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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Hanna Lorenz betrat wie jeden Morgen das Büro der Firma Bruckner und zog ihre Jacke aus. Ines Gerber hetzte zur Tür herein, als die Sekretärin sich gerade an ihren Schreibtisch setzte. »Bin ich zu spät?« »Geht grad so. Was war denn los? Wieder den Bus verpasst?« Ines Gerber verschwand hinter ihrem Schreibtisch. »Frag' mich bloß net!«, winkte sie ab. »Jeden Morgen dasselbe Theater. Was werde ich froh sein, wenn das Madel groß genug ist und aus dem Haus geht!« Hanna schmunzelte. Kathi war also wieder mal das Problem, die vierzehnjährige Tochter von Ines und Klaus Gerber, in einem wirklich schwierigen Alter. Die junge Frau kam nicht mehr dazu, der Kollegin ein paar tröstende Worte zu sagen, denn im nächsten Moment erklang die Stimme des Juniorchefs aus dem Lautsprecher der Gegensprechanlage. »Frau Lorenz, bitte zu mir.« »Bin schon unterwegs«, murmelte die Sechsundzwanzigjährige und nahm gleich die eingegangene Post mit. Hanna konnte nicht verhindern, dass ihr Herz heftig pochte, als sie das Büro von Tobias Bruckner betrat. Er stand, mit dem Rücken zu ihr, am Fenster und blickte hinaus. »Guten Morgen«
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Seitenzahl: 119
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Hanna Lorenz betrat wie jeden Morgen das Büro der Firma Bruckner und zog ihre Jacke aus. Ines Gerber hetzte zur Tür herein, als die Sekretärin sich gerade an ihren Schreibtisch setzte.
»Bin ich zu spät?«
»Geht grad so. Was war denn los? Wieder den Bus verpasst?«
Ines Gerber verschwand hinter ihrem Schreibtisch.
»Frag’ mich bloß net!«, winkte sie ab. »Jeden Morgen dasselbe Theater. Was werde ich froh sein, wenn das Madel groß genug ist und aus dem Haus geht!«
Hanna schmunzelte. Kathi war also wieder mal das Problem, die vierzehnjährige Tochter von Ines und Klaus Gerber, in einem wirklich schwierigen Alter.
Die junge Frau kam nicht mehr dazu, der Kollegin ein paar tröstende Worte zu sagen, denn im nächsten Moment erklang die Stimme des Juniorchefs aus dem Lautsprecher der Gegensprechanlage.
»Frau Lorenz, bitte zu mir.«
»Bin schon unterwegs«, murmelte die Sechsundzwanzigjährige und nahm gleich die eingegangene Post mit.
Hanna konnte nicht verhindern, dass ihr Herz heftig pochte, als sie das Büro von Tobias Bruckner betrat. Er stand, mit dem Rücken zu ihr, am Fenster und blickte hinaus.
»Guten Morgen«, grüßte Hanna und blieb abwartend stehen.
»Ja, guten Morgen«, nickte der Sohn des Firmeninhabers und seit ein paar Monaten Geschäftsführer der »Bruckner Maschinenbau GmbH«.
Er deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und nahm selbst dahinter Platz. Hanna legte die Post auf den Tisch und setzte sich, wobei sie es vermied, ihn anzusehen.
»Es gibt da ein paar Dinge, die unbedingt in den nächsten Tagen bearbeitet werden sollten«, sagte Tobias Bruckner. »Unter anderem müssen wir die Kündigung der ›Meiler Teile KG‹ vorantreiben.«
Hanna blickte überrascht auf.
Dinge, die in den nächsten Tagen bearbeitet werden sollten – das bedeutete, solange der Seniorchef,
Alfons Bruckner, noch im Urlaub war …, und was die »Meiler Teile KG« anbelangte, da war Hanna sicher, dass Tobias’ Vater anders entscheiden würde …
»Sind Sie sicher, was Meiler angeht?«, wagte sie zu fragen.
Tobias blickte sie irritiert an.
