Ein Engel braucht Hilfe - Patricia Vandenberg - E-Book

Ein Engel braucht Hilfe E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Wenn Dr. Norden einen Krankenbesuch bei der alten Frau Faust machte, nahm er immer einen Korb voller Lebensmittel mit, die von seiner Frau Fee sorgfältig zusammengestellt wurden, denn die Patientin mußte wegen ihrer Zuckerkrankheit Diät leben, und dafür reichte ihre karge Rente nicht. Bis vor einigen Wochen hatte Frau Faust noch in dem Haus, in dem sich Dr. Nordens Praxis befand, die Treppen geputzt, und trotz ihres hohen Alters hatte sie es sorgfältiger getan als die Jüngere, die ihre Nachfolgerin geworden war. Dann aber hatten ihre Kräfte rapide nachgelassen. Bei allem guten Willen konnte sie nicht mehr so, wie sie wollte. Dr. Norden bemühte sich, sie zu überreden, in ein Pflegeheim zu gehen, und er hätte auch dafür gesorgt, daß sie gut untergebracht wurde, aber nichts konnte sie bewegen, ihr altes kleines Häuschen im Stich zu lassen, denn in diesem lebte auch ihr Enkel Poldi, der einzige Verwandte, der ihr geblieben war. Manch einer meinte, daß er ein rechter Nichtsnutz sei, und die gute Frau Faust hatte auch ihren Kummer mit ihm gehabt, aber sie hing an ihm, obwohl er es ihr wenig oder gar nicht dankte. Einmal würde er schon vernünftig werden, meinte sie immer dann, wenn er wieder etwas angestellt hatte. Zum Kummer seiner Großmutter war er unehelich geboren, obwohl sie immer gehofft hatte, daß ihre hübsche Tochter einmal einen anständigen Mann ins Haus bringen würde. Aber Lotte Faust war kurz nach der Geburt des Jungen gestorben, und der Vater hatte sich aus dem Staub gemacht. Hübsch wie seine Mutter war auch der Poldi, der nun von seiner Großmutter aufgezogen wurde, die alles für ihn hergegeben hatte. In der Schule war er faul, in der Lehre als Mechaniker frech, aber hübsch blieb er, und die Mädchen liefen ihm nach. Als Dr. Norden an diesem Tag zu Frau Faust kam, sah er Poldi an der Straßenecke bei einer jungen Frau stehen, die auf ihn einredete. Sie mochte um einiges älter sein als Poldi, war schlank und unauffällig gekleidet. Dr. Norden sah, daß Poldi ihren Arm festhielt und daß sie sich heftig wehrte. Er bremste, stieg aus und ging die paar Meter zurück.

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Dr. Norden Aktuell – 25 –

Ein Engel braucht Hilfe

Patricia Vandenberg

Wenn Dr. Norden einen Krankenbesuch bei der alten Frau Faust machte, nahm er immer einen Korb voller Lebensmittel mit, die von seiner Frau Fee sorgfältig zusammengestellt wurden, denn die Patientin mußte wegen ihrer Zuckerkrankheit Diät leben, und dafür reichte ihre karge Rente nicht.

Bis vor einigen Wochen hatte Frau Faust noch in dem Haus, in dem sich Dr. Nordens Praxis befand, die Treppen geputzt, und trotz ihres hohen Alters hatte sie es sorgfältiger getan als die Jüngere, die ihre Nachfolgerin geworden war.

Dann aber hatten ihre Kräfte rapide nachgelassen. Bei allem guten Willen konnte sie nicht mehr so, wie sie wollte. Dr. Norden bemühte sich, sie zu überreden, in ein Pflegeheim zu gehen, und er hätte auch dafür gesorgt, daß sie gut untergebracht wurde, aber nichts konnte sie bewegen, ihr altes kleines Häuschen im Stich zu lassen, denn in diesem lebte auch ihr Enkel Poldi, der einzige Verwandte, der ihr geblieben war.

Manch einer meinte, daß er ein rechter Nichtsnutz sei, und die gute Frau Faust hatte auch ihren Kummer mit ihm gehabt, aber sie hing an ihm, obwohl er es ihr wenig oder gar nicht dankte.

