E-Book 126-130 - Günter Dönges - E-Book

E-Book 126-130 E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! E-Book 1: Das Mörder Trio E-Book 2: Der Todes Looping E-Book 3: Die entgleiste Lok E-Book 4: Der weiße Hai E-Book 5: Die Wanzenjagd

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Inhalt

Das Mörder Trio

Der Todes Looping

Die entgleiste Lok

Der weiße Hai

Die Wanzenjagd

Butler Parker – Box 25 –

E-Book 126-130

Günter Dönges

Das Mörder Trio

Roman von Dönges, Günter

Ein Auto, das wahrscheinlich schon von Cäsar als hoffnungslos veraltet abgelehnt worden wäre, tauchte im Reigen des »Veteranen-Corsos« auf. Ratternd und asthmatisch schnaufend rollte der offene Wagen an den völlig verdutzten Zuschauern vorüber, eingehüllt in blaue Wolken, die nicht nur aus dem Auspuff stammten.

Der Motor klopfte schon nicht mehr. Unter der eckigen Haube schien sich ein Hammerwerk in voller Aktion zu befinden, das kurz vor einer Explosion stand. Die Karosse war längst in Schwingungen geraten und ließ die langen Kutschwagenfedern auf und ab hüpfen. Die Insassen dieser Art Riesenwiege zeigten dennoch Haltung, Vornehmheit und Würde.

Am Steuer saß eine majestätisch aussehende Dame, die gut und gern ihre sechzig Jahre hinter sich hatte. Sie hatte sich ihren breitrandigen Hut mit einem Tuch unter dem energischen Kinn festgebunden, um dem Fahrtwind zu trotzen. Hin und wieder nahm die kühne Fahrerin ihre Lorgnette hoch und beobachtete durch die Gläser den weiteren Verlauf der Fahrbahn.

Sobald die Dame am Lenkrad sich über den Kurs klar war, nahm sie abrupte Korrekturen des Schnauferls vor, was bei den zahlreichen Zuschauern prompt einiges Entsetzen auslöste. Der Veteran auf Rädern schwenkte dann auf die Mauern zu, die die Straße säumten, und brachte sie ins Wanken.

Doch die Fahrerin beherrschte ihr Auto und zwang das Schnauferl durch geschickte Bremsmanöver zurück auf die Straßenmitte, steuerte gegen und nickte nach solch geglückten Unternehmungen ihrem Beifahrer triumphierend zu.

Der Begleiter der Dame paßte in diesen Wagen, doch er übertrieb seine Anpassungsfähigkeit ein wenig. Mit dem Bambusgriff eines altväterlich gebundenen Regenschirms hielt er seine schwarze Melone auf dem Kopf fest, eine Maßnahme, die eigentlich durch nichts gerechtfertigt wurde, denn der Oldtimer fuhr mehr als langsam.

Der Beifahrer trug einen schwarzen Zweireiher, einen Eckkragen und eine schwarze Krawatte, die alles andere als modisch geschlungen war. Er zeigte ein ausdrucksloses Pokergesicht und saß stocksteif auf seinem Sitz, als habe er einen Ladestock verschluckt.

Die energische Fahrerin, die an die Walküre aus einer Wagneroper erinnerte, schaltete so. etwas wie einen Schnellgang ein. Das ging nicht ohne ein ausgiebiges und verdächtiges Krachen und Schleifen vor sich. Danach blieb das Schnauferl einen Moment stehen, sammelte sich offenbar und machte dann einen gewaltigen Satz nach vorn. Mit einem deutlichen Plus von etwa anderthalb Kilometer pro Stunde jagte das betagte Fahrzeug weiter.

Die Zuschauer an den Straßenrändern belohnten diese Tat mit begeistertem Beifall und hielten anschließend den Atem an, um von den Auspuffwolken nicht erstickt zu werden. Der Oldtimer entschwand ihren Blicken und bog auf die Landstraße ein.

Das eigentliche Rennen hatte begonnen!

Lady Agatha Simpson hatte sich auf dieses Rennen sorgfältig vorbereitet.

Es wurde vom Royal Automobile Club von Großbritannien ausgerichtet und stellte eine Neuauflage jenes denkwürdigen Rennens dar, das in grauer Vorzeit schon mal veranstaltet worden war. Damals war das Auto erst salonfähig geworden und schickte

sich an, die Straßen der Welt zu erobern.

Teilnehmen an der jetzigen Rallye durften nur Wagen aus jener Zeit, Automobilmarken, die nur noch Legende waren. Sie mußten sich selbstverständlich im Urzustand befinden und durften auf keinen Fall durch technische Tricks modernisiert worden sein.

Diese Oldtimer-Rennen hatten es in sich, was die Streckenführung anbetraf. Sie verlangte den Veteranen auf Rädern und ihren Fahrern alles ab. Sie führte von dem kleinen Städtchen Kew bei London über Richmond Kingston, Staines, Windsor und Maidenhead bis nach Oxford. Die Strecke entsprach einer Länge von fast 110 Kilometern, für die Veteranen eine fast schon unglaublich lange Distanz. Sie führte in weitem Bogen entlang der Themse und bot landschaftlich einmalig schöne Ausblicke.

Lady Agatha war von der ersten Sekunde an vom Ehrgeiz erfaßt worden. Sie wollte dieses Rennen unbedingt gewinnen und setzte all ihre Hoffnungen auf den Oldtimer, der sich seit Jahren schon in ihrem Besitz befand. Es handelte sich um einen Grand-Victor, eine Marke, die nur noch in speziellen technischen Handbüchern geführt wurde.

Die Räder und Speichen dieses Vehikels waren noch aus Holz gefertigt, die Reifen bestanden aus Hartgummi. Der Komfort war nicht gerade üppig, denn eine harte Holzbank schien dagegen weich und nachgiebig zu sein. Das alles ignorierte die ältere Dame jedoch. Sie hatte sich inzwischen eine uralte, aber passende Fahrerbrille aufgesetzt und beobachtete die Fahrbahn. Sie brauste mit dem Wagen in eine sanfte Kurve, die sich weit hinzog. Das Durchschnittstempo des Grand-Victor betrug nämlich nicht mehr als vielleicht zwölf bis fünfzehn Kilometer pro Stunde.

»Wo bleiben die Angaben, Mr. Parker? herrschte sie ihren Beifahrer an.

»Mylady haben besondere Wünsche?« erkundigte sich Josuah Parker, seit Jahr und Tag bereits als Butler in Diensten der Lady tätig.

»Wie nehme ich die Kurve, Mr. Parker! Wozu haben Sie sich schließlich das ›Gebetbuch‹ angelegt?«

Mylady sprach damit einen Brauch echter Rallyefahrer an, deren Beifahrer tatsächlich über ein »Gebetbuch« oder über eine »Bibel« verfügten. In diesen Büchern sind die zu fahrenden Strecken fast metergenau aufgezeichnet und enthalten detaillierte Angaben, die sich auf das jeweilige Tempo oder Schalten beziehen. Die Beifahrer »beten« diesen Text herunter und informieren so den Fahrer über das, was er zu tun und wie er zu fahren hat.

Solch ein Gebetbuch hatte auch Josuah Parker anlegen müssen, obwohl er es wegen der zu erreichenden Geschwindigkeit für völlig sinn- und nutzlos hielt. Lady Agatha bestand auf Informationen, die der Butler jetzt lieferte.

»Dreißig Grad Rechtskurve«, ›betete‹ Parker also herunter, wobei er sich äußerst albern vorkam. »Volle Geschwindigkeit, Mylady, aber bitte, den Motor möglichst nicht überdrehen.«

Parker dachte natürlich an die Schwachbrüstigkeit und Empfindlichkeit des ehrwürdig alten Motors, doch Lady Agatha stieß eine Art Jauchzer aus und gab Vollgas.

Der Oldtimer tuckerte auf die Rechtskurve zu, hoppelte dabei wie ein liebestoller Hase und entwickelte bedenkliche Tonfrequenzen.

»Festhalten, Mr. Parker«, rief Agatha Simpson und zog den Oldtimer endlich konsequent in die harmlose Rechtskurve, deren Einfahrt allerdings durch hochstehende Sträucher verdeckt wurde.

Parker tat Lady Agatha den Gefallen und hielt sich mit seinen schwarz behandschuhten Händen vorn an der versilberten Griffstange fest. Dazu legte er sich noch stilgerecht und ein wenig übertrieben in die Kurve.

Sekunden später ließ der Butler sich allerdings weniger stilgerecht vorn auf der eckigen Kühlerhaube nieder und suchte verzweifelt nach einem passenden Halt. Da er ihn nicht fand, rutschte er von der Kühlerhaube ab und landete auf dem links im Kotflügel stehenden Ersatzrad.

Lady Agatha schaute mißbilligend nach ihrem Butler und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

»Was soll denn das?« fragte sie grollend, während sie sich die schwere, altertümliche Fahrerbrille auf die Stirn schob. »Sie übertreiben wieder mal.«

Butler Parker verzichtete auf eine Antwort.

Er sah auf die Gestalt, die regungslos neben einem Oldtimer auf der Straße lag, Parker hatte den dringenden Verdacht, daß dieser Fahrer bereits tot war.

*

»Ich begreife das nicht«, sagte der »Tote«, der einen leicht verwirrten Eindruck machte. »Ich bekam plötzlich einen Schlag auf den Hinterkopf. Mehr weiß ich eigentlich nicht.«

»Das ist aber nicht viel«, stellte Lady Simpson grimmig fest. »Geschah das während der Fahrt?«

»Bei Vollgas sogar«, antwortete der Fahrer. »Es muß sich um mindestens zwanzig Kilometer pro Stunde gehandelt haben.«

»Jetzt übertreiben Sie aber«, reagierte Lady Agatha sichtlich ironisch. »Ihr Vanguard schafft doch höchstens noch zehn Kilometer.«

»Ich widerspreche entschieden«, entrüstete sich der vermeintliche Tote, der wieder einen sehr lebendigen Eindruck machte. »Das gilt vielleicht für Ihren Victor, Mylady, aber nicht für meinen Vanguard. Es waren mindestens zwanzig Kilometer!«

»Sie gehen das Rennen ohne Copiloten an?« wunderte sich Lady Simpson und lenkte eindeutig ab, um einer weiteren Debatte über Höchstgeschwindigkeiten aus dem Weg zu gehen.

