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Henrik Sörensen sehnt sich nach einer Auszeit vom hektischen Münchner Stadtleben. Er unternimmt eine kleine Wanderung durch den stillen Grünwalder Forst, genießt den Moment nur für sich. Doch die Idylle endet abrupt. Ein Rascheln hinter ihm, dann ein bedrohliches Grunzen. Er dreht sich um - und sieht sich dem unbändigen Zorn eines ausgewachsenen Wildschweins gegenüber. Seine gewaltigen Hauer blitzen bedrohlich in der Sonne. Die kleinen Augen haben ihn fest im Visier. Kein Entkommen. Kein Entweichen. Henrik will nach seinem Rucksack greifen, sich langsam zurückziehen - doch da setzt das Tier zum Angriff an. Mit ungeheurer Wucht trifft es ihn. Schmerz durchzuckt seinen Körper. Er taumelt, stürzt - und das Wildschwein setzt erneut zum Angriff an. Und noch einmal. Es erwischt Henrik genau an der linken Seite seines Bauchs. Jede Faser in ihm schreit nach Flucht, doch sein Körper gehorcht nicht. Der Schmerz überwältigt ihn. Dann wird alles dunkel. Wird ihn jemand finden - bevor es zu spät ist?
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Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Notruf aus dem Grünwalder Forst
Vorschau
Impressum
Notruf aus dem Grünwalder Forst
Arztroman um eine Wildschwein-Attacke
Henrik Sörensen sehnt sich nach einer Auszeit vom hektischen Münchner Stadtleben. Er unternimmt eine kleine Wanderung durch den stillen Grünwalder Forst, genießt den Moment nur für sich. Doch die Idylle endet abrupt. Ein Rascheln hinter ihm, dann ein bedrohliches Grunzen. Er dreht sich um – und sieht sich dem unbändigen Zorn eines ausgewachsenen Wildschweins gegenüber. Seine gewaltigen Hauer blitzen bedrohlich in der Sonne. Die kleinen Augen haben ihn fest im Visier. Kein Entkommen. Kein Entweichen.
Henrik will nach seinem Rucksack greifen, sich langsam zurückziehen – doch da setzt das Tier zum Angriff an. Mit ungeheurer Wucht trifft es ihn. Schmerz durchzuckt seinen Körper. Er taumelt, stürzt – und das Wildschwein setzt erneut zum Angriff an. Und noch einmal. Es erwischt Henrik genau an der linken Seite seines Bauchs. Jede Faser in ihm schreit nach Flucht, doch sein Körper gehorcht nicht. Der Schmerz überwältigt ihn. Dann wird alles dunkel. Wird ihn jemand finden – bevor es zu spät ist?
Die Sonne hatte Mühe, sich einen Weg durch die Wolkendecke zu bahnen. Nur manchmal gelang es ihr, die Erde mit ihren warmen Strahlen zu beglücken. Obwohl es April war, war das Wetter recht stabil. Seit Tagen hatte es nicht mehr geregnet, sodass der Wald trocken genug war, um eine ausgiebige Wandertour zu unternehmen.
Henrik setzte sich auf einen Stein, der wirkte, als hätte ihn jemand als Sitzgelegenheit dorthin postiert. Seinen Rucksack stellte er vor sich ab. Nach zwei Stunden beschloss er, eine kurze Pause einzulegen. Zwar war er erst seit gestern Morgen unterwegs, aber er spürte die ungewohnte Belastung in seinem Körper. Er vermutete, dass er seitdem bereits dreißig Kilometer gewandert war.
Über ihm zwitscherten Vögel, als riefen sie sich untereinander zu, dass sie einen Besucher hätten. Henrik zog seine Wasserflasche aus der Seitentasche seines Rucksacks und blickte in die Richtung, aus der ein Hämmern zu hören war. Allerdings konnte er den Urheber des Geräuschs, den Specht, nicht ausfindig machen.
Hinter ihm erklang ein Rascheln. Nichts Ungewöhnliches für einen Wald im Frühling. Meistens waren Amseln dafür verantwortlich, da sie das gefallene Laub vom letzten Herbst nach Futter absuchten.
Henrik ließ seine Schultern sinken. Er fühlte sich fremd. Das Einzige, was ihm das Gefühl von Sicherheit gab, war die Einsamkeit des Waldes.
