E-Book 471-480 - Toni Waidacher - E-Book

E-Book 471-480 E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. E-Book 1: Wer zu spät kommt E-Book 2: Plötzlich war es Liebe E-Book 3: Glück - im zweiten Anlauf E-Book 4: Julias Weg ins Glück? E-Book 5: Zwischen Liebe und Leid E-Book 6: Eine überraschende Erbschaft E-Book 7: Marion flieht vor ihrer Vergangenheit E-Book 8: Jasmins Schrei nach Liebe E-Book 9: Das Spiel mit dem Feuer E-Book 10: Willi Bruckners Heimkehr

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Inhalt

Wer zu spät kommt

Plötzlich war es Liebe

Glück - im zweiten Anlauf

Julias Weg ins Glück?

Zwischen Liebe und Leid

Eine überraschende Erbschaft

Marion flieht vor ihrer Vergangenheit

Jasmins Schrei nach Liebe

Das Spiel mit dem Feuer

Willi Bruckners Heimkehr

Der Bergpfarrer – Staffel 48 –

E-Book 471-480

Toni Waidacher

Wer zu spät kommt

Roman von Waidacher, Toni

Sascha Gebert war wieder zu Hause. Zwei Tage waren vergangen, seit er mit dem Bergpfarrer in Bozen gewesen war, um mit der Hoteliersfamilie Kummert reinen Tisch zu machen. Er hatte sich aus ihrem Lügennetz befreit, all ihre Lügen und Winkelzüge, mit denen Saskia und ihr Vater an sein Geld kommen wollten, hatte er mit Hilfe des Bergpfarrers enttarnt. Das Kapitel eines Lebens, das mit Saskia und seiner Hotelkarriere zu tun hatte, war abschlossen.

Glücklich war er dennoch nicht. Denn er hatte Mareike Forster, die ihn seit vielen Jahren heimlich liebte, und der er zuletzt allergrößte Hoffnungen gemacht hatte, zutiefst enttäuscht.

Er war der Meinung gewesen, dass er ihr gegenüber ehrlich sein musste. Er hatte ihr gesagt, dass er für eine neue Beziehung noch nicht bereit sei. Ob die Kluft, die er mit seiner enttäuschenden Offenheit aufgerissen hatte, überhaupt noch geschlossen werden konnte, wusste er nicht. Es bereitete ihm schlaflose Nächte.

Mareike, die Saschas Mutter immer zur Hand gegangen war, hatte sich seitdem auf dem Geberthof nicht mehr blicken lassen. Karoline Gebert war deswegen zu Tode betrübt, scheute sich aber die junge Frau darauf anzusprechen, deren Wunden waren gewiss noch zu frisch.

Einerseits war Karoline glücklich, weil sich ihr Sohn entschlossen hatte, nach St. Johann zurückzukehren und die Landwirtschaft zu übernehmen. Ihr Glück wäre aber perfekt gewesen, wenn sie Mareike als Schwiegertochter auf dem Hof willkommen heißen hätte dürfen.

Und weil Sascha mit seiner ›dummen Ehrlichkeit‹ das Madel vergrault hatte, war seine Mutter ärgerlich auf ihn. Zwei Tage lang hatte sie nur das Nötigste mit ihm gesprochen, nun aber – sie saßen beim Abendessen –, nahm sie sich ein Herz und sagte: »Dieser Zustand ist alles andere als gut, Sascha. Das darf net so bleiben. Ich will, dass wir wieder gut miteinander auskommen.«

»Ich hab’ net angefangen«, rechtfertigte sich der Bursche.

»Aber schuld bist du dennoch«, versetzte Karoline.

»Hätt’ ich der Mareike was vormachen sollen?«

»Mir hast du erzählt, dass du sie sehr gern hast. Über die Sach’ mit dieser Saskia bist du angeblich vollkommen hinweg. Wie viel Zeit brauchst du denn noch, um der Mareike zu sagen, dass du sie liebst?«

»Dass sie das noch hören will, glaub’ ich net. Ich hab’ sie zu sehr enttäuscht und verletzt.«

»Vielleicht ist sie nur eingeschnappt«, mutmaßte Karoline, und das war ihre letzte Hoffnung. »Red’ doch einfach mit ihr, Sascha. Sag’ ihr, dass die Saskia keine Bedeutung mehr spielt in deinem Leben und dass der Platz in deinem Herzen ihr gehört. Vielleicht wartet s’ nur darauf. Mit dem Reden kommen die Leut’ zusammen. Wenn ihr euch net aussprecht, wird das nie was mit euch beiden.«

»Sie hat vollkommen überreagiert«, brummte Sascha. »Ich hab’ ihr noch hinterher gerufen, dass ich sie ja lieben möcht’ – aber …«

Karoline griff sich an den Kopf und schaute ihren Sohn an, als zweifelte sie an seinem Verstand. »Hast du das wirklich so gesagt? Du möchtest sie gerne lieben, aber …«

Sascha seufzte. »Sicher war das unglücklich ausgedrückt, aber ich bin ja auch gar net zum Ende gekommen mit dem, was ich ihr sagen wollt’. Denn die Mareike hat mich einfach stehen lassen. Und jetzt verlangst du von mir, dass ich ihr hinterher renn’. Ein bissel Stolz hab’ ich schließlich auch.«

»Falscher Stolz, Sascha. Du verbaust dir damit den Weg zu ihrem Herzen. Ruf’ sie an und bitt’ sie um ein Gespräch. Erklär’ ihr deine Beweggründe und hör’ dir geduldig an, was sie zu sagen hat.«

Sascha kämpfte mit sich. Schließlich murmelte er: »Na schön. Ich will ja auch, dass zwischen der Mareike und mir alle Missverständnisse beseitigt werden. Ich mag sie ja wirklich sehr, sehr gern.«

»Dann verlier’ keine Zeit mehr!«, verlangte Karoline ungeduldig. Nicht nur, dass sie die Mareike gern als Schhwiegertochter gehabt hätte, das Madel tat ihr bis in die Seele leid. Aus ihrer Sicht hatte sich Sascha Mareike gegenüber benommen wie der Elefant im Porzellanladen. Nun war es ihr ein echtes Anliegen, dass er seinen Fauxpas wieder ausbügelte.

»Ich ruf’ sie an, sobald wir mit dem Abendessen fertig sind«, versprach Sascha.

Gesagt, getan. Sascha telefonierte von seinem Zimmer aus. Da er seine Handynummer nicht unterdrückte, konnte Mareike sehen, wer anrief. »Was willst du?«, fragte sie kurz angebunden.

»Ich will mit dir reden, Mareike.«

»Aber ich net mit dir.«

Sekundenlang verschlug es Sascha die Sprache. Er presste die Lippen zusammen. ›Du hast etwas gutzumachen‹, durchfuhr es ihn. »Ich bitte dich, Mareike. Gib mir die Chance, mich zu rechtfertigen. Du hast mich an jenem Abend auf der Bank missverstanden. Ich wollt’ doch nur …«

»Spar es dir, Sascha. Ich bin geheilt, und zwar ein für alle Mal. Weißt du, was ich dir jetzt sag’? Du hast meine Gefühle mit Füßen getreten. Du hast mich regelrecht gedemütigt. Und jetzt will ich nimmer. Du hast es geschafft, dass sämtliche Gefühle, die ich für dich gehabt hab’, gestorben sind. Jetzt, wo du wieder daheim bist, braucht mich deine Mutter auch nimmer. Mich wirst du auf eurem Hof nimmer sehen.«

Sascha fühlte sich jämmerlich. »Mareike, bitte, lass dir doch …«

»Du kannst mich nimmer umstimmen, Sascha. Es ist aus, vorbei! Leb’ du dein Leben, ich leb’ das meine.«

Das letzte Wort war kaum verklungen, als auch schon Stille in der Leitung herrschte. Mareike hatte die Verbindung unterbrochen.

Saschas Hand mit dem Smartphone sank nach unten. Dass sie wütend auf ihn war, wusste er. Aber mit einer solchen Abfuhr hatte er bei der sonst so freundlichen Mareike auf keinen Fall gerechnet. Er war erschüttert. Ihre Worte hallten in ihm nach. ›… aus, vorbei!‹ Das hatte in der Tat ausgesprochen entschieden und endgültig geklungen.

Sascha wandte sich dem Fenster zu. Er konnte von hier aus den Forsterhof sehen, auf dem Mareike zu Hause war. Sie hatte ihn doch angeblich jahrelang heimlich geliebt. Es wollte ihm nicht in den Sinn, dass sie plötzlich derart konsequent und kompromisslos ihm gegenüber sein sollte.

›Ruf’ sie einfach noch einmal an!‹, riet ihm eine innere, drängende Stimme. Er versuchte es gleich, aber Mareike hatte ihr Handy ausgeschaltet. Sascha murmelte eine Verwünschung. Das Begreifen, dass er sie wahrscheinlich für immer verloren hatte, war von schmerzlicher Schärfe.

Er ging wieder nach unten. Sascha ließ sich in einen Sessel fallen. »Ich hab’ mit der Mareike telefoniert«, murmelte er.

»Du schaust net glücklich drein«, bemerkte Karoline.

»Es ist aus, hat sie gesagt. Schluss, aus, vorbei! Sie hat mich abblitzen lassen.«

Karoline schaute ziemlich betroffen drein. »Das ist ja allerhand«, entfuhr es ihr. »Hat s’ das wirklich gesagt?«

»Ja. Und sie hat keinen Zweifel offen gelassen, dass sie’s auch so gemeint hat.«

»Soll ich mal mit ihr reden?«

Sascha lachte bitter auf. »Das wird kaum was bringen, Mama.« Er zuckte die Schultern und meinte: »Wenn s’ nimmer will, dann ist das eben so, und ich muss es respektieren. Ich kann’s net erzwingen, dass sie mich mag.«

»Das ist jammerschade«, murmelte Karoline. »Ich kann dir gar net sagen, wie leid es mir tut, dass alles so gekommen ist. Das Madel war für mich wie eine Tochter.«

Sascha registrierte den unterschwelligen Vorwurf in ihren Worten und schwieg betroffen.

