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Hadar lebte mit einer Bürde, die er nicht einmal seinem ärgsten Feind wünschen würde und schon gar nicht dem Drachen, den das Schicksal für ihn ausersehen hatte. Doch unausweichlich finden der leidgeplagte Sklave und der Drache zusammen und müssen gemeinsam ihren Weg finden, verfolgt von den Magiergilden und angeheuerten Meuchelmördern kämpfen sie sich voran.
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„Lebt er noch?“, erkundigte sich Gamier Ben Shaffar, der König der Magier, bei seinem engsten Berater, obwohl die Frage durchaus mitfühlend klang, sagte doch der abweisende Tonfall etwas ganz anderes.
Der Befragte verneigte sich tief und antwortete mit ehrerbietiger Stimme: „Ja, Majestät. Er lebt noch.“
Nachdenklich klopfte der Magierkönig auf die Armlehne seines Thrones: „Wie geht es ihm?“ Wieder schwang keinerlei Mitgefühl mit, als erkundigte sich der Herrscher nach einem Gegenstand, allerhöchstens nach einem Tier, doch dem war nicht so.
Seufzend antwortete Rasul Al Hiera: „Unverändert. Sein Schicksal ist immer noch das Gleiche. Wenn die Wahrsagerin Recht behält, sollte sich aber bald etwas tun. Er erreicht bald sein fünfundzwanzigstes Lebensjahr.“
„Dann werden wir warten. Haltet mich weiter auf dem Laufenden“, mit diesen Anweisungen entließ der Glaubensstifter der Magiery seinen Freund und Vertrauten. Inständig hoffte er, dass die Prophezeiung eintraf. Sie würde alles verändern und wenn Gott wollte, zum Besseren.
Gekrümmt kniete Hadar im Hof und kratzte mit einem großen Nagel Unkraut aus den Fugen des Kopfsteinpflasters. Dieser Tätigkeit ging er seit den frühen Morgenstunden nach und mittlerweile brannte die heiße Mittagssonne auf der nackten Haut seiner Schultern. Sein muskulöser Rücken wölbte sich bei jeder Bewegung seines ebenso gutproportionierten Armes. Sein dunkles Haar hing ihm verschwitzt und zottelig über den halben Rücken. Seufzend richtete er sich etwas auf, streckte sein schmerzendes Rückgrat und hob sein Gesicht in Richtung Sonne. Vorsichtig legte er den Nagel auf dem Pflaster ab und dehnte leicht die verkrampften Finger. Hoffentlich wurde es schnell Abend. Erst mit dem Sonnenuntergang konnte er mit der Plagerei aufhören. Wieder einmal beneidete er seine Mitmenschen um ihr so viel erträglicheres Los. Natürlich hatten es Menschen im Magierreich allgemein nicht leicht, doch im Vergleich zu ihm, lebte jeder besser und auch glücklicher.
„Mach‘ weiter, sonst lernst du mich kennen!“ Die scharfe Zurechtweisung tönte laut über den Hof.
Hadar ruckte sofort wieder auf alle Viere und griff schnell nach dem rostigen Werkzeug. Mühselig kratzte er erneut an dem verwachsenen Moos und wünschte sich weit weg. Während er so vor sich hinarbeitete, dachte er über die letzten Monate seines Lebens nach.
Erneut hatte er den Besitzer gewechselt und wie es aussah, war dies nun die Endstation. Tiefer konnte es nicht gehen, außer vielleicht noch direkt ins Grab. Wie ein Möbelstück veräußerte man ihn von Einem zum Nächsten und jeder seiner Besitzer schien schlimmer zu sein, als der Vorherige. Resigniert stellte er fest, dass er nun in einem Hurenhaus gelandet war. Hier dienten hübsche Frauen und fesche Burschen der vornehmen Kundschaft. Dieses Amüsierhaus bot einen hohen Standard und hatte Klasse. Hier verkehrten nur die reichsten und mächtigsten Magier und frönten ungehemmt ihren Gelüsten. Magier gehörten zu den promiskuitiven Lebewesen dieser Welt, niemand gab sich mehr der Wollust hin als die Magier. Doch für ihn hatte dies keinen Nutzen, denn er war wohl die einzige Jungfrau im ganzen Magierland. Ihn zu berühren galt als absolutes Tabu, niemals kam er in Kontakt mit fremder Haut. Bei einer Missachtung, hieß es, hätte der Übeltäter sein Leben verwirkt, denn er brächte tödliches Unglück. Hadar fragte sich oft, warum ihn die Magier bei seiner Geburt nicht einfach getötet hatten, doch wie er diese kannte, gingen sie davon aus, dass derjenige, der ihn tötet, ebenfalls sterben würde. Daher ließen sie ihn leben, auch wenn er eher dahin vegetierte. Er verrichtete die niedrigsten Sklavendienste, schrubbte die Böden und Latrinen, grub den Garten um, schleppte schwere Waren durch die Gegend, füllte Badezuber mit heißem Wasser und leerte das schmutzige wieder aus. Dies alles bei geringstmöglicher Verpflegung und Nachtruhe. Sein Besitzer gönnte ihm nur vier Stunden Schlaf in der Nacht und nur zwei spärliche Mahlzeiten am Tag. Apropos Essen, sein knurrender Magen riss ihn aus seinen Erinnerungen.
