The Crusader - The First - Celia Williams - E-Book

The Crusader - The First E-Book

Celia Williams

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Beschreibung

Die Welt wird von den Crusadern beschützt. Ihre Aufgabe ist es, die Bestien in Schach zu halten, die gemeinsam mit den Menschen die Erde bevölkern.

Keenan Protec ist der erste Crusader, der jemals geboren wurde, und er vererbte diese Fähigkeit an alle seine Nachkommen. Zumindest müssen sie nicht ewig leben, im Gegensatz zu ihm.

Noch heute ist er auf der Suche nach Glück und Lebensfrieden, die er in letzten elf Jahrtausenden nicht finden konnte. Um das zu erreichen, beschließt er, sein Leben grundlegend zu ändern.

Diese Veränderung ist so einschneidend, wie sie nur sein kann. Kann ein Crusader mit einer Bestie glücklich werden, obwohl sie von Natur aus Feinde sein sollten?

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Celia Williams

The Crusader - The First

Vielen Dank an meine Beta-Leserin Angelika. Sie steckt immer sehr viel Mühe in die Nachbearbeitung meiner Bücher. Ohne dich wäre mein Buch nur halbsogut!BookRix GmbH & Co. KG81371 München

The Crusader – The First

Die Welt wird von den Crusadern beschützt. Ihre Aufgabe ist es, die Bestien in Schach zu halten, die gemeinsam mit den Menschen die Erde bevölkern.

 

Keenan Protec ist der erste Crusader, der jemals geboren wurde, und er vererbte diese Fähigkeit an alle seine Nachkommen. Zumindest müssen sie nicht ewig leben, im Gegensatz zu ihm.

Noch heute ist er auf der Suche nach Glück und Lebensfrieden, die er in letzten elf Jahrtausenden nicht finden konnte. Um das zu erreichen, beschließt er, sein Leben grundlegend zu ändern.

Diese Veränderung ist so einschneidend, wie sie nur sein kann.

 

Kann ein Crusader mit einer Bestie glücklich werden, obwohl sie von Natur aus Feinde sein sollten?

 

Dieses Buch enthält homoerotische Handlungen und ist für Leser unter 18 Jahren und für homophobe Menschen nicht geeignet.

Wichtige Hinweise

Sämtliche Personen dieser Geschichte sind frei erfunden und Ähnlichkeiten daher nur zufällig.

 

E-Books sind nicht übertragbar und dürfen auch nicht kopiert oder weiterverkauft werden.

 

Dieses Buch enthält homoerotische Handlungen und ist für Leser unter 18 Jahren und für homophobe Menschen nicht geeignet.

 

Im wahren Leben gilt ein verantwortungsbewusster Umgang miteinander und Safer‐Sex!

Liebe Leser, liebe Leserinnen,

 

ehrlich, ich habe keine Ahnung, wie in Kanada die Polizei strukturiert ist, wie ihre Abläufe oder Verfahren sind oder wie man mit forensischen Beweisen tatsächlich umgeht. Ich bin, wie fast jeder andere auch, Besitzer eines Halbwissens, gelernt aus Film und Fernsehen.

 

Daher bitte ich euch um Nachsicht, wenn es um solche Details geht. Hier habe ich mir eine Struktur ausgedacht und folge einfach meinem erfundenen Gerüst.

 

Wer mehr Akkuratesse wünscht, sollte ab hier nicht weiterlesen und das Buch zurückgeben.

 

In diesem Buch möchte ich gerne dem Rat einer lieben Leserin folgen und für ein besseres Verständnis ein Glossar anlegen, indem die bereits etablierten Bestien, Zauber und Tränke nachgeschlagen werden können.

 

Eure Celia

 

Glossar

Crusader – Es handelt sich um Menschen mit der Fähigkeit, Bestien bereits bei der geringsten Transforma-tionsstufe zu erkennen. Ein Crusader ist stärker, schneller und hat gesteigerte Sinne. Viele Crusader haben ein fast übernatürliches Gespür für Gefahr. Nicht jeder Nachkomme erbt die Fähigkeit, trägt aber trotzdem das genetische Erbe, kann daher selbst Vater oder Mutter eines Crusaders werden. Aktenkundig ist das Geschlecht der Crusader seit der Anfangszeit der christlichen Kirche. Unter dem Gegenpapst Novation unterstützten sie ihn in seinen Bestrebungen, die neu entstandene christliche Kirche von Bestien reinzuhalten. Damals nannte man sie wie alle Anhänger Novatianer. Die Sekte existierte bis ins 5 Jhd. Danach verliert sich die Spur der Bestienjäger in den Wirren der Völkerwanderung. Erst während der Kreuzzüge traten sie wieder in Erscheinung. Aus dieser Zeit stammt ihr bis heute gebräuchlicher Name „Crusader“.

Initiatus - Eingeweihter Mensch, der selbst keine Bestien sehen kann, aber über sie Bescheid weiß.

Drude - Bestie (männlich oder weiblich), die sich nachts auf die Brust von Schlafenden setzt und ihre Lebensenergie absorbiert. Die Opfer wirken, als wären sie im Schlaf erstickt. Da es keine Würgemale oder ähnliches gibt, gehen sie bei Obduktionen als natürliche Tode durch. Ein Drude transformiert nur sein Gesicht und wirkt als hätte er eine mega-misslungene Gesichtsstraffung hinter sich. Die Augen sind schlitzförmig und die Nase wirkt platt gezogen, da die Haut in Richtung Ohren spannt.

Werbestie - bleibt in seiner menschlichen Gestalt, nimmt aber die Wesenszüge seines tierischen Pendants an. Bestien sind weniger anfällig für menschliche Krankheiten, können sich aber bei intensivem Kontakt auch anstecken. Meist sind die Krankheitsverläufe schwächer und enden selten tödlich. Der Name der jeweiligen Bestienart leitet sich von der menschlichen Mythologie ab, z. B. Wyvern für Echsenbestie oder Reinecke für Fuchsbestie.