*

Max Trenker, seines Zeichens Leiter der Polizeidienststelle St. Johann, war bereit den Dienst anzutreten. Seine Uniform saß, als wäre sie maßgeschneidert, seine Mütze trug er in der linken Hand. Er ging ins Kinderzimmer, wo die beiden Kleinen noch schlummerten, küsste beide ganz vorsichtig, sodass sie nicht aufwachten, und kehrte dann in die Küche zurück, wo Claudia, mit Schlafanzug und Morgenmantel bekleidet, das Frühstück für den kleinen Sebastian und Luisa zubereitete. Dass Claudia um diese Zeit in der Küche werkelte, war darauf zurückzuführen, dass Samstag war und sie nicht in die Redaktion des ›Kurier‹ in Garmisch musste. Ihr Kindermädchen hatte frei.

Jedoch für Max, den Polizisten, gab es kein geregeltes freies Wochenende. Er küsste seine hübsche Frau. »Tschüss, Schatz, bis Mittag. Ich hoff’, der Tag bleibt so ruhig wie die ganze vergangene Woche.« Ein Lächeln huschte um seinen Mund. »Bei uns ist halt die Welt noch in Ordnung. Schad’, dass es net überall so ist. Wenn man sich die Nachrichten so anhört …«

»Ich kann ein Lied davon singen«, sagte Claudia. »Sind wir froh, dass es bei uns dermaßen friedlich ist.«

»Dafür können wir wirklich dankbar sein«, versetzte Max, gab ihr noch einen Kuss.

Wenig später verließ er das Haus. Es war noch dunkel, aber die ersten Vögel begrüßten mit ihrem Gezwitscher schon den beginnenden Tag, der sich mit hellem Schein über den Berggipfeln im Osten ankündigte.

Vor dem Gartentor war sein Dienstwagen abgestellt. Max zog die Autoschlüssel aus der Jackentasche, öffnete per Fernbedienung die Türen des Wagens, ging um ihn herum und spürte plötzlich, wie sein linker Fuß ansatzlos wegglitt. Es riss ihn um, und stechender Schmerz von seinem Knöchel fuhr bis unter seine Schädeldecke, er krachte auf den Boden. Der harte Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen.

Es gelang ihm schließlich, durchzuatmen, dann versuchte er sich zu erheben. Der ziehende Schmerz in seinem linken Knöchel explodierte regelrecht, als er das Bein nur ganz leicht belastete. Ein gequälter Aufschrei stieg in ihm hoch. Er sank wieder zurück und atmete keuchend aus.

›O verdammt! Das fühlt sich an, als hättest du dir den Knöchel gebrochen‹, zuckte es ihm durch den Kopf.

Max schaute sich um. Es war Samstag und noch sehr früh, und er konnte kaum hoffen, dass jemand daherkam, der ihm half. Um Hilfe schreien wollte er auch nicht, denn er hoffte immer noch, dass er es aus eigener Kraft zurück ins Haus schaffte.

Er atmete tief durch, dann unternahm er den zweiten Versuch, auf die Beine zu kommen. Er stöhnte und ächzte und als er schließlich stand, lief ihm der Schweiß über das Gesicht. Der Schmerz in seinem linken Knöchel war kaum zu ertragen. Es hatte keinen Sinn, er würde es nicht schaffen. Er holte sein Handy aus der Jackentasche und wählte Claudias Nummer.

Nach zweimaligem Läuten meldete sie sich. »Hast du etwas vergessen, Schatz?«, fragte sie.

»Ich bin ausgerutscht und hab’ mir wahrscheinlich den Knöchel gebrochen. Sei bitte so gut, und ruf’ den Notdienst an, dann komm’ bitte heraus und hilf mir.«

»Um Gottes Willen!«, stieß Claudia hervor. »Ich bin sofort bei dir.«

Tatsächlich war sie sogleich draußen bei Max und musterte besorgt sein schmerzverzerrtes Gesicht. »Die Ambulanz ist unterwegs«, stieß sie atemlos hervor. »Wie hat das passieren können?«

»Ich bin auf irgendetwas ausgerutscht«, ächzte Max. »Der Schmerz ist kaum auszuhalten.«

Claudia schaute sich um und entdeckte den Übeltäter. Es war der Rest eines Apfels, den jemand – sicherlich ohne sich dabei etwas zu denken –, auf die Straße geworfen hatte.

»Setz dich vorsichtig ins Auto«, empfahl Claudia, die ja nichts tun konnte, außer mit Max auf den Notarzt und die Sanitäter zu warten. Sie half ihm, sich auf dem Fahrersitz niederzulassen.

»So ein Mist!«, schimpfte Max. »Wenn der Knöchel gebrochen ist, falle ich mindestens einen Monat aus.«

»Zeig mir mal den Fuß.« Claudia bückte sich, schob das Hosenbein hoch und rollte die Socke etwas nach unten. Der Knöchel war schon geschwollen und begann sich bläulich zu verfärben. »Sieht net gut aus«, murmelte sie. »Wahrscheinlich net nur verstaucht.«

In der Bergklinik bestätigte man Claudias Verdacht, der Knöchel war tatsächlich gebrochen. Max erhielt einen Gipsverband verpasst, zwei Krücken und eine Krankschreibung für zunächst sechs Wochen. Der Arzt riet ihm, den Knöchel nicht unnötig zu belasten. Dann konnte ihn Claudia wieder mit nach Hause nehmen.

Er war außer Gefecht gesetzt. Zunächst rief er in Garmisch bei der Polizeidienststelle an, informierte sie über sein Missgeschick, und er erhielt die Zusage, dass sie umgehend eine Vertretung schicken würden.

In der Zwischenzeit hatte Claudia seinen Bruder verständigt, und der besuchte ihn kurz nach dem Mittagessen.

Max lag auf der Couch im Wohnzimmer, den eingegipsten Fuß hatte er mit Hilfe zweier Sofakissen etwas hochgelagert.

»Grüß dich, Max«, sagte Sebastian. »Was machst denn du für Sachen? Ein Gesicht schneidest du, als hätten dir die Hühner das Brot weggestohlen.«

»Servus. Ich möcht’ dein Gesicht sehen, wenn du auf eine solche dusslige Art und Weise schachmatt gesetzt werden würdest«, versetzte Max. »Schön, dass du mich besuchst. In der nächsten Zeit wirst du wohl alleine zu Mittag essen müssen.« Sein Grinsen geriet etwas schräg. »Wenigstens sind die Schmerzen jetzt erträglich.«

»Setz dich doch«, sagte Claudia.

In dem Moment kamen der kleine Sebastian und seine niedliche Schwester ins Wohnzimmer.

»Onkel«, lärmte der Bub, rannte zu seinem Patenonkel hin und schwang sich sofort auf seinen Oberschenkel. »Der Papa hat sich den Fuß gebrochen. Er sagt, es hat sehr wehgetan. Jetzt hat er einen Gips.«

Nun war auch Luisa bei Sebastian angelangt und krabbelte unbeholfen auf seinen Schoß.

Claudia und Max beobachteten alles mit einem glücklichen Leuchten in den Augen. Die beiden Kinder waren ihr ein und alles.

Sebastian half der Kleinen, auf seinem anderen Oberschenkel Platz zu nehmen.

Sie lachte. »Ich möcht’ keinen Gips am Fuß haben«, sagte sie mit ihrer glockenhellen Stimme und ihre blauen Augen strahlten den Onkel an.

»Das will niemand«, erwiderte Sebastian schmunzelnd. Er wandte sich wieder seinem Bruder zu: »Das mit dem Mittagessen ist ein gutes Stichwort, Max. Du selbst wirst dich kaum selbst versorgen können. Man hat dir sicherlich aufgetragen, ihn net unnötig zu belasten. Du würdest den Heilungsprozess nur verschleppen, wenn du den ganzen Tag in der Wohnung herumhumpelst.«

»Dieses Problem ist mir auch schon durch den Kopf gegangen«, erklärte Claudia. »Ich hab’ schon dran gedacht, solange unbezahlten Urlaub zu nehmen. Ob da mein Chef mitspielt, weiß ich allerdings net.«

»Ich wüsst’ jemand, der dem Max helfen könnt«, gab Sebastian zu verstehen. »Ich denk’ an die Marion Winter, die hat ja auch den Haushalt übernommen, als Frau Tappert mit einer Grippe im Bett gelegen hat.«

»Natürlich!«, stieß Max hervor. »Sie kocht ausgezeichnet …«

»Du denkst auch nur ans Essen, wie?«, kam es sogleich von Sebastian.

»An was denn sonst? Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen.« Max heftete den Blick auf Claudia. »Das ist eine hervorragende Idee, Schatz. Was meinst du?«

»Ja, ja, ich weiß, wie du von ihrem Essen geschwärmt hast«, antwortete Claudia schmunzelnd und nickte. »Ich find’ den Vorschlag auch gut. Man müsste die Frau Winter fragen, ob sie Zeit hat, dich ein paar Wochen lang zu versorgen.«

»Ich würd’ das übernehmen«, erbot sich Sebastian. »Wobei ich fest davon überzeugt bin, dass die Marion net nein sagt. Sie ist dankbar für jeden Euro, den sie sich verdienen kann.«

*

Der Bergpfarrer irrte sich nicht. Marion Winter freute sich über das Angebot und erklärte sich sofort bereit, gleich am Montagmorgen anzufangen.

