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Bestsellerautorin Marion Zimmer Bradley ("Die Nebel von Avalon") hat mit dem opulenten Darkover-Zyklus eine einzigartige Romanreihe geschaffen: Die fesselnde Geschichte einer geheimnisvollen fremden Welt und ihrer Bewohner ist Kult! Daniel Barron, ein junger Terraner und geschickter Techniker, wird zu Unrecht beschuldigt, einen schweren Unfall auf dem Raumhafen Thendara verursacht zu haben. Daniel wird vom Dienst suspendiert und auf eine Mission zur Comyn-Familie Alton gesandt, die seine Fähigkeiten benötigt. Immer häufiger jedoch leidet Daniel unter schweren Anfällen von Persönlichkeitsspaltung, hervorgerufen durch die Kräfte des Laran, denen er hilflos ausgesetzt ist. Auch das Mädchen Melitta muß sich gegen überaus mächtige Feinde behaupten, als die Burg Storn, Wohnsitz ihrer Familie, in die Häne von Banditen fällt. Sowohl Melitta als auch Daniel befinden sich im Bann eines Geisterwindes, der das Denken beeinflußt und schreckliche Visionen heraufbeschwört...
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Seitenzahl: 262
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Marion Zimmer Bradley
Ins Deutsche übertragen von Rosemarie Hundertmarck
Copyright dieser Ausgabe © 2014 by Edel eBooks, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg. Copyright © 1970 by Marion Zimmer Bradley Copyright First german Edition © by Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München. Die Originalausgabe erschien 1970 unter dem Titel "The Winds of Darkover" Ins Deutsche übertragen von Rosemarie Hundertmarck Trotz intensiver Recherche war es dem Verlag nicht möglich, den Rechteinhaber der Übersetzung zu identifizieren bzw. einen Kontakt herzustellen. Wie bitten den Übersetzer bzw. seinen Nachfolger, sich ggf. beim Verlag zu melden.
Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München
Konvertierung: Datagrafix
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-95530-586-4
edel.com
Barron stopfte seine letzten Habseligkeiten in einen Duffelbag, zog die Schnüre zu und sagte zu niemandem im besonderen: „Das wär’s also, und zum Teufel mit ihnen allen.“
Er richtete sich auf und warf einen letzten Blick auf die ordentliche, enge Welt einer Raumhafen-Unterkunft. Ursprünglich als Materiallager gedacht, war sie das erste terranische Gebäude auf Darkover in der Zone, die später die Handelsstadt werden sollte. Sein Zimmer glich einer Raumschiffkabine. Es war eng, strahlend sauber und vollgestopft, die Möbel waren funktional und fast alle eingebaut. Ein professioneller Raumfahrer hätte sich hier wohl gefühlt. Die Leute vom Bodenpersonal taten es nicht; sie neigten zu Klaustrophobie.
Barron hatte sich ebensooft beschwert wie alle anderen, hatte geltend gemacht, das Zimmer möge eine anständige Unterkunft für zwei Mäuse sein, falls eine von ihnen strenge Diät halte. Aber jetzt, da er es verließ, spürte er einen merkwürdigen Schmerz, der beinahe wie Heimweh war. Er hatte fünf Jahre hier gewohnt.
Fünf Jahre! Ich hatte nie vor, so lange auf einem Planeten hängenzubleiben!
Er warf sich den Duffelbag über die Schulter und schloß die Tür seines Zimmers zum letztenmal.
Der Korridor war so funktional wie die Wohnräume; Hinweistafeln und Karten pflasterten die Wände bis zur Augenhöhe eines großen Mannes. Barron schritt dahin, ohne die vertrauten Anschläge zu sehen. Doch er warf einen kurzen, bitteren Blick auf das Schwarze Brett, das seinen Namen in Rot auf der gefürchteten Verweisliste trug. Er hatte fünf Verweise – sieben genügten, um einen für immer aus dem Raumdienst zu entfernen.
Kein Wunder, dachte er. Ich bin nicht ungerecht behandelt worden; tatsächlich hat man bei mir noch durch die Finger gesehen. Es war pures Glück und nicht mein Verdienst, daß der Kreuzer und das Vermessungsschiff nicht abstürzten und den verdammten Raumhafen von Darkover wegpusteten, und die halbe Handelsstadt dazu! Er preßte die Lippen zusammen. Da machte er sich Gedanken über Verweise wie ein Schuljunge – und dabei ging es nicht nur um das. Viele Leute im terranischen Raumdienst leisteten ihre ganzen zwanzig Jahre ohne Verweis ab – und er hatte sich in einer einzigen Katastrophennacht gleich fünf eingefangen.
Obwohl es nicht seine Schuld war.
War es doch, verdammt noch mal. Wem sonst könnte ich die Schuld geben? Ich hätte mich krank melden sollen.
Aber ich war nicht krank!
