Ein Ausritt mit Folgen … - Simone Aigner - E-Book

Ein Ausritt mit Folgen … E-Book

Simone Aigner

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Corinna Greve saß ihrem Chef, Bernd Kluge, vor dessen Schreibtisch gegenüber. Sie hatte seit zehn Minuten Feierabend, und ihr lag die Zeit im Genick. Corinna hatte ihrer Nichte Emilia versprochen, sie zu ihrer Freundin Jennifer zu fahren. Jennifers Eltern besaßen in Mooshalden ein kleines Gestüt, und ab und an bekam Emmy dort eine Reitstunde gratis. Dafür half sie Jennifer immer wieder bei den Hausaufgaben. Für heute Abend stand eine der ersehnten Reitstunden an. Bis Mooshalden waren es von der Ortschaft Kiefersbach aus, wo Corinna mit ihrer Nichte wohnte, nahezu zwanzig Kilometer. Zu weit, um mit dem Rad hin- und zurückzufahren, und eine Busverbindung gab es auch nicht. Wenn Kluge sie nicht bald in den wohlverdienten Feierabend schickte, kam sie zu spät. Das würde Emmy ihr sehr übel nehmen. Nun hatte sie nicht einmal die Möglichkeit, ihr eine Whatsapp-Nachricht zu schicken, um ihr mitzuteilen, dass sie nicht pünktlich aus dem Reisebüro kam. Kluge musterte sie. »Ich habe ein kleines Attentat auf Sie vor, liebe Frau Greve. Es geht um Folgendes«, begann er umständlich und lächelte sie an. Corinna ahnte, so rasch würde das Gespräch nicht beendet sein. Emmys Enttäuschung, wenn es heute mit der Reitstunde nichts mehr wurde, mochte sie sich gar nicht vorstellen. »Nun gucken Sie doch nicht so sorgenvoll, Frau Greve. Sie sind meine beste Mitarbeiterin. Keine Kollegin und kein Kollege bringt so viele Reisen an den Kunden wie Sie.

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Sophienlust - Die nächste Generation – 77 –

Ein Ausritt mit Folgen …

Emmys Missgeschick führt drei Menschen zusammen!

Simone Aigner

Corinna Greve saß ihrem Chef, Bernd Kluge, vor dessen Schreibtisch gegenüber. Sie hatte seit zehn Minuten Feierabend, und ihr lag die Zeit im Genick.

Corinna hatte ihrer Nichte Emilia versprochen, sie zu ihrer Freundin Jennifer zu fahren. Jennifers Eltern besaßen in Mooshalden ein kleines Gestüt, und ab und an bekam Emmy dort eine Reitstunde gratis. Dafür half sie Jennifer immer wieder bei den Hausaufgaben.

Für heute Abend stand eine der ersehnten Reitstunden an. Bis Mooshalden waren es von der Ortschaft Kiefersbach aus, wo Corinna mit ihrer Nichte wohnte, nahezu zwanzig Kilometer. Zu weit, um mit dem Rad hin- und zurückzufahren, und eine Busverbindung gab es auch nicht. Wenn Kluge sie nicht bald in den wohlverdienten Feierabend schickte, kam sie zu spät. Das würde Emmy ihr sehr übel nehmen. Nun hatte sie nicht einmal die Möglichkeit, ihr eine Whatsapp-Nachricht zu schicken, um ihr mitzuteilen, dass sie nicht pünktlich aus dem Reisebüro kam.

Kluge musterte sie.

»Ich habe ein kleines Attentat auf Sie vor, liebe Frau Greve. Es geht um Folgendes«, begann er umständlich und lächelte sie an. Corinna ahnte, so rasch würde das Gespräch nicht beendet sein. Emmys Enttäuschung, wenn es heute mit der Reitstunde nichts mehr wurde, mochte sie sich gar nicht vorstellen.

