherung, Verarbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung mit Hilfe elektronischer Systeme jeglicher Art, gesamt oder auszugsweise, ist ohne ausdrückliche, schriftliche Genehmigung des Autors untersagt. - Die Genehmigung kann bei [email protected] angefragt werden.

Dieses Buch ist nur für den Verkauf an ein erwachsenes Publikum gedacht. Es beinhaltet sexuell explizite Szenen und Bildsprache, die manchen Lesern anzüglich vorkommen könnte.

Diese Arbeit ist reine Fiktion. Alle Charaktere, Namen, Orte und Vorfälle, die in diesem Werk vorkommen, sind fiktiver Natur. Jegliche Ähnlichkeiten zu realen Personen, lebendig oder tot, Organisationen, Vorkommnissen oder Lokalitäten ist reiner Zufall.

Alle sexuell aktiven Charaktere dieses Buches sind 18 Jahre oder älter.

Inhalt

Vom Werwolf Geraubt

Vom Werwolf Verzaubert

Vom Werwolf Gerächt

Vom Werwolf Gerettet

Letter from the Authors

Über den Autor

Vom Werwolf Geraubt

Die Berggemeinde Singer Valley hatte einen schweren Winter hinter sich. Die Straßen waren nach dem Frost durchlöchert wie ein Schweizer Käse und eine der wichtigsten Zufahrtsbrücken musste gesperrt werden, weil die Tragekonstruktion von den unbarmherzigen Schneestürmen stark beschädigt worden war. Aber Werwölfe waren noch nie leicht unterzukriegen, und schon gar nicht das Rudel aus Singer Valley.

Ein herzhaftes Aroma von frischem Speck-und-Tabasco-Omeletts vermischt mit dem moschusartigen Geruch eines großen Rudels von Werwölfen, zog durch das Howl Café. Jim Stewart atmete den besonderen Duft genussvoll ein und seufzte zufrieden. Der Frühling stand vor der Tür und die ersten Reparaturen der Winterschäden, die die Stadt erlitten hatte, konnten begonnen werden.

Auf Jims Teller lagen die Reste eines beträchtlichen Stapels Pfannkuchen und eines großen Stücks Rhabarberkuchen. Jims Adoptivfamilie, die Huntingtons, hatte ihn auf den „Ehrenplatz“ am hinteren Ende ihrer angestammten Nische gedrängt. Die Zwillinge, Charlie und Morgan, hatten ihn von beiden Seiten eingekeilt, während Mutter Jodi und Bruder Jared die beiden Ausgänge der Nische scharf bewachten.

„Du wirst diese Ehre annehmen oder ich beiße dich“, erklärte die Alphawölfin von Singer Valley, Jodi Huntington. Jodi war eine attraktive Frau von Anfang Sechzig. Die feinen Fältchen um Augen und Mund verliehen ihrem Gesicht Ausdruck und betonten ihre Klasse. Sie tippte Jim mit dem Finger auf die Brust. „Stell dich jetzt bloß nicht so an. Ich weiß, dass du gerne Alpha sein willst, genauso sehr wie ich es mir für dich wünsche.“

Jim wand sich unter ihrem Blick in seinem Stuhl und bereute es in diesem Moment sehr, dass er den sechsten Pfannkuchen auch noch verdrückt hatte, der sich jetzt in seinem Magen in einen harten Ball verwandelt hatte. Diese Frau hatte einfach immer recht. Es war schon beinahe beängstigend.

„Jodi, es wird noch Jahre dauern, bis du in Rente gehst. Müssen wir es wirklich jetzt schon öffentlich bekannt machen-?“

Jodi lachte. „Natürlich müssen wir das. Setz dich gerade hin, Jimmy.“

Jim lächelte. Genau die gleichen Worte hatte sie an seinem ersten Abend zu ihm gesagt, als er vor zehn Jahren im Haus der Huntingdons angekommen war. Damals war er ein unbeholfener, fünfzehnjähriger Junge gewesen, das Gesicht noch nass von den Tränen, die er am Grab seiner Eltern vergossen hatte. Sie hatte bis tief in die Nacht bei ihm gesessen, während er versuchte, die endlose Leere auszudrücken, die er empfand. Damals war er sicher gewesen, dass diese furchtbare Leere niemals gefüllt werden könnte.

Jared, der größte der Huntington Brüder, klopfte Jim hart auf die Schulter. „Nun komm schon, Jim. Du hast es verdient. Es ist ja nicht so, dass einer von uns Chaoten hier den Job haben will.“ Jareds Lächeln war dem seiner Mutter sehr ähnlich und, genau wie sie, strahlte er vor Stolz.

„Dich kann man ja nun wirklich nicht als Chaoten bezeichnen“, entgegnete Jim.

Jared war Besitzer des Howl Cafés—es war das Herz von Singer Valley und das einzige Restaurant in der ganzen Stadt—dadurch war Jared genauso wichtig für die Gemeinde wie ein Alpha und alle waren sich dessen bewusst. Er war ein blonder Hüne von Mann, der alle Geburtstagsfeiern, Hochzeiten und Bar Mitzwas ausrichtete und den neuesten Klatsch und Tratsch wie ein Lebenselixier aufsog.