Auf der Verweisliste hieß es: Grobe Pflichtverletzung, ernste Gefahr, daß ein landendes Raumfahrzeug verunglückte. Man hatte ihn buchstäblich im Dienst schlafend angetroffen. Aber verdammt, auch geschlafen habe ich nicht!
Ist es ein Tagtraum gewesen?
Ich möchte nicht versuchen, ihnen das zu erzählen. Wie soll ich ihnen klarmachen, daß ich in einem Augenblick, da ich mich mit jedem Nerv und Muskel auf die allein wichtigen Kontrollschirme hätte konzentrieren müssen – anderswo war! Man ertappte mich in einem tiefen Traum, überwältigt von Farben, Bildern, Geräuschen, Gerüchen, Blitzen leuchtender Klarheit. Da stemmte ich mich unter einem tief purpurnen Himmel gegen einen eisigen Wind, über mir glänzte eine rote Sonne – die darkovanische Sonne – die Sonne, die die Terraner die Blutige Sonne nennen. Auf diese Weise hatte ich sie noch nie gesehen, durch eine breite Wand aus Kristallglas in Regenbogenfarben zerlegt. Ich hörte meine eigenen Stiefel auf eishartem Stein widerhallen. Mein Puls schlug mit Haß, und ich spürte den Adrenalinstoß in meinem Blut. Ich fiel in Laufschritt. Haß und Blutdurst überfluteten mich. Vor mir erhob sich etwas – Mann, Frau, Tier – ich erkannte es nicht, es war mir auch gleich – und ich hörte mein Fauchen, während eine Peitsche niedersauste und irgendwer schrie ...
Dann löste sich die Vision in das alptraumhafte Geheul des Alarms auf, der in allen Räumen losbrüllenden Sirenen, Hupen und Klingeln. Überall flammten die ABSTURZ-Lichter auf, und meine Reflexe gewannen die Oberhand. Nie hatte ich mich so schnell bewegt. Aber es war zu spät. Ich hatte den falschen Knopf gedrückt, und durch diese entscheidende Acht-Sekunden-Spanne entstand im Kontrollturm ein Chaos. Ein mittleres Wunder und der junge Kapitän des Vermessungsschiffs, der nach dem Sitz seiner Hosen navigierte – er bekam drei Orden dafür –, retteten den Raumhafen vor einer dieser Katastrophen, die Menschen – was an Menschen übriggeblieben ist – noch zwanzig Jahre später kreischend aus Alpträumen hochschrecken läßt.
Seitdem hatte niemand ein Wort an Barron verschwendet. Sein Name auf der Verweisliste hatte ihn zum Paria gemacht. Er war angewiesen worden, sein Zimmer bis 2700 dieses Abends zu verlassen und sich zur Versetzung auf einen neuen Posten zu melden, doch niemand machte sich die Mühe, ihm zu sagen, wohin er geschickt werden sollte. So einfach war das – fünf Jahre auf dem Raumhafen von Darkover und siebzehn im Dienst waren ausgelöscht. Barron fühlte sich eigentlich nicht schlecht behandelt. Im Terranischen Raumdienst war kein Platz für einen Fehler dieser Art.
Der Korridor mündete in einen Bogengang. Eine Tafel, die Barron ignorierte, nachdem er sie jahrelang jeden Tag gesehen hatte, verkündete, daß er sich jetzt im Abschnitt Koordination befand. Im Gegensatz zu den Unterkünften war dies Gebäude aus darkovanischem Stein errichtet, durchscheinend und weiß wie Alabaster, und besaß riesige Glasfenster. Barron sah die flammenden blauen Lichter des Raumhafens, die Umrisse der Bodenfahrzeuge und gelandeten Schiffe und weit hinter den Lichtern blassen, grünlichen Mondschein. Es war eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang. Er wünschte, er hätte unterwegs haltgemacht und gefrühstückt; dann war er froh, daß er es nicht getan hatte. Barron war nicht dünnhäutig, aber die Art, wie die Leute in der Cafeteria ihn ignorierten, hätte jedem den Appetit verdorben. In den letzten zwei Tagen hatte er überhaupt nicht viel gegessen.
Manchmal, wenn er die Standardverpflegung satt hatte, war er in die Altstadt hinübergeschlüpft, den darkovanischen Teil der Handelsstadt. Nicht wenige Restaurants dort bedienten Raumfahrer und Touristen, die der „exotischen Delikatessen“ wegen kamen. Aber ihm war nicht nach einem Versuch zumute gewesen, an den Wachposten vorbeizukommen. Sie hätten ihn womöglich angehalten. Vielleicht hätten sie geglaubt, er wolle vor einem Gerichtsverfahren fliehen. Er stand nicht offiziell unter Arrest, aber sein Name war Dreck.
Barron ließ den Duffelbag vor dem engen Aufzugschacht stehen, trat ein und drückte den obersten Knopf. Die Kabine stieg hinauf und setzte ihn auf dem Flur vor dem Kontrollraum ab. Er senkte den Kopf, ging daran vorbei, ohne einen Blick hineinzuwerfen, und steuerte das Büro des Koordinators im Penthouse an.
