Was kostet die Liebe? - Felicity D'Or - E-Book

Was kostet die Liebe? E-Book

Felicity D'Or

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Beschreibung

England 1815: Elizabeth „Bess“ Berwin versucht mit allen Mitteln das Geschäft, das sie von ihrem Vater geerbt hat, weiterzuführen. Doch schlägt ihr als Frau Feindseligkeit entgegen. Bess sieht ihre letzte Chance in London und bricht mit ihrer Schwester dorthin auf. Als sie wiederholt auf einen gutaussehenden Aristokraten trifft, der die sonst so pragmatische Frau gehörig durcheinander bringt, muss sie nicht nur ihr Geschäft, sondern auch ihr Herz retten. Doch zu welchem Preis? Nach Jahren im diplomatischen Dienst in eine marode Grafschaft zurückgekehrt, hat Damien Vaugh, Earl of Stratham, alle Hände voll zu tun sich in die Aufgaben eines Earls und Familienoberhauptes einzuarbeiten. Der Auftrag ein Kriegsverbrechen aufzuklären kommt ungelegen, doch noch mehr bringt ihn die Bekanntschaft mit der schönen Bess durcheinander. Welche Rolle spielt sie in dem Waffenskandal und welche Rolle kann sie in seinem Leben spielen? Ein sinnliches Abenteuer im Regency – England

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Was kostet die Liebe?

 

Enterprising Ladies 1

 

Felicity D‘Or

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2018 Felicity D‘Or 2. Auflage 2020

Veronika Prankl Auenstraße 201 85354 [email protected]

 

Alle Rechte vorbehalten.

Bildmaterial: 22139945_282873408885463_98066643_o (Datei der Autorin) shutterstock_454545688 (www.shutterstock.com)

Covergestaltung: Sabrina Baur „Sophia Silver Coverdesign” (www.sophiasilver.jimdo.com)

Korrektorat: Sabine Klug

 

Sämtliche Texte und das Cover dieses Buches sind urheberrechtlich geschützt. Eine Nutzung oder Weitergabe ohne Genehmigung des jeweiligen Urhebers oder Rechteinhabers ist nicht zulässig und daher strafbar.

 

 

DANKSAGUNG

 

 

Zuallererst geht ein riesiges Dankeschön an die lieben Menschen, die dieses verrückte Projekt mit so viel positiver Motivation begleitet haben: an meine Testleserinnen Antje und Vera für ihr ehrliches Feedback und ihre mentale Unterstützung sowie an Cordula, deren Anmerkungen mir dort weiterhelfen, wo mir selbst nichts mehr einfällt, und die dafür sorgt, dass meine Charaktere wissen, wo sie stehen. Mein ganz besonderer Dank richtet sich an Florian, der mein Buch großartig fand, schon bevor er es gelesen hatte, und der immer da war, wenn es darum ging, mein Lampenfieber vor der Veröffentlichung weg zu lachen.

Nicht zuletzt bedanke ich mich bei jedem einzelnen Leser, der diese Geschichte bis hierher verfolgt hat. Ich hoffe, Ihr habt damit eine schöne Auszeit genossen, und würde mich freuen, wenn Ihr „Was kostet die Liebe?“ auf den gängigen Portalen bewertet. Als Indie-Autorin bin ich auf Euer Feedback angewiesen und weiß es zu schätzen, wenn Ihr mir Bewertungen schenkt!

Gerne könnt Ihr mich über Facebook kontaktieren oder felicitydor.books auf Instagram folgen, um Neues von mir zu erfahren.

 

 

 

 

Was kostet die Liebe?

 

Enterprising Ladies 1

 

 

 

 

 

Kapitel 1

 

 

12. November 1815

 

Nach einigen milden Tagen voller warmer Sonnenstrahlen, die sich auf den letzten goldenen Blättern brachen, meldete sich der Winter ohne Vorankündigung und fegte mit klirrender Kälte über das Land.

Der Blick aus dem Fenster der Kutsche ließ Bess aus Gedanken hochschrecken. Dunkle Wolken türmten sich am Horizont und aus dem böigen Herbstwind schien ein ausgewachsener Sturm zu werden. Sie klopfte an die Vorderwand, um anzuhalten, und kurz darauf öffnete der Kutscher die Tür. Eine eisige Bö blies Bess beinahe die Haube vom Kopf.

„Das Wetter scheint umzuschlagen, Mullins. Denken Sie, wir schaffen es noch rechtzeitig vor dem Sturm anzukommen?“, rief sie in die Kälte.

„Solange es nicht anfängt zu schneien, sollten wir zum Dinner zurück in Amberling House sein, Madam! Die Pferde sind noch munter und es sind keine sechs Meilen mehr“, erwiderte der alte Kutscher.

„Gut, dann lasst uns nicht zögern. Meine Schwester wartet sicher schon.“ Bess schloss die Tür und kuschelte sich tiefer in ihren pelzgefütterten Umhang. Obwohl die junge Frau dankbar war um die komfortable Kutsche, konnte sie es nicht erwarten, in ihr modernes, warmes Zuhause zu kommen. Mit der geöffneten Tür war es kalt geworden in dem Gefährt, doch mehr noch als die gefallenen Temperaturen ließen sie die Erlebnisse des Nachmittags erzittern. In diesem Moment hätte sie nicht erklären können, ob es die plötzliche Kälte oder ihre Wut über Mr Eames und seinesgleichen war, die ihr Schauer über den Rücken jagte.

„Ach wär ich nur ein Mann!“, rief Bess frustriert.

„Nun sind Sie aber eine Dame, Miss, und daran lässt sich nichts ändern“, erwiderte Bess’ Zofe Gwen, die ihr gegenüber saß. Die treue Dienstbotin kannte Bess schon ihr ganzes Leben lang. Sie war mehr eine Vertraute als eine Angestellte. Auch wenn Gwen mitunter zu impertinentem Verhalten ihrer Herrin gegenüber neigte, was eine andere als Miss Berwin wahrscheinlich nicht tolerieren würde, so schätzte Bess doch insgeheim die praktische Natur und die trockene Art ihrer alten Gwen.

„Wär ich ein Mann, könnte ich diesen anmaßenden Schuft zum Duell fordern oder ihm zumindest ein blaues Auge verpassen!“, setzte sie daher nach, anstelle Gwen für ihr Verhalten zu schelten.

„Wären Sie ein Mann, dann würde der Kerl gar nicht erst frech werden, Miss“, entgegnete Gwen.

„Du hast ja recht“, gab Bess resigniert zu, „das führt zu nichts. Aber ich hasse es, mich so ohnmächtig zu fühlen. Dieser Nachmittag gehört zu den schrecklichsten meines Lebens. Was soll ich jetzt nur machen? Ohne das Londoner Projekt wird es sehr schwer, Gwen.“

Frustriert seufzte sie auf und steckte ihre kalten Hände in den Muff. Sie hatte solche Hoffnungen in die Unterredung mit dem Geschäftspartner ihres verstorbenen Vaters gesetzt. Doch nun sah alles völlig anders aus.

 

Hugo Eames, ein Geschäftspartner von George Berwin, hatte die Tochter dessen sehr höflich, wenn auch erstaunt, empfangen. Obwohl ihr seliger Vater regen Handel mit Eames betrieben hatte, hatte Bess selbst, seit sie die Geschäfte offiziell übernommen hatte, wenig mit diesem Herrn zu tun gehabt.

Bess war in das Kontor geführt worden, von welchem aus Eames sein Unternehmen, das mit Stahl und militärischen Gütern handelte, führte. Es war ein großes Haus in Birmingham und als solches dem Gebäude, das Berwin & Sons dort besaß, nicht unähnlich. Zwar lebte die Familie Berwin schon seit Jahren außerhalb auf ihrem Gut Amberling, doch Bess kümmerte sich selbst um alle Belange und war daher auch oft in der Fabrik in der Stadt. Eames suchte sie allerdings zum ersten Mal direkt auf, da dieser in den letzten Monaten auf keinen Schriftverkehr reagiert hatte.

Das dunkle mehrstöckige Haus von Eames Cie. grenzte direkt an die Gießerei des Unternehmens an und wirkte ziemlich ungepflegt.

Die Geschäftsräume, durch welche man sie geführt hatte, waren düster und staubig. Niemand der Angestellten sprach und das einzige Geräusch war das Kratzen von Federn auf Papier. Bess sah sich erstaunt um und verglich diese grauen unkomfortablen Räumlichkeiten im Geiste mit den fröhlich vor Geschäftigkeit summenden Werkstätten und Büros ihrer eigenen Häuser.

Eames hatte Bess und Gwen, die man als Anstandsdame gelten lassen konnte, in einen kleinen getäfelten Empfangssalon führen lassen, dessen Möbel lediglich als zweckmäßig gelten konnten, in welchem jedoch zum Glück ein Feuer im Kamin brannte.

„Miss Berwin, wie schön, Sie zu sehen. Bitte setzen Sie sich.“

Mit einer knappen Geste hatte er den Butler um Tee und Erfrischungen gesandt und sich dann Bess zugewandt.

„Wie geht es Ihnen, Mr Eames?“, hatte Bess sich höflich erkundigt, worauf Eames sie angelächelt hatte, sodass sein Goldzahn sichtbar wurde. Dieser Zahn hatte Bess schon immer irritiert.

Hugo Eames war ein mittelalter Herr von mittlerer Statur und von seinem mittelbraunen Haar war nur noch wenig übrig. Der Eindruck der Durchschnittlichkeit verschwand allerdings, sobald man dieses goldzahnige Lächeln sah. So sehr sie sich wegen ihrer Vorurteile auch schalt, konnte sie sich eines unangenehmen Gefühls beim Anblick des glänzenden Eckzahnes doch nie erwehren.

