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Wenn das kein Grund zum Jubeln ist! Die alleinerziehende Ärztin Greta Riedel aus München, die sich an der Charité in Berlin um eine Assistenzarztstelle beworben hat, wird zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Bereits einen Tag vor dem Termin fliegt die junge Frau in die Hauptstadt und lässt ihre fünfjährige Tochter Sophie in der Obhut ihrer Mutter zurück.
Das Bewerbungsgespräch läuft wunderbar, und der Personalchef macht ihr Hoffnung auf eine Einstellung. Als Greta abends zu Hause anruft, erzählt ihr die kleine Sophie, es sei alles in Ordnung und die Oma würde schon ganz, ganz fest schlafen.
Im ersten Moment ist Greta beruhigt, doch dann kommt ihr ein furchtbarer Gedanke ...
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Seitenzahl: 127
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Komm nach Hause, Mama!
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock/Pressmaster
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4600-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Komm nach Hause, Mama!
Packender Arztroman um eine dramatische Rettungsaktion
Von Katrin Kastell
Wenn das kein Grund zum Jubeln ist! Die alleinerziehende Ärztin Greta Riedel aus München, die sich an der Charité in Berlin um eine Assistenzarztstelle beworben hat, wird zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Bereits einen Tag vor dem Termin fliegt die junge Frau in die Hauptstadt und lässt ihre fünfjährige Tochter Sophie in der Obhut ihrer Mutter zurück.
Das Bewerbungsgespräch läuft wunderbar, und der Personalchef macht ihr Hoffnung auf eine Einstellung. Als Greta abends zu Hause anruft, erzählt ihr die kleine Sophie, es sei alles in Ordnung und die Oma würde schon ganz, ganz fest schlafen.
Im ersten Moment ist Greta beruhigt, doch dann kommt ihr ein furchtbarer Gedanke …
Nachdem Greta im Berliner KaDeWe eine Bluse und einen Pulli gekauft hatte, spazierte sie über den Kurfürstendamm und beschloss spontan, sich im Café Kranzler ganz glamourös ein Glas Sekt zu gönnen.
Sie fand einen freien Tisch, nahm Platz und gab ihre Bestellung auf. Während sie auf das Getränk wartete, telefonierte sie kurz mit ihrer Mutter in München. Um die anderen Gäste nicht zu stören, sprach sie leise.
„Ja, der Flug war gut, keine Verspätung.“
„Nein, sagen kann ich dir noch nichts. Der Termin ist ja erst morgen.“
„Hier ist es zum Glück trocken, kein Regen.“
Die Kellnerin stellte das gefüllte Glas auf den runden Bistrotisch.
„Ich sitze gerade im Café Kranzler. Ja, Berlin gefällt mir gut. Und bei euch alles okay?“
Die Antwort schien die Frau mit den smaragdgrünen Augen zu befriedigen.
„Das ist gut“, meinte sie erleichtert. „War sicher nur eine kleine Magenverstimmung.“
„Das Hotel? Es ist gut und liegt günstig. Nein, nicht allzu teuer. Bis zur Charité könnte ich sogar zu Fuß gehen, aber morgen werde ich mir zur Feier des Tages trotzdem ein Taxi nehmen.“
„Ja, drück mir die Daumen. Wenn es klappt, gehen wir alle drei nach Berlin. Ach, mach dir keine Sorgen, du wirst dich schon an die Stadt gewöhnen.“
Während Greta den Worten ihrer Mutter lauschte, lächelte sie nachsichtig.
„Ich weiß, Berlin ist anders als München, aber mein erster Eindruck ist wirklich sehr positiv.“
„Aber nein, Mama, du bist noch nicht zu alt für einen Tapetenwechsel. Wenn ich die Stelle kriege, werde ich gleich einen Makler beauftragen, nach einer Wohnung für uns zu suchen.“
„Klar, mindestens vier Zimmer. Ich melde mich morgen wieder. Leg dich schlafen. Morgen wird es dir noch besser gehen. Und gib Sophie einen Kuss von mir.“
Eine halbe Stunde später verließ Greta das Café wieder. Sie wollte jetzt noch irgendwo eine Kleinigkeit essen. Vorhin war sie an einem italienischen Restaurant vorbeigekommen, das von außen einen ganz guten Eindruck machte. Große Ansprüche hatte sie heute ohnehin nicht. Ein Teller Pasta mit Tomatensauce würde ihr schon reichen.