»Natürlich fahre ich allein, Mylady«, erklärte der Fahrer, der Stanley Hudson hieß und sein nicht gerade billiges Hobby auf dem Umweg über seine Süßwarenfabrik finanzierte, die ihm gehörte. »Ich brauche unterwegs keine Ablösung oder einen Butler.«

Während er das mit einiger Herablassung sagte, maß er Josuah Parker mit abschätzendem Blick.

»Darf ich mir die Freiheit nehmen, Sir, eine Frage zu stellen?« schaltete Parker sich ein.

»Wenn es sich nicht vermeiden läßt? Ich will schließlich weiter.«

»Den Anschluß schaffen Sie mit dieser müden Kutsche nie«, stichelte Agatha Simpson.

»Das ist eine ... Herausforderung.« Stanley Hudson besann sich im letzten Moment, wie prominent die Lady war. Und wie immens reich dazu. Sie war mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert. Ihr Einfluß reichte weit, da war es besser, sich ein wenig unter Kontrolle zu halten.

»Sie sind sicher, Sir, einen derben Schlag gegen den Hinterkopf erhalten zu haben? Kann es sich unter Umständen um ein Wurfgeschoß gehandelt haben?« Parker ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und brachte seine Frage an.

»Ob Schlag oder Wurfgeschoß, was weiß denn ich?« Stanley Hudson kletterte in seinen Oldtimer. »Für mich kommt es auf dasselbe heraus, verstehen sie? Ich habe kostbare Zeit verloren, ich muß weiter. Viel Erfolg, Mylady!« Als er saß, erinnerte er sich, daß seinem Oldtimer der Anlasser fehlte. Er stieg also wieder aus und beschäftigte sich ausgiebig mit der Anwerfkurbel. Der Motor reagierte aber darauf überhaupt nicht, er schwieg beharrlich.

»Ich kenne einen Schrottplatz, auf dem man Ihre Kutsche besonders schonend abwracken wird«, stichelte die Sechzigjährige wieder. Sie stieg würdevoll in ihren Wagen und nickte ihrem Butler gnädig zu. Josuah Parker beugte sich zur Kurbel des »Victor« hinunter und drehte kurz und ruckartig. Dann sprang er erstaunlich schnell und unter Verzicht auf jedwede Gelassenheit einen halben Schritt zurück und lauschte den Geräuschen, die der Motor von sich gab.

Er knatterte, schien sich aus seiner Verankerung lösen zu wollen, brachte den gesamten Wagen in lange Schwingungen und lief dann plötzlich erfreulich rund. Parker nahm neben Mylady Platz und wappnete sich. Agatha Simpson mußte nämlich den ersten Gang einkuppeln und dazu einen langen Hebel aus bestem Schmiedestahl bewegen.

Alles klappte ausgezeichnet.

Victor machte einen Satz nach vorn, streckte sich und nahm dann Fahrt auf. Gleichzeitig aber hüllte er sich wieder in eine blauschwarze Rauchwolke und nebelte den Vanguard ausgiebig ein.

»Was sagen Sie zu diesem blutigen Anfänger?« wollte Agatha Simpson dann wissen. »Er ist weder niedergeschlagen noch beworfen worden, wenn Sie mich fragen. Er ist einfach in der Kurve aus seinem Wagen gefallen. Dieser Mann hatte noch nie eine besondere Kurventechnik!«

»Mylady werden verzeihen, wenn ich mir die Freiheit nehme, in diesem Fall zu widersprechen«, gab Josuah Parker höflich zurück und präsentierte seiner Herrin einen Zettel. »Diese Botschaft befand sich in der Hand des besinnungslosen Mr. Hudson.«

»Botschaft?« Agatha Simpson runzelte ausgiebig die Stirn und schaute ihren Butler an. Danach geriet ihr Victor sofort aus der Kurve, denn seine Lenkung war mehr als defekt.

»Der Straßengraben, Mylady«, erinnerte Parker diskret.

»Wieso Straßengraben? Sprachen Sie eben nicht von einer Botschaft, Mr. Parker? Sie machen einen sehr zerstreuten Eindruck auf mich. Ist Ihnen nicht wohl?«

»Der Straßengraben«, erinnerte der Butler noch mal. »Mylady nähern sich ihm mit Vehemenz.«

»Ach so, das!« Agatha Simpson korrigierte den Kurs im letzten Moment, ohne aber auch nur die Spur einer gewissen Aufregung zu zeigen. »Lenken Sie mich gefälligst nicht immer ab. Was ist das mit der Botschaft?«

»Im Grund, Mylady, handelt es sich um eine Mordandrohung.«

Diesmal hatte der Butler aufgepaßt.

Als Lady Simpson vor freudiger Überraschung voll auf das Bremspedal trat, schob Parker sich nicht wieder auf die Motorhaube. Er hielt sich gründlich fest.

»Eine Mordandrohung, Mylady«, wiederholte Parker. »Falls Mr. Stanley Hudson nicht bereit ist, in Richmond fünftausend Pfund zu zahlen, will der Mörder ihn durch einen gezielten Schuß an der Weiterfahrt hindern.«

*

»Das kann doch nur ein geschmackloser Scherz sein«, sagte Agatha Simpson.

»Davon sollten Mylady besser nicht ausgehen«, erwiderte Josuah Parker.

»Hier scheint sich ein neuer Kriminalfall anzubahnen.« Die passionierte Detektivin war von dieser Aussicht offensichtlich recht angetan.

»Vielleicht sollte man Mr. Hudson warnen, Mylady«, schlug der Butler vor. »Der Vanguard passiert gerade die Kurve.«

»Ich werde ihn stoppen.« Lady Simpson wartete die Antwort ihres Butlers gar nicht erst ab, stieg ein wenig mühsam aus dem Victor und baute sich mitten auf der Landstraße auf. Sie winkte mit den Armen und wollte Mr. Hudson veranlassen, das Bremspedal zu treten.

Stanley Hudson jedoch schien das Gefühl zu haben, daß man ihn erneut belästigen wollte. Er tat daher so, als habe er nicht recht verstanden und winkte zurück. Dann fuhr er in elegantem Bogen um die verdutzte Lady herum und brauste weiter. Er wandte sich noch mal um und winkte erneut.

»Dieser Trottel«, grollte die Detektivin. »Er fährt direkt seinem Tod entgegen, Mr. Parker, Mr. Parker!?«

»Mylady?« Parker stand bereits dicht hinter seiner Herrin und lüftete erwartungsvoll die schwarze Melone.

»Ihm nach«, befahl Agatha Simpson. »Wir werden alles aus dem Victor herausholen, Mr. Parker. Ich verlange genaue Angaben darüber, wie ich die nächsten Kurven nehmen muß.«

Parker begab sich zurück an die Drehkurbel und versuchte ehrlich, den Motor wieder in Gang zu bringen, doch diesmal sperrte er sich. Wahrscheinlich war er der Ansicht, bereits genug geleistet zu haben, kurz, er setzte sich nicht in Bewegung.

»Lassen Sie sich endlich etwas einfallen«, fuhr die resolute Dame ihren Butler schließlich gereizt an. »Wo bleiben denn die übrigen Wagen?«

»Möglicherweise ein Massensterben der Motoren, Mylady«, vermutete Parker gemessen.

»Warum haben Sie Hudson nicht rechtzeitig gewarnt?« Agatha Simpson war nervös geworden und sah Parker vorwurfsvoll an.

»Ich muß bekennen, Mylady, daß ich den Text zu spät zu entziffern vermochte.«

»Wie erreichen wir jetzt diesen Hudson, Mr. Parker?«

»Falls Mylady einwilligen, könnte ich dort drüben vom Haus aus anrufen und die zuständigen Behörden verständigen.«

»Tun Sie das. Normalerweise bin ich ja gegen Behörden, aber jetzt muß es wohl sein.«

Parker lüftete noch mal seine schwarze Melone und machte sich dann auf den Weg zu dem einzelstehenden Landhaus, das von einer hohen Taxushecke umgeben war.

Parker warf sich ehrlich vor, nicht rechtzeitig geschaltet zu haben. Er nahm diese Erpressung mit gleichzeitiger Mordandrohung sehr ernst. Hier hatte sich kein sogenannter Witzbold einen geschmacklosen Scherz geleistet.

Er hatte die hohe Taxushecke erreicht, ging auf das Tor zu und eilte dann zum Haus. Es handelte sich um einen langgestreckten, einstöckigen Bau aus dicken Backsteinquadern. Dieses Haus machte auf den Butler leider einen recht verschlossenen und verlassenen Eindruck.

Und seine Annahme war richtig.

Auf sein Klingelzeichen hin rührte sich nichts im Haus. Es blieb totenstill. Parker bemühte sich um die nächste Hausecke, um auf der Rückseite nach Bewohnern zu fahnden. Arglos ging er um diese Hausecke herum, passierte dann einen kleinen Vorbau, der wohl zur Küche gehörte – und ging in die Knie.

Er tat das nicht freiwillig ...

Irgend ein harter Gegenstand landete schlagartig auf seiner schwarzen Melone und trieb ihm die Kopfbedeckung tief in die Stirn. Von der gewaltigen Wucht des Schlages wurde der Butler sogar ohne Übergang bewußtlos.

Als seine Sinne sich endlich wieder regten, hatte er zuerst das Gefühl, tiefe Nacht sei um ihn herum. Dann allerdings ging ihm auf, daß die Innenseite der Melone seine Augen bedeckte. Parker, noch etwas benommen, zerrte die Kopfbedeckung hoch und nahm dankbar das Sonnenlicht zur Kenntnis. Er erhob sich und spielte einen Moment mit dem Gedanken, seinen angestaubten Zweireiher mit der kleinen Kleiderbürste wieder auf Hochglanz zu bringen. Natürlich führte er als Butler solch ein Instrument stets mit sich.