Am Montagvormittag kam auch ein junger Mann nach St. Johann, der sich beim Bürgermeister meldete und sich als der Vertreter Max Trenkers vorstellte. Sein Name war Martin Pilhofer, er war neunundzwanzig Jahre alt und lebte in Garmisch-Partenkirchen.

Nachdem Markus Bruckner den jungen Polizisten begrüßt hatte, sagte er zu seiner Sekretärin: »Rufen S’ doch bitte den Pfarrer an. Der junge Kollege seines Bruders soll ihn auch gleich kennenlernen.« Er schaute Martin grinsend an. »Sie müssen wissen, Herr Pilhofer, dass wir uns quasi gemeinsam um das Wohl unserer Gemeinde kümmern. Ich trag’ die Verantwortung und plane die Zukunft, der Pfarrer kümmert sich mehr um das geistig-seelische Wohl. Auch wenn er sich manchmal in mein Ressort einmischt! Sie verstehen?«

»Na ja …« Seine Frage löste bei dem jungen Polizisten Verlegenheit aus.

Der Bürgermeister winkte ab. »Egal. Ich darf Sie herzlich bei uns willkommen heißen, und hoff’, Sie empfinden es net als Strafe, dass man Sie vertretungsweise hierher abgeordnet hat, wo sich jetzt nach der Saison, Fuchs und Has’ gute Nacht sagen.«

»Iwo«, antwortete Martin. »Was ich gesehen hab’, gefällt mir. Garmisch ist ja auch net gerade eine Weltstadt. Wenn auch bei uns – im Gegensatz zu hier –, im Winter der Teufel los ist. Wir haben einige Skigebiete, und die Wintersportler rennen uns fast die Bude ein.«

»Hätten wir auch«, brummte der Bürgermeister, »hätten wir ganz sicher auch, wenn unser Pfarrer es net verhindert hätt’.« Bruckner seufzte. »Der gute Mann ist meiner Meinung nach hundert Jahr’ zu spät auf der Welt. Fortschritt und wirtschaftlicher Aufschwung sind für ihn Fremdwörter.«

»Gerade das gefällt mir hier«, erklärte Pilhofer. »Ich wollt’, Garmisch wär’ wenigstens ein bissel ruhiger. Die Menschen hier können sich glücklich schätzen, dass dem Tal die Ruhe erhalten geblieben ist und die Berghänge noch intakt sind.«

Bruckner starrte ihn sekundenlang an, als hätte Pilhofer völligen Unsinn von sich gegeben. Aber dann zuckte er nur mit den Achseln und sparte sich weitere Worte. Der junge Kollege Max Trenkers hatte ihm nicht nach dem Mund geredet, daher war er aus Sicht des Gemeindeoberhaupts schon gleich mit Vorsicht zu genießen.

Zu gerne hätte er jemand sein Leid geklagt. Nach wie vor stand die verlorene Wette wegen der Sommerrodelbahn im Raum. Die Wallfahrt nach Altötting lag dem Bürgermeister wie ein Backstein im Magen. Wieder einmal war ein Traum unerfüllt geblieben, und die verlorene Wette hing wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf. Mit Grausen dachte der Bürgermeister an die Trainingsmärsche mit dem Bergpfarrer, er verzog unwillkürlich das Gesicht.

»Tut Ihnen etwas weh?«, fragte Pilhofer völlig ahnungslos.

»Nein, nein, ich hab’ nur an was Unerfreuliches gedacht. Darf ich Ihnen was zu trinken anbieten? Kaffee oder Tee vielleicht, oder nur ein Mineralwasser?«

»Ein Kaffee wär’ net schlecht«, antwortete Pilhofer. Der Bürgermeister hatte ihn auf den Pfarrer neugierig gemacht.

Bruckner ging zur Verbindungstür zum Büro seiner Vorzimmerdame und rief: »Sind S’ doch so gut und kochen S’ eine Kanne Kaffee. Haben S’ dem Pfarrer schon Bescheid gesagt?«

»Er ist schon auf dem Weg«, erwiderte die Sekretärin.

Bruckner wandte sich dem Tisch zu und setzte sich Pilhofer gegenüber nieder. »Sie sind noch recht jung. Es ist sicher noch net lang her, dass Sie die Ausbildung abgeschlossen haben.«

»Ich hab’ das Fachabitur gemacht, dann die Ausbildung bei der Polizei. Seit gut sechs Jahren bin ich jetzt im mittleren Dienst tätig, hab’ aber vor, in den gehobenen Dienst aufzusteigen.«

»Es ist immer gut, wenn man ein Ziel vor Augen hat«, lobte der Bürgermeister und fügte sogleich hinzu: »Mit Ehrgeiz kann man’s schon zu was bringen im Leben, sofern einen das Schicksal net mit jemand straft, der einem ständig Knüppel zwischen die Beine wirft.«

»Sprichst du von mir, Markus?«, erklang es von der Tür her, und Sebastian Trenker betrat lächelnd das Dienstzimmer des Gemeindeoberhaupts.

Bruckners Kopf war herumgezuckt, geradezu erschreckt fixierte er Sebastian. »Fühlen S’ sich etwa angesprochen, Hochwürden?«, knurrte er dann.

Martin Pilhofer hatte sich erhoben. Der Pfarrer war ihm auf Anhieb sympathisch. Er hatte einen älteren, gesetzten Herrn mit Brille erwartet. Stattdessen präsentierte sich ihm ein Mann in den besten Jahren, durchtrainiert und eher an einen Spitzensportler erinnernd, als an einen Geistlichen. Der junge Polizist war angenehm überrascht.

Jetzt kam auch der Bürgermeister hoch. »Der junge Mann kommt als Vertretung Ihres Herrn Bruders in unser schönes St. Johann, Hochwürden. Sein Name ist Martin Pilhofer.«

Sebastian reichte dem Polizisten die Hand. »Freut mich. Ich bin Pfarrer Trenker, der Bruder Ihres unglücklichen Kollegen, der sich den Knöchel gebrochen hat und den Sie vertreten sollen.«

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Herr Pfarrer«, sagte Pilhofer und drückte kräftig Sebastians Hand. »Ich hab’ mich bereits mit dem Ort angefreundet«, fügte er lächelnd hinzu. »Hier könnt’s mir schon gefallen.«

Sie setzten sich.

»Der Herr Pilhofer ist gleich nach dem Fachabitur bei der Polizei eingetreten«, sagte der Bürgermeister an Sebastian gewandt. »Er möcht’ den Aufstieg in den gehobenen Dienst machen. Ich find’ das lobenswert.«

»Wenn jemand Ehrgeiz zeigt, ist das immer lobenswert«, pflichtete ihm der Pfarrer bei. »Für Ihre berufliche Karriere kann so eine Vertretungsstelle, bei der Sie ziemlich allein auf sich gestellt sein werden, net schaden. Die große Herausforderung werden S’ bei uns aber wahrscheinlich net erleben. Die Leut’ hier sind ehrlich, kleine Zwistigkeiten werden net mit den Fäusten, sondern mit Worten ausgetragen, der eine oder andere parkt vielleicht mal falsch …«

Pilhofer lachte. »Na ja, ein paar Wochen stressfreie Zeit werden mir sicher net schaden.«

»Sind S’ in Garmisch familiär gebunden?«, wollte Bruckner wissen.

Pilhofer schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin völlig ungebunden, deshalb nehme ich gern die Chance wahr, mal anderswo zu arbeiten.«

»In Garmisch dürft’ zurzeit auch net viel los sein«, bemerkte der Pfarrer.

»Wirklich net. Die Wintersaison hat noch net begonnen. Aber dann setzt der Run auf die Schipisten wieder ein. Und dann haben wir von der Polizei auch alle Hände voll zu tun.«

Die Sekretärin servierte ihnen den Kaffee.

Sie setzten ihre zwanglose Unterhaltung noch eine Weile fort, dann meinte Sebastian: »Sie werden sicher auch gleich meinen Bruder kennenlernen wollen, Herr Pilhofer. Wenn S’ möchten, begleit’ ich Sie zu ihm und stell’ Sie ihm vor.«

»Jetzt trinken S’ nur Ihren Kaffee zuerst mal in aller Ruhe«, mahnte Bruckner. »Sie haben sicher noch eine Reihe von Fragen, die nur ich Ihnen beantworten kann. Also tun S’ Ihnen keinen Zwang an und fragen S’.«

»Die örtlichen Verhältnisse werd’ ich wohl am besten selbst erkunden«, versetzte Pilhofer. »Ich will heut’ noch den Dienst antreten. Sicher kann mir der Kollege Trenker ein paar nützliche Hinweise geben.« Der Pfarrer und Martin Pilhofer standen auf und verabschiedeten sich vom Bürgermeister.

Unter der Tür wandte sich Sebastian noch einmal um: »Apropos Knüppel zwischen die Beine werfen, Markus«, sagte er grinsend. »So hast du dich vorhin, als ich gekommen bin, doch ausgedrückt. Ich denk’, darüber müssen wir uns noch unter vier Augen unterhalten. Am Besten am kommenden Samstag, wenn wir gemeinsam zur Streusachhütte aufsteigen. Du freust dich doch ganz gewiss schon drauf.«

Bruckner zog den Kopf zwischen die Schultern, er schien regelrecht zu schrumpfen. «Natürlich, Hochwürden«, presste er hervor. »Ich freu mich riesig!«

*

Martin Pilhofers Vorstellung bei Max Trenker war eine lockere und angenehme Angelegenheit. Max war offensichtlich auf den ersten Blick mit seiner Vertretung zufrieden.

Martin hatte noch am Montag den Dienst in der Polizeiwache angetreten und sich zunächst mit den Gegebenheiten vertraut gemacht. Schon während des Gesprächs mit Max Trenker war ihm klar geworden, dass das Verbrechen um St. Johann, sicherlich sogar um das ganze Wachnertal, einen weiten Bogen zu machen schien. Er grinste beim Gedanken daran, dass ihn der eine oder andere Kollege in Garmisch wohl um den ruhigen Job beneiden würde.