Obwohl der Vierunddreißigjährige die Schönheit des Grünwalder Forsts erkannte, wünschte er sich doch an einen anderen Ort. Seine Heimat war Norden, eine Kleinstadt in der Nähe von Norddeich. Die See lag nahe. Alles war flach. Keine Berge weit und breit, die ihm das Gefühl gaben, er würde eingeengt. Aber das Leben hatte ihn nach München geführt. Zu Edda, seiner großen Liebe. Und ihrer Familie.
Die Nagelauers hatten sich vor allem dadurch einen Namen gemacht, dass sie Zulieferteile für die Autoindustrie herstellten. Dadurch waren sie nicht nur bekannt, sondern auch wohlhabend geworden, wie sein zukünftiger Schwiegervater Günther zu sagen pflegte. Henrik fand, dass ein Jahreseinkommen von fünfeinhalb Millionen eher in die Sparte reich passte, hielt sich aber stets mit seinem Kommentar zurück. Da er bald selbst ein Teil der Firma sein würde, gestattete er sich keine Widersprüche gegen den Mann, der ihm eine attraktive Stelle als Ingenieur angeboten hatte.
In Gedanken versunken trank Henrik einen weiteren Schluck aus seiner Flasche. Das Wasser schmeckte süß.
Gestern war er im Perlacher Forst gewesen. Er war nur wenigen Menschen begegnet.
Edda war wenig begeistert gewesen, als er sie gebeten hatte, sich diese Auszeit zu nehmen. Da sie als Kind eines Machers aufgewachsen war, zeichnete sich auch die Neunundzwanzigjährige durch ihren Geschäftssinn aus. Zwar liebte sie es, in ferne und teure Urlaubsorte zu reisen, allerdings hatte sie nur wenig Verständnis dafür gehabt, als er ihr eröffnet hatte, dass er gerne eine Wandertour durch die Wälder Münchens unternehmen würde, um für seinen Start in der Firma noch einmal Kraft zu tanken. Da sie die Nase verzogen hatte, hatte er ihr erklärt, dass es eine Möglichkeit wäre, sich mit seiner neuen Heimat vertrauter zu machen. Das hatte sie schließlich umgestimmt. Dass Henrik bereits seit einem halben Jahr mit ihr und Günther in Grünwald lebte, hatte sie ihm glücklicherweise nicht vorgeworfen.
Tief atmete er die Luft ein. Obwohl er die Seeluft vermisste, genoss er den Geruch von Laub, Nadeln und Erde. Wieder raschelte es hinter ihm. Dann war ein Grunzen zu hören. Henrik erstarrte.
Aus Berichten wusste er, dass Wildschweine scheue Waldtiere waren, die vor Menschen flohen. Trotzdem sendete ihm sein Körper in diesem Moment andere Signale. Es genügte schon die Vorstellung, dass ein ausgewachsenes Tier einen Menschen angreifen konnte, um zu erahnen, wie aussichtslos die Chancen für Letzteren waren.
Langsam drehte sich Henrik zu dem Geräusch um. Sein Herz blieb stehen. Schließlich pochte es in ihm, als bedeutete es ihm wegzurennen.
Vor ihm stand ein ausgewachsenes Wildschwein. Seine Hauer standen seitlich ab und waren nach hinten gebogen. Die Augen waren klein, doch unverkennbar auf Henrik gerichtet.
Gerade als dieser nach seinem Rucksack greifen wollte, um sich zu entfernen, rannte das Wildschwein auf ihn los. In seinem Kopf überstürzten sich die Gedanken. Keinen davon bekam er zu fassen. Er streckte noch zur Abwehr die Hände aus, aber es war zu spät.
Als das Wildschwein ihn an der Seite erfasste, war Henrik wie betäubt. Alles in ihm sträubte sich dagegen zu glauben, was gerade geschah. Ein wirres Gefühl von Dankbarkeit durchströmte ihn, da er dachte, den Angriff überstanden zu haben, weil das Tier nun weglaufen würde. Aber er hatte sich getäuscht. Wieder rannte das Wildschwein auf ihn los und erwischte Henrik genau an der linken Seite seines Bauchs. Schmerz durchströmte ihn. Vom Gewicht des Wildtieres überwältigt, fiel er vom Stein und lag nun auf dem Boden. Immer wieder startete das Tier einen Angriff. Aber nun setzte Henrik Beine und Füße ein, um es abzuwehren.