Isegrim – auch genannt Wolfsbestie oder Wolfsmensch. Es verändert sich die Form der Ohren, die Zähne werden zu Reißzähnen und es bildet sich Fell auf der Haut. Es gibt beinahe alle größeren Tiere genauso als Bestie. Isegrims sind gute Jäger und Spurenleser und haben in ihrer Wesensart viel mit Wölfen gemein.

Lynx – Luchsbestie, Gesicht bekommt katzenartige Züge. Das Fell hat die typische Färbung eines Luchsfells und es wachsen Pinselohren. Es ist eine sehr gelenkige und sprungstarke Bestie mit eher friedlichen Wesenszügen.

Dilldapp – Bestien, die Wesenszüge von Mardern, Wieseln, Nerzen, Frettchen oder Iltissen annehmen.

Sphinx – Werlöwe oder Löwenbestie. Im Gegensatz zum mythischen ägyptischen Vorbild, hat diese Werbestie aber keine Flügel.

Satyr – Werziege oder Ziegenbestie

Gorgon oder Gorgone – Werschlange oder Schlangenbestie

Hexe oder Hexer – auch Hexenbestie. Bei der Transformation verändert sich vor allem das Aussehen der Haut und der Körperfülle. Gesicht und Körper wirken dünner, fast ausgemergelt, und Teile der Haut werden ledrig, rissig, beinahe mumienartig. Sie haben telepathische und telekinetische Fähigkeiten, können Zaubertränke brauen und Zaubersprüche nutzen. Bei Kreuzungen mit Menschen oder anderen Bestien bleiben oft nur die schwächeren Fähigkeiten erhalten.

Bestiensenat – Gewählte Gruppe von Bestien, die über die Belange der Bestienwelt wacht und Verstöße ahndet. Das Hauptquartier befindet sich in Rom. Der Senat hat auf jedem Kontinent eine sogenannte Botschaft mit Botschafter und Vollstreckern in jeder Landeshauptstadt. Verstößt eine Bestie gegen die vom Senat verhängte Geheimhaltungsorder wird die Bestie von den Vollstreckern gejagt und hingerichtet. Es fehlt vollständig die judikative Gewalt. Der Senat beschließt und die Botschafter und Vollstrecker führen aus.

Das unbefleckte Durchschreiten (Zaubertrank) – Es handelt sich um einen Zauberbann, der an einen Trank gebunden ist. Während des Brauens muss die Hexe oder der Hexer genaue Rituale befolgen. Danach kann der Trank in Phiolen abgefüllt werden und jeder kann sie durch Einnahme einer geringen Menge nutzen. Nach dem Genuss kann der Tranknutzer etwa 30 Minuten lang alles durchqueren, ohne Spuren zu hinterlassen oder sich selbst zu beschmutzen. Es ist ein „magischer Lotuseffekt“.

 

Halifax, Mai 26, 2021 – 8 Uhr vormittags

Im Grunde durfte Keenan Protec nicht mehr nervös sein. In seinem nahezu unendlichen Leben war er schon Tausenden unterschiedlichen Tätigkeiten nachgegangen. Er hatte als Adjutant eines Anwalts gearbeitet, war Drohne in großen Fabriken, hatte Leichen bestattet, Kleider geschneidert, Felder bestellt und Vieh gezüchtet. Am Anfang seines Lebens aber war Keenan Jäger und Sammler und diente seiner Sippe als Stammesführer in der Spätsteinzeit. Doch noch nie hatte ihn ein Jobwechsel so unruhig werden lassen. Aber eigentlich lag es nicht an der neuen Arbeit.

Heute sollte er seine Stelle als Labortechniker bei der Halifax Regional Police antreten. Kontrollierend sah er noch einmal in den Spiegel seines kleinen Apartments. Die knallenge Jeans betonte perfekt seine schlanken, muskulösen Beine. Das figurbetonte und tailliert geschnittene mintgrüne Hemd zeigte all seine Vorzüge und sollte sogar dem Unaufmerksamsten deutlich machen, dass Keenan schwul war. Er war zwar im Grunde eher bisexuell, war das Hin und Her mit der holden Weiblichkeit aber leid.

Als Keenan unter einem Namen, den er schon lange vergessen hatte, irgendwo auf dem afrikanischen Kontinent geboren wurde, benutzte die Menschheit noch Bruchstücke von Steinen als Werkzeuge, und wenn der Stamm an Feuer gelangte, wurde es wie ein Schatz gehütet, damit es nicht erlosch. Damals war er mit seinen einhundertfünfundsechzig Zentimetern ein großer starker Krieger, aber heute war er im Verhältnis zu seinen Mitmenschen klein. Wenigstens hatte sich diese Veränderung langsam vollzogen, sodass sich Keenan daran hatte gewöhnen können. Es amüsierte ihn oft, wenn großgewachsene Männer ihn heute übersahen oder für schwach hielten, weil er so klein war. In der Steinzeit war er ein Riese gewesen. Die Menschen damals maßen meist nur einhundertvierzig bis einhundertfünfzig Zentimeter. Daher war er als Sexualpartner gefragt gewesen. Jede Frau wollte sein Kind gebären. Im Alter von gerade einmal dreizehn Sommern kam seine erste Tochter zur Welt. Bereits im Winter darauf gebar ein anderes Weib seiner Sippe seinen ersten Sohn. Monogamie gab es in der Steinzeit nicht. Zwar suchten sich die Frauen einen Gefährten, mit dem sie ihre Kinder großzogen, doch erst mit der Sesshaftwerdung kam der Zwang dazu, nur mit dem Erwählten Nachwuchs zu zeugen. Als Keenan das stolze Alter von dreißig Sommern erlebte und immer noch jung und vital aussah, bekam er die ersten Schwierigkeiten mit seinem Stamm. Natürlich führte er sie erfolgreich durch die Jahreszeiten, aber es wurde ihnen unheimlich mit ihm. Als er das Getuschel mehrerer Männer hörte, die ihn töten und seinen Platz einnehmen wollten, beschloss er sein Heil in der Flucht zu suchen und verschwand still und leise in einer eiskalten Herbstnacht. Schon damals fürchteten sich Menschen vor Dingen, die sie nicht kannten und da Keenan scheinbar nicht alterte, sondern immer noch jung und vital aussah, fiel er diese Kategorie.