Am Dienstagmorgen wollte er sich in St. Johann genauer umschauen. Also setzte er sich in den Streifenwagen und fuhr los. Zu beiden Seiten der Hauptstraße, die den Ort in zwei Hälften teilte, waren die Wohn und Geschäftshäuser im alpenländischen Stil errichtet; viel Holz, großzügige Balkone, riesige Dachvorsprünge … An den Balkonen und Fensterbanken blühten noch die Geranien, Petunien und der weiße Weihrauch, obwohl das letzte Drittel des Oktobers schon angebrochen war. Die eine oder andere Fassade wies eine kunstvolle Lüftlmalerei auf.

Pilhofer befand sich im Ortskern. Hier spielte sich in der Urlaubssaison das Leben ab. Martin konnte sich vorstellen, wie es hier im Sommer aussah.

Außerhalb des Ortskerns lagen die Bauernhöfe, und auf den Hängen der Berge, die das Wachnertal begrenzten, waren ebenfalls vereinzelt Wohnhäuser und Bauernhöfe auszumachen. Den Rahmen des Ganzen bildeten bewaldete Berge, und hinter diesen reckte sich das Hochgebirge zum Firmament.

Idylle pur, fand Martin, der selbst in den Bergen aufgewachsen war. Über das Wachnertal war er dennoch erstaunt, weil es seine Ursprünglichkeit bewahrt hatte. Dort, wo er herkam, gab es Gondelbahnen und Sessellifte, kilometerlange Pisten, denen der Wald hatte weichen müssen, Vergnügungsparks und Open Air Veranstaltungen. Dafür waren riesige Parkplätze geschaffen worden, und entsprechend groß war auch die Zahl der Hotels, Restaurants und Unterhaltungsangebote.

Auf der Straße waren kaum Menschen zu sehen. Vor einer Bäckerei standen drei Frauen zusammen und unterhielten sich. Ein Stück weiter befand sich ein kleines Einkaufszentrum, mit Supermarkt, Sportladen, einigen Boutiquen und anderen kleinen Geschäften.

Eine Radfahrerin erregte Martins Aufmerksamkeit. Sie hatte die langen, dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, trat kräftig in die Pedale, denn die Straße stieg zum Supermarkt hin leicht an, und – sie kam auf dem Gehsteig daher.

›Sauber!‹, schoss es dem Polizisten durch den Kopf. ›Das Madel ist auf jeden Fall schon älter als zehn Jahr’.‹ Martin fuhr rechts ran, stellte den Motor ab und stieg aus.

Bei der Radfahrerin handelte es sich um Mareike Forster. Sie sah den Polizisten, erschrak und lenkte sofort ihr Rad vom Gehweg. Dass sie den Mann in der Uniform nicht kannte, irritierte sie zusätzlich.

»Kommen S’ doch bitte mal her zu mir!«, rief Martin.

Mareike gehorchte und sprang, bei ihm angekommen, ab. Verlegen musterte sie Martin, ihre Blicke begegneten sich und Martin war sehr angetan von dem, was er sah. Sie war hübsch, sehr hübsch, und er schätzte sie zwei – drei Jahre jünger, als sich selbst. Unwillkürlich suchte sein Blick ihre Hände, die die Griffe des Fahrradlenkers umklammerten, und er konnte keinen Ring wahrnehmen. Er registrierte es mit einer Zufriedenheit, die ihn selber wunderte.

»Mein Name ist Pilhofer«, stellte er sich vor. »Ich vertrete in den kommenden Wochen den Kollegen Trenker, der sich den Knöchel gebrochen hat. Sie wissen sicher, junge Frau, warum ich Sie aufgehalten hab’.«

Mareike errötete leicht und nickte. »Weil ich auf dem Gehsteig gefahren bin.«

Ein Lächeln spielte um seine Lippen. »Kinder bis acht Jahre müssen zum Radfahren den Gehweg benutzen, Kinder zwischen acht und zehn dürfen ihn benutzen, alles, was älter ist, muss auf dem Radweg oder der Fahrbahn bleiben«, belehrte er sie.

»Ja, ja, ich weiß schon«, nickte Mareike. »Aber die Straße ist net besonders breit, und manchmal fahren die Autos ganz nah an einem vorbei.«

»Das einzige Auto, das ich an diesem Morgen auf dieser Straße gesehen hab’, ist mein Einsatzfahrzeug, junge Frau. Darf ich vielleicht Ihren Namen erfahren? Wo wollen S’ denn hin?«

»Ich – ich heiß’ Mareike Forster, und ich will zum Herrnbacher, weil ich für meine Mutter ein paar Sachen besorgen muss. Wir – wir haben einen Bauernhof, etwa einen Kilometer vor dem Ort, und Sie müssen mir das schon glauben, Herr – Herr …«

»Pilhofer.«

»… Herr Pilhofer, wenn ich sag’, dass das Radfahren hier auf der Straß’ manchmal recht gefährlich ist.«

»Herrnbacher«, murmelte er. »Ich glaub’, den Namen hab’ ich schon irgendwo gelesen.«

»Es ist der kleine Supermarkt.«

»Stimmt. Na schön, Frau Forster. Sie wissen, dass es für Erwachsene verboten ist, mit dem Radl auf dem Gehsteig zu fahren.« Martin gab sich jetzt betont formell. Einfach so konnte er sie ja nicht davonkommen lassen. Außerdem sollte sie ihn nicht gleich wieder vergessen. Er hatte sie gesehen – und in St. Johann gefiel es ihm gleich noch mal so gut. »Ich muss Sie verwarnen, Frau Forster. Ein Verwarnungsgeld erheb’ ich ausnahmsweis’ net, aber beim nächsten Mal muss ich Ihnen ein paar Euro abknöpfen. Haben S’ mich verstanden?«

»Ja, ja, ich weiß ja selber, dass ich net auf dem Gehsteig radfahren darf. Aber da ich niemand gefährdet hab’ und wirklich Angst hab’, dass mich mal ein Auto streift …«

»Schon gut. Fahren S’ jetzt weiter, aber bitte auf der Straß’. Und lassen S’ Ihnen von der Verwarnung net den Tag verderben. Es ist halt mein Job, aufzupassen, dass die Straßenverkehrsordnung beachtet wird.«

»Ich werd’s nimmer tun«, versprach Mareike und setzte sich in Bewegung. Sie schob jetzt das Rad.

»Auf Wiedersehen, Frau Forster!«, rief ihr Martin nach, setzte sich in sein Auto, startete den Motor und fuhr an. Ihm war nicht entgangen, dass die drei Frauen, die vor der Bäckerei gestanden hatten, alles verfolgt hatten.

Langsam ließ er den Wagen die Straße hinunterrollen, und er erreichte den Kirchplatz. Er ahnte, dass es sich bei dem Gebäude, das ein wenig abseits stand und hinter dem sich stattliche alte Obstbäume erhoben, um das Pfarrhaus handelte. Am Rand des Platzes war eine Mauer, die den Friedhof begrenzte. Ein Portal mit einer schmiedeeisernen Tür führte hinein.

Martin hielt an, ging zum Pfarrhaus hin und läutete.

Frau Tappert öffnete die Haustür.

Martin grüßte und fragte, ob Pfarrer Trenker zu Hause sei.

»Sie sind sicher der neue Polizist«, sagte Sophie und lächelte. »Kommen S’ rein, Herr Pilhofer. So heißen S’ doch, gell? Der Max hat schon großes Pech gehabt, als er auf dem Apfelbutzen ausgerutscht ist. Andererseits ist’s vielleicht ganz gut für ihn, wenn er sich mal ein paar Wochen erholen kann.«

Martin grinste spitzbübisch. »Ganz meine Meinung. Der Job eines Polizisten ist hier in St. Johann schon arg aufreibend.«

Sophie lachte auf. »Ach, Sie …« Sie trat zur Seite.

Martin nahm die Dienstmütze ab und ging an ihr vorbei ins Pfarrhaus. Gleich darauf stand der Polizist dem Pfarrer in dessen Arbeitszimmer gegenüber.

»Ich grüße Sie, Herr Pilhofer«, begrüßte ihn Sebastian. »Haben S’ sich denn schon ein bissel eingelebt bei uns?«

»Ich hab’ sogar schon den ersten Verstoß geahndet«, grinste Martin, dann erzählte er von Mareikes verkehrswidriger Gehsteigfahrt und dass er sie mündlich verwarnt hatte. Seine Augen leuchteten, während er erzählte.

›O, o‹, dachte Sebastian, ›da hat es einen aber ganz schön erwischt. Und das schon bei der ersten Begegnung.‹ Mit einem Lächeln um die Lippen sagte er: »Die Mareike ist ein liebes Madel. Sie hat jahrelang einer Nachbarin bei der Haus und Hofarbeit geholfen, da deren Sohn auswärts lebte und arbeitete. Seit kurzem ist ihr Sohn allerdings zurück, und er hat auch vor, zu bleiben.«

»Lebt die Mareike noch bei ihren Eltern?«, erkundigte sich Martin. Schnell fügte er hinzu, als er den amüsierten Blick des Pfarrers richtig deutete: »Ich frag’ das nur, weil sie mir erzählt hat, dass sie für ihre Mutter im Supermarkt etwas besorgen muss. Das hat sich ganz so angehört, als würd’ s’ noch daheim wohnen.«

»Ja, sie wohnt noch bei ihren Eltern. Die Mareike, ihre Eltern und ihr Bruder bewirtschaften einen großen Hof. Sollt’ die Mareike mal heiraten, werden s’ daheim ihre Mithilfe sicher sehr vermissen.«

»Hat s’ etwa einen Verehrer?«

Sebastian entging nicht die jähe, erwartungsvolle Anspannung beim jungen Polizisten. »Net, dass ich wüsst’«, antwortete er, wusste er doch, dass Sascha Gebert bei Mareike verspielt hatte.