Panik erfasste ihn. Gleichzeitig funktionierte sein Körper automatisch. Irgendwann schien das Tier genug von seinem Opfer zu haben, sodass es einen letzten Versuch startete, Henrik Schaden zuzufügen. Dann lief es schnaubend davon.
Henrik blieb wie erstarrt auf dem Boden liegen. Adrenalin durchströmte seinen Körper und sorgte dafür, dass ihm übel wurde. Der Schmerz in seinem Bauch war überwältigend. Vorsichtig öffnete er den Reißverschluss seiner Jacke und zog den Saum seines Shirts hoch. Dann verlor er das Bewusstsein.
***
Sanne Bachauer liebte den Wald im Frühling. Die wildesten Farben erblühten an den unmöglichsten Stellen. Jeden Tag veränderte sich die Natur in der Wärme der Sonne. Im Gegensatz zum Winter fühlte sich die Archivarin hier, als würde sie gemeinsam mit den Bäumen, Sträuchern, Stauden und Blumen neu erblühen. Dass sie außerhalb des Waldes nichts Großartiges erwartete, blendete sie für die Zeit ihrer Spaziergänge aus. Manchmal gelang es ihr. Meistens nicht.
Unter ihr knisterte der Boden wegen der gefallenen Nadeln. Hier und da lagen Tannenzapfen. Einmal war sie über einen Zapfen ausgerutscht und hatte sich schmerzhaft das Steißbein geprellt. Der Heimweg war mühsam gewesen.
Sanne ließ ihren Blick in die Ferne schweifen. Gerade blinzelte die Sonne durch eine Lücke in der Wolkendecke und warf Schatten auf den Waldweg. Unvermittelt blieb sie stehen und schloss ihre Augen. Die Wärme in ihrem Gesicht und die frische Luft gaben ihr das Gefühl von Reinheit.
Dann hörte sie ein sich schnell näherndes Geräusch. Sofort öffnete sie die Augen. Da, nur wenige Meter von ihr entfernt, überquerte ein Wildschwein ihren Weg. Es schien, als hätte es sie nicht wahrgenommen. Doch in ihrer Brust setzte ein Pochen ein. Sie war zwar schon häufig Wildschweinen begegnet, einmal sogar einer gesamten Rotte, allerdings hatte sie großen Respekt vor den Tieren, sodass sie sich in dem Fall immer leise entfernte.
Auch diesmal wartete sie ab, bevor sie weiterging. Es war möglich, dass weitere Tiere folgten, und sie wollte ihnen nicht im Weg stehen. Erst als sie nichts mehr hörte und sich sicher war, dass es sich um ein einzelnes Tier gehandelt hatte, ging sie weiter. Dabei schaute sie jedoch umsichtig nach links, rechts und auch hinter sich, um nicht überrascht zu werden.
Sanne atmete tief durch, als sie die Stelle hinter sich gelassen hatte, an der das Tier den Weg überquert hatte. Trotzdem nahm sie sich vor, weiterhin aufmerksam zu bleiben.
Sie folgte dem Weg bis zu einer Lichtung. Von hier aus erspähte sie eine Wiese, die zum Verweilen einlud. Obwohl sie schon seit ihrer Kindheit hier lebte, hatte sie diese Wiese noch nie betreten, da sie nicht wusste, wohin dieser Weg sie führte. Sanne mochte es zuverlässig und sicher. Manchmal verfluchte sie sich selbst dafür, dass sie so ängstlich gegenüber Neuem eingestellt war.
Schließlich ließ sie ihren Blick sinken und versteifte sich. Vor ihr, nur etwa zehn Meter einen seichten Hang hinunter, lag jemand auf dem Boden. In Sekundenschnelle durchlief ihr Gehirn alle Möglichkeiten. Die Person hatte sich zum Ausruhen hingelegt. Die Person war verletzt. Die Person hatte einen Herzinfarkt erlitten.
Als ihre Augen erfassten, dass sie in einem merkwürdigen Winkel dalag, wurde ihr bewusst, dass sich niemand auf diese Weise zum Ruhen bettete. Alles in ihr warnte sie, vorsichtig zu sein. Es handelte sich um jemanden Fremdes. Sie war hier allein. Doch dann handelten ihre Beine automatisch, sodass sie sich bereits auf dem Weg zu der Person auf dem Boden befand, noch während ihr Kopf ihr befahl, wegzulaufen.
