Du bist mein Leben - Patricia Vandenberg - E-Book

Du bist mein Leben E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Frühlingsstürme brausten über das Land, und wer auch noch föhnempfindlich war, mußte in diesen Tagen schwer leiden. Für Dr. Norden bedeutete das, daß er noch mehr Hausbesuche machen mußte als sonst. Fee Norden verbrachte die Wartezeit, in der ihr geplagter Mann unterwegs war, vor dem Fernsehapparat. Ausnahmsweise wurde mal ein sehr guter, kritischer und spannender Fernsehfilm gebracht. Eine dramatische Ehegeschichte mit ausgezeichneten Schauspielern. Seit die Familie Norden mit den Zwillingen bereichert worden war, war Fee nicht mehr ins Theater gekommen, auch nicht in die Oper, und so freute sie sich, daß ihr mal ein gutes Stück ins Haus kam. Jonas Rieth, der in diesem Film, der eigentlich ein Schauspiel war, die Hauptrolle spielte, kannte sie schon von früher, und er kam auch zu Daniel Norden, wenn ihm etwas fehlte. Er wohnte bei seiner Tante Clarissa, die selbst eine große Schauspielerin gewesen war und immer noch Schauspielunterricht gab, in einer prachtvollen alten Villa aus den Gründerjahren, in dem romantischen Villenviertel an der Würm. Manchmal hatte Fee ihn auch auf der Straße getroffen. Man war freilich noch interessierter, wenn man die Schauspieler persönlich kannte, und früher hatten Fee und Daniel öfter mal in den Künstlerkreisen verkehrt. Nicht immer hatte es ihnen gefallen, aber Jonas Rieth war ein feiner, sensibler und sehr geistreicher Mann, ohne Allüren. Fee war fasziniert, wenn er sprach, wenn die Ausdruckskraft seines Mienenspiels das aussagte, was nicht gesprochen wurde. Er hatte ein sehr interessantes Gesicht, eine dunkle, wohlklingende Stimme. Ansonsten bewegte er sich so natürlich wie im täglichen Leben. Er wirkte glaubhaft, während Nadja Marconi,

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Dr. Norden Bestseller – 252 –

Du bist mein Leben

Jonas hat eine schwere Krise überwunden

Patricia Vandenberg

Frühlingsstürme brausten über das Land, und wer auch noch föhnempfindlich war, mußte in diesen Tagen schwer leiden. Für Dr. Norden bedeutete das, daß er noch mehr Hausbesuche machen mußte als sonst.

Fee Norden verbrachte die Wartezeit, in der ihr geplagter Mann unterwegs war, vor dem Fernsehapparat. Ausnahmsweise wurde mal ein sehr guter, kritischer und spannender Fernsehfilm gebracht. Eine dramatische Ehegeschichte mit ausgezeichneten Schauspielern.

Seit die Familie Norden mit den Zwillingen bereichert worden war, war Fee nicht mehr ins Theater gekommen, auch nicht in die Oper, und so freute sie sich, daß ihr mal ein gutes Stück ins Haus kam.

Jonas Rieth, der in diesem Film, der eigentlich ein Schauspiel war, die Hauptrolle spielte, kannte sie schon von früher, und er kam auch zu Daniel Norden, wenn ihm etwas fehlte.

Er wohnte bei seiner Tante Clarissa, die selbst eine große Schauspielerin gewesen war und immer noch Schauspielunterricht gab, in einer prachtvollen alten Villa aus den Gründerjahren, in dem romantischen Villenviertel an der Würm. Manchmal hatte Fee ihn auch auf der Straße getroffen.

Man war freilich noch interessierter, wenn man die Schauspieler persönlich kannte, und früher hatten Fee und Daniel öfter mal in den Künstlerkreisen verkehrt. Nicht immer hatte es ihnen gefallen, aber Jonas Rieth war ein feiner, sensibler und sehr geistreicher Mann, ohne Allüren.

Fee war fasziniert, wenn er sprach, wenn die Ausdruckskraft seines Mienenspiels das aussagte, was nicht gesprochen wurde. Er hatte ein sehr interessantes Gesicht, eine dunkle, wohlklingende Stimme. Ansonsten bewegte er sich so natürlich wie im täglichen Leben. Er wirkte glaubhaft, während Nadja Marconi, die in diesem Film seine Ehefrau spielte, sich etwas zu aufdringlich in Szene setzte. Mochten dies auch manche mögen, denn sie war eine sehr reizvolle Frau, Fees Geschmack war sie nicht. Aber sie wußte, daß zwischen Jonas und Nadja auch private Bindungen bestanden, und sie hatte sich schon mehrmals gefragt, ob diese tatsächlich von Bestand sein könnten. In diesem Film ging es dann jedenfalls um die Trennung, und da hatte Fee plötzlich das Gefühl, daß Nadja eine Sternstunde gehabt haben mußte, denn es war atemberaubend, wie sie diesen Part spielte, wie sie ihm ins Gesicht schleuderte, daß sie zu dem andern gehen würde, der ihr mehr bieten konnte.