In Anbetracht der allgemeinen Situation aber verzichtete er auf diesen Luxus und suchte weiter nach einer Möglichkeit, ins Haus zu kommen. Da war und blieb ja immer noch die Warnung, die er nach Richmond durchgeben wollte. Er kümmerte sich aus Zeitgründen nicht weiter um den Niederschlag, den er hatte erleiden müssen. Die Zeit drängte.

Parker erreichte nichts.

Unter einer Remise entdeckte er nur ein ziemlich verrostetes Fahrrad, das er sicherheitshalber konfiszierte. Es machte noch einen einigermaßen brauchbaren Eindruck, wenn auch beide Reifen leider ohne Luft waren.

Butler Parker schwang sich auf den Sattel und strampelte zurück zur Straße, um seine Herrin zu informieren. Die Fahrt war ziemlich anstrengend und unkomfortabel. Die luftleeren Reifen ließen jeden Stoß durch. Als Parker die Straße erreichte, vermißte er einen vertrauten Anblick.

Der Victor samt Lady Simpson war verschwunden!

*

Die Detektivin donnerte mit ihrem Victor über die schmale Landstraße und machte sich natürlich keine weiteren Gedanken über ihren Butler. Ihr war es gelungen, den Motor doch noch anzuwerfen. Nun war sie auf dem Weg nach Richmond, um Stanley Hudson zu warnen.

Sie befand sich allein auf weiter Flur.

Die Streckenführung dieser Oldtimer-Rallye war aus guten Gründen auf Landstraßen zweiter, dritter und vierter Ordnung verlegt worden. Mit normalem Straßenverkehr war hier im weiten Gelände nicht zu rechnen. Die Schnauferl bleiben ganz unter sich.

Die Landstraße schlängelte sich an einem schmalen Bach entlang und wurde zur Wiesenseite hin von einer Mauer aus Felssteinen begrenzt. Lady Simpson spähte nach vorn und hoffte, den Vanguard Mr. Hudsons bald zu sehen. Sie traute diesem Wagen nicht viel zu, mußte ihn also bald eingeholt haben...

Der Victor gab sich alle Mühe. Er schnaufte und ratterte pflichtgemäß und entwickelte eine Höchstgeschwindigkeit von fast achtzehneinhalb Kilometern in der Stunde. Der Fahrtwind spielte mit Myladys Hutkrempe und wirbelte den langen Schal immer wieder vor die Autobrille.

Agatha Simpson stopfte ihn gerade in das Kostüm, als ihr Blick rein zufällig in den riesigen Seitenspiegel fiel. Zu ihrer Überraschung und Freude entdeckte sie einen schnell näherkommenden Jeep, der wohl zur Rennleitung gehörte.

Das bedeutete die Rettung für Stanley Hudson!

Die Detektivin minderte die Geschwindigkeit des Victor und machte durch Winken auf sich aufmerksam. Der Jeep war inzwischen bereits heran und schob sich neben ihren Oldtimer. Zwei Männer saßen im Jeep, zwei Männer, deren Gesichter leider nicht zu erkennen waren. Sie trugen Jet-Helme, wie sie von Motorradfahrern benutzt werden, die Sonnen visiere waren heruntergeklappt worden.

Agatha Simpson bremste den Victor rigoros ab, ließ den Motor aber laufen. Sie beugte sich aus dem wesentlich höheren Chassis zu den beiden Fahrern hinunter und wollte sie informieren und veranlassen, im Eiltempo nach Richmond zu fahren, um Stanley Hudson zu warnen. Doch dann entdeckte sie etwas, was bei ihr höchsten Alarm auslöste.

Der Beifahrer hielt einen Baseball-Schläger in den Händen, und dieses Sportgerät paßte ihrer Ansicht nach überhaupt nicht zur Ausrüstung der Rennsportleitung. Zudem richtete dieser Beifahrer sich schnell auf und wollte ihr besagten Schläger gegen den Kopf schlagen.

Nun, er wußte nicht, mit wem er es zu tun hatte ...

Lady Simpson reagierte mit einer Schnelligkeit, die man der älteren Dame wirklich niemals zugetraut hätte. Sie duckte sich, ließ den Schläger knapp über ihren Hut hinwegzischen und langte ihrerseits nachdrücklich zu.

Als Schlaginstrument benutzte sie ihren perlenbestickten Pompadour, einen Handbeutel aus bester victorianischer Zeit. In diesem Pompadour befand sich Myladys »Glücksbringer«, ein echtes Hufeisen, das nur unwesentlich in dünnen Schaumstoff gewickelt war.

Myladys Schlag erwies sich als Volltreffer.

Der »Glücksbringer« klatschte ins Gesicht des Beifahrers, der daraufhin von seiner Absicht ließ, Mylady mit dem Baseball-Schläger zu belästigen. Die Nase des Mannes verformte sich merklich. Der Getroffene fiel zurück gegen den Fahrer des Jeeps und behinderte ihn auf peinliche Art. Der Jeep geriet ins Schlingern, kam vom Kurs ab und hielt auf den nahen Straßengraben zu. Doch im letzten Augenblick konnte der Fahrer den Wagen noch herumreißen, gab Vollgas und jagte mit hochtourendem Motor davon.

Agatha Simpson machte sich sofort an die Verfolgung und holte aus ihrem Victor heraus, was das Zeug hielt. Mit einer schon an Wahnsinn grenzenden Geschwindigkeit von neunzehneinhalb Kilometern pro Stunde raste der Oldtimer hinter den beiden Gangstern her, die mit ihrem Jeep längst hinter der nächsten Kurve verschwunden waren.

*

»Sie waren auch schon schneller«, stellte Agatha Simpson mißmutig fest und sah ihren Butler kopfschüttelnd an.

»Mylady mögen verzeihen«, entschuldigte sich Josuah Parker und stieg von seinem entliehenen Fahrrad. »Es gab Ärger mit der Fahrradkette. Und mit einem Angreifer, der meine bescheidene Wenigkeit leider überraschte.«

Parker war in Richmond eingetroffen.

Auf der Rückseite des Hotels befand sich der große Wagenpark, wo die Veteranen, die die erste Etappe geschafft hatten, abgestellt wurden.

»Sie sind auch überfallen worden?« Interesse glomm in den Augen der älteren Dame auf. »Wie schön, Mr. Parker!«

»Darf ich bescheiden fragen, ob Mylady Mr. Hudson warnen konnten?«

»Ich habe ihn gewarnt, nachdem ich ihn überholt habe, Mr. Parker. Stellen sie sich das mal vor, ich habe ihn mit meinem Victor überholt! Hudson war einem Schlaganfall nahe.«

»Hat Mr. Hudson sich die Warnung und Morddrohung zu Herzen genommen?«

»Er hat mich ausgelacht.« Agatha Simpson schien sich daran nicht gern zu erinnern. »Er sprach von einem faulen Trick, den ich mir angeblich ausgedacht habe, um ihn an der Weiterfahrt zu hindern.«

»Diese Annahme könnte sich als verhängnisvoll erweisen, Mylady.«

»Er hat sich diesen Wisch mit der Mordandrohung angesehen und ihn dann zerrissen.«

»Ob ich mir erlauben darf, Mr. Hudson noch mal eindringlich zu warnen, Mylady?«

»Ich werde Sie nicht daran hindern. Ich bin nämlich bereits gewarnt Mr. Parker.«

»Mylady wurden belästigt?« Parker sah seine Herrin konzentriert an.

»Und ob, Mr. Parker! Und zwar von einem Baseball-Schläger. Nun, dieses Subjekt wird an mich denken! Ich habe ziemlich genau getroffen.«

»Myladys flüchtige Bemerkungen erregen mein ehrliches Interesse.«

Lady Simpson lächelte grimmig-versonnen, bevor sie ihrem Butler von dem Erlebnis auf der Landstraße berichtete.

»Danach steht für mich fest, wie Hudson niedergeschlagen wurde«, schloß die Detektivin nachdrücklich. »Diese beiden Lümmel schoben sich mit ihrem Jeep an seinen Vanguard heran und knüppelten ihn nieder. Wahrscheinlich wollten sie das auch bei mir versuchen.«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit schockiert.« Parker meinte es ehrlich. »Wie leicht kann es dabei zu einem tödlichen Unfall kommen!«

»Ich habe bereits eine Theorie, Mr. Parker«, verkündete die resolute Dame mit ihrer schon mehr als baritonal gefärbten Stimme. »Auch ich sollte erpreßt werden. Man ist nur nicht mehr dazu gekommen, mir solch einen Wisch in die Hand zu drücken.«

»Demnach müßten auch andere Teilnehmer der Rallye belästigt worden sein, Mylady.«

»Oder werden das noch erleben, Mr. Parker. Und wissen sie auch, warum man sich diese Rallye ausgesucht hat?«

»Mylady werden sich dazu bereits eine Zusatztheorie gebildet haben.« Parker war ein höflicher Mensch. Er ließ nicht erkennen, was er von dieser Theorie dachte.

»Ich weiß Bescheid, Mr. Parker.« Agatha Simpsons Augen funkelten unternehmungslustig. »Sämtliche Teilnehmer dieser Oldtimer-Rallye sind nicht gerade mittellos, oder?«

»In der Tat, Mylady!«

»Sehen Sie, und diese nicht gerade mittellosen Teilnehmer sollen ausgenommen werden wie die Gänse. Sehr raffiniert, finden sie nicht auch?«

Parker nickte langsam. Mochten die Theorien Myladys ansonsten auch stets recht gewagt sein, in diesem Fall aber schien Lady Simpsons Vermutung richtig zu sein. Die Besitzer dieser alten Wagen waren durchweg gut gestellt und konnten Erpressungsgelder in Höhe von fünftausend Pfund ohne weiteres zahlen, falls das der geforderte Durchschnittsbetrag darstellte, An der Oldtimer-Rallye beteiligten sich immerhin weit über fünfzig Teilnehmer. Da kam schon eine horrende Summe zusammen.

