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Im Schatten eines süddeutschen Krankenhauses während des Zweiten Weltkriegs entfaltet sich ein dramatisches Ringen um Pflicht, Moral und Menschlichkeit. Der angesehene Chirurg Dr. Paul Wanner kehrt verstümmelt und desillusioniert von der Front zurück. Während er mit den Schrecken des Krieges und seiner eigenen Schuld kämpft, beweist seine Frau Lilli, eine französische Ärztin, außergewöhnlichen Mut: Als stille Saboteurin rettet sie Zwangsarbeiter und riskiert alles für die Entrechteten. Doch das Krankenhaus wird zum Schauplatz persönlicher Intrigen, ideologischer Gewalt und wachsender Verzweiflung. Die Loyalität zwischen Freunden, die Liebe zu Lilli und das eigene Gewissen geraten in einen unerbittlichen Konflikt. Wie weit darf man gehen, um das Richtige zu tun? Friedrich Wolfs Meisterwerk „Doktor Wanner“ beleuchtet die Abgründe und Helden des Zweiten Weltkriegs – ein fesselndes Drama über Verantwortung, Widerstand und die Zerbrechlichkeit des Individuums in einer Welt, die von Grausamkeiten zerrissen wird.
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Seitenzahl: 106
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Friedrich Wolf
Doktor Wanner
Ein Schauspiel
ISBN 978-3-68912-403-8(E–Book)
Geschrieben 1944.
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
© 2024 EDITION digital®
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Godern
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Dr. WANNER: Chefarzt der chirurgischen Abteilung eines Krankenhauses
LILLI: seine Frau, Assistenzärztin
FRAU MEDIZTNALRAT WANNER: seine Mutter
ERIKA: seine Schwester, Helferin
Dr. KLEMM: sein kommissarischer Stellvertreter, Sturmbannarzt der SS
Dr. RITTER: Assistenzarzt
FEUCHTENBEINER: Krankenhausinspektor
OHM EUGEN: Laborant, cand. med., „ewiger Student“
GASTON: Röntgenlaborant, Kriegsgefangener
EISENLOHR: Klempnermeister, Pionier
MUTTER BIRKLE: Inhaberin eines Milchladens
FRANZ: ihr Sohn, Totalmobilisierter
DRUMMOND: ein französischer Zwangsarbeiter
SS-Truppführer, Krankenpfleger, SS-Männer.
Ort: Chirurgische Abteilung eines Krankenhauses in Süddeutschland. Privatwohnung von Dr. Wanner.
Zeit: Ende 1943 bis Anfang 1944.
Warteraumecke und Chefarztzimmer der chirurgischen Abteilung eines städtischen Krankenhauses in Süddeutschland. Die Wände sind mit weißer Ölfarbe gestrichen. Blinkende Instrumentenschränke. Alles strahlt von Chirurgie, Asepsis, Wissenschaft. Die Warteraumecke nimmt etwa ein Drittel der Bühne ein; sie ist von dem Chefarztzimmer durch eine gepolsterte Tür getrennt. Dort sitzen um ein Tischchen, in Zeitschriften blätternd, MUTTER BIRKLE, eine korpulente Frau, ihr achtzehnjähriger Sohn FRANZ, der mit dem Kopf ständig nervös „schüttelt“, und der Klempnermeister EISENLOHR in einer alten Pionieruniform. – Im Chefarztzimmer stehen vor einem großen weiß lackierten Schreibtisch in Laborantenkitteln OHM EUGEN und GASTON. Im Hintergrund an einem breiten Fenster, dessen untere Hälfte aus Milchglas ist, hängen an einem Draht mehrere Röntgenfilme; hinter der oberen durchsichtigen Hälfte des Fensters des Zimmer sieht man dichtfallende Schneeflocken.
GASTON (einen Röntgenfilm gegen das Licht haltend): Ob er dafür noch Zeit haben wird?
OHM EUGEN: Pause, mon vieux – ich habe ihn gelehrt, Leute, die nichts tun, haben nie Zeit; Leute, die viel arbeiten, haben immer Zeit.
GASTON: Ich meine, weil er morgen zur Front muss.
OHM EUGEN: Muss? – Sagen wir: jeder Mann sein eigner Fußball!