Fee war richtig froh, daß sie diesen Schluß noch sehen konnte, denn gleich danach kam Daniel heim.

»Na, wie war dein Freund Jonas?« fragte Daniel scherzend.

»Sehr gut, aber die Marconi war auch nicht schlecht. Jedenfalls habe ich sie so gut noch nicht gesehen.«

»Weil du so oft ins Theater gehst«, meinte Daniel neckend.

»Sie ist jetzt mehr beim Film engagiert, aber so eine Rolle hatte sie noch nie.«

»Dann wird sie Jonas auch bald den Laufpaß geben, und gut würde es für ihn sein«, sagte Daniel unverblümt.

Fee sah ihn erstaunt an.

»Ich wußte nicht, daß du so denkst, Schatz«, sagte sie.

»Ich habe eigentlich auch noch nicht viel über diese Nadja nachgedacht, aber neulich war sie mal bei mir in der Praxis. Zum Glück ist Loni nicht von meiner Seite gewichen. Diese Frau hat überhaupt keine Hemmungen.«

»Loni?« fragte Fee hintergründig, obgleich sie genau wußte, daß er Nadja meinte.

»Du weißt doch, was Loni für eine Seele ist«, sagte Daniel. »Die Marconi meint, daß ihr jeder Mann zu Füßen liegen müsse.«

»Das werden auch genug tun, wenn sie mit ihren Reizen so freigebig umgeht wie in diesem Film.«

Daniel grinste jungenhaft. »Und so was schaut sich meine Frau an«, meinte er kopfschüttelnd.

»Doch nur wegen Jonas, und er hat eine reife Leistung gezeigt. Ich hoffe nur, daß er Haltung beweist, wenn ihm Nadja im Leben auch mal so kommt.«

»Wie war der Abgang?« fragte Daniel.

»Es führt kein Weg zurück, das waren die letzten Worte, die er an sie richtete. Ende des Dramas.«

So war im Film das Ende gewesen, im Leben des Schauspielers Jonas Rieth sollte es erst beginnen.

Er saß allein in seiner überaus geschmackvoll eingerichteten Wohnung. Seine Tante Clarissa war für zwei Wochen nach Rom geflogen, um alte Freunde zu treffen.

Jonas hatte sich den Film eigentlich mit Nadja ansehen wollen, um einen richtigen Eindruck von der ganzen Handlung zu bekommen, aber Nadja hatte wieder mal verreisen müssen. Es war auffallend, wie oft sie jetzt in Paris war. Synchronisieren, war ihre Ausrede.

Nun, derzeit glaubte Jonas ihr noch alles, aber während er sich den Film anschaute, sah er sie plötzlich mit anderen Augen, meinte, daß dies die wahre Nadja wäre, und daß sie aus dem Leben gegriffene Rollen spielte.

Es war seltsam, daß er sich peinlich berührt fühlte, wie sie sich vor der Kamera entkleidete, obgleich er es doch oft genug in ihrer oder in seiner Wohnung gesehen hatte. Da hatte sie sich nicht so provozierend gegeben.

Guter Gott, man hat es von ihr verlangt, es mußte in diesem Film so sein, versuchte er sich einzureden. Wir haben die Rollen gespielt, wie sie vorgeschrieben waren. Ja, er hatte seine so gespielt, aber Nadja?

Die widersprüchlichsten Empfindungen bewegten ihn, und als das Telefon läutete, schrak er zusammen. Es war fast elf Uhr. Jähe Angst überfiel ihn, daß etwas mit Tante Clarissa sein könnte.

Aber es war Nadjas Stimme, die an sein Ohr tönte. Nicht so schmeichelnd süßlich, wie er es gewohnt war, sondern klirrend.

»Hast du dir den Film angeschaut, Jonas?« fragte sie.

»Ja, du auch?«

»Ich bin in Paris, und ich bleibe hier. Ich werde nämlich heiraten, den Marquis Genot. Und es führt kein Weg zurück, im Film hast du es gesagt, im Leben sage ich es.«

Er war wie betäubt. Diese Härte, diese schmerzhafte Direktheit, es raubte ihm die Sprache.