»So, Mr. Parker, ich werde jetzt mal meine Fühler ausstrecken«, ließ die Detektivin sich vernehmen. »Ich werde feststellen, wer sonst noch belästigt worden ist. Sie können inzwischen den Wagen warten. Ich glaube, ich habe ihn ein wenig scharf herangenommen. Die Ventile haben sich ...«

Agatha Simpson brachte ihren Satz nicht zu Ende, da sie abgelenkt wurde.

Ein gellender, spitzer Schrei war nämlich plötzlich zu hören. Er kam von einem Oldtimer, der weit hinten an der Parkmauer abgestellt worden war. Es war ein Schrei, der Entsetzen und Grauen ausdrückte.

*

»Ein Mord?« erkundigte sich Lady Simpson, als Parker zurückkehrte.

»Ein Unglücksfall, Mylady.«

»Und wer schrie so spitz?« Lady Agatha schüttelte vorwurfsvoll und indigniert den Kopf.

»Mrs. Wemloke, Mylady, die Frau des Verunglückten. Sie konnte inzwischen beruhigt werden.«

»Und was war passiert?«

»Das, Mylady, wird wohl nur der Verunglückte näher beschreiben können«, erwiderte Parker. »Er befindet sich auf dem Weg ins Hospital und dürfte laut Auskunft der Ärzte vor einer Stunde nicht reden können. Er wurde, was interessant erscheinen mag, am Hinterkopf verletzt.«

Agatha Simpson und Butler Parker befanden sich in der Bar des Hotels, wo die Rallye für den Rest des Tages gebucht hatte. Die Tagesstrecken für die Oldtimer waren sorgsam ausgewählt worden und betrugen pro Abschnitt nie mehr als dreißig bis fünfzig Kilometer.

»Sie denken natürlich an den Baseball-Schläger, nicht wahr?« Lady Simpson schien keine Antwort zu erwarten. »Zuerst Mr. Hudson, dann der Versuch auf meinen Hinterkopf und jetzt Mr. Wemloke. Sie streiten hoffentlich nicht ab, Mr. Parker, daß es da einen engen Zusammenhang gibt, oder?«

»Das, Mylady, würde ich mir niemals erlauben.«

»Sonst noch etwas?«

»In der Tat, Mylady. Da ich Gelegenheit hatte, Erste Hilfe zu leisten, konnte ich diese schriftliche Drohung und Aufforderung bergen.«

Während Parker noch sprach, reichte er seiner Herrin einen Zettel, wie ihn Mr. Stanley Hudson bereits erhalten hatte. Auch in diesem Fall wurden fünftausend Pfund verlangt, zahlbar umgehend und zwar ebenfalls hier in Richmond.

»Was habe ich Ihnen gesagt, Mr. Parker? Hier handelt es sich um eine Art Massenerpressung.« Lady Agatha vibrierte vor Spannung und Aktivität. »Wissen Sie, warum diese beiden Lümmel mich attackieren wollten?«

»Möglicherweise wollte man Mylady ebenfalls eine Zahlungsaufforderung überreichen«, umschrieb der Butler.

»Worauf Sie sich verlassen können, Mr. Parker.«

»Wären Mylady in der Lage, fünftausend Pfund sofort zu bezahlen?« Parker stellte eine entscheidende Frage. »Und wenn, Mylady, an wen und auf welche Art und Weise? Ein spezieller Übergabemodus ist auf beiden Zetteln nicht angegeben, wenn ich respektvoll darauf verweisen dürfte.«

»Du lieber Himmel, sind Sie umständlich!« Agatha Simpson sah ihren Butler fast vernichtend an. »Das gehört eben zum zweiten Teil der jeweiligen Erpressung. Natürlich könnte ich umgehend fünftausend Pfund in bar auftreiben. Nichts leichter als das.«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit überfordert.«

»Ich gehe zur nächsten Bank, weise mich aus und bekomme das Geld«, redete die resolute Dame weiter. »Man wird sich sogar beeilen, mir solch eine Summe in die Hand zu drücken.«

»Weil Mylady eine bekannte Persönlichkeit sind.« Parker deutete eine seiner knappen Verbeugungen an.

»Hudson und Wemloke sind das ebenfalls. Und alle anderen hier, die sich an der Rallye beteiligen. Nein, nein, Mr. Parker, das Bargeld ist kein Problem! Wir müssen herausfinden, wer im Lauf des Nachmittags zahlen wird – und wie er das besorgt.«

»Die zuständige Polizei könnte eine diskrete Beschattung der Teilnehmer vornehmen, Mylady«, schlug Parker vor, obwohl er bereits im voraus wußte, daß seine Herrin darauf niemals einging. Er war sich aber diese Bemerkung schuldig, wie er glaubte.

»Polizei!« Lady Agatha schnaubte verächtlich. »Phantasielose Männer in genormten Anzügen, Hüten und Mänteln werden überall herumstehen und diese Gangster zum Lachen bringen. Davon will ich nichts hören. Das ist unser Fall, falls Sie es noch nicht gemerkt haben sollten!«

»Wie Mylady befehlen!« Parker senkte ergeben den Blick und unterdrückte einen Seufzer.

»Und dieser Fall wird der Stoff für meinen geplanten Bestseller«, redete die selbstbewußte Dame weiter. »Ich spüre es in allen Fingerspitzen, Mr. Parker, daß hier der Kriminalroman meines Lebens auf mich wartet. Agatha Christie wird sich wundern und sich in Grund und Boden ärgern.«

»Mylady haben bestimmte Befehle?« Parker ging auf den geplanten Bestseller erst gar nicht ein. Lady Agatha schrieb ihn schon seit fast einem Jahr, aber war über die erste Zeile noch nicht hinausgekommen. Sie ließ sich immer wieder ablenken und konnte sich für kein Thema entscheiden.

»Handeln Sie nach Ihrem Gefühl«, ordnete die Detektivin an. »Entwickeln Sie Eigeninitiative, Mr. Parker! Ich werde das ebenfalls tun.«

»Darf ich mich erkühnen, Mylady zu warnen?«

»Warnen?« Lady Agatha sah ihren Butler erstaunt an.

»Mylady sollten an diese beiden Fahrer im Jeep denken. Sie werden sich möglicherweise rächen.«

»Das möchte ich mir auch ausgebeten haben«, lautete die grimmige Antwort. »Ich wäre sehr enttäuscht, wenn man sich an mir nicht noch mal vergreifen würde!«

*

Butler Parker hatte das Sporthotel verlassen und lustwandelte gemessen über die Hauptstraße von Richmond. Sein Ziel war der kleine Marktplatz, der gleichzeitig das geschäftliche Zentrum bildete. Hier befanden sich auch die Banken der kleinen hübschen Stadt. Falls Myladys Vermutung richtig war, mußten hier früher oder später einige Teilnehmer der Oldtimer-Rallye auftauchen, um Geld abzuheben.

Während seines Spaziergangs achtete Parker darauf, ob er verfolgt wurde.

Er hatte seinen eigenen Niederschlag noch nicht vergessen und war davon überzeugt, daß er sich aus irgendeinem ihm noch unerfindlichen Grund mißliebig gemacht hatte.

Als er den Marktplatz erreichte, entdeckte er drei Bankfilialen, die in schönen alten Häusern untergebracht waren. Sie lagen praktisch Tür an Tür und ließen sich leicht überwachen. Parker betrat eine nett und vertrauenswürdig aussehende Teestube, bestellte sich Tee, ein wenig Gebäck und beschäftigte sich dann intensiv mit einer Landkarte, die er umständlich ausbreitete. Über den Rand dieser Karte hinweg beobachtete er die drei Eingänge auf der gegenüberliegenden Seite des Marktes.

Der Butler brauchte nicht lange zu warten.

Zuerst erschien ein gewisser Mr. Stallett, ein untersetzter Endfünfziger, der eindeutig Teilnehmer der Rallye war. Er schaute sich verstohlen nach allen Seiten um, als er die mittlere der drei Banken betrat.

Fast unmittelbar danach tauchte Stanley Hudson auf. Er entschied sich für die linke der drei Banken und machte eine knappe Minute später Platz für Mr. Brakers, einen langen, fast dürren Mann, der gut und gern seine sechzig Jahre alt war und einen weiten, karierten Radmantel trug. Brakers hielt es mit der rechten der drei Banken.

Daß diese Herren nicht den jüngsten Stand der Börsennotierungen studieren wollten, lag für den Butler auf der Hand. Sie hoben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit je fünftausend Pfund ab, um den Forderungen der Erpresser nachzukommen.

Parker erhob sich.

Er hatte die Absicht, sich an Stalletts Fersen zu heften, um die Formalitäten der Geldübergabe zu studieren. Mit etwas Glück konnte er dann einen der Erpresser sogar stellen und überwältigen. Parker wünschte sich ein schnelles Ende dieses Falles. Obwohl bisher nicht viel passiert war, konnten die Dinge doch jederzeit Umschlagen und in einen ernsten Mord münden.

Zu seiner peinlichen Überraschung aber mußte er diesen Versuch aufgeben. Ihm wurde plötzlich schlecht. Er hatte nur wenige Schluck Tee getrunken, doch die mußten seinen Magen bereits nachhaltig verstimmt haben. Parker spürte einen penetranten Brechreiz in sich aufsteigen, stand hastig auf und ging natürlich nicht nach draußen. Er eilte zum Waschraum und bemühte sich um Würde. Dabei besaß er aber noch die Geistesgegenwart, sich die Gesichter der Gäste in der Teestube anzusehen. Ihm entging dabei nicht, daß ein etwa dreißigjähriger Mann ihn irgendwie spöttisch musterte.

Mit Mühe und Not erreichte Parker den Waschraum. Ihm war völlig klar, daß man ihn elegant überlistet hatte. Ihm war jedoch zu übel, um sich darüber gründlich zu ärgern. Er hatte im Moment andere Dinge zu tun.