Und dann stand er ohne Vorwarnung auf einer hochgelegenen Brustwehr. Ein eisiger Wind traf ihn, so stark, daß seine Haut sich schmerzend zusammenzog und seine Kleider flatterten. Unter ihm schrien und stöhnten und starben Männer beim Klirren von Stahl auf Stahl, und irgendwo fielen Steine mit gewaltigem Knirschen und Poltern wie das Ende der Welt. Barron konnte nicht sehen. Er drückte sich eng an die Mauer. Mit glühenden Zähnen biß der Frost nach seinen steifen Fingern. Er kämpfte gegen die Übelkeit an, die ihm in die Kehle stieg. So viele Männer. So viele Tote, und alle sind sie meine Leute und meine Freunde...
Er ließ den Stein los. Seine Finger waren so verkrampft, daß er sie mit der anderen Hand lösen mußte. Er raffte die wehenden Kleider um sich und empfand einen Augenblick lang unangemessenes körperliches Wohlbehagen an dem dicken Pelz um seine kalten Hände. Schnell tasteten sich seine Füße durch die vollständige Dunkelheit. Er bewegte sich wie in einem Traum; er wußte, wohin er ging, aber nicht, warum; seine Füße kannten den Weg. Sie schritten von Kopfsteinpflaster über einen hölzernen Parkettboden bis zu dicken Teppichen, dann eine lange Treppe hinunter und eine andere hinauf – weiter und weiter weg, bis die fernen Geräusche der Schlacht und der einstürzenden Mauern gedämpft wurden und dann ganz erstarben. Die Kehle war ihm eng, und er schluchzte im Gehen. In einem niedrigen Bogengang zog er automatisch den Kopf vor einer Decke ein, die er nie gesehen hatte und nie sehen würde. Ein kühler Luftzug traf ihn. Er tastete in der Dunkelheit nach etwas, das sich wie ein loser Kapuzenmantel von federiger Beschaffenheit anfühlte, steckte seinen Kopf durch die Halsöffnung und zog das Gewand hinunter.
Er sank zurück und schien sich im gleichen Augenblick zu erheben, hochzusteigen und auf Vogelschwingen hinauszuschweben. Die Dunkelheit lichtete sich plötzlich und verschwand. Er nahm die Helligkeit nicht mit seinen blinden Augen, sondern durch die Haut seines Körpers wahr, und er spürte kaltes, rötliches Licht und frostige Wolken. Gewichtlos, von dem Federkleid getragen, flog er hinaus und orientierte sich an dem plötzlichen Leuchten des Sonnenaufgangs.
Er gewöhnte sich schnell an das Federkleid, und auf einem Flügel balancierend (es ist lange her, daß ich das gewagt habe!) blickte er nach unten.
Die Farben waren seltsam, flach, die Umrisse verzerrt und konkav; er sah sie nicht mit den normalen Augen eines Sterblichen. Weit unten drängten sich in der Nähe eines Außenwerks Männer in derber, dunkler Kleidung um einen mit Häuten bedeckten primitiven Turm. Pfeile flogen, Männer schrien; einer fiel mit einem langen Verzweiflungsschrei von der Mauer und verschwand außer Sicht. Barron schlug die Schwingen, wollte hinabtauchen, und ...
Er stand auf einem festen Fußboden und wischte sich den Schweiß des Entsetzens vom Gesicht.
Er war hier. Er war Dan Barron. Er flog nicht, bis auf ein paar Federn körperlos, über eine unheimlich kippende Landschaft gegen eine beißende Luftströmung. Er betrachtete seine Finger und steckte einen in den Mund. Er fühlte sich taub, erstarrt an. Der Stein war kalt.
Es war wieder geschehen.
Es war so real, so verdammt real. Immer noch hatte er eine Gänsehaut, und er wischte sich die Augen, die immer noch von dem eisigen Wind tränten. Großer Gott, dachte er und schüttelte sich. Hatte ihm jemand Halluzinogene eingeflößt? Warum sollte das irgendwer tun? Er hatte keine Feinde, soviel er wußte. Er hatte keine wirklichen Freunde – er war nicht der Typ, der auf einem fremden Vorposten Freundschaften schloß –, aber Feinde hatte er auch nicht. Er tat seine Arbeit und kümmerte sich um seine eigenen Angelegenheiten, und er kannte niemanden, der ihn um seine wenigen Besitztümer oder um seine schwere und etwas unterbezahlte Arbeit beneidete. Es gab nur die Erklärung, daß er verrückt war, psychotisch, ausgeflippt, seine Landebasis verloren hatte. Ihm fiel ein, daß er in diesem unheimlichen Traum, dieser Besessenheit oder Halluzination Darkovanisch gesprochen und gedacht hatte – das stark akzentuierte Berg-Darkovanisch, das er verstand, aber bis auf ein paar Wörter, die notwendig waren, um in der Handelsstadt eine Mahlzeit zu bestellen oder irgendeinen Firlefanz zu kaufen, nicht sprechen konnte. Von neuem schüttelte er sich und wischte sich das Gesicht ab. Seine Füße hatten ihn bis auf ein paar Schritte an das Büro des Koordinators herangetragen. Jetzt blieb er stehen und bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen und sich zu orientieren.