Einsam zog er über die leere Weite des vereisten Kontinents und anfangs begegneten ihm ausschließlich wilde Tiere. Erst nach mehreren Tagen entdeckte er eine kleine Menschenansammlung, zumindest hielt er sie anfangs dafür. Da Keenan vorsichtig war, beschloss er die Gruppe erst zu beobachten. Das Gesehene verschlug ihm die Sprache. Dort herrschte eine große Aufregung, scheinbar kämpften zwei Männer um die Stammesführung. Diese Gefühlsanstürme wirkten sich auf die Bestien aus. Sie veränderten ihre Gesichtszüge. Bei einigen spross Fell, sie bekamen Klauen und ihre Stimmen klangen bestialisch wie bei wilden Raubtieren. Andere bekamen eine ledrige Haut mit Rissen und Furchen und schienen über besondere Fähigkeiten zu verfügen. Als eine dieser Bestien mit rissiger Haut nur durch die Bewegung der Hand einem Fellbedeckten das Genick brach, ohne ihn dabei zu berühren, zog sich Keenan zurück und umging die Gruppe in großem Bogen. Er verstand nur bedingt, was er da gesehen hatte. In seiner Geburtssippe hatten die Alten oft Schauergeschichten von Bestien erzählt, die zu Tieren werden konnten und Menschen angriffen. Im Laufe der vielen Leben, die darauffolgten, begegneten ihm Bestien aller Art immer wieder und überall. Sie verbreiteten sich auf der Erde genauso wie der Homo sapiens.

Erst nach seinem zehnten Wechsel in eine andere Sippe bemerkte Keenan, dass nicht nur er die Fähigkeit hatte, diese Bestien zu erkennen. In der neuen Sippe lebte ein Weib mit der gleichen Gabe. Die ständig ängstlich wirkende Frau kam Keenan unheimlich bekannt vor, als wären sie sich schon begegnet. Er konnte aber nicht genau sagen, warum das so war. In ihrer Gabe sah sie im Gegensatz zu Keenan einen Fluch und brachte sich letzten Endes um, indem sie von einer hohen Klippe sprang. Durch Gespräche mit anderen Stammesmitgliedern erfuhr er, dass die Klippenspringerin eine Jagdbeute war. Man hatte sie einer anderen Menschengruppe geraubt. In dem Moment wurde Keenan bewusst, was es mit der Selbstmörderin auf sich hatte. Es handelte sich vermutlich um seine Enkelin oder Urenkelin. Schlagartig wurde ihm klar, dass er für diese zusätzlichen und für sie offensichtlich belastenden Fähigkeiten verantwortlich war. Er gab sie an seine Nachkommen weiter, genauso wie sein schwarzes Haar und die markanten grünen Augen. Wenigstens erbten sie nicht ebenfalls noch seine Langlebigkeit, denn die wurde Keenan mit jedem vergehenden Jahr mehr zur Last.

Ab diesem erkenntnisreichen Tag zeugte Keenan keine Kinder mehr. Er konnte es nicht verantworten, eine solche Bürde zu vererben, zumal die Zwischenfälle zwischen den Bestien und den umherziehenden Sippen immer häufiger wurden. Aus Erzählungen von fremden Jagdgruppen erfuhr Keenan, dass seine Nachkommen zu Beschützern ihrer Gemeinschaften wurden, falls sie nicht dem Wahnsinn verfielen. Keenan wusste aus Erfahrung, dass der Kampf gegen die Bestien große Gefahr mit sich brachte und dieses Los hatte er seinen Kindern unwissentlich aufgebürdet. Die meisten wurden nicht alt, sondern starben bei ihren Bemühungen, ihre Sippe zu beschützen. Glücklicherweise konnte er bei sich und ebenso bei seinen Nachkommen feststellen, dass sie mit besonderen Fähigkeiten gesegnet waren, die ihnen zumindest Vorteile im Kampf gegen die Bestien brachten. Keenan war stärker und schneller als der Durchschnittsmensch. In der Tat hatte er festgestellt, dass er, wenn er sich auf etwas konzentrierte, seine Ohren und Augen eine wesentlich höhere Leistung brachten. Er konnte einen sanft plätschernden Bach schon lange hören, bevor er ihn überhaupt sehen konnte.

Leider brachte seine Weigerung, Kinder zu zeugen, ein anderes Problem mit sich. Frauen wollten Familien gründen, vor allem nach der Sesshaftwerdung. Folglich wurde er zu einem ungeselligen Einzelgänger, der immer am Rand einer Gruppe lebte, oder wenn er trotzdem versuchte, sich anzupassen, von seinem Weib früher oder später vor die Tür gesetzt wurde. Zwar hatte er auch Interesse an Männern, allerdings bei den Jägern und Sammlern wurde es nur bedingt geduldet, wenn sich zwei Männer zusammentaten. Bei großen Gruppen kümmerten sich Männer ohne familiären Anhang um die Verteidigung und gingen mit den Jagdtrupps. Bei kleinen Sippen sah das anders aus. Es brachte der Gemeinschaft keinen Nachwuchs und darauf kam es im eiszeitkalten Europa an. Als die Gletscher zurückwichen und die Lebensbedingungen besser wurden, ersetzten die ersten abstrakten Glaubenssysteme den anhaltenden Überlebenskampf der Menschen und die gleichgeschlechtliche Liebe wurde nicht mehr gern gesehen. Die neuen Religionen betonten die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. In manchen neu entstandenen Kulturen wurde man dafür sogar getötet. Erst Jahrtausende später, bei den alten Griechen, sollte sich das Blatt erstmals wenden.