Vorsichtig drückte er den Rücken durch und sah in Richtung Küche. Seufzend akzeptierte er die Tatsache, dass selbst betteln nicht half. Der Koch durfte ihm nichts geben, selbst wenn er wollte.
Palato lag gemütlich auf einem Bärenfell vor dem großen Kamin in der Eisfestung. Nachdenklich blätterte er sein Buch um und überlegte dabei, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte. Er neigte dazu, es zu vergessen, wenn er in seine Studien vertieft war. Nun er hatte wohl schon länger nicht mehr gegessen, also rappelte er sich auf und ging schnurstracks durch die Halle. Bei jedem Schritt legte er ein Kleidungsstück ab, zog eine Stoffspur vom Kamin bis zum niedrigen Eingangsportal. Nackt stieß er es auf und begab sich ins Freie. Eisstürme und arktischer Wind umtoste seine Gestalt, doch er spürte die Kälte gar nicht. Als Drache machten ihm extreme Witterungen und andere Widrigkeiten keine Schwierigkeiten. Er fühlte sich bei Minusgraden ebenso wohl, wie in der Glut eines Schmiedefeuers. Hitze absorbierte sein Körper wie ein Schwamm und gegen die Kälte wirkte seine innere Drachenhitze, die pulsierend durch seinen Körper strömte. Jeder Feuerspucker verfügte zusätzlich über seine ganz eigenen Fähigkeiten, die oft sehr gut zu ihrem Wesen passten und ihre Eigenheiten wiederspiegelten.
Palato verharrte kurz im Schnee und genoss den wirbelnden Wind auf seiner Haut, dann sprang er katapultartig in die Höhe und wandelte sich im Sprung. Seine weiß-silberne Drachengestalt erhob sich schnell in den düsteren Himmel. Der Abend kam schnell über die Eiswüsten, doch Palato befand sich gerne in diesen trostlosen Gebieten, denn hier lebten wenige Menschen oder Drachen. Der Weiß-Silberne liebte die Einsamkeit, nicht weil er gerne alleine seine Zeit verbrachte, sondern weil ihn das Abschotten seiner Gedanken so viel Energie kostete. Als stärkster Telepath seiner Generation hatte er eine enorme Verantwortung. Oft wurde er von Killian, dem Drachenkönig, um Hilfe gebeten und wenn er konnte, erfüllte er die Wünsche seines Sohnes gerne. Naturgegeben hatten sie kein sehr enges Verhältnis, denn Kill wuchs bei seiner Mutter Roswean auf. Dies wurde damals mit dem Zeugungspakt so vereinbart und Palato störte sich auch nicht weiter daran. Er verstand sich mit Killian ganz gut und dieser suchte auch ab und an seinen Rat, vor allem, wenn es um seine eigene Telepathie ging. Der König hatte diese Fähigkeit von seinem Erbgutspender geerbt und beherrschte diese meisterlich. Im Vergleich mit Palato hatte er auch kaum Probleme beim Abblocken fremder Gedanken, er fühlte weniger sensibel.
Mit langen Flügelschlägen kreiste der kleine Drache über den Eisebenen und suchte nach Beute. Schnell fand er was Schmackhaftes und erlegte es zielsicher. Zügig kehrte er zur Eisfestung zurück, seine Studien erwarteten ihn.