***
»Notrufzentrale, was kann ich für Sie tun?« Heike hatte bereits seit fünf Stunden Dienst. Trotzdem kam nie Langeweile auf. Sie befand sich in der befriedigenden Situation, einen Beruf auszuüben, der ihr jeden Tag Sinn gab.
»Hallo?« Die Stimme klang panisch. »Hier liegt ein Mann.«
Heike erfasste die Situation, so gut sie konnte. Am anderen Ende der Leitung sprach eine Frau, noch jung. Sie hatte einen Mann gefunden. Vermutlich kannte sie diesen nicht, da sie ihn sonst vertraulicher genannt hätte.
»Mit wem spreche ich denn, bitte?« Heike blieb ruhig, damit auch die Anruferin ruhiger wurde.
»Ich heiße Sanne Bachauer. Ich habe einen Mann gefunden. Im Wald. Er ist bewusstlos.«
Heike notierte sich den Namen.
»Können Sie mir sagen, wo Sie sich im Moment befinden?«, hakte sie nach, um einen Krankenwagen zu informieren.
»Ich bin im Wald«, antwortete die Frau aufgeregt.
»In welchem Wald befinden Sie sich denn?«
»Im Grünwalder Forst. Bitte helfen Sie mir«, flehte die Frau. »Ich weiß nicht, was ich tun kann.«
Heike musste nicht überlegen. Ihre jahrelange Erfahrung in der Notrufzentrale sagte ihr, was zu tun war. Zunächst erkundigte sie sich nach dem Zustand des Mannes. Immerhin hatte er einen Puls.
»Frau Bachauer, jetzt ist es wichtig, dass Sie Ruhe bewahren. Dann möchte ich, dass Sie sich einmal umschauen.«
»Okay«, sagte die Stimme zitternd.
Heike konnte vor ihrem inneren Auge sehen, wie eine Frau auf dem Boden hockte und sich umsah.
»Können Sie einen Baum sehen, an dem ein grünes Schild hängt?«
Einige Sekunden erfolgte kein Ton, dann: »Ja, ja, ich sehe einen Baum mit so einem Schild.«
Heike atmete erleichtert aus.
»Sehr gut, Frau Bachauer. Das haben Sie gut gemacht. Können Sie von Ihrem Standpunkt aus die Nummer erkennen, die auf dem Schild steht?«
»Nein.«
»Das ist nicht schlimm. Bitte begeben Sie sich zu dem Schild und teilen Sie mir die Nummer mit. Erst dann kann ich einen Krankenwagen zu Ihnen losschicken«, erklärte sie der Hilfesuchenden.
»Okay«, wiederholte die Frau. Ihr Atem ging stoßweise. »Wozu brauchen Sie sie?«
»Sie geben uns Auskunft über Ihren Aufenthaltsort«, antwortete Heike.
»Ich kann sie jetzt lesen.« Anschließend teilte sie die Nummer mit. Heike benachrichtigte augenblicklich einen Krankenwagen, sodass dieser bereits losfahren konnte, während sie der Frau am Telefon weiter behilflich sein konnte.
»Nun gehen Sie wieder zu dem Mann zurück. Ist er weiterhin ohne Bewusstsein?«
»Warten Sie«, bat Sanne Bachauer. »Nein. Nein, er lebt ... ich meine, er ist bei Bewusstsein.«
»Sehr gut«, sprach Heike.
Dann erklang ein langanhaltender Ton. Sanne Bachauer hatte aufgelegt.
***
»Hallo? Können Sie mich hören?« In Sanne machte sich Erleichterung breit. Wenn der Mann vor ihr wach war, konnte das doch nur bedeuten, dass es nichts Schlimmes war, das ihn ereilt hatte.
»Ja«, antwortete er. Seine Stimme war gepresst. Er wandte den Kopf zu ihr.
In all der Aufregung hatte sie übersehen, wie jung der Mann war. Sie schätzte ihn auf ihr Alter, also in den Dreißigern. Seine Statur war sportlich. Er war gekleidet wie jemand, der seine Freizeit mit Outdoor-Beschäftigungen füllte.
»Tut Ihnen etwas weh?«
»Henrik«, sagte der Mann leise.
»Was?«, fragte sie verwirrt nach.
»Mein Name ist Henrik«, antwortete er unter Mühe.
Sanne hockte neben ihm. Ihre Hand lag auf seinem Arm, was ihr erst jetzt auffiel. Wann hatte sie angefangen, ihn anzufassen?