Jetzt, am Ende des Holozäns oder am Anfang des Anthropozäns, konnten Männer offen schwul oder bisexuell sein, ohne fürchten zu müssen, vom wütenden Mob gemeuchelt zu werden. Die Kirche hatte bei weitem nicht mehr die Macht wie früher und in den meisten Länder stand Homosexualität nicht mehr unter Strafe. Daher hatte Keenan beschlossen, mit seinem neuen Leben den seit langer Zeit ruhenden Teil seiner Sexualität hervorzuholen und so zu leben.

In der Antike, dem Mittelalter und sogar noch während der industriellen Revolution konnte Keenan problemlos verschwinden, indem er von einer Reise nicht mehr zurückkam und danach andernorts ein neues Leben begann. Heute ging das nicht mehr. Alle zehn bis fünfzehn Jahre musste er sich neu erfinden, benötigte neue Papiere, ein neues Heim und musste den Wohnort wechseln. Den Stress mit zurückgelassenen Freundinnen oder Ehefrauen brauchte er nicht auch noch. Heute konnte landesweit nach jemandem gesucht werden, wenn er verschwand. Das galt es zu vermeiden. Aufmerksamkeit konnte ihn in große Schwierigkeiten bringen.

Also war Keenan Protec ab heute der neue, schwule Labortechniker des Halifax Regional Police Departements in Nova Scotia.

Halifax, Mai 26, 2021 – 9 Uhr vormittags

Nervös betrat Keenan das Polizeirevier in Halifax und meldete sich am Empfang. Dort stand ein großer, uniformierter Beamte und sah ihn leicht gelangweilt an. Im Gegensatz zur Dienstkleidung der Mounties kam die Kleidung der Polizisten in Halifax schlicht daher. Die schwarze Uniform bestand aus einer Hose mit gelben Seitenstreifen, einer Jacke und einer schwarzen Schirmmütze mit gelbem Band. Trotzdem war sie ehrfurchtgebietend.

„Guten Morgen! Ich bin Keenan Protec und möchte…“

Der Beamte nickte und unterbrach Keenan kurzerhand: „Der Chief Inspector erwartet sie. Sein Büro ist am Ende des Großraumbüros.“ Dabei deutete der Beamte nach hinten.

Dankbar nickte Keenan und durchquerte die hüfthohe Schwingtür und trat an der Sichtschutzwand vorbei, zum dahinter liegenden, Großraumbüro. Dort saßen an ungefähr dreißig Schreibtischen nicht viele Beamte, schließlich waren immer welche im Außeneinsatz oder auch zu Hause. Ob Schreibtisch-Sharing bei der Halifax Regional Police üblich war, wusste Keenan bisher nicht, würde er aber zwangsläufig herausfinden. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht marschierte er quer durch das Büro und erntete einige sehr erstaunte Blicke. Das missbilligende Kopfschütteln des Schalterbeamten bemerkte Keenan hingegen nicht mehr.

Das Büro von Chief Inspector Jean-Paul Murreau des Reviers Central in Halifax war ein großer Glaskasten, modern und futuristisch. Man kam sich wie in einem Aquarium vor. Nachdrücklich klopfte Keegan an das Glas der Tür und lächelte seinen obersten Chef zurückhaltend an. Noch nie hatte Keenan in freier Wildbahn einen so attraktiven Vertreter des männlichen Geschlechts gesehen.

Mit einem Wink wurde Keenan aufgefordert einzutreten, zeitgleich umrundete der Chief Inspector seinen Schreibtisch. Während er Keenan die Hand reichte, begrüßte er ihn mit den Worten: „Herzlich willkommen bei der Halifax Police.“ Danach deutete er auf die Tür. „Bitte schließen sie die Tür und setzen sie sich.“ Währenddessen kehrte Murreau hinter seinen Schreibtisch zurück und nahm ebenfalls Platz.

Erstaunt registrierte Keenan die schlagartig entstehende Gänsehaut auf seinem ganzen Körper, als die markante Baritonstimme ihn durchdrang. Schnell schüttelte Keenan die Empfindung ab, kam der Aufforderung nach und sah seinen neuen Boss aufmerksam an. Das markante Gesicht würde die meisten Besucher sofort positiv beeinflussen. Keenan fühlte sich in der Gesellschaft des Chief Inspektors etwas seltsam. Eindeutig regten das Äußere und der Duft des Mannes seine Libido an, gleichzeitig machte ihn sein sechster Sinn auf die Gefahr aufmerksam, die den Mann wie einen Mantel umgab. Keenan konnte nicht sagen, ob er Murreau eher zu den Guten oder den Bösen zählen sollte, aber die Zeit würde es schon zeigen. Auf jeden Fall war er kein Mensch.