Mitten in der Nacht schreckte Hadar aus dem Schlaf hoch. Was hatte ihn geweckt? Kam jemand zu ihm auf den Dachboden? Seit er im Nobelbordell weilte, hauste der niedere Sklave einsam auf dem niedrigen und staubigen Dachboden. Die Hitze des Tages staute sich unter den Holzbalken. Was musste er auch für ein Glück haben, ausgerechnet in dem einzigen Haus der Straße zu leben, das kein Flachdach hatte. Wahrscheinlich hatte ihn das Rascheln von kleinen Rattenfüßen in den Wänden geweckt. Seufzend legte er sich auf seiner zerschlissenen Wolldecke zurück und entspannte die verkrampfte Muskulatur. Seine Augen fielen zu und er träumte sich fort, zumindest versuchte er es. Eine innere Unruhe machte es ihm schwer, wieder einzuschlafen und er benötigte Ruhe doch so dringend. Sein Körper schrie regelrecht danach. Langsam glitt er in den Schlaf, dort empfing ihn eine bessere Welt, denn er konnte in seine Träume flüchten.
Ein brennender Schmerz riss Hadar kurze Zeit später, es war immer noch stockdunkel draußen, aus dem Schlaf. Hitze breitete sich auf seiner Brust aus, direkt im alten Narbengewebe. Es fühlte sich an, als hielte ihm jemand ein glühendes Eisen gegen die empfindliche Haut. Fest kniff er die Augen zusammen und biss sich auf die Lippen, er durfte nicht schreien. Wenn er laut würde, bekäme er dafür Schläge oder wurde mit Nahrungsentzug gestraft. Das durfte auf keinen Fall passieren. Wimmernd und keuchend rollte er sich zu einer Kugel zusammen und versuchte den Schmerz wegzuatmen. Tränen liefen über sein verzerrtes Gesicht und er bekam unheimlich schlecht Luft. So eine Attacke war wieder typisch für sein Leben. Wem sonst würde so etwas passieren, mitten in der Nacht auf diese Art geweckt zu werden?
Wenig später ließ die Pein nach und nichts erinnerte mehr an den Anfall. Erleichtert atmete er auf und glitt dann wieder ins erlösende Vergessen. Seine Hand hielt er dabei fest auf die eben noch schmerzende Stelle seiner Brust gedrückt und hoffte, dass es nicht noch einmal passieren würde.
Geweckt wurde er wie jeden Morgen durch einen kräftigen Tritt in die Seite. Dies übernahm täglich der übellaunige Stallbursche, der trotz seiner Gewaltlust immer einen gewissen Sicherheitsabstand einhielt. Nur keinen Kontakt riskieren, diesem Motto blieben alle Menschen und Magier, im Umgang mit ihm, treu. Niemand berührte freiwillig einen Paria. Geschunden und übermüdet, durch die nächtliche Störung, kämpfte er sich hoch, vorsichtig schlich er bis zum Abgang und stieg die steil angestellte Leiter hinab. Leise schlurfte er in den Flur, der an die Hausversorgungsräume angrenzte. Auf der Türschwelle zur Küche stand sein Blechteller und darauf wartete auf ihn ein Kanten Brot und etwas dünner Haferschleim. Seufzend kauerte er sich auf den Boden und trank mit langsamen Schlucken die dünne Brühe. Mit kleinen Bissen verzehrte er das grobkörnige Brot, alles wurde akribisch und lange gekaut, damit er so satt wie möglich wurde. Doch sein Teller leerte sich schneller als es ihm lieb war. Seufzend rappelte er sich auf und begab sich auf den Hof. Die Dunkelheit lag noch über dem Anwesen und erst ein schmaler Schimmer zeigte sich am Horizont. Müde schleppte sich Hadar in den Stall, um mit dem täglichen Ausmisten zu beginnen. Leise drückte er das schwere Holztor auf und schob sich ins Innere. Wärme und ein behagliches gelbes Laternenlicht empfing ihn. Selbst den Pferden und Kühen wurde mehr Komfort zugestanden als ihm. Er bewaffnete sich mit einer Mistgabel und begann in der ersten Box. Freudig begrüßte ihn die rehbraune Stute, drückte ihm die weichen Nüstern fest ins Genick und schnaubte leise. Der warme, feucht Pferdeatem rieselte ihm über den Rücken und bescherte ihm eine wohlige Gänsehaut. Nur Tiere scheuten sich nicht, ihn zu berühren, dies war die einzige Nähe, die er empfing. Leicht lächelnd begann er sein Tagwerk. Während er Forke für Forke des verschmutzen Strohs in die Handkarre schaufelte trifteten seine Gedanken ab. Hadar flüchtete sich in seine Erinnerungen und Wünsche. Vor seinem inneren Auge sah er einen attraktiven hellhaarigen Mann. Sein Haar schimmerte silbern, obwohl sein Gesicht überhaupt nicht alt aussah, und er lächelte ihn liebevoll an. Sein Traummann näherte sich ihm, streckte die Hand aus und griff nach ihm.