Es war das fünfte Mal gewesen.
Bei den ersten drei Malen hatte er an ungewöhnlich lebhafte Tagträume geglaubt, aus Langeweile und Katerstimmung geboren und aus Eindrücken seiner seltenen, aber farbigen Ausflüge in die Altstadt zusammengesetzt. Zwar erwachte er schaudernd vor der Realität der Furcht und des Hasses, von denen er in diesen Tagträumen besessen war, doch dann hatte er die Erinnerung verbannt und nicht darüber nachgedacht. Das vierte Mal – das vierte Mal war die Beinahe-Katastrophe auf dem Raumhafen gewesen. Barron besaß nicht viel Phantasie. Als mögliche Erklärungen fand er nichts anderes als einen Nervenzusammenbruch oder daß ein Mensch, der einen Groll auf ihn hegte, ihm einen bösen Streich gespielt und ein Halluzinogen eingeflößt habe. Er war nicht so paranoid, daß er glaubte, jemand habe Ziele wie seine schimpfliche Abberufung oder gar eine Raumhafen-Katastrophe angestrebt. Barron war verwirrt, ein bißchen verängstigt und ein bißchen zornig, aber sich nicht sicher, ob der Zorn sein eigener oder Teil des merkwürdigen Traums war.
Ewig konnte er hier nicht stehen bleiben. Er wartete noch eine Minute, straffte dann seine Schultern und klopfte an die Tür des Koordinators. Ein grünes Licht blinkte HEREIN, und er gehorchte.
Mallinson, Koordinator der Raumhafen-Aktivitäten in der Terranischen Zone von Darkover, war ein stämmiger Mann, der zu jeder Tages- oder Nachtstunde aussah, als pflege er in seiner Uniform zu schlafen. Er machte einen phantasielosen und nüchternen Eindruck. Jeder Gedanke, den Barron gehabt haben mochte, seinem Vorgesetzten seine Erlebnisse zu enthüllen, starb unausgesprochen. Immerhin sah Mallinson ihm gerade ins Gesicht, und seit fünf Tagen war er der erste Mensch, der das tat.
Ohne Vorrede sagte er: „Na schön, was, zum Teufel, war los? Ich habe mir Ihr Dossier geben lassen; Sie gelten als ein verdammt guter Mann. Meiner Erfahrung nach bringt ein Mann es nicht erst zu einer ausgezeichneten Beurteilung und verdirbt sich dann alles auf eine solche Weise. Der Mann, der irgendwann einmal einen großen Fehler begehen wird, beginnt mit Dutzenden von kleinen, und wir haben Zeit, ihn von seinem Posten abzuziehen, bevor er etwas wirklich Schlimmes anstellt. Waren Sie krank? Nicht daß das eine Entschuldigung wäre – wenn Sie krank waren, hätten Sie es melden und eine Ablösung verlangen müssen. Wir nahmen an, Sie hätten einen Herzanfall bekommen und seien tot – nichts anderes, so glaubten wir, hätte Sie so außer Gefecht setzen können.“
Barron dachte an den Kontrollraum und die Bildschirmreihen, die den gesamten Start- und Landeverkehr dieses Raumhafens zeigten. Mallinson ließ ihm keine Zeit zu antworten. „Sie trinken nicht, Sie nehmen keine Drogen. Wußten Sie, daß es die meisten Männer nur etwa acht Monate im Kontrollturm aushalten? Dann schlägt sich die Verantwortung bei ihnen in Alpträumen nieder; sie fangen an, kleine Fehler zu machen, und wir lösen sie ab und versetzen sie. Als Ihnen niemals auch nur der geringste Irrtum passierte, hätten wir merken müssen, daß Sie einfach nicht Verstand genug hatten – die kleinen Irrtümer sind die Hilfeschreie des Gehirns: ,Das wird mir zuviel, holt mich hier heraus.‘ Bei Ihnen geschah es nicht, aber wir hätten Sie auf jeden Fall entlasten sollen. Darum sind Sie nicht mit sieben Verweisen hinausgeworfen, darum ist Ihnen kein Schadenersatz von einer Million Credit aufgebrummt worden. Wir haben Sie fünf Jahre lang an den Kontrollschirmen gelassen, und wir hätten wissen müssen, daß wir damit eine Katastrophe herausforderten.“
Barron war klar, daß Mallinson keine Antwort erwartete. Leute, die Fehler dieses Kalibers begingen, konnten nie erklären, warum. Wenn sie gewußt hätten, warum, hätten sie sich ja davor in acht genommen.
