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Zwei Romane plus eine Bonusgeschichte Auf einem Landsitz am Meer finden die Mitglieder der Familie des Duke of Lamberth die Liebe. Elinor und der Duke Miss Elinor Harding möchte sich im Stand der Ehe so viel Selbständigkeit wie möglich bewahren. Da sie dringend heiraten muss, lädt sie Gentlemen zur Sommerfrische ein, um zu prüfen wer von ihnen als Ehemann infrage kommt. Wichtigstes Kriterium: der Herr soll lenkbar sein und sich auch nach der Hochzeit nicht in Elinors Leben einmischen. Zu dumm, dass der Duke of Lamberth nicht vorhat, seinen Erben an einen neureichen Emporkömmling zu verlieren. In der Absicht, Miss Harding das Spiel zu verderben, taucht er ungeladen auf der Gesellschaft auf. Der befehlsgewohnte Duke und die selbstbewusste Erbin treffen mit einer Wucht aufeinander, die die Funken fliegen und die Leiber in der Sommerhitze glühen lässt. Wird eine sinnliche Nacht ausreichen, Elinor davon zu überzeugen, dass keiner ihrer Kandidaten zu ihr passt, sondern nur ein dominanter Duke? Constance und der Schmuggler In einer stürmischen Nacht sucht Lady Constance Zuflucht in einer schäbigen Taverne. Als sie am nächsten Tag auf einer einsamen Küstenstraße erwacht, erinnert sie sich nur an einen Mann mit strahlend blauen Augen, den sie als Traum abtut. Während sie noch versucht, in der Einsamkeit der englischen Südküste einen Gedichtband zu schreiben und zur Ruhe zu finden, ist Constance längst inmitten einer Schmugglergeschichte gelandet. Der blauäugige Schurke steht eines Nachts vor ihr und bedroht nicht nur ihre Existenz sondern auch ihr Herz. Plötzlich ähnelt das sonst so geregelte Leben der Aristokratin einem Schauerroman. Ist der geheimnisvolle Raphael de la Villette ihr Held oder doch der Schurke? Constance kann sich seiner Anziehungskraft nicht entziehen und lässt sich auf ein gefährliches Spiel ein. Fest entschlossen, nicht zum Spielball mysteriöser Verbrecher, ruchloser Soldaten und intriganter Frauen zu werden, stellt sie den Schmugglern selbst eine Falle. Victoria und der Forscher Lady Victoria flieht mit einem pikanten Geheimnis zu ihrem Patenonkel, dem Duke of Lamberth. Als sich dessen Neffe Frederick zu ihnen gesellt, werden Vickys Überzeugungen plötzlich auf den Prüfstand gestellt. Kann der Freund ihrer Kindheit etwa der Mann ihrer Zukunft sein? Drei sinnliche Liebesgeschichten in einem Band.
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Sammelband
Lamberth Familie
von
Felicity D’Or
Elinor und der Duke Roman
*
Constance und der Schmuggler
Roman
*
Victoria und der Forscher
Kurzroman
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Elinor und der Duke 0
Constance und der Schmuggler168
Victoria und der Forscher370
Impressum
Copyright © 2021/22/24 Felicity D‘Or
Alle Rechte vorbehalten.
Covergestaltung:
Coverdesign: Giusy Ame / Magicalcover.de und Veronika Prankl
Bildquellen: shutterstock, depositphotos
Illustrationen: depositphotos
Herausgeberin:
Veronika Prankl
Auenstraße 201
85354 Freising
Sämtliche Texte und das Cover dieses Buches sind urheberrechtlich geschützt. Eine Nutzung oder Weitergabe ohne Genehmigung des jeweiligen Urhebers oder Rechteinhabers ist nicht zulässig und daher strafbar.
Lamberth Familie 1
Historischer Liebesroman von
Felicity D’Or
Impressum
Copyright © 2022 Felicity D‘Or
Alle Rechte vorbehalten.
Coverdesign: Giusy Ame / Magicalcover.de
Bildquelle: shutterstock
Lektorat: Margaux Navara Korrektorat: Sabine Klug
Illustrationen: depositphotos
Herausgeberin:
Veronika Prankl
Auenstraße 201
85354 Freising
Prolog
Wie pervers konnte ein Mensch sein, dass er sich sogar freute, weil die einzige Frau, die er jemals geliebt hatte, endlich wieder mit ihrem Gatten vereint war?
Jack Dewitt, seines Zeichens fünfter Duke of Lamberth, hatte längst aufgegeben, seine Gefühle für Amelia Pearson zu verstehen. Amelia und ihr Ehemann William gehörten zueinander, das wusste jeder. Außer Pearson selbst, diesem Idioten, der aufgrund eines Missverständnisses seine Frau und die Kinder verlassen hatte.
Anstatt endlich, nach Jahren des Leidens und Sehnens aus der Ferne, Amelia für sich zu nehmen, hatte Jack nun also zur Versöhnung des Paares beigetragen.
Der Duke of Lamberth stand auf der großen Freitreppe, die in den Garten des protzigen Stadthauses führte. Sie befanden sich auf der alljährlichen Sommernachtsmaskerade, die Lady Falstaff opulent und dekadent ausrichtete. Wie überall im Haus war auch hier alles üppig geschmückt. Laternen hingen in Bäumen, Fackeln säumten die Wege, und exotische Topfpflanzen verströmten ihren süßen Duft.
Der Duke hatte keine Augen für die verschwenderische Pracht, zerstörte den Blumenduft, indem er den Rauch seiner Zigarre ausstieß. Warum war er immer noch hier? Irgendetwas schien mit seinem Kopf nicht zu stimmen.