Einmal würde er schon vernünftig werden, meinte sie immer dann, wenn er wieder etwas angestellt hatte.

Zum Kummer seiner Großmutter war er unehelich geboren, obwohl sie immer gehofft hatte, daß ihre hübsche Tochter einmal einen anständigen Mann ins Haus bringen würde. Aber Lotte Faust war kurz nach der Geburt des Jungen gestorben, und der Vater hatte sich aus dem Staub gemacht.

Hübsch wie seine Mutter war auch der Poldi, der nun von seiner Großmutter aufgezogen wurde, die alles für ihn hergegeben hatte. In der Schule war er faul, in der Lehre als Mechaniker frech, aber hübsch blieb er, und die Mädchen liefen ihm nach.

Als Dr. Norden an diesem Tag zu Frau Faust kam, sah er Poldi an der Straßenecke bei einer jungen Frau stehen, die auf ihn einredete. Sie mochte um einiges älter sein als Poldi, war schlank und unauffällig gekleidet.

Dr. Norden sah, daß Poldi ihren Arm festhielt und daß sie sich heftig wehrte. Er bremste, stieg aus und ging die paar Meter zurück. Als Poldi ihn gewahrte, nahm er Reißaus, schwang sich auf sein Moped, das am Straßenrand stand, und brauste davon. Auch die junge Frau wollte sich entfernen, aber Dr. Norden war schneller.

»Hat der junge Mann Sie belästigt?« fragte er, da er ziemlich viel über Poldi wußte.

»Nein, nein«, erwiderte sie rasch.

Dr. Norden sah ein blasses Gesicht mit großen graublauen Augen, ein feines Gesicht, umrahmt von aschblondem Haar. Sie sah nicht aus, als würde sie sich mit einem Bürschchen wie Poldi abgeben. Sie mochte auch schon den Dreißig näher sein als den Zwanzig, und nun eilte sie auch davon.

Das Haus, in dem Frau Faust wohnte, lag etwa zwanzig Meter entfernt. Die alte Frau hielt schon Ausschau nach Dr. Norden. Sie erschien ihm an diesem Tag besonders schwach, aber ihr Zimmer war ordentlich aufgeräumt wie immer, und auf dem Tisch standen Blumen, Gebäck und zwei Flaschen Saft. Alles für Diabetiker.

»Hat Ihnen Poldi das gebracht?« fragte Dr. Norden überrascht.

»Nein, mein Engel«, erwiderte Frau Faust. »Ich hab’ ja nicht glauben können, daß andere auch so gut sind wie Sie und Ihre Frau, Herr Doktor, aber es gibt noch richtige Engel.«

»Das ist ja erfreulich«, sagte er lächelnd. »Es wäre schön, wenn sich Ihr Bengel auch zum Engel mausern würde.«

Er nahm kein Blatt vor den Mund, wenn er von Poldi sprach, und ihm nahm es Frau Faust nicht übel. Sie gab sich längst keinen Illusionen mehr über Poldi hin, aber nur Dr. Norden gestand sie das ein.

»Ich kann nicht zulassen, daß er vor die Hunde geht«, sagte sie leise. »Ein Dach über dem Kopf muß er doch haben. Vielleicht bringt mein Engel ihn auf den richtigen Weg.«

Dr. Norden betrachtete die alte Frau nachdenklich.

»Darf man fragen, ob der Engel einen Namen hat?«

»Brigitte, aber sonst sagt sie nichts. Namen sind nicht so wichtig, meint sie, aber für mich ist sie sowieso bloß das Engelchen. Ich mein’, daß Poldi sich daran ein Beispiel nehmen müßte.«

Dr. Norden kam ein Gedanke. »Ist das eine junge Frau mit aschblondem Haar und graublauen Augen?« fragte er.