Nervös strich sie den Rock ihres dunkelblauen Kleides glatt. Sie trug immer dunkelblaue, hochgeschlossene Kleider, wenn sie arbeitete. Na gut, eigentlich auch, wenn sie nicht arbeitete, da dies so selten war, dass sie es nicht der Mühe befand, sich dafür andere Kleider nähen zu lassen. Trotz der einfachen Schnitte achtete Bess jedoch auf hervorragende Qualität und sie war sich der schlichten Eleganz ihrer Person bewusst.

„Vielen Dank, Miss Berwin, ich erfreue mich bester Gesundheit, wenn ich auch gestehen muss, dass mir gerade im Winter oft ein häuslicher, guter Geist fehlt.“

Erstaunt hatte Bess aufgesehen. Hugo Eames machte nun wirklich keinen sehr häuslichen Eindruck und sie hatte an sich halten müssen, um nicht undamenhaft zu schnauben. Wenngleich sie auch zustimmen würde, dass dem Haus und der dunklen, zweckmäßigen Einrichtung ein femininer Touch sicher guttun würde. Aber was ging das sie an?

„Miss Berwin, darf ich Sie bitten, den Tee zu gießen?“, war Eames Stimme in ihre Gedanken gedrungen.

„Selbstverständlich, gerne“, hatte Bess zerstreut geantwortet und mechanisch Tee und Milch in die Tassen gegossen, während sie überlegte, wie sie den Anlass ihres Besuches am besten ansprechen sollte.

„Sir, bitte verzeihen Sie, ich möchte gerne etwas mit Ihnen besprechen, da ich fürchte, dass ein Missverständnis vorliegt.“ Mit fester Stimme hatte sie angesetzt ihr Anliegen vorzutragen.

Eames hatte lediglich seine Augenbrauen fragend hochgezogen. „Ist dem so? Es wäre natürlich höchst ungalant, ein Missverständnis mit einer so hübschen Dame nicht zu klären. Worum handelt es sich denn?“ Seine Worte waren freundlich, beinahe zu freundlich, und Bess war unter seinem kalten Blick unbehaglich zumute geworden.

Sie hatte ihren Rücken durchgestreckt und tief Atem geholt.

„Nun, Mr Enderby – wie Sie wissen, ist er mein Sekretär – hat Ihr Unternehmen mehrfach darauf hingewiesen, dass wir die, mit meinem Vater vereinbarte, Zusammenarbeit von Berwin & Sons und Eames Cie. in Bezug auf eine Stärkung unserer Position im Londoner Markt in diesem Jahr nun unbedingt angehen sollten!“, hatte sie ausgeführt. Das war ihr Metier, mit geschäftlichen Dingen kam sie deutlich besser klar als mit den gesellschaftlichen Belanglosigkeiten, welche die gute Erziehung vorschrieb.

Eames lehnte in seinem Sessel und verzog keine Miene. Sie hatte versucht, sich nicht vom Raubtiergebiss ihres Gegenübers ablenken zu lassen, und war fortgefahren: „Leider wurde Mr Enderby abgewiesen und man hat ihm mitgeteilt, dass eine Partnerschaft mit meinem Unternehmen unerwünscht sei beim Aufbau einer Londoner Niederlassung. Daher, Mr Eames, möchte ich Sie bitten, dies aufzuklären und mir mitzuteilen, wann wir die Unternehmung beginnen können. Ich denke, man sollte noch vor dem Sommer …“

„Nicht so hastig, meine liebe Miss Berwin“, hatte Eames sie unterbrochen und sich erhoben. An den Kaminsims lehnend hatte er sie mit seinem Wolfslächeln angegrinst

„Es tut mir leid, Sie zu enttäuschen, und ich hatte eigentlich gehofft, dass Ihnen bewusst wäre, wie die Situation ist. Das hätte uns beiden diese peinliche Unterredung erspart.“

„Was meinen Sie? Welche Situation?“ Bess war verwirrt.

„Nun, es handelt sich hier mitnichten um ein Missverständnis“, hatte der Geschäftsmann kühl festgestellt und dabei mit der Kette seiner goldenen Taschenuhr gespielt.

„Nein, das kann nicht sein!“, hatte Bess verzweifelt gedacht und entrüstet gerufen: „Wir haben eine Vereinbarung!“

„Nein, meine Liebe, die haben wir nicht! Ihr Vater war ein geschätzter Geschäftsmann in Birmingham, und ich denke, ich kann für alle seine Partner sprechen, doch die Dinge haben sich geändert“, hatte Eames seelenruhig entgegnet.

Bess war aufgesprungen und der Teetisch war gefährlich ins Wanken gekommen, aber was kümmerte das sie, wenn das wichtigste Projekt ihres Lebens als Eigentümerin von Berwin & Sons zu scheitern drohte? „Sie hatten eine Vereinbarung mit ihm getroffen, eine gemeinsame Londoner Niederlassung aufzubauen. Und wir haben uns darauf verlassen!“, hatte Bess sich gezwungen, scheinbar ruhig zu entgegnen. „Was sind Sie nur für ein Mensch, der sein gegebenes Wort bricht?“

Eames war einen Schritt auf sie zugekommen und Bess hatte alle Kraft aufbieten müssen, um nicht zu explodieren. Papa hatte ihr immer wieder eingetrichtert, wie wichtig es war, sich bei geschäftlichen Dingen keine Gefühle anmerken zu lassen. Das kam ihr jetzt sehr gut zupass.

Eames hatte sie durchdringend angestarrt und nach einer kurzen Pause schließlich geantwortet: „Ich hatte eine Vereinbarung mit einem Geschäftsmann namens Berwin bezüglich eines Unternehmens namens Berwin & Sons. Dieser Mann lebt nicht mehr und ich kenne keinen anderen ‚Mister‘ Berwin, der sein Sohn ist und die Geschäfte betreibt. Daher ist nichtig, was abgemacht wurde.“

„Aber Sie wissen, dass mein Vater die Firma mir vermacht hat, und er hat mir vertraut, in seinem Sinne zu arbeiten. Ich verlange, dass Sie Ihr Wort halten!“, hatte Bess versucht, ihre Position zu bekräftigen.

„Sie können gar nichts von mir verlangen, mein Täubchen.“ Eames Ton war von freundlich auf verächtlich und spottend übergegangen.

„Für Sie immer noch Miss Berwin“, fuhr sie ihn an.

„… mein Täubchen. Ihr Vater war offensichtlich nicht bei Sinnen, als er sein Lebenswerk Ihnen übergab, anstelle bis zu Ihrer Heirat einen Treuhandverwalter einzusetzen. Und was mein Wort betrifft, das Sie einfach zu verleumden wagen“, fuhr er mit einem bedrohlichen Unterton fort, ,,Ich gab es einem Geschäftsmann und nicht einer unverschämten Miss, der ihr Vater zu viele Freiheiten gegeben hat!“ Eames strahlte nichts als Feindseligkeit aus.

Bess hatte vor Zorn gebebt, sich umgedreht und war zur Tür gegangen.

Die Hand an der Klinke, hatte sie sich noch einmal umgesehen. „Mr Eames, ich bin nicht auf Sie angewiesen. Jeder tüchtige Händler in Birmingham wird sich freuen, mit Berwin & Sons zu arbeiten!“, entgegnete sie scheinbar ungerührt, obwohl es in ihr brodelte wie im Fegefeuer.

„Täuschen Sie sich da mal nicht, mein Täubchen“, hatte Eames sie angegrinst. Jeglicher Respekt war aus seinem Verhalten gewichen.

„Was soll das bedeuten?“, hatte Bess gerufen und ihre Fassade von kühler Zurückhaltung hatte sich in Luft aufgelöst.

„Das, meine Liebe, bedeutet, dass jedermann weiß, dass Frauen nicht fürs Geschäftliche taugen und kein kluger Mann wird seine Existenz mit einem von einem unverheirateten Weibsbild geführten Betrieb verbinden.“

„Sie sind lächerlich! Berwin & Sons hat unter meiner Führung prosperiert!“ Bess hatte ihre Worte dem Widerling förmlich entgegengeschleudert.

„Aber um in London zu reüssieren, benötigen Sie einen Partner und keiner der seriösen Geschäftsleute wird es schätzen, wenn öffentlich bekannt wird, dass er sein Geld und seine Unternehmungen mit denen einer Frau verbindet. Wo kämen wir da hin? Wenn Frauen Unternehmen führen, dann können wir sie ja gleich ins House of Lords senden oder, besser noch, Priester werden lassen!“, rief er höhnisch.

Bess war durchaus klar, dass viele Leute eine ähnliche Meinung über arbeitende Frauen hatten, doch hatte sie immer geglaubt, ihr Reichtum und der Erfolg von Berwin & Sons würden die Skeptiker überzeugen. Da sie den Schritt nach London nur mit Unterstützung durch einen Partner mit Verbindungen schaffen konnte, war dies wirklich ein Schlag ins Gesicht. Dieser elende Widerling. Bess hatte sich einfach nicht mehr beherrschen können.

„Sie brechen ihr Wort und beleidigen meine Arbeit? Sie sind kein Gentleman, Mr Eames. Und von Frauen verstehen Sie nichts! Kein Wunder, dass Sie hier alleine sitzen und keine Sie heiraten möchte!“

Wütend packte der Händler sie am Handgelenk. Grundgütiger, nun war sie doch zu weit gegangen. Einen kurzen Moment hatte Bess sogar gedacht, der Kerl würde zuschlagen.