Schmerz explodierte in Hadars Rücken. Seine Gedanken kehrten schlagartig ins hier und jetzt zurück. Keuchend fiel er auf die Knie. Sein Blick suchte die Quelle des Übels und entdeckte sie in Form des Stallknechts, der einen Besen triumphierend schwang. Eine Träne rollte über die Wange des Gequälten und der Stehende lachte gehässig. „Das war die Strafe dafür, dass ich deinetwegen so früh aufstehen muss.“
Hadar senkte den Kopf und atmete konzentriert ein und aus, dachte den Schmerz weg. Kurz darauf kämpfte er sich wieder auf die Füße und setzte stoisch seine Arbeit fort. Er würde sich nicht kleinkriegen lassen. Wenn er auf die Provokation reagierte, käme es anschließend nur noch dicker, dem wollte er sich nicht willentlich aussetzen. Hadars Muskeln spannten sich bei den rhythmischen Bewegungen und er versuchte sich ganz und gar auf seine Tätigkeit einzulassen und den Mann im Stall zu vergessen. Doch der Bursche lärmte mit den Metalleimern und der Holzkelle, während er den Tieren Futter und Wasser gab, riss die Tiere aus ihrem Dösen. Er benahm sich nicht nur Hadar gegenüber rücksichtslos, nein, auch den Pferden gegenüber. Irgendwann würde ihn dafür auch noch die kosmische Gerechtigkeit ereilen.
Die Sonne stand bereits hoch am Morgenhimmel, als Hadar endlich mit dem Ausmisten der Ställe fertig war. Doch bevor er zurück zum Unkrautkratzen eilen konnte, wurde er vom Stallmeister ausgebremst. Dieser verhielt sich ihm gegenüber meist gleichgültig. Er sprach mit Hadar nur, wenn es nicht anders ging und wenn, erteilte er seine Anweisungen und fertig. „Bevor du im Hof weitermachst, geh‘ dich waschen, du stinkst. Die vornehmen Herrschaften hassen es, wenn ihnen ein unangenehmer Duft in die Nase steigt.“
Nur wenn sich der Stallmeister über die Gäste des Hauses ausließ, hörte man seinen Verdruss über seinen Arbeitgeber und dessen Gewerbe. Dem älteren Menschen missfiel wohl seine Tätigkeit in einem Nobelpuff, doch als Leibeigener hatte er keine Wahl.
Seit die Drachen im Land stationiert waren, hatte sich bereits einiges geändert. Offiziell galten Menschen nun als freie Bürger und nicht mehr als lebendiger Besitz, trotzdem änderten sich die Strukturen nur langsam. Das Flüstern unter den menschlichen Dienstboten drang von Haus zu Haus und Neuigkeiten verbreiteten sich schnell. Man erfuhr über diese Flüsterkanäle von Drachen, die in Notfällen halfen, Befreiungsaktionen vornahmen und Unterdrückte unterstützen. Dies taten sie nicht uneigennützig. Freie Menschen hielten das Geschlecht der Magier in Schach und die Flugechsen mussten weniger Kräfte aktivieren, um dies zu übernehmen. Schlussendlich profitierten alle davon, außer die Magier. Sie verloren tagein tagaus an Boden, ihre Vormachtstellung brach langsam aber sicher weg und die Zeit erledigte dieses Problem nach und nach.
Hadar ging zum Wassertrog und streifte sein Hemd über die breiten Schultern. Sein Gesicht spiegelte sich im Wasser und jadegrüne, stechende Augen blickten ihm entgegen. Sein Gesicht hatte eine ovale Form und seine Attraktivität wurde durch das Narbengeflecht seiner einen Gesichtshälfte gemindert. Das feine helle Narbengewebe zog sich über seinen Hals, seinen einen Arm und Schulter, hinab über die Brust und Rücken, setzte sich über die Seite und Hüfte fort und endete etwa auf Höhe des Knies. Eine Seite seines Körpers symbolisierte seinen Paria-Status, ausgestoßener als er ging es nicht. Schnell tauchte er seine Hände in das noch kühle, saubere Nass und warf sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht. Die Flüssigkeit lief über seinen Oberkörper und suchte sich einen Weg abwärts. Zügig wusch er jeden Zentimeter seines Oberkörpers, schrubbte sich regelrecht ab, waschen war ein seltener Luxus. Er durfte sich immer nur erfrischen, wenn man ihn dazu aufforderte.