„Mit Ihrem Dossier könnten wir Sie an den Rand versetzen, Barron, aber es gibt hier eine Möglichkeit. Wie ich hörte, sprechen Sie Darkovanisch?“
„Die Sprache der Handelsstadt. Die andere verstehe ich, kann mich aber nur mühsam darin ausdrücken.“
„Trotzdem. Vermessung und Erkundung ist Ihnen ein Begriff?“ Barron zuckte zusammen. Es war ein Schiff von V & E gewesen, das vor fünf Tagen beinahe abgestürzt wäre, und er dachte zuerst, Mallinson spiele darauf an. Ein Blick in das Gesicht des Koordinators überzeugte ihn jedoch, daß dieser nicht sticheln wollte, sondern nichts als eine Information verlangte. Barron erklärte: „Ich habe ein oder zwei Bücher über Xenokartographie gelesen – mehr nicht.“
„Linsenschleifen?“
„Die Grundlagen. Die meisten Jungen bauen irgendwann einmal ein kleines Fernrohr, ich auch.“
„Das reicht vollauf. Ich brauche keinen Experten.“ Mallinson lächelte grimmig. „Davon haben wir viele, aber die Darkovaner würden sie nicht akzeptieren. Und nun, wieviel wissen Sie über die darkovanische Kultur im allgemeinen?“
Barron fragte sich, wohin all das führen sollte. „Lektionen zwei, drei und vier des Orientierungskurses, vor fünf Jahren. Nicht daß ich sie besonders gebraucht hätte, da ich auf dem Hafen arbeitete.“
„Na gut, Sie werden wissen, daß die Darkovaner nie viel Wert auf die einfachen technischen Erzeugnisse gelegt haben – Fernrohre, Mikroskope und dergleichen. Die wissenschaftlichen Bestrebungen, die wir bei ihnen vermuten, gehen in andere Richtungen, und darüber weiß auch ich nicht viel; das tut niemand außer ein paar Anthropologen und Soziologen. Tatsache bleibt: Wir – und damit meine ich das Amt für Terranische Angelegenheiten – erhalten manchmal von Einzelpersonen Bitten um kleine technische Hilfen. Nicht von der Regierung – falls es irgendeine Regierung auf Darkover gibt, was ich persönlich bezweifeln möchte –, aber das gehört nicht zum Thema. Irgendwer da draußen, die Einzelheiten kenne ich nicht genau, ist zu dem Schluß gekommen, bei der Feuerwache und der Bekämpfung von Waldbränden sei es praktisch, Fernrohre zur Hand zu haben. Irgendwie sickerte der Gedanke durch die entsprechenden Kanäle und geriet bis zum Ältestenrat in der Handelsstadt. Wir boten an, ihnen Fernrohre zu verkaufen. O nein, antworteten sie höflich, ihnen sei es lieber, wenn jemand ihren Leuten zeige, wie man die Linsen schleift, und den Zusammenbau, die Aufstellung und Benutzung der Geräte überwache. Das ist keine Angelegenheit, bei der wir einfach eine Notiz an die Personalabteilung schicken und die geeignete Person feststellen lassen können. Aber da sind Sie, zur Zeit ohne Arbeit, und in Ihren Unterlagen ist Linsenschleifen als Hobby aufgeführt. Sie fangen heute an.“
Barrons Gesicht verfinsterte sich. Das war eine Aufgabe für einen Anthropologen, einen Verbindungsmann, einen Spezialisten für Darkovanisch oder – Feuerwache! Zum Teufel, das ist ein Job für einen Schuljungen! Steif sagte er: „Sir, darf ich Sie daran erinnern, daß das außerhalb meines Berufs und meines Spezialgebiets liegt? Ich habe keine Erfahrung darin. Ich bin Raumhafenlotse und Fachmann für ...“
„Seit fünf Tagen nicht mehr“, fiel Mallinson brutal ein. „Hören Sie, Barron, auf Ihrem Fachgebiet sind Sie erledigt; das wissen Sie. Wir wollen Sie nicht in Unehren entlassen – nicht ohne eine Ahnung davon zu haben, was mit Ihnen passiert ist. Und Ihr Vertrag läuft noch zwei Jahre. Wir möchten Sie auf einen für Sie geeigneten Posten stellen.“
Es gab nichts, was Barron dazu hätte sagen können. Wer seinen Vertrag brach, verlor sein Bankguthaben und den freien Flug zurück zu seinem Heimatplaneten. Das konnte bedeuten, daß man auf einer fremden Welt festsaß und die Bezahlung für ein ganzes Jahr verlor. Theoretisch stand ihm das Recht zu, gegen eine Verwendung auf einem Arbeitsgebiet außerhalb seines Berufs Einspruch zu erheben. Aber ebenso hatte man theoretisch das Recht, ihn mit sieben Verweisen zu entlassen, ihn auf die schwarze Liste zu setzen, Schadenersatz von ihm zu verlangen und ihn wegen grober Fahrlässigkeit zu verklagen. Er erhielt eine Chance, aus all dem herauszukommen – nicht heil, aber auch nicht für immer erledigt.