„Ich werde diese Frechheit ignorieren, Miss Berwin“, hatte er mit unterdrückter Stimme gedroht, „da eine Frau nicht satisfaktionsfähig ist. Und als Zeichen meines guten Willens erkläre ich mich bereit, Ihnen Berwin & Sons abzukaufen. Sie werden untergehen und daher rate ich Ihnen, jetzt zu verkaufen, solange Ihre Fabrik noch etwas wert ist.“

Bess war so geschockt gewesen von der Wendung, die das Gespräch genommen hatte, dass sie für einen kurzen Augenblick sprachlos war.

Als sie wieder frei atmen konnte, hatte sie klargestellt: „Ich werde das Vermächtnis meines Vaters niemals verkaufen!“, sich losgerissen und die Tür geöffnet. „Sie, Sie sind ja verrückt! Ich werde Ihnen beweisen, dass ich es schaffe, und ich werde erfolgreicher sein als Sie!“, hatte sie Eames angezischt, im Vorbeigehen ihr Retikül und den Mantel, den der Butler bereithielt, genommen und nach der Zofe deutend das Haus verlassen. „Komm, Gwen, hier sind wir fertig!“

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 2

 

 

Es war dunkel, als die Kutsche durch das Tor von Amberling fuhr, doch im Haus brannte Licht und Bess wusste, dass sie in den modernen, behaglichen Räumlichkeiten ein heißes Bad erwarten würde. Beim Anblick ihres Zuhauses musste sie immer an ihren Vater denken. Amberling war ein heruntergekommenes Gut gewesen, gezeichnet von Nachlässigkeit und Desinteresse seiner Bewohner, als George Berwin es vor fünf Jahren erworben hatte. Der Fabrikant war zwar vor allem an der idealen Lage der Ländereien für sein Stahlwerk und die dazugehörigen Fabriken interessiert gewesen, aber er hatte bei der Besichtigung des Gutes auf den ersten Blick erkannt, dass dies der perfekte Ort für seine Familie wäre. Das Gebäude war vom industriellen Teil der Besitzung aus nicht zu sehen, da es ein Stück vom Kanal entfernt lag und durch einen Wald von den am Wasser gelegenen Produktionsstätten getrennt wurde.

Das dreistöckige Gebäude mit den großen Fenstern war stattlich genug, um möglichen Besuchern den Wohlstand seiner Besitzer aufzuzeigen, jedoch nicht groß genug, um protzig zu wirken. Selbst in dem damals desolaten Zustand des Gebäudes hatte sich Berwin nicht dem Zauber des Hauses mit seiner klaren architektonischen Linienführung und den efeuberankten Wänden entziehen können. Die Auffahrt führte an alten Bäumen und den Ställen vorbei und bot bei Tageslicht einen freundlichen und gepflegten Anblick.

Wann immer Bess diesen Weg entlangblickte, wurde sie von Stolz und Liebe erfüllt.

Um das Geschäft vom Privaten zu trennen, hatte man neben dem Haupthaus einen Flügel so umgebaut, dass dieser durch einen separaten Eingang von der anderen Seite der Straße erreicht werden konnte. Dies hatte dem alten Berwin ermöglicht, in ein und demselben Gebäude seine Geschäfte zu führen und sich um seine Töchter zu kümmern, ohne dass beide Teile seines Lebens sich hätten kreuzen müssen. Das alte Wohnhaus der Familie in der Stadt wurde zu Wohnungen für die Arbeiter umgebaut, die dankbar dieses Angebot annahmen.

„Ach ja, Papa war ein guter Mensch gewesen“, dachte Bess, und sie war sehr stolz auf das, was er erreicht hatte, und fühlte sich seinen Zielen ebenso verpflichtet.

Sie wusste sehr wohl, dass es ihrem Vater lieber gewesen wäre, sie hätte einen respektablen Händler oder einen Gutsbesitzer geheiratet. Zugegeben, vieles wäre einfacher in ihrem Leben. Doch sie konnte sich nicht vorstellen, womit sie ihre Tage verbringen sollte, wenn es für sie keine Pläne zu machen, Mitarbeiter zu betreuen und Bücher zu prüfen gäbe. Sticken und Blumen arrangieren? Über die neueste Mode zu diskutieren oder klatschend und tratschend mit der Frau des Vikars Tee zu trinken, war für Bess eine Vorstufe der Hölle.

Mal ganz davon abgesehen hatte sie bisher in ihren vierundzwanzig Lebensjahren keinen Mann getroffen, dessen Antrag sie gereizt hätte. Es hatte wohl einige Kaufmannssöhne gegeben, sogar der dritte Sohn eines Viscounts war unter ihren Verehrern gewesen, doch alle diese Herren zeigten sich mehr an Bess’ Vermögen interessiert als an ihr.

Bess wies sie alle ab und nur allzu bald hatte sie den Ruf eines undamenhaften Blaustrumpfes und einer Harpyie erworben. Auch gut, sagte sie sich, nun wurde sie wenigstens in Frieden gelassen. Eine Liebe, wie es ihre Eltern erlebt hatten, war wohl sowieso nur den wenigsten Menschen vergönnt und für weniger würde sie nicht heiraten.

Der alte Berwin war ein kluger Mann gewesen, der Bess’ Sinn für das Geschäftliche schätzte und verstand, dass ihre unabhängige Natur und selbstständige Persönlichkeit sich nicht einfach dem Willen eines Gatten unterordnen würden. Als er im Krankenbett lag, hatte er getan, was er konnte, um Bess größtmögliche Freiheit mit ihrem Erbe zu geben. In Ermangelung männlicher Nachkommen oder Verwandter hatte Bess nicht nur Berwin & Sons mit den dazugehörigen Fabriken, Aktienpaketen und Ländereien geerbt, sondern auch die Verantwortung für die vielen Mitarbeiter und natürlich, was am schwersten wog, für ihre Schwester Lucy.

Während die Ereignisse des Nachmittags und die Auswirkungen davon auf den Erfolg der Berwin’schen Unternehmungen sie beschäftigten, hatte Bess den bevorstehenden Abend mit ihrer Schwester erfolgreich verdrängt.

 

Kaum hatten sie das Haus betreten, sah Bess ihre Hoffnungen auf ein heißes Bad schwinden. Lucy hatte wohl auf die Kutsche gewartet und kam in die Halle gestürmt. Selbst wütend war das achtzehnjährige Mädchen eine Schönheit. Die blonden Locken umrahmten ihr Puppengesicht und die hellblauen Augen blitzten.

Während Bess sich nichts aus Mode machte, verfügte Lucy über ein schier unerschöpfliches Wissen auf diesem Gebiet und war, wie immer, perfekt gekleidet. Da sie die letzten Jahre ein Seminar für junge Damen in Bath besucht hatte, bestand sie selbst zu Hause darauf, die Regeln der guten Gesellschaft zu befolgen, und hatte sich bereits für das Abendessen umgekleidet. Das Kleid aus weißem Musselin hatte eine hoch angesetzte Taille, die mit einem hellblauen Band abgesetzt war und ihre Augenfarbe perfekt zur Geltung brachte. Ein bestickter Schal hing lose um ihre perfekte Figur.

„Kein Wunder“, dachte Bess, „dass jeder Mitgiftjäger zwischen Bath und Birmingham hinter ihr her ist.“ Stände sie in der Pflicht, Geld zu heiraten, würde sie wohl auch dasjenige bevorzugen, welches mit einem hübschen Gesicht käme.

„Du hättest mich ruhig mitnehmen können nach Birmingham!“, schmollte die Jüngere vorwurfsvoll. „Du weißt, dass ich mich hier zu Tode langweile, und ich finde es sehr niederträchtig, dass du allein den Spaß haben sollst.“

„Guten Abend, Lucy. Du siehst sehr hübsch aus, aber ich persönlich finde den Schmollmund nicht besonders anziehend.“

Erschöpft legte Bess Haube, Pelisse und Handschuhe ab und drückte sie dem Butler in die Hand. „Ich war geschäftlich in der Stadt und die Fahrt in dieser Kälte hätte dir wohl kaum Freude gemacht.“

„Es wäre sicher interessanter gewesen, als mit Mrs Quigley im Salon zu sitzen und Kissenbezüge zu besticken!“, erwiderte Lucy mit einem so tragischen Gesichtsausdruck, dass Bess ihre Anspannung schwinden fühlte und sich ein verständnisvolles Lächeln auf ihre Lippen stahl.

„Kissenbezüge, sagst Du? Du hast mein ehrliches Mitgefühl, liebste Schwester, doch jetzt brauche ich ein heißes Bad.“ Sie wandte sich der elegant geschwungenen Treppe zu und hoffte, dass Lucy ihre Verabredung vergessen hatte.

„Bessie! Im Speisezimmer ist gedeckt und das Dinner wird in einer halben Stunde aufgetragen. Du hast mir versprochen, heute mit mir zu speisen statt in deinem Studierzimmer. Bitte, Bessie.“ Lucy legte all ihre Einsamkeit und Verzweiflung ob des simplen Lebensstils ihrer Schwester in diesen Blick. Es würde wohl heute nichts nützen und Bess konnte nun wirklich keinen Streit mit ihrer Schwester gebrauchen.

„Also gut. Ich werde mich umkleiden und pünktlich da sein!“, seufzte sie. „Reece, schicken Sie bitte Gwen zu mir“, wies sie den Butler an.

