Dorian Hunter 155 - Logan Dee - E-Book

Dorian Hunter 155 E-Book

Logan Dee

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Beschreibung

Elisabeth Waldmüller schrie auf. An der Stelle der Skulptur, an der normalerweise die Figur des Todes stand, gähnte nackter Felsen. »Der Tod!«, schrie die Fremdenführerin. »Der Tod ist verschwunden!«
»Vielleicht hat er ja keine Bedeutung mehr, der Tod.«
Alle fuhren herum und erblickten die schattenhafte Gestalt, die zu ihnen getreten war.
»Sie sprachen vom Tod«, sagte der Fremde. »Vielleicht ist er fort, vielleicht steht er aber auch schon hinter Ihnen. ... Doch wo auch immer er sich befindet, für mich ist er bedeutungslos.«
Elisabeth Waldmüller keuchte auf und starrte auf ihre rechte Hand, die sich grünlich zu verfärben begann ...

In der Burg Greifenstein bricht unerwartet die Pest aus. Eine Touristengruppe muss isoliert werden. Dorian Hunter erkennt dämonische Umtriebe und erinnert sich, wie er es als Matthias Troger mit den Schrecken der Pestburg zu tun bekam ...

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Seitenzahl: 124

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Inhalt

Cover

Was bisher geschah

DIE PESTBURG

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

mystery-press

Vorschau

Impressum

Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.

Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.

Als Rückzugsort in seinem Kampf bleibt Dorian neben der Jugendstilvilla in der Baring Road in London noch das Castillo Basajaun in Andorra, in dem er seine Mitstreiter um sich sammelt – darunter die ehemalige Hexe Coco Zamis, die aus Liebe zu Dorian die Seiten gewechselt hat. Nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Martin hat Coco diesen zum Schutz vor den Dämonen an einem Ort versteckt, den sie selbst vor Dorian geheimhält.

Auf der Suche nach dem Erbe des Hermes Trismegistos findet Dorian den Steinzeitmenschen Unga, der Hermon gedient hat und sich nach seinem Erwachen schnell den Gegebenheiten der Gegenwart anpasst. Die Invasion der Janusköpfe von der Parallelwelt Malkuth wird mit Dorians Hilfe abgewehrt. Hermes Trismegistos wird klar, dass er für das Entstehen der Psychos auf Malkuth verantwortlich ist. Um zu büßen, geht er durch eins der letzten Tore nach Malkuth.

Olivaro, das frühere Oberhaupt der Schwarzen Familie und selbst ein Januskopf, beschließt, seine auf der Erde gestrandeten Artgenossen zu jagen. Ein Diener des Januskopfes Pyko hext Dorian eine magische Pest an. Der Dämonenkiller droht bei lebendigem Leib zu verfaulen. Olivaro opfert sein zweites Gesicht und befreit Dorian von der magischen Pest. In die Erleichterung mischt sich Trauer: Der Tod des Trigemus weist darauf hin, dass Hermes Trismegistos auf Malkuth gestorben ist.

Kurz darauf erinnert sich Dorian an sein sechstes Leben. Im Dreißigjährigen Krieg begleitete er als Junge Gabor die Marketenderin Bethela. Diese verweigerte Asmodis Befehl, die Pest zu verbreiten, und wurde mit einem tödlichen Fluch belegt. Die junge Hexe Libussa – Bethelas Ziehtochter – und Gabor bergen Dokumente über seine Herkunft: Er ist Matthias Troger von Mummelsee. In Würzburg bewahrt Gabor Libussa davor, als Hexe verbrannt werden. Der Hausgeist Zicci, den Libussa um Hilfe ausgeschickt hat, landet indes unerwartet in unserer Zeit.