»Schöne Augen hat sie«, sagte Frau Faust schwärmerisch. »Wunderschöne Augen. Und eine liebe Stimme.«

»Woher kennen Sie sie?«

»Sie ging mal hier vorbei. Da hab ich ein bisserl im Garten was getan. Sie hat mich angesprochen und gefragt, ob mir das nicht zu schwer wird, und dann haben wir halt ein bisserl miteinander geredet. Und nun kommt sie jeden Tag vorbei und schaut, wie es mir geht, und sie bringt mir auch was mit. Sie will aber nicht, daß ich darüber rede, und wenn ich die Sach’ hätt’ wegräumen können, hätt’ ich auch nicht darüber geredet. Aber Sie können doch ruhig wissen, daß es noch liebe Menschen gibt.«

»Ich freue mich darüber, Frau Faust. Mir ist es gar nicht recht, daß Sie soviel allein sind.«

»Aber ich kann mich doch auch auf was freuen. Auf Ihren Besuch und jetzt auf das Engelchen.«

»War Poldi eben auch hier?« fragte Dr. Norden. »Ich meinte, daß ich ihn gesehen hätte.«

»Nein, er ist in der Arbeit. Das hoffe ich wenigstens«, erwiderte die alte Frau kleinlaut.

»Wo arbeitet er denn jetzt?«

»Beim Drexler.«

Den kannte Dr. Norden. Ein solides kleines Unternehmen. Ihm lag es nicht, sich in Privatangelegenheiten einzumischen, aber bei Gelegenheit wollte er doch mal Herrn Drexler fragen, ob er zufrieden mit Poldi sei.

Mit Tränen in den Augen bedankte sich Frau Faust dann nochmals für all die guten Sachen, die er ihr mitgebracht hatte, und bedauerte es, daß sie nicht mehr mal dafür putzen könnte.

»Das haben Sie lange genug getan, Frau Faust«, sagte Daniel Norden. »Jetzt geben Sie Ruh’ und schonen sich. Im Garten könnte der Poldi auch ruhig mal was tun. Er ist doch ein kräftiger junger Mann.«

Er wußte ziemlich genau, daß diese Worte in den Wind gesprochen waren, und als er heimwärts fuhr, mußte er auch noch mehr an die junge Frau denken, die von Frau Faust Engelchen genannt wurde.

Anderntags sollte er ihr schon wieder begegnen, als er den kranken Professor Fischer besuchte, der nicht zu den Armen gehörte, aber genauso einsam war wie Frau Faust.

Professor Wilhelm Fischer war weit über 80 Jahre alt und ein sehr bekannter Kunsthistoriker. Doch seine Freunde und Verwandten waren vor ihm gestorben. Kinder hatte er keine gehabt. Und so war auch er vergessen worden.

Er lebte in einem schönen Haus, hatte aber nur drei Räume im Erdgeschoß behalten und das Obergeschoß an ein junges Ehepaar vermietet. Ab und zu sahen die zwar nach ihm, aber sie gingen gern aus und fuhren fast jedes Wochenende in die Berge. Früher hatte Frau Faust auch bei dem alten Professor die Räume in Ordnung gehalten, und da sie dies nun auch nicht mehr konnte, hatte sie es Dr. Norden ans Herz gelegt, sich doch ja regelmäßig um den Professor zu kümmern.

Ihn plagte das Rheuma, und bei diesem wechselhaften Wetter spürte er es besonders. Klagen kamen nie über seine Lippen.

Er hatte ein erfülltes Leben und wartete mit Gelassenheit und Gottergebenheit auf das Ende. Aber sein Herz war noch recht kräftig. Er lebte genügsam und grämte sich nur, wenn er nicht seinen täglichen Spaziergang machen konnte.

Als Dr. Norden an diesem Tag anläutete, wurde ihm die Tür von jener jungen Frau geöffnet, die Frau Faust Engelchen nannte.

Betroffen sah sie den Arzt an, und dunkle Glut schoß in ihre Wangen.

»Guten Tag, ich bin Dr. Norden«, stellte er sich vor. »Ich möchte zu Professor Fischer.«

»Er hat ziemliche Schmerzen«, erwiderte die junge Frau. »Jetzt kann ich dann ja gehen. Sagen Sie ihm doch bitte, daß ich nachher wieder vorbeischaue, Herr Doktor.«

»Gern, aber meinetwegen brauchen Sie nicht auszureißen.«

»Ich habe noch zu tun«, erwiderte sie rasch, und schon war sie wieder auf und davon.