 

Obwohl nur drei Personen an dem langen Tisch saßen, hatte Lucy es geschafft, das Speisezimmer behaglich wirken zu lassen. Während Lucy in Bath lebte, hatte Bess diesen Raum nie genutzt. Ohne Vater alleine am Tisch zu sitzen, kam ihr wie Verschwendung von Zeit und Kraft ihrer Bediensteten vor. Und wer speiste schon gerne alleine an einer Tafel für sechzehn Personen?

Heute Abend, mit einem prasselnden Feuer im Kamin am elegant gedeckten Tisch sitzend, spürte sie allerdings ein leises Gefühl des Verlustes in ihr. Als ob etwas in ihrem Leben fehlte. Aber natürlich, sagte sie sich insgeheim, ihr geliebter Papa. In diesem Raum setzte ihr seine Abwesenheit am meisten zu. Hatten sie doch viele Abende hier gesessen und diskutiert, wie man die Produktion verbessern konnte, welche Mitarbeiter in Nöten waren und wie man am besten helfen konnte oder welche Lieferanten vertrauenswürdig waren.

„Meine liebe Miss Elizabeth“, drang die Stimme von Mrs Quigley durch ihre Gedanken. „Es freut mich, dass Sie sich Ihrer Position, ähm, erinnert haben und Ihr Abendessen wie eine Dame einnehmen.“

„Oh nein“, dachte Lucy, „sie wird alles vermasseln!“ Und noch bevor Bess der Witwe, die als Lucys Anstandsdame fungierte, eine scharfe Erwiderung über deren Position entgegnen konnte, rief sie: „Oh ja, Bessie, du siehst sehr hübsch aus! Und ist das Essen nicht fabelhaft! Cook verlässt uns noch, wenn sie immer nur Sandwiches machen darf und ihre Kunst hier nicht gefragt wird.“ Sie nahm noch einen Bissen von der gebratenen Taube mit Johannisbeersoße.

Bess tupfte sich den Mund ab und sah Lucy und Mrs Quigley mit hochgezogenen Brauen an. Die Ältere war erst seit Kurzem bei den Berwins und Bess hatte sich noch immer nicht recht an den Anblick der etwas sauertöpfischen Dame gewöhnt. Obwohl deren Gatte schon seit Jahren verstorben war, trug sie immer noch grau und violett. Die Dame war nicht sehr alt, Mitte vierzig vielleicht, und auch nicht unansehnlich, doch Bess wurde mit diesem Ausbund an Tugend einfach nicht warm. Sie fühlte sich unter dem Blick der dunklen Augen immer beurteilt, wenn nicht gar verurteilt.

Aber da sie schließlich für den Lebensunterhalt der Dame aufkam, hatte sie beschlossen, sich auf keinen Fall von deren ostentativer Anständigkeit und Tugendhaftigkeit einschüchtern oder in ihrem Lebensstil beeinträchtigen zu lassen. So weit käme es noch! Es gab schließlich nichts, wofür sie sich hätte schämen müssen.

„Ihr braucht mir beide nicht zu schmeicheln. Dieses Kleid hier ist nichts Besonderes“, wies Bess auf ihr natürlich dunkelblaues, jedoch am Dekolleté und am Saum mit Silberranken besticktes Gewand hin, „und verdient wohl kaum solche Lobeshymnen. Also raus damit, Lucy, was ist der Anlass dieses Dinners?“

Lucy wurde rot, als ihre Schwester so deutlich den versteckten Zweck des gemeinsamen Speisens ansprach. Doch was sollte es? Bei Bess war im Zweifel der direkte Weg auch der beste. Sie holte tief Luft und trug ihr Anliegen vor.

„Wie du bemerkt hast, entspricht unsere Garderobe nicht der neuesten Mode und ich möchte dich daher bitten, nach London fahren zu dürfen. Ich kann meine Saison schließlich nicht in provinziellen Kleidern und alten Hüten begehen!“, rief Lucy und riss ihre himmelblauen Augen entrüstet auf.

„Welche Saison, wenn ich fragen darf? Soviel ich weiß, bist du nicht von Adel und wir können auf die Vorstellung bei Hofe getrost verzichten“, entgegnete Bess ruhig und nahm einen Schluck vom verdünnten Wein.

„Alle Mädchen, die mit mir im Seminar in Bath waren, werden in diesem Frühjahr in London sein. Wozu hast du mich dorthin geschickt, wenn ich nun hier versauern soll? Hier gibt es nichts zu tun! Wir haben keinen gesellschaftlichen Umgang, der Haushalt führt sich für drei Damen fast von alleine und ich habe nun mal keine Vorliebe für Rechnungsbücher, so wie du!“

„Sämtliche Mitgiftjäger werden hinter dir her sein und ich kann mich dann damit beschäftigen, sie abzuwimmeln. Nein danke!“

„Aber meine liebe Miss Elizabeth“, mischte sich die Witwe Quigley ins Gespäch, „Ihre Schwester könnte unter Umständen eine höchst vorteilhafte Ehe eingehen, wenn man sie in den rechten Kreisen vorstellte.“

„Was bitte verstehen Sie hiervon, meine Gute?“, entgegnete Bess aufgebracht. „Und was soll das heißen: ‚vorteilhaft‘? Sie meinen, mit ihrem hübschen Gesicht und der dicken Mitgift würde sich schon ein verarmter Adeliger finden, der für diese Vorzüge über unseren Status als Kaufmannstöchter hinwegsieht?“

Entsetzt schnappte Mrs Quigley nach Luft. „Eine Dame spricht nicht über diese delikaten Themen, Miss Berwin. Als die Ältere und Welterfahrene sehe ich es als meine Pflicht an, Sie darauf hinzuweisen, dass es sehr undamenhaft ist, so etwas zu sagen.“

„Und als diejenige, die für Ihre Rechnungen aufkommt, Mrs Quigley, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass ich in meinem Hause so spreche, wie es mir beliebt!“, gab Bess eisig zurück und die so Zurechtgewiesene verkniff sich eine Bemerkung über die Angemessenheit von Rechnungen als Gesprächsthema zu Tisch.

„Bessie, bitte sei nicht böse“, flehte Lucy. „Ich möchte doch nur so gerne etwas erleben. Es geht mir gar nicht ums Heiraten. Ich, ich möchte nur London sehen, ein Schauspiel im Theater genießen oder die Oper besuchen, in Vauxhall tanzen und ja, tanzen und schöne Kleider tragen und nachmittags durch den Park flanieren.“ Mit glänzenden Augen erzählte sie von den Wundern der Stadt und ihren Träumen. Bess verstand nur zu gut. Es zerriss ihr das Herz mitanzusehen, wie Lucy von Dingen träumte, die nicht für sie geschaffen waren.

„Ach, Liebes, ich verstehe dich ja, aber bitte sag mir: kannst du diese Dinge wirklich genießen, wenn du von den hochherrschaftlichen Matronen geschnitten wirst? Man dich nur duldet, um zweite Söhne oder verschuldete Brüder lukrativ unter die Haube zu bringen?“

Die sogenannte gute Gesellschaft des Landes war in Bess’ Augen nicht besser als eine Horde wilder Raubtiere und es widerstrebte ihr, Lucy dorthin gehen zu lassen.

„Ich habe meine Freundin Annabell und sie wird mich nicht verleugnen. Ganz im Gegenteil – sie hat mich eingeladen.“

„Ah, hat sie einen Bruder oder Cousin auf Brautschau?“, warf Bess ein.

„Bessie! Du sprichst davon, dass man mich auf meine Mitgift reduziert und doch tust du selbst nichts anderes! Traust du mir denn gar nichts zu? Nicht einmal meine Freunde zu kennen? Nur weil du dich für dieses Leben entschieden hast, muss es doch nicht für mich gelten. Ich kann meine eigenen Entscheidungen treffen.“

Lucy war aufgesprungen und in ihrer Empörung vergaß sie, dass eine Dame niemals laut wird.

Mrs Quigley saß mit zusammengekniffenen Lippen am Tisch und rang offensichtlich um Fassung ob dieses Gefühlsausbruches der ansonsten so anständigen und wohlerzogenen Lucy.

„Ich, ...“, Bess schluckte und wollte etwas erwidern, aber Lucy war zu sehr in Fahrt.

„Du nimmst für dich in Anspruch, deine eigenen Entscheidungen zu treffen, hast dich für ein Leben außerhalb der Gesellschaft entschieden. Habe ich dich jemals dafür kritisiert? Nein, wenn es dich glücklich macht, steht es mir nicht zu, etwas dagegen zu sagen, aber du kannst nicht von mir verlangen, selbst so zu leben!“

„Ich lebe so, um unser Vermögen vor den Aasgeiern zu schützen, und glaube mir, das ist beileibe keine einfache Aufgabe!“

Mit Vorwürfen konnte Bess deutlich besser umgehen als mit den unerfüllten Träumen ihrer kleinen Schwester. Und doch setzten sich Lucys Worte in einer geheimen Ecke tief in ihr fest. Einen derartigen Gefühlsausbruch hatte Bess von ihrer Schwester noch nie erlebt.

Wenn die Diskussion des Londonaufenthaltes sie kurzzeitig von den Ereignissen des Tages und dem Gespräch mit Eames abgelenkt hatte, so kam ihr nun alles schlagartig mit unverminderter Heftigkeit wieder in den Sinn. Tief durchatmen und Ruhe bewahren, sagte Bess sich und erhob sich vom Tisch. Sie hatte sich noch nie so müde und ausgelaugt gefühlt. Und doch konnte sie Lucy gegenüber heute nicht völlig unnachgiebig sein.

„Oh Bessie, was soll ich, was sollen wir mit diesem Vermögen, wenn uns es zur Einsamkeit verdammt?“ Traurig setzte Lucy sich wieder. Ihr Ausbruch schien sie erschöpft zu haben.