Martin atmete auf. »Dann will ich Sie net länger aufhalten, Herr Pfarrer.« Er stülpte sich die Mütze auf den Kopf. »Auf Wiedersehen. Sollten S’ ihren Bruder besuchen oder mit ihm telefonieren, bestellen S’ ihm bitte die besten Grüße von mir und wünschen S’ ihm gute Besserung.«

»Das mach’ ich gern«, versprach der Bergpfarrer.

Von Minute an drehte sich Martins ganzes Denken nur noch um Mareike. Sie hatte etwas in ihm wachgerufen, was noch keiner anderen Frau vor ihr geglückt war. Es war Liebe! Er spürte es ganz deutlich.

*

Julia Dippl, die mit Dieter Winkler aus Waldeck die große Liebe gefunden hatte und die im Mai des kommenden Jahres bei der Deininger Bräu als Buchhalterin zu arbeiten anfangen würde, schwebte im siebten Himmel. Sie schien hier in St. Johann tatsächlich ihr Glück gefunden zu haben.

Es war Dienstagnachmittag, als es an Julias Wohnungstür klingelte. Dieter konnte es nicht sein, denn der saß um diese Zeit an seinem Schreibtisch im Rathaus in Waldeck. War es vielleicht Gisela, seine Tante, in deren Haus Julia die kleine Mansardenwohnung bezogen hatte?

›Net lang’ rätseln‹, sagte sie sich, ›geh’ einfach zur Tür und schau nach.‹

»Mich trifft der Schlag!«, entfuhr es ihr, als sie sah, wer vor ihrer Tür stand. Es war Kerstin Dobler, ihre Cousine, die ihr beim Umzug nach St. Johann geholfen hatte. Kerstin hatte sich in Dieter verliebt, als sie aber erfahren musste, dass Dieter Julia liebte, hatte sie dieser ohne weiteres das Feld überlassen.

Die beiden Frauen fielen sich in die Arme, drückten und herzten sich.

Julia sagte: »Du glaubst ja gar net, wie sehr ich mich freu’, dich schon so bald wiederzusehen. Hast du’s net ausgehalten in München ohne mich?«

»Es hat mir net gereicht, deine Stimme lediglich am Telefon zu hören«, antwortete Kerstin lachend. »Und da ich noch Resturlaub gehabt hab’, hab’ ich mich ins Auto gesetzt und bin nach St. Johann gefahren. Und jetzt bin ich da. Freust du dich?«

»Ich könnte schreien vor Freud’. Komm’ herein und mach’ dich ein bissel frisch. Und dann gehen wir hinunter zur Gisela. Die wird sich genauso freuen wie ich.«

»Ich muss erst meine Reisetasche aus dem Auto holen«, erklärte Kerstin.

»Ich lass’ die Tür offen, und während du deine Sachen holst, schenk’ ich uns ein Glaserl Sekt ein. Einen Willkommenstrunk sozusagen.« Julias Gesicht wurde ernst. »Hast du vom Manfred was gehört?«

Kerstin schüttelte den Kopf. »Nein. Der hat sich, denk’ ich, damit abgefunden, dass er dich verloren hat.« Kerstin machte kehrt und stieg die Treppe hinunter.

Julia kehrte in die Wohnung zurück und holte aus dem Kühlschrank eine Flasche Sekt. Als Kerstin mit ihrer Reisetasche kam, hatte sie zwei Gläser eingeschenkt. Die beiden jungen, hübschen Frauen prosteten sich zu und nippten dann an dem sprudelnden Getränk.

»Wie lang’ bleibst du denn?«, fragte Julia.

»Urlaub hab’ ich noch zehn Tage. Wenn es dir nix ausmacht …«

»Du kannst im Wohnzimmer auf der Couch schlafen. Der Dieter wird sich freuen. Er kommt heut’ Abend zu mir. Wir werden ihn überraschen.«

Kerstin nickte, für einen kurzen Moment dachte sie wehmütig daran, wie sehr sie in Dieter verliebt gewesen war. Aber das beruhte auf einem Missverständnis. Er hatte ihr dann unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er nur Julia liebte.

Die Trauer verflog sogleich wieder. Kerstin freute sich, weil Julia glücklich zu sein schien, und irgendwelche Hintergedanken kannte sie nicht.

Nachdem sich Kerstin im Badezimmer ein wenig frisch gemacht hatte, gingen Julia und sie nach unten. Julia läutete an Gisela Winklers Korridortür, und im nächsten Moment wurde die Tür aufgezogen.

Gisela war verblüfft, doch dann brach es erfreut aus ihr heraus: »Die Kerstin! Das freut mich aber. Haben Sie’s nimmer ausgehalten in München? Na ja, wer St. Johann kennt …«

Kerstin umarmte die Zweiundsechzigjährige.

Julia stand glücklich lächelnd dabei. Dass Kerstin versucht hatte, sich an Dieter heranzumachen, trug sie ihr nicht nach. Denn zu dieser Zeit war ihr, Julia, überhaupt noch nicht klar gewesen, ob sie sich überhaupt neu verlieben würde können. Doch dann war es geschehen …

»Kommt herein«, rief Gisela. »Ich hab’ ein Flascherl Sekt im Kühlschrank …«

»Wenn das so weitergeht, sind wir am Abend, wenn der Dieter kommt, betrunken«, lachte Julia.

*

Als Mareike am folgenden Tag in aller Frühe am Geberthof vorbeiradelte, um frische Frühstücksemmeln zu holen, wurde sie angerufen. »Mareike, einen Moment!«

Sie bremste und stieg ab. Ihr Gesicht verschloss sich, denn sie hatte Saschas Stimme erkannt.

Da kam er auch schon mit langen Schritten auf sie zu. »Guten Morgen, Mareike. Ich vermut’, du fährst zum Terzing.«

»Richtig vermutet.«

»Wärst du so nett und würdest für mich und die Mama vier Dinkelsemmeln mitbringen? Ich würd’ schon selber in den Ort fahren, aber wenn du eh zum Bäcker fährst …«

»Das ist doch net der Grund, aus dem du mich aufhältst«, stieß Mareike hervor. Sie schaute ihn an, forschte in seinem Gesicht und nahm wahr, dass er den Blick senkte.

»Doch«, murmelte er. »Es macht dir doch nix aus? Ich mein’, wir müssen uns doch net für den Rest unseres Lebens aus dem Weg gehen. Die Mama kann doch gar nix dafür, und mir tut es doch bis in die Seele leid …«

»Du musst dich net entschuldigen«, unterbrach sie ihn. »Aber es stimmt: Leidtragende ist deine Mama. Vier Dinkelsemmeln also. In Ordnung, ich bring’ sie mit.«

»Ich hab’ jetzt kein Geld einstecken. Kannst du’s auslegen, oder soll ich …«

»Ich leg’s aus.« Mareike zeigte sich kurz angebunden.

»Danke.«

Sie stieg wieder auf ihr Rad und fuhr weiter.

Sascha schaute ihr hinterher. Sein Blick war voller Trauer. ›Bei Gott‹, schoss es ihm durch den Kopf. ›Du liebst sie doch. Und sie hat dich auch geliebt. Das kann doch net alles weg sein. Warum ist sie so unversöhnlich?‹ Er seufzte. ›Weil du ihre Gefühl verletzt hast‹, meldete sich in ihm eine andere Stimme. ›Du hast es dir selber zuzuschreiben. Und nun solltest du es akzeptieren.‹ Gedankenvoll kehrte er in den Stall zurück, wo die Melkmaschine summte.

Indes radelte Mareike die Hauptstraße St. Johanns entlang und erreichte schließlich die Bäckerei. Im Laden befanden sich schon vier Frauen. Eine, sie mochte um die dreißig Jahre alt sein, wurde soeben von Frau Terzing bedient.

Bei den anderen drei Kundinnen handelte es sich um Maria Erbling, Sophie Tappert und Marion Winter.

»Guten Morgen, alle zusammen«, grüßte Mareike freundlich und die Frauen erwiderten ihren Gruß.

Und sogleich erkundigte sich Maria Erbling: »Alles gut bei euch zu Haus’, Mareike? Ich hab’ vernommen, dass euer Nachbar, der Sascha Gebert, nimmer nach Bozen zurückkehrt, sondern daheim bleibt und den Hof bewirtschaftet.«

Maria Erblings Ruf war weit über St. Johann hinaus bekannt, und so war Mareike im Umgang mit der Klatschtante vorsichtig. »Ja, das stimmt«, antwortete sie. »Es schaut zumindest ganz so aus.«

»Aber du musst es doch genau wissen, Mareike«, sagte Maria Erbling. »Schließlich gehst du doch auf dem Geberthof ein und aus.« Ihre Augen nahmen einen lauernden Ausdruck an. »Hat sich daran vielleicht was geändert, seit der Sascha wieder daheim ist?«

Mareike hatte nicht vor, sich von der Erbling ausfragen zu lassen. »Die Karoline braucht mich jetzt nimmer so notwendig«, erwiderte sie.

»Aber hat sie net eine kaputte Hüfte? Es ist ja net nur der Hof, der bewirtschaftet werden muss. Im Haushalt gibt’s ja auch einiges zu tun.« Maria Erbling seufzte. »Das wird der kranken Karoline net zuträglich sein, wenn s’ den Haushalt jetzt ohne Hilfe verrichten muss. Ich glaub’ nämlich net, dass der Sascha ihr dabei zur Hand geht. Der hat sicher genug mit der ungewohnten Landwirtschaft zu tun.«

»Sonst noch einen Wunsch, Frau Dippl?«, fragte die Gattin des Bäckermeisters mit erhobener Stimme.