„Wann fange ich an?“ fragte er. Es war die einzige Frage, die ihm übrigblieb.
Aber er hörte die Antwort nicht. Während er forschend in Mallinsons Gesicht blickte, wurde es plötzlich undeutlich.
Er stand auf weichem Gras; es war Nacht, doch es war nicht dunkel. Rings um ihn flammte und brüllte ein großes Feuer, das mit lodernden Fühlern weit über seinen Kopf hinaufzüngelte. Und inmitten der Flammen stand eine Frau.
Eine Frau?
Sie war beinahe unmenschlich groß und schlank, aber mädchenhaft. Sie badete in den Flammen, als stehe sie sorglos unter einem Wasserfall. Sie brannte nicht, sie litt keine Schmerzen. Sie lächelte fröhlich. Die Hände hielt sie über den nackten Brüsten gekreuzt; die Flammen leckten um ihr Gesicht und ihr feuerfarbenes Haar. Und dann verschwamm das mädchenhafte, vergnügte Gesicht und nahm die überirdische Schönheit einer großen Göttin an, die endlos im Feuer brannte, gebunden mit goldenen Ketten ...
„... und das können Sie alles unten bei der Personal- und Transportabteilung erledigen“, schloß Mallinson energisch und schob seinen Stuhl zurück. „Geht es Ihnen nicht gut, Barron? Sie sehen ein bißchen erschöpft aus. Ich wette, Sie haben nicht gegessen und nicht geschlafen. Sollten Sie nicht einen Arzt aufsuchen, bevor Sie gehen? Ihre Karte gilt immer noch für Abschnitt 7. Es wird alles wieder in Ordnung kommen, aber je eher Sie abreisen, desto besser. Viel Glück.“ Doch er reichte ihm nicht die Hand, und Barron wußte, daß überhaupt nichts in Ordnung war.
Beim Verlassen des Büros stolperte er über seine eigenen Füße. Das Gesicht der brennenden Frau in seiner unmenschlichen Ekstase, das Entsetzen und die Überwältigung gingen mit ihm.
Er dachte: Was in aller Welt – in jeder Welt – ist mit mir geschehen?
Und im Namen aller Götter der Erde, des Raums und Darkovers – warum?
Die Bresche im Außenwerk wurde repariert.
Brynat Narbengesicht war hinausgegangen, um nachzusehen, stand nun auf der inneren Brustwehr und überwachte die Arbeiten. Es war ein kalter Morgen; Nebel floß den Berg herauf. Die Männer bewegten sich träge in der Kälte. Kleine, dunkle Männer aus den Bergen, die meisten von ihnen zerlumpt und noch von der Schlacht gezeichnet, kämpften gegen den rauhen Boden und den kalten Stein. Angetrieben wurden sie durch Zurufe und einen gelegentlichen Hieb mit einer der Peitschen, die Brynats Männer in Händen hielten.
Brynat war ein hochgewachsener Mann. Über seine zerfetzten Prachtgewänder hatte er einen Pelzmantel geworfen, ein Beutestück aus der Burg. Eine große, wellige Narbe lief ihm vom Auge zum Kinn und gab seinem Gesicht, das nie anziehend gewesen war, das wölfische Aussehen eines wilden Tieres in menschlicher Kleidung. Auf den Fersen folgte ihm sein Schwertträger, ein Männchen mit Fledermausohren, niedergebeugt von dem Gewicht der Waffe. Als Brynat sich ihm zuwandte, zuckte er zusammen. Er erwartete einen Schlag oder Fluch, aber Brynat war an diesem Morgen in bester Laune.
„Dummköpfe sind wir, Mann – wir verbringen Tage damit, diese Mauer niederzureißen, und was tun wir dann als erstes? Wir bauen sie wieder auf!“
Das fledermausohrige Männchen gab ein nervöses, untertäniges Lachen von sich, doch Brynat hatte seine Existenz schon wieder vergessen. Den Pelz um sich ziehend, schritt er an den Rand der Brustwehr und blickte auf die zerstörte Mauer und die Burg nieder.
Burg Storn stand auf einer von Abgründen und Klippen verteidigten Höhe. Brynat wußte, er durfte sich gratulieren. Taktik und Ingenieurkunst hatten die Mauern niedergebrochen und Männer zum Sturm auf die inneren Befestigungen eingelassen. Burg Storn war in alter Zeit als uneinnehmbar gebaut worden, und uneinnehmbar war sie durch sieben Generationen von Aldarans, Aillards, Darriels und Storns geblieben.