»Hast du gehört?« fragte sie.

»Ja«, erwiderte er tonlos.

»Laß es dir gutgehen!« Und dann kam nichts mehr, sie hatte aufgelegt.

Er legte den Hörer ebenfalls auf und starrte ihn an wie einen Feind. Er konnte das nicht begreifen, was er eben gehört hatte. Er wollte es nicht wahrhaben.

Dann nahm er den Hörer wieder auf und wählte wie in Trance Nadjas Münchner Nummer. Es war ihm gar nicht richtig bewußt. Aber da vernahm er eine Stimme, eine Männerstimme, die mit ausländischem Akzent »Hallo« sagte. Und aus dem Hintergrund tönte Nadjas Lachen. Ja, es war ihr Lachen.

Sie war gar nicht in Paris. Sie war hier in München, nur zehn Minuten von ihm entfernt. »Hallo, bist du es, Luc?« tönte es wieder an sein Ohr.

»Pardon«, sagte Jonas heiser und legte auf.

Luc – das bedeutete Lucas. Lucas Every etwa? Aber Lucas würde ihn doch nicht hintergehen, nicht auch lügen. Er war der Regisseur dieses Films.

Ruhiger Überlegung war Jonas nicht fähig. Er starrte das Telefonverzeichnis an, fand endlich Lucas Everys Nummer und wählte sie, aber es meldete sich niemand.

Ich muß Gewißheit haben, hämmerte es in Jonas Hirn. Er griff nach seinem Schlüsselbund und stürzte aus dem Haus, wie er ging und stand. Er rannte durch die Nacht, kam gar nicht auf den Gedanken, mit dem Auto zu fahren, aber klarer wurde sein Kopf auch nicht, trotz des leichten Nieselregens, der kühlend wirkte.

Es kann doch nicht sein, daß sie so falsch ist, dachte er nur immer wieder.

Er lief durch menschenleere Straßen. Ihm schien der Weg endlos, aber bisher war er ihn auch noch nie zu Fuß gegangen. Dann kam eine Kreuzung, und das erfaßte er nur noch flüchtig, denn mitten auf der Straße wurde er von einem Auto erfaßt, das er überhaupt nicht bemerkt hatte. Er wurde fünfzig Meter durch die Luft geschleudert und landete auf einer Rasenböschung. Dort blieb er liegen.

*

»Wer war das denn?« hatte Nadja den Mann am Telefon gefragt. Es war Louis Genot.

»Muß falsch verbunden gewesen sein, vielleicht auch ein Ausländer, der mich nicht verstanden hat. Na, wie geht es dir, Nadja?«

»Bestens, ich ärgere mich nur ein bißchen, daß Luc nicht gekommen ist.«

»Laß dich nicht ärgern«, sagte der Mann, der seinen Arm um ihre Taille gelegt hatte, »ma Cherie, ich bin überaus glücklich.«

»Ich auch, Lou«, erwiderte sie mit einem betörenden Augenaufschlag.

Louis Genot war ein blendend aussehender Mann, und wo immer er in Erscheinung trat, flogen ihm die Frauenherzen zu.

Marquis Louis Genot, der Letzte seines Geschlechtes, so trat er in der Gesellschaft wahrhaftig fürstlich in Erscheinung. Ein riesiges Erbe erwartete ihn. Kredit hatte er schon überall, so viel er nur wollte, und Nadja sonnte sich in dem Glück, sich von ihm begehrt zu wissen.

Daß er lieber in München war, störte sie zwar, denn sie war lieber in Paris, aber da sie vorerst keinen bindenden Vertrag hatte, konnte sie Jonas auch aus dem Wege gehen. Sie war überzeugt, daß er es ihr abgenommen hatte, daß sie in Paris sei. Mehrmals hatte sie ihn damit schon täuschen können.

Morgen wollte sie mit Louis nach Garmisch fahren, dann ein paar Tage mit ihm nach Wiessee. Er spielte gern, und für Nadja war es auch beruhigend, daß er fast immer gewann.

Wenn man Geld hat, könne man etwas riskieren, war sein Motto, und wenn man etwas riskieren konnte, gewann man auch.

Wie langweilig war dagegen Jonas mit seiner gefühlvollen Einstellung. Gut, er hatte auch allerhand zu bieten, aber nicht diese Lässigkeit wie Louis. Bei Jonas mußte alles Hand und Fuß haben. Er war auch zu selbstkritisch, und auch sie bekam manche Kritik von ihm zu hören. Und dann diese Tante Clarissa, mit der sie sich nie anfreunden konnte.