»Nein, danke. Was bin ich schuldig?«

Frau Terzing nannte den Preis für den Einkauf und sagte dann: »Heut’ scheinen S’ ja einen großen Appetit zu haben, Frau Dippl. Oder haben S’ Besuch erhalten, weil S’ so viele Semmeln gekauft haben?«

Jetzt war auch Maria Erbling ganz Ohr.

»Meine Cousine ist gestern überraschender Weise gekommen«, antwortete Julia und lächelte. »Sie hatte mir beim Umzug geholfen und ist seitdem von St. Johann begeistert. Am liebsten würd’ sie ebenfalls in München ihre Zelte abbrechen und hierherziehen.«

»Soll sie sich halt mal beim Herrn Deininger erkundigen«, sagte Frau Terzing. »Vielleicht hat er für sie auch einen Job.«

»Die Kerstin ist Verkäuferin in einem großen Dirndlgeschäft«, versetzte Julia lächelnd. »So einen Job hat die Brauerei gewiss net zu bieten.« Sie bezahlte ihren Einkauf, nahm die prallgefüllte Tüte mit den Semmeln und wandte sich der Tür zu.

Sophie Tappert nickte ihr freundlich zu. Julia war ihr keine Unbekannte.

»Grüßen S’ bitte den Herrn Pfarrer von mir, Frau Tappert«, bat Julia. »Auf Wiedersehen.« Die Ladentürglocke bimmelte, als sie die Tür aufzog, dann war sie draußen.

»Die soll ja auch einen Mordsärger mit ihrem Verlobten gehabt haben«, stieß Maria Erbling hervor. »Na ja, aber jetzt hat sie’s ja ganz gut erwischt. Mit dem Winkler-Dieter hat s’ sicher keinen schlechten Fang gemacht, und seine Tante hat ihr gleich die Wohnung in ihrem Häusl vermietet.«

»Was hätten S’ denn gern, Frau Tappert?«, fragte die Bäckermeistersgattin.

Sophie wünschte drei Körnersemmeln.

»Wie lang’ wird denn der Max net seinen Dienst versehen können?«, fragte Frau Terzing.

»Schätzungsweise fünf Wochen fällt er aus.« Sophie lächelte. »Aber für die Sicherheit in St. Johann ist gesorgt. Sie haben einen jungen Polizisten aus Garmisch hergeschickt, der den Max vertreten wird. Ein freundlicher, umgänglicher Bursch’. Er heißt Pilhofer – Martin Pilhofer.«

»Die Mareike hat er sich ja gleich an seinem ersten Arbeitstag vorgeknöpft«, meldete sich Maria Erbling wieder zu Wort. »Ich hab’ beobachtet, wie er dich …«, sie hatte sich wieder Mareike zugewandt, »… von deinem Radl runtergeholt hat, weil du auf dem Gehsteig gefahren bist. Aber scheinbar hat er noch mal ein Aug’ zugedrückt.«

Mareike war leicht errötet. Sie sah das markante Gesicht des jungen Polizisten deutlich vor ihrem inneren Auge. »Er hat mich verwarnt«, murmelte sie.

»Ich glaub’, mit dem Pilhofer fahren wir net schlecht«, sagte Sophie Tappert. »Der Max soll von ihm recht angetan sein.«

»Stimmt«, mischte sich Marion ein. »Jetzt hat er net mal mehr ein schlechtes Gewissen, weil er in den nächsten Wochen ausfällt.«

Sophie Tappert schmunzelte und zahlte, nahm ihren Einkauf und verließ den Laden.

Als Mareike wenig später die Bäckerei verließ, stand die Erbling-Maria mit zwei Frauen, die wahrscheinlich auch in die Bäckerei gewollt hatten, von der Maria aber aufgehalten worden waren, auf dem Gehsteig. Als sie auf ihr Fahrrad stieg und anfuhr, konnte sie die Maria sagen hören: »… soll es ganz schön gekracht haben auf dem Geberthof. Und seitdem hat man das Madel dort nimmer …«

Den Rest verstand Mareike nicht mehr. Aber sie konnte es sich denken. ›Woher hat die Erbling, diese Oberdorftratsche, ihr Wissen?‹, fragte sie sich. Ihr war klar, dass die Gerüchteküche im Ort wieder einmal zu brodeln begann. Und sie würde Mittelpunkt des Getratsches sein. Der Gedanke daran behagte ihr ganz und gar nicht.

*

Mareike radelte auf den Hof des Gebert-Anwesens. Das Stalltor war geschlossen, was ihr sagte, dass sie Sascha im Stall nicht mehr antreffen würde. Sie stellte ihr Radl ab, nahm die Tüte mit den Dinkelsemmeln aus dem Korb und ging ins Wohnhaus. In der Küche traf sie auf Karoline und Sascha.

»Guten Morgen, Karoline«, grüßte Mareike, ohne Sascha zu beachten. Sie legte die eingepackten Semmeln auf den Tisch. »Vier Dinkelsemmeln«, sagte sie. »Lasst’s euch schmecken.«

»Was kriegst du dafür?«, fragte Sascha.

Mareike nannte den Betrag, Sascha gab ihr das Geld und Mareike schob es ein. »Also dann«, sagte sie und schaute dabei wieder Karoline an, »wünsch’ ich dir einen schönen Tag, Karoline.« Sie wollte sich abwenden.

»Was ist denn los, Madel?«, fragte die Bäuerin. »Du kommst mich net mal mehr besuchen. Ich hab’ dir doch nix getan, und dafür, wie alles gekommen ist, kann ich doch auch nix.«

Mareike atmete durch. Sie hatte es befürchtet. »Nach allem, was geschehen ist, ist’s besser, wenn ich mich von eurem Hof fernhalt’«, sagte sie mit etwas unsicherer Stimme. »Sei mir net bös’, Karoline, aber ich werd’ das auch so beibehalten. Es hat aber nix mit dir zu tun.«

»Vielleicht sollten wir uns doch noch einmal unterhalten, Mareike«, warf Sascha ein.

»Danke«, versetzte Mareike, ohne ihn anzusehen, »kein Bedarf. Es macht im Übrigen schon im Dorf die Runde. Vorhin hab’ ich vor der Bäckerei eine Bemerkung der Maria Erbling aufgeschnappt. Ich hab’ gehört, wie sie erzählt hat, dass es auf dem Geberthof ganz schön gekracht hat. Ich möcht’ bloß wissen, woher sie ihre Weisheiten hat.«

Karoline blinzelte betroffen. »Du wirst doch net glauben, Madel, dass ich damit im Ort hausieren gegangen bin«, stammelte sie dann. »Ich werd’ mich hüten. Und der Maria würd’ ich schon gleich gar nix erzählen. Weiß doch jeder, was rauskommt, wenn die einen aufs Korn nimmt.«

Mareike richtete den Blick auf Sascha.

»Ich hab’ mit keinem Menschen drüber geredet«, verteidigte er sich. »Nachdem ich zehn Jahr’ lang weg war, find ich sowieso noch keinen rechten Draht zu den Leuten hier. Außerdem bin ich der Meinung, dass es keinen was angeht.«

»Ganz meine Meinung«, sagte Mareike, nickte Karoline zu und ging.

Karoline warf ihrem Sohn einen vorwurfsvollen Blick zu, sagte aber nichts.

Mareike radelte nach Hause. Dort brachte sie die Semmeln in die Küche, in der ihre Mutter am werkeln war. »Hast du mit jemand im Ort drüber geredet, dass es zwischen mir und dem Sascha zum endgültigen Bruch gekommen ist?«

»Warum, wie kommst du denn darauf?« Klara Forster wich dem Blick ihrer Tochter aus. Sie fühlte sich mit einem Mal sichtlich unbehaglich in ihrer Haut.

Mareike erzählte ihrer Mutter, was sie aus dem Mund der Erbling-Maria aufgeschnappt hatte.

Klara Forster wand sich ein wenig, druckste herum und gab schließlich zu, mit einer Bekannten im Ort über das Zerwürfnis zwischen ihr, Mareike, und Sascha Gebert gesprochen zu haben. »Ich hab’ mir dabei doch nix gedacht«, rechtfertigte sie sich. »Auch ich war zornig auf den Sascha und wollt’ hören, was die Karin dazu meint. Ich konnt’ doch net ahnen, dass die das gleich weitererzählt.«

Mareike winkte ab. »Mach’ dir keinen Kopf, Mama. So schlimm ist das ja auch wieder net. Früher oder später hätt’s sich eh rumgesprochen. Wenn ich ihnen keinen Gesprächsstoff mehr liefer’, hören die Leut’ bald wieder auf zu reden.«

»Vielleicht überlegst du dir das noch einmal mit dem Sascha, Madel«, unternahm die Mutter einen Vorstoß, ihre Tochter mit dem Nachbarsburschen zu versöhnen. »Er hat das alles vielleicht gar net so gemeint. Und jetzt, wo die Sach’ mit dieser Hoteliertochter in Bozen vorbei ist …«

»Bitte, Mama, verschon’ mich damit. Der Sascha ist mir gleichgültig geworden.«

Nachdem sie gefrühstückt hatten und Mareikes Vater sowie ihr Bruder das Haus verlassen hatten, um ihrer Arbeit im Wald nachzugehen, half Mareike ihrer Mutter beim Putzen. Sie befand sich gerade im Wohnzimmer und staubte mit einem Wedel die Regale und Schränke ab, als ihre Mutter rief:

»Was will denn die Polizei bei uns? Es wird doch nix passiert sein!«

Sofort eilte Mareike in die Küche und schaute aus dem Fenster.

Soeben stieg Martin Pilhofer aus dem Einsatzfahrzeug und schaute sich um.