DIE PESTBURG

von Logan Dee

»Wenn Sie mir bitte folgen möchten, meine Herrschaften ... vorsichtig, die Stufen sind hier sehr glatt. Halten Sie sich gut am Geländer fest, das übrigens erst vor zweiundzwanzig Jahren nach erheblichem Kampf mit der Denkmalbehörde hier angebracht worden ist, nachdem ein Besucher auf dieser Treppe ausgerutscht ist und so unglücklich fiel, dass er sich das Genick gebrochen hat.«

Verhaltenes Gelächter war zu hören. Eine Stimme von weiter hinten ulkte: »Und seitdem spukt sein Geist hier herum.«

Die Führerin war stehen geblieben. Die etwa zwanzig Besucher, die an diesem diesigen Morgen den Weg zur Burg Greifenstein im nördlichen Schwarzwald gefunden hatten, verharrten ebenfalls. Nur der Schein der Fackeln, die rechts und links in den Wänden verankert waren, erhellte die Prozession.

»Darüber macht man keine Scherze!«, wies die alte Frau den Vorlauten zurecht. Elisabeth Waldmüller hasste den Job, den sie hier ausübte. Die allermeisten der Touristen waren ungebildete Halbidioten. Am schlimmsten waren die, die auch noch ihre Bälger mitbrachten, damit diese überall ihre Kaugummis hinkleben konnten.

1. Kapitel

»Tatsächlich spukt es auf Burg Greifenstein, und ich kann Ihnen versichern, dass der hiesige Burggeist keinen Spaß versteht.«

»Hui-Buuuh!«, rief eines der Kinder. Abermals Gelächter.

»Noch lachst du, du vorlauter Bengel! Aber warte, bis der Geist dir erscheint. Ganz besonders gerne dreht er vorlauten Kindern wie dir den Hals um.«

»Nun machen Sie dem Kind doch keine Angst!«

Elisabeth Waldmüller kicherte. Zumindest hatte sie erreicht, dass die anwesenden Kinder nun eingeschüchtert waren. Also herrschte Ruhe. Sie spürte die Missstimmung unter den Anwesenden und war zufrieden. Sie hasste es, wenn man der Burg und ihren Geistern nicht den gehörigen Respekt entgegenbrachte.

»Übrigens«, fuhr sie fort, »ich hätte das Geländer nicht anbringen lassen. Und nun lassen Sie uns weitergehen, ich will schließlich nicht den ganzen Vormittag hier unten verbringen.«

Sie murmelte noch einige unverständliche Worte in ihren Damenbart und ging voran. Die steinernen Stufen wanden sich hinab in die Tiefe. Die Feuchtigkeit setzte sich mit jedem Atemzug mehr auf die Lungen.

»Wie tief geht es denn noch hinab?«, fragte ein älterer Herr. Typ pensionierter Geschichtslehrer, schätzte Elisabeth Waldmüller ihn respektlos ein. Hatte wahrscheinlich nichts anderes zu tun, als noch mal kurz in der Weltgeschichte herumzureisen, bevor sich der Sargdeckel über ihm schloss.

»So tief, dass niemand mehr die Schreie der hier unten gefolterten Jungfrauen hören konnte. Keine Sorge, wir haben es gleich geschafft. Allerdings kann ich keine Garantie dafür übernehmen, dass Sie es auch wieder hinaufschaffen. Aufzüge kannte man leider damals noch nicht.«

Niemand wagte mehr, einen Einwurf oder gar einen Scherz zu machen. Kinder wie Erwachsene waren verstummt. Zu bedrückend war die Atmosphäre. Außerdem schien diese Führerin nicht alle Tassen im Schrank zu haben.