»Wagen Sie etwa, meine Entscheidung in Frage zu stellen?«, brauste er auf. »Die Herrschaften sind mit der Zahlung drei Monate im Rückstand! Wir haben nichts zu verschenken. Also, es wird gekündigt, mit einer letzten Zahlungsfrist von heute an in zehn Tagen. Haben wir bis dahin kein Geld gesehen, treiben wir sehr schnell die Zwangsvollstreckung voran. Ende und Aus!«
Hanna räusperte sich.
»Bitte, entschuldigen Sie, wenn ich anderer Meinung bin«, sagte sie. »Ihr Vater wäre sicher nicht mit dieser Maßnahme einverstanden. Sollten wir nicht besser warten, bis er zurück ist, bevor wir …«
Weiter kam sie nicht. Tobias Bruckner blickte sie an, als sei sie aus einer Anstalt ausgebrochen. Sein markantes Gesicht war rot angelaufen, und auf der Stirn hatte sich eine dicke Zornesfalte gebildet.
»Was erdreisten Sie sich?«, brüllte er unbeherrscht los. »Solange mein Vater im Urlaub ist, treffe ich hier alle Entscheidungen. Und Sie haben sich jedweden Kommentars zu enthalten! Haben Sie mich verstanden?«
Hanna stand mit einem Ruck auf und erwiderte seinen Blick.
»Brüllen Sie mich nicht so an!«, entgegnete sie in einem schärferen Ton als beabsichtigt. »Die Firma Meiler ist ein langjähriger Kunde, und ich bin sicher, dass Ihr Vater es niemals gutheißen wird, was Sie da beabsichtigen.«
Tobias schnappte nach Luft.
»Wissen …, wissen Sie was?«, raunzte er. »Ich habe Sie hier hergeholt, weil ich glaubte, mich auf Ihre Loyalität verlassen zu können. Aber es hat ganz den Anschein, als hätte ich mich geirrt. Es wird wohl das Beste sein, wenn Sie wieder an Ihren alten Arbeitsplatz im Lohnbüro zurückkehren.«
Es kam nicht oft vor, dass Hanna Lorenz in Wut geriet. Doch diese Dreistigkeit brachte das Fass zum Überlaufen.
»Und wissen Sie was?«, entgegnete sie. »Setzen Sie sich von mir aus selbst ins Lohnbüro. Da können S’ wenigstens net solch einen Schaden anrichten wie hier! Gott sei Dank gibt’s auch noch andre Firmen, in denen ich arbeiten kann. Hier jedenfalls kündige ich. Und zwar fristlos!«
Damit entschwand sie nach draußen und ließ einen ziemlich verblüfft dreinsehenden Tobias Bruckner in seinem Büro zurück.
Ines Gerber sah sie fragend an.
»Was war denn los?«
Die lauten Stimmen hatte sie wohl gehört, jedoch nicht, was gesagt worden war.
Hanna ging an den Schreibtisch und packte ihre persönlichen Sachen zusammen.
»Was los war?«, antwortete sie. »Der Herr Junior trifft Entscheidungen über den Kopf seines Vaters hinweg, die dieser niemals gutheißen würde. Das war los.«
»Und darüber habt ihr gestritten?«
Erst jetzt bemerkte die Kollegin, dass Hanna ihre Sachen in einen kleinen Karton gepackt und unter den Arm geklemmt hatte.
»Was machst’ denn da?«, fragte sie sichtlich verwundert.
»Ich gehe«, erwiderte Hanna. »Ich hab’ nämlich grad’ gekündigt.«
*
Später kam es ihr wie eine sehr törichte Kurzschlusshandlung vor. Hanna hatte beinahe fluchtartig die Firma verlassen und war nach Hause gefahren. Bei einer Tasse Tee dachte sie über alles nach.