»Nun gucken Sie doch nicht so sorgenvoll, Frau Greve. Sie sind meine beste Mitarbeiterin. Keine Kollegin und kein Kollege bringt so viele Reisen an den Kunden wie Sie. Und genau deswegen möchte ich Sie nächste Woche für etwa zehn Tage nach Österreich schicken. Beruflich natürlich, aber ich bin überzeugt, es bleibt auch noch Zeit, die Schönheit der Natur zu genießen oder die eine oder andere Anwendung in den Hotels, die Sie testen dürfen. Sauna, Solarium, Massagen und so weiter. Und alles auf meine Kosten.« Er schickte ein angestrengtes Lachen hinterher. »Nun, was sagen Sie?«, fuhr er fort und wurde wieder ernst.

»Was?« Verblüfft und bestürzt gleichermaßen sah Corinna ihren Chef an. Sie sollte zehn Tage nach Österreich, und das schon nächste Woche? Das war unmöglich! Wer sollte sich um Emmy kümmern? Kluge wusste doch um ihre private Situation.

Ihr Chef lachte erneut, und sie hörte eine Spur Verstimmung darin. Offenbar merkte er ihr an, dass sie nicht begeistert war.

»Ihrer Miene nach zu urteilen sind Sie längst nicht so erfreut, wie ich gehofft hatte.« Spielerisch hob er den Zeigefinger und wackelte damit auf Höhe seiner Nase herum. »Machen Sie mir nur keine Schwierigkeiten. Ich möchte weder Frau Kroll noch Frau Reinhold schicken. Herr Grünert scheint mir jetzt auch nicht der geeignete Kandidat für die Testung der Unterkünfte. Er ist Spezialist für Kreuzfahrten. Und Oliver kommt auch nicht infrage als Auszubildender im ersten Lehrjahr.«

Damit, dass er weder Rolf Grünert schicken wollte noch den Auszubildenden, hatte Kluge durchaus recht, fand Corinna.

»Aber warum nicht Frau Kroll?«, entfuhr es ihr. »Sie würde sich bestimmt freuen.«

»Nein.« Missbilligend legte Kluge die Fingerspitzen aneinander und machte ein finsteres Gesicht. Corinna überlegte, warum. Die Kroll war sehr direkt, wenn ihr etwas nicht passte. Vielleicht hatten sie und Kluge eine Meinungsverschiedenheit gehabt.

»Frau Kroll hat sich anderweitig beworben. Ich habe das durch einen Zufall erfahren und bin sehr verärgert«, fuhr Kluge schließlich fort. »Ihre Bewerbung wurde abgelehnt. Ich gehe allerdings davon aus, dass sie es damit nicht gut sein lässt. Für die Hoteltestungen brauche ich eine treue, verlässliche Mitarbeiterin mit Berufserfahrung und einem Blick für das Wesentliche. Womit wir auch schon bei Frau Reinhold wären. Sie scheint mir noch ein wenig zu jung für den erforderlichen Überblick. Verzeihen Sie bitte, wenn ich das so deutlich sage. Also, wo liegt denn nun Ihr Problem? Doch nicht etwa bei Ihrer Nichte? Das Mädel ist doch wahrhaftig alt genug, nun ein paar Tage ohne Sie auszukommen, notfalls bei einer Freundin. Wie alt ist Edeltraud jetzt? 15 Jahre?«

»Sie heißt Emilia und ist gerade zehn Jahre«, korrigierte Corinna ihren Chef. Ihr war jetzt schon klar: Wollte sie ihre gute Anstellung im Reisebüro nicht aufs Spiel setzen, so musste sie dem Wunsch ihres Chefs nachkommen.

»Zehn? Nun.« Kluge rutschte auf seinem Schreibtischstuhl zur Seite. Ein sicheres Zeichen, dass er in Bedrängnis geriet. »Das ist in der Tat noch sehr jung. Ich muss zugeben, ich hätte meine Tochter in dem Alter auch keine anderthalb Wochen sich selbst überlassen. Aber es gibt doch sicher eine Freundin, bei der sie unterkommen kann? Eine Person Ihres Vertrauens? Ich bitte Sie, Frau Greve. Wenn man, so wie Sie, notgedrungen eine Erziehungsaufgabe übernehmen muss, so schafft man sich doch ein soziales Netz, oder etwa nicht? Was ist, wenn Sie schwer erkranken und in eine Klinik müssen, was hoffentlich nicht geschieht; wer aber kümmert sich dann um das Mädchen?«

Darauf hatte Corinna keine Antwort. Zudem ärgerte sie sich, dass Kluge ihren wunden Punkt getroffen hatte. Dass es außer ihr niemanden gab, der sich im Falle eines Falles um Emmy kümmern konnte, hatte ihr tatsächlich schon gelegentlich Sorgen bereitet.