Als sie noch stolze Lords der Comyn beherbergt hatte – die alten, mächtigen, über Psi-Gaben verfügenden Lords der Sieben Domänen von Darkover –, war sie bis ans Ende der Welt bekannt gewesen. Dann war die gerade Linie ausgestorben, Außenseiter hatten in die Überreste der Familien eingeheiratet, und schließlich waren die Storns von Storn hergekommen. Sie waren friedliche Herren gewesen, die nicht vorgaben, mehr zu sein, als sie waren – Adel der Wildnis, gerecht und ehrenhaft. Sie lebten in Frieden mit ihren Pächtern und Nachbarn und beschränkten sich auf den Handel mit den edlen Jagdfalken der Berge und schönen Metallgegenständen, geschmiedet von dem Stamm, der Erz aus den dunklen Klippen grub und an seinem Feuer bearbeitete. Die Storns waren reich und auf ihre eigene Weise auch mächtig gewesen, wenn mächtig bedeutete, daß die Menschen dem Wort eines Storn von Storn gehorchten, aber sie gehorchten lächelnd, statt zitternd. Mit den anderen Bergbewohnern hatten die Burgherren wenig Kontakt und noch weniger mit den Lords der weiter entfernten Berge. Sie lebten ruhig und glücklich.
Und jetzt waren sie gefallen.
Brynat lachte selbstzufrieden. In ihrer stolzen Isolierung war es den Storns nicht einmal möglich gewesen, um Hilfe zu ihren fernen adligen Nachbarn zu schicken. Mit einiger Klugheit konnte Brynat sich hier festgesetzt haben, lange bevor die Nachricht sich in den Hellers und den Hyaden verbreitete, Burg Storn habe einen neuen Lord. Und würde es sie kümmern, daß dort nicht länger ein Storn von Storn herrschte, sondern Brynat von den Höhen? Er glaubte es nicht.
Ein kalter Wind war aufgekommen, und die rote Sonne wurde von eilenden Wolken verdeckt. Die Männer, die sich mit den niedergestürzten Steinen abmühten, bewegten sich jetzt schneller, um sich in dem beißenden Wind warm zu halten. Ein paar Schneeflocken begannen zu fallen. Brynat gab Fledermausohr mit einem nachlässigen Schulterzucken ein Zeichen, und ohne sich umzusehen, ob das Männchen ihm folgte – aber wehe ihm, wenn er es nicht getan hätte! –, schritt er ins Innere der Burg.
Drinnen, fern von Zuschauern, ließ er das stolze Grinsen des Triumphes von seinem Gesicht gleiten. Es war kein Sieg auf der ganzen Linie gewesen, obwohl seine Gefolgsleute, die sich an der reichen Beute ergötzten, es dafür hielten. Brynat saß auf Storns Hochsitz, aber der Sieg entschlüpfte ihm.
Schnell stieg er eine Treppe hinunter, bis er an eine mit Samt gepolsterte und mit einem Vorhang gezierte Tür kam. Zwei seiner Söldner lümmelten sich hier auf bequemen Kissen. Ein leerer Weinschlauch zeigte, wie sie sich während ihrer Wache die Zeit vertrieben. Beim Klang von Brynats schweren Schritten sprangen sie auf. Der eine kicherte mit der Vertraulichkeit eines alten Gefolgsmannes.
„Ha, ha! Zwei Mädchen sind besser als eins – he, Lord?“
Bei Brynats finsterem Blick meldete der andere hurtig: „Heute morgen kein Weinen und Jammern von dem Mädchen mehr. Sie ist still, und wir sind nicht eingetreten.“
Es war unter Brynats Würde, eine Antwort zu geben. Er bewegte herrisch die Hand, und die Söldner rissen die Tür auf.
Als die Angeln quietschten, sprang eine kleine, blaugekleidete Gestalt auf und fuhr zu ihm herum, daß ihr die langen roten Zöpfe um die Schultern flogen. Das Gesicht war einmal von pikanter Schönheit gewesen; jetzt war es verschwollen und blaugeschlagen, ein Auge hatte sich unter einem Hieb halb geschlossen, aber das andere loderte in unstillbarem Zorn.
„Du Sohn einer Wölfin“, sagte sie leise, „keinen Schritt weiter – ich warne dich!“
Brynat schaukelte lässig auf seinen Fersen zurück, den Mund zu einem wölfischen Lächeln verzogen. Er stemmte die Hände in die Hüften und musterte das Mädchen in Blau, ohne zu sprechen. Er sah die weißen, bebenden Hände, bemerkte jedoch, daß die geschwollenen Lippen nicht zitterten und ihr Blick sich nicht senkte. Dem zollte er in seinem Inneren ein anerkennendes Lachen. Hier konnte er echten Triumph finden.