K‘aal, der Magier und Besitzer des Nobelbordells, trat hinaus auf den Balkon und betrachtete den Paria beim Waschen. Seufzend registrierte er die Tatsache, dass dieses unsägliche Wesen einen wirklich ansprechenden Körper besaß und dies trotz der Narben. Sein Blick glitt über das Geflecht der hellen Linien und stockte auf der muskulösen Brust. Was war das? Konnte es wirklich sein? Das war ja schon Jahrzehnte, wenn nicht gar ein Jahrhundert nicht mehr vorgekommen! K‘aal fuhr herum und rannte in den Hof. Er verhielt erst im Schritt, als er direkt vor dem Paria zum Stehen kam.
Hadar stand stocksteif und regte sich nicht. Was wollte der Meister von ihm? Was hatte er jetzt schon wieder falsch gemacht? Doch der Magier stierte nur fasziniert auf Hadars Brust. Vorsichtig blickte er nun selbst an sich hinab. Erst bei genauerem Hinsehen entdeckte er eine kleine fast weiß-silberne Fläche unter dem feinen Narbengewebe. Was war das? Vorsichtig hob er die Hand, konnte man es fühlen? Doch das kreisrunde Symbol lag flach eingebettet unter dem Geflecht, nicht spürbar.
„Bleib hier. Mach dich vollständig sauber, auch die Haare“, wies der Hausherr seinen Sklaven an und drehte sich einfach auf dem Fußballen um. K‘aal verschwand so schnell im Haus, wie er herausgekommen war.
Hadar stand erschüttert im Hof. Alles waschen, im Hellen, mitten im Hof, Panik überrollte ihn. Sterne tanzten vor seinen Augen und er konzentrierte sich ausschließlich auf seine Atmung. Er durfte nicht ohnmächtig werden. Er rang mit sich und erkämpfte sich Stückchen für Stückchen, drängte die Beklemmung zurück. Langsam wich das bedrückende Gefühl von ihm, er bekam besser Luft und seine Gedanken kreisten nur noch im Schneckentempo um dieses für ihn so heikle Thema: Nacktheit. Seufzend drehte er sich wieder zum Trog. Mit steifen, ungelenken Fingern knotete er seine Beinkleider auf und ließ sie dann zu Boden fallen. Sofort stieg er in den Trog und kniete sich ins Wasser. So blieb zumindest ein Großteil seines Intimbereichs vor fremden Blicken sicher. Seine Hände tauchten ins Wasser und er wusch, wie angewiesen, jeden Zentimeter seiner gebräunten Haut. Das Wasser perlte über seinen Rücken, rann zwischen seine strammen Arschbacken und umspielte an seiner Front seinen wohlgeformten Penis in seinem minimalen Haarnest. Seine Finger fuhren reinigend zwischen die strammen Backen und auch seinen Schritt ließ er nicht aus. Seine Fingerkuppen streiften seinen weichen Penis, glitten über seine runden, festen Hoden, weiter hinab ins seichte Wasser. Doch dort, wo sich bei einem Menschen der Damm zwischen Hoden und Anus befand, stieß man hier nun auf ein kleines einladendes Loch nebst schmalen, weichen und feuchten Schamlippen, die ebenso wenig behaart waren, wie der Rest des Genitalbereichs. Dieser Teil seiner Anatomie machten Hadar zum Paria und er wünschte sich, er hätte diese körperliche Eigenschaft seines Magiervaters nicht geerbt.
Nachwuchs zwischen Menschen und Magiern ergab in neunhundertneunundneunzig Fällen einen äußerst attraktiven Menschen mit extremem sexuellem Hunger. Diese Kombination wünschten sich die Magier und nutzten dazu die Gebärfreudigkeit der Menschenfrauen, denn die Empfängnis bei Magiern kam selten vor. Da die Zauberer ein langlebiges Volk waren, spielte es auch nur eine untergeordnete Rolle. Ebenso stärkte sie ihre Magie und sie verfügten daher über eine gute Gesundheit und den optimalen Schutz bei verschiedenen Widrigkeiten, wie Unfällen oder bei Angriffen. Magier waren Zwitterwesen, vereinten männliche und weibliche Eigenschaften in ihrer körperlichen Erscheinung. Flachbrüstig und androgyn präsentierten sie sich der Welt. Ihr Genitalbereich wurde von einem potenten Penis dominiert und von einer feuchten, empfindsamen Vagina gekrönt. Erst in der Schwangerschaft bildeten sich üppige Brüste am Leib eines Magiers. Sollten aber die Zwittereigenschaften bei der Fortpflanzung mit einer Menschenfrau vererbt werden, brachte dies Unglück, Zauberer waren ein abergläubischer Haufen. Oft verfügten solche Kinder auch über nutzbare Magie und dies fürchteten die Herrscher mehr als alles andere.