„Ja schon, aber ich bin kein Alpha. Ich liebe es, über alle Geheimnisse und Problemchen in der Stadt Bescheid zu wissen, aber ich habe keine Lust tatsächlich für Lösungen zu sorgen“, sagte Jared.

Jodi brachte ihre Söhne mit einem Blick zum Schweigen. Dann sprang sie auf den Tisch, mit den Füßen zwischen Jims Teller und einer halb gegessenen Portion Eier Benedikt.

Jared sammelte schnell die Teller ein und murmelte: „Was hier zu Bruch geht, wird auch bezahlt“, als seine Mutter die Arme hob, um die Aufmerksamkeit der anderen Werwölfe auf sich zu ziehen.

Das Howl Café war zum Samstagsbrunch brechend voll. Es waren ungefähr fünfzig andere Rudelmitglieder anwesend, die alle begierig waren, endlich wieder die warme Sonne zu spüren. Als Jodi in die Hände klatschte, um sich Gehör zu verschaffen, wurden alle, die um die dunklen Holztische saßen still und richteten ihre Blicke auf die Alphawölfin.

Jim richtete sich auf und setzte sich gerade hin. Er wusste schon seit Monaten, dass diese Ankündigung bevorstand, seit Jodi erklärt hatte, dass sie keine Lust mehr hatte, sich allein mit schwierigen Unternehmern herumzuschlagen. Als ihr ältester Sohn und Nachfolger, würde Jim genauso verantwortungsbewusst handeln wie Jodi, um zu gewährleisten, dass die Stadt sicher war. Er hoffte nur, dass er der Aufgabe auch gewachsen war.

„Wölfe von Singer Valley, ich habe euch etwas Wichtiges mitzuteilen“, wandte sich Jodi an die ihr zugewendeten Gesichter.

Jims Hände zitterten vor Aufregung so stark, dass er sie schnell unter dem Tisch versteckte. Es war nicht so, dass Jim den Job nicht wollte. Jodi arbeitete bereits seit fünf Jahren mit ihm, seit er seinen Abschluss als Verwaltungswirt gemacht hatte, um ihn auf seine Aufgaben als ihr Nachfolger vorzubereiten. Aber nun, als der Moment gekommen war, fühlte sich die Last der Verantwortung schwerer an, als er es erwartet hatte.

Jodi strahlte in die Runde. „Wir haben den Winter ohne ernsthafte Verluste hinter uns gebracht.“ Die Leute klatschten in die Hände und einige johlten freudig. „Damit wir schnell alles wiederaufbauen können, habe ich einen Nachfolger erwählt, der euch führen wird, wenn ich entscheide, mich zur Ruhe zu setzen. Dieser Nachfolger ist mein Sohn, Jim Stewart.“ Sie deutete hinab auf Jim und der ganze Raum brach in begeisterten Applaus und Jubelrufe aus. Jim wäre am liebsten im Erdboden versunken. „Jim ist seit langer Zeit schon der beste Assistent, den ich jemals hatte. Er ist klug und aufmerksam; das Wohl der Gemeinde liegt ihm am Herzen, und er wird alles tun, um unsere Sicherheit und unseren Wohlstand zu schützen. Applaus für Jim!“

Wieder brach lauter Jubel um sie herum aus, bis die Dachbalken erzitterten und Jim die Zimmerdecke etwas nervös beobachtete.

Jared, Charlie und Morgan klatschten Jim auf den Rücken und riefen ihm ermutigende Worte zu, die er über dem Tumult im Raum kaum wahrnahm. Plötzlich wurde er von Jodi hochgezogen, bis er neben seiner Adoptivmutter auf dem Tisch stand. Sein Kopf berührte fast die Decke. Eine Hitzewelle durchfuhr seine Brust und sein Gesicht, und er befürchtete, dass er feuerrot angelaufen war. Dass er vor so vielen Leuten auftreten musste, war ein Teil des Jobs, den er nicht so sehr schätzte.

„Rede!“, schrie Jared, und Jim hätte seinen Bruder am liebsten erwürgt.

„Rede!“, riefen auch Charlie und Morgan sofort und klatschten rhythmisch in die Hände. Die übrigen Gäste des Cafés fielen mit ein, bis das Restaurant vom Stampfen der Füße und den lauten Rufen erbebte.

„Ist ja gut! Okay!“ Jim hob die Hände, um sie zum Schweigen zu bringen. Sie werden noch die ganze Hütte demolieren. Fieberhaft suchte er nach den richtigen Worten. „Vielen Dank, Leute. Es ist mir eine große Ehre und ein Privileg, den Leuten zu dienen, die so gut zu mir gewesen sind. Singer Valley ist ein magischer Ort und ich--“

Die Tür zum Howl Café wurde aufgerissen und eine riesige Frau stürmte herein. In einer Hand hielt sie ein Blatt Papier und in der anderen eine Breitaxt, die groß genug war, um Schädel mühelos zu spalten.