„Was, immer noch nicht versöhnt mit meiner Gastlichkeit, Lady? Habe ich Euch mit Wort oder Tat beleidigt, oder macht Ihr mir die Grobheit meiner Männer zum Vorwurf?“
Ihr Mund war fest. „Wo ist mein Bruder? Meine Schwester?“
„Nun“, antwortete er schleppend, „Eure Schwester nimmt Abend für Abend an meinen Festmählern teil. Ich bin gekommen, um Euch zu bitten, meiner Gemahlin heute vormittag aufzuwarten; wie ich glaube, sehnt sie sich nach einem vertrauten Gesicht. Aber, Lady Melitta, Ihr seid blaß. Ihr habt das gute Essen, das ich Euch schickte, nicht angerührt!“ Er machte eine tiefe, burleske Verbeugung, drehte sich um und ergriff ein Tablett, das mit Wein und feinen Speisen beladen war. Lächelnd bot er es ihr dar. „Seht, ich komme in eigener Person, um Euch zu dienen...“
Das Mädchen machte einen Schritt vorwärts, packte das Tablett, ergriff einen gebratenen Vogel bei einem Bein und schleuderte ihn Brynat ins Gesicht.
Brynat fluchte, trat zurück, wischte sich das Fett vom Kinn – und brach in schallendes Gelächter aus. „Zandrus Höllen! Damisela, ich hätte Euch nehmen sollen, nicht das wimmernde, winselnde Geschöpf, das ich gewählt habe!“
Sie atmete schwer und sah ihn trotzig an. „Ich hätte Euch vorher umgebracht.“
„Ich zweifle nicht daran, daß Ihr es versucht hättet! Wäret Ihr ein Mann, vielleicht wäre die Burg nie gefallen – aber Ihr tragt Röcke, statt Hosen, die Burg liegt in Trümmern, meine Männer und ich sind hier, und alle Schmiede in Zandrus Werkstätten können ein zerbrochenes Ei nicht wieder flicken. Deshalb rate ich Euch gut, kleine Herrin: Wascht Euer Gesicht, zieht Eure schönen Kleider an und wartet Eurer Schwester auf, die immer noch Lady von Storn ist. Wenn Ihr vernünftig seid, werdet Ihr ihr zureden, sich in ihr Schicksal zu fügen, und ihr beide sollt Kleider und Schmuck und alles haben, was Frauen schätzen.“
„Von Euch?“
„Von wem sonst?“ lachte er mit einem Zucken der Schultern und öffnete die Tür.
„Lady Melitta darf in der Burg kommen und gehen, wie sie will“, sagte er zu den Wachen. „Aber hört gut zu, Mistreß – die Außenwerke, die Brustwehren und die Verliese sind Euch verboten, und ich gebe meinen Männern die Erlaubnis – merkt Euch das! –, Euch mit Gewalt zurückzuhalten, solltet Ihr versuchen, Euch diesen Orten zu nähern.“
Sie wollte ihm eine Beschimpfung entgegenschleudern und hielt inne, sichtlich mit dem Gedanken spielend, was selbst begrenzte Freiheit bedeuten konnte. Endlich wandte sie sich wortlos ab. Brynat schloß die Tür und ging.
Vielleicht war dies der erste Schritt zu seinem zweiten Sieg. Im Gegensatz zu seinen Männern wußte er, daß die Einnahme von Burg Storn nur der erste Sieg war – und leer ohne die zweite Eroberung. Er schluckte einen neuen Fluch hinunter, kehrte dem Zimmer, in dem das Mädchen gefangensaß, den Rücken und schritt weiter. Höher und höher stieg er in den alten Turm hinauf. Hier gab es keine Fenster. Schmale Schlitze ließen nicht das rote Tageslicht ein, sondern ein gespenstisches blaues Flackern, das wie in Ketten gelegte Blitze war. Ein kalter Schauer überlief ihn.
Gegenüber alltäglichen Gefahren war er furchtlos. Aber dies war die alte darkovanische Magie. Allein schon die Sagen darüber schützten Orte wie Burg Storn noch lange, nachdem die anderen Verteidigungen gefallen waren. Brynat faßte das Amulett um seinen Hals mit plötzlich kraftlosen Fingern. Er hatte sich gesagt, bei der Zauberei handle es sich nur um Theater, hatte seine Söldner angefeuert, die Burg zu stürmen, und gesiegt. Er hatte auf Burg Storn gezecht und über die alten Geschichten gelacht. Ihre Magie hatte die Burg nicht gerettet, oder? Das war doch nur ein Schauspiel, mit dem man Kinder ängstigte, nicht gefährlicher als die Nordlichter.
Er ging durch das geisterhafte Flackern, durch einen bleichen Bogen aus durchscheinendem Stein. Zwei seiner verrohten, brutalen Männer, die härtesten, die er für diese Aufgabe hatte gewinnen können, saßen hier auf einem geschnitzten Sofa. Er stellte fest, daß sie weder spielten noch tranken und daß sie ihre Augen von dem zweiten Bogen abgewendet hielten, wo ein Vorhang aus blauem Licht wie eine Fontäne zwischen den Steinen spielte. In ihren Gesichtern zeigte sich beim Anblick ihres Hauptmanns nackte Erleichterung.
„Irgendeine Veränderung?“
„Keine, Lord. Der Mann ist tot – tot wie Durramans Esel.“
„Wenn ich das nur glauben könnte“, murmelte Brynat mit zusammengebissenen Zähnen und marschierte kühn durch den Vorhang aus blauen Flammen.