Schnell brachte Hadar seine Waschung zu Ende und hüllte sich wieder in seine fadenscheinigen Kleider. Seine nackten Füße trugen ihn langsam in Richtung Hintertür des Bordells, dort verharrte er ratlos, wartend auf seinen Herren.
K’aal schrieb schnell eine Botschaft. Konzentriert und nachdrücklich brachte er die Worte zu Papier. Er versiegelte das Schreiben und rief einen Boten. Dieser überbrachte den Brief an Rasul al Hiera, den Berater des Königs. Dieser würde dann den König informieren. Es war soweit!
<Wach auf! Palato, wach auf!> Die telepathische Übertragung des Drachenkönigs riss Palato aus dem Schlaf. Selten klang der Herrscher so nachdrücklich und unerbittlich. Palato profitierte davon, dass er mit Killian verwandt war, auch wenn er nicht bei ihm aufgewachsen war.
Blinzelnd versuchte er wach zu werden. Sammelte seine Gedanken und antwortete seinem Sohn: <Was ist so wichtig, dass du mich mitten in der Nacht weckst?>
<Es ist nicht mitten in der Nacht, es ist gerade einmal die Sonne untergegangen>, tönte Killian amüsiert in Palatos Kopf.
Palato schnaubte empört, im Gegensatz zu vielen anderen geborenen Drachen hatte er sein Temperament recht gut unter Kontrolle, beherrschte sich fast immer meisterlich. Man musste ihn schon reizen, damit er aus der Haut fuhr, er kam da mehr nach seinen geschlüpften Drachenverwandten, denn diese hatten ein ausgeglichenes Gemüt. <Red‘ nicht lange drum herum, was willst du?>, telepathierte er zurück.
<Wir haben das Drachensiegel aktiviert.> Diese Mitteilung hatte nicht nur einen endgültigen Klang, sie machte auch die Tragweite des Übermittelten deutlich.
Palato beobachtete die Entwicklung zwischen Menschen und Drachen schon seit Jahrhunderten und die Ereignisse der letzten Jahre waren einschneidend, daher kam dies für ihn nicht überraschend. <Wie gedenkt ihr weiter vorzugehen?>
Der König antwortete auf diese Frage umgehend, da er seinen Vater gut kannte und damit gerechnet hatte: <Wir halten einen Thing ab, dort sollen sich Gefährten treffen. Für die Drachen wird dies eine Pflichtveranstaltung. Keine Ausnahmen! Aber ich habe noch eine Bitte an dich.>
Erst teilte Killian ihm mit, dass er nach einem potentiellen Gefährten suchen sollte und dann bat er ihn auch noch um etwas? Palato atmete mehrmals tief durch, dachte angestrengt darüber nach. Wollte er einen Gefährten oder eine Gefährtin? Sein Fazit entsprach ganz und gar der Drachenpsyche, er hatte keine Meinung dazu. Sollte sich sein Leben ändern, dann tat es das eben. <Was brauchst du von mir?>
<Venec und seine Gefährtin werden dich besuchen. Kannst du ein gedankliches Band zwischen ihnen knüpfen? Es würde ihr Leben immens erleichtern>, sendete Killian, dabei schickte er unbewusst auch seine positiven Gefühle für das verbundene Paar mit.
Schmunzelnd schickte er seine Zustimmung und seine Bereitschaft, es zu versuchen, auch wenn er für einen Erfolg nicht garantieren konnte. Nun, dies erwartete auch niemand von ihm.
Rasul kam direkt von der Audienz beim Magierkönig. Er verstand seinen Herrscher, dieser wollte seine Dynastie retten, doch der Weg, den er einschlug, gefiel ihm nicht. Sollte er sich den Ambitionen seines Herrschers anschließen? Wo würden sie landen, wenn es funktionierte? Was würde passieren, wenn es misslang? Alles gute Fragen, die niemand beantworten konnte, nur die Zeit. Doch tatenlos zu verharren, kam für den Berater des Zaubererkönigs nicht in Frage. Er bezog Stellung und handelte dem entsprechend, denn die Zaghaften verloren immer. Rasul beugte sich über sein Schreibpult und verfasste eine Order an die Hirrogen, die Gilde der Auftragskiller und Meuchelmörder. Sie würden das Problem schon lösen. Taten sie immer.