Eigentlich war es bodenloser Leichtsinn gewesen, den gut bezahlten Job einfach so hinzuwerfen. Gut, mit ihrer Qualifikation würde sie bestimmt schnell wieder eine Stelle finden, dennoch fühlte Hanna ein klein wenig Wehmut bei dem Gedanken, dass sie das Büro nie wieder betreten würde. Sie hatte wirklich gerne dort gearbeitet. Vor fünf Jahren hatte sie im Lohnbüro angefangen und sich in Abendkursen weitergebildet. Die Mühe war nicht umsonst gewesen. Als Tobias Bruckner nach seinem Studium in die Firma des Vaters eintrat, war er schnell auf die fähige junge Mitarbeiterin aufmerksam geworden, die da unten in der Personalabteilung arbeitete. Und er hatte Hanna nach oben geholt, in die Etage, wo die Direktion ihre Büros hatte, und sie nach seiner Beförderung zum Geschäftsführer zu seiner persönlichen Sekretärin gemacht.
Gewiss war es für ihn nicht leicht gewesen. Lange Jahre hatte er im Schatten seines übermächtigen Vaters gestanden und erst nach und nach gewisse Kompetenzen innerhalb der Firma zugewiesen bekommen. Hanna hatte ihn auf diesem steinigen Weg begleitet, ihm Mut zugesprochen, wenn es wieder einmal schwierig wurde, und den Juniorchef vor so manchem Fehler bewahrt, den er im Übereifer zu machen drohte.
Und irgendwann in dieser gemeinsamen Zeit, ja, irgendwann hatte sie sich unsterblich in Tobias Bruckner verliebt!
Ja, das war eigentlich das Schlimmste daran, dass sie ihn liebte und dabei genau wusste, dass er für sie so unerreichbar war wie der sprichwörtliche Mann im Mond. Manchmal hatte sie den Eindruck, Tobias würde sie gar nicht als Frau wahrnehmen, sondern nur als seine Sekretärin. Nicht einmal hatte er ein Wort darüber verloren, wenn sie eine neue Frisur trug oder ein besonderes Kleidungsstück, das sie extra fürs Büro gekauft hatte. Nein, es war eine unerwiderte Liebe, und manchmal schalt sie sich selbst eine Närrin, weil sie insgeheim immer noch die Hoffnung hegte, dass sich dieser Zustand eines Tages änderte.
Doch jetzt war wohl alles aus und vorbei!
Hanna schenkte seufzend Tee nach und überlegte, was sie nun anfangen sollte. Freilich konnte sie sich gleich wieder eine neue Arbeit suchen, doch irgendwie hatte sie das Gefühl, es würde ihr guttun, erst einmal wegzufahren und von allem ein wenig Abstand zu gewinnen. Urlaub hatte sie ohnehin ewig nicht gehabt.
Doch wohin sollte die Reise gehen?
Sie konnte der Einfachheit halber nach Hause fahren, ein paar Tage bei den Eltern verbringen, die sich ohnehin freuen würden, wenn sich die Tochter mal wieder blicken ließ. Doch so ganz behagte ihr dieser Gedanke nicht. Vor allem fürchtete Hanna die bohrenden Fragen nach einem Freund …
Die junge Frau schlug eine alte Zeitung auf und blätterte sie durch, wobei sie die Stellenanzeigen geflissentlich übersah. Dafür erregte eine andere Anzeige ihre Aufmerksamkeit. Ein Reisebüro inserierte und bot einen achttägigen Aufenthalt in den Bergen an. St. Johann hieß der Ort und lag im Wachnertal. Keine zwei Autostunden von München entfernt. Hanna holte einen Atlas und suchte den Ort. Sie fand ihn in der Nähe von Garmisch Partenkirchen. Dann griff sie zum Telefon.
»Sie haben Glück«, hörte sie den Mann aus dem Reisebüro sagen, »grad’ heut Morgen hat jemand seine Buchung storniert. Wegen eines Krankheitsfalles. Bedauerlich, aber so was passiert nun mal. Wie gesagt, ein Zimmer in einer Pension kann ich Ihnen noch anbieten. Eine sehr gute Pension, wie ich betonen möchte. Wir arbeiten schon etliche Jahre mit der Frau Stubler zusammen. Sie werden nicht enttäuscht sein.«
Hanna ließ sich noch weitere Einzelheiten erklären, dann stimmte sie zu und sagte, sie würde umgehend ins Reisebüro kommen, um alles perfekt zu machen.