»Das ist der Polizist, der den Trenker-Max vertritt«, sagte Mareike. »Er hat mich gestern verwarnt, weil ich mit dem Radl auf dem Gehweg gefahren bin. Ich geh’ mal hinaus.« Sie legte den Staubwedel weg, atmete tief durch und verließ die Küche. Ihr Herz schlug einen schnelleren Rhythmus.

Als sie aus dem Haus trat und Martin sie wahrnahm, lächelte er unwillkürlich.

»Hab’ ich etwa schon wieder was angestellt?«, fragte Mareike und musterte ihn mit schelmisch funkelnden Augen. »Ich war heut’ zwar schon mit dem Fahrrad unterwegs, aber ich hab’ mich akribisch an die Verkehrsregeln gehalten.«

»Ich wollt’ nur mal schauen, wie mein erster Fall hier so lebt«, versetzte er grinsend. »Außerdem muss ich doch die Leut’ kennenlernen, zu deren Schutz ich hier bin. Wie geht’s Ihnen denn, Frau Forster? Haben S’ den Rüffel, den ich Ihnen verpasst hab’, schon verdaut?«

»Ich hoff’s«, versetzte Mareike. »Es setzt einem schon eine Weile zu, in dem Bewusstsein leben zu müssen, mit dem Gesetz in Konflikt geraten zu sein.«

Martin lachte belustigt auf. »Haben S’ etwa das Bedürfnis der Wiedergutmachung?«

»Wie kann man denn so etwas gutmachen?«, fragte Mareike amüsiert. Dieses Geplänkel mit Martin Pilhofer gefiel ihr. Vor allem blieb ihr nicht verborgen, dass auch der junge Polizist Gefallen daran fand. Und scheinbar nicht nur an dem etwas schnoddrigen Wortwechsel.

Er tat, als würde er angestrengt nachdenken. Schließlich sagte er: »Ich würd’ das Wachnertal und die Umgebung gern ein bissel näher kennenlernen. Die Gegend allein zu erkunden, ist allerdings ziemlich langweilig. Sie sind so eine Art erste Kontaktperson hier für mich, und vielleicht macht es Ihnen nix aus, mir die Umgebung ein wenig näherzubringen.«

»Darüber können wir reden«, versetzte Mareike spontan und war über sich selbst verwundert, weil sie sich so ohne weiteres bereiterklärte, bei einem ihr fremden Mann die Rolle eines Fremdenführers zu übernehmen. »Wann haben S’ denn Zeit? Es gibt schon einiges hier im Tal und in den Bergen ringsherum, das ich Ihnen zeigen könnt’.«

›Welcher Teufel reitet dich denn plötzlich?‹, fragte sie sich ziemlich verwirrt. Sie wusste selbst nicht, was mit ihr los war. Sicher, Martin Pilhofer gefiel ihr ausnehmend gut. Aber war das ein Grund, ihm sofort ihr volles Vertrauen zu schenken und ihn zu behandeln wie einen alten Bekannten?

»Wie sieht’s am Sonntag aus?«, fragte er. »Da hab’ ich dienstfrei und noch nix vor. Sicher, ich könnt’ heimfahren, aber dort sitz’ ich auch bloß herum. Was hätten S’ denn anzubieten, Frau Forster?«

»Ich könnt’ Ihnen die Gemeinden Waldeck und Engelsbach zeigen. Wir können aber auch eine Bergwanderung machen. Allerdings werden um diese Jahreszeit im weiten Umkreis keine Hütten mehr bewirtschaftet. Erst wieder im Sommer. Bis auf zwölfhundert Meter hat’s ja schon geschneit.«

»Brotzeit und Getränk können wir ja mitnehmen«, erklärte Martin. »Wissen S’ was, Frau Forster … Haben S’ was dagegen, wenn ich Sie Mareike nenn’?«

»Net, wenn ich Sie Martin nennen darf«, versetzte sie.

»Ich bitte darum. Also, wissen S’ was, Mareike, Sie überlegen sich, was wir am Sonntag unternehmen, und ich ruf’ Sie heut’ Nachmittag an und Sie sagen es mir. Falls Sie wandern möchten, ich hab’ entsprechende Kleidung dabei. Von da her gäb’s also keine Probleme.«

»In Ordnung, ich werd’ mir was einfallen lassen.« Als Mareike lachte, strahlten ihre Augen.

Martin entging es nicht und er sagte: »Ich freu’ mich schon auf Sonntag. Aber jetzt muss ich weiter, net, dass es heißt, der neue Dorfpolizist würd’ seine Pflicht vernachlässigen.«

»Es könnt’ ja sein, dass irgendwo im Ort jemand mit dem Fahrrad auf dem Gehsteig herumfährt«, lächelte Mareike verschmitzt. »Ein solches Vergehen darf natürlich net ungestraft bleiben.«

»Sie haben schon recht. Geben Sie’s mir nur.« Martin drehte sich um und ging zu seinem Auto. Ehe er einstieg, sagte er über die Schulter: »Kaum zu glauben, dass es Ordnungshüter gibt, die’s net zulassen, dass erwachsene Frauen zum Radfahren den Gehsteig benutzen. Wie kann man bloß so kleinlich sein?«

Ehe Mareike etwas erwidern konnte, saß er im Auto und der Wagen rollte an. Martin fuhr einen engen Kreis, winkte ihr noch einmal mit einem freundlichen Grinsen im Gesicht zu und fuhr schließlich vom Hof.

Als Mareike in die Küche zurückkehrte, fragte ihre Mutter etwas befremdet: »Kennst du diesen Polizisten etwa näher?«

»Wie kommst du denn darauf, Mama?«

»Na ja, ihr habt herumgeflachst wie zwei alte Bekannte. Und wenn ich dir so in die Augen schau’, dann hab’ ich den Eindruck, dass du über seinen Kurzbesuch ziemlich erfreut zu sein scheinst. Willst du mir net erzählen, wann und unter welchen Umständen du ihn kennengelernt hast?«

»Daraus muss ich kein Geheimnis machen, Mama«, antwortete Mareike, und dann erzählte sie von ihrer Verkehrsordnungswidrigkeit, die Martin Pilhofer mit einer mündlichen Verwarnung geahndet hatte.

*

Am folgenden Morgen wartete Sascha vergeblich darauf, dass Mareike auf ihrem Weg zur Bäckerei an seinem Hof vorbeiradelte. Er war enttäuscht und beschloss, selbst in den Ort zur Bäckerei zu fahren, um die Frühstückssemmeln für sich und seine Mutter zu holen. Er nahm das Auto.

Als er die Bäckerei erreichte, stand davor Mareikes Fahrrad. ›Du hast sie verpasst, obwohl du aufgepasst hast wie ein Schießhund‹, dachte er, parkte ein und stieg aus.

In der Bäckerei waren Mareike, die Erbling-Maria, zwei hübsche Frauen um die dreißig, von denen er eine vom Sehen kannte, sowie Frau Tappert.

»Grüß Gott, allseits«, grüßte Sascha und stellte sich hinten an. Mareike, die gerade bedient wurde, ignorierte ihn, Sophie nickte ihm freundlich lächelnd zu und erwiderte seinen Gruß, und auch die Erbling-Maria murmelte ein ›Grüß Gott‹.

Mareike bezahlte, nahm die Tüte und verließ den Laden. Auch jetzt streifte sie Sascha nur mit einem knappen, kühlen Blick.

»Wie geht’s dir denn, Sascha?«, erkundigte sich Sophie Tappert und Sascha bemerkte, dass ihn die Erbling-Maria und die beiden jungen Frauen anschauten.

»Im Großen und Ganzen net schlecht, Frau Tappert. Vielen Dank der Nachfrage. Mein Problem, denk’ ich, kennen S’ ja. Der Herr Pfarrer hat Sie doch sicher aufgeklärt.«

»Es ist halt ein Kreuz«, murmelte die Pfarrhaushälterin. »Aber erzwingen kann man nix. Drum muss man es nehmen, wie’s kommt.«

Sascha musste, wovon Sophie sprach.

»Dann ist also doch was dran an dem Gerücht, dass sich die Mareike mit dir zerstritten hat, Sascha«, mischte sich die Erbling ein. Mit durchdringendem Blick, als könnte sie von seiner Nasenspitze die Antwort ablesen, starrte sie den unglücklichen Burschen an.

Sascha spürte aber auch die Blicke der beiden jungen Frauen an seinem Gesicht haften. Das machte ihn verlegen und er wünschte die Maria Erbling auf den Mond, weil sie dieses für ihn so quälende Thema in aller Öffentlichkeit breittrat.

»Es war lediglich eine kleine Meinungsverschiedenheit«, versetzte Sascha und lächelte starr. »Schließlich muss man ja nicht immer einer Meinung sein.«

Frau Terzing blieb natürlich Saschas Verlegenheit nicht verborgen, und sie kam ihm zu Hilfe, sie fragte: »Was hätten denn Sie gern’, Frau Dippl?« Sie nahm mit ihrer Frage der Situation die Anspannung, die nach Marias Frage eingetreten war. »Haben S’ heut’ wohl Ihren Besuch mitgebracht?«, kam sofort Frau Terzings zweite Frage.

»Ja, das ist meine Cousine Kerstin«, antwortete Julia. »Seit sie einmal in St. Johann war, gefällt’s ihr in München nimmer. Am liebsten würd’ sie hierherziehen.«

Saschas Blick war an Kerstin Dobler regelrecht hängen geblieben. Er sah eine Frau von einunddreißig Jahren mit kurzen, dunklen Haaren, die ihrem schmalen Gesicht mit dem sonnengebräunten Teint und den dunklen Augen eine besondere Klasse verliehen. Sie war schlank und mittelgroß, gekleidet war sie mit Jeans, T-Shirt und einer sportlichen, weißen Jacke aus dünnem Leinen, die sie offen trug. Weiße Sportschuhe vollenden den sportlicheleganten Eindruck, den sie vermittelte. Und irgendetwas faszinierte Sascha noch an Kerstin Dobler. War es ein leiser Hauch von Traurigkeit, den er bei ihr spürte?