„Ich will die Alphawölfin sehen“, brüllte die Frau wütend.

Alle Köpfe im Café wandten sich in einem Ruck von der wütenden Frau zu Jodi und Jim, die noch immer auf dem Tisch standen.

Mit einem geschmeidigen Satz sprang Jodi zurück zu Boden. „Was ist denn los, Beatrice?“, fragte sie ruhig, schritt durch das Café zu der Frau hin und zog sie nach draußen, um außerhalb der Hörweite der vielen neugierigen Ohren mit ihr zu sprechen.

Jim lief, nicht ganz so anmutig wie Jodi, hinter den beiden her. Seine Brüder folgten ihm nach draußen vor das Restaurant, bis alle Männer der Huntingdons hinter Jodi auf dem Marktplatz Beatrice gegenüberstanden.

„Er ist geplatzt.“ Beatrice war atemlos vor Wut. Sie reichte Jodi das Blatt Papier. Die Alphawölfin las das Dokument sorgfältig durch und gab es dann stumm an Jim weiter. Jodis Gesicht hatte plötzlich alle Farbe verloren. Das besagte Papier war ein Scheck für Beatrices Bauunternehmen, das die Stadt vor einigen Wochen angeheuert hatte, um die Brücke zu reparieren, die nach Singer Valley führte.

„Was zieht ihr hier ab, hey?“, rief Beatrice aufgebracht. „Was soll ich davon halten, wenn ein Scheck, den die Stadt ausgestellt hat, einfach platzt?“

Jared und Jodi versuchten sofort Beatrice zu überzeugen, dass es sich nur um einen schrecklichen Irrtum handeln könnte. Jim zog sein Handy hervor, um den Kontostand des Gemeindekontos zu überprüfen. Er wurde totenbleich, als er die blinkende Null auf seinem Bildschirm erblickte.

Heilige Scheiße. Jim wurde übel, als er an die endlose Liste der Reparaturen dachte, die nach dem harten Winter erforderlich waren. Er drehte sein Telefon, so dass Jodi es sehen konnte und ihre Lippen wurden schmal.

Schnell griff Jodi in ihre Handtasche, zog ihr Scheckheft hervor, schrieb die vereinbarte Summe auf einen Scheck und reichte ihn Beatrice. „Hier! Das ist ein Scheck von meinem Privatkonto. Der ist ganz sicher gedeckt. Arbeitet weiter. Es handelt sich hier sicherlich um einen buchhalterischen Fehler. Wir werden die Sache klären, aber bitte arbeitet weiter und macht die Brücken der Stadt sicher. Okay?“

Beatrice zog eine Grimasse, als sie den Scheck betrachtete, dann aber drehte sich auf dem Absatz um und stürmte zur Bank. Jodi atmete tief durch und drehte sich zu ihren Söhnen um.

„Irgendwelche Ideen?“, fragte sie.

„Das Geld war gestern noch auf dem Konto“, sagte Jim. „Ich habe den Kontostand überprüft, bevor ich den Scheck für den neuen Generator für das Krankenhaus ausgestellt habe.“ Sein Puls fing an zu rasen, als er an die vielen Schecks dachte, die er in der letzten Woche geschrieben hatte. Die Stadt würde arge Probleme bekommen, wenn sie die Reparaturen nicht bezahlen konnten.

„Ihr wisst doch genau, wer das getan hat“, knurre Jared wütend. „Die ganze Sache stinkt bis zum Himmel nach Brad.“

Brad Huntington. Der älteste Sohn der Huntingtons. Raffiniert, sehr charmant, wenn er es sein wollte, und das selbstsüchtigste und anspruchsvollste Arschloch, das Jim jemals in seinem Leben kennengelernt hatte. Jim war dankbar, dass er nicht der Erste war, der die Vermutung äußerte, dass sein entfremdeter Adoptivbruder hinter dieser miesen Sache steckte.

Jodi nahm ihr Telefon und versuchte sofort ihn zu erreichen. Doch sie landete nur auf seinem Anrufbeantworter. „Verdammt. Vielleicht hast du recht.“ Jodi ließ die Schultern sinken und tiefe Sorgenfalten bildeten sich auf ihrer Stirn. Charlie und Morgan gingen zu ihrer Mutter und umarmten sie liebevoll. Sie lächelte, gab beiden einen Kuss auf die Stirn und löste sich dann sanft aus ihrer Umarmung. „Ist schon gut, ihr Lieben. Ich weiß ja, dass mein Sohn eine selbstsüchtige Ader hat, aber ich hätte nie gedacht, dass Brad zu so einer Gemeinheit fähig ist.“

„Aber das ist doch typisch Brad“, entgegnete Charlie knurrend. „Wir hätten ihm niemals vertrauen und ihm die Stelle als Kämmerer zuteilen dürfen.“ Morgan, der ruhigere der Zwillinge, nickte zustimmend.