Zwei Tage später war sie auf dem Weg nach Oberbayern.
»Na, du hast ja Mut«, hatte Ines Gerber bewundernd gesagt.
Hanna konnte sich nicht verkneifen, die ehemalige Kollegin am Abend vor ihrer Abreise aufzusuchen.
Freilich war auch ein bissel Wehmut dabei …
Vermisste man sie in der Firma schon?
Davon sagte Ines nichts. Nur, dass sie inzwischen Hannas Posten eingenommen hatte, erzählte sie.
»Es geht ja net anders«, sagte sie, beinahe entschuldigend. »Aber es muss ja weitergehen.«
»Freilich«, hatte Hanna verständnisvoll genickt.
Sie war Ines keineswegs böse. Aber ein wenig schmerzte es doch, zu erfahren, dass man sie offenbar nicht vermisste.
Jeder war eben ersetzbar.
»Also, ich weiß net, ob ich das so einfach könnt’, jetzt in Urlaub fahren«, fuhr Ines fort. »Wer weiß denn, was später ist? Wie wird’s denn mit einer neuen Arbeitsstelle?«
Hanna zuckte die Schultern.
»Kommt Zeit, kommt Rat«, winkte sie ab.
*
»Grüß Gott und herzlich willkommen in der Pension Stubler«, begrüßte die Wirtin lächelnd den neuen Gast. »Sie sind sicher die Frau Lorenz aus München, net wahr?«
Hanna nickte.
»Ja, grüß Gott.«
Ria ließ die junge Frau eintreten. Gleich neben der Tür war eine kleine Rezeption.
Die Wirtin nahm einen Schlüssel vom Brett.
»Dann zeig’ ich Ihnen gleich mal Ihr Zimmer.«
Hanna folgte ihr die Treppe hinauf.
»So, da ist’s schon.«
Ria schloss die Tür auf. Zimmer elf lag im ersten Stock, gleich an der Treppe. Erwartungsvoll trat Hanna ein und schaute sich um.
»Ich hoff’, es gefällt Ihnen?«, bemerkte die Wirtin.
Das Zimmer war im typisch alpenländischen Stil eingerichtet. Viel Holz, der Kleiderschrank mit Bauernmalerei verziert, an den Wänden Bilder mit Motiven aus der Region, an den Fenstern bunte Vorhänge. Eine Glastür führte auf den umlaufenden Balkon hinaus. Es gab Telefon und Fernsehen, und sogar ein Internetanschluss stand zur Verfügung.
»Es ist ganz wunderbar«, sagte Hanna ehrlich begeistert. »Ich werde mich ganz bestimmt wohl fühlen.«
Ria lächelte erfreut und erläuterte die Frühstückszeiten, und dass der Zimmerschlüssel auch gleichzeitig für die Haustür unten passe. Dann wünschte sie einen schönen Aufenthalt und verabschiedete sich.
Hanna öffnete die Balkontür und trat hinaus. Tief atmete sie die frische Luft ein. Sie schmeckte ganz würzig nach Blumen und wilden Kräutern. An die Brüstung gelehnt schaute die junge Frau zu den Bergen hinüber, die zum Greifen schienen. »Himmelspitz« und »Wintermaid« hießen die Zwillingsgipfel, wie Hanna sich erinnerte. Sie hatte es in den Reiseunterlagen gelesen.
Die Fahrt war ohne größere Probleme verlaufen. Hanna hatte, auf Anraten des Mannes im Reisebüro, ihren eigenen Wagen genommen, anstatt, wie ursprünglich überlegt, mit der Bahn zu fahren.
»Auf jeden Fall sind S’ mit dem Auto unabhängiger.«
Sie riss sich von dem Anblick der schneebedeckten Gipfel los und ging ins Zimmer zurück. Rasch den Koffer ausgepackt und im Bad ein bissel frisch gemacht, dann sollte es losgehen – St. Johann wollte erkundet werden.