„Lucy, ich werde über deine Worte nachdenken. Ich, ich hatte einen schrecklichen Tag und möchte mich jetzt zurückziehen.“

Mit diesen Worten verließ die ältere Miss Berwin unter dem tadelnden Blick von Mrs Quigley und den enttäuschten Augen ihrer Schwester den Raum, um sich in der Hoffnung auf etwas Schlaf niederzulegen. Wie sollte sie ihrer Schwester auch erklären, dass selbst das Vermögen womöglich auf der Kippe stand?

 

 

 

 

 

 

Kapitel 3

 

 

Die Hoffnung auf Schlaf erwies sich als trügerisch und Bess war daher schon seit den frühesten Morgenstunden an ihrem Schreibtisch, um das Problem des fehlenden Partners in London zu wälzen. Schließlich machte sie sich über die Bücher her. Es beruhigte sie, die Kolonnen zu prüfen, Ausgaben und Einnahmen zu addieren und zu vergleichen. Nanu, was war das denn?

„Enderby, wo kommen diese zwei weiteren Arbeiter hier für die Fabrik her?“, rief Bess ihrem Sekretär und Verwalter durch die geöffnete Tür ihres Studierzimmers zu. Der Raum davor diente als Vorzimmer und Kontor und war das Reich von Enderby und seinen beiden Assistenten. Genau genommen waren es ein Assistent und eine Assistentin. Die beiden waren Geschwister und da sie in einem Pfarrhaus aufgewachsen waren, konnten die Zwillinge schreiben und rechnen und verfügten somit über die nötige Ausbildung, um Korrespondenz zu erledigen und die Bücher zu führen.

„Mr Hart und Mr McGregor kamen letzte Woche. Ich dachte, jetzt wo wir die Produktion für die Spielzeuge ausweiten, könnten wir die Männer noch einsetzen. Mr Hart hat zwar im Krieg ein Bein verloren, doch er kann im Sitzen arbeiten, und McGregor hat keine Familie mehr. Ihm bliebe nur das Armenhaus.“

„Familie, sagen Sie?“

„Hart hat eine Frau und zwei kleine Münder zu stopfen.“

„Natürlich, Enderby. Wir werden uns um sie kümmern“, erwiderte Bess müde und sah zum Fenster hinaus.

Es waren so viele, die unter den Folgen des Krieges litten. Ja, die Allianz hatte gesiegt und Napoleon war im Exil, aber niemand wusste, was man mit den vielen verwundeten und traumatisierten Soldaten machen sollte. Viele hatten nie einen Beruf gelernt, sondern waren gleich in die Armee eingetreten. Nun zogen sie zu Hunderten durchs Land auf der Suche nach Arbeit, die es nicht gab, um sich und ihre Familien zu versorgen. Auf den Gütern waren die Felder nicht bestellt worden und wo sollten die armen Soldaten nun hin über den Winter? Und die durch das unwirtliche Wetter bedingten schlechten Ernten hatten nun auch noch die Getreidepreise explodieren lassen. Es war keine gute Zeit, arm zu sein.

Bess hatte so viele Veteranen wie möglich bei Berwin & Sons untergebracht. Sie brauchte neue Arbeitskräfte, aber wenn es noch mehr würden, müsste sie dringend den Verkauf der Waren ankurbeln. Statt eine Lösung zu finden, bedrängte sie das Problem täglich mehr. Bess seufzte und klingelte nach einem Diener, um Tee zu bestellen.

Es war richtig gewesen, die Produktion umzubauen nach Kriegsende. Niemand würde noch Munition und Waffen kaufen, jetzt, wo Friede herrschte. Und es wäre doch viel besser, Spielwaren und Haushaltsutensilien aus Stahl und Zinn herzustellen als Flinten und Pistolen. Sie hatte fast alle Rücklagen in diese Unternehmung investiert. Und nun sollte es daran scheitern, dass sie keinen Partner in London hatte? Und London musste es sein, denn dort saßen die großen Haushalte, die Händler und alle Entscheider.

Die Bestellungen vom Kriegsministerium waren immer regelmäßig über die Londoner Waffenhändler und von dort über Eames zu ihrem Vater gekommen. Kein Aufwand war nötig gewesen, da sie bekannt waren für die Qualität der Flinten.

Nun sah alles anders aus. Berwin & Sons hatte alles auf eine Karte gesetzt, darauf vertraut, dass die bekannten Händler Birminghams als langjährige Partner des alten George Berwin mit ihren Beziehungen helfen würden. Ihre Pläne waren gut und richtig, das wusste Bess, ganz tief in ihrem Inneren. Und dennoch – sie brüstete sich damit, alles zu sehen, eine gewiefte Geschäftsfrau zu sein. Hatte sie zu viel gewollt und nicht sehen wollen, dass man sie als Berwins Tochter keineswegs schätzte, sondern lediglich tolerierte? Ach, sie drehte sich im Kreis.

Frustriert stand Bess auf und blickte aus dem Fenster auf die gepflegte Auffahrt ihres Anwesens. Die letzten Blätter waren von den nunmehr kahlen Ästen gefallen und die Natur bereitete sich auf den Winterschlaf vor. Normalerweise tröstete der Anblick Amberlings sie, aber nun legte sich Kälte wie eine Frostschicht um ihr Herz. Würden sie Amberling verlieren, wenn sie scheiterte?

Hufeklappern ließ sie aufblicken: Lucy kam angeritten und ihr helles Lachen trug in die Stille. „Sie ist so jung und unbeschwert“, fuhr es Bess durch den Kopf. „Wie soll ich sie nur schützen in all dem Kuddelmuddel?“ Lucy erwartete eine Antwort von ihr. Aber sie konnte doch nicht monatelang die Geschäfte vernachlässigen, um ihre Schwester durch die trügerischen Gewässer der besseren Gesellschaft zu lenken? Nicht dass Bess selbst von diesen Dingen viel Ahnung gehabt hätte. Da war sie die Erste, die zugab, dass ihr Protokoll und Etikette nie wichtig gewesen waren.

Mrs Quigley als Anstandsdame war wohl ebenso kaum eine gute Wahl, weil Bess ihr nicht wirklich vertrauen konnte, da die Dame erst seit einigen Monaten bei ihnen weilte. Und Lucy auf Gedeih und Verderb fremden Leuten auszuliefern kam nicht infrage. Wer sagte schließlich, dass Lucy bei ihrer Freundin Annabell als Hausgast willkommen war? Was, wenn diese Leute nur die Mitgift sahen und sich auf ihre Kosten sanieren wollten, nur um sie später auf irgendein Landgut abzuschieben?

Und doch konnte Lucy nicht für immer hierbleiben. Bess blickte auf. An der Wand gegenüber vom Schreibtisch hing ein Bild.

„Was würdest du tun an meiner Stelle?“, sprach sie zu dem Porträt von Queen Elizabeth wie zu einer alten Freundin. „Wie hast du es nur geschafft, so lange zu regieren und dich dem Zugriff der Männer zu entziehen?“

Sie sah ihre Namensvetterin und großes Vorbild lange an und nickte. „Ja, wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen und uns niemals unterkriegen lassen. Aber ich habe Angst. Verstehst du? Angst zu versagen. Hast du das auch gekannt? Wahrscheinlich ja“, überlegte Bess und sah dem Abbild der legendären Königin in die Augen. „Aber Angst lähmt und das darf nicht sein.“

Die Geschäftsfrau in Bess würde siegen, und für Lucy würde sich auch eine Lösung finden. Sie nickte der längst verstorbenen Königin zu, nein, sie würde nicht aufgeben. Nicht ohne Kampf.

„Enderby, kommen Sie und trinken Sie eine Tasse Tee mit mir. Wir müssen uns unterhalten“, rief sie schließlich ihren Sekretär und Verwalter herbei.

„Es sieht schlecht aus, Enderby“, sagte Bess und schaute den treuen Mitarbeiter mit ernster Miene an, während sie von ihrem Gespräch mit Eames erzählte. „Ich könnte natürlich an Eames verkaufen und mich zur Ruhe setzen, aber es käme mir vor wie Verrat an meinem Vater.“

Enderby verehrte Miss Berwin ob ihrem geschäftlichen Geschick. Er kannte sie, seit sie in kurzen Röcken gesteckt hatte und, kaum dass sie rechnen konnte, wissen wollte, wie viele Kisten voll Flinten man verkaufen musste, um ein Pony erwerben zu können. Nachdenklich schüttelte er den Kopf.

„Der Mann ist eine Natter, Miss Bess! Sie dürfen sich davon nicht entmutigen lassen! Wenn die Händler in Birmingham nicht mit Ihnen arbeiten möchten, dann müssen wir eben einen anderen Partner für den Handel in London suchen!“

„Aber ich habe keine Verbindungen und Eames hat ja recht! Niemand möchte mit einer Frau arbeiten!“ Es fiel Bess schwer, sich die Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. „Ach wär ich doch ein Mann!“

„So kenne ich Sie gar nicht, Miss Bess.“ Enderby schüttelte verwirrt den Kopf mit den grauen Locken und rückte seine Augengläser zurecht. „Sie haben, seit Sie ein Mädchen waren, noch nie einfach aufgegeben. Wenn Sie verkaufen, dann wird der neue Besitzer höchstwahrscheinlich all die armen Menschen auf die Straße setzen, aus Berwin & Sons herausziehen, was möglich ist, und in sein Unternehmen integrieren. Was ist nur los mit Ihnen? Das können Sie doch unmöglich zulassen wollen!“

„Ach Enderby, ich …“, Bess schluckte, „... ich habe Angst, dass dies zu viel gewollt ist. Ich weiß auch nicht ...“ Müde hob sie die Schultern. „Wir müssen schnell eine Lösung finden, sonst sind wir im nächsten Sommer bankrott, und mir fällt nichts ein. Ich denke nach und denke nach und drehe mich doch immer Kreis.“

„Sie denken zu viel, liebe Miss Berwin, gönnen Sie sich eine Pause. Manchmal kommen die besten Ideen, wenn man nicht nach ihnen sucht. Jetzt beruhigen Sie sich und trinken eine Tasse Tee und dann verbringen Sie den Vormittag draußen oder drüben im Haus mit Ihrer Schwester.“ Enderby sah sie aufmunternd an.