Jim sah von einem der Huntington Brüder zum anderen. Er wollte sich nicht einmischen. Sein gespanntes Verhältnis zu Brad war kein Geheimnis, weder innerhalb der Familie, noch in der Stadt. Jim war von den Huntingtons aufgenommen worden, nachdem er seine Familie verloren hatte. Brad war eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit, die die Familie Jim zukommen ließ, und hatte es ihn bei jeder Gelegenheit spüren lassen und sich ihm gegenüber wie ein richtiges Arschloch verhalten. Jim zahlte es ihm heim, indem er sich Brads Lunchpaket vornahm und sein leckeres Sandwich durch ein mit Zahnpasta bestrichenes ersetzte. Seitdem lagen sie im Streit miteinander und es war mit den Jahren immer schlimmer geworden.

„Wer hat Brad das letzte Mal gesehen und wann?“, wandte Jodi sich an ihre Söhne.

„Vor zwei oder drei Tagen?“, erwiderte Jared. „Er kam ins Howl Café, um Kuchen zu essen und war sehr sauer über irgendetwas. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand, der den Mund voll mit köstlichem Pekannusskuchen hat, so wütend sein kann.“

Jodi fuhr sich mit den Fingern durch ihr kurzes Haar. „Ich habe Brad vor einigen Tagen erzählt, dass ich Jim zu meinem Nachfolger als Alpha ernennen würde. Ich wollte nicht, dass er es von jemand anderem erfährt.“

„Wir wussten alle, dass Brad scharf auf den Job war, aber das ist Wahnsinn. Was hat er davon, wenn er uns das Geld wegnimmt, das wir dringend für die Reparaturen benötigen?“, fragte Charlie. „Na ja ...außer Geld, nehme ich an.“

„Brad war noch nie besonders gut im Vorausplanen“, antwortete Morgan.

Aber Jim konnte Brads verrückte Logik erkennen. Wenn Brad nicht selbst Alpha sein konnte, dann wollte er wenigstens Jodi beweisen, dass Jim einer Krisensituation nicht gewachsen war.

„Warum rufen wir nicht einfach die Polizei?“, fragte Morgan ruhig.

Charlie stieß ihn mit dem Ellbogen an. „Die Bullen können doch mit einem wütenden Werwolf nicht fertig werden. Außerdem sollten wir dieses Problem innerhalb der Familie lösen.“ Charlie ließ seine Fingerknöchel knacken und sah grimmig vor sich hin.

Jodi sah ihn entschlossen an. „Nichts da. Brad ist euer Bruder. Wir werden diese Sache mit Mitgefühl lösen, nicht mit Gewalt. Denkt immer daran.“

„Wir müssen das Geld zurückbekommen. Wenn Brad es hat, hole ich es wieder“, sagte Jim.

Jodi sah ihn an, als wollte sie etwas einwenden, nickte dann aber. „Stell fest, wer das Geld genommen hat und hole es dir zurück. Wenn du auch Brad wieder nach Hause bringen kannst, wäre das sehr schön, aber im Moment ist unser wichtigstes Anliegen, dass wir die Stadt wieder auf Vordermann bringen. Ich bleibe hier und sorge dafür, dass alles geregelt wird, bis wir das Geld wiederhaben.“

„Ja, Mama“, antwortete Jim. Sie musste lächeln und nickte dann ihren anderen Söhnen zu.

„Befolgt Jims Anweisungen und helft ihm, wo immer ihr könnt. Sonst läuft alles wie immer. Keiner muss davon irgendetwas erfahren.“ Sie drehte sich um und ging zurück in das Café, wo die Werwölfe von Singer Valley aufgeregt auf sie warteten.

Jim sah ihr nach, wie sie zu ihren Pflichten zurückkehrte. Die Brust war ihm eng. Warum müssen Tage, die so gut anfangen, immer böse enden? An dem Tag, als die Mine einstürzte und ihm seine Eltern nahm, war für Jim der schlimmste Tag seines Lebens gewesen. Aber die Ereignisse von heute beeinflussten mehr als nur sein eigenes, unbedeutendes Leben. Die Sicherheit der gesamten Stadt stand auf dem Spiel.

Wie zur Hölle soll ich das bloß wieder hinkriegen?

„Also Boss, hast du schon einen Plan?“ Charlie versuchte zu lächeln, aber selbst seine sonnige Frohnatur hatte einen Dämpfer bekommen, seit sie alle gesehen hatten, was Brad dem Gemeindekonto angetan hatte.

Jim atmete tief durch und nickte den Zwillingen zu. „Die gesamte Summe wurde heute am frühen Morgen bar in der Westfiliale der Bank abgehoben. Ihr beide geht bitte zur Bank und überprüft die Überwachungskameras. Wir sind zwar alle der Meinung, dass wir den richtigen Verdacht haben, aber wir müssen sicher sein, dass es wirklich Brad war. Schickt mir eine Textnachricht sobald ihr wisst, wer unser Konto geplündert hat.“ Die Zwillinge nickten einstimmig und liefen zum Parkplatz, wo sie ihre Autos geparkt hatte. Jim blieb mit Jared zurück.