Ihr Handy läutete, und heiß durchlief es sie. Das musste ihre Nichte sein. Kluge sah sie vorwurfsvoll an.

»Nun gehen Sie schon ran, ich habe Zeit«, informierte er sie. Letzteres hatte sie befürchtet.

Corinna griff in ihre Handtasche, die neben dem Stuhl am Boden stand und nahm ihr Mobiltelefon heraus. Tatsächlich sah sie Emmys Bild auf dem Display. Rasch nahm sie den Anruf an.

»Emmy, Schätzchen. Es tut mir leid, ich bin heute länger im Büro«, sagte sie sofort, ehe ihre Nichte dazu kam, sich zu melden. »Vielleicht kannst du Jenny anrufen und die Reitstunde auf morgen verschieben?«

»Aber das geht nicht, Tante Cora! Morgen hat Jennys Oma Geburtstag, da hat keiner Zeit für mich.« Emmy klang, als wäre sie den Tränen nahe. Vermutlich war es auch so.

»Liebes, so leid es mir tut, heute wird es wohl nichts werden«, entschuldigte sich Corinna und vermied es, mit Kluge in Blickkontakt zu treten. Sie litt mit ihrer Nichte. Das Mädchen sprach seit Tagen von der Reitstunde. Emmy schluchzte auf.

»Darf ich Herrn Willmann fragen, ob er mich fährt? Tante Cora, bitte.«

Herr Willmann wohnte drei Häuser weiter, war 85 Jahre alt und hatte seit Langem eine Sehschwäche, wie sie von seiner Frau wusste. Eigentlich hätte er gar nicht mehr Autofahren dürfen, schon gleich nicht ohne seine Brille, die er aber nicht tragen mochte. Dennoch hatte er Corinna und Emmy schon öfter seine Fahrdienste angeboten, wenn ihre Nichte mal wieder den Schulbus verpasst hatte oder nach Maibach zum Einkaufen wollte, während Corinna arbeiten musste.

»Auf keinen Fall, Emmy. Hörst du? Du wartest zu Hause, bis ich komme. Dann sehen wir weiter.« Rasch beendete sie das Gespräch. Es war ihr unangenehm, dass Kluge mitgehört hatte. In seiner Gegenwart hatte sie nicht die Nerven für eine Diskussion mit der Tochter ihres verstorbenen Bruders. Jetzt galt es, das Österreich-Problem loszuwerden. Theoretisch hätte der Chef selbst die Hotels testen können. Das allerdings wagte sie nicht, in den Raum zu stellen.

»Hörte ich ›Reitstunde‹?«, fragte Kluge.

»Ja.« Corinna ließ das Telefon zurück in ihre Handtasche gleiten.

»Eine teure Angelegenheit. Aber man möchte ja den Kindern etwas bieten, nicht wahr? Ich meine wohl, ich bezahle Sie durchaus ordentlich, da mag ein wenig Spielraum sein.« Er lachte ein wenig zu laut. »Dennoch … Darf ich fragen, was Sie für die Stunde zahlen?«

»Nichts. Die Eltern von Emmys Freundin Jennifer besitzen ein kleines Gestüt in Mooshalden. Emmy hilft Jennifer öfter bei den Schularbeiten, dafür bekommt sie von Jennifers Vater ab und an Unterricht.«

»Stunden, die ihr sehr wichtig sind, wie ich mitbekommen habe«, ergänzte Kluge und musterte Corinna. In ihrem Bauch zwickten Ärger und Ungeduld. Nun wusste er schon von ihrer Zeitnot und den Gründen dafür und sah dennoch keine Veranlassung, sie in den Feierabend zu entlassen. Sie hätten auch morgen während der Arbeitszeit über Österreich reden können. Stattdessen dehnte er die Unterredung nun auf private Bereiche aus.

»Ja«, erwiderte sie knapp, nicht länger gewillt, sich entspannt zu geben.