Nun kicherte sie abermals, während sie fortfuhr: »Hier unten, am Fuße der Treppe, fand man vor zehn Jahren den Kopf des damaligen Burgherrn, Graf Konstantin von Greifenstein.« Sie wartete, bis alle Besucher das Ende der Treppe erreicht und einen Halbkreis um sie gebildet hatten. »Sie alle haben darüber wahrscheinlich in den Zeitungen gelesen. Laut Aussagen seiner damaligen Gemahlin, der Gräfin von Greifenstein, hörten die Eheleute eines Nachts merkwürdige Geräusche aus dem Keller ...«

»Ich dachte, dieser Keller liegt so tief, dass keine Schreie mehr nach oben dringen!«

Elisabeth Waldmüller bedachte den Störenfried mit einem eiskalten Blick. »Sehr richtig, ich sprach von Schreien – von den Schreien der Gefolterten. Die Geräusche, die die damaligen Besitzer jedoch vernahmen, waren von anderer Art. Die Aussagen der Gräfin, die sie gegenüber der Polizei machte, waren in dieser Hinsicht sehr präzise: Sie sprach von einem Heulen und Wimmern, so als würde ein vielhundertköpfiger Chor gemarterter Seelen direkt aus der Hölle nach oben dringen.«

»Das ist doch verdammter Unsinn!« Wieder dieser Geschichtslehrer. »Wer glaubt denn heutzutage noch an solche Ammenmärchen?«

Sie sprach ungerührt weiter. »Obwohl ihn seine Frau anflehte, die Polizei zu rufen, spürte der Graf ausgerechnet in dieser Nacht das blaue Blut seiner Vorfahren in sich pochen, die seit dem Dreißigjährigen Krieg manchen Kampf gefochten hatten, und er beging den Fehler, allein nach dem Rechten zu sehen. Man fand seinen Körper etwa auf der Hälfte der Treppe, also gut zwanzig Meter weiter oberhalb, während der Kopf genau hier lag!«

Sie genoss jedes Mal aufs Neue den Augenblick, in dem sie mit der Fackel auf den verwaschenen Fleck zeigte. Ein paar der Besucher traten instinktiv ein paar Schritte zurück. »Der Kopf war völlig ausgeblutet. Man versuchte, den Fleck zu entfernen, aber bislang ist er jedes Mal nach ein paar Tagen wieder sichtbar geworden.« Sie machte eine Kunstpause, genoss es, dass niemand mehr eine Bemerkung wagte. »Keiner hat jemals herausgefunden, was in jener Nacht tatsächlich geschehen ist. Die Gräfin wurde wahnsinnig, die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte sie in einer Irrenanstalt – in ihren Kreisen nannte man es Pflegeheim. Ich habe sie einmal dort besucht, und glauben Sie mir, die Erinnerung an das Grauen, das in ihren Augen lag, lässt mich noch heute frösteln. Den Ärzten gegenüber behauptete sie, nachts noch immer jene heulenden Stimmen aus der Hölle zu vernehmen. Als sie vor fünf Jahren starb, ging die Burg in den Besitz des Landes über. Es gab keine Erben. Seitdem also bestimmen wieder echte Raubritter über die Geschicke dieser Burg.«

Niemand lachte über diesen Witz.

»Wenn Sie mir nun bitte weiter folgen möchten, gleich dort vorne befindet sich die Folterkammer. Ich erinnere Sie noch einmal daran, dass Sie für Ihre geistige Gesundheit und die Ihrer Kinder selbst verantwortlich sind.«

Abermals ging sie voran. Die Besucherschar folgte nur zögernd. Einige atmeten sichtbar auf, als sie den Folterkeller betraten. Außer einer Streckbank und einer Eisernen Jungfrau war er leer und wirkte seltsam unatmosphärisch. Wahrscheinlich hatten die meisten mit weiteren Schockgeschichten der Alten gerechnet, doch die schien sich hier unten selbst unwohl zu fühlen.

»Wo sind die Hexen?«, fragte ein zehnjähriger Junge mit Bürstenhaarschnitt.

»Die kommen dich gleich holen!«, antwortete sie scharf. »Der Folterkeller wurde nur wenige Jahre genutzt«, fuhr sie schließlich fort. Man spürte, dass ihr jedes Wort plötzlich schwerfiel. Ihr Atem ging plötzlich rasselnd. »Sie wissen, wie man Burg Greifenstein im Volksmund nennt: Die Pestburg!«

Die Touristen nickten.