Jared zog eine Braue hoch und sah Jim an. „Ist das überhaupt nötig? Wir wissen doch, dass Brad es getan hat.“

Jim erwiderte seinen Blick. „Wir wissen es nicht. Im Zweifelsfalle für den Angeklagten. Schließlich ist er unser Bruder.“

Jared nickte nachdenklich.

Jim lief durch die kleine Gasse hinter dem Howl Café. Er hegte noch einen kleinen Funken Hoffnung, dass es sich um einen Computerfehler der Bank handelte oder irgendein Hacker das Geld gestohlen hatte. Allerdings konnte er sich beim besten Willen nicht einreden, dass Brad ein anständiger Kerl war. Wenn er das Geld wirklich hatte, dann hatten sie ein Riesenproblem. Brad war ein mieses Arschloch. Er würde sie richtig leiden lassen.

Die einzige Möglichkeit das Geld zurückzubekommen war, es Brad zu stehlen.

Im Café herrschte wieder das normale Stimmengewirr. Die Leute lebten ihr normales Leben und keiner hatte auch nur die geringste Ahnung, dass ein Sohn der Alphawölfin das Geld gestohlen hatte, das so dringend für lebenswichtige Arbeiten zum Wohl der Gemeinde benötigt wurde. Die Verantwortung, die bereits im Café schwer auf ihm gelastet hatte, drohte ihn jetzt fast zu ersticken. Jim konnte nicht fassen, dass dies seine erste Aufgabe als Alphanachfolger war.

Er hatte noch keine Ahnung, wie er die Sache angehen sollte. Keiner, den er kannte, hatte die notwendige kriminelle Energie und Erfahrung für diese Aufgabe. Die Zwillinge betrieben ein Boxsportstudio und eine Autowerkstatt. Jared hatte das Café. Und Jim war eigentlich ein einfacher Beamter. Was verstanden sie schon von Diebstahl?

„Jared, wie soll ich es anstellen, das Geld von Brad zurückzustehlen?“, fragte Jim verzweifelt.

Jared rieb sich das Kinn. „Ich habe keinen blassen Schimmer, schließlich kenne ich mich nur mit Klatsch und Tratsch aus. Wir brauchen jemanden, der sich in der Szene auskennt, aber wir müssen ihm vertrauen können …“ Er verstummte und sah nachdenklich vor sich hin. Jim blickte ihn an und wurde nervös. Er kannte diesen Gesichtsausdruck von Jared nur allzu gut.

„Osric Tan. Erinnerst du dich an ihn?“ Jared war ein echtes Schlitzohr. „Es gibt Gerüchte, dass Osric eine steile kriminelle Laufbahn eingeschlagen hat, seit er damals von hier weggelaufen ist. Wie alt wart ihr beide damals? Fünfzehn, oder so? Man sagt, dass er in den letzten Monaten in der City aktiv war. Seid ihr beide damals nicht ziemlich dicke Freunde gewesen ...?“

Jared ließ den letzten Satz wie eine Frage klingen, aber natürlich kannte er die Antwort bereits. Jared hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis für alles, das mit Klatsch und Tratsch zu tun hatte zu tun hatte. Jeder in der Stadt wusste von der Freundschaft zwischen Jim und Osric sowie der Romanze, die sich langsam zwischen ihnen entwickelte und der plötzlichen, dramatischen Trennung.

Jim wandte sich ab, um die Gefühle zu verbergen, die wieder in ihm aufstiegen. Osric war von Kindesbeinen an Jims allerbester Freund gewesen. Er war bei Osrics Familie ein- und ausgegangen. Die beiden hatten sich in den Elternhäusern des anderen wie zu Hause gefühlt, sich in den Wohnzimmern gelümmelt und die Kühlschränke geplündert wie Familienmitglieder. Als sie in die Pubertät kamen, traf es Jim wie ein Schlag, welche Gefühle er hatte, jedes Mal wenn er Osrics geliebtes Gesicht sah. Er hatte sich unsterblich in Osric verliebt, und als dieser ihm gestand, dass er genauso empfand, hatte Jim geglaubt, dass sie bis an ihr Lebensende glücklich sein würden, das perfekte Happy End. Am Abend ihres ersten Kusses war Jim überzeugt, dass dies der schönste Moment seines Lebens war.

Dann bebte die Erde, die Mine stürzte ein, Osrics und Jims Eltern wurden tief unter Tage verschüttet und die Nacht brach an.

Osric war am nächsten Morgen verschwunden, ohne ein Wort, und ließ Jim allein und fassungslos zurück.

Jared, der schon damals gern seine Nase in die Angelegenheiten anderer steckte, hatte ihm geraten, seine große Liebe zu suchen und zurück zu bringen, aber Jim hatte sich geweigert.

Es kann doch nicht sein, dass Jared ausgerechnet jetzt versucht, mich zu verkuppeln ... “Wir können Osric nicht trauen.“ Jim erkannte kaum seine eigene Stimme. „Er ist noch egoistischer als Brad.“

Jared zuckte die Achseln und machte ein unschuldiges Gesicht. „Ich habe damals schon immer gedacht, dass er ein netter Kerl war und jetzt hat er einen Ruf als Gentlemandieb. Er ist ein Trickbetrüger, kein Gangster. Einer, der die Reichen übertölpelt, so was in der Art. Na ja, vielleicht hast du ja eine bessere Idee, wie wir die Sache anstellen sollen …“ Jared schwieg und sah Jim fragend, mit hochgezogener Augenbraue, an.