Hadars Kopf dröhnte, er marschierte in einem Pulk Menschen in Richtung Osten, zum Drachenreich. Schnell verbreitete sich die Kunde über die Gefährtenerweckung, auch im Zaubererland. Das Getuschel unter den Menschen ging wie ein Lauffeuer um und man erfuhr pikante Details. Die Drachen hatten ein altes Ritual erneut durchgeführt, um ihre Gefährten unter den Menschen erkennen zu können. Die Seelenverwandten der Flugechsen erkannte man an ihrem Drachensiegel, eine farbige, münzgroße, runde Hautverfärbung, die an einen Ring aus Flammen mit integrierter Schrift erinnerte. Genau so ein Symbol trug Hadar und dies zeigte, dass man ein Gefährte von Geburt an war und nicht erst im Laufe der Zeit dazu wurde, denn das Mal des Paria befand sich unter den Narben. Die Drachen hatten eine hohe Belohnung in Form eines Gefährtengeldes angeboten, welches an die Familie der Betroffenen, wie ein Brautgeld, gezahlt wurde. K’aal konnte so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, er wurde den Paria los und strich dabei noch einen satten Gewinn ein.
Hadar schleppte sich durch die brütende Mittagshitze, die Sonne brannte auf sein blankes Haupt und seine Haut begann sich stark zu röten. Seine zerschlissene Kleidung schützte ihn kaum im heißen Wüstenklima, der Sand schmirgelte auf seinem Körper und setzte sich in alle Hautfalten, die Augen und die Nasenlöcher. Selbst jeden Bissen oder Schluck Wasser, den man zu sich nahm, enthielten die kleinkörnigen Bastarde. Dazu kam noch die direkte und ununterbrochenen Sonneneinstrahlung, ein Hitzschlag war vorprogrammiert.
Viele seiner Reisebegleiter stammten aus ähnlichen Verhältnissen wie er, aber bei weitem nicht alle. Auch unter den Menschen im Magierreich gab es besser und schlechter gestellte, aber niemanden, der sich so weit unten befand wie Hadar. Es gab zur Zeit nur einen einzigen Magier-Menschen-Nachkömmling, der die körperlichen Eigenschaften der Zauberer geerbt hatte, nämlich ihn.
Am späten Nachmittag trafen sie in einer kleinen Oase ein, dort verweilte der Trupp. Es wurden Zelte aufgebaut, Feuer für das Nachtmahl gerichtet und Decken verteilt. Hadar zog nach getaner Arbeit einen Eimer Wasser aus dem ummauerten Ziehbrunnen. Eimer für Eimer füllte er den großen Trog und wusch sich dann den Reisestaub und den Sand von der Haut, denn in der Nacht würden ihn die feinen Körnchen wundscheuern, wenn er sie nicht los wurde. Nach und nach folgten seine Reisegefährten seinem Beispiel. All dies ging fast wortlos und leise vor sich. Immer noch steckten die Menschen in ihrer festgefahrenen Rolle und dem entsprechenden Verhalten fest. Die Magier gaben sich arrogant und gebieterisch. Die unterjochten Menschen kuschten, denn sie waren schwächer. Natürlich nicht im körperlichen Sinne, aber die Magie unterjochte sie Jahrhunderte effektiv und dieses Verhaltensmuster legte man nicht über Nacht ab. Keiner der gezeichneten Drachengefährten hatte das Vorgehen der Magier in Frage gestellt. Sie wurden regelrecht wie eine Herde Rinder zum Thing nach Hastadoom getrieben und an die Drachen verkauft, wie bei einer Viehauktion.
Sauber, aber maßlos erschöpft, schleppte sich Hadar zu den Zelten. Dort angekommen deutete ein Magier auf eine Schale mit sättigendem Eintopf und wies ihm auch ein Schlafquartier zu. Dieses höfliche, aber distanzierte, Verhalten bedeutete für den Halbling bereits eine extreme Verbesserung zu seinem bisherigen Leben. Vorsichtig schöpfte er Hoffnung, wenn die Magier dank der Hautzeichnung jetzt bereits besser mit ihm umgingen, war es vielleicht gar nicht so schlimm, an einen Drachen verkauft zu werden. Als dessen Gefährte sollte er einen doch sicher gut behandeln, hoffte Hadar zumindest.