 

Nachdrücklich nahm Jean die noch sehr dünne Personalakte des neuen Labortechnikers aus seinem Schreibtisch. Nach diesem Termin würde sie, wie alle anderen in die Personalabteilung wandern. Er schlug sie aus reiner Gewohnheit auf und wusste genau, was darinstand und vor allem was nicht. Dieser Mann schien makellos zu sein. Nicht, dass er in allem perfekte Ergebnisse erzielt hätte, aber alle Zeugnisse waren gut genug für den Posten, für den er sich beworben hatte, und es gab keine negativen Einträge aus seiner Jugendzeit. Keinerlei Sünden in jungen Jahren? Keine Vorkommnisse mit Freunden während Trinkgelagen, Ausflügen oder bei Spring-Breaks? Jean hielt das für nahezu unmöglich. Solch eine Vita konnte man nur künstlich herstellen, doch Jean hatte dafür keinen Beweis, aber er hatte auch nicht wirklich danach gesucht. Trotzdem würde er seinem neuen und sehr schnuckligen Mitarbeiter mitteilen, dass er ihn im Auge behielt. „Ihre Bewerbung sieht gut aus und alle Nachweise konnten durch unsere Personalabteilung belegt werden. So weit, so gut.“ Durchdringend sah er den kleinen Mann vor sich an. Irgendetwas an ihm war auffallend und erzeugte ein sehr angenehmes Jucken unter seiner Haut, als wollte er sich transformieren. Seltsam.

 

Wieder reagierte Keenan begehrlich auf die samtene Stimme des Chiefs. Krampfhaft unterdrückte er ein Schlucken. Stattdessen zauberte er ein schüchternes Lächeln auf seine, mit Lipgloss versehenen, Lippen. „Gibt es weitere Fragen? Über meinen Lebenslauf hinausvielleicht?“ Angriff war die beste Verteidigung, zumindest hielt sich Keenan gerne an dieses Motto, wobei er nicht die Vorsicht außer Acht ließ.

 

 

Sofort verschloss sich der eben noch so offene Blick des Revierchefs und er musterte den Neuen kalt. Er mochte es nicht, hinters Licht geführt zu werden. Bewusst gab er eine kleine Portion der ihm gegebenen Telepathie ab, ließ sie den Menschen vor sich streifen, damit der ein Fazit ziehen konnte. Allerdings kam nur Kälte zurück. Bewusst unterdrückte er ein Zusammenzucken. Solch eine Reaktion hatte er bisher nur einmal erlebt. Saß da ein Crusader vor ihm?

 

Ruckartig versteifte sich Keenans Rücken. Das war ein Hexer! Kein Wunder, dass er ihm gefährlich vorgekommen war. Jetzt galt es die Frage zu klären, ob er zu den Guten oder den anderen gehörte. Als Polizist sollte er zu den Rechtschaffenden zählen, aber manchmal trog der erste Eindruck. Hinzu kam noch, dass Keenan einen Vorgesetzten hatte, der genau wusste, wer und vor allem was er war. Seufzend beschloss er, den ersten Schritt zu wagen: „Wie wollen wir damit umgehen?“

 

 

Halifax, Mai 26, 2021 – 9:15 Uhr vormittags

Sofort verstand Jean den tatsächlichen Inhalt der so neutral gestellten Frage. Sein Blick glitt übers Großraumbüro jenseits der Scheibe. Niemand schenkte ihnen Aufmerksamkeit. Würde er jetzt die Fernbedienung zur Hand nehmen und das Glas milchig werden lassen, hätten sie alle Augen auf sich und die Spekulationen würden losgehen. Daher löste Jean das Problem anders. Er stand auf, ging zur Tür, griff die Klinke, als wolle er sie öffnen und drehte sich wieder zu dem vermeintlichen Crusader um. Als ihre Blicke sich trafen, ließ er eine Transformation ersten Grades über sich kommen. Ersten Grades bedeutete, dass ein normaler Mensch sie nicht wahrnehmen konnte. Transformationen zweiten Grades passierten bei starken Gefühlen, wenn die Bestie die Beherrschung verlor. Teile seiner Haut wurden ledrig-rissig, aber bei Weitem nicht so viel wie bei einem reinblütigen Hexer. Trotz der veränderten Hautpartien sah er noch immer sehr attraktiv aus. Als er sein Gegenüber betrachtete, erkannte er in dessen Augen das regenbogenfarbene Schimmern, das ihn als Crusader auswies. Normalerweise war dabei die Iris des Crusaders betroffen, doch hier erstrahlte der Regenbogen im kompletten Auge. Einzig die schwarze Pupille blieb, wie sie war. So etwas hatte Jean bisher nie gesehen. Keenan Protec hatte die schönsten Augen der Welt.

 

Ohne die Miene zu verziehen, sah Keenan die Bestie an. Mit schräg gelegtem Kopf versuchte er, sich einen Reim auf die nur teilweise Metamorphose zu machen. „Sie sind kein Hexer. Etwas an Ihnen ist anders.“ Bewusst vermied er eine Frage zu stellen, denn sie kannten sich zu wenig, um sich bei solch privaten Informationen schon zu vertrauen.

 

Nickend stimmte Jean zu und musterte das entspannte Gesicht des Crusaders. „Die Frage kann ich nur zurückgeben. Auch Sie sind nicht der typische Vertreter ihrer Gattung. Wie wollen Sie damit umgehen?“ Ab diesem Punkt gab es mehrere Wege, die sie einschlagen konnten. Es gab die Möglichkeit, dass hier kein Arbeitsverhältnis zustande käme und Jean die nächsten Tage ständig über seine Schulter schauen müsste oder aber, dass sie sich auf eine gute Zusammenarbeit einigten. Die grundsätzliche Feindschaft zwischen den Crusadern und den Bestien war seit Jahrzehnten auf Eis gelegt. Heute galt nicht mehr das Motto „Erst Enthaupten, dann fragen“. Nur wenn eine Bestie Menschen schadete, wurde sie von den Crusadern oder dem Bestiensenat mit den entsprechenden Mitteln unschädlich gemacht. Wobei der Senat seiner Art nur eingriff, wenn die Geheimhaltung in Gefahr geriet. Keine Bestie durfte dagegen verstoßen. Dieses Gebot war ehern. Wenn eine Bestie nur stahl, betrog oder ähnliches, landete sie wie jeder menschliche Verbrecher im Gefängnis. Nur Mörder, Vergewaltiger und Kinderschänder wurden durch die Crusader gerichtet.