Zögernd stimmte Bess zu. „Ja, vielleicht sollte ich mir eine kurze Verschnaufpause gönnen, aber, oh Enderby, das erinnert mich an mein zweites Problem! Lucy möchte eine Saison haben und ich weiß nicht, wie ich sie schützen kann. Freunde vom Pensionat haben sie eingeladen und ich kenne diese Menschen nicht. Wir können doch nicht in der Stadt auf Bällen tanzen, während hier alles den Bach runtergeht.“

„Aber natürlich können Sie das! Das ist doch wunderbar!“, rief der treue alte Verwalter.

„Ich verstehe nicht ...“ Verwirrt stellt Bess ihre Tasse ab.

„Doch!“, rief Enderby enthusiastisch, „Sie fahren unter dem Vorwand der Saison für Miss Lucy nach London und können sich vor Ort nach einem Partner umsehen.“

„Ich selbst?“

„Wer, wenn nicht Sie? Niemand kann leidenschaftlicher über diese Unternehmung berichten als Sie!“

„Enderby, Sie sind ein Genie! In der Stadt! Genau das ist es! Natürlich!“, rief Bess. Ihre müden Augen fingen an zu leuchten und ein strahlendes Lächeln erhellte das eben noch so schwermütige Gesicht.

„Wir fahren nach London und während Lucy Kontakte in die Gesellschaft knüpft, werde ich Händler suchen, die unsere Waren verkaufen können. Sie haben recht, Enderby, irgendwie werde ich das schaffen. Auch ohne die Hilfe von Eames und den anderen schleimigen Geiern!“ Entschlossen klatschte Bess in die Hände.

„Ich kann nicht aufgeben, ohne es wenigstens versucht zu haben. Jawohl! Jetzt müssen wir nur die Details klären. Ich werde Muster mitnehmen und brauche Hilfe. Nein, Enderby, Sie müssen hier die Stellung halten. Wir werden wahrscheinlich bis Weihnachten in der Stadt sein. Clara kann mitreisen. Oder nein, doch lieber Charles, einen Mann im Haushalt werde ich brauchen!“

Erschrocken hielt sie inne. „Herrje, wir brauchen einen Haushalt. Woher soll ich auf die schnelle eine gute Unterkunft finden, ein akzeptables Haus mieten können? Und Personal? Wenn wir Lucy in die Gesellschaft einführen, benötigen wir Personal.“

In diesem Moment stürmte die Jüngere herein, die Wangen von ihrem Ausritt gerötet und mit blitzenden Augen. „Stell dir vor, Bessie“, rief sie, bevor diese ihr die guten Neuigkeiten mitteilen konnte, „Sir John ist hier und hat eine Jagdgesellschaft auf Billingsham Manor!“

„Ja, aber natürlich. Das hatte ich vergessen, dir zu sagen. Wie du weißt, erlaube ich Sir John, auf unserem Land zu jagen, da wir kein Interesse daran haben. Als Gegenleistung füllt er unsere Speisekammer mit Fasanen und anderem Wild. Bitte reite diese Woche also nicht zum Wald und bleib in der Nähe des Hauses.“

„Aber Maud Vickers sagt, dass sie eine Gesellschaft geben, da Lady Billingsham und ihre Tochter Charlotte auch anwesend sind. Hast du keine Einladung erhalten?“ Wie sollte Bess die Freude und Erwartung dieser großen blauen Augen enttäuschen? Sie holte tief Luft und nahm Lucys Hand in ihre.

„Lucy, Lady Billingsham gehört zu den Menschen, die ihre Nase aufgrund ihres Adels so hoch tragen, dass sie Kaufleute wie uns nicht in ihren Reihen sehen möchten. Es tut mir leid, aber wir haben keine Einladung und werden auch keine erhalten.“

„Wir sind nicht eingeladen, aber Maude, die Tochter des Pastors ist dort willkommen? Wir sind wohlhabender, ich habe in Bath mit adligen Töchtern die Ausbildung genossen, und während einige zwar hochnäsig waren, so habe ich doch gute Freundinnen gefunden, aber hier werden wir geschnitten? Wir sollten hier die erste Familie sein! Wie kannst du so etwas nur ertragen?“ Wütend stampfte das junge Mädchen mit dem Fuß auf.

Bess führte Lucy an einen Sessel und drückte ihr Tee und Kekse in die Hand.

„Um ehrlich zu sein, ich kann die Baronin einfach nicht leiden und das beruht auf Gegenseitigkeit. Das dürfte der Grund sein. Normalerweise kommt sie aber gar nicht nach Billingsham Manor um diese Jahreszeit. Warum sie dieses Mal wohl hier ist? Sie bleibt sonst immer bis zu den Feiertagen mit Charlotte in London!“

Bess blieb abrupt stehen. In ihrem Kopf arbeitete es. „Oh ja, das könnte funktionieren“, murmelte sie, bevor sie ihre Schwester anstrahlte.

„Lucy, Liebes, gräm dich nicht! Ich habe über unser Gespräch von gestern Abend nachgedacht. Wir werden nach London fahren und ich weiß auch schon, wie wir das anstellen!“

Lucy sprang auf und fiel ihrer Schwester um den Hals. „Ich kann es nicht glauben. Ist das die Wahrheit? Wann fahren wir? Ich muss sofort an Annabell schreiben. Und diese mickrige Gesellschaft auf Billingsham kann mir gestohlen bleiben. Die werden staunen, wenn sie mich in London in den besten Kreisen sehen.“

Freudestrahlend verschwand Lucy durch die kleine Verbindungstür ins Haupthaus und würde zweifellos den Haushalt in Aufruhr versetzen. Zufrieden sah Bess ihrer Schwester nach. Der Enthusiasmus der Jugend – seltsam, dass ihr das nie gefehlt hatte.

„Enderby, ich muss etwas erledigen. Ich werde zum Lunch wieder hier sein!“, rief sie, legte sich ihren warmen Mantel um und setzte eine pelzgefütterte Haube auf die honiggoldenen Flechten.

 

 

 

 

 

 

Kapitel 4

 

 

Damien Vaugh, Earl of Stratham, hatte in seinen dreiunddreißig Lebensjahren viel er- und so einige Scharmützel überlebt. Er hatte auf der Halbinsel unter Wellington gekämpft, war später in diplomatischen Diensten gewesen und hatte auf dem Wiener Kongress im Gefolge Viscount Castlereaghs verhandelt, bespitzelt und getanzt. Wien, das war Krieg mit anderen Mitteln gewesen. Es wurde auf dem Kongress um jedes Stückchen Land Kontinentaleuropas ebenso bitter gekämpft wie zuvor auf den Schlachtfeldern.

Außer, dass nach getaner Arbeit von den Herren der Delegationen noch erwartet wurde, die begleitenden Damen zu unterhalten. Das war allerdings eine deutliche Verbesserung gegenüber den Gemetzeln Spaniens und Waterloos, wie Lord Stratham fand. Zumal die anwesenden Damen keinerlei ernste Absichten hegten, wenn sie nicht sowieso bereits verheiratet waren. Ein gut aussehender Mann in der Blüte seiner Jahre, den der Hauch eines Kriegshelden umgab, konnte sich nie über mangelnde Gesellschaft beschweren und die dargebotenen Freuden voll und ganz genießen.

Nach seiner Rückkehr und dem Ausscheiden aus dem Dienst seiner Majestät vor einigen Monaten hatte der Earl sich in die Verwaltung seiner Güter gestürzt. Durch jahrelange Vernachlässigung war das bitter nötig gewesen. Aber es war harte Arbeit, die Weichen zu stellen für eine prosperierende Zukunft der gräflichen Güter. Zumal er die letzten Jahre statt mit Ackerbau, Schafzucht und Buchhaltung mit Taktik, Verhören und Diplomatie verbracht hatte.

Stratham war sich dennoch sicher, dass all diese Aufgaben lösbar wären für einen Mann seiner Talente und seiner Disziplin. Nichts weniger als Erfolg auf ganzer Linie erwarteten Vorgesetzte wie Freunde und nicht zuletzt auch der Earl of Stratham von sich selbst.

Nichts allerdings, musste er zugeben, hatte ihn auf die Hartnäckigkeit und beinahe schon Skrupellosigkeit vorbereitet, mit welcher die heiratsfähigen Töchter des Landes, unterstützt und ermuntert von ihren ehrgeizigen Müttern, das Ziel einer Grafenkrone verfolgten. Vorbei waren die Leichtigkeit des Kongresses und die Unverbindlichkeit der erfahrenen Damen der Hochdiplomatie.