»So, so. Nun …, mir geht da eben ein Gedanke durch den Kopf. Weisen Sie mich bitte nicht sofort in die Schranken. Es geht mich natürlich nichts an, aber mir ist ja sehr daran gelegen, dass Sie nach Österreich fahren. Jedenfalls wüsste ich eine Unterbringung für Ihre Nichte, die dem Mädchen wahrscheinlich die pure Freude sein würde.«

Corinna sah ihren Chef mit unbewegter Miene an. Egal, was er vorschlagen würde, es kam nicht infrage. Ferien auf einem Reiterhof vielleicht. Das konnte sie sich keinesfalls leisten. So üppig war ihr Gehalt nicht, wie Kluge vor wenigen Minuten hatte anklingen lassen.

»Haben Sie schon einmal von dem Kinderheim Sophienlust gehört?«, fragte er.

»Das ist nicht Ihr Ernst!«, entfuhr es Corinna. »Ich gebe die Kleine doch nicht in ein Heim.«

Kluge lächelte ein wenig verkrampft. »Nun hören Sie mir doch erst einmal zu«, bat er.

*

Eine halbe Stunde später konnte Corinna endlich das Reisebüro verlassen. Sie eilte zu ihrem Wagen, der auf dem Firmenparkplatz hinter dem Gebäude stand. Für heute war es zu spät, Emmy zu ihrer Freundin zu fahren. Ihr standen tränenreiche Vorwürfe bevor. Aus Sicht des Kindes konnte sie es verstehen. Zudem ging es in ihrem Kopf drunter und drüber. So ablehnend sie zuerst Kluges Vorschlag, Emmy für knapp zwei Wochen in das Kinderheim Sophienlust zu bringen, gegenübergestanden hatte – inzwischen konnte sie sich sogar vorstellen, dass ihre Nichte Freude daran hätte und den Aufenthalt als ein interessantes Erlebnis ansehen würde. Zu Sophienlust gehörte nämlich ein großer Pferdestall mit vielen Tieren, auf denen die Kinder reiten konnten. Auch Reitstunden waren möglich, hatte Kluge versichert. Der Sohn seiner Nachbarn hatte vor einem Jahr ein paar Wochen in dem Kinderheim verbracht und in den höchsten Tönen von dem Aufenthalt geschwärmt.

Corinna warf ihre Handtasche auf den Beifahrersitz und setzte sich hinter das Steuer. Von Sophienlust hatte sie selbst schon ab und zu gehört. Es lag in Wildmoos, ungefähr eine halbe Autostunde von Kiefersbach entfernt. Die nächstgrößere Stadt unweit des kleinen Ortes hieß Maibach.

Corinna ließ den Motor an, setzte den Blinker und fuhr vom Parkplatz. Wäre nicht die Sorge um Emmy gewesen, so hätte sie sich sogar über Kluges Ansinnen, sie nach Österreich zu schicken, gefreut. Kluge war sehr eifrig gewesen, um sie von der Heimlösung zu überzeugen, und hatte ihr im Internet Bilder des Kinderheims gezeigt. Das Haus selbst war von beeindruckender Schönheit, zumindest den Fotos nach zu urteilen. Wie ein kleines Schloss sah es aus auf den Aufnahmen, die im Licht der Abendsonne gemacht worden sein mochten. Eine breite Freitreppe führte zu einer zweiflügeligen Eingangstür. Umschlossen war das Gebäude von einem parkartigen, sehr gepflegten Garten.

Ein paar Aufnahmen der Innenräume hatte sie auch gesehen, allesamt sehr schön und sehr gepflegt. Zudem gab es zwei Hunde, die zum Heim gehörten, und natürlich den Pferdestall. Beim Anblick des Pferdestalls, von dem es auch Innenaufnahmen gab, waren Corinnas Vorbehalte geschrumpft. Auf dem Foto waren sechs oder sieben Tiere zu sehen gewesen, unterschiedlicher Größe und Rasse, in sauberen, großzügigen Boxen. Emmy würde vermutlich begeistert sein.