Sie ging nicht gern allein in ein Lokal zum Essen, aber ihr blieb nun mal nichts anderes übrig. Als Bernd noch lebte, waren sie oft ausgegangen, Theater, Konzert, Kino – sie ließen sich nichts entgehen. Mindestens einmal pro Woche hatte er sie zum Essen ausgeführt.
Niemals würde sie diese glücklichste Zeit ihres Lebens vergessen. Es war wundervoll, mit einem geliebten Menschen vertraut bei Kerzenschein am Tisch zu sitzen, sich über das gute Essen und den guten Wein zu freuen. Und auch auf die Stunden danach zu Hause, wenn sie sich endlich wieder in die Arme sinken und sich ihre tiefe Liebe zeigen konnten.
Noch immer empfand sie bei solchen Gedanken Wehmut und Trauer, aber diese Gefühle schmerzten nicht mehr so sehr wie damals. Was ja auch richtig war. Kein Mensch durfte ewig trauern. Und irgendwann nach einem solchen Schicksalsschlag stellte man erstaunt fest, dass sich die Welt trotz allem einfach weiterdrehte.
Greta hatte sich vorgenommen, nur noch an die schöne Zeit mit Bernd zu denken. Zwar konnte sie die tragischen Umstände seines Todes niemals vergessen, die Erinnerung daran aber wenigstens in den Hintergrund drängen.
Auf die Frage, warum ausgerechnet ihr Bernd so früh sein Leben verlieren musste, würde sie ohnehin nie eine Antwort finden. Bei einer Bergwanderung war einer seiner Schüler in eine brenzlige Situation geraten. Beim Versuch, ihm zu helfen, war Bernd in den Abgrund gestürzt. Beim Eintreffen der Bergrettung war er schon tot gewesen, der Junge hingegen konnte gerettet werden.
Das Schicksal war manchmal grausam, manchmal beglückend, Gerechtigkeit aber kannte es nicht.
Die Leuchtschrift des Lokals geriet in ihr Blickfeld. Dass ihr jemand in einem immer kürzer werdenden Abstand folgte, bemerkte die junge Frau nicht.
Dann geschah alles sehr schnell. Jemand riss ihr die Handtasche vom Arm. Ehe Greta begriff, was ihr da gerade widerfuhr, stieß jemand sie zur Seite und lief davon. Sie strauchelte, konnte sich aber noch fangen.
Im gleichen Moment bremste ein Fahrzeug neben ihr. Eine Person sprang heraus und rannte dem Dieb hinterher. In Greta machte sich Panik breit. Sie schrie.
Nach endlosen Sekunden sah sie einen der beiden zurückkommen. Es war der Mann aus dem Fahrzeug. Er hielt ihre Tasche in der Hand.
„Die gehört wohl Ihnen“, sagte er. „Haben Sie sich wehgetan?“
Greta zitterte am ganzen Körper.
„Nein. Ich glaube nicht.“
„Leider habe ich den Kerl nicht packen können. Er war schneller als ich. Die Tasche hat er fallen lassen. Schauen Sie gleich nach, ob was fehlt.“
Hektisch inspizierte sie den Inhalt ihrer Tasche und stellte schockiert fest, dass ihr Handy und das Portemonnaie mit hundertzwanzig Euro fehlten. Es hätte noch schlimmer kommen können, doch zum Glück befand sich ihre Brieftasche mit Kreditkarte, Personalausweis und Gesundheitskarte in der Innentasche ihres Mantels.
„Fehlt was?“, fragte der Mann teilnahmsvoll.
Greta schaute nochmals in die Tasche. Der Lippenstift war noch drin, der Kamm, der Schlüsselbund von zu Hause, ein Päckchen Taschentücher, ein kleiner Handspiegel.
„Geld und Handy“, erwiderte sie schließlich.
„Viel Geld?