Verflixt.

Jim lief an fremden Häuserblocks in der nahe gelegenen City entlang. Er versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie Jodi und die anderen mit den Problemen in der Gemeinde fertig wurden. Ob Beatrices Arbeitstrupp schon mit der Arbeit an der Brücke begonnen hatte? Es war äußerst wichtig, diese Brücke zu reparieren, bevor man die schweren Maschinen für die erforderlichen Straßenarbeiten in die Stadt bringen konnte. Er konnte sich gerade noch zurückhalten, sein Telefon zum dritten Mal in ebenso vielen Minuten zu checken. Jodi und Jared hatten ihm versprochen, dass sie ihn auf dem Laufenden halten würden. Er war sich gar nicht bewusst gewesen, wie sehr er daran gewöhnt war, in seiner kleinen Stadt ständig von Familie und Freunden umgeben zu sein. In den Menschenmengen der Großstadt fühlte er sich unbeschreiblich einsam.

Er war schon seit zwei Tagen in der Stadt und so lange hatte es auch gedauert, bis er Osrics Witterung aufgenommen hatte, und zwar bei dem einzigen Chinarestaurant in der Stadt, das ein echtes Guo Bao Rou anbot, ein köstliches chinesisches Gericht mit Schweinefleisch, das Osrics Mutter so gut zuzubereiten wusste.

Da sie sich seit dreizehn Jahren nicht mehr gesehen hatten, hatte Jim schon befürchtet, dass er Osrics Duft vergessen hatte. Aber sobald ihm der erste Hauch des für Osric typischen, einzigartigen, würzigen Moschusduftes in die Nase gestiegen war, fühlte sich Jim in die alten Zeiten zurückversetzt. Damals hatten sie im Baumhaus Räuber und Polizei gespielt (selbst da hatte Osric schon immer die Rolle des Räubers übernehmen wollen), Jims Vater eine Flasche Whisky gestohlen und sich unter dem hellen Sternenhimmel kichernd ihre Geheimnisse erzählt. Eine Erinnerung nach der anderen stürmte auf Jim ein. Er dachte an die hormongeschwängerten Highschool-Zeiten. Sie hatten ein gemeinsames Projekt im Chemieunterricht aufgetragen bekommen. Jedes Mal, wenn Jim sich ein Reagenzglas nahm, hatte er heimlich an Osrics Hals geschnüffelt und seinen Duft eingeatmet, wenn er sich vorbeugte.

Was soll ich denn nur zu ihm sagen? Bitte hilf uns, Osric Tan, du bist unsere einzige Hoffnung? Wenn der erwachsene Osric genauso war wie der Teenager, dann würde er sich kaputtlachen und über die Schulter eine witzige Bemerkung zurückwerfen, während er sich aufmachte zu neuen Abenteuern.

Jim folgte der Spur von dem Chinarestaurant zu einem Apartmentgebäude. Er vermutete, dass Osric dort wohnte, aber die Spur an der Haustür war schon einige Tage alt. Verdammt. Jim dehnte seine Schultern und sah sich um. Er könnte hier warten, aber wenn Osric mitten in einem Job war, würde er vielleicht lange nicht zurückkehren.

Es sei denn ... Eine Ahnung trieb Jim zu der Hintertür des Gebäudes. Wenn Osric gerade jemanden übers Ohr haute, dann würde er sicherlich nicht so gern die gut bewachte Vordertür benutzen.

Jim hätte am liebsten laut gelacht, als er die neue Spur aufnahm—sie war nur wenige Stunden alt!—und führte die Straße hinunter. In einer kleinen Nebengasse verwandelte Jim sich schnell in seine Wolfsgestalt, um seine schärferen Sinne zu nutzen. Seine Kleidung packte er in eine magische Tasche an seiner Taille, die sich seiner schmaleren Tierfigur anpasste. Dann folgte er der Witterung.

Es kostete ihn etwas Mühe, seine Wolfsgestalt freundlich aussehen zu lassen: wedelnder Schwanz und hängende Zunge, so würde jeder ihn für einen normalen streunenden Hund halten und nicht weiter beachten.

Aber die ganze Zeit klopfte sein Herz zum Zerspringen.

Osric Tan.

Mit jedem Schritt kam er ihm näher. Jim hatte jahrelang darüber nachgedacht, was er seinem besten Freund sagen würde, wenn er ihn jemals wiedersah.

Warum hast du mich verlassen?

Warum hast du nicht daran geglaubt, dass wir den Schmerz gemeinsam überwinden und gemeinsam trauern könnten?