Palato stand vor der Eisfestung und blickte Venec und seiner Prinzessin hinterher. Sie reisten bereits heute zum Thing. Loreana, der Tochter des Menschenkönigs Uralen, ging es nicht sonderlich gut. Es plagte sie Übelkeit und Schwindelanfälle. Hoffentlich überstand sie die Flugreise unbeschadet. Venec würde sicher gut auf sie achtgeben, schließlich war sie sein Ein und Alles.
Nachdenklich kehrte der weiß-silberne Drache in die Feste zurück und überlegte, was er auf die Reise mitnehmen wollte. Da er keine Bücher sowie Folianten mitschleppen konnte und ihm Kleidung in Hastadoom zur Verfügung gestellt werden würde, beschloss er, ohne etwas zu reisen. Es musste ja auch Vorteile haben, eine Flugechse zu sein. Ihre Natur schützte sie vor allen Witterungseinflüssen und machte das Reisen stets komfortabel und sicher. Drachen hatten keine natürlichen Feinde, einzig ihre Artgenossen konnten ihnen wirklich gefährlich werden. Wenn ein Magier den Überraschungsmoment auf seiner Seite hatte, konnte auch dieser großen Schaden an einem Echsenkörper anrichten, aber dies geschah selten und dann auch nur in Kriegszeiten. Der Friedensvertrag bestand zwar noch nicht lange, aber selbst während der Kampfhandlungen verletzten sie nur wenige Feuerspucker. Ihre robusten Schuppen in Kombination mit ihrer Drachenhitze, die sie bei Kämpfen, durch ihr Innerstes fließen ließen, schützten sie.
Palato bereitete seine Abreise für den nächsten Tag vor und beschoss den Abend noch einmal seinen Studien zu widmen. Zeit hatte er genug, der Flug dauerte höchstens zwei Tage, wenn er sich nicht eilte, sondern gemütlich flog. Resigniert akzeptierte er auch, die, mit seinem Aufenthalt zwischen vielen verschiedenen Lebewesen verbunden, Schmerzen. Die telepathische Überflutung führte zur Überreizung und er litt konstant unter Kopfschmerzen, bis hin zur ausgewachsenen Migräne, wenn er nicht regelmäßig auf Abstand ging oder sich in Meditation versenkte. Dieses Unbehagen und das damit verbundenen Verhalten seinerseits brachten ihm den Ruf eines eigenbrötlerischen Exzentrikers ein. Nun gut, sei es drum, er konnte damit leben.
Hadar bewunderte die ihm vollkommen fremde Landschaft. Mühselig hatten sie die Salzsümpfe zwischen dem Magierreich und den Südlanden durchquert und wanderten nun am großen Felsmassiv entlang, welches die Grenze zwischen den zwei Reichen markierte. Das Ziel ihrer Reise war Hastadoom, eine im Krieg errichtete Soldatengarnison, die nun zum Thing-Versammlungsort umfunktioniert wurde. Die Siedlung lag zentral und konnte von überall her gut erreicht werden. Akribisch informierten die Magier die Drachengefährten über alles Wissenswerte über die Drachen und die Menschen der Nord- und Südlande. Anfangs verstand Hadar deren Intention nicht. Warum machten sie sich so viel Mühe? Doch nach und nach erkannte er die Hintergründe. Er und seine Mitreisenden würden im Menschenreich zurückbleiben und sich dort integrieren. Logischerweise erfuhren die Drachen und Menschen dort viel über die desolaten Verhältnisse, in denen die Menschen in den Magiergebieten lebten. Wenigstens sollten sie nicht ungebildet wirken. Mit dem Übertritt der Grenze hatte ein Zauberer auch dafür gesorgt, dass Hadar anständige Kleidung erhielt. An seiner Erscheinung, den Narben und dem zotteligen Haar, konnte man nichts ändern, denn niemand fand sich, der bereit war, ihn anzufassen. Folglich kümmerte er sich wie immer selbst um seine Belange, wie Rasur und das Verarzten von Blessuren. Gottlob hatte er sich bei der Wanderung nur kleine Schrammen und ein paar Blasen an den Fußsohlen zugezogen. Die Blasen heilten schnell, nachdem man ihm Schuhe zur Verfügung gestellt hatte. Noch nie hatte er welche besessen, doch er gewöhnte sich schnell an das beengte Gefühl, denn es wog den anhaltenden Schmerz der abheilenden Schürfwunden an den Sohlen locker auf.