*

Der junge Mann schob sich vorsichtig ins Hotelzimmer und drückte die Tür leise hinter sich ins Schloß. Er schien sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein, denn er pirschte sich auf Zehenspitzen an das Badezimmer heran, aus dem das Rauschen und Plätschern von Wasser zu vernehmen war.

Er hatte diesen günstigen Zeitpunkt genau abgepaßt. Vom Korridor aus hatte er das Rauschen der Wasserleitung gehört, dann noch etwa zehn Minuten gewartet und ging jetzt zum Angriff über.

Der Eindringling war etwa achtundzwanzig Jahre alt, schlank, von normaler Größe und zeigte eine leicht deformierte Nase. Trotz eines Jet-Helms war er von einem gewissen »Glücksbringer« hart erwischt worden. Splitter des Sonnenvisiers hatten den Nasenrücken gründlich zerschrammt.

Der Mann freute sich darauf, dieses alte Pferd, wie er Lady Agatha insgeheim und privat nannte, zur Rechenschaft zu ziehen. Er hatte sich bereits einige Bösartigkeiten überlegt, die alle davon ausgingen, daß dieses »alte Pferd« schließlich in der Badewanne saß. Diesen Nachmittag würde sie nie mehr im Leben vergessen, das wußte er bereits jetzt...

Agatha Simpson war ahnungslos.

Sie trällerte eine Melodie, plantschte wieder im Badewasser herum und behauptete dann, sie sei von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. So wenigstens lautete der Text des Chansons, das sie mit dunkler Baritonstimme von sich gab.

Der Eindringling öffnete vorsichtig die Tür zum Badezimmer und spähte zur Wanne hinüber. Sein Opfer war sehr verschwenderisch mit einem Badeschaummittel umgegangen. Wahre Berge türmten sich aus der Wanne in die Höhe. Der neugierige Mann sah nur den Haarschopf der Sechzigjährigen.

Er grinste wie ein Filmgangster, zog seinen kurzläufigen Revolver aus der Schulterhalfter und betrat dann schwungvoll die Fliesen. Er marschierte sofort zur Badewanne und schlug mit dem Lauf seiner Waffe auf den Haarschopf. Nicht besonders fest, denn die verrückte Lady sollte ja nicht ohnmächtig werden.

Doch der Schlag entpuppte sich als eine Niete. Es handelte sich im wahrsten Sinn um einen Schlag ins Wasser. Revolver, Hand und Haarschopf versanken im Schaumgebirge, und gleichzeitig kassierte der Mann einen derben Stoß, der seine Schulterblätter traf.

Der Eindringling wußte nicht, wie ihm geschah. Er machte einen Satz nach vorn, hechtete mit dem Kopf voran ins Schaumgebirge, das übrigens betörend gut roch, und verschwand unter Wasser. Da er automatisch nach Luft schnappte, schluckte er eine gehörige Portion Badewasser, das nach Fichtennadeln schmeckte. Als er endlich wieder auftauchte, machte er einen benommenen Eindruck.

»Sie Lümmel«, hörte er über sich, nahm entsetzt den Kopf hoch und sah in das grimmige Gesicht der resoluten Dame. Sie hielt eine langstielige Rückenbürste in der rechten Hand und klatschte dem Mann die Borsten ins Gesicht.

Seine an sich schon mitgenommene Nase wurde erneut in Mitleidenschaft gezogen. Der Eindringling stöhnte und tauchte wider Willen erneut unter. Agatha Simpsons linke Hand lag auf seinem Kopf und verfügte über eine erstaunliche Kraft.

Der ungebetene Besucher schluckte erneut eine Portion Wasser, kam wieder zurück an die Oberfläche und hustete und spuckte. Er schien sehr hilflos.

»Sie Flegel!« Agatha Simpson grollte. »Wie können Sie sich unterstehen, eine Dame zu belästigen?«

Sie ließ ihm keine Zeit, eine passende Ausrede zu finden oder sich zu äußern. Erneut verschwand sein Kopf unter Wasser. Der Mann strampelte wie besessen mit den Beinen im Wasser und glaubte, seine letzte Minute habe geschlagen. Er versuchte, gegen den Druck von Myladys Hand anzukommen, doch das erwies sich als hoffnungslos. Nachdem die Detektivin ihm eine gute Magenfüllung verpaßt hatte, gestattete sie dem jungen Mann, wieder ans Tageslicht zu kommen.

Er blieb schlaff, entnervt und ausgepumpt im Badewasser liegen und haderte mit seinem Schicksal. Ihm war inzwischen restlos klar, daß das »alte Pferd« ihn gründlich hereingelegt hatte. Wie ein Anfänger war er in eine ganz einfache Falle getappt.

»Nun möchte ich etwas von Ihnen hören, junger Mann«, sagte Lady Agatha und spielte mit der langstieligen Badebürste. »Reden Sie einfach drauflos, ich werde die Spreu schon vom Weizen trennen.«

Während sie noch sprach, rutschte ihr die Badebürste ein wenig aus der Hand, worauf die harten Borsten erneut ihre Spur über seinen Nasenrücken zogen.

Der Mann, der in nichts an eine badende Venus erinnerte, quiekte auf und tauchte freiwillig unter.

*

Trotz seiner Übelkeit hatte Josuah Parker keineswegs die allgemeine Übersicht verloren.

Im Umgang mit der Unterwelt erfahren, rechnete er mit einem Besuch im Waschraum. Obwohl ihm noch recht übel war, baute er sich hinter der Tür auf und wartete.

Er brauchte es nicht lange zu tun.

Die Tür öffnete sich, der Dreißigjährige trat ein und hielt sofort auf das eine der beiden Kabinette zu, in dem er den Butler vermutete. Sein Irrtum war durchaus verzeihlich, denn Josuah Parker hatte sich von seiner schwarzen Melone getrennt und sie oben auf der Abschlußkante des Türrahmens abgelegt, daß der Eindruck entstand, er habe das Kabinett mit Beschlag belegt.

Der Dreißigjährige griff in die Innentasche des Jacketts und zog einen wenig schönen Gegenstand hervor: Es handelte sich um einen handfesten Totschläger, wie er in Gangsterkreisen gern verwendet wird.

Parker war fair und hüstelte. Er wollte den Mann nicht einfach rücklings niederschlagen, das hätte seinem sehr entwickelten Feingefühl nicht entsprochen.

Der Mann fuhr herum und sah bereits dicht vor sich den Bambusgriff eines altväterlich gebundenen Regenschirms. Bevor er ausweichen konnte, legte dieser Griff sich auf seine Stirn. Es gab einen dumpfen Laut, dann knickte der Mann mit weichen Knien ein und vergaß seine finsteren Absichten.

Josuah Parker untersuchte den Mann, barg dessen Brieftasche und holte aus einer Schulterhalfter einen kurzläufigen Revolver, den er konfiszierte. Dann setzte er seine Melone auf und wartete, bis der Mann sich wieder rührte. Da er seinen Schlag mit dem Regenschirmgriff gut dosiert hatte, dauerte es nicht lange.

»Ich bin sicher, daß Sie mich auf einem kleinen Spaziergang begleiten werden«, sagte Parker zu dem Dreißigjährigen. »Etwas frische Luft wird Ihnen sicher gut tun.«

Diesen Eindruck hatte der Dreißigjährige ebenfalls. Als Mann aus der Branche war ihm klar, daß Widerstand im Moment nicht angebracht war. Er schob sich hoch, massierte seine Stirn und war noch recht schwach auf den Beinen, als er zusammen mit Parker den Waschraum verließ.

Der Butler dirigierte den Mann durch einen kurzen Korridor, der an der Teeküche vorbei in einen engen Hinterhof führte. Hier blieb sein Gefangener stehen und wurde störrisch.

»Sie sollten sich keine unnötigen Chancen ausrechnen«, bat Parker in gewohnt höflicher Weise. »Ich möchte Ihnen mitteilen, daß ich in solch einem Fall hart durchgreifen werde.«

»Was... Was wollen Sie überhaupt?« brauste der Dreißigjährige auf. Er hatte sich noch weiter erholt.

»Ein kleines Gespräch«, antwortete Parker gemessen. »Es gibt da einige Dinge, die der Aufklärung bedürfen.«

Dieser Ansicht war der Dreißigjährige nicht.

Er hatte den Butler gemustert und kam zu dem Schluß, daß dieser Mann kein ernsthafter Gegner war. Dazu sah Parker allerdings auch wirklich zu korrekt und zu konservativ aus.

Der Dreißigjährige sprang den Butler aus dem Stand heraus an und wollte ihn mit einem Fausthieb zu Boden schicken. Der Mann legte sein ganzes Gewicht in diesen Schlag.

Parker, roher Gewalt stets abhold, stach mit der Spitze seines Regenschirms zu. Die Zwinge senkte sich in die Magenpartie des Angreifers und verursachte dort einen äußerst schmerzhaften Reiz. Der Schläger kam nicht mehr dazu, seinen Schlag zu vollenden. Wie erstarrt blieb er stehen und erinnerte einen Augenblick an eine Statue. Dann fiel er vor Parker auf die Knie und keuchte. Er hatte das Gefühl, von einer Klinge durchbohrt worden zu sein.

»Sie vergeuden unnötig wertvolle Energie« stellte Josuah Parker vorwurfsvoll fest. »Nun, wir wollen die Dinge nicht auf die Spitze treiben.«

»Wir... Wir sprechen uns noch«, drohte der Dreißigjährige kläglich und ohne jede Überzeugungskraft.

»Mit Sicherheit«, antwortete Parker höflich. »Richten sie Ihren Partnern aus, daß diese Massenerpressung sich im Endeffekt nicht auszahlen wird.«

Parker lüftete grüßend seine schwarze Melone und ging zurück ins Haus. In der Tür blieb er noch mal kurz stehen und wandte sich zu dem Mann um, der sich wieder aufzurichten begann.