»Und die meisten von Ihnen werden auch die Legende kennen, wie sie zu diesem unrühmlichen Namen kam. Es war an einem kalten Novemberabend im Jahre 1627, als ein unbekannter Ritter am Burgtor klopfte und um Asyl bat. Damals zog allerhand Gesindel umher, sodass es wohlüberlegt sein musste, jemandem ein solches zu gewähren. Zumal man nie sicher sein konnte, welches Geschmeiß man damit noch anzog. Man verweigerte dem Hilfesuchenden den Zutritt zur Burg, worauf er seinen legendären Fluch ausstieß. Er verfluchte die Burgherren und all jene, die sich innerhalb der Mauern befanden, darunter auch die zahlreichen Bauern und Städter, die sich vor den Kriegswirren hierher geflüchtet hatten. Sie alle sollte die Pest dahinraffen! Nun, wie Sie aus den Geschichtsbüchern sicherlich wissen, erfüllte sich dieser Fluch ...«

»Was kein Wunder war«, schaltete sich der grauhaarige Lehrertyp wieder ein. »Immerhin wüteten damals im ganzen Land Pest und Cholera. Es heißt, dass bis 1650 die Bevölkerung Deutschlands von siebzehn Millionen auf vier Millionen gesunken sein soll. In Böhmen war nur mehr ein Drittel der ursprünglichen Bevölkerung vorhanden, und in Bayern hatte es vierzigtausend Familien dahingerafft.«

Elisabeth Waldmüller beachtete ihn nicht. Sie fuhr fort: »In ihrer Not zogen sich die letzten Unversehrten, die die Pest noch nicht in sich trugen, immer tiefer in die Burg zurück. Sie verbarrikadierten sich hier unten, benutzten diesen Keller und die umliegenden Gänge als letzte Zuflucht. Unter ihnen befand sich der Kupferstecher und Stuckateur Andreas Tillmann.«

Abermals legte sie eine Pause ein. Jeglicher beißender Spott war ihr vergangen. Vor diesem Teil der Besichtigung fürchtete sie sich jedes Mal aufs Neue. Früher hatte es ihr nichts ausgemacht, aber in letzter Zeit hatte sie mehr denn je das Gefühl, dass sich hier unten etwas tat. Dass hier Dinge geschahen, vor denen man lieber die Augen verschloss. In den letzten Nächten hatte sie mehrmals von der Gräfin geträumt – und von den Stimmen aus der Hölle, die diese angeblich vernommen und in den Wahnsinn gestürzt hatten.

Nur deswegen, um ihre eigene Angst möglichst zu überspielen, war sie am Anfang jeder Führung derart barsch zu den Besuchern. Und an spukende Geister glaubte sie genauso wenig wie die Touristen. Nicht an Geister.

Aber an viel schlimmere Wesen.

»Ich bitte Sie nun, sich auf den eigentlichen Höhepunkt dieser Führung vorzubereiten und zu bedenken, dass dieser Anblick nichts für schwache Nerven ist. Jugendliche unter sechzehn Jahren müssen an dieser Stelle zurückbleiben.«

Widerspenstiges Gemurmel. Sie kannte das, war aber in dieser Hinsicht rigoros. Sowieso konnte sie die Eltern nicht verstehen, die ihre Bälger mit herunterschleppten.

»Keine Widerrede!«, erklärte sie mit autoritärer Stimme. Sie blickte die drei Kinder, die diesmal an der Führung teilgenommen hatten, streng an. Außer dem Jungen mit dem Bürstenhaarschnitt befand sich ein etwa achtjähriges Mädchen mit seinem kleineren Bruder darunter.

»Mami, ich habe Angst«, erklärte das Mädchen.

»Hier ist noch keinem Kind der Kopf abgeschlagen worden«, versicherte Elisabeth Waldmüller.