Amelia und William Pearson. Er hatte die beiden verschwinden sehen und sein perverses Wesen hatte es ihm nicht erlaubt, sofort den Ball zu verlassen. Sie feierten irgendwo in den verborgenen, dunklen Nischen dieses Lustgartens zweifellos eine zügellose Versöhnung, die Frau, die er seit Jahren anbetete, und ihr Ehemann.
Er sollte gehen. Hier gab es nichts mehr für ihn. Lamberth sah die maskierten Gäste um ihn herum. Wie sie lachten, so taten, als wären sie anonym, bloß weil sie eine Maske trugen. Seiner Erfahrung nach trugen Menschen immer Masken. Er selbst ja auch. Dafür musste er sich nicht verkleiden. Es war ihm gleich, ob er erkannt wurde.
„Lamberth, so ganz alleine?“, gurrte eine Dame, die über und über mit Pfauenfedern geschmückt war.
„Lady Cowley“, grüßte er sie und blies ihr Rauch ins Gesicht. „Nur die männlichen Pfauen tragen so viel Gefieder. Sie scheinen mit ihrem Kostüm geirrt zu haben. Aber stimmlich könnte es passen.“
„Sie sind ein ungehobelter Klotz, Lamberth. Wenn Sie es darauf anlegen, Leute zu beleidigen, so bleiben Sie doch zu Hause!“ Die keifende Dame machte kehrt und suchte ein anderes Opfer.
Was scherte es ihn? Der Grund, weshalb er überhaupt hier war, lag darin sicherzustellen, dass Amelia wieder glücklich war.
Träge paffte er vor sich hin, bis ihn Bewegung und das Schimmern eines silbernen Kleides aufschreckten. Amelia! Und ihr Gatte rannte hinter ihr her. Sie waren nicht lange fort gewesen. Nicht lange genug, um sich zu versöhnen ... und wie sie über den Rasen stürmten, schienen ihre Probleme noch nicht aus der Welt geräumt.
„Ah, da sind ja unsere Turteltäubchen!“, erklärte er scheinbar ungerührt.
William Pearson keuchte wild auf und unterbrach die verworrenen Gedankengänge des Dukes, sobald er ihn erblickte. „Du musstest deinen Liebhaber mitbringen, Amy?“
Hatten die beiden das noch immer nicht geklärt? Lamberth konnte es nicht fassen. Kopfschüttelnd sah er auf das Paar vor ihm.
„Wie bitte?“ Die zauberhafte Amelia ignorierte den Duke – nichts Neues seit fast zehn Jahren – und warf ihrem Gatten einen schockierten Blick zu. Es wäre lachhaft, wenn es nicht so schmerzhaft gewesen wäre. Amelia würde niemals einen anderen Mann anrühren. Schon gar nicht Jack.
Doch Pearson in seiner Eifersucht sah das nicht und ging mit erhobenen Fäusten auf Lamberth zu. Jack hatte es vermutlich verdient, sich mit Pearson zu prügeln, weil er vor ein paar Wochen durch eine unbedachte Äußerung den Mann glauben ließ, seine Frau würde eine Affäre mit ihm in Erwägung ziehen. Nicht einen Moment hatte der Duke gedacht, dass Pearson das wirklich annehmen würde. Und wenn, hätte Amelia alles mit zwei Sätzen klären können.
Das schlechte Gewissen in Lamberth regte sich. Natürlich hatte er gar nichts getan, die Lady nicht angefasst.
Pearson hatte falsche Schlüsse gezogen, aber Lamberth hatte ihn nicht sofort berichtigt.
Vermutlich sollte er dem Mann seine Wange hinhalten, aber es lag nicht in seiner Natur, zu tun, was er sollte. Jack drückte in aller Seelenruhe seine Zigarre auf der steinernen Brüstung aus. „Was reden Sie denn da, Pearson? Kümmern Sie sich lieber um Ihre Frau!“
William schob sich an Amelia vorbei und schien ihn gar nicht gehört zu haben. „Sie! Reicht es Ihnen nicht, mit dem Glück meiner Familie zu spielen, um zu bekommen, was Sie wollen? Müssen Sie es mir jetzt auch noch unter die Nase reiben? Ich habe Ihnen den Weg frei gemacht, aber Sie geben erst auf, wenn alles zerstört ist, was?“
Was für ein pathetischer Grünschnabel. Amelia hatte einen gleichaltrigen Mann geheiratet. Beide waren erst Mitte zwanzig. Im Vergleich zu diesen beiden kam sich Lamberth mit seinen fast vierzig Jahren wie ein Methusalem vor.
„William, wovon sprichst du? Und in Gottes Namen, sei leiser!“ Der Duke registrierte, wie Amelia den Arm ihres Gatten ergriff, den dieser erhoben hatte, um zum Schlag auszuholen. „Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist, Lamberth!“
Um die Lippen des Dukes zuckte ein Lächeln. „Wissen Sie nicht, schöne Amelia? Sie sind in ihn gefahren, Sirene, die Sie sind.“
Amelia Pearson war der Inbegriff der holden Weiblichkeit. Haare wie gesponnenes Mondlicht, eine zarte, elfengleiche Figur und ein Gesicht wie eine Puppe. Sie hätte jeden haben können, inklusive ihn. Aber statt eines Dukes hatte sie ihre Jugendliebe Pearson gewählt, einen einfachen Squire.
„Ich bringe Sie um, ganz gleich, was die Konsequenzen sind, Lamberth! Amelia ist meine Frau und Sie werden sie nie wieder anrühren!“ William riss sich von ihr los. Sein Gesicht war wutverzerrt. Um sie herum blieben die anderen Gäste stehen. Trotz der Masken würde man sie nur zu schnell erkennen.
Zeit, das hier zu beenden, bevor ein waschechter Skandal daraus wurde.
„Mein lieber Pearson, ich fühle mich