 

Wieder reagierte er auf den betörenden Duft, der von dem Pseudo-Hexer ausging. Nach einem tiefen Durchatmen erklärte Keenan: „Ich habe sehr viel Energie in meine neue Identität gesteckt. Daher möchte ich gerne versuchen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Erfahrungsgemäß gibt es bei allen Arten Gute und Böse. Ich bin bereit, einen Vertrauensvorschuss zu gewähren, wenn Sie es auch sind.“ Beide trugen sie das Risiko, vom anderen hinterrücks gemeuchelt zu werden.

 

Mit fest zusammengepressten Lippen sah Jean den Crusader an und nickte dann zustimmend. „Gut, versuchen wir es. Es hat Vorteile, mit einem ihrer Art zusammenzuarbeiten.“

Leise glucksend entgegnete Keenan: „Dito.“

 

Bevor einer von Beiden noch etwas sagen konnte, wurden sie von einem harschen Klopfen unterbrochen. Sofort richteten sich Keenans Augen auf den großgewachsenen, bärtigen Mann an der Tür, die dieser öffnete, obwohl er nicht hereingebeten worden war. Auch er war das Bild purer Männlichkeit, muskulös, tätowiert und sehr attraktiv. Die elegante Jeans und das dunkelblaue Hemd brachten seine blonden Haare beinahe zum Leuchten. Trotzdem war der dunkelhaarige Chief für Keenan wesentlich anziehender, obwohl der Neuankömmling durch und durch ein Mensch war.

Als der Chief Inspector sich zur Tür wandte, bemerkte Keenan in dessen Gesicht ein Anflug von Unmut, als er erkannte, wer da vor seiner Tür stand. Trotzdem wich er sofort zurück, um den Besucher einzulassen und verabschiedete Keenan mit den Worten: „Melden Sie sich bitte im Obergeschoss in der Personalabteilung. Dort erhalten sie alle benötigten Unterlagen, Zugangsberechtigungen und Arbeitsanweisungen. Einen schönen ersten Arbeitstag, Mr. Protec.“

Sofort erhob sich Keenan und entgegnete „Danke, Chief Inspector“ und ging an den beiden Männern vorbei, wobei er sich an dem Blonden regelrecht vorbei quetschen musste. Als Keenan das Großraumbüro gerade zur Hälfte durchquert hatte, konnte er es sich nicht verkneifen, einen Blick zurückzuwerfen. Dabei begegnete er dem grimmigen Blick des Blonden. Es wirkte fast, als wolle dieser ihn erwürgen, obwohl sie sich gar nicht kannten. Was hatte er getan? Mit einem Stolperschritt fuhr er herum, um seinen Weg fortzusetzen.

 

Eine warme Hand schloss sich um Keenans Schulter und half ihm, sich zu fangen. Lächelnd sah er in das Gesicht einer hübschen, rothaarigen Frau, deren Augen wissend aufblitzten. Mit einer Kopfbewegung Richtung Aquarium erklärte sie leise: „Das ist Gerald Kruge, der Partner des Chiefs. Er ist ein anmaßendes Arschloch, aber eine echte Augenweide. Ich weiß nicht, warum der Chief ihn erträgt. Er könnte etwas weit Besseres haben.“ Bei der letzten Aussage blinzelte sie Keenan verschwörerisch zu.

Verstehen und Bedauern machte sich in Keenan breit. Dankbar nickte er der Polizistin zu und stellte sich ihr vor: „Ich bin Keenan, der neue Labortechniker. Wo geht es zur Treppe?“

Lachend zeigte die Rothaarige in die Ecke neben dem Empfangsbereich und verabschiedete Keenan mit den Worten: „Ich bin Julia und willkommen im Polizeirevier des Kuriosen!“

Zwar verstand Keenan diesen Satz nicht, trotzdem verabschiedete er sich mit einem Winken und benutzte dann die Treppe ins obere Stockwerk. Die Personalabteilung wartete.

 

***

 

Obwohl sich Jean nicht über den Besuch seines Partners freute, begrüßte er ihn mit einem kleinen Kuss auf die Lippen. Trotzdem wirkte dessen Gesicht noch immer verkniffen und missmutig. Ein so gutaussehender Mann sollte solche Gefühle definitiv meiden oder zumindest nicht so offen zeigen. Mit jedem Tag schlich sich mehr Spannung und Unzufriedenheit in ihre anfangs so harmonische Beziehung. Dass das zum Teil an der Tatsache lag, dass er seinen Partner nicht über sein wahres Wesen informiert hatte, war Jean bewusst. Jean kam immer wieder mit der Welt der Bestien in Kontakt, musste den damit einhergehenden Verpflichtungen nachkommen und seinen Partner darüber im Dunkeln lassen. Leider entsprach es den Tatsachen, dass Gerald ihn schneller verlassen würde, als er Hexer aussprechen konnte, wenn er jemals die Wahrheit erfuhr. Gerald musste man simpel und oberflächlich bezeichnen. Er liebte den schönen Schein und könnte mit seiner wahren Natur nicht umgehen. Seufzend realisierte er, dass es langsam Zeit wurde, dieser mittlerweile unliebsamen Liaison ein Ende zu setzen.

„Wer war das?“, kam es in bissigem Ton von Gerald, dabei mahlten seine Zähne, als wollte er harte Weizenkörner zu Mehl verarbeiten.