Doch immer mit der Ruhe. Sie musste sich persönlich vor Ort umsehen und mit der Heimleitung sprechen. Auch die Kosten lagen ihr im Magen. Kluge hatte diesbezüglich abgewiegelt. Nach Auskunft seiner Nachbarn hatte der Aufenthalt fast nichts gekostet. Da mochte Kluge nicht richtig informiert sein. Die Unterbringung in solch einem beinahe luxuriösen Haus war mit Sicherheit nicht gratis. Irgendwie musste das Heim sich ja finanzieren. Sollte sie sich das nicht leisten können, war Kluges Vorschlag hinfällig.

Das Problem war, dass ihr nicht viel Zeit blieb, um alle Fragen zu klären. Ohne Emmys Wissen Erkundigungen einzuziehen, schien ihr kaum möglich. Während der Arbeitszeit konnte sie nicht nach Wildmoos fahren, ein Gespräch mit der Heimleitung führen und sich vor Ort umsehen. Und nach Feierabend und am Wochenende war sie stets für ihre Nichte da. Da konnte sie sich nicht einfach für zwei Stunden absetzen, ohne Emmy zu sagen, wohin sie fuhr, und lügen wollte sie keinesfalls. Ihre Beziehung basierte auf Offenheit und Vertrauen.

Corinna entschied sich, zu Hause erst den Kummer der Nichte wegen der heutigen geplatzten Reitstunde abzufangen, so gut es eben ging. Dann wollte sie ihr von dem Grund der Verspätung erzählen und von Sophienlust. Morgen war Samstag, da schloss das Reisebüro schon um 16 Uhr. Vielleicht konnte sie im Anschluss mit Emmy nach Wildmoos fahren und sich alles ansehen ...

*

Trotzig und verweint saß Emmy am Küchentisch. Sie aß weder den rasch gekochten Schokoladenpudding, den Corinna ihr hingestellt hatte, noch das Gelbwurstbrot. Obwohl sie beides sehr gern mochte.

»Dein Chef ist so doof. Ich hatte mich so auf heute gefreut. Ich hätte auf Lisa reiten dürfen! Das wollte ich schon ganz lange. Und jetzt war ich nicht mal dort«, schluchzte sie.

»Schätzchen.« Corinna legte der Kleinen die Hand auf den Rücken und streichelte sie. »Es tut mir wirklich sehr leid, und ich kann dich gut verstehen. Ich kann aber Herrn Kluge nicht einfach sitzen lassen, wenn er noch etwas mit mir besprechen will.«

Emmy rieb sich mit dem Papiertuch über das Gesicht, das sie ihr hingelegt hatte. »Aber es hat so lange gedauert«, jammerte sie weiter. »Und Herr Willmann hätte mir bestimmt geholfen.«

»Auf keinen Fall. Ich möchte nicht, dass du bei den Nachbarn herumfragst, wer dich wohin fahren könnte«, antwortete Corinna entschieden. Dass sie zudem den Fahrfähigkeiten des alten Herrn nicht mehr traute, behielt sie lieber für sich.

»Jetzt kann ich ganz lange nicht mehr zum Reiten. Jennys Eltern fahren in Urlaub, und so lange wohnt Jenny bei ihrer Oma. Zwei Wochen! Nur der Peter ist da und passt auf die Pferde auf. Aber der will mich nicht reiten lassen«, klagte Emmy. Sie ließ den Rücken gegen die Stuhllehne fallen und hing förmlich auf ihrem Sitzplatz.

»Peter ist ja auch kein Reitlehrer, wie Jennys Vater, sondern Stallbursche. Ich möchte dir etwas erzählen, Emmy«, sagte Corinna, entschlossen die Klagen wegen des heutigen Kummers nun abzukürzen.

Emmy schwieg und sah an ihrer Tante vorbei an die Wand hinter ihr. Dort stand das Küchenbuffet, in dem Corinna Geschirr aufbewahrte. Es war ein Erbstück ihrer Großmutter. Zwischen Glas und Rahmen im oberen Vitrinenteil des Möbels klemmte ein Foto, auf dem Emmy zu sehen war, wie sie strahlend auf einem Pony saß. Das war vor zwei Jahren gewesen.