In der Stadt, wo einem Mann vielfältige Rückzugsmöglichkeiten zur Verfügung standen, war es noch erträglich gewesen, aber hier als Gast im Hause des Vaters einer aufstrebenden Debütantin fand er sich in die Enge getrieben. Miss Charlotte Billingsham aus dem Wege und nicht ins Netz zu gehen, schien nicht nur sein schwierigster Fall zu werden, sondern war vor allem ein Fall, den er derzeit nicht gebrauchen konnte.

Stratham war sich bewusst, eines Tages heiraten zu müssen, aber zuvor hatte er noch viel zu erledigen. Und er würde die Wahl treffen, nicht sich einfangen lassen. Er würde eine ruhige, hübsch anzusehende Dame aus den besten Kreisen wählen, die seiner kleinen Familie Halt und Stabilität geben könnte. Die aufdringliche kleine Billingsham kam als Kandidatin nicht infrage.

Lord Stratham war also in keinster Weise darauf vorbereitet gewesen, von einer heiratswütigen Miss verfolgt zu werden, als er Sir John darum gebeten hatte, seinen neuen Kanal besichtigen zu dürfen. Da ihm sein Verwalter nahegelegt hatte, auf seinem Landgut Stratham Abbey in Gloucestershire einen solchen Kanal zu bauen, wollte er die modernsten dieser Art begutachten, bevor er eine Entscheidung traf. Er hatte von der Ingenieurskunst und den Vorteilen von Kanälen zum Rohstofftransport gehört und wollte sich ein Bild machen, bevor er Kapital investierte, das eventuell an anderer Stelle nötiger gebraucht wurde. Viel einsatzfähiges Kapital hatte er nicht mehr. Zwar gehörten zu seinem Titel etliche Liegenschaften, aber diese waren viele Jahre vernachlässigt worden, sodass sie nicht genügend Geld einbrachten, um die Güter zu versorgen und sowohl den Lebensstil seiner Stiefmutter als auch die Mitgift seiner Schwester zu garantieren.

Normalerweise verbrachte Sir John diese Tage ohne Frau und Tochter mit einigen alten Freunden bei der Jagd. Nun aber sah es so aus, als wäre der Earl der Hauptpreis für die Tochter des Hauses.

Nicht was Sir John betraf, der kümmerte sich nur um den Sport und seine Hunde, aber die Damen des Hauses ließen Stratham keine Minute aus den Augen. Und so hatte er sich an diesem Morgen in aller Frühe in den Stall geschlichen, um bei seinem Hengst Wotan auszuharren, bis die Gesellschaft wieder aufbrechen würde. Zum Glück hatte er den Armeerhythmus beibehalten und war früher als alle anderen auf den Beinen.

Die Damen, die auf keinen Fall hinterwäldlerisch erscheinen wollten, würden noch einige Zeit auf sich warten lassen. Später wollte Sir John mit ihm zum Kanal reiten und er hoffte inbrünstig, dass sich Miss Charlotte ihnen nicht anschließen würde. Charlotte war zwar an sich ein hübsches Mädchen, mit ihren braunen Locken und großen Rehaugen, aber sie konnte außer Schmeicheleien und Gekicher nichts von sich geben und ihr Geflirte trieb ihm die Schweißperlen auf die Stirn. Irgendwie war ihr Ausschnitt immer zu tief, das Kichern zu albern und das ganze Mädchen einfach zu präsent. Sie schien ständig an Orten aufzutauchen, wo man sie nicht erwartet hatte und wo sie dann ganz plötzlich stolpern und in seine Arme fallen würde.

Nicht dass er einer kleinen Affäre gegenüber abgeneigt wäre, aber in diesem Fall würden wohl sofort die Hochzeitsglocken läuten und das kam nun gar nicht infrage. Natürlich hatte er Übung, auf dem Parkett der Londoner Ballsäle den heiratswilligen Müttern und Töchtern aus dem Weg zu gehen, aber tagelang verfolgt zu werden, das brachte einen guten Mann an seine Grenzen.

Bald würde Sir John kommen, die Stallknechte hatten die Pferde bereits auf den Vorplatz geführt, um diese zu putzen. Und sobald er den Kanal gesehen hatte, würde Damien sich auf den Heimweg nach London machen.

„Na, Wotan, erst trägst du mich durch halb Europa und nun musst du meine traurige Gesellschaft ertragen“, flüsterte er dem Hengst zu, in dessen Box er den Morgen verbrachte. Unter Wotans Schnauben machte er sich auf die Suche nach einem Apfel zur Belohnung, als er plötzlich Stimmen hörte.

Eine weibliche Stimme! Hatte ihn die infernalische Charlotte auch hier aufgestöbert? Schnell trat er aus der Box und öffnete die nächstliegende Tür, um in der Dunkelheit einer alten Kammer zu verschwinden.

„Sir John. So warten Sie doch!“

Nein, nicht Charlotte. Diese Stimme gehörte zwar auch einer Frau, aber sie war viel angenehmer als das Kieksen der jungen Baroness. Damien überlegte schon, sich zu zeigen, als eine männliche und offensichtlich gehetzte Stimme antwortete.

„Bess! Was tust du denn hier? Du kannst doch nicht einfach so hier hereinspazieren. Wenn meine Frau dich sieht, komme ich in Teufels Küche!“

Durch einen Spalt in der Tür konnte Stratham sehen, wie die unbekannte Frau Sir John in eine dunklere Ecke des Stalls und näher zu seinem Versteck zog. Auch das noch! Sir John hatte ein Stelldichein. Jetzt hervorzutreten wäre für alle Beteiligten peinlich.

Er würde in einer vollgestellten alten Sattelkammer abwarten müssen, bis draußen die Luft rein war. Er sah sich in dem dunklen Raum um. Es war eng und kalt und roch nach altem Lederfett. An den Wänden stapelten sich Kisten. Vorsichtig streckte er eine Hand aus und erfühlte eine Mistgabel an der rechten Seite. Von weiter oben versuchte das schwache Novemberlicht durch ein vom Schmutz der Jahre nie befreites Fenster zu dringen. Da er nicht erkennen konnte, welches Gerümpel hier stand, und er befürchten musste, etwas umzuwerfen, wenn er sich bewegte, blieb er an der Tür stehen.

Der gewiefte Diplomat des Nachrichtendienstes seiner Majestät konnte jedoch seine Neugier nicht unterdrücken und lauschte. Ha, wer hätte gedacht, dass der alte rundliche Sir John eine junges Liebchen hatte. Auf Strathams Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, als er an die herrische Baronin dachte, und er versuchte, einen besseren Blick auf die Frau zu erhaschen.

„Sie müssen mir helfen“, flehte die Person jetzt eindringlich. „Das schulden Sie mir und meiner Familie!“

„Ist ja gut, Kindchen, aber wie stellst du dir das vor? Ein Haus in London?“, entgegnete Sir John nun.

„Ja, schnellstmöglich! Mit Personal und in einer akzeptablen Gegend!“

Hola, die Dame schien mehr als nur ein Liebchen zu sein. Nur Mätressen konnten über Häuser und Personal verfügen.

Und für ihre Familie forderte sie das? Hatte Billingsham gar ein uneheliches Kind? Das war ja ein Ding! Hätte er dem korpulenten Herrn gar nicht zugetraut. Er wirkte so harmlos.

Der Earl hätte zu gern das Gesicht der Frau gesehen, aber von seinem Spähposten aus konnte er nur erkennen, dass sie wohl um einiges jünger war als der Baron und über eine hervorragende Figur verfügte. Das blaue Reitkostüm war zwar schon etwas verschossen, aber betonte ihre Sanduhrfigur ausgezeichnet. Was für ein Anblick! Ob ihr Hintern das hielt, was seine Silhouette versprach? Strathams Interesse für die Frau wuchs beunruhigend schnell.

„Aber wie soll ich das meiner Frau erklären? Ich kann doch nicht einfach ...“, stammelte der Baron nun und warf die Arme in die Luft.

„Ihnen fällt schon etwas ein. Und vergessen Sie nicht, so schnell wie möglich. Ich muss nächste Woche in London sein.“

Eindringlich berührte die Frau Sir Johns Arm. Sie drehte sich um, um zu gehen, und für einen Moment erblickte Damien ihr Gesicht.

Unglaublich, wie kam ein alter Kerl wie Sir John an einen derartigen Rohdiamanten? Diese Frau war eine klassische Schönheit. Tiefblaue Augen, eine gerade Nase in einem perfekten Oval eines Gesichtes. Und ihr Mund, rot und mit vollen Lippen, wie zum Küssen gemacht. Während Damien noch versuchte, sich dieses Gesicht einzuprägen, hatte sie sich wieder Sir John zugewandt.

„Alternativ können Sie uns gerne eine Einladung zu der Gesellschaft am Donnerstagabend zukommen lassen!“

„Nun machst du dich aber lustig über mich, Bessie.“ Sir John rieb sich die Schweißperlen von der Stirn.

„Sir John, versprechen Sie, mir zu helfen? Dann braucht Ihre Frau nie etwas von unserem kleinen ähm, Geschäft zu erfahren.“ Die Frau namens Bess schien langsam ungeduldig zu werden. Mehrmals schweifte ihr Blick zum weit geöffneten Stalltor.

„Du musst jetzt gehen, Kindchen, meine Tochter wird gleich hier sein“, entgegnete Sir John gehetzt und aus dem Hof konnte man nun die Stimmen einer sich nahenden Gruppe hören.

„Versprechen Sie es?“

„Jaja, ich werde mich darum kümmern und spätestens in einer Woche wirst du alles haben, was du brauchst.“

Der Baron winkte zunehmend gestresst. „Aber nun geh!“

„Papa? Wo bist du?“, hörte Stratham vom Eingangstor her die Stimme rufen, die ihn seit Tagen verfolgte. Zum Glück würde Miss Charlotte Billingsham nie in einer alten Sattelkammer nach ihm suchen.