Resigniert antwortet Jean: „Der neue Labortechniker. Heute ist sein erster Tag.“ Mit einem mulmigen Gefühl im Magen erwartete er die Entgegnung und sie kam prompt.

„Schnuckliges Kerlchen. Hat das Vorstellungsgespräch auf der Couch stattgefunden?“

Da Jean sich gerade hatte setzen wollen, stand er direkt vor seinem Schreibtisch. Ein geplagtes Stöhnen verließ seine Kehle. Als er sich in seinen mit schwarzem Leder bezogenen Schreibtischstuhl Marke Chefsessel fallen ließ, fiel auch sein Kopf in den Nacken und seine Augen zu. Er brauchte eine Sekunde, sonst würde er etwas Bitterböses sagen. Nach einigen Herzschlägen, aber mit noch immer geschlossenen Augen, erwiderte er: „Nathan Ford, der Laborleiter, hat das Vorstellungsgespräch geführt. Ich hab ihn erst heute Morgen kennengelernt und er war nur zehn Minuten mit mir im Aquarium, was jeder einzelne Cop im Büro einsehen kann. Verlass dich darauf, er entspricht nicht meinem Beuteschema.“ Bewusst hatte Jean die letzte Aussage so formuliert, denn insgeheim machte ihn die verborgene Stärke in dem drahtig-kleinen Körper schon an, aber das würde er Gerald auf keinen Fall mitteilen. Bisher fand er eher Männer seiner Colour anziehend.

„Wer’s glaubt.“ Wie ein wütender Stier marschierte Gerald vor dem Schreibtisch hin und her. Dann beschloss er, scheinbar zum Grund seines Besuchs zu kommen: „Ich wollte dir eigentlich nur mitteilen, dass ich für zwei Wochen nach Alberta fliege. Ich habe dort ein Gutachten über eine neue Anlage zur Ölgewinnung aus Sand anzufertigen. Ich melde mich, wenn mein Flieger in Calgary gelandet ist. Von dort geht es weiter nach Jasper.“ Kaum hatte Gerald sich auf das Berufliche konzentriert, blendete er all ihre privaten Probleme aus und ging mit Jean wieder wie früher um.

„In Ordnung, Gerald. Soll ich dich zum Flughafen fahren?“, kam es in ruhigem Ton von Jean. Auf keinen Fall wollte er die Animosität wieder an die Oberfläche bringen. Für heute hatte er genug von den unbegründeten Anschuldigungen.

„Nein, nein. Ich nehme ein Taxi. Wenn ich heimkomme und es nicht gerade mitten in der Nacht ist, ruf ich dich an. Dann kannst du mich abholen.“ Wärme blitzte in Geralds Augen auf, während er neben den großen Schreibtisch trat, sich hinab beugte und Jean verzehrend küsste.

Von diesen vielen unerwarteten Gefühlsumschwüngen bekam man ein Schleudertrauma.

Halifax, Juni 03, 2021 – 5 Uhr nachmittags

Mit funkelnden Augen sah Keenan über seinen aufgeräumten Arbeitsplatz. So mochte er es, Feierabend zu machen. Er hatte alle seine Tests abgeschlossen und zum Großteil schon die Berichte dazu verfasst. Alles steckte wieder in den dazugehörigen Beweismitteltüten und in den entsprechenden Kisten. Morgen konnte er an einem aufgeräumten Platz beginnen.

Seit einer Woche ging er nun seiner Arbeit als Labortechniker nach und schätzte die Ruhe seines neuen Arbeitsumfeldes. Für Schusswaffentests gab es einen kleinen schallisolierten Raum und jeder Arbeitsplatz war durch eine brusthohe Trennwand vom benachbarten abgeteilt. Da Keenan nur etwas mehr als eins sechzig groß war, konnte er nur auf Zehenspitzen stehend über diese Trennwände sehen, dafür aber teilte ihm sein überdurchschnittlich gutes Gehör alles Wissenswerte mit. Seine Ohren hatten eine enorme Reichweite und es auch an alle Crusader vererbt. Selbst ein Flüstern in einhundert Meter Entfernung konnte er hören, wenn er sich darauf konzentrierte. Zum Glück erforderte es Konzentration, sonst würde jeder Crusader wegen Reizüberflutung in der Irrenanstalt landen. Von besonderem Nutzen war diese Fähigkeit bei der Gruppenjagd während der Eiszeit. Der Schnee schluckte viele Geräusche und machte es schwer zu lokalisieren, wo sich die Beute tatsächlich befand.

Interessant waren vor allem die sehr vielfältigen Reaktionen seiner Kollegen auf ihn. Im gemeinsam genutzten Herrenumkleideraum hatte es ein paar anzügliche Bemerkungen von Seiten der Polizisten gehagelt, da den Jungs natürlich seine sexuelle Orientierung aufgefallen war. Da aber der Chief Inspector am selben Ufer fischte, hielt es sich in Grenzen. Unter seinen Laborkollegen gab es keine Homophoben. Aber er war auf zwei Kollegen getroffen, die Werbestien waren. Der erste war sein Chef Nathan Ford. Er war ein Dilldapp, ein Wermarder, um genau zu sein und daher nur ein oder zwei Zentimeter größer als Keenan. Der zweite war sein Labornachbar. Immer wenn etwas nicht ganz so funktionierte wie erwartet, reagierte Milford Gainse mit einer Transformation ersten Grades. Es schien ihn zu beruhigen, und da es niemand wahrnehmen konnte, spielte dieser Tick keine große Rolle. Dass mittlerweile ein Crusader in seiner Abteilung arbeitete und es sehr wohl bemerkte, hatte der Isegrim bisher nicht realisiert. Noch immer rätselte Keenan, wie er das auflösen konnte, ohne den Werwolf zu verschrecken. Beim Laborleiter hatte er das Problem nicht, denn dieser schien vom Chief Inspector informiert worden zu sein und hatte Keenan direkt auf die Tatsache angesprochen, dass er ein Crusader war.