GASTON: Nun, nun, Ohm Eugen, der Herr Oberarzt hat sich doch freiwillig gemeldet, obschon er als Chef der Abteilung u. k. ist.
OHM EUGEN: Und dafür setzt man uns als Stellvertreter einen quasi Nichtchirurgen hin, einen SS-Sturmbannarzt; ich kenne die beiden Jungens wie meine Tasche, habe sie in Tübingen zum Physikum und Staatsexamen eingepaukt, war selbst da cand. med. und „ewiger Student“, Zeiten waren das, mon vieux, Zeiten …
Vivat academia, vivant professores,
Pereat diabolus, qui est antiburschicus …
Vivat etiam campus mensurae, der Fechtboden, der Tübinger Schlosswein, die Ausritte im Mai ins Neckartal … wohin, wohin? Vanitas,-vanitatum. (summt vor sich hin)
Ich hab’ meine Sach’ auf Nichts gestellt, Juchhe!
Drum ist’s so wohl mir in der Welt, Juchhe!
Und wer will mein Kamerade sein, der stoße mit an,
Der stimme mit ein, bei dieser Neige Wein!
Tempi passati! Stecken wir uns eine Träne ins Knopfloch! Was habe ich alter Hund hier noch zu tun?
GASTON: Solange man noch singen kann, Ohm Eugen …
OHM EUGEN: Andere Lieder sind das heute, mon pauvre garcon (mit Geste) und auch die Männer und Mädels … damals, ja. da schaute ich weniger auf die Leichen des Präpariersaals und in die Lehrbücher der Professoren als in die Augen der Professorentöchterlein … trocken ist die Welt geworden, poesielos. lieblos …
GASTON: Weil Herr Oberarzt sich an die Front gemeldet hat … trotz Madame?
OHM EUGEN: Madame. Madame … der Mensch ist heute mit etwas anderem verheiratet, als mit dem Weibe, der Teufel weiß es. Und wo Madames Charme versagt, da endet auch Ohm Eugens Eingriff. – Du wartest auf seine Unterschrift?
GASTON (mit Filmen): Einige Diagnosen sind noch zu signieren.
OHM EUGEN: Und meine Krankengeschichten. Er aber schüttelt das alles ab wie der Pudel das Wasser; doch so schnell gehst du Ohm Eugen nicht durch die Lappen, mein Junge! Carpe fugientem!
Während er durch die linke Tür und den Warteraum geht, wird er von den PATIENTEN angehalten …
MUTTER BIRKLE: Herr Doktor, ein Wort!
OHM EUGEN: Bin nicht „Herr Doktor“, bin bloß Ohm Eugen, der „ewige Student“.
MUTTER BIRKLE: Wie kann ein so alter Herr noch Student sein? Einerlei. Aber mir ist’s nicht einerlei, wenn mein Franz – steh auf, Franz, vor dem Herrn! – wenn man den Franz, der bei der Bombardierung das Schütteln bekam und noch zwei Finger dabei verlor, jetzt an die Front schicken will! Was soll denn so ein krankes Kind da draußen, bei Schnee und Eis, wo man keinen Hund vor die Tür jagt? Falls Sie selbst Kinder haben, mein Herr …
OHM EUGEN (abwehrend): Nein, nein, danke.
MUTTER BIRKLE: Aber eine Mutter werden Sie doch gehabt haben, mein Herr, und die Gefühle einer alten Mutter …
OHM EUGEN: Mater, digna et venerabilis, favete linguis, sparen Sie Ihre Worte für den Herrn Oberarzt!
EISENLOHR (vor ihm): Es bedarf da nicht vieler Worte, mein Herr, ich bin der Spenglermeister Eisenlohr, Sie entsinnen sich, Herr Oberarzt hat meinen doppelseitigen, eingeklemmten Leistenbruch operiert, einen Bruch so groß wie ein Kindskopf, und jetzt soll ich mit einem Pionierbaubataillon nach dem Osten, mitten im Winter, 50 Jahre bin ich alt, war bisher in der Heimat im Einsatz – nein, hören Sie mich an – ich habe manches Blechdach repariert und manchen Badeofen, auch für den Herrn Krankenhausinspektor Feuchtenbeiner hier, verstehen Sie, ohne Rechnung zu schicken, natürlich; und was ist der Lohn dafür …
OHM EUGEN: So schicken Sie ihm in Dreiteufelsnamen doch die Rechnung!