Plötzlich kam ihr ein Gedanke, der ihr nicht behagte. »Hoffentlich hat Luc Jonas nicht informiert, daß ich hier bin und nicht in Paris«, sagte sie.

»Und wenn schon«, sagte Louis Genot. »Jonas Rieth mag ein guter Schauspieler sein, das spreche ich ihm nicht ab, aber als Liebhaber bin ich ja wohl doch besser.«

Nun war es so, daß diese Formulierung nicht Nadjas Zustimmung fand, aber er war nun mal so lässig, und sie wollte auf gar keinen Fall seinen Widerspruch herausfordern. Jedenfalls nicht so lange, bis sie die Marquise Genot sein würde. Sie zog ihre Krallen ein, zeigte sich von ihrer sanftesten, anschmiegsamsten Seite. Sie hatte nur noch das eine Ziel im Auge, die Frau von Louis Genot zu werden, eine Marquise.

*

Für Jonas Rieth schien das Leben zu Ende zu sein. Das jedenfalls stellte ein junger Medizinstudent fest, der mit seiner Freundin auf dem Heimweg von einer Party war. Kurz vor dem Haus, in dem sie wohnten, stieß Marilli Franke einen schrillen Schrei aus.

»Da liegt jemand, Wolfi«, rief sie bebend.

»Wird wohl ein Betrunkener sein«, meinte Wolf Henning, aber er hatte schon ein Gewissen, wie es für seinen angestrebten Beruf gehörte, und auch er war maßlos entsetzt, als er sich über den Verletzten beugte.

»Ein Schwerverletzter, Marilli, ruf sofort den Notarzt«, stieß er hastig hervor. Und Marilli lief noch die paar Meter zum Haus, das direkt an der Ecke stand.

Ihre Finger zitterten so stark, daß sie sich später wunderte, wie sie überhaupt die Tür hatte aufschließen können.

Wolf Henning konnte nicht viel tun, denn er hatte kein Verbandzeug bei sich und er wagte auch nicht, den Verletzten zu bewegen, wußte er doch, daß dies mehr schaden als nutzen könnte.

Er fühlte den Puls und horchte das Herz ab. So konnte er feststellen, daß noch Leben in diesem Mann war. Das Gesicht war übel zugerichtet, die Kleidung war klebrig vom Blut. Viel sehen konnte Wolf auch nicht, weil der Verletzte außerhalb des Lichtkreises der Straßenlaterne lag.

Ihm wurden die Minuten zur Ewigkeit, bis Marilli zurückkam. »Der Notarzt ist unterwegs, aber ich habe Dr. Norden erreichen können«, sagte sie atemlos. »Er schickt einen Sanitätswagen von der Behnisch-Klinik und kommt gleich selbst.«

Es war auch ein Glück für Jonas in all dem Unglück, daß Dr. Norden noch nicht im Bett gelegen hatte, und ein noch größeres Glück, daß Dr. Norden ihn erkannte trotz der schlimmen Verletzungen, denn Jonas hatte keinerlei Papiere bei sich, aus denen man seine Identität hätte feststellen können. So entsetzt Dr. Norden auch war, er dachte jetzt nicht nach, wodurch Jonas so schwer verletzt worden wäre, er handelte. Er gab Jonas eine kreislaufbelebende Injektion, legte rasch und sicher Notverbände an, und dann wurde der Patient behutsam in den Krankenwagen geschoben. Dr. Norden fuhr voraus, Wolf Henning fuhr im Krankenwagen mit, nachdem er Marilli nach Hause geschickt hatte, denn von ihm wollte man noch ein paar Auskünfte haben.

»Jonas Rieth?« meinte Dr. Jenny Behnisch kopfschüttelnd. »Unfaßbar.«

»Aber allem Anschein nach von einem Auto erfaßt«, warf Dr. Dieter Behnisch ein. »Die Verletzungen lassen darauf schließen. Wenn er zusammengeschlagen worden wäre, sähe es anders aus.«

»Soll ich die Polizei einschalten?« fragte Daniel.

»Schnellstens, da es sich ja auch um Unfallflucht handeln könnte. Wenn er stirbt…«

»Denk jetzt nicht das«, sagte Jenny. »Machen wir uns an die Arbeit.«

Daniel Norden rief die Polizei an. Man kannte ihn. Man wußte, daß es ernst wurde, wenn er mitten in der Nacht anrief.