»Ich bleibe auch hier«, erklärte eine der Mütter. »Ich habe jetzt schon genug von Ihren Schauergeschichten.«

»Aber bleiben Sie hier stehen! Rühren Sie sich nicht von der Stelle. Versuchen Sie nicht, auf eigene Faust den Ausgang zu finden!«, ermahnte die Führerin sie. »Ich habe keine Lust, Sie nachher zu suchen oder mich gar um irgendwelche Knochenbrüche kümmern zu müssen.« Sie schaute noch einmal fest in die Augen der Gruppenteilnehmer. »Möchte sonst noch jemand hierbleiben? Also niemand. Schön, dann folgen Sie mir bitte weiter.«

Sie ging voran, doch mehr noch als an den Tagen zuvor hatte sie das Gefühl, dass jeder Schritt vorwärts schwerer und schwerer fiel. Gleichzeitig drückte etwas auf ihre Lungen, sodass ihr das Atmen Mühe bereitete. Den anderen schien es nicht besser zu gehen. Das schwere Schnaufen der Leute war unüberhörbar. Schließlich verhielt sie vor einem weiteren Durchgang.

»Nach und nach raffte die Pest auch die Letzten hier unten dahin. Einzig Andreas Tillmann blieb von ihr verschont. Allerdings wagte er sich nicht wieder nach oben, und je länger er sich hier verschanzte, umso verwirrter wurde sein Geist. Außerdem wurden die Nahrungsmittel knapp ... Wasser hatte er ja genug.« Sie leuchtete mit der Fackel auf die bloßen Felswände, von denen Feuchtigkeit tropfte. »Aber schließlich wächst hier unten kein Getreide. Nun ja, Sie ahnen es: Er verköstigte sich an den Leichen, er wurde zum Menschenfresser, genauer gesagt, zum Aasfresser, denn er hatte natürlich auch keine Möglichkeit, um ein Feuer zu entzünden. Eigentlich hätte er spätestens, nachdem er von dem ersten Toten gegessen hatte, ebenfalls mit der Pest infiziert werden müssen, aber er schien tatsächlich immun gegen den Keim zu sein. Dafür schnappte er nun vollends über. Zum Glück, wie man aus heutiger Sicht sagen kann. Denn er schuf aus den Knochen der Toten ein bis heute einmaliges Gesamtkunstwerk, welches kultur- und kunstgeschichtlich den Höhepunkt der sogenannten Totentänze bildet!«

Und mit diesen Worten schritt sie durch den schmalen Durchgang in den nächsten Raum. Die Besucher, die ihr nachfolgten, erstarrten erschrocken. Die meisten von ihnen hatten bereits oben an der Kasse den berüchtigten Greifensteiner Totentanz auf Postkarten und Postern erblickt. Aber es war ein Unterschied, ihm hier unten leibhaftig gegenüberzustehen.

Andreas Tillmann hatte wirklich eine beeindruckende Arbeit abgeliefert: Aus halb verwesten Leichen und den abgenagten Knochen der Toten hatte er eine beängstigende Totentanz-Skulptur geformt. Eindeutig waren verschiedene Charaktere zu erkennen: Papst, Kaiser, Kardinal, Richter, Ratsherr, Pfarrer, Astronom, Greisin, Arzt, Soldat, Marketender, Ritter ...

»Insgesamt umfasst der Totentanz siebzehn Figuren, wobei der Tod die achtzehnte darstellt. Wie in allen Totentänzen wollte Tillmann auch hier zum Ausdruck bringen, dass der Tod beziehungsweise die Pest alle Stände bedroht, Bettler und Edelmann, Papst und Kirchgänger, Ratsherr und Bürger ...«, dozierte Elisabeth Waldmüller, wobei sie die grausigen Figuren nach und nach mit dem Lichtschein der Fackel den Schatten entriss. »Die klimatischen Verhältnisse hier unten lassen die Leichen nicht verwesen – wenigstens so gering wie möglich. Sie sind im Laufe der Jahrhunderte etwas eingetrocknet, das ist alles. Ein Arbeitskreis von Wissenschaftlern der Universität Freiburg prüft zurzeit wieder einmal, wie dies nach so langer Zeit möglich ist ...«