Von allen Seiten strömten Gerüche auf Jim ein, als er die Straße entlanglief: Abfalleimer und Tierkot, Auspuffgase und die vermischten Spuren von Hunderten von Fußgängern, die über die belebten Bürgersteige der Stadt liefen. Aber zwischen all diesen Gerüchen, wie eine glitzernde Spur inmitten des Chaos, war unverkennbar Osrics Duft. In der Hoffnung, bald Antworten zu finden, folgte Jim dieser Witterung durch das Straßennetz der Stadt bis zu den Stufen des größten städtischen Kunstmuseums.

Jim lief zweimal um das große Gebäude herum, um sicher zu sein, dass die Spur nicht wieder aus einem der vielen Ausgänge hinausführte. Aber anscheinend war Osric noch im Inneren.

Jim verwandelte sich wieder in seine menschliche Gestalt, nahm seine Kleidung aus der Tasche und zog sich mit zitternden Händen an. Sein Selbstvertrauen verflog ebenso schnell wie Osrics Duft in der Luft.

Viele Erinnerungen, die er verdrängt hatte, stürmten mit voller Wucht auf ihn ein. Sein furchtbarer Albtraum. Viele Jahre nach dem Tod seiner Eltern verfolgte ihn immer noch dieser schlimme Traum. Wenn Jodi ihn ins Bett gebracht und in seine Kissen gekuschelt hatte, saß Jim noch stundenlang kerzengerade im Bett, die Finger in seinen Pyjama gekrallt, um nur nicht einzuschlafen. Aber natürlich wurde er irgendwann vom Schlaf übermannt. Dann begann der Albtraum. Er war in der Mine, die Steinwände schlossen sich immer enger um ihn zusammen, in der gleichen Dunkelheit wie seine Eltern bei ihrem Tod. Er schrie laut auf und sofort kam Jodi, die ihn in den Arm nahm, ihn beruhigend wiegte und ihm immer und immer wieder versicherte, dass er in Sicherheit und alles in Ordnung war. Und er ließ sich in die Geborgenheit seiner neuen Familie fallen und verdrängte seine Ängste bis zum nächsten Tag.

Aber Jim hatte sich immer gefragt ... war Osric irgendwo da draußen und litt unter den gleichen Albträumen? Und wer umarmte und beruhigte ihn?

Wo bist du, Osric? Wie oft hatte er sich nachts diese Frage gestellt und sich nach jemandem gesehnt, der nicht mehr da war.

Aber jetzt hatte er eine Antwort: Osric Tan war hier. In einem Museum, das, gemäß den Schildern an der Tür, in fünfzehn Minuten schließen würde. Jim lief schneller.

Er folgte Osrics Witterung durch die gewölbte Eingangshalle in die Ausstellungsräume, wobei sich die Spur einige Male kreuzte. Anscheinend verbringt er sehr viel Zeit hier. Die frischeste Spur führte nach oben, an einigen streng dreinblickenden Porträts vorbei, bis in die Halle mit Kunstwerken aus dem Mittleren Osten.

Zu dieser Zeit lungerten nur noch einige Kunststudenten hier herum, aber die meisten begaben sich schon zum Ausgang. Nur eine Person ging in die gleiche Richtung wie Jim, tiefer in das Museum hinein. Es war ein schlanker Mann mit schwarzem, modisch geschnittenem Haar, der zielstrebig und schnell vor ihm herlief.

Obwohl Jim nur den Rücken des Mannes sehen konnte, hätte er ihn auch ohne die leichte Brise erkannt, die ihm seinen Duft zuwehte.

„Osric!“ Der Name entschlüpfte Jims Lippen, bevor er sich zurückhalten konnte.

Der Mann verhielt den Schritt, aber er ging sofort weiter und drehte sich nicht um. Jim lief schneller, um ihn einzuholen.

„Osric Tan!“

Osric sah ihn kaum an, als Jim zu ihm aufschloss. Jim wusste nicht viel über Mode, aber er erkannte sofort, dass Osric richtig gut aussah. Jim hatte sich noch nie sehr um seine eigene Garderobe gekümmert, die normalerweise aus Jeans und Flanellhemden bestand. Als er Osric betrachtete, wurde in ihm auf einmal der Wunsch wach, sich etwas mehr Gedanken um seine Kleidung zu machen. Osrics Nadelstreifenanzug saß so perfekt an seinen breiten Schultern und seiner schmalen Taille, dass er maßgeschneidert sein musste. Goldene Manschettenknöpfe schimmerten an seinen Handgelenken und seine Schuhe klickten voller Selbstvertrauen auf dem Parkett, als er durch die Gänge lief. Osric hatte schon damals gut ausgesehen, aber mit den Jahren hatte er die kindliche Rundung seiner Wangen verloren. Seine Züge waren jetzt scharf geschnitten und edel. Gentleman-Dieb, in der Tat. Jims Mund wurde ganz trocken, als er Osrics gefährliche Ausstrahlung wahrnahm.

Einige Sekunden lang hätte Jim schwören können, dass Osric ihn mit einem beinahe verzweifelten Ausdruck in den Augen anblickte. Aber dann musste er blinzeln und Osric sah ihn nur noch mit einem ausdruckslosen Lächeln an.

„Jim Stewart. Du solltest jetzt wirklich nicht hier sein“, murmelte er.