Ein rätselhaftes Wesen war das. Ob Professor Fischer ihm mehr über sie erzählen würde?

Er saß in seinem Lehnstuhl am Fenster, eingehüllt in eine warme Decke. Vor ihm auf dem Tisch standen Tee und Gebäck, Obst, zwei appetitlich hergerichtete Schinkenbrote und ein Ei im Becher.

»Hat eine Fee Sie versorgt?« fragte Dr. Norden hintergründig.

»Ein Engel«, erwiderte Professor Fischer. »Ja, es gibt noch Engel.«

»Die überall gegenwärtig sind, wo sie gebraucht werden? Ich soll Ihnen ausrichten, daß Ihr Engel später wiederkommt, Herr Professor. Ist er immer so scheu?«

Professor Fischer rückte seine Brille zurecht. »Es gibt Menschen, die man nicht fragen darf, warum sie gütig sind«, sagte er leise. »Menschen, die keinen Dank wollen. Sie gehören doch auch zu diesen.«

»Aber ich eile nicht scheu davon«, erwiderte Dr. Norden. »Wer ist dieser gute Geist?«

»Darüber mache ich mir auch Gedanken. Sie heißt Brigitte, und mehr sagt sie nicht.«

»Und Sie bezeichnen sie als Engel, wie Frau Faust auch.«

»Sie ist ein Engel«, sagte Professor Fischer gedankenvoll. »Frau Faust hat sie zu mir geschickt. Sie hält meinen Haushalt in Ordnung, aber sie nimmt kein Geld. Können Sie das verstehen, Dr. Norden? Dabei bringt sie mir immer etwas mit. Ich bin kein armer Mann, aber wenn ich auf Geld zu sprechen komme, sagt sie nur, daß ich dann damit anderen armen Menschen helfen könnte. Also kann sie selbst nicht arm sein. Aber warum ist sie dann so gütig? Das frage ich mich.«

»Sie meinen, daß Menschen, die selbst keine Not leiden, nicht gütig sind?«

»Ich habe es selten erlebt. Und wenn ich ganz ehrlich bin, so muß ich gestehen, daß ich mich auch wenig um jene kümmerte, die arm und hilflos waren. Ich bin jetzt sehr froh, daß ich auch zu der Erkenntnis gelangte, daß ich etwas versäumte, und das kann ich noch nachholen. Ich werde meine Habe also nicht der Stadt hinterlassen, sondern jenen, die verlassen sind. Mit Ihnen kann ich darüber sprechen, Dr. Norden. Zu Ihnen habe ich Vertrauen. Ich würde gern Brigitte als Treuhänderin einsetzen, aber das kann man ja leider nicht, wenn man nicht mal den vollen Namen weiß. Und sie sagt ihn mir nicht. Ich weiß nicht mal, wo sie wohnt.« Er machte eine kleine Pause. »Sie kennen so viele Menschen. Vielleicht können Sie ihr Geheimnis lüften. Sie ist ein wunderbarer Mensch, hilfsbereit und voller Verständnis. Sie ist klug und macht doch nicht viele Worte. Sie ist schön und macht nichts aus sich. Wo findet man das heute noch bei einer so jungen Frau? Sie muß Schweres durchgemacht haben, anders ist das nicht denkbar.«

»Vielleicht wird sie es Ihnen sagen, wenn Sie sie länger kennen.«

»Viel Zeit wird mir nicht mehr bleiben«, erwiderte Professor Fischer. »Sie sagt doch, es sei nicht wichtig, wer sie sei und woher sie käme, und sie wolle keinen Dank. Ich glaube, sie würde nicht mehr kommen, wenn ich sie ausforschen würde, und das will ich nicht riskieren. Sie bringt mir Licht und Glück in mein altes, verbrauchtes Leben. Wenn ich mich mit ihr vergleiche, mein langes Leben mit ihrem jungen, dann muß ich sagen, daß ich zuviel Wissen in mich hineingepfropft habe und mich nicht genug um meine Mitmenschen kümmerte. Jetzt muß ich tatsächlich meine Zeit noch nutzen, um dies auszugleichen.«