»Ich bitte nachträglich um Vergebung«, entschuldigte sich Butler Parker. »Das Temperament muß mit meiner bescheidenen Wenigkeit durchgegangen sein. Schließlich dürften Sie meinen Tee vergällt, Mr. Hudson niedergeschlagen und Lady Simpson angegriffen haben. Von dem Angriff auf meine Wenigkeit ganz zu schweigen. Bei zukünftigen Begegnungen werde ich mich wohl ein wenig besser unter Kontrolle haben, hoffe ich.«

Der Dreißigjährige sagte nichts. Er starrte den Butler an, als habe er es mit einer gespenstischen Erscheinung zu tun. So etwas war ihm noch nie über den Weg gelaufen.

*

»Ich habe diesem Lümmel die Freiheit geschenkt«, sagte Agatha Simpson, nachdem sie ihre Geschichte beendet hatte. »Er wird sich in den nächsten Tagen nicht besonders wohl fühlen.«

»Mylady konnten Informationen gewinnen?« erkundigte sich Josuah Parker. Er befand sich im Hotelzimmer seiner Herrin und war froh, daß sie diesen Besuch gut überstanden hatte.

»Der Flegel heißt Ron Stansy«, sagte Lady Agatha. »Das geht auch aus dem Inhalt seiner Brieftasche hervor. Er arbeitet mit einem Ralph Baltow zusammen.«

»Dies, Mylady, entspricht den Tatsachen«, erklärte Parker. »Den Namen Ralph Baltow fand ich in dieser Brieftasche hier.«

»Sie hatten auch Kontakt mit diesen Lümmeln?«

Parker berichtete nun seinerseits, was ihm widerfahren war. Dazu präsentierte er Agatha Simpson die Brieftasche des Mannes, den Totschläger und schließlich auch den kurzläufigen Revolver.

»Was glauben Sie, Mr. Parker, sind das unsere Erpresser?« fragte Lady Simpson.

»Wahrscheinlich handelt es sich nur um sogenannte Handlanger«, lautete Parkers Antwort. »Ralph Baltow besitzt keineswegs das Format, solch eine umfassende Erpressung durchzuführen.«

»Ron Stansy ebenfalls nicht«, entschied Agatha Simpson. »Sie hätten ihn in der Badewanne sehen sollen, Mr. Parker. Überhaupt kein Durchsetzungsvermögen. Er behauptete übrigens, er und sein Freund Baltow hätten sich von einem Unbekannten anheuern lassen.«

»Die übliche Ausrede, Mylady.«

»Die ich in diesem Fall sogar glaube, Mr. Parker. Stansy und sein Freund Baltow hatten den Auftrag, diese Erpresserwische zu verteilen. Und zwar, hören sie genau zu, an sämtliche Teilnehmer der Rallye. Dafür sollten sie je fünfhundert Pfund bekommen. Die erste Hälfte konnten sie bereits kassieren, die zweite Hälfte sollten sie sich nach Erledigung ihres Auftrages postlagernd in London abholen. Am Postamt Piccadilly Circus.«

»Hat Mr. Ron Stansy zugegeben, Mr. Hudson und Mr. Wemloke niedergeschlagen zu haben?«

»Nur zu gern, Mr. Parker. Das war nach seinem vierten Tauchversuch in der Badewanne. Er bestreitet aber entschieden, Sie am Landhaus erwischt zu haben. Davon hat er angeblich keine Ahnung.«

»Und der fahrlässige Angriff auf Mylady?«

»Geht auf das Konto von Stansy und Baltow. Das gestand er nach dem sechsten, nein, lassen sie mich nicht lügen, nach dem siebten Schnelltauchen. Mehr war dann nicht mehr aus ihm herauszuholen. Er hatte wohl etwas zuviel Wasser geschluckt.«

»Ich konnte die Herren Hudson, Stallet und Brakers beobachten, Mylady, als sie diverse Banken besuchten.« Parkers Gesicht drückte andeutungsweise Bedauern aus. »Ein plötzliches Unwohlsein, von dem ich bereits berichtete, hinderte mich leider daran, weitere Beobachtungen in dieser Hinsicht zu machen.«

»Darauf kommt es jetzt auch gar nicht an.« Agatha Simpson winkte großzügig ab und verzichtete auf jede ironische Spitze. »Fest steht, daß wir es mit einem ganz raffinierten Täter zu tun haben. Ich hoffe, Sie sind nicht anderer Meinung.«

»Ganz sicher nicht, Mylady.«

»Schon allein die Liste der Teilnehmer an dieser Rallye bedeutet für diesen Mann ein Vermögen.« Agatha Simpson machte einen vergnügten und animierten Eindruck. »Jeder Teilnehmer an diesem Rennen wird die verlangten fünftausend Pfund liebend gern zahlen. Das heißt, von mir werden diese Gangster natürlich keinen einzigen Penny erhalten.«

»Gewiß nicht, Mylady.«

»Sie werden etwas bekommen, und zwar Zunder.« Agatha Simpson nickte grimmig. »Die Frage ist jetzt, wer sich diese Massenerpressung hat einfallen lassen.«

»Das, Mylady, dürfte der Kern des Problems sein.«

»Es muß sich um einen Burschen handeln, der Phantasie besitzt.«

»Mylady finden meine bescheidene Zustimmung.«

»Profi oder Amateur, Mr. Parker, das ist hier die Frage.« Sie sah ihren Butler fragend an. »Ich hoffe, Sie haben bereits eine Theorie entwickelt, oder?«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit frustriert«, lautete Parkers Antwort. »Beide Möglichkeiten sollte man wohl in Betracht ziehen, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf.«

»Präzise wie immer.« Sie warf ihm einen geradezu vernichtenden Blick zu. »Sie legen sich immer erst dann fest, wenn ich den Fall geklärt habe, wie? Ich werde Ihnen jetzt mal eine Prognose stellen, Mr. Parker. Wir haben es mit einem begabten Amateur zu tun. Und dieser Amateur ist Mitglied der Rallye. Soll ich noch einen Schritt weitergehen?«

»Mylady verdächtigen bereits eine bestimmte Person?« Parker wunderte sich bei Agatha Simpson grundsätzlich über nichts.

»Unser Mann heißt Stanley Hudson«, behauptete die ältere Dame. »Ein Mann, der einen Vanguard fährt, ist in meinen Augen charakterlich labil!«

*

Es war ausgerechnet dieser Mr. Hudson, der sich zu den fünftausend bereits gezahlten Pfund bekannte.

»Zuerst habe ich das für einen schlechten Scherz gehalten«, sagte er zu Agatha Simpson, die ihn in die Hotelhalle zitiert hatte. »Nachdem aber Henry Wemloke eins über den Kopf bekommen hatte, ging mir ein Licht auf.«

»Darf ich höflichst fragen, Sir, auf welche Art und Weise Sie die besagten fünftausend Pfund an den Erpresser übergaben?« Josuah Parker stand einen halben Schritt hinter Lady Simpson und wirkte respektvoll wie immer.

»Da gibt’s nicht viel zu erzählen.« Stanley Hudson wischte sich kleine Schweißperlen vor Aufregung und Angst von seiner Stirn. »Ich bekam natürlich anstandslos mein Geld, nachdem ich mich ausgewiesen hatte. Als ich es kassiert hatte, erschien eine kleine Frau, die mich um einen Kugelschreiber bat.«

»Und anschließend um die fünftausend Pfund?« Agatha Simpsons Augen verengten sich.

»Und um die fünftausend Pfund«, redete Stanley Hudson weiter. »Eine Riesenfrechheit, wenn ich daran denke. Sie fragte einfach danach, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt.«

»Worauf Sie der besagten Person das Geld aushändigten, Sir?« wollte Parker sicherheitshalber wissen.

»Natürlich. Ich spürte genau, daß sie Bescheid wußte. Sie ließ das Geld in einer Handtasche verschwinden und war dann plötzlich weg.«

»Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen, Sir?«

»Sie kassierte anschließend noch Brakers ab. Das habe ich deutlich gesehen. Das war vor der Bank, aus der er ’rauskam. Sie sprach nur ein paar Worte mit ihm, und Brakers machte es so wie ich. Er drückte ihr einen dicken Umschlag in die Hand, den sie ebenfalls in der Handtasche verschwinden ließ.«

»Warum sind Sie dieser Frau nicht nachgegangen?« grollte Agatha Simpson.

»Richtig, davor warnte sie mich.« Stanley Hudson wischte sich weitere Schweißperlen von der Stirn. »Sie sagte, so etwas würde meiner Gesundheit nicht bekommen. Und da bin ich natürlich erst mal in der Bankvorhalle geblieben. Ich bin nicht gerade versessen darauf, umgebracht zu werden.«

»Und wie verhielt sich Mr. Brakers?« Parkers Frage klang sanft.

»Wie Stallett«, gab Hudson zurück. »Der ist wahrscheinlich ebenfalls abkassiert worden. Er und Brakers standen auf dem Platz vor den Banken und rührten sich nicht von der Stelle.«

»Fünfzehntausend Pfund innerhalb weniger Minuten.« Lady Simpson nickte fast anerkennend. »Das kann man nur als gutes Geschäft bezeichnen.«

»Wieso fünfzehntausend Pfund?« Hudson verzog sein Gesicht.

»Sie, Stallett und Brakers«, meinte die Detektivin. »Oder kann ich plötzlich nicht mehr addieren?«

»Nach uns erschienen noch Wilkins, McPherson und Hazeman vor den Banken«, berichtete Stanley Hudson weiter. »Sie dürften insgesamt noch mal fünfzehntausend Pfund abgehoben haben. Und dabei rede ich noch nicht mal von den Teilnehmern, die gerade vor einem Bankschalter stehen oder das noch planen.«

»Darf ich mir eine weitere Frage erlauben, Sir?« Parker deutete eine knappe Verbeugung an.