EISENLOHR (erschrocken): Vergessen Sie, was ich sagte, mein Herr, vergessen Sie es
LILLI, im Arztmantel – Stethoskop und Perkussionshammer schauen aus der Manteltasche – mit einigen Krankenblättern von links.
LILLI (zu Ohm Eugen): Ist Paul schon in seinem Kabinett?
OHM EUGEN: Suche ihn ja selbst.
MUTTER BIRKLE: Wir alle warten auf ihn; ich habe schon ganz geschwollene Füße von all dem Rennen und Warten wegen dem Franz.
FRANZ: Lass es doch, Mutter; ich geh zur Front und fertig! 'ne Handgranate kann ich immer noch weghauen.
MUTTER. BIRKLE (wütend): Und ich kann dir immer noch den Hintern verhauen, du Lauser, und eins aufs Maul geben, du Esel! (zu Lilli) Achten Sie nicht auf den Dummkopf, Fräulein!
OHM EUGEN: Hören Sie. Lilli, die Alte macht Ihnen Komplimente.
(zu Mutter Birkle) Mutter, dies „Fräulein“ ist Frau Doktor.
MUTTER BIRKLE (scheu): Die Frau unseres Herrn Oberarztes?
LILLI (lächelnd): Ist das so schlimm?
OHM EUGEN: Mut, Mutter! Ihr könnt Frau Doktor alles an ihr ärztliches Herz legen; ich alter Hund habe da einen Stein in der Brust. Ut di bene vertant! (links ab)
LILLI: Ihr Sohn ist nervenleidend?
MUTTER BIRKLE: Und hat noch zwei Finger verloren; denken Sie doch, so ein Kind ohne Finger in Feindesland …
EISENLOHR: Und ich mit meinen 50 Jahren auf dem Buckel, Frau Doktor, und meinem doppelseitigen, eingeklemmten Leistenbruch, so groß wie ein Kindskopf, und wo ich noch Spezialist bin für Badeöfen und Ventilation, stets gern zu Diensten, falls Frau Doktor einmal das Bedürfnis einer Reparatur haben sollten …
LILLI: Vielen Dank, aber ich denke, Sie sollten mit Herrn Oberarzt persönlich sprechen!
Sie geht nach rechts ins Chefarztzimmer, während die DREI im Warteraum wie anfangs sich mit den Zeitschriften beschäftigen und MUTTER BIRKLE zu stricken beginnt
LILLI: Auch Sie warten auf ihn, Gaston?
GASTON: Auf Sie, Madame.
LILLI (leiser): Bitte künftig „Frau Doktor“!
GASTON: Bien! Aber dann bitte auch „Mr. Bruyere“!
LILLI: D’accord. – Haben Sie den andern schon gesehen, seinen Nachfolger?
GASTON: Es soll ein SS-Arzt sein.
LILLI: Ein Sturmbannarzt, oder so was. Paul hat mich beruhigt, dass es sein alter Schulkamerad ist.
GASTON: Sie sind beruhigt?
LILLI (ablenkend): Sie wollen dem Herrn Oberarzt noch Röntgenfilme vorlegen?
GASTON: Zuerst Ihnen, Frau Doktor, da es Patienten Ihrer Station sind. – Hier der Film von Pierre Lequerc mit der starken Abdunklung über der rechten Lungenspitze, offenbar eine Caverne.
LILLI (den Film gegen das Licht haltend): Sie irren, Gaston, pardon, Mr. Bruyere – das ist nicht Lequerc’s Film!
GASTON: Es ist Lequerc’s Film; lesen Sie bitte Namen und Nummer!
LILLI: Name und Nummer waren mit Kreidestift vermerkt; man konnte sie wegwischen und eine neue Signatur schreiben.
GASTON: Man kann sogar in dem Krankenjournal den neuen Befund eintragen; man ist sogar verpflichtet …
LILLI: Verpflichtet …
GASTON (leiser): Menschenleben aus dem Krieg zu retten, diesen Krieg abzukürzen mit allen Mitteln, Menschen zu retten, Landsleute, Patrioten.