„Über hundert Euro. Aber das ist nicht das Schlimmste. Mehr Sorgen macht mir das Handy.“
„Das sollten Sie sofort sperren lassen, damit der Dieb nicht auf Ihre Kosten telefonieren kann. Sonst könnte eine gewaltige Rechnung auf Sie zukommen. Wer ist Ihr Mobilfunkanbieter?“ Er zog sein eigenes Handy heraus.
Greta nannte ihm den Namen des Anbieters.
„Bei dem bin ich auch“, sagte der Mann und tippte ein paarmal auf seinem Handy herum. „So, hier ist die Nummer der Service-Hotline. Nehmen wir das doch gleich in Angriff. Soll ich das für Sie erledigen?“
Die bestohlene Frau brachte nur ein schwaches Nicken zustande. Sie nannte ihm ihre Mobilfunk-Nummer. Der Mann veranlasste alles Nötige.
„Die Sperrung ist erledigt“, sagte er. „Jetzt kann niemand mehr mit Ihrem Handy schlimme Dinge anstellen. Aber damit alles seine Ordnung hat, sollten wir jetzt noch zur Polizei gehen, um den Diebstahl anzuzeigen. Natürlich werde ich bezeugen, was Ihnen passiert ist.“
„Glauben Sie denn, dass man den Dieb noch stellen kann?“
Der Mann schüttelte den Kopf. „Eher nicht, aber man weiß ja nie.“
Er machte einen äußerst sympathischen Eindruck auf Greta. Allmählich beruhigte sie sich ein wenig. Aber sie stellte auch fest, dass ihr Berlin nach diesem unerfreulichen Erlebnis gar nicht mehr so sympathisch war.
„Kommen Sie, ich fahre Sie hin.“
Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte sie, ob sie sich zu dem Fremden ins Auto setzen sollte, doch dann wischte sie ihre Bedenken beiseite. Er sah nicht aus wie jemand, der Böses im Schilde führte. Und sie war ja von Herzen froh, dass er ihr so selbstlos half.
Die Diebstahlsanzeige bei der Polizei war schnell erledigt. Sie ließ ihre Daten zurück. Für den Fall, dass man den Dieb fasste, würde man sie sofort benachrichtigen. Vor der Dienststelle reichte sie dem Fremden die Hand.
„Danke für Ihre Hilfe“, sagte sie. „Wie kann ich das nur wiedergutmachen?“
„Indem Sie mit mir essen gehen“, schlug er lächelnd vor. „Natürlich nur, wenn es Ihre Zeit erlaubt. Hier in der Nähe gibt’s einen guten Italiener. Aber zunächst möchte ich mich vorstellen. Mein Name ist Anton Halbach.“
Greta gab ihm die Hand.
„Vielen Dank für Ihren Beistand.“
„Wenn Sie noch jemanden aus der Familie anrufen wollen … bitte bedienen Sie sich.“
Greta überlegte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. Warum sollte sie jetzt noch ihrer Mutter von dem Vorfall erzählen? Sie würde sich nur unnötig aufregen. Denn das, was passiert war, ließ sich nicht mehr ändern. Es reichte, wenn sie sich morgen vom Hotel aus meldete.
Sie fuhren ein paar Kilometer mit dem Auto. Anton Halbach parkte in einer Tiefgarage. Von dort mussten sie noch ein paar Schritte laufen.
Im Lokal war noch ein Tisch für zwei Personen frei. Herr Halbach war ein Kavalier und rückte ihr den Stuhl zurecht. Aufatmend nahm Greta Platz. Vielleicht endete der Abend doch noch gut.
***
Es war zwanzig Uhr dreißig, als der junge Mann in der Rettungsleitstelle den fünften Notruf in seiner Schicht entgegennahm. Einer davon hatte sich gleich durch das Gespräch erledigt. Bei den drei anderen organisierte er umgehend die Abfahrt der Rettungsmannschaften. Beim letzten blieb er sogar mit einem verzweifelten Mann in Verbindung und gab bis zum Eintreffen der Sanitäter telefonisch Erste-Hilfe-Anweisungen.
Doch jetzt drohte einiges schiefzulaufen. Die Anruferin in der Leitung konnte kaum sprechen. Es schien ihr große Mühe zu bereiten, ihre Worte verständlich zu formulieren. Was sie sagen wollte, kam ihr nicht deutlich genug über die Lippen. Ihm war sofort klar, dass hier ein dringender Notfall vorlag, vermutlich ein Schlaganfall. Die Nervosität des Diensthabenden wuchs.