»Kein Leben verläuft wie das andere«, sagte Daniel. »Sie brauchen sich keine Gewissensbisse zu machen.«

»Brauche ich das nicht? Bücher, immer nur Bücher, was erfahren wir schon aus ihnen, wenn wir uns in unser Kämmerlein verkriechen? Geld? Ich habe nie gewußt, wieviel Geld ich auf dem Bankkonto hatte. Es hat sich angesammelt, und ich habe damit nichts anzufangen gewußt. Hätte ich nicht etwas tun können für andere, tun müssen?«

»Sie können sich doch nicht den Vorwurf machen, nichts getan zu haben für die Menschheit«, sagte Daniel.

»Nicht genug, nicht für den nächsten Menschen. Heißt es nicht: Alle Liebe, die wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück? Vielleicht würde ich anders denken, wenn ich Kinder hätte. Ja, lieber Dr. Norden, da sitzt ein alter Mann vor Ihnen, der meinte, daß man sein Leben selbst bestimmen müsse, daß man nicht das Recht hätte, Kinder ungefragt in die Welt zu setzen, in eine Welt, die voller Gegensätze ist. Wenn alle so denken würden wie ich, wie auch meine Frau dachte, wäre von dieser Welt bald nichts mehr da, denn nur Menschen erfüllen sie mit Leben. Und so muß ich mich fragen, wozu mein Leben nutze war. Aber ich will Sie jetzt nicht noch länger von Ihrer so viel nützlicheren Tätigkeit abhalten.«

*

Fee Norden betrachtete ihren Mann nachdenklich. »Weißt du überhaupt, was du gegessen hast, Daniel?« fragte sie beiläufig. »Wo sind deine Gedanken?«

»Essen ist eine Notwendigkeit«, erwiderte er. »Es hat geschmeckt.«

»Das freut mich, aber was denkst du?«

»Würdest du glauben, daß überirdische Wesen auf der Erde herumgeistern, Fee?«

»Die grünen Männchen etwa? Nein, an die glaube ich nicht. Allerdings möchte ich einräumen, daß es durchaus möglich ist, daß es auf anderen Planeten auch Lebewesen gibt. Hast du etwa gelesen, daß wieder Ufos gesichtet wurden?« scherzte sie.

»Ich spreche von einem lebenden Wesen, das ich sehe und von dem ich nichts weiß. Ich habe es heute zum zweiten Mal gesehen. Ich habe zum zweiten Mal gehört, daß es ein Engel sei.«

»Es ist ein weibliches Wesen?« fragte Fee.

»Ja, und durchaus keine Vision. Sie ist etwa dreißig Jahre, vielleicht auch jünger, hat aschblondes Haar und graublaue Augen. Ist sie dir auch schon einmal begegnet, Fee?«

»Hat sie dich verzaubert, Daniel?« fragte Fee eifersüchtig.

»Sie interessiert mich. Sie sucht alte, einsame Menschen auf. Sie kommt und geht. Bisher weiß ich, daß sie sich um Frau Faust und um Professor Fischer kümmert, aber sie werden wohl nicht die einzigen sein. Sie heißt Brigitte und nimmt kein Geld an, bringt ihren Schützlingen aber immer etwas mit.«

»Nun, dann scheint es wirklich ein Engel zu sein. Wie heißt sie noch?«

»Das weiß niemand, auch nicht, wo sie wohnt.«

»Soll ich es herausfinden, Daniel?«

»Halt deine Augen offen.«

»Warum?«

»Poldi hat sie belästigt. Dessen bin ich sicher. Sie ist ein sehr lebendiges Wesen, Fee, und Poldi traue ich nicht über den Weg. Laß doch mal den Wagen bei

Drexler nachschauen, und frag nebenbei, wie er mit Poldi zufrieden ist.«

»Meinst du, daß dieser leibhaftige Engel dort auch zu finden ist?«

Daniel runzelte die Stirn. »Nein, das glaube ich nicht. Aber mir geht es durch den Sinn, daß es ihn wohl gewaltig interessieren wird, herauszubekommen, wer da seiner Oma gute Sachen bringt, und wie er gebaut ist, könnte er sich überlegen, ob nicht auch was für ihn dabei herauskommen könnte. Er ist ein ausgemachter Schlawiner, Fee. Die arme, alte Frau hat da eine Laus im Pelz, die sie nicht mehr los wird. Er würde ihr den letzten Bissen nehmen, und es ist nur gut, daß dieser gütige Engel nur Diabetikerkost bringt.«

»Meinst du nicht, daß er zu bessern ist?« fragte Fee.