Wolf Henning war aufgeregt, aber zugleich auch deprimiert. »Wenn ich mit meiner Freundin nicht so spät heimgekommen wäre, hätte er dort sterben können«, sagte er leise zu Daniel Norden. »Zu Fuß geht doch da kaum jemand in der Nacht, und gerast wird in dieser Straße, daß alle es mit der Angst bekommen. Es ist ja nicht das erste Opfer.«

Das brauchte man Dr. Norden allerdings nicht zu sagen, denn er hatte schon oft genug deswegen Eingaben gemacht, weil eben so viel passierte. Er überlegte nur, wieso Jonas Rieth zu Fuß diese Straße gegangen, sie überquert haben mußte, falls die Theorie, Unfall mit Fahrerflucht stimmen sollte. Aber er wollte sich darüber jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Wichtig war, daß Jonas Rieths Leben doch noch gerettet werden konnte.

»Wenn wir bloß nicht zu spät dran waren«, sagte Wolf Henning tonlos. »Jonas Rieth, so ein toller Schauspieler. Wir haben bei Bekannten heute abend seinetwegen den Fernsehfilm angeschaut.« Er machte eine kleine Pause und hielt den Atem an. »Ob Rieth vielleicht bei der Marconi war?« fuhr er fort. »Sie wohnt doch in der Helenenstraße. Das ist nicht weit von uns. Aber da wäre er doch wohl mit dem Auto hingefahren.«

Ja, so wäre es wohl unter normalen Umständen gewesen. Aber für Jonas Rieth war an diesem Abend eine Illusion zerstört worden. Und nun kämpften die Ärzte um sein Leben. Die Polizeibeamten kamen. Wolf Henning und Dr. Norden machten ihre Angaben. Wolf wurde dann mit dem Streifenwagen mitgenommen und zeigte den Beamten die Unfallstelle. Marilli, die nach Wolf Ausschau gehalten hatte, kam hinzu, und als sie hörte, daß es sich um Jonas Rieth handelte, brach sie in Tränen aus und konnte sich nicht mehr beruhigen.

»Sie schwärmt nämlich für ihn«, sagte Wolf erklärend zu den Beamten, »aber er ist wirklich ein ganz großer Schauspieler.«

Um von diesem Geschehen in den Zeitungen zu berichten, war es schon zu spät, aber im Radio wurde die Meldung gebracht, und Nadja hörte sie im Autoradio, als sie mit Louis Genot nach Garmisch fuhr. Da wurde sie doch blaß, aber Genot sagte zynisch: »Gut, daß du ihn nicht pflegen mußt, Nadja. Lassen wir uns doch nicht die Laune verderben.«

Ein Gemütsmensch war sie nicht, aber sie überlegte doch, ob Jonas nicht auf dem Wege zu ihr gewesen sei, ob er es nicht doch erfahren hatte, daß sie nicht in Paris war. Vielleicht war er der Anrufer gewesen. Aber sie wollte darüber nicht mit Louis sprechen. Und als sie am Abend am Roulettetisch fünfzehntausend Mark gewann, war sie überzeugt, daß nur Louis ihr Glück brachte, und Jonas war vergessen.

*

Eine andere Frau bewegte dieser schreckliche Unfall mehr, und sie hatte in der Behnisch-Klinik selbst davon erfahren. Die Dramaturgin Annmarie Mandel war vor drei Tagen hier am Blinddarm operiert worden, so grad noch auf den letzten Drücker, aber nach eigenen Worten hatte sie die Natur eines Ochsen. Sie war kein Weibchen, sie war ein Energiebündel, keine Schönheit, aber eine Frau mit Geist, Charme, Witz, und apart war sie zudem auch mit ihrem interessanten, unregelmäßigen Gesicht, dem südländischen Einschlag, dem violette Augen einen ganz besonderen Reiz gaben. Eine Frau zum Amüsieren war sie nicht, aber man sagte ihr nach, daß sie fünfzig oder noch mehr Leute unterhalten konnte, ohne daß es ihnen nur eine Minute langweilig wurde.

Über ihre beruflichen Qualitäten gab es kaum Meinungsverschiedenheiten, sofern ihr ihre Erfolge nicht geneidet wurden, denn immer, wenn sie als Dramaturgin verantwortlich zeichnete, konnte man auch einen großen Erfolg verzeichnen. Privat war sie sprühendes Leben, als Patientin ungeduldig, aber doch so vernünftig, daß es nichts weiter auszusetzen gab.