Im Laufe der zweiten Woche bot sich ihm die Gelegenheit. Zufällig machten Keenan und Milford zusammen Frühstückspause und da sie spät dran waren, waren sie allein im Pausenraum.

„Hallo Milford“, begrüßte Keenan den Kollegen und setzte sich ihm am Tisch gegenüber.

Nachdem Milford geschluckt hatte, grüßte er zurück und erkundigte sich: „Und, wie gefällt dir die Arbeit bei uns? Ich hab gehört, dies wäre dein erster Laborjob.“

Nickend stimmte Keenan zu. Laut seines fingierten Lebenslaufs hatte er nach einigen Jahren im Einzelhandel beschlossen, die Schule nachträglich zu beenden und doch zu studieren. So hatte er die Stelle beim Halifax Regional Police Department bekommen. Nach einem tiefen Durchatmen antwortete Keenan: „Mir gefällt die Arbeit. Die Arbeitszeit ist anständig und die Kollegen nett. Ich hatte mit mehr Homophobie gerechnet, aber das bleibt wohl wegen dem Chief Inspektor aus.“

„Ja, das hast du richtig erkannt. Im Revier zwei arbeitet ein schwuler Cop, der hat an manchen Tagen keine Freude an der Arbeit. Er sagt, es wäre aber immer noch besser als bei den Mounties. Die Reichweite unseres Chiefs ist scheinbar weiter, als man ihn sehen kann. Ich mag ihn, obwohl…“

Als Milford ruckartig verstummte und zudem etwas rot im Gesicht wurde, zog Keenan den Schluss, dass er sich eben beinahe verplappert hätte. Daher ergänzte er: „Obwohl er teilweise ein Hexer ist?“

Mit offenem Mund sah Milford Keenan an, was äußerst unappetitlich war, da er den letzten zerkauten Bissen nicht geschluckt hatte.

„Runterschlucken, Isegrim. Alles ist gut!“, kam es beruhigend von Keenan. Wenn er die Situation richtig einschätzte, würde Milford jetzt teiltransformieren, also ersten Grades, und erwarten, dass er es genauso tat. So identifizierten sich Bestien untereinander, wenn sie sich zu erkennen geben wollten. Doch heute würde es anders ablaufen.

Ein Schauer rann durch Milfords Gesicht, seine Züge wurden härter, der Kiefer größer und kantiger. Durch die leicht geöffneten Lippen konnte man die scharfen Reißzähne des Wolfes erkennen. Die Andeutung eines Fells erschien auf seinen Wangen und seine Ohren liefen nun spitz zu. Als der Blick der Bestie auf Keenans traf, zuckte er zurück, krallte die Finger um die Tischkante und sein Mund stand wieder leicht offen. Schock und Unglaube wechselten sich in den markanten Zügen des Wolfes ab.

Mit einem Glucksen erkundigte sich Keenan: „Bist du noch nie einem Crusader begegnet? Wir sind manchmal besser als unser Ruf.“ Dem letzten Satz hatte Keenan bewusst eine warme und freundliche Färbung gegeben und mit einem neckenden Augenzwinkern betont. Er wollte sofort vermitteln, dass er Milford nicht angreifen würde.

Nach mehrmaligem Blinzeln machte Milford seine Transformation rückgängig. Langsam, fast schon bedächtig, griff er nach seinem abgelegten Sandwich, führte es zum Mund und biss ab. Nach einem ausgiebigen Kauen und Schlucken entgegnete er: „Nein und auch ich bin besser als der Ruf meiner Art.“

Kopfschüttelnd entgegnete Keenan: „All diese Vorurteile!“ Dabei stahl sich ein Grinsen auf seine Lippen, welches umgehend erwidert wurde.

Keenan hatte das Gefühl, dass aus Milford ein wirklich guter Freund werden würde und damit behielt er Recht.

 

 

Halifax, Juni 08, 2021 – 1 Uhr mittags

Normalerweise machten die Labortechniker keine Tatortbegehungen, doch als der Fähren-Mörder wieder zuschlug, wurden sowohl Keenan sowie Milford an den Tatort beordert, auch wenn Nathan Ford, ihr Laborleiter, zumindest pro forma protestierte. Warum sie es ansehen sollten, erschloss sich ihnen in dem Moment, als sie auf der Autofähre an das entsprechende Auto herantraten. Sowohl die Ermittler sowie die Forensiker hatten das Massaker angesehen und ihre Arbeit gemacht.

Murreau hatte sie beide her zitiert, weil er ebenfalls von ihnen eine Einschätzung wünschte. Außerdem sollte noch ein externer Berater zu ihnen stoßen. Nach ihnen würde der Gerichtsmediziner die Leiche des jungen Mannes abtransportieren. Man merkte dem älteren Mann an, dass ihn das Warten nervte. Er hielt ihr Kommen offensichtlich für unnötig.

Aufmerksam umrundete Keenan den Geländewagen älteren Baujahrs. Am Auto selbst gab es äußerlich keine Anzeichen für ein Verbrechen. Der junge Mann auf dem Fahrersitz konnte aber nur als solcher identifiziert werden, weil er nackt am Steuer saß und einzig sein Genitalbereich nicht in Mitleidenschaft gezogen worden war. Der restliche Körper, inklusive des Gesichts, wirkte wie mit Krallen oder scharfen Messern bearbeitet. Als Milford tief einatmete und dabei über die Motorhaube Keenan bedeutungsvoll ansah, wurde diesem klar, dass er und Milford hinzugezogen worden waren, weil der Mörder eine Bestie war. Scheiße!