»Schön wäre es, doch mir fehlt der Glaube.«

Und so negativ war Daniel Norden selten eingestellt.

*

Fee fuhr gleich am Nachmittag zu Drexler, in dessen Werkstatt nicht nur Autos, sondern auch landwirtschaftliche Maschinen repariert wurden. Hermann

Drexler war noch vom alten Schlag, ein ehrbarer Handwerker, der seinen guten Ruf nicht verspielen wollte. Er hatte zwei hübsche Töchter. Tina half im Büro, Hetty ging noch zur Schule. Ein Sohn war ihm versagt geblieben, und so hoffte er, einmal einen tüchtigen Schwiegersohn zu bekommen.

Hermann Drexler war ein ruhiger Mann, untersetzt, freundlich und stets zuvorkommend. Für Fee Norden hatte er immer Zeit. Diesmal war er nur leicht verwirrt, weil sie erst vor drei Wochen ihren Wagen zur Inspektion gebracht hatte.

»Ist was nicht in Ordnung?« erkundigte er sich verlegen.

Fee brachte es einfach nicht fertig, eine Beanstandung als Ausrede zu erfinden, weil sie genau wußte, wie sorgfältig Hermann Drexler grade ihren Wagen kontrollierte.

»Eigentlich wollte ich nur mal fragen, wie Poldi Faust sich so macht«, erwiderte sie wahrheitsgemäß.

»Poldi? Meine Güte, der war keine zwei Wochen hier, dann habe ich ihn wieder vor die Tür gesetzt«, erwiderte er. »Tut mir ja leid um die alte Frau Faust, aber er hat versucht, mit Hetty anzubandeln. Frech wurde er außerdem. Meine Hetty ist mir zu schade für den Burschen, aber hübsch ist er ja und sie noch jung und dumm. Ich bin froh, daß Tina da so wachsam ist. Sie hat sich zuerst mit ihm angelegt, und dann habe ich natürlich gleich die Konsequenzen gezogen. Übrigens hat sich auch gestern eine andere Dame nach ihm erkundigt. Sie hat gesagt, daß sie eine Bekannte von Frau Faust sei. Ihr mußte ich freilich auch die Wahrheit sagen.«

»Wer war das?« fragte Fee.

»Ihren Namen hat sie nicht genannt. War sehr zurückhaltend, aber eine ganz feine Frau.«

»Aschblond, mit blaugrauen Augen?« fragte Fee.

»Ja, die Augen sind mir aufgefallen. Gute Augen hatte sie. Aber mit dem Poldi hat sie bestimmt nichts zu schaffen. Kennen Sie die Dame?«

»Nein, ich kenne sie nicht. Ich weiß nur, daß sie sich um Frau Faust kümmert. Wissen Sie, wo Poldi jetzt arbeitet?«

»Arbeiten tut der doch nicht. Lungert bloß herum. Spielt den großen Max bei den Mädchen. Hoffentlich klaut er nicht, damit Frau Faust nicht daran zugrunde geht. Ist schon ein armes Weiblein. Gerad’ aufgeopfert hat sie sich für den Jungen und erntet keinen Dank. Zum Film wollte er, hat er mir gesagt. So ein Großmaul. Nichts dahinter. Nehmen Sie es mir nicht übel, Frau Doktor, daß ich so gradheraus rede. Aber die Weiber sind hinter ihm her, und bei meiner Hetty mußte ich das auch fürchten. Da geht einem schon mal der Gaul durch, wenn man ein richtiger Vater ist.«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Herr

Drexler. Ich habe dafür Verständnis«, erwiderte Fee.

Aber erreicht hatte sie nichts. Sie kaufte im Reformhaus ein paar Lebensmittel für Frau Faust und fuhr dann zu ihr.