»Herr Kluge wollte mit mir reden, weil er mich Mitte nächster Woche für zehn Tage nach Österreich schicken will, um Hotels zu testen.«

Emmy wandte ihr den Blick zu. Corinna lag es auf der Zunge, sie zu bitten, sich gerade hinzusetzen. Die schlaffe Haltung mit dem gerundeten Rücken und den hängenden Armen nahm Emmy oft ein, wenn sie wegen etwas trotzte und keine Chance mehr sah, ihren Willen zu bekommen. Doch im Moment gab es Wichtigeres zu klären.

»Du fährst weg?«, fragte sie, Unverständnis im Blick.

»Ich muss wohl. Anordnung vom Chef«, erwiderte Corinna.

»Soll ich solange alleine bleiben?« Ohne Aufforderung setzte sich Emmy gerade hin. Jetzt wirkte sie ängstlich.

»Natürlich nicht, Schätzchen. Herr Kluge hatte eine Idee, von der ich denke, sie könnte dir gefallen«, sagte Corinna.

Emmy beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Tisch und das Gesicht in die Hände. Die Haltung war auch nicht besser. Die Kleine sah wieder an ihr vorbei. »Der kann gar keine Ideen haben, die mir gefallen. Der ist voll doof«, murrte sie. Corinna verzichtete auf eine Zurechtweisung.

»Es gibt gar nicht weit von hier ein sehr schönes Haus. Ein Kinderheim. Es heißt Sophienlust«, begann sie ihren Bericht.

»Ein Kinderheim?« Bestürzt sah Emmy sie an. Sie nahm die Ellbogen vom Tisch und rutschte im Stuhl nach hinten. »Du willst mich weggeben? Aber du hast gesagt, wir bleiben immer zusammen. Jedenfalls solange bis ich groß bin.«

»Das tun wir auch, und ich gebe dich auch nicht weg. Niemals, hörst du?« Emmy nickte langsam.

»Ich brauche lediglich jemanden, der für dich da ist, solange ich in Österreich arbeiten muss. Das ist ja nicht lange, nur knapp zwei Wochen. Und ich denke, dass es dir in Sophienlust sehr gut gefallen könnte. Es gibt dort nämlich einen Pferdestall und viele Pferde. Soweit ich weiß, darf man dort auch reiten.«

Ungläubig sah Emmy sie an. Trotz und Furcht wichen aus ihrer Miene.

»Ist das Kinderheim ein Reiterhof?«, fragte sie.

»Nein, das nicht«, gab Corinna zu. »Aber ich glaube, es ist sehr schön dort. Du könntest dort wohnen, während ich unterwegs bin, und bestimmt oft reiten oder auch im Stall helfen. Das machst du doch gerne.«

Langsam nickte Emmy. »Soll ich dort schlafen und essen und so?«, erkundigte sie sich nachdenklich.

»Ja«, bestätigte Corinna.

»Und wenn es mir nicht gefällt? Kommst du dann wieder und holst mich?«, fragte sie. Der Jubel, auf den Corinna vage gehofft hatte, blieb aus. Nun gut. Die Kleine musste die Neuigkeit erst mal verarbeiten.

»Natürlich hole ich dich wieder ab. Aber erst nach Österreich. Ich muss dort arbeiten. Du weißt doch, dass ich von der Arbeit nicht einfach weg kann«, erinnerte sie das Kind.

»Aber wenn es mir nicht gefällt?«, beharrte die Kleine und sah nun doch wieder ängstlich drein. Es war schwieriger, als Corinna erwartet hatte. Vielleicht waren Pferde und Reiten doch nicht so unwiderstehlich für Emmy, wie sie gedacht hatte. Vielleicht genoss sie es im geschützten, vertrauten Rahmen. Vielleicht war sie aber auch einfach noch zu klein, um sich an zwei Wochen ohne die gewohnte Umgebung und Menschen, die ihr nahestanden, zu erfreuen. In ein paar Jahren mochte das ganz anders aussehen.

»Ich bin sicher, es wird dir gefallen«, sagte Corinna und legte so viel Zuversicht in ihre Worte, wie sie nur konnte. Sie war nicht sicher, wen sie damit überzeugen wollte, ihre Nichte oder sich selbst. »Ich rufe jetzt gleich in dem Heim an und frage, ob wir es uns morgen am späten Nachmittag ansehen können.«

»Gemeinsam?«, vergewisserte sich Emmy.