»Von mir aus, Mr. Parker! Aber mehr kann ich Ihnen zu diesen Dingen nicht sagen.«

»Haben Sie die Absicht, sich an die Polizei zu wenden, Sir?«

»Ich bin doch kein Selbstmörder«, gab Hudson kopfschüttelnd und fast empört zurück. »Soll ich mich wegen fünftausend Pfund umbringen lassen? Das wär’ doch lächerlich. Das Geld kann ich leicht verschmerzen! Nein, nein, ich werde den Kopf einziehen und mich nicht rühren. Und ich werde sofort nach Hause zurück fahren. Diese Rallye ist für mich gestorben. War ein ziemlich teures und kurzes Vergnügen.«

*

Das »Massensterben« der Oldtimer sprach sich in Windeseile herum. Die Teilnehmer, die bereits ihre fünftausend Pfund gezahlt hatten, schützten technische Defekte an ihren vierrädrigen Veteranen vor und sahen sich außerstande, weiterhin am Rennen teilzunehmen.

Noch vor Einbruch der Dunkelheit erschienen Transportwagen, die die Oldtimer übernahmen und abtransportierten. Die Fahrer fuhren selbstverständlich mit und hüteten sich ohne Ausnahme, die wahren Gründe für das Abbrechen ihrer Teilnahme preiszugeben. Sie alle standen noch unter dem Eindruck der Drohung und wollten ihr Leben nicht gefährden.

Die Rennleitung hatte die Presse zu einer kleinen Konferenz eingeladen und gab bekannt, die restlichen achtunddreißig Fahrer würden die Veteranen-Rallye natürlich fortsetzen.

John Delgate, der verantwortliche Sekretär der Rennsportleitung, ein drahtiger Fünfziger, der an einen gerade pensionierten Major der Armee erinnerte, schien von den Erpressungen keine Ahnung zu haben. Er bedauerte wortreich den Ausfall der Veteranen und sprach den Ausgeschiedenen seine höchste Anerkennung aus.

Lady Simpson und Butler Parker nahmen an der anschließenden Fahrerbesprechung nicht teil. Sie wußten ohnehin, daß es am kommenden Tag weiter nach Kingston und Staines gehen sollte.

»Wir werden in der kommenden Nacht aufpassen müssen«, sagte die ältere Dame.

»Mylady rechnen mit einem Zwischenfall?« wollte Parker wissen.

»Was dachten denn Sie?« Sie sah ihn erstaunt an. »Natürlich wird es einen Zwischenfall geben. Wir haben uns bei diesen Gangstern doch ziemlich mißliebig gemacht, oder?«

»Dem möchte ich allerdings beipflichten«, entgegnete Josuah Parker. »Mylady denken an die beiden Handlanger Stansy und Baltow?«

»Und an diese kleine Frau, die das Geld kassierte«, meinte Agatha Simpson. »Schließlich sollte auch ich erpreßt werden.«

»Sehr bedauerlich Mylady, daß Mr. Hudson zur Person dieser Frau keine weiteren Angaben machen konnte.«

»War es überhaupt eine Frau?« Agatha Simpson blieb stehen und ließ ihren Pompadour kreisen. »Hat dieser Hudson uns vielleicht nur etwas vorgemacht?«

»Mylady rechnen nach wie vor damit, daß Mr. Hudson der eigentliche Drahtzieher dieser Massenerpressung ist?«

»Natürlich.« Sie sah ihn vernichtend an. »Wer sonst?«

»Mr. Hudson hat das Sporthotel bereits verlassen, Mylady, wenn ich mir diesen bescheidenen Hinweis erlauben darf.«

»Das besagt überhaupt nichts, Mr. Parker.« Sie ließ sich nicht von ihrem Standpunkt abbringen. »Mich führt man nicht hinters Licht, das sollten Sie inzwischen wissen. Ist Ihnen eigentlich nichts aufgefallen? Sind Sie nicht hellhörig geworden?«

»Mylady sehen mich zerknirscht.«

»Hudson war der einzige der Erpreßten, der sich trotz aller Drohungen traute, uns einige Details zu liefern.«

»Ein bemerkenswerter Mut, Mylady.«

»Schnickschnack, Mr. Parker! Eine bemerkenswerte Frechheit! Hudson wollte uns damit auf eine falsche Spur setzen. Ich wette, daß diese kleine Frau nur eine Erfindung ist. Er will beim nächsten Abkassieren in Kingstone und Staines nicht gestört werden.«

»Sie meinen, Mylady, er hätte selbst...?«

»Papperlapapp, Mr. Parker, Sie sind heute wieder mal besonders schwerfällig. Nicht er, sondern ein weiterer Handlanger natürlich.«

»Dies, Mylady, wird sich herausfinden lassen. Myladys Erlaubnis vorausgesetzt, war ich so frei, Miß Porter nach Kingston zu bitten.«

»Genau das wollte ich gerade sagen«, bekannte die Detektivin. »Kathy ist hier unbekannt. Sie sollte sich für die Banken in Kingston und Staines interessieren.«

»Die erforderlichen Hinweise erlaubte ich mir bereits zu geben, Mylady. Miß Porter wurde von meiner bescheidenen Wenigkeit genau informiert und weiß, auf was sie zu achten hat.«

Während ihrer Unterhaltung hatten Agatha Simpson und Butler Parker sich dem Wagenpark der Veteranen genähert, der von zwei Männern der technischen Leitung ein wenig oberflächlich bewacht wurde.

»Hier ist gerade etwas für Sie abgegeben worden«, sagte einer der beiden jungen Männer und reichte dem Butler einen Brief, dessen brauner und steifer Umschlag sich in der Mitte beträchtlich ausbeulte. »Sie sind doch Mr. Parker, oder?«

»Dies ist in der Tat mein Name«, antwortete Parker und nahm den Brief entgegen. »Von wem wurde er abgegeben, wenn ich fragen darf?«

»Den brachte ein Dorfjunge vorbei. Vor knapp zwei oder drei Minuten.« Der Mann hob desinteressiert die Schultern.

Parker lüftete höflich dankend seine schwarze Melone und wog den Brief nachdenklich in seiner schwarzbehandschuhten Hand.

»Was hat denn das zu bedeuten?« fragte Agatha Simpson und warf einen sehr mißtrauischen Blick auf den dicken Brief. »Nicht, daß da eine kleine Sprengladung drinsteckt!«

»Genau das, Mylady, sind meine bescheidenen Befürchtungen«, antwortete Parker höflich und ohne jede Hast. »Man sollte den Brief mit möglichst großer Vorsicht öffnen.«

*

Butler Parker nahm den Brief auch im übertragenen Sinn nicht auf die leichte Schulter.

Er setzte seine schwarze Melone ab und legte ihn in die Wölbung, die, was nur Eingeweihte wußten, mit solidem Stahlblech gefüttert war. Falls der Brief frühzeitig hochging, war somit immerhin ein gewisser Schutz gegeben.

»Mylady sollten meine Wenigkeit für einen Moment entschuldigen«, sagte er zu seiner Herrin. »Ich denke, ich werde das Schreiben dort hinter dem Steinwall zu öffnen versuchen.«

»Das gefällt mir aber ganz und gar nicht«, antwortete Agatha Simpson nervös. »Sie wissen ja gar nicht, wie stark die Sprengladung ist.«

»In wenigen Minuten wird diese Informationslücke sich mit Sicherheit schließen, Mylady«, gab Parker gemessen zurück. »Wenn Mylady sich jetzt ein wenig in Sicherheit und Deckung begeben würden ...?«

»Ich verbiete Ihnen, den Brief zu öffnen.« Lady Agatha hatte einen Entschluß gefaßt. Es war deutlich zu erkennen, daß sie sich um ihren Butler ehrlich sorgte. Die resolute Dame zeigte plötzlich Gefühle und schämte sich ihrer nicht.

»Der Brief muß nicht unbedingt einen tödlichen Inhalt haben, Mylady.«

»Das soll die Polizei feststellen.« Agatha Simpson schüttelte noch mal den Kopf.

»In diesem Fall, Mylady, würden die Behörden sich dieses Falles annehmen.«

»Wenn schon!« Die Detektivin ließ sich nicht umstimmen. »Für meinen Bestseller werde ich schon noch einen anderen Stoff bekommen. Es muß ja nicht gerade dieser sein. Werfen Sie das schreckliche Ding weg, Mr. Parker! Ich bestehe darauf. Vielleicht hat es sogar einen raffinierten Zeitzünder.«

Parker war gerührt, auch wenn er es natürlich um keinen Preis der Welt gezeigt hätte. Es war schließlich mehr als selten, daß Lady Agatha so deutlich zu erkennen gab, wie sehr sie ihn schätzte.

Er tat ihr also den Gefallen und schleuderte den dicken Brief über den nahen Steinwall genau auf den Stamm einer Eiche. Sekundenbruchteile später gab es eine kleine, aber scharfe Detonation, einen grellen Feuerblitz und eine Luftdruckwelle.

Agatha Simpson setzte sich ihren abenteuerlich aussehenden und jetzt verrutschten Hut wieder zurecht und sah Parker an.

»Na bitte«, meinte sie dann und nickte. »Sie ahnungsloser Tor hätten natürlich den Brief geöffnet, nicht wahr?«

»Unter Wahrung aller gebotenen Vorsicht, Mylady.«

»Man muß eben auf Sie aufpassen, Mr. Parker.« Sie wirkte sehr erleichtert. »Erzählen Sie den beiden Wächtern eine nette Geschichte. Sie werden neugierig sein.«

Das waren sie natürlich auch.

Sie kamen herbeigerannt und stellten aufgeregt Fragen. Sie hatten die Detonation gehört und wollten wissen, was passiert war.

»Eine neue Benzinmischung für Myladys Oldtimer«, redete der Butler sich heraus. »Ich hege allerdings den Verdacht, daß die Alkoholbeimischung etwas zu stark ausgefallen ist, meine Herren. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«

»Und den Sprengstoff wollten Sie in den Motor kippen?« wunderte sich der erste Wärter.

»Um den Victor ein wenig schneller zu machen.« Parker nickte und sah den Mann treuherzig an.

»Damit hätte man glatt ’ne Rakete antreiben können«, meinte der zweite Mann fast anerkennend.