„Osric, was ist los?“

„Sei einfach still und warte.“ Osric bedeutete ihm mit einer kleinen Handbewegung, dort zu bleiben und lief dann zu einer kleinen Tür am Ende des Saals mit der Aufschrift „Zugang nur für Personal“.

Osric nickte der Angestellten, die an der Tür Wache stand, zu und schenkte ihr ein warmes, freundliches Lächeln. „Miss Daisy, Sie sehen heute ganz besonders hübsch aus.“

Die Angestellte erwiderte sein Lächeln. „Oh, vielen Dank, Mr. Hutton. Wie nett von Ihnen. War das Wetter in den letzten Tagen nicht herrlich?“

Jim ging näher an die Bilderwand heran und versuchte, sich sein Erstaunen nicht anmerken zu lassen. Mr. Hutton?

„Ach ja, das Wetter ist wunderbar. Die Blumen draußen erblühen in ihrer vollen Pracht.“ Osric lächelte ununterbrochen, während er weitere sinnlose Floskeln von sich gab. Er tippte einen Code in die Schalttafel neben der Tür. Die Anzeige blinkte auf und Osric legte seine Handfläche auf den Scanner. Die rote Kontrollleuchte sprang um auf Grün und Jim hörte, wie die Schlösser der Tür sich öffneten.

„Es wird nicht lange dauern. Ich bin gleich wieder da“, sagte Osric.

„Natürlich, Mr. Hutton.“

Osric verschwand in dem verschlossenen Raum. Jim blieb nicht viel Zeit, sich zu fragen, was in aller Welt er wohl da drinnen machte, da erschien Osric auch schon wieder. Nun trug er einen schmalen Metallkoffer in der Hand.

„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Miss Daisy“, verabschiedete Osric sich von der freundlichen Frau.

„Ihnen auch, Mr. Hutton. Wir werden uns sicher beim Museumspicknick am nächsten Samstag sehen!“

„Natürlich! Das werde ich mir nicht entgehen lassen.“

Osrics Hand klammerte sich fest um den Koffergriff und er ging schnell auf den Ausgang zu.

„Verdammt Jim, beeil dich doch“, flüsterte Osric so leise, dass niemand, der nicht über Gestaltswandlersinne verfügte, ihn hören konnte.

Jim musste fast rennen, um mit Osric mitzuhalten, der sich flotten Schrittes durch die Ausstellungsräume und einen Angestelltenausgang zum Parkplatz begab. Er hielt erst an, als sie einen Müllcontainer erreichten. Dort blieb er stehen und zog fest der Haut an seinem Handgelenk.

„Was zum Teufel machst du da?“, rief Jim entsetzt.

Die Haut an Osrics Hand pellte ab wie trockener Klebstoff und gab den Blick auf seine echte Haut frei.

„Vielen Dank, Mr. Hutton“, sagte Osric und warf die falsche Haut, die, wie Jim jetzt riechen konnte, aus Latex bestand, in den Müllcontainer. Dann grinste er Jim an. „Ich habe seit Jahren nicht mehr meine eigenen Fingerabdrücke hinterlassen.“

Osric öffnete die Tür eines schwarzen Dodge Challenger Vans, warf den Koffer auf den Rücksitz und sagte: „Steig ein, wenn du nicht verhaftet werden willst.“

Jim ließ sich auf den Ledersitz gleiten. Sofort ließ Osric den Motor aufheulen und raste los, als ob Hölle und Teufel hinter ihm her wären.

Osric Tan war ein echter Profi. Er blieb auch in unerwarteten Situationen ruhig. Diesen Job hatte er wochenlang sorgfältig geplant: Er hatte seine Tarnidentität entwickelt und das Vertrauen der gesamten Museumsbelegschaft langsam gewonnen, bis alle von dem netten Mr. Hutton, Kunsthistoriker und Berater, überzeugt waren. Einige Male wäre die Sache beinahe schiefgegangen, aber Osric hatte die Ruhe bewahrt und weitergemacht.

So machten Profis das eben.

Und Osric Tan war ein Profi.

„WAS ZUM TEUFEL MACHST DU DENN HIER?“ Osric hämmerte mit den Fäusten auf das Lenkrad ein. „Kannst du dir überhaupt vorstellen, in welche Schwierigkeiten du mich gebracht hättest, wenn das schiefgegangen wäre?“ Osric lenkte das Auto geschickt durch das Straßengewirr, um so schnell wie möglich aus der Stadt zu entkommen.

Jim wand sich unbehaglich in seinem Ledersitz. „Was hast du denn da gemacht? Arbeitest du für das Museum?“

Osric warf Jim einen Blick aus dem Augenwinkel zu. „Ja, Jim. Ich arbeite für das Museum. Ich habe auf einmal meine Liebe zu Gemälden von toten, weißen Männern entdeckt.“

Jims Augenbrauen hoben sich in dem süßesten Ausdruck hilfloser Verständnislosigkeit, den Osric je gesehen hatte.

„Nein, ich arbeite natürlich nicht für das Museum. Ich hatte einen