Die Erleichterung über sein Versteck verpuffte in dem Moment, als Sir John die geheimnisvolle Bess in Richtung ebendieser Sattelkammer schob, und er konnte nur noch einen Schritt zurücktreten, sodass man ihn nicht sofort bemerkte.

„Warte da drin, bis die Luft rein ist“, sagte Sir John und ging seiner Tochter entgegen. „Hier bin ich Charlotte, mein Liebes. Was machst du denn um diese Zeit schon in den Stallungen?“

„Hast du Lord Stratham gesehen? Mama sagt, dass ihr ausreiten werdet und ich möchte euch begleiten. Ist sein Pferd nicht wunderschön? Und sehe ich nicht hinreißend aus in meinem neuen Reitkostüm? Der Hut nennt sich ‚a la nature‘.“

 

Schicksalsergeben hatte Bess sich von Sir John zur Sattelkammer bugsieren lassen. Die lästige Charlotte zu treffen, darauf hatte sie nun wirklich keine Lust.

In der kleinen Kammer war es stickig und dunkel und sie prallte gegen etwas, das so gar nicht hierher passte. Eine Hand packte sie um ihre Taille und eine andere legte sich über ihren Mund. Vor lauter Schreck wollte sie um Hilfe schreien, aber die Luft blieb ihr weg.

Eine tiefe Stimme flüsterte: „Bitte verraten Sie mich nicht, dann verrate ich auch Sie nicht. Nicken Sie, wenn Sie versprechen, sich ruhig zu verhalten.“

Bess sammelte sich und nickte schließlich zaghaft. Was sollte ihr hier in den Stallungen von Billingsham schon geschehen? Sie konnte immer noch schreien, wenn sie nur erst wieder zu Atem käme. Die Hand um ihren Mund lockerte sich, nicht jedoch diejenige, die ihre Taille umschlungen hielt.

Bess schnappte nach Luft und saugte einige tiefe Züge ein. Der beißende Geruch nach altem Leder und Stroh wurde von etwas anderem überlagert, das so gar nicht hierher passte.

Sie konnte nicht vermeiden, den Geruch aufzunehmen, während sie versuchte, ihre Situation abzuschätzen. Der Unbekannte duftete nach Sandelholzseife, das erkannte sie. Aber da war noch etwas anderes, etwas, das sie nicht kannte, das ihr jedoch bis ins Mark ging. Wie konnte ein Mensch so riechen, dass es einem die Sinne vernebelte? Im wahrsten Sinne des Wortes umwerfend?

Sie zwang sich zur Ruhe und versuchte, sich zu fokussieren. Draußen im Stall brabbelte Charlotte noch immer auf ihren Vater ein. Sollte sie versuchen, sich dem Griff des Mannes zu entwinden und sich dem Hohn und der Verachtung einer hohlköpfigen Debütantin aussetzen? Außerdem würde Sir John ihr kaum noch helfen können, ein passendes Logis in London zu finden, wenn seine Frau von ihrer Bitte Wind bekam.

In dem schummrigen Licht in der Kammer konnte sie nicht viel erkennen, zumal sie so nah an den Mann gepresst stand, dass ihr Blickfeld von seiner beeindruckenden Brust blockiert wurde. Der Mann schien keine Waffe zu haben und, was stärker wog, er schien sich auch zu verstecken. Nur wovor?

Vorsichtig schaute Bess auf und versuchte, das Gesicht ihres Gegenübers zu erkennen. Ohne die Augen im Licht zu sehen, war es schwierig, ihn einzuschätzen.

„Sind Sie ein Dieb?“, flüsterte sie, ohne sich zu bewegen. Himmel, war das eine dumme Frage, schalt sie sich insgeheim.

„Oh nein, ich bezahle für alles stets prompt und gut“, erwiderte der Mann mit einem Lächeln. Sie fühlte sein Lächeln mehr, als sie es sehen konnte. Er hielt sie noch immer fest und langsam gewöhnten sich ihre Augen an das dämmrige Licht. Wie ein gewöhnlicher Bandit wirkte er eigentlich nicht. Dunkle Haare, kurz geschnitten und rasiert, eine gerade Nase und ein prominentes Kinn. Es war schwer, im Dämmerlicht der Kammer genaue Züge auszumachen.

Nervös biss sie auf ihre Unterlippe. Eine seltsame Situation war das und völlig neu für Bess. Dennoch fühlte es sich auf eine warme, sichere Art gut an.

Seine Arme waren muskulös und sein Körper strahlte eine Wärme aus, die an diesem Novembermorgen nur als angenehm zu beschreiben war. So direkt hatte sie noch nie einen männlichen Körper gefühlt. Neugierig erfasste Bess die Details seiner Weste und der kompliziert gebundenen Krawatte. Aha, kein Dieb. Dafür war er zu gut gekleidet. Ihre Hände fühlten den feinen Stoff seiner Jacke und die darunter liegenden Muskeln. Himmel, waren alle Männer aus der Nähe so imposant? Sie sog noch einmal seinen Duft ein. Mmhhh.

Ein unterdrücktes Lachen stieg aus seiner Kehle.

O Gott, hatte sie gerade laut geseufzt?

Der Schrecken war genug, um Bess die Unschicklichkeit der Situation ins Gedächtnis zu rufen. So imposant ein Mann auch war und so gut er auch riechen mochte, anständige Jungfern sollten nicht in dunklen Kammern im Arm gehalten werden.

„Wenn Sie mich jetzt bitte wieder loslassen würden?“, forderte sie leise, aber bestimmt, da draußen immer noch die Stimmen der anderen zu hören waren, und versuchte vorsichtig, sich zu befreien.

„Nein, ich fürchte, das kann ich nicht gestatten“, erwiderte der Kerl und zog sie näher an sich, bis seine Lippen nur noch eine Haaresbreite von ihren entfernt waren.

Bessies Puls fing an zu rasen, sie vergaß die Umgebung, vergaß ihr ansonsten so sicher funktionierendes Gehirn, als sich seine Lippen auf die ihrigen senkten.

Sein Kuss war anders als alle Küsse, die sie bisher erlebt hatte. Nicht dass sie über nennenswerte Erlebnisse verfügte. Fordernd und lockend zugleich umfing er ihren Mund. Er fühlte sich sanft, aber unbeirrbar an. Schien genau zu wissen, was er da tat, und strich und knabberte an ihren Lippen, dass es ihr die Sinne verschlug. Als wäre ihr Mund eine Köstlichkeit, eine Delikatesse.

Kein Vergleich mit den feuchten Versuchen der Verehrer aus ihrer Jungmädchenzeit. Überrascht entwich Bess ein genussvolles Stöhnen und er nutzte den Moment, um mit seiner Zunge zwischen ihre Lippen zu stoßen. Er drängte sie dazu, sich zu öffnen, hörte auf zu kosten und ging dazu über, sie zu verschlingen.

Der kurze Moment der Überraschung wich einem Verlangen, es ihm gleichzutun, und schließlich verstand sie das Spiel und erforschte ihn ebenso wie er sie.

Ihre Neugier, die sie dazu veranlasst hatte, ihr Gegenüber vorhin genau zu inspizieren, trieb sie auch jetzt weiter voran. Sie hatte ja keine Ahnung gehabt, dass man auch so ... Der Kuss wurde immer tiefer und die Berührung ihrer Zungen sandte kleine Schauer durch Bess. Seine Hand strich über ihren Nacken und löste den Knoten dicken seidigen Haars, während Bess’ Finger seinen Körper erfühlten, über seine Arme und den Oberkörper strichen.

Der Kuss wurde wilder, sie schenkten sich nichts, gaben und nahmen zu gleichen Teilen. Bess spürte, wie sich tief in ihr ein warmes Gefühl ausbreitete, ein ungekanntes Gefühl, heiß und fordernd, wie sie es noch nie erlebt hatte.

Seine Hand wanderte von ihrer Taille aufwärts und umfing ihre Brust. Es schoss wie Feuer durch sie, als wäre da nicht der Stoff ihrer Pelisse und ihres Kleides, sondern nichts als nackte Haut zwischen seiner Berührung und ihrem Körper und mit einem Schlag war Bess nüchtern.

Sie riss sich los und rang nach Atem.

Sein Körper war so warm gewesen. Als seine Hand nach ihr fasste, schob sie diese dennoch entschieden zurück.

„Nein!“, stieß sie hervor. Ihre Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen.

„Wer bist du und was machst du mit mir?“, wollte sie schreien. Doch selbst, wenn sie seinen Namen nicht kannte, so wusste sie doch genau, wer Bess Berwin war. Geschäftsfrau und eiserne Jungfrau. Ihr passierte so etwas nicht.

Er sprach mit seiner wunderbar warmen Stimme auf sie ein. „Was macht eine Frau wie du mit einem alten Kerl wie Sir John?“

„Sir John?“, wunderte Bess sich. „Er ist ein Geschäftspartner.“

Sie fuhr sich über das Haar, das durch seinen Griff den Halt verloren hatte. „Herrje, meine Frisur“, schoss es ihr durch den Kopf. So konnte sie sich nicht blicken lassen. Sie zwang sich, nicht in Panik zu verfallen und praktisch zu denken. Das war schließlich ihre Stärke.

„Geschäftspartner, so? Wir beide könnten auch ins Geschäft kommen, meine Schöne. Ich kann dir viel mehr bieten als Sir John. Ein größeres Haus und sicher auch, nun ja, größeres Vergnügen.

---ENDE DER LESEPROBE---