LILLI (ebenso): Mon dieu, Gaston, ich habe Sie schon einmal gebeten, ich kann da nicht weiter mit; ich verstehe Ihren Patriotismus, ich achte ihn, aber ich selbst bin unpolitisch, gänzlich unpolitisch, ich schwöre es Ihnen, ich bin eine Ärztin und die Frau eines Arztes, verstehen Sie, eines deutschen Arztes …
GASTON: Wenn ich nicht irre, Madame, so wurden Sie in Lyon geboren, an der Rhone, in die heute das Blut der Arbeiter fließt, die sich weigern, nach Deutschland verschleppt zu werden …
LILLI: Schweigen Sie, um Gottes willen!
GASTON (eindringlich): Sie kennen die sonnigen Hügel um Lyon an der silbergrünen Rhone, die zu den Wein- und Olivenhängen der Provence hinabfließt; Ihr Patient Lequerc träumt davon Tag und Nacht, sein altes Lungenleiden, das in Deutschland zunahm, hat die Macht seiner Träume nicht vermindert. Ob Sie das verstehen, Madame?
LILLI: Und wenn ich es verstehe … ich gehe nicht weiter mit Ihnen, Gaston, ich kann nicht, ich will nicht immer wieder die Krankenbefunde und Diagnosen frisieren, damit Ihre Patrioten nach Frankreich zurückgelangen; ich liebe meinen Mann, ich kann nicht länger vor ihm dies doppelte Spiel spielen und ihn betrügen!
GASTON (beobachtend): So müssen Sie ihm die Wahrheit sagen.
LILLI: Sind Sie wahnsinnig!
GASTON: Weshalb?
LILLI: Er müsste es doch melden …
GASTON: Und Sie und sich desavouieren.
LILLI: Ah, so rechnen Sie?
GASTON: Tue ich es für mich?
LILLI: Nein, Gaston; aber Überspannen Sie nicht den Bogen!
GASTON: Pardon, Madame, wenn ich zu viel verlangte.
LILLI: Ah, Gaston, geben Sie sich nicht den Anschein eines Bedauerns oder Mitgefühls! In der Mathematik Ihres patriotischen Denkens gibt es solche Dinge nicht. Ich lese dagegen in Ihren Augen die Frage: Wenn er seine Frau wirklich liebte, weshalb hat er sich dann freiwillig an die Front gemeldet? Habe ich recht vermutet, Gaston?
GASTON: Madame sind eine erstaunliche Gedankenleserin.
LILLI (ihn anschauend): Falls aber seine Meldung zur Front in keiner Weise meine Gefühle verletzte?
GASTON: Wie?
LILLI: Falls ich völlig einverstanden wäre mit seinem Fronteinsatz?
GAS ION: In Hitlers Armee Kriegsdienst zu leisten …
LILLI: Als Chirurg den Verwundeten dort zu helfen, wo der rechte Platz ist für seine Tatkraft, sein Temperament, seine ärztlichen Fähigkeiten.
GASTON: Ärztlichen Fähigkeiten … helfen … exzellent, Madame. (leidenschaftlich) Und welchen Verwundeten? Und zu welchem Zwecke? Diese Hitlersoldaten wieder kampffähig zu machen, das heißt – wollend oder nicht – den Krieg um Monate oder Jahre verlängern, die Länder und auch unser Frankreich in Brandstätten verwandeln. Jede Frau dieser Erde müsste das heute begreifen und sich dagegen stemmen, dass nur ein einziger Hitlersoldat noch an die Front geht!
LILLI (nachdenklich): Vielleicht wenn man so mit ihm spräche?
GASTON: Warten Sie.
LILLI: Sie selbst erklärten, ich müsse ihm die Wahrheit sagen!
GASTON (sie fixierend): Es war eine Art Probe.
LILLI: Worauf?
GASTON: Dass Sie nichts sagten.
LILLI: Sie – halten es für unmöglich, dass er uns versteht?