„Versuchen Sie es noch einmal, bitte …“
„Hilfe …“
„Ja, selbstverständlich helfen wir Ihnen. Wir wollen keine Zeit verlieren. Aber ich muss wissen, wo Sie sind …“
„Kopfweh … fürchterlich …“ Lang gezogene Stöhn- und Schmerzlaute und heftiges Ringen nach Luft. „… kann nichts sehen … kommen … schnell …“
„Bleiben Sie ganz ruhig.“ Ohne wichtige Informationen konnte er keinen Wagen losschicken. Wohin auch? „Wie heißen Sie?“
„Kauf … Kaufmann …“
Immerhin. Er schrieb den Namen sofort auf.
„Und der Vorname?“
„Agnes …“
„Was ist geschehen, Frau Kaufmann?“
Die Frau gab ein herzzerreißendes Wimmern von sich.
„… Kopfweh … unerträglich.“ Jeder einzelne Buchstabe forderte offenbar eine enorme Kraftanstrengung von ihr.
„Wo sind Sie, Frau Kaufmann? Wo?“
„… Ludwigs …“
„Ludwigs – was? Sagen Sie Ihre Anschrift. Versuchen Sie es. Ludwigstraße?“
„Nein …“, krächzte die Stimme kurz vorm Ersterben.
„Ludwigsfelder Straße?“ Mehr an ähnlichen Straßennamen fiel ihm nicht ein.
„… Ludwigstaler …“
„Ludwigstaler Straße.“ Ihm fiel ein riesiger Stein vom Herzen. Hastig notierte er den Straßennamen. „Und weiter, die Nummer?“
„Zwölf …“
„Ludwigstaler Straße zwölf. Sind Sie allein? Wie viele Personen …“
Ihr Aufstöhnen unterbrach seine Frage. Ein dumpfer Schlag kam aus dem Telefon. Als wenn etwas zu Boden gefallen wäre. Ein Möbelstück? Die Anruferin?
Das Gespräch war weg. Sofort versuchte er, mit der auf dem Display angezeigten Nummer eine neue Verbindung herzustellen, ohne Erfolg. Er hörte nur noch das Besetztzeichen. Eilig leitete er alles Nötige in die Wege.
Wenige Minuten später fuhr ein Ambulanzfahrzeug mit Blaulicht und Sirene von der Berling-Klinik in Richtung Ludwigstaler Straße. Am Steuer saß Sanitäter Rolf, neben ihm Dr. Martin Bremer, der vor dem Einsatz mit dem Kollegen Jordan in der Ambulanz Bereitschaftsdienst gehabt hatte.
Bis jetzt war der Abend trotz der wolkenbruchartigen Regenfälle ruhig verlaufen. Jan Jordan würde für einige Zeit auch ohne ihn zurechtkommen.
Das, was die Notrufzentrale mitgeteilt hatte, klang nach einer hilflosen Person, die sich nicht mehr artikulieren konnte. Dafür kamen so viele Ursachen infrage, dass es eigentlich müßig war, jetzt schon gedanklich die Erkrankungsmöglichkeiten durchzugehen.
Obwohl – extremer Kopfschmerz und Sehstörungen waren eindeutige Zeichen einer neurologischen Störung. Der Stimme nach zu urteilen, sollte es sich um eine ältere Frau handeln, hatte die Leitstelle mitgeteilt. Aber ein solcher Eindruck konnte auch täuschen, vor allem dann, wenn körperliche Schmerzen die Tonlage verzerrt klingen ließen.
Rolf hielt das Lenkrad fest umklammert. Ein heftiger Sturm mit riesigen Wassermengen im Gepäck fegte über Bayern hinweg. Das Tief Fabian war ein echter Rabauke und ließ die Menschen spüren, was es draufhatte. Eimerweise klatschte der Regen gegen die Windschutzscheibe. In manchen Regionen Bayerns war schon vor Überschwemmungen gewarnt worden.
„Das kann ja heiter werden“, knurrte Rolf.