»Was nehmen wir denn heut’, Kerstin?«, fragte Julia. »Möchtest du mal Roggensemmeln, oder bleiben wir bei den Dinkelweckerln?«

»Wie wär’s mal mit Croissants?«, kam Kerstins Gegenfrage.

»Dann geben Sie mir bitte sechs Croissants, Frau Terzing«, wandte sich Julia an die Bäckermeistersgattin.

»Sehr gerne«, sagte Frau Terzing und holte das Gewünschte aus dem entsprechenden Fach in der Verkaufstheke, packte es ein und reichte es Julia. »Sonst noch einen Wunsch?«

»Nein, danke.«

Julia bezahlte, dann verließen sie und ihre Cousine die Bäckerei.

»Die junge Frau, diese Frau Dippl, habe ich schon einige Male gesehen«, bemerkte Sascha. »Lebt sie etwa in St. Johann? Ich hab’ sie für eine Urlauberin gehalten.«

Da er Sophie Tappert angeschaut hatte, nickte sie und sagte: »Sobald die Deininger-Bräu den Betrieb aufnimmt, beginnt sie dort als Buchhalterin. Julia kommt aus München. Sie ist vor kurzem nach St. Johann umgezogen. Und sie hat hier auch gleich die große Liebe gefunden.«

»Wer ist denn der Glückliche?«, erkundigte sich Sascha.

»Der Winkler-Dieter aus Waldeck«, antwortete Sophie. »Sie hat ihn auf einem Waldweg gefunden, als er mit seinem Rad gestürzt ist.«

»Zunächst, hab’ ich mir sagen lassen«, brachte sich wieder die Maria Erbling ins Gespräch ein, »ist die Frau Dippl ja net so recht drauf angesprungen. Nach der geplatzten Verlobung, in München, soll ihr das mit dem Winkler etwas zu schnell gegangen sein.«

»Aber jetzt sind sie ein Herz und eine Seele«, sagte Sophie, dann wandte sie sich an Frau Terzing und fügte hinzu: »Ich krieg’ das gleiche wie alle Tag’.« Dabei schaute sie die Bäckermeistersgattin an und verdrehte ein wenig die Augen.

»Ich glaub, seine Tante ist mit meiner Mutter zur Schule gegangen«, murmelte Sascha.

»In ihrem Haus wohnt die Frau Dippl«, sagte Frau Terzing.

»Die Gisela ist froh, dass sie nimmer alleine ist«, ergänzte Sophie Tappert. »Die beiden Frauen sollen sich sehr gut miteinander verstehen.«

»Die Frau, die den Winkler als Mann kriegt«, rief die Erbling, »die hat ausgesorgt! Er ist Beamter im gehobenen Dienst, der verdient gewiss net schlecht und wird mal eine gehörige Pension einstreichen.«

Sophie Tappert bezahlte ihre Semmeln und verabschiedete sich schleunigst. Nach ihr wurde die Erbling-Maria bedient, und dann kam Sascha an die Reihe.

Als er die Bäckerei verließ, lauerte die Maria auf ihn. »Da wird die Karoline aber sehr glücklich sein, wenn du in St. Johann bleibst und euren Hof bewirtschaftest.« Sie machte ein verschwörerisches Gesicht, trat einen weiteren Schritt auf Sascha zu und sagte mit gedämpfter Stimme: »Was hat’s denn gegeben, weil die Mareike nimmer mit dir redet? Ich hab gehört, dass du mit einer Hotelierstochter aus Bozen verlobt warst. War das der Grund für die Mareike?«

»Sie dürfen net alles glauben, was man Ihnen erzählt, Frau Erbling«, knurrte Sascha. »So war ich zum Beispiel net mit der Saskia verlobt. Und sie ist auch net der Grund, aus dem die Mareike sauer auf mich ist. Und jetzt entschuldigen S’ mich bitte, denn die Mama wartet auf die Semmeln. Einen schönen Tag noch, Frau Erbling.« Er setzte sich in sein Auto und fuhr weg.

Maria schaute sich um, fand aber kein Opfer, das sie in ein Gespräch verwickeln konnte. Also zog sie ihr Fahrrad aus dem Fahrradständer und schob es, leise vor sich hin brabbelnd, davon. Da sah sie den Brandhuber-Loisl. Und sie beschloss augenblicklich, den alten Sonderling vor ihren Karren zu spannen. Es ließ ihr nämlich keine Ruhe, nicht genau darüber Bescheid zu wissen, aus welchem Grund die Mareike Forster nicht mehr mit dem Gebert-Sascha redete.

*

Nach dem Frühstück ging Sascha zum Forsterhof rüber.

Mareikes Mutter öffnete ihm die Tür. Nicht gerade freundlich musterte sie den Burschen, und ohne seinen Gruß zu erwidern stieß sie hervor: »Was willst du? Ich denk’, die Mareike hat dir deutlich gesagt, dass sie mit dir nix mehr zu tun haben möcht’. Hat sie vielleicht net Deutsch mit dir geredet, weil du’s scheinbar net verstanden hast?«

»Du bist ja wieder ausgesprochen freundlich, Forster-Bäuerin. Ich wüsst’ aber net, dass ich dir irgendetwas getan hätt’.«

»Du hast mein Madel vor den Kopf gestoßen. Und wer mein Madel unglücklich macht, der kann net von mir verlangen, dass ich ihm freundlich gesinnt bin. Also sag’, was du sagen willst, und dann mach’ dich wieder vom Acker. Dein Typ ist hier nicht mehr gefragt.«

Sascha schaute betroffen drein, dass er in dieser Art und Weise abgekanzelt werden würde, hatte er nicht erwartet. »Ich kann’s fast gar net glauben, dass du so gehässig sein kannst, Forster-Bäuerin. Dass die Mareike auf mich wütend ist, kann ich ja noch verstehen. Aber warum lässt sie ihren Zorn auch an meiner Mutter aus?«

»Gegen deine Mutter hat die Mareike nix«, versetzte die Bäuerin. »Aber sie will deine Mutter nimmer besuchen, weil s’ davon ausgehen muss, dir über den Weg zu laufen. Und du bist für sie gestorben.«

Sascha zuckte resignierend mit den Schultern. »Na gut, dann weiß ich jetzt endgültig Bescheid. Wenn es die Mareike so haben will, dann soll sie’s eben so haben.«

Er machte abrupt kehrt und ging davon. Seine Stimmung war auf dem Nullpunkt angelangt. Je näher er jedoch seinem Hof kam, umso mehr schlug seine schlechte Laune in Schwermut um. Denn er spürte, dass seine Gefühle für Mareike nach wie vor vorhanden waren und ihm ihr abweisendes, unterkühltes Verhalten wie eine zentnerschwere Last auf der Seele lagerte. Ihm war regelrecht zum Weinen zumute.

Zwanzig Meter vor dem elterlichen Hof machte er kehrt und schlug die Richtung in den Ort ein. Sein Ziel war das Pfarrhaus. Er wollte mit Pfarrer Trenker sprechen.

Eine knappe Viertelstunde später läutete er an der Tür des Pfarrhauses.

Gleich darauf wurde ihm geöffnet und Sophie Tappert stand im Türrahmen. »Ah, der Sascha«, zeigte sie sich ziemlich verwundert. »Es ist doch erst eine gute Stunde her, dass wir uns in der Bäckerei begegnet sind. Du willst zum Herrn Pfarrer, gell? Und ich glaub’, ich weiß, weswegen du ihn sprechen willst. Es ist wegen der Mareike, net war?«

»Sie haben es ja selbst erlebt, in der Bäckerei, wie sie mich behandelt, nämlich wie Luft. Ja, ich will deswegen mit dem Herrn Pfarrer sprechen. Vielleicht kann er mir wieder einmal einen Rat geben.«

»Na, dann komm’ mal herein.«

Sascha folgte der Pfarrhaushälterin in den Flur und wartete, bis sie ihn beim Pfarrer angemeldet hatte.

»Sieh an, der Sascha«, empfing Sebastian den Besucher. »Du hast Liebeskummer, gell?« Er wies mit einer einladenden Handbewegung auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.

Sascha ließ sich nieder, nagte kurz an seiner Unterlippe und murmelte: »Ich komm’ an das Madel nimmer ran, Herr Pfarrer.« Er unterstellte, dass Sebastian wusste, dass die Rede von Mareike war. »Wenn ich sie ansprech, reagiert sie kaum. Heut’ in der Früh’ hat sie mit ihrem Fahrradl extra einen Bogen um unseren Hof gemacht, damit sie mir net begegnet. Wie soll das weitergehen? Vorhin wollt’ ich sie deswegen zur Rede stellen, aber ihre Mutter hat mich schon an der Haustür abgekanzelt und vom Hof gewiesen.«

»Und jetzt erwartest du von mir eine Idee, wie du das Problem bewältigen kannst. Als wir von Bozen gekommen sind, hast du mir erzählt, dass du erkannt hast, dass du die Mareike liebst. Und jetzt würdest du am liebsten alles, was du bei ihr verbockt hast, ungeschehen machen?«

»Ich lieb’ die Mareike. Das ist mir so richtig klar geworden. Aber wie’s ausschaut, führt zu ihr kein Weg zurück. Ich will mich damit aber net abfinden. Bitte, Herr Pfarrer, geben S’ mir einen Rat, was ich tun kann, um die Mareike wieder zu besänftigen. Wenn sie mich tatsächlich in all den Jahren geliebt hat und gehofft hat, dass ich eines Tages auf den Hof heimkehr’, dann kann doch das von heut’ auf morgen in ihr net abgestorben sein.«