GASTON: Unmöglich! Er ist ein Deutscher, kein Parteimann der Nazis natürlich, da Sie Französin sind, aber ein deutscher Arzt. (dringlich) Wenn wir den Pierre Lequerc und Jean Carpentier noch retten könnten, gute Menschen, gute Franzosen, die hier zugrunde gehen, die man in Frankreich braucht; wenn Sie ihm wenigstens diese Röntgenbefunde noch zur Unterschrift vorlegen …
LILLI (gequält): Ich kann nicht, Gaston …
STIMMEN von rechts
GASTON (schnell): Madame, wir rechnen auf Sie!
LILLI: Ich werde ihn zu überzeugen versuchen …
GASTON: Und uns verraten …
LILLI: Still!
Sie nimmt einen der Röntgenfilme und betrachtet ihn gegen das Licht. – In den Warteraum sind eilig eingetreten Dr. PAUL WANNER, ein athletisch gebauter Mann, Dr. KLEMM in der Uniform des SS-Sturmbannarztes mit darübergezogenem offenem Arztmantel und der Krankenhausinspektor FEUCHTENBEINER, eine Tonne von Mensch. – MUTTER BIRKLE und EISENLOHR springen auf und drängen zu Dr. WANNER.
MUTTER BIRKLE: Endlich, Herr Oberarzt …
EISENLOHR (dazwischen.): Herr Oberarzt entsinnen sich bestimmt noch meiner Operation, Klempnermeister Eisenlohr, doppelseitiger, eingeklemmter, kindskopfgroßer Leistenbruch … „ein klassischer Fall“ sagte Herr Oberarzt, „allerhöchste Zeit, dass wir eingriffen“!
Dr. WANNER: Und wie wir eingriffen, Eisenlohr, was? Weg ist der Kindskopf!
MUTTER BIRKLE (erregt): Alles ist weg! Weg sind dem Franz seine beiden Finger – steh auf, Franz! – ist diese dreizinkige verbogene Gabel noch eine Hand; was soll dieses Kind ohne Hand da draußen an der Front?
Dr. KLEMM: Aha, daher weht der Wind?
MUTTER BIRKLE: Ja, mein Herr, daher weht der Wind, und die Mutter Birkle hat man noch mehr Wind in ihrer Lunge, falls es darauf ankommt.
Dr. KLEMM: Hier herrscht ja ein heiteres Tönchen.
MUTTER BIRKLE: Wenn Sie das ein heiteres Tönchen nennen, mein Herr?
FEUCHTENBEINER (streng): Nehmen Sie sich zusammen, Frau Birkle, dieser „Herr“ ist der kommissarische Stellvertreter des Herrn Oberarztes: so ist die Sache orientierbar!
Dr. KLEMM: Lassen Sie, Herr Inspektor; die Frau soll ruhig sagen, was sie auf dem Herzen hat.
MUTTER BIRKLE: Das ist ein Wort, Herr Stellvertreter! Sie haben ein Herz für eine Mutter; und darum sage ich: Soll dieses Häufchen Elend, dieses Kind mit seiner halben Hand und seinem Wackelkopf da draußen vielleicht die Russen besiegen?
Dr. KLEMM: Es soll und wird, gute Frau! Seien Sie unbesorgt! Der Fronteinsatz wirkt geradezu Wunder auf Nervenschwache, das wissen wir Ärzte! Wenn es zum Sturm geht, da wird der wackligste Kopf festsitzen wie Eisenguss!
FRANZ: Ich werde schon den andern den Mann abhalten, Herr Arzt; ich war beim Fußball Mittelstürmer!
Dr. KLEMM: Bravo, ein guter Junge!
MUTTER BIRKLE: Ein Kindskopf, ein Eselskopf, ein Idiot! (reißt ihn an sich) Franz, mein Kind, mein einziges Kind, ich habe doch niemanden als dich, ich lass dich nicht ganz kaputtmachen, ich lass dich nicht dahin!
Dr. KLEMM (verändert): Führen Sie nicht solche Reden hier, Frau! Ich verbitte mir das! (gegen Eisenlohr) Und auch Sie, was war noch mit Ihnen?
EISENLOHR: Ein vor kurzem operierter doppelseitiger Leistenbruch, so groß wie ein Kindskopf, Herr Stabsarzt.
Dr. KLEMM: Ausgezeichnet! Bewegung im Freien wird die Bauchmuskulatur außerordentlich kräftigen und ein Rezidiv verhüten.