„Das kriegen wir schon hin“, beruhigte der Arzt den Mann am Steuer. „Hoffentlich kommen wir in die Wohnung. Der Anruf ist plötzlich abgebrochen. Wir wissen also nicht, was da passiert ist.“
Ziemlich schwungvoll bog der Fahrer in die Ludwigstaler Straße ein. Zu beiden Seiten des Wagens spritzten dichte Wasserkaskaden auf.
Dr. Bremer versuchte durch den dichten Regenvorhang etwas zu sehen.
„Da, die Nummer zwölf!“, rief er erleichtert.
Rolf bremste scharf, parkte in der zweiten Reihe und ließ das Blaulicht eingeschaltet. Der Arzt sprang aus dem Wagen. Auf den wenigen Metern bis zur Haustür wurde er nass bis auf die Haut. Er rettete sich unter das Vordach und studierte angestrengt die Klingelschilder – und fluchte. Der von der Leitstelle kommunizierte Name war nicht dabei.
Daher klingelte er einfach irgendwo. Sofort wurde geöffnet. Im Erdgeschoss erschien ein junger Mann im Türrahmen.
„Wir haben einen Notruf bekommen. Wohnt hier eine Frau namens Kaufmann?“
Der Angesprochene zog ratlos die Schultern hoch.
„Nicht, dass ich wüsste. Aber fragen Sie Frau Leitner. Sie wohnt im zweiten Stock und kann Ihnen bestimmt weiterhelfen.“
Sollte die Anschrift doch falsch sein? Dr. Bremer hechtete nach oben. Ihm blieb jetzt keine Zeit, um lange Überlegungen anzustellen. Entweder er fand die hilflose Person in diesem Haus, oder sie mussten unverrichteter Dinge wieder umkehren, was natürlich höchst unbefriedigend war.
Im zweiten Stock gab es zwei Wohnungstüren. An der linken stand der Name Leitner, an der rechten Riedel. Er klingelte an der ersten.
Eine Frau mittleren Alters öffnete ihm.
„Wir haben einen Anruf von Frau Kaufmann bekommen. Sie befindet sich offensichtlich in einer Notlage“, erklärte er kurz sein Anliegen.
„O mein Gott, was ist denn passiert?“ Die Frau starrte ihn erschrocken an. „Frau Kaufmann? Die finden Sie dort“, sagte sie und wies auf die Tür nebenan. „Sie ist die Mutter von Frau Riedel und hütet die Wohnung ihrer Tochter. Die ist zurzeit in Berlin.“
Martin bedankte sich für diese Auskunft und drückte anhaltend auf den Klingelknopf Riedel. Niemand kam, um zu öffnen. Er legte das Ohr an die Tür. Drinnen rührte sich nichts.
„Warten Sie, ich habe einen Schlüssel“, sagte die Nachbarin zögernd. „Glauben Sie wirklich, dass etwas passiert …“
„Holen Sie ihn schnell“, unterbrach sie der Arzt ungeduldig. „Sonst müssen wir die Tür einschlagen. Jede Minute zählt.“
Die Frau verschwand. Sekunden später kam sie zurück. Rolf hechtete soeben die Treppe hinauf. Er hatte den Arztkoffer und die Trage dabei.
Die Nachbarin schloss auf. Zu zweit betraten die Männer die Wohnung, während die Frau sich im Hintergrund hielt. Sie schien sich einen möglicherweise unschönen Anblick ersparen zu wollen.
Das Licht, das den Raum nur spärlich erhellte, kam von der Stehlampe, die auf dem Parkettboden lag. Sie war trotz des Sturzes heil geblieben. Eine ältere Frau saß vor dem Sofa, ihr Kopf lag auf der Kante. Es sah aus, als hätte sie es nicht mehr rechtzeitig auf die Sitzfläche geschafft.
Dr. Bremer beugte sich über die Frau. Rolf öffnete den Arztkoffer. Der Arzt entnahm ihm einen Blutdruckmesser und ein mobiles EKG-Gerät und begann mit den ersten Untersuchungen.
Die Frau mochte ungefähr Mitte sechzig sein. Sie atmete, aber ihr Bewusstsein war getrübt. Auch auf Martin Bremers Zuruf reagierte sie nur mit ein paar gestammelten Lauten, die er nicht deuten konnte.