»Ein Experiment, das man vergessen sollte«, entschuldigte sich Parker höflich. »Ich hoffe, die Herren nicht unnötig erschreckt zu haben.«

»Fragen Sie das lieber die Eiche«, sagte der erste Mann und deutete auf den Baum.

Der starke, knorrige Stamm wies eine häßliche Wunde auf. Die Rinde und das Holz waren tief aufgerissen. Es mußte sich um einen hochexplosiven Sprengstoff gehandelt haben.

»Ich glaube, ich brauche jetzt einen Kreislaufbeschleuniger«, sagte Agatha Simpson mit leiser Stimme. Auch sie hatte die brandige Wunde im Baumstamm inzwischen gesehen. »Ich bin übrigens sehr gereizt, Mr. Parker. So kann man mit mir nicht umgehen!«

*

»Ich muß dauernd aufstoßen«, beschwerte sich Ron Stansy wehleidig. »Und immer nach Fichtennadeln.«

»Mir stößt dieser verdammte Butler dauernd auf«, sagte Ralph Baltow wütend. »Wie dieser Bursche mich behandelt! Sowas kann man doch nicht auf sich sitzen lassen.«

»Also, was machen wir?« wollte Stansy wissen und rülpste wenig diskret. Er verzog sein Gesicht und hatte wieder das unangenehme Gefühl, sein Magen sei mit Fichtennadelwasser vollgepumpt.

»Die Rechnung wird noch beglichen«, versprach Baltow. »Aber das hat noch Zeit, Ron. Jetzt müssen wir erst mal an die Moneten denken.«

»Wir haben noch zehn Erpresserbriefe«, erinnerte Ron Stansy. »Und bevor wir die nicht abgesetzt haben, bekommen wir auch nicht die restlichen fünfhundert Pfund.«

»Was sind schon fünfhundert Pfund?« Ralph Baltow verzog geringschätzig sein Gesicht. »Kannst du nicht rechnen?«

»Nun sag schon endlich, worauf du hinaus willst?«

Die beiden Ganoven befanden sich in einem kleinen Pub am alten Marktplatz von Richmond und hatten schon einige harte Getränke zu sich genommen. Sie waren dabei, ihre Niederlagen in zumindest halbe Siege umzumünzen.

Ron Stansy und Ralph Baltow wohnten in London und hatten sich in Kreisen der Unterwelt einen gewissen Ruf erworben. Gegen Bezahlung übernahmen sie es, wildfremde Menschen zusammenzuschlagen. In der Wahl ihrer Mittel waren sich nicht zimperlich, Hauptsache, die Kasse stimmte.

Sie waren tatsächlich anonym angeheuert worden und hatten auch fünfhundert Pfund bereits erhalten. Das war bisher leicht und schnell verdientes Geld gewesen. Mehr als die etwas gewaltsame »Zustellung« der Erpressungsschreiben hatte es für sie nicht gegeben.

Nun aber hatten die Dinge sich erheblich geändert.

Ihr Selbstbewußtsein war schwer angeschlagen worden. Ron Stansy hatte immer noch erhebliche Schwierigkeiten mit dem Fichtennadelextrakt, den Agatha Simpson ins Badewasser gegeben hatte. Und Ralph Baltow litt unter seiner blamablen Niederlage in der Teestube, die Parker ihm zugefügt hatte.

»Wir haben rund zehn Briefe besorgt«, redete Baltow sich in Schwung und beugte sich vor. »Und weitere zehn Briefe haben wir noch.«

»Die sind wir schnell los. Und dann kassieren wir die restlichen fünfhundert Piepen.« Für Stansy war das ein klarer Fall. »Vorher befassen wir uns aber noch mit dieser schrulligen Alten und ihrem Butler.«

»Die sind auf jeden Fall noch dran«, pflichtete Baltow seinem Partner bei. »Aber das hat noch Zeit, Ron. Wir steigen ein ins große Geschäft. Geht dir ein Licht auf?«

»So ungefähr«, behauptete Stansy, der allerdings keine Ahnung hatte.

»Die restlichen zehn Briefempfänger kassieren wir selbst ab«, meinte Baltow und grinste unternehmungslustig. »Warum wollen nicht wir mal richtig zulangen? Bisher scheint die Sache mit den Briefen doch prima funktioniert zu haben, oder?«

»Rund ein Dutzend Fahrer sind mit ihren alten Mühlen abgehauen.« Stansy hatte das schließlich zusammen mit Baltow beobachtet.

»Und die haben bestimmt je ihre fünftausend Pfund bezahlt«, vermutete Baltow. »Der Rest geht jetzt an uns. Ist das nun ’ne Idee oder nicht?«

»Mensch, Ralph!« Ron Stansy sah seinen Partner andächtig, bewundernd an. »Bei zehn Fahrern wären das ja fünfzigtausend Pfund!«

»Kluges Kerlchen.« Baltow grinste.

»Und unser Auftraggeber, Ralph? Wird er nicht dazwischen funken?«

»Soll er doch! Dann funken wir zurück.«

»Und die alte Lady?«

»Die scheint dir ja besonders im Magen zu liegen.« Baltow grinste anzüglich, worauf Stansy automatisch aufstoßen mußte und wieder diesen scheußlichen Fichtennadelgeschmack verspürte.

»Und wie«, quetschte Stansy hervor. Ihm war speiübel.

»Na schön, die nehmen wir uns in der kommenden Nacht mal vor, Ron. Und bei der Gelegenheit auch gleichzeitig ihren Butler. Die denken doch bestimmt, daß wir längst abgehauen sind.«

*

Es war weit nach Mitternacht.

Josuah Parker hatte es sich unter Myladys »Victor« einigermaßen gemütlich gemacht und harrte der Dinge, die da seiner bescheidenen Ansicht nach früher oder später kommen mußten.

Nach dem mißglückten Sprengstoffattentat wußte er, daß der oder die Erpresser eine andere und härtere Gangart angeschlagen hatten. Sie schienen zu wissen, von welchen Personen ihnen Gefahr drohte. Butler Parker war fest davon überzeugt, daß mit weiteren Anschlägen zu rechnen war.

Er hatte sich in die Lage der Erpresser versetzt. Welche Möglichkeiten boten sich ihnen, Mylady und ihn außer Gefecht zu setzen oder gar zu töten? War es nicht der »Victor«, der zu einem Attentat förmlich einlud? Man brauchte doch nur eine geschickt konstruierte Sprengstoffladung irgendwo unter dem Wagen anzubringen und dann auf die Detonation zu warten. Mit etwas Glück würde man dann nach erfolgter Detonation von einem bedauerlichen Unglücksfall reden. Viele dieser Veteranen neigten ja dazu, ungewöhnlich zu reagieren, wenn man sie belastete.

Josuah Parker lag also unter dem »Victor« und horchte auf die Geräusche der Nacht.

Im Sporthotel waren fast alle Lichter ausgegangen. Nur in der Eingangshalle brannten zwei Lampen, die auf dem Tisch der Rezeption standen. Aus den Lichtschächten des Souterrains drang ebenfalls schwacher Lichtschein nach draußen. Wahrscheinlich wurde in der Hotelküche bereits das Frühstück vorbereitet.

Parker lag auf einem rollbaren Monteurrost und hatte eine Decke über sich gebreitet. Die Nacht war bisher erfreulicherweise nicht sonderlich kühl gewesen, doch nun änderte sich das. Von der Wiese hinter dem Steinwall her näherte sich eine feuchtkalte Nebelwand, die dem Butler zusätzlich noch die genaue Sicht nahm.

Für ihn war das ein Signal, auf höchste Wachsamkeit umzuschalten. Die Gelegenheit war günstig, sich dem »Victor« zu nähern. Zudem schienen die beiden Monteure zu schlafen, die von der Rennsportleitung zur Bewachung des Wagenparks abkommandiert worden waren. Parker hatte die Schritte der beiden Männer schon seit langer Zeit nicht mehr gehört.

Doch plötzlich war ein feines Knirschen zu vernehmen.

Parker war sofort ganz bei der Sache und wußte nur zu genau, was er da hörte.

Nachdem er sich unter dem »Victor« verborgen hatte, hatte er einige Erdnüsse zu sich genommen und deren Schalen geschickt um den Wagen herum auf den Asphalt geworfen. Solch eine Schale war gerade mit Sicherheit zertreten worden.

Butler Parker machte sich bereit, Myladys »Victor« zu verteidigen.

*

Ron Stansy und Ralph Baltow hatten nach alter Väter Sitte die Feuerleiter benutzt.

Sie waren fast beleidigt, wie reibungslos und glatt dieser Weg war. Nicht die geringste Schwierigkeit stellte sich ihnen in den Weg. Von der Feuerleiter aus, die für jedes Hotel obligatorisch war, erreichten sie den schmalen, umlaufenden Balkon und brauchten sich nur noch an jene Fenster heranzupirschen, hinter denen Lady Simpson und Butler Parker schliefen.

Die beiden Hotelzimmer, die sie ausbaldowert hatten, lagen nebeneinander. Nur noch ein paar Minuten, und sie konnten Rache für ihre peinlichen Niederlagen nehmen. Stansy und Baltow wollten zwar keine Morde begehen, das entsprach nicht ihrer Arbeitsmethode, doch sie wollten sehr kräftig zulangen und das örtliche Hospital mit zwei Langzeitpatienten versorgen.

Zuerst wollten sie sich Lady Agatha Simpson vornehmen. Stansy, der noch immer nach Fichtennadeln aufstieß, hatte darauf bestanden. Er wollte die alte Dame – das war sein fester Entschluß – in solch ein Bad tauchen und zwingen, von diesem verdammten Extrakt zu trinken, bis sie dicht vor dem Platzen stand. Baltow hatte eingewilligt und war mit dieser Reihenfolge einverstanden.

Er war es auch, der das nur spaltbreit geöffnete Fenster leise hochschob und dann einladend zur Seite trat.

»Dein Auftritt, Junge«, sagte er leise zu seinem Partner. »Zeig es ihr gründlich, Ron!«