»Ich bin Sanne«, erwiderte sie. »Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Henrik.«
Er lachte. Dabei wurde ihre Hand auf seinem Arm ein wenig geschüttelt.
»Die Freude ist ganz meinerseits, Sanne.«
Auf seinem Gesicht lag ein gequältes Lächeln. Nichtsdestotrotz kam sie nicht umhin zu registrieren, wie attraktiv sein Gesicht war. Doch dann machte sich ihr schlechtes Gewissen breit, das sich erst damit beruhigen ließ, in dem sie sich sagte, dass sie ihm auch geholfen hätte, wenn er ein buckliger Greis mit faulen Zähnen gewesen wäre.
»Ist es so schlimm?«, fragte Henrik.
»Was?« Sie schüttelte kurz ihren Kopf, da sie abgelenkt gewesen war.
»Mein Anblick«, meinte er. »Ist er so schlimm?«
»Nein«, kreischte sie fast und musste sich zwingen, nicht hysterisch zu werden. »Nein, du siehst gut aus. Ich meine, also, man sieht noch nicht mal, was eigentlich los ist.«
»Ein Wildschwein«, keuchte er. Er schloss die Augen. Er hatte Schmerzen.
Dann fiel Sanne ein, dass ihr erst vor einigen Minuten – oder war es mittlerweile schon länger her – ein Wildschwein über den Weg gelaufen war.
»Um Gottes willen. Hat es dich angegriffen? Wo tut es weh?«
»Es hat mich an der Seite erwischt«, antwortete Henrik.
Sofort suchte sie seinen Körper nach Anzeichen einer Verletzung ab.
»Wo hat es dich erwischt?«, fragte sie ihn. Da sie kein But sehen konnte, ging sie davon aus, dass er innere Verletzungen davongetragen hatte.
»Hier«, sagte er und klopfte mit seiner linken Hand auf die Stelle, an der in etwa sein Magen liegen musste.
»Darf ich?«, fragte sie, doch machte sich schon daran, seine Jacke beiseitezuschieben.
»Du willst mich nur oben ohne sehen, Sanne«, spöttelte er, auch wenn ihm der Witz Mühe bereitete, denn sein Gesicht verzog sich sofort zu einem schmerzverzerrten Ausdruck.
»Natürlich, Henrik«, entgegnete sie. »Warum sonst sollte eine alleinstehende Frau sonntags im Wald spazieren gehen, wenn nicht in der Hoffnung, irgendeinen heißen Typen am Boden liegend zu finden, um ihm die Klamotten vom Leib zu reißen?«
»Touché«, sagte Henrik. Er legte seine Hand auf dem Boden ab und gestattete ihr, sich die Stelle anzuschauen.
»Du weißt schon, dass ich dein Shirt hochschieben muss, um mir die Verletzung anzusehen, oder?« Die Unterhaltung sorgte dafür, dass sich Sanne beruhigte. Seine Art nahm ihr jede Nervosität. Fast war es, als kannten sie sich schon seit einer halben Ewigkeit.
»Ich wusste, du bist ein Luder, Sanne«, meinte Henrik schwach.
Sanne grinste, trotz der ernsten Situation.
»Wusstest du, dass ich mich nur noch in den Wald trauen kann, weil man mich schon von den Straßen verbannt hat?«
»Erzähl.« Henriks Augen waren geschlossen. Nur seine Antworten gaben ihr Gewissheit darüber, dass er noch bei Bewusstsein war.
»Den Frauen wurde es einfach zu viel, wie ich ihren Männern aufgelauert bin. Und das mitten in der Öffentlichkeit.«
Vorsichtig schob sie das Shirt über seinen Bauch. Es kam ihr intim vor, ihn zu entblößen. Lediglich eine gerötete Stelle zeigte an, wo es ihn erwischt haben musste.
»Es müssen schwache Männer in Grünwald unterwegs sein, wenn sie sich nicht gegen eine mannstolle Frau wehren können«, scherzte er weiter.
Allerdings war jedes gequälte Lachen aus seinem Gesicht gewichen, sodass sie befürchtete, dass er gleich wieder ohnmächtig würde.
»Was soll ich sagen? Sie erlagen alle meinem Charme.« Sie legte eine Hand auf seinen warmen Bauch und spürte ein Klopfen. Ob es ihr oder sein Herzschlag war, konnte sie nicht ausmachen. »Bleib bei mir, Henrik«, bat sie ihn leise.