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England, 1816 Lady Regina hat immer gewusst, dass es eines Tages so weit sein würde. Da sie nie das Bedürfnis verspürte zu heiraten, hat sie ihr finanzielles Genie jahrelang dafür eingesetzt, das Herzogtum ihres kranken Vaters zu verwalten. Nur um jetzt zusehen zu müssen, wie nach dessen Tod alles an einen entfernten Verwandten geht. Mit Ende zwanzig fühlt sie sich plötzlich überflüssig. Auf der Suche nach etwas, mit dem sie die Leere in ihrem Leben füllen kann, begegnet sie Rick. Durch ihn erfährt sie zum ersten Mal, was Sinnlichkeit und Leidenschaft bedeuten. Doch Rick hat Geheimnisse. Seine Vergangenheit und sein Hunger nach Rache drohen das zarte Band zwischen ihnen zu zerstören.
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Ein Herzogtum für die Liebe
Aus der Reihe „Enterprising Ladies“
Von Felicity D‘Or
Prolog
Belcreek Manor, 1802
„Du hast was?“, Sir William Penderton gab sich keine Mühe, sein Missfallen zu verbergen, als er sich seinem jüngeren Sohn zuwandte.
Der Ausdruck freudiger Erregung auf dessen Gesicht fiel jäh in sich zusammen und wich Verunsicherung. „Siehst du nicht, Vater?“, versuchte er zu erklären. „Ich habe einen Weg gefunden, Geld zu verdienen. Lass mich dir zeigen, wie …“. Hier wurde der junge Mann brüsk unterbrochen.
„Es interessiert mich einen feuchten Kehricht, wie du das getan hast!“, donnerte die Stimme seines alten Herren durch den schäbigen Raum, der auf Belcreek Manor als Bibliothek galt. Ein Überbleibsel aus einer besseren, glamouröseren Zeit, da alle Bücher längst verkauft waren und in den ehemals so stolzen, mit Schnitzereien verzierten Regalen nur noch Zeug lagerte, das sonst nirgends einen Platz fand.
„Was mich allerdings interessiert, ist, wie ein Sohn meines Blutes auf die Idee kommt, sich unter diese Parvenüs und Emporkömmlinge zu mischen, die sich Bankiers nennen?“ Sir Williams Gesicht nahm eine ungesunde Hautfarbe an.
„Aber Vater, ich dachte, wir könnten das Geld gut brauchen.“ Freddie wollte den Traum, seinen Vater stolz zu machen, noch nicht aufgeben.
Der verächtliche Blick, den dieser in seine Richtung sandte, zeigte, dass er das Gegenteil bewirkt hatte. „William!“, wies Penderton seinen älteren Sohn an, der neben Freddie stand. „Erkläre deinem einfältigen Bruder, wer wir sind!“
„Was hat denn unser Stammbaum damit zu tun?“, versuchte der Jüngere der altbekannten Predigt zu entgehen.
„Unser Stammbaum, lieber Bruder, definiert, wer wir sind und was wir unserem Stand schulden.“ William junior legte jede Unze Sarkasmus, über die er verfügte, in die Betonung des Verwandtschaftsverhältnisses. „Und wenn du dich mit Gesindel wie Kaufleuten und Pfandleihern auf eine Stufe stellst, besudelt das unsere Ehre als die zukünftigen Herzöge von Marly.“
„Aber auch ein Herzog muss sich um seine Einkünfte und um sein Land kümmern!“ Wie konnten der Vater und der Bruder nur so verbohrt sein? Sie mussten doch erkennen, dass Standesdünkel nichts in ihre Kassen spülte.
„Ein Herzog spricht nicht über Geld, er hat es!“ Der Alte donnerte nun mit der Faust auf den wuchtigen, vorsintflutlichen Schreibtisch. „Ich dulde nicht, dass ein Sohn dieser Familie den Namen Penderton derart in den Schmutz zieht!“ Damit zerriss er die Dokumente, anhand derer Freddie seinem Vater vorgeschlagen hatte, ihre chronisch klamme Kasse durch ein paar schlaue Investitionen aufzustocken. Wie es aussah, wollten die Pendertons lieber weiter auf Pump leben, als für ihr Auskommen ehrliche Beschäftigung in Erwägung zu ziehen. Auf Pump und in der Hoffnung, den Herzogstitel eines entfernten Verwandten eines Tages zu erben.
Was sollte er also tun, außer sich zu besaufen, nachdem er diesen letzten Hoffnungsschimmer auf väterliche Anerkennung begraben musste? Er war das schwarze Schaf der Familie, das es nie recht machen würde. Noch nie recht machen konnte. Das Semester fing erst in paar Wochen wieder an. Er fragte sich, ob der alte Penderton wohl zukünftig noch für sein Studium aufkommen würde.
Da er das bezweifelte, hatte Freddie sich den Nachmittag sicherheitshalber damit vertrieben, sich einen Plan zu überlegen, wie er sich sein Leben selbst finanzieren konnte. Er hatte Talent für Gelddinge und würde dies nutzen. Das Abendessen auf Belcreek Manor hatte er geschwänzt und im Pub im Dorf eingenommen. Danach waren noch ein paar Bier zu viel dazugekommen.
Und jetzt regnete es auch noch.
„Verdammter Mist!“
Freddie stolperte über eine Wurzel und landete auf allen vieren im Dreck. Matschiges Laub quoll zwischen seine Finger und Schlamm spritzte ihm ins Gesicht. Frustriert gab er einen weiteren Fluch von sich.
Noch nie hatte er so wenig Lust verspürt, nach Hause zu gehen. Aber er hatte nun mal keine andere Möglichkeit. Noch war er erst achtzehn Jahre alt; noch war er von seinem Vater, diesem Geizkragen, abhängig. Dem alten Herrn ging es zwar immer um Geld und Macht, doch nie darum, es ehrlich zu verdienen. Deshalb war auch dieser Weg zwischen den alten Bäumen so ungepflegt, dass er zur Gefahr wurde. Standesdünkel pflegte keine Anwesen. Nach der Szene heute Morgen war in Freddie die Gewissheit gewachsen, dass Sir William es niemals verstehen würde. Und dessen Erbe würde genauso weitermachen, bis sie vollends ruiniert waren oder endlich in den Besitz dieses vermaledeiten Herzogstitels kommen würden.
Er rappelte sich mühsam hoch. Seinen Vater zu verfluchen, würde ihn nicht ins Trockene bringen.
Gegen den Sturm schleppte er sich um die letzte Biegung. Verwundert rieb er sich die Augen, da das alte Haus hell erleuchtet war. Um diese Zeit? Hatte er sich so vertan? Er war zwar betrunken, aber es war ganz sicher noch dunkelste Nacht. „Großartig!“, stöhnte er innerlich, jetzt konnte er vergessen, seinen Rausch in Ruhe auszuschlafen! Eine Standpauke seines Vaters war ihm sicher. Seines Vaters, der ihn für unnatürlich hielt und keine seiner Interessen verstand. Für den Freddie nicht mehr war als ein minderwertiger Ersatz für den älteren Bruder William, der in den Augen seines Erzeugers für Höheres bestimmt war als für dieses heruntergekommene Landgut!
Mit einem Seufzen wappnete er sich für die üblichen gehässigen Bemerkungen. Doch er sollte sich täuschen.
Die Tür öffnete sich, kaum dass er die oberste Stufe betreten hatte. Freddie blinzelte, als das Licht aus der Halle auf seine müden Augen traf. Aus dem Salon vernahm er das Schluchzen einer weiblichen Person. Was war denn nur los? Sein vom billigen Bier der Dorfschänke betäubtes Gehirn versuchte Sinn aus diesen Umständen zu filtern, doch es wollte nicht so recht gelingen. War das die Mutter? Der junge Mann schickte sich an, dorthin zu gehen, doch der Butler schnitt ihm den Weg ab und dirigierte ihn in die Bibliothek.
„Was ist denn los?“
Der Butler antwortete nicht, sah ihn nur mit verächtlicher Miene an, während er die Tür zum Raum von Freddies kontinuierlicher Demütigung öffnete. Na, daran war er ja gewöhnt.
Er sollte sich täuschen: Nichts, was in dieser Nacht folgte, war gewöhnlich.
Noch Stunden später versuchte Freddie zu verstehen, was geschehen war. Nicht die Handlung, die erfuhr er ja am schmerzenden Leibe, sondern das „Warum“.
Er sollte Millie Fawkes geschwängert und dann getötet haben, weil sie sein Kind trug! Millie Fawkes! Sie hatten als Kinder gerne miteinander gespielt, aber seit er auf der Schule war und später in Cambridge, gab es so gut wie keinen Kontakt. Es wäre auch gar nicht schicklich gewesen. Er und die Tochter eines Pächters. Nicht dass ihn das gestört hätte, wenn es Liebe gewesen wäre, aber sie hatten außer einer Kindheitserinnerung nichts mehr gemeinsam.
Und sie sollte er getötet haben, fragte Freddie sich, als er auf dem wackeligen Boden eines Schiffes inmitten des wolkenverhangenen Ärmelkanals wieder zu sich kam. Sein Schädel brummte und er versuchte, sich die Ereignisse ins Gedächtnis zu rufen.
Zuerst hatte er geglaubt, Vater und Bruder würden ihn wie üblich piesacken, um ihm wieder einmal vor Augen zu führen, wie wenig er doch wert sei. Doch auch der Magistrat war anwesend gewesen – und der Gutsverwalter. Ersterer war ein gichtgeplagter Trunkenbold, der für einen guten Brandy alles tat, und Letzterer war ein Sadist, der weder Tier noch Mensch schonte, wenn sie ihm in die Quere kamen. Wollten sie ihn nun schon vor Publikum demütigen? Freddie hatte sich bemüht, Haltung zu wahren, alleine, nass und verdreckt vier anderen gegenüber.
Sir William hatte etwas Glänzendes hochgehalten und, ohne zu grüßen oder zu erklären, weshalb die seltsame Versammlung sich eingefunden hatte, Freddie gefragt: „Erkennst du das?“
Er hatte geschluckt und versucht, gerade zu stehen, sich den Alkohol nicht anmerken zu lassen. Freddie rebellierte innerlich dagegen, sich vor Außenstehenden bloßstellen zu lassen. Der Gedanke, dass sein Vater so wenig von ihm hielt, dass er das auch noch der Umgebung zeigte, war verstörend.
„Ja, Vater!“, hatte er schließlich erwidert. „Das ist die Uhr, die Tante Victoire mir vermacht hat.“ Er hatte sich noch rechtzeitig auf die Zunge gebissen und den Satz nur in Gedanken fortgeführt: „Die Uhr, die mein Bruder unbedingt haben wollte, weil es das Einzige ist, das nur mir alleine gehört.“
Der Magistrat hatte ihn daraufhin des Mordes bezichtigt und er wurde nicht mal mehr angehört. Seine verwirrten Beteuerungen, damit nichts zu tun zu haben, waren einfach übergangen worden und schließlich hatte sein Vater die Hand erhoben. „Du hast Glück, dass deine Mutter sich für dich eingesetzt hat, sonst würdest du morgen baumeln!“
Sie hatten den völlig vor den Kopf gestoßenen Jungen in das Foyer zurückgeführt, wo seine Mutter mit rotgeränderten Augen stand. Die zarte Frau hatte ihm nie gegen den Vater beistehen können, hatte sich selbst kaum schützen können. In diesem Moment hatte sie jedoch die Reste ihrer Kraft zusammengenommen und war auf ihren Zweitgeborenen zugegangen.
„Verschwinde, Mary. Das ist nichts für Weiber!“, hatte sie der alte Tyrann angeherrscht.
„Er ist mein Sohn und ich werde mich zumindest von ihm verabschieden.“ Die ungewöhnliche Entschlossenheit in ihrer Stimme hatte die Männer innehalten lassen. Freddie hatte ein letztes Mal versucht, seine Unschuld zu beteuern, bevor er sich in der ungewohnten Umarmung seiner Mutter wiedergefunden hatte.
„Es tut mir so leid! Ich habe an dir versagt“, hatte sie geflüstert und ihm etwas in die Jackentasche geschoben. Dann hatte sie sich umgedreht, und damit war die letzte Person, die etwas für ihn empfunden hatte, aus seinem Leben verschwunden.
Er erinnerte sich nur noch, dass Burns, der Verwalter, ihn packte und zu einem Wagen bugsierte. Der Aufprall auf der harten Fläche hatte ihm wohl das Bewusstsein genommen.
Auf diesem Schiff war er schließlich wieder zu sich gekommen. Die Passage war bezahlt worden und in der Tasche seiner nassen, verdreckten Jacke fand er fünfzig Pfund und ein Medaillon, die ihm seine Mutter zugesteckt hatte. Schwankend sah er aus dem kleinen Bullauge, konnte gerade noch die letzten Lichter der Küste seiner Heimat sehen, bevor auch sie von Finsternis verschluckt wurden, ohne dass er wusste, wohin die Reise ging.
Freddie krümmte sich und übergab sich in den Nachttopf.
Kapitel 1
Southampton, Mai 1816
Der junge Steward blickte verwundert auf das spärliche Gepäck der Lady, die eine der besten Kabinen für die Überfahrt auf den Kontinent angemietet hatte. „Sind Sie sicher, Mylady, dass nichts vergessen wurde?“, erkundigte er sich vorsichtig.
Die Dame steckte ihm, ohne seine Frage zu beantworten, ein fürstliches Trinkgeld zu und deutete ihm mit einer Handbewegung, sich zu entfernen. Der Junge bedankte sich für die Entlohnung und verließ die Kajüte mit Gedanken über die Reichen und ihre Eigenheiten im Kopf.
Lady Regina Mountford war froh, endlich alleine zu sein. Auf diese Reise hatte sie nur ihre Zofe mitgenommen, und die litt unter Seekrankheit und hatte sich deshalb schon vorsorglich in ihre Kabine zurückgezogen. Zum Glück machte ihr selbst der Seegang nichts aus. Durch das kleine Fenster ihrer Kajüte sah sie grauen Himmel. Das ganze Frühjahr hatte sich ihr als kalt, verregnet und grau eingeprägt. Als hätte sich das Wetter ihrer Stimmung angepasst.
Sie atmete tief aus und legte ihren Hut und das Retikül auf die Kommode. Es mochte ungewöhnlich sein, dass eine Dame alleine reiste, aber sie ertrug derzeit keine Gesellschaft. Zu vieles ging ihr durch den Kopf, zu viele Gefühle wollten geordnet werden. Außerdem war sie keine unerfahrene Debütantin mehr, sondern eine Dame von Welt, die durchaus in der Lage war, für sich selbst zu sorgen. In ihrem Alter galt es nicht mehr als skandalös, wenn sie nur mit einer Bediensteten reiste. Eher würde man sie als exzentrisch beschreiben.
Aus dem Spiegel am Frisiertisch blickte ihr eine Frau entgegen, die ihre erste Jugend zwar hinter sich hatte, aber noch kaum Spuren des Alters zeigte. Das braune Haar war nach der vorherrschenden Mode mühselig zu Locken gedreht und seitlich an ihren Kopf frisiert worden. Sie mochte diese Löckchen nicht. Nicht nur aufgrund der langwierigen Prozedur, sondern weil ihr mit Pomade versteifte Kringellöckchen grundsätzlich nicht gefielen. Und an ihr speziell sowieso nicht.
Ebenso wenig wie die Rüschen und Schleifchen, die in den letzten Jahren wieder immer mehr in Mode gekommen waren. Selbst an dem schwarzen Trauerkleid, das sie trug, waren Ornamente angebracht. Siebzehnjährige Debütantinnen mochten so etwas ja hinreißend finden, aber sie hasste diese verspielten Kleider. Reginas Finger zupften an einer der Spitzenborten, die ihr Dekolleté zierten. Ihre Garderobe war einer der Gründe für diese Reise.
In Paris würde sie sich völlig neu einkleiden, neu erfinden. Sie freute sich darauf, war sich allerdings auch bewusst, dass die unvorteilhafte Kleidung und Frisur ihr auch immer eine gewisse Art von Schutz geboten hatten. Würde sie es tatsächlich wagen, etwas zu verändern? Und würde es aus ihr einen anderen Menschen machen oder lediglich die Art der Verkleidung ändern? Egal. Sie wollte und musste etwas Neues versuchen, musste über das Leben, das sich mit dem Tod ihres Vaters so schlagartig für sie gewandelt hatte, die Kontrolle ergreifen.
Ärgerlich löste sie die Frisur und kramte nach einem Kamm. Das war der Nachteil einer seekranken Zofe. Man musste seine Sachen selbst suchen. Nach viel Rupfen und Zupfen hatte sie schließlich die Locken entwirrt und ihr braunes Haar hing lang und glatt herab. Es war wirklich nichts Besonderes. Genau wie der Rest von ihr. Die ebenfalls braunen Augen betrachteten ihre zu groß gewachsenen Gliedmaßen. Sie hatte keine besonders feminine Figur, das war ihr schon während ihres Debüts vor zwölf Jahren klar geworden. Ihre Figur war so hochgewachsen, dass sie die meisten Herren überragte. Nennenswerte Rundungen hätten diesen Makel womöglich kompensiert, doch leider waren ihr auch diese versagt geblieben. Die Männer bevorzugten zierliche Mädchen mit blonden Locken, Grübchen und Kurven. Das war sie nie gewesen und würde sie wohl auch nie sein.
Ebenso wenig wollte sie für den Rest ihres Lebens die unvorteilhaft zurechtgemachte alte Jungfer bleiben, als die sie die letzten Jahre verbracht hatte. Paris war der erste Schritt zu ihrem neuen Ich. Sie würde die Trauerkleider abstreifen, eine neue Frisur versuchen und an einem neuen Ort neue Menschen kennenlernen.
Die leise nagende Stimme in ihrem Hinterkopf, die darauf bestand, dass ein neues Aussehen alleine ihre Probleme nicht beheben würde, ignorierte sie geflissentlich. Irgendwo musste sie schließlich anfangen und alles Weitere würde man dann sehen.
Paris, drei Wochen später
Sie fühlte sich jünger als an beinahe jedem einzelnen Tag ihrer fast dreißig Jahre zuvor.
Hätte sie gewusst, dass ungehöriges Benehmen, gepaart mit dem Reiz des Verbotenen, ihre Sinne derart berauschen konnte, hätte sie diese Jahre anders verbracht?
Von ihrem Aussichtspunkt, der Balustrade, die sich geschwungen über den ersten Stock des feudalen Salons zog, genoss sie das Treiben dort unten. Anstelle des steifen Protokolls, der kontrollierenden Blicke und kalkulierenden Matronen, denen sie das letzte Dutzend Jahre ausgesetzt gewesen war, fand sich hier das pralle Leben. Schillernd gekleidete Damen tanzten viel zu eng mit Herren, deren Blicke Begierde zeigten, und ließen die Menge dort unten zu einem Regenbogen der Vergnügung verschmelzen. Unzählige Kristallleuchter warfen ihr funkelndes Licht in schimmernden Farben über die Feiernden und in den Spiegeln an der Seite des Salons konnte sich die wilde Menge selbst bei ihren Ausschweifungen bewundern.
Sie hatte sich kaum erkannt in diesen Spiegeln. Hätte sie nicht gewusst, wer unter der Maske aus dunkelrotem Samt steckte, dass es ihre Figur war, die von dem gewagten Seidenkleid in Szene gesetzt wurde, so wäre es nicht möglich gewesen, die Dame im Spiegel mit der korrekten Herzogstocher Regina Mountford in Verbindung zu bringen.
Es war, als hätte sie mit den mädchenhaften Rüschenkleidern und den akkuraten Löckchen nicht nur die äußere Schicht ihrer Person abgestreift, sondern auch einen Teil ihrer Persönlichkeit zum Vorschein gebracht, der ihr bis dato unbekannt war.
Es war aufregend.
Sie war aufregend.
Das Staunen über diese Erkenntnis sah sie in den Tiefen ihrer Augen im Spiegel gegenüber, die so vertraut und doch völlig anders wirkten.
Regina sog die erregende Stimmung der Feiernden, die unschickliche Opulenz der Räumlichkeiten und die Ausgelassenheit des Festes förmlich in sich auf. Niemand kannte sie. Niemand erkannte sie. Aber selbst ihre Bekannten – falls sich eine jener aufrechten Säulen der Gesellschaft durch einen unglücklichen Zufall hier eingefunden hätte – würden niemals vermuten, wer sich hinter der Maske verbarg und hier auf einer der skandalösen Partys in diesem Etablissement der Luxusklasse teilnahm.
Ein Lächeln umspielte Reginas Mund, als sie von ihrem Champagner nippte. Nein, sie wollte jetzt nicht an die Menschen und die Gesellschaft denken, die sie vor einigen Wochen in London zurückgelassen hatte.
Heute Abend würde sie sich amüsieren.
Es wurde Zeit.
„Noch etwas Champagner?“
Reginas Tanzpartner hatte ihr den Arm um die Taille gelegt und führte sie von der Tanzfläche. Sie fächelte sich Luft zu und nickte, außer Atem vor Aufregung.
Es lag nicht nur an der Menschenmenge um sie herum, dass ihr heiß war. Der Mann hatte sie mitgerissen zu einem Tanz, der so viel mehr war als alles ihr bisher Bekannte. Und nicht nur das, ihr Kavalier sah auch unverschämt gut aus. Sein braunes Haar war zwar zu kurz geschoren, um modisch zu sein, aber es passte zu seinem markanten Gesicht. Dieser Gentleman wirkte nicht wie die üblichen Herren ihres Bekanntenkreises. Er war irgendwie … härter, direkter, wenn auch nicht ohne Charme. Etwas an ihm hatte Regina angesprochen, sodass sie seine Einladung zum Tanz angenommen hatte.
Sie war eigentlich eine versierte Tänzerin, doch so war sie noch nie zuvor über das Parkett geführt worden. Dieser Walzer wäre der Albtraum der Patinnen von Almack‘s. Nur zu gut verstand sie jetzt, warum man dort mit dessen Einführung so lange gezögert, den Tanz als zu unanständig eingeschätzt hatte.
Himmel, wie sich die starken Schenkel ihres Partners fest an ihre gedrückt hatten und sie so sicher und zielstrebig über die Tanzfläche gewirbelt hatten. So nah war sie einem Mann noch nie gekommen. Sein Arm hatte sie umfangen, die Hand sich fest und sinnlich zugleich an ihren unteren Rücken geschmiegt.
Und sie? Hatte sich mit einer beinahe unangemessenen Freude und Erregung einfach der Bewegung und der Berührung seines Körpers hingegeben. Auch jetzt noch verspürte sie ein Kribbeln, das sich von ihrer Brust über den Bauch bis zu ihren Beinen hinabzog. Die dünne Seide ihres Kleides hatte kaum Schutz geboten vor dieser Attacke auf ihre Sinne. Es war skandalös! Es war wunderbar!
„Einen Sou für Ihre Gedanken!“
Ihr Tanzpartner war zurück und hielt ihr die versprochene Erfrischung hin.
Sie lachte ein beinah mädchenhaftes Glucksen. „Für einen mickrigen Sou gebe ich meine Gedanken nicht preis, Monsieur!“
Aus seinen grauen Augen sprach der Schalk, aber kurz vermeinte sie auch etwas Fremderes, Wilderes aufblitzen zu sehen, als er sich zu ihr neigte und in ihr Ohr flüsterte: „Würden Sie sie mir denn für einen Kuss verraten, Madame?“
Regina fühlte Hitze durch ihren ganzen Körper wallen, von innen nach außen. Ihre Haut glühte, so heftig errötete sie. Er flirtete mit ihr!
Kurz versteifte sie sich; die angelernten Verhaltensmuster drangen darauf, zu übernehmen. Es war unschicklich. Dieser Mann mit den kantigen Gesichtszügen, dem unmodisch kurzen Haar und dem festen und gestählten Körper eines Sportsmannes sah sie auf ganz und gar unpassende Art an. Er war ihr so nah, dass sie seinen Geruch wahrnahm. Durch den Schweiß der Tanzenden und die Süße der Blumendekoration drang ein Duft, der etwas in ihrem Inneren ansprach. Etwas, das sich bisher noch nie geregt hatte.
Sie atmete das betörende Gemisch tief ein. Unschicklich, ja. Aber darum war sie hier. Um die Grenzen zu übertreten. Um sich zu amüsieren und um zu vergessen, was passiert war. Um sich zu nehmen, was sie wollte. Einmal im Leben.
Regina nahm seine Herausforderung mit einer eigenen an: „Um zu wissen, ob meine Gedanken einen Ihrer Küsse wert sind, Monsieur, müsste ich diese kennen.“
Er legte einen muskulösen Arm um ihre Taille und bugsierte die große, brünette Frau in den Garten des Palais. „Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.“
Kapitel 2
Zwischen den Bäumen hingen Lampions, und Fackeln erleuchteten die Wege, die zu den Nischen und versteckten Winkeln hinter Büschen und Hecken führten. Gerade genug, dass man nicht vom Wege abkam, aber das Licht erlaubte Regina nicht, zu erkennen, was sich in diesen Bereichen des Gartens abspielte. Vereinzelt sah man Silhouetten in den Schatten. Scheinbar nutzten noch einige andere Personen das milde Wetter aus, das seit dieser Woche in Paris herrschte. Ein Paar küsste sich hingebungsvoll auf der Terrasse. Sie schienen sich nicht daran zu stören, dass man sie dabei beobachten konnte. Jetzt hob der Mann die Frau mit einem beherzten Griff auf die Balustrade und trat zwischen ihre Schenkel. Fasziniert war Regina stehen geblieben.
Ihr Partner zwinkerte ihr zu, doch sie war viel zu verwirrt, um darauf einzugehen.
„Jeder kann sie sehen!“, flüsterte sie heiser.
„Deshalb sind sie hier. Es gefällt ihnen, beobachtet zu werden.“ Er stand hinter ihr und sein Atem prickelte in ihrem Nacken. „Gefällt es Ihnen, den beiden zuzusehen?“
Der Mann schob jetzt das Kleid der Frau mit einer Hand zu den Knien hoch und sein Mund wanderte am Dekolleté der Partnerin entlang. Regina fragte sich unwillkürlich, wie sich so etwas anfühlen würde, und war gleichzeitig erschrocken über ihren Gedanken. Sollte sie nicht schockiert sein? Aber das wäre an einem Ort wie diesem und mit ihrem Ziel im Kopf wohl fehl am Platz.
Sie wand sich heimlich errötend der Treppe in den tiefer liegenden Bereich zu. Ihr Partner führte sie über die Stufen in diesen Zaubergarten hinein. Seine Hand strich sanft an ihrer Taille entlang und zog sie noch enger an seinen Körper. Reginas ganze rechte Seite stand in Flammen durch seine Nähe. Würde er sie so küssen, wie der Mann auf der Veranda es mit seiner Geliebten machte? Sie hatte den verzückten Blick der Frau durchaus bemerkt.
Bis sie ihre Gedanken von dem Gesehenen losreißen konnte, waren sie bereits an einem Brunnen vorbei tiefer hinter die Hecken gelangt. Hier war es stiller. Nur noch gedämpft war die Musik aus dem Salon zu vernehmen. Die Geräusche der Umgebung waren daher deutlicher wahrnehmbar. Aus den Schatten drangen Seufzer und manchmal auch ein Kichern oder ein Stöhnen zu ihr.
„Sie sind zum ersten Mal hier, ähm, Madame oder Mademoiselle?“, erkundigte sich ihr Partner.
„Ist es so offensichtlich?“, erwiderte Regina, geflissentlich die Frage nach ihrem Stand und ihrem Namen ignorierend.
„Offensichtlich, ja, aber es ist auch zauberhaft.“ Er hatte sich ihr zugedreht und blickte in ihre Augen. So einfach ließ er sie nicht vom Haken.
„Wenn ich Sie küsse, so möchte ich doch wissen, mit welchem Namen ich Sie ansprechen soll.“
Kurz überlegte sie. Etwas wie Panik oder Angst vor der eigenen Courage drohte in ihr aufzusteigen. Seine Nähe machte sie ganz schummrig, aber ihren richtigen Namen konnte sie nicht nennen. Er war ein Fremder, wenn auch … Sie wollte dies hier. Diesen Kuss und was immer es da noch zu entdecken gab. Mit ihm.
„Nennen Sie mich Ginny.“
Sie vermeinte in seinen Augen Erstaunen aufflackern zu sehen. „Das ist Englisch. Von Ginevra? Oder Eugenia?“
„Ich bin englisch.“
Er lachte und wechselte die Sprache „Ich auch. Ich nehme an, wir können beide stolz sein auf unsere Sprachkenntnisse!“
„Oder unser Französisch ist so schlecht, dass wir es nicht bemerken, wenn wir jemanden in der gleichen Situation vor uns finden.“ Regina lachte laut auf. Wann hatte sie sich zuletzt so frei gefühlt? Nicht in den vergangenen zehn Jahren.
Sein Lachen strahlte sie an und verwandelte sich langsam in etwas Ernsteres, Intensives, während er den Kopf zu ihr neigte. Regina war groß gewachsen, aber er überragte sie um einen halben Kopf. Beinahe berührten sich ihre Münder.
„Ich bin Rick!“, flüsterte er, bevor er sich auf ihre Lippen senkte.
Er war sanft und unnachgiebig zugleich. Regina fühlte seinen Mund auf ihrem zuerst ganz zart. Die Berührung war wie ein Hauch und doch fuhr sie ihr wie ein Schock durch die Glieder. Es waren nur seine Lippen, doch ihr ganzer Körper begann zu kribbeln. Rick zog sie an sich und knabberte an ihrem Mund, strich mit seiner Zunge sanft über ihn. Regina blieb die Luft weg. Sie schnappte mit einem Seufzer nach Atem.
Das war unglaublich. Ein Gefühl, wie sie es noch nie verspürt hatte, wanderte langsam durch ihren ganzen Leib. Eine Hand legte sich um ihren Hinterkopf und er nutzte den Moment, um in ihren geöffneten Mund einzudringen.
Sie schmeckte ihn, so wie er sie kostete. Mit einem wohligen Stöhnen begann Regina, es ihm gleichzutun. Sie schmiegte sich enger an ihn und erkundete ihn. Es schien ihm zu gefallen. Ein kehliges Knurren war die Antwort auf ihre Liebkosungen. Als ob er immer tiefer in sie tauchen wollte. Sie wurden schneller, hektischer. Seine Hände hielten sie und strichen von ihren Schultern zu ihrem Hinterteil hinab, wo sie sich fest auf die Pobacken legten und sie an seinen Körper drückten. Sie fühlte jeden Muskel und auch seine Härte an ihrem Bauch.
Ja, das war es, was sie hier gesucht hatte! Es fiel Regina leichter als gedacht, sich auf seine Berührungen einzulassen. Jetzt durfte sie Rick nur nicht merken lassen, dass er es mit einer Jungfrau zu tun hatte. Einer fast dreißigjährigen alten Jungfer!
Schließlich wanderten Ricks Küsse über ihre Kehle zum Dekolleté hinab.
„Es hat dir gefallen, was die beiden auf der Terrasse machten, nicht wahr?“ Sie konnte in der schwach erleuchteten Dunkelheit seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber das heisere Timbre seiner Stimme verursachte ihr Schauer. Es hatte ihr tatsächlich gefallen – auch wenn es zugleich schockierend war –, die Liebenden auf der Terrasse zu beobachten. Und nun wollte Regina mit Rick das Gleiche erleben. Sie wollte die Wärme seiner Lippen auf ihrer Haut spüren, wollte von seinen Händen weiter gestreichelt werden. Es war wie ein Rausch, mit ihm in diesem magischen Garten der Sinne zu sein.
Sie antwortete: „Ich, …“ Ein Schlucken befeuchtete ihre trockene Kehle. „Die beiden, sie waren so versunken ineinander.“
Rick lachte. „Ich wette, sie sind mittlerweile noch viel stärker ineinander versunken.“ Er küsste sie kurz, aber heftig. Voller Verlangen.
„Komm mit!“
Seine Hand griff sicher und kräftig nach ihrer und zog sie tiefer in die Schatten. Vorbei an Sträuchern, Bäumen und duftenden Rabatten. Am Ende des Kiesweges blieb Regina verzaubert stehen.
Vor ihr schmiegte sich zwischen Rosen und immergrünen Sträuchern eine Bank an die Rückseite einer Mauer. Seidenkissen schimmerten im diffusen Licht der wenigen Lampions in den Bäumen. Das war ein Liebesnest! Eingerichtet, um Paaren hier draußen eine angenehme Zeit zu verschaffen. Damit hatte sie nicht gerechnet, als sie beschloss, dieses Etablissement zu besuchen, um endlich einmal etwas zu erleben. Nicht in ihren kühnsten Träumen hatte sie sich so etwas ausgemalt, als sie von der „Villa Paradis“ erfuhr.
Und Rick – dieser Mann sprach etwas bisher Unbekanntes in ihr an. Er schien auf ihrem Körper zu spielen wie auf einem Instrument. Nichts auf der Welt könnte sie dazu bewegen, jetzt zu gehen. Also folgte sie ihm zu der Bank.
Er fuhr mit den Fingerspitzen über den weichen Stoff ihrer Maske. „Wirst du mir dein Gesicht zeigen, schöne Ginny?“
Ihre Hände auf seine legend, hielt sie ihn davon ab, die Maske herabzuziehen.
„Das kann ich nicht, Rick.“ Die Stimmung zwischen ihnen hatte sich verändert. Sie konnte ihn noch nicht gehen lassen, aber auch seinem Begehr, ihr Gesicht zu sehen, nicht nachgeben. Selbst das schummrige Ambiente hier wäre zu gefährlich. Zumal er ein Landsmann war. Sie musste sich etwas einfallen lassen. Prüfend blickten seine Augen auf sie. Er würde doch jetzt nicht gehen?
„Ich kann heute Nacht alles tun, alles, außer diese Maske abzunehmen.“ Vorsichtig entfernte sie seine Hände von ihrem Kopf und legte ihre Finger an seine Brust. Sie fühlte die harten Muskelstränge und das Heben seines Brustkorbes, als er ihr schließlich antwortete.
„Dann respektiere ich deinen Wunsch!“
Mit dem nächsten Atemzug stürzten sie sich aufeinander. Reginas Hände erforschten nun auch seinen Körper, während sie sich ausgiebig küssten. Sie fuhr über seine bestickte Weste an harten Bauchmuskeln entlang, schlang ihre Arme um seinen Nacken, um dann vom Haaransatz über die breiten Schultern seinen Rücken entlangzutasten.
Doch es war nicht genug. Enger aneinandergedrückt, versuchte sie mehr zu bekommen. Sie wollte seine Haut spüren, ihn schmecken und begann die Falten seines kunstfertig gebundenen Halstuches zu lösen. Endlich! Sie sog seinen Duft tief ein, bevor sie ihre Lippen über seinen Hals wandern ließ. Er schmeckte nach etwas, das sie in Ermangelung eines anderen Wortes „männliche Essenz“ nennen würde. Sie speicherte jedes Detail ihrer Entdeckung des männlichen Körpers akribisch in ihrem Gedächtnis ab.
Plötzlich traf kühle Luft auf ihren erhitzten Körper. Rick hatte den Verschluss ihres Kleides am Rücken geöffnet und schob die kurzen Ärmel langsam ihre Arme hinab. Er bedeckte ihr Dekolleté mit Küssen, während er das Kleid zu ihrer Taille herabgleiten ließ. Die Nachtluft versetzte ihr Schauer und gleichzeitig verursachten seine Lippen Hitzewallungen in Reginas Körper. Etwas derartig Verzückendes hatte sie noch nie verspürt. Als sich ihr ein wollüstiges Stöhnen entrang, zog er mit einem Ruck die rote Seide nach unten, sodass sie nur noch mit einem Hemdchen aus allerfeinstem Batist bekleidet vor ihm stand. Im Licht der Laternen zeichnete sich ihr Körper als Silhouette ab.
Regina zuckte zusammen. Sie war keine üppige Frau. Das rote Kleid hatte sie zwar sinnlich aussehen lassen, doch ihr war nur zu gut bewusst, dass sie zu groß und zu schlank war für die Vorliebe des Zeitgeists. Würde Rick gefallen, was er sah?
Tatsächlich musterte er sie einen Augenblick ganz still, beinahe andächtig.
„Du bist wunderschön! Ich glaube nicht, dass ich jemals so lange Beine gesehen habe. Beine, die dafür gemacht sind, einen Mann zu umfangen.“
Regina wusste nicht genau, was er damit meinte, doch sie war fest entschlossen, sich das Ausmaß ihrer Unerfahrenheit nicht anmerken zu lassen. Ermuntert durch seine positiven Worte trat sie so nah an ihn heran, dass die Spitzen ihrer Brüste seine Kleidung berührten. Gänsehaut überzog sie. Rick fuhr mit seinen Fingerspitzen sanft kreisend über ihre Schultern. Dann ließ er seine Hände weiter an ihrem Körper entlangwandern.
Als er ihre empfindsamen Nippel berührte, erst sachte darüberfuhr und dann fester, lief ein Schauer durch Regina. Rick spannte das feine Tuch ihres Hemdchens, sodass sie sich dagegen rieb und ihre gereizten Spitzen sich deutlich abzeichneten. Ihr Atem beschleunigte sich und als sich sein Mund auf ihre Brust setzte und fest zu saugen und zu knabbern begann, umklammerte sie Ricks Kopf und bog sich ihm entgegen, um mehr von der Süße seiner Lippen zu erhalten. Jäh war es vorbei und kalte Luft traf auf das nasse Hemd und die empfindsame Stelle darunter, als er sich deren Zwilling zuwandte.
Es war unglaublich erregend. Für nichts in der Welt hätte Regina jetzt aufhören können. Und so protestierte sie nicht, als er ihr das Hemd hochschob und über die Strumpfhalter an ihren Schenkeln entlangstrich bis an den Punkt, wo sie nur noch ein Knäuel aus Begierde und Verlangen war.
Seine Finger glitten über ihren Eingang und dann drang er mit einem in sie ein. Konnte sie sich ihm noch näherbringen? Auf der Suche nach mehr drückte Regina ihr Becken seiner Hand entgegen. Sie umklammerte seine Schultern, um nicht zu fallen, und schließlich küssten sie sich wieder – ihre Münder ein Spiegel dessen, was seine Finger dort unten in ihr taten. Er stieß seine Zunge begierig in sie und gleichzeitig nahm er einen zweiten Finger dazu. Immer schneller drang er in sie ein. Die andere Hand hob ihr Bein und legte es um seine Hüften. Jetzt ging ihr die Bedeutung seiner früheren Bemerkung auf.
Regina war ein schluchzendes Nervenbündel, das sich vor Wonne zuckend an ihn klammerte, bis sie schließlich in einer Woge davongetragen wurde. In dem Moment, als ihr ein Schrei entwich, ließ Rick von ihrem Mund ab und das Geräusch ihrer Lust wurde in den Garten hinausgetragen und vermischte sich dort mit den anderen Geräuschen zu einer sinnlichen Sinfonie.
Rick hob die vor Verzückung erschöpfte Regina hoch und ließ sich mit ihr auf der Bank nieder. Sie schmiegte sich auf seinen Schoß und ihre Hände klammerten sich an ihm fest, fuhren wieder über seine Weste. Ihr fehlten die Worte und so zeigte sie ihm durch ihr Verhalten, was sie empfand. Langsam öffnete sie die Silberknöpfe der Seidenweste und zog dann das feine Hemd aus der Hose. Ihre Fingerkuppen berührten sachte seine Brust. Sie erkundete seine Muskeln und spielte mit seinen Brustwarzen. Ob er dort genauso empfindlich war wie sie?
Mit einem kehligen Knurren nahm er ihre Hände weg und bettete Regina schließlich mit einer geschickten Drehung auf die Kissen.
„Ich muss dich jetzt haben, wunderbare Ginny!“ Er sah sie an wie ein Verdurstender eine Fata Morgana. Sie selbst mochte ein Trugbild sein, aber ihr Körper und dessen Bedürfnisse waren echt. Regina wollte ihn auch.
Einladend streckte sie ihre Arme nach ihm aus und er kam der Aufforderung nach. Er beugte sich über sie, umfing sie mit seiner glorreichen Männlichkeit. Er lächelte nicht mehr – ein konzentrierter, beinahe harter Ausdruck war in seinem Gesicht zu sehen. Seine Augen glänzten im Mondlicht wie messerscharf polierter Stahl, und doch empfand Regina keine Angst, Scheu oder Reue. Ganz im Gegenteil, sie war sich nun völlig sicher, dass dies genau der Grund war, weshalb sie nach Paris gereist war.
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass er seine Hose öffnete und dann fühlte sie seinen Penis auf der Haut ihres Oberschenkels. Dort zwischen ihren Beinen, wo seine Hand ihr vor Kurzem solche Wonnen beschert hatte, machte sich ein Pochen breit. Sie wollte ihn dort haben, aber ihre Neugier, ihr Bedürfnis, dies voll und ganz mit allen Sinnen auszukosten, trieb sie dazu, ihre Hand nach ihm auszustrecken. Entschlossen griffen ihre Finger nach ihm und umfingen seinen Schaft. Er war heiß und hart und fühlte sich an wie mit Seide bezogen. Und er war groß. Sie wusste, dass viele Frauen der Meinung waren, dies sei gut. Sie ließ ihre Hand auf- und abgleiten, was ihn dazu brachte, seinen Kopf zurückzuwerfen und zu stöhnen.
„Oh verdammt, Ginny, das ist so gut!“
Zufrieden, dass ihm gefiel, was sie tat, machte sie weiter, bis er sie schließlich wegschob und sich zwischen ihren Beinen postierte. Sie fühlte seine Berührung dort in ihrem Zentrum. Rick küsste sie intensiv und fordernd. Wieder drang er zuerst mit seiner Zunge in ihren Mund und stieß dann mit einem heftigen Stoß in ihren Schoß.
Ginny drückte sich ihm entgegen. Sie wollte diesen Mann so sehr, wollte seine Männlichkeit in sich aufnehmen und dem brennenden Verlangen in ihren Lenden nachgeben. Das war alles, was zählte. Ihre beiden Körper und wie sie sich vereinigten. Er drang tief in sie ein, tiefer und wilder, als sie es sich hätte jemals ausmalen können, und mit jedem Stoß versuchte sie ihn mehr aufzunehmen, hob ihr Becken und stieß wimmernde Lustschreie aus, die er mit seinen Lippen auffing.
Als er ihren Mund schließlich freigab, hoben seine Hände ihren Hintern hoch, um sie noch stärker, mit einer beinahe animalischen Gier, in Besitz zu nehmen. Ginny schwindelte und sie merkte, wie das Hochgefühl von vorhin sich wieder in ihr ausbreitete, wie sie darauf zuraste, um nach einem kurzen Moment zuckend um seinen Penis zu explodieren. Rick fuhr noch einmal mit einem gutturalen Laut in sie hinein und sie spürte, wie er sich in ihr entlud, bevor er sich keuchend neben ihr abstützte.
Kapitel 3
Verzückt und geschockt zugleich blickte Regina in den Pariser Nachthimmel. Sie kam langsam wieder zu Atem und mit dem Sauerstoff setzte auch ihr Verstand wieder ein. Sie hatte es getan. Sie war keine Jungfrau mehr. Sie würde ihren dreißigsten Geburtstag als Frau erleben, nicht als übrig gebliebenes Mädchen!
Hatte Rick etwas bemerkt? Sie sah zu ihm hin. Wohl nicht. Ihr Geheimnis war immer noch sicher. Sein Kopf lag auf ihrer Brust und er hatte die Augen geschlossen. Hätte sie nicht seinen Herzschlag gespürt, hätte man meinen können, er wäre tot, so reglos. Was für ein Mann! Seine ansonsten hart wirkenden Züge schienen in diesem Moment viel weicher, entspannter.
Auch sie selbst fühlte sich immer noch schwerelos. Nicht nur, weil die Last ihrer Jungfräulichkeit von ihr genommen war. Sie hatte einmal von einer Hebamme auf ihrem Landsitz gehört, dass Jungfernhäutchen auch durch exzessive körperliche Betätigung reißen konnten und Regina ritt seit ihrem fünften Lebensjahr täglich und mit wilder Begeisterung. Gut möglich, dass der Schaden längst passiert war. Aber ihr war es ja gar nicht darum gegangen, sondern um die Erfahrung körperlicher Liebe, da sie nie heiraten würde. Nun ja, vielleicht sollte sie darüber nachdenken, ihre Meinung zu ändern oder sich zumindest einen Liebhaber anschaffen. Ob es mit jedem Mann so umwerfend war wie mit Rick?
Besagter Liebhaber schob sich auf seine Unterarme und grinste sie zufrieden an. Wie ein gesättigter Königstiger, dachte sie. Zumindest war das das Bild, welches ihr durch den Kopf schoss. Ihr Pate hatte vor einigen Jahren Zeichnungen und auch ein Tigerfell aus Indien mitgebracht. Sie hatte damals lange darüber nachgedacht, wie ein so elegantes und gefährliches Tier in freier Wildbahn wohl leben mochte, und Ricks geschmeidiger Körper voller Muskeln, gepaart mit dem harten Glanz seiner Augen, brachte ihr das exotische Tier wieder in Erinnerung.
„Ich habe mir deine Gedanken, denke ich, redlich verdient“, sagte er in diesem Moment und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Im Mondlicht vermeinte sie ein Grübchen zu erkennen, welches sein zufriedenes Grinsen einrahmte.
„Welche Gedanken? Diejenigen von vorhin?“, erwiderte sie, kurz verwirrt, bevor sie nickte. „Das hast du wohl. Aber was verrät dir, ob ich die Wahrheit sage? Ich könnte zum Beispiel darüber nachgedacht haben, welcher Schneider etwas so Gewagtes kreieren würde wie das gelbe Kleid der Dame, die im Ballsaal neben uns tanzte.“
Rick küsste sanft ihren Mundwinkel, bevor er forderte: „Du wirst mir die Wahrheit sagen, weil du es möchtest, schöne Ginny.“ Seine Stimme verlockte sie. „Weil du mit mir teilen möchtest, was durch diesen bezaubernden Kopf geht und was diese Gedanken mit deinem Körper machen.“
Hitze stieg ihren Leib entlang von den Zehenspitzen bis zum Haaransatz. Er hatte recht! Am liebsten würde sie hier in diesem Liebesnest verweilen und ihm all ihre Geheimnisse verraten.
Das war so nicht vorgesehen gewesen.
Eine Nacht lang alle Zwänge fallen lassen und das wäre es dann – so lautete Reginas Plan. Doch dass er ihr so nahekam, das machte ihn noch viel gefährlicher, als sie gedacht hatte. Eine Affäre war eine Sache, aber sich jemandem so zu öffnen, wäre Dummheit. Das konnte sie sich nicht leisten.
Sie musste verschwinden. Tief in ihr drin wusste sie genau, dass sie nie gehen würde, wenn sie es jetzt nicht tat. Besser kurz und schmerzlos, bevor diese verwirrenden Bedürfnisse sich zu etwas entwickeln würden, das sie nicht mehr unter Kontrolle hatte.
Bedauernd schob sie Ricks Oberkörper hoch. Es kostete sie alle Selbstbeherrschung, nicht dort zu verweilen, ihre Hände von seinen warmen kräftigen Brustmuskeln zu lösen. Sie richtete sich auf und versuchte, das Kleid wieder anzuziehen.
„Ich muss in den Ruheraum der Ladys und mich wieder präsentabel machen.“
Seine Arme umfingen ihre Taille, als er rief: „Du bist präsentabel genug für die Villa Paradis!“ Dennoch half er ihr, die rote Seide wieder einigermaßen an ihrem Rücken zu befestigen. Seine Hände verweilten zögernd auf ihren Schultern.
Doch Regina schüttelte den Kopf. „Eine Frau hat auch gewisse Bedürfnisse“, erwiderte sie vielsagend und machte sich auf den Rückweg durch den Garten. Bevor sie in den Lichtschein der Terrasse traten, versicherte sie sich durch einen Handgriff, dass ihre Maske saß. Sie zögerte, das magische Reich des Lustgartens zu verlassen, und küsste Ricks Lippen impulsiv und innig. „Es war wunderbar, Rick! Magisch! Ich danke dir!“
Sie wollte sich von ihm lösen, doch er hielt sie fest. „Ginny, oder Eugenia?“ Wieder schüttelte sie kaum merklich den Kopf. Sie konnte ihm keine Informationen geben. „Ginny, ich möchte dich wiedersehen.“ Er hob einen Finger an ihre Lippen, um ihre Erwiderung zu unterdrücken. „Ich reise bald nach England. Du findest mich dort …“
In diesem Moment wurde er unterbrochen, weil ein Mann mit zwei leicht bekleideten und sehr angetrunken wirkenden Nachteulen die Treppe von der Terrasse herab direkt auf sie beide zu stolperte. Rick ließ seine Liebhaberin verwirrt los, um die eine Dame davon abzuhalten, auf sie zu fallen, und Regina nutzte den Moment, um die Stufen in den Ballsaal hinaufzueilen.
Als Rick sich der Avancen der Dame, die versuchte, ihn zum Mitmachen zu animieren, endlich entledigt hatte, war seine Ginny bereits im Gewühl verschwunden. Er hatte eine Ahnung, dass er sie nicht mehr finden würde, suchte aber dennoch alle Salons der Villa ab. Wie erwartet vergeblich.
Da war etwas an ihr gewesen, das ihn fasziniert hatte. Mehr als die Anmut und Kraft, die ihn an die prämierten Vollblutstuten seiner Heimat denken ließ. Die Art, wie sie sich ihm hingegeben hatte, mit Haut und Haar, war mehr als erfüllend gewesen. Rick konnte sich nicht erinnern, wann er jemals so irrsinnig gefühlt hatte beim Sex. Und er kannte nicht mal ihren Namen! Ein Blick auf die Treppe zum Garten hin offenbarte leider auch keinen gläsernen Schuh, den er seiner Besitzerin zurückbringen könnte.
Ginny war ihm entschlüpft.
Kopfschüttelnd verließ er das Haus und nahm sich eine der wartenden Droschken, um sich in sein Logis bringen zu lassen. Einige Tage würde er hier noch brauchen, um die Geschäfte seines Bankhauses abzuwickeln, aber dann würde er sich nach London einschiffen. Und dort wartete keine leidenschaftliche brünette Schönheit, sondern die Rache auf ihn. Wahrscheinlich war es sogar besser, dass sie verschwunden war – er hätte sich von dieser Frau nur zu leicht ablenken lassen können. Die Liebe war flüchtig, wenn auch glorios, wie eine Sternschnuppe. Rache jedoch war der Sinn und die Essenz seines Lebens.
Kapitel 4
Lynfield Hall, Somerset, Ende Juni 1816
Im Sommer war das Gut ein paradiesischer Ort. Regina hatte das Herrenhaus aus der Zeit Königin Elizabeths geliebt, seit sie als kleines Mädchen das erste Mal ein paar Wochen bei Großtante Augusta zu Besuch gewesen war.
Auch damals hatten die Rosen rund um das Haus geblüht und ihren Duft verströmt. Heute am frühen Morgen glitzerten die Regentropfen der Nacht auf dem Gras und den samtweichen Blütenblättern. Regina betrat die Terrasse durch die Salontür und machte sich auf den Weg zu den Ställen. Sie wollte die kurze Regenpause nutzen. Lynfield war wahrhaftig ein Trost. Das Einzige auf der Welt, das nur ihr gehörte. Das Gut hatte sie von der alten Augusta geerbt, die der Meinung war, eine Frau müsse im Leben zwar unzählige Liebhaber haben, jedoch noch mehr ein Haus, das sie ihr Eigen nennen konnte, um glücklich zu sein.
Der Park voller Blumen, den die alte Dame so abgöttisch geliebt hatte, das ehrwürdige Haus aus Sandstein mit unzähligen Butzenfenstern und die dazugehörigen Stallungen, die Reginas liebsten Zeitvertreib darstellten, waren nun, was von ihrem Reich übrig war. All das und ein Vermögen in Wertpapieren und Firmenanteilen, da sie nun mal nichts lieber tat, als mit Finanzen zu jonglieren. Doch an Landbesitz, der einzig gültige Maßstab in Adelskreisen, war ihr nur Lynfield Hall geblieben. Aller andere Besitz war mit dem Herzogstitel von Marly an den nächsten männlichen Erben gegangen.
Lynfield war wunderschön. Auch wenn es kein Herzogtum war, sondern nur ein vergleichsweise kleines Landgut. Sie wusste, dass die wenigsten Frauen das Glück hatten, über eigenen Landbesitz zu verfügen.
Dennoch fiel es ihr schwer, sich mit ihrem neuen Leben anzufreunden. Das Gut war ein prächtig laufender Betrieb. Regina verfügte über langjährige, mit ihrer Arbeit bestens vertraute Angestellte und Bedienstete, die ihre Aufgaben reibungslos erledigten. Für die Gutsherrin selbst blieb da nicht viel zu tun übrig. Seit ihrer Rückkehr aus Paris vor zwei Wochen stromerte sie ruhelos über das schöne, aber kleine Gut. Sie hatte definitiv zu viel Zeit zum Grübeln. So auch an diesem Morgen.
Es waren deprimierende Wochen gewesen nach der Beerdigung ihres Vaters im Januar. Trotz der morgendlichen Sonnenstrahlen fröstelte Regina beim Gedanken an die pompöse Feier und die Unmengen von Gästen. Die wenigsten hatten den alten Herzog in den Jahren vor seinem Tod noch zu Gesicht bekommen. Er war zu krank gewesen. Und dennoch wäre niemand auf die Idee gekommen, dass seine unverheiratete Tochter, die überall als alte Jungfer bekannt war, die Geschicke des Herzogtums geleitet hatte. In der vorherrschenden Klasse kümmerte man sich nicht darum, wer so profane Dinge wie Arbeit erledigte. Regina hatte es geliebt, Verträge auszuhandeln, Investitionen zu tätigen und dabei alle an der Nase herumzuführen. Sie war süchtig geworden nach den geschäftlichen Erfolgen und hatte dabei übersehen, dass das Ende kommen musste. Ein Ende, das sie zwangsläufig ohne ihren Lebensinhalt zurücklassen würde. Von einem Tag auf den anderen hatte sie das Feld räumen müssen.
Während man ihr eine erst kürzlich erworbene Stute sattelte, ließ Regina ihren Blick über die Felder und Weiden schweifen. Sie müsste sich ein Ziel suchen, eine neue Aufgabe. Vielleicht hier die Zucht erweitern? Aber ob das reichen würde? Die Rassepferde von Lynfield waren bereits bekannt und man müsste sehen, ob das Gestüt noch weiter ausbaufähig war. Das Gut hatte durch die Zucht ein solides wetterunabhängiges Standbein. In diesem Jahr war das besonders wichtig, da das nasskalte Wetter zu schlechten Ernten führen würde. Im ganzen Land zeichnete sich dies ab. Ginny war froh, dass sie, im Gegensatz zu vielen anderen Landbesitzern, nicht von der Ernte abhängig war.
„Mylady! Bitte sehr.“ Der Stallknecht führte die zierliche dunkelbraune Stute heran und half Regina in den Sattel. Er war lang genug bei ihr angestellt, um zu wissen, dass Regina Mountford keinen Reitknecht als Begleitung benötigte, und wunderte sich deshalb nicht, als seine Herrin die Stute in einen einsamen Trab versetzte.
Regina sog die noch kühle Morgenluft tief ein. Langsam ritt sie über die Wiesen ihres Gutes und ihre Gedanken drifteten zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Das Begräbnis ihres Vaters. Ihr war immer klar gewesen, dass man sie als alte Jungfer ansah, aber dieses Ereignis hatte etwas in ihr aufgerissen. Viele der Trauergäste hatten sich nicht mal bemüht, ihre mitleidigen Blicke zu verstecken. Nicht wegen des Todes ihres Vaters, sondern weil man sie, als unverheiratete Frau, die nun auch nicht länger einem der einflussreichsten Haushalte des Landes vorstand – diese Ehre würde der Gattin des neuen Herzogs gebühren –, nun ja, eben bemitleidete.
Die Wut über die herablassenden Blicke der Trauergäste und das Gewisper hinter ihrem Rücken – meist noch nicht mal heimlich genug, um sie nicht teilhaben zu lassen – waren der Auslöser für ihre Flucht nach Paris gewesen. Sie hatte nur noch fliehen wollen vor diesem Leben, das sie zwang, sich und ihre Interessen ständig zu verstecken.
Jetzt noch kochte der Ärger in ihr hoch, wenn sie an die Bemerkungen dachte. „Zum Glück hat sie Landbesitz, dann nimmt sie vielleicht in ihrem Alter noch jemand“,war noch eine der freundlicheren Tuscheleien gewesen. Als wäre sie uralt mit ihren neunundzwanzig Jahren und auch ansonsten nicht hübsch und ansprechend genug, um einen Mann an sich binden zu können. Na ja, sie war nun mal keine der kichernden jungen Mädchen, die sich nur um Kleider und Frisuren oder ihr Harfenspiel kümmerten. Außerdem – wer sagte denn, dass sie das wollte? Als wäre sie ohne Ehemann wertlos. Wie demütigend!
Zum Glück waren ihre ältesten Freunde, Damien Vaugh, der Earl of Stratham mit seiner Gattin Bess und Viscount Dorring, anwesend gewesen. Ohne deren Präsenz hätte sie vermutlich irgendetwas Schreckliches, Ausfälliges getan.Völlig untypisch für sie, die sich in Gesellschaft bisher immer damenhaft und comme il faut benommen hatte. Es war schließlich Teil ihrer Tarnung gewesen, die nun allerdings nicht mehr benötigt wurde.
Die Reise nach Frankreich hatte ihr wahrhaft gutgetan und sie hatte sich nach ihrem Ausflug in die Villa Paradis viel ausgeglichener gefühlt. Wenn die Tratschliesen der High Society wüssten, was sie dort getrieben hatte! Na, dann wäre sie ihren guten Ruf vermutlich los. Es war schon gut, dass dieses Abenteuer auf ewig ihr Geheimnis bleiben würde und es würde reichen müssen, dass sie für sich gelernt hatte, dass Regina Mountford durchaus begehrenswert sein konnte. Was sie mit diesem Wissen anfangen würde, außer die Erinnerung in ihrem Herzen zu tragen, das war ihr allerdings noch nicht klar.
Außerdem musste sie zugeben, dass ihr dies bereits jetzt schon kaum noch ausreichte. Diese Nacht mit Rick hatte etwas in ihr verändert. Sie konnte nicht vergessen, welche Gefühle seine Berührungen in ihr ausgelöst hatten. Welche Bestie hatte sie in sich geweckt?
Regina beschloss, an einem derart schönen Tag nicht länger Trübsal zu blasen und konzentrierte sich stattdessen auf das neue Pferd. Sie trieb das Tier an und genoss die geschmeidigen weichen Bewegungen in verschiedenen Schrittgeschwindigkeiten. Ein wahrhaft guter Zugang für die Zucht.
„Hallooo! Ginny!“
Aus ihren Gedanken aufgeschreckt sah Regina eine Reiterin auf sie zukommen und zügelte die vielversprechende Stute.
„Bess! Wie schön dich zu sehen! Mir war gar nicht bewusst, dass ihr schon wieder auf Stratham Hall seid“, begrüßte sie überrascht die blonde Frau, die ihr entgegenritt.
Elizabeth „Bess“ Vaugh, die Gattin des Earl of Stratham, war eine der wenigen Freundinnen, die Regina hatte – wenn nicht sogar die einzige, die diese Bezeichnung verdiente. Und das auch erst seit Kurzem, seit sie sich durch ein Investment der Herzogstochter an Bess‘ Spielzeug- und Haushaltswarenfabrik kennen und schätzen gelernt hatten. Sie verfügten beide über diese ausgesprochene Leidenschaft für Geschäfte, welche die gute Gesellschaft so anstößig fand. Dass Bess vor einem halben Jahr Reginas ältesten Freund geheiratet hatte und damit nun zum Adel und ihrem engeren Kreis zählte, kam dieser Freundschaft nur zugute.
„Wir sind gestern Abend angekommen.“ Bess strahlte über das ganze Gesicht und lenkte ihr Pferd neben Lady Regina. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass diese Saison vorüber ist. Gibt es etwas Schrecklicheres, als Debütantinnen auf Bälle und Picknicks zu begleiten?“
Regina hatte jede Saison der letzten zwölf Jahre mitgemacht. Zuerst als Debütantin – später als einflussreiche Herzogstochter, die im fortgeschrittenen Alter selbst nicht mehr als Heiratskandidatin galt. Sie verstand nur zu gut, wovon die junge Gräfin sprach. „Ich beneide dich nicht, meine Liebe. Und du hattest mit deiner Schwester und deiner Schwägerin gleich zwei Mädchen zu betreuen. Wie haben die beiden sich gemacht?“ Lady Regina befand sich im Trauerjahr und war dankbar, dass sie dieses Jahr die endlose Reihe von Veranstaltungen nicht hatte besuchen müssen.
„Nun, ich würde sagen, wir können zufrieden sein. Lucy schadet mein neuer Titel sicher nicht; sie hat einige Verehrer, doch keinen, der ihr mehr bedeutet. Und du weißt ja, wie sehr ich Mitgiftjäger verabscheue, sodass einige der Herren von vornherein nicht infrage kommen. Außerdem …, ich möchte, dass sie sich Zeit lässt und eine gute Entscheidung trifft. Das Gleiche gilt für Annabell. Damiens Schwester genießt zwar durch Stand und Vermögen beste Aussichten, aber Damien und ich hoffen, dass sich ein Mann findet, der nicht nur die Grafentochter will, sondern einer, der auch ihre Narben liebt.“ Ein Schatten zog sich über Lady Strathams Gesicht bei der Erwähnung von Annabells Brandnarben.
Regina drückte verständnisvoll die Hand ihrer Freundin. „Es ist nicht leicht, eine mit Makel behaftete Debütantin zu sein. Mir ging es ähnlich. Zu dünn, zu groß, aber Stand und Titel machen das schon wett. Auch ich wollte nicht nur ein Gesamtpaket für die Ehe sein, wo die Vorteile, beziehungsweise die Mitgift, überwiegen und welches dadurch akzeptables Heiratsmaterial wird.“
„Du hattest Probleme als Debütantin? Ich dachte immer, du hättest einfach kein Interesse gehabt“, warf Bess ein.
„Jedes achtzehnjährige Mädchen hat ein Interesse an solchen Dingen! Sag nicht, du hättest vor Damien wirklich nie einen Gedanken an die Liebe verschwendet“, erwiderte Regina.
Sie fuhr fort, als sie Bess betretene Miene sah. „Ich wollte meinetwegen geliebt werden, nicht wegen meines Vaters oder meines Vermögens und so habe ich aus der Not eine Tugend gemacht. Ich bin bekannt als Lady Regina mit den schrecklichen Kleidern, eiserne Jungfrau und Rückgrat der guten Gesellschaft. So konnte ich meiner Neigung nachgeben und aus dem Hintergrund das Herzogtum verwalten. Mit einem Ehemann und Kindern wäre dies unmöglich gewesen.“ Ihr Tonfall war fatalistisch geworden.
Bess akzeptierte diese Erklärung und eine Weile ritten sie schweigend weiter. Als sie schließlich an einer Anhöhe anhielten, von der man einen wunderbaren Ausblick über die Hügel bis nach Lynfield Hall hatte, räusperte sich die junge Gräfin.
„Ginny, ich weiß nicht, wie ich das taktvoll ansprechen soll, also mache ich es direkt. Was wirst du nun machen, jetzt wo du das Herzogtum verloren hast? Bitte sei mir nicht böse, aber ich mache mir Sorgen, gerade weil ich so gut verstehen kann, wie furchtbar es für dich sein musste, all deine bisherige Arbeit aufzugeben.“
Lady Regina zeigte keine Regung. Nach einem Moment, der ewig wirkte, schüttelte sie den Kopf und sah Bess an. Ihr Blick war weniger verzweifelt als wütend.
„Ich sollte nicht unzufrieden sein mit meiner Lage. Mir ist durchaus bewusst, dass ich immer noch besser dastehe als der Großteil der Frauen in diesem Land. Ich hatte Jahre, um mich darauf vorzubereiten und doch bin ich so furchtbar wütend, dass die Geschicke der Güter, auf denen ich meine Jugend verbracht habe, die Leben der Pächter, um die ich mich gekümmert habe und für deren Prosperieren ich Sorge trug, nun so einfach in andere Hände gelegt wurden, ohne dass man auch nur einen Gedanken daran verschwendet, wer diese Aufgaben bisher übernommen hatte. Lediglich weil ich eine Frau bin!“ Reginas Hände umklammerten die Zügel, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten.
„Und manchmal frage ich mich, ob das alles nicht ein großer Fehler gewesen ist. Vielleicht hätte ich mich mehr darum sorgen sollen, attraktiv zu sein und eine gute Ehe einzugehen, statt stur meine persönlichen Interessen zu verfolgen? Denn, wie du siehst, bin ich nicht weiter als Lucy und Annabell. Außer dass ich im Herbst dreißig Jahre zählen werde. Ich bin lediglich eine Frau mit gutem Stammbaum und einer ordentlichen Mitgift. Hätte ich mir die letzten Jahre Arbeit sparen sollen? Vielleicht hätte ich dann jetzt Kinder …, aber Bess, ich kann nicht aus meiner Haut! Ich kann es nicht!“ Zitternd vor Wut und unterdrückten Gefühlen beendete Regina diese emotionale Rede
„Nein, du wärst nicht du selbst ohne die Geschäfte, die du gelenkt hast. Es ist nur allzu verständlich, wie sehr dich die ganze Situation mitnimmt. Ich denke, dass du lediglich ein neues Projekt brauchst“, sprach Bess Reginas Gedanken von vorhin aus. „Du könntest neue Geschäftsfelder erschließen. Damien und ich setzen große Hoffnung auf dampfbetriebene Eisenbahnen. Oder du könntest noch mehr verreisen. Wie war denn dein Urlaub in Frankreich?“, erkundigte sich die Countess.
„Oh, Paris! Paris war … schön.“
„Schön? Das ist alles?“
„Ich habe mich neu eingekleidet!“
„Ja, die neue Frisur steht dir deutlich besser, meine Liebe. Aber du bist doch keine Person, die sich nur bei der Modistin und dem Friseur herumtreibt, wenn es so viel zu entdecken gibt! Ich verstehe ja, dass du im Trauerjahr bist, aber hast du denn gar nichts erlebt?“ Bess beobachtete verwirrt, wie sich eine leichte Röte über das ansonsten so selbstsichere Antlitz ihrer Freundin zog. „Regina Mountford! Hast du jemanden kennengelernt?“
„Ich, ähm, ja, aber ich kann dir nichts erzählen und es gibt auch gar nichts zu erzählen, da ich den Gentleman nie wiedersehen werde.“ Regina blickte zur Seite, damit Bess nicht erkannte, wie sehr diese Sache sie aufwühlte.
„Das dachte ich bei Damien auch, und dann ist der vermaledeite Kerl immer gerade da aufgetaucht, wo ich nicht mit ihm gerechnet habe. Wie ist er so, dein Galan?“
„Bitte, Bess, du verstehst das falsch. Es war eine einmalige Sache.“ Reginas braune Augen sahen Bess nun ernsthaft und eindringlich an. Sie wusste, dass Bess sie nicht verurteilen würde, aber sie wollte auch nicht weiter über ihre Erlebnisse, diesen privaten Moment sprechen. Die Nacht mit Rick war alles, was sie derzeit vor einem Zusammenbruch bewahrte. Die Gefühle, die er in ihr geweckt hatte, waren so stark in sie eingebrannt, dass sie sie jederzeit, wenn die Trübsal und die Langeweile sie zu übermannen drohten, hervorholen konnte, um ihrem Bewusstsein wieder Leben einzuhauchen.
„Gut. Wie du meinst. Aber ich bin auch gar nicht gekommen, um dich auszufragen, sondern um dich für morgen zum Dinner einzuladen“, gab Bess schließlich nach.
Regina freute sich ehrlich. „Ich komme selbstverständlich gerne.“
Die beiden Frauen schickten sich an, jede zu sich nach Hause zu reiten, da drehte sich Regina noch mal um und rief: „Bess?“
„Ja?“
„Danke! Ich weiß deine Freundschaft zu schätzen.“
Die Angesprochene winkte fröhlich zurück.
Kapitel 5
„Ginny!“
Lord Stratham stand mit offenem Mund vor ihr, und den anderen Gästen, die sich im Salon von Stratham Abbey versammelt hatten, ging es nicht anders.
Sie zog die Augenbrauen hoch und machte einen vollendeten Knicks vor ihrem Gastgeber. Die silbergraue Seide ihres Kleides raschelte und Regina genoss die Verwirrung, die ihr Anblick anscheinend stiftete.
Schließlich erlöste sie ihren Gastgeber, indem sie seinen Ellbogen ergriff und mit ihm weiter in den Raum trat. „Du solltest mich nicht so anstarren, Damien, sonst wird meine beste Freundin noch böse auf mich.“
Diese hatte sich lächelnd erhoben und gratulierte Regina zu ihrem Aussehen. „Liebste Ginny, lass sehen, was du in Paris erworben hast! Du siehst hervorragend aus.“ Bess würde kein Wort darüber verlieren, dass Regina nicht mehr volle Trauerkleidung trug. Die Countess war viel zu unkonventionell, um sich um solche Dinge zu kümmern. Wer außer ätherischen Blondinen sah in strengen schwarzen Kleidern schon gut aus? Und Regina hatte sich so lange Zeit hinter Rüschen, Schleifchen und Kringellöckchen versteckt, dass es eine wahre Freude war, sie so zu sehen, wie es zu ihrem Wesen passte.
Statt der Locken – die einzudrehen eine schreckliche Prozedur war – hatte die Herzogstochter ihr langes braunes Haar im Nacken zu einem kunstvollen Knoten geformt, in welchem mit Rubinen geschmückte Haarnadeln steckten. Das Kleid war sehr schlicht geschnitten und betonte die schlanke, hochgewachsene Figur, ohne Regina burschikos wirken zu lassen. Im Gegenteil, sie wirkte elegant und selbstsicher.
Lady Regina war sich nicht sicher gewesen, wie ihr verändertes Aussehen aufgenommen würde, wo sie doch eigentlich noch Trauer tragen sollte. Aber sie konnte es beim besten Willen nicht über sich bringen, die hässlichen schwarzen Kleider mit ihren schweren Lagen Stoff, Spitzenapplikationen und Rüschenborten anzuziehen. All das war Teil der alten, nach außen angepassten Regina, die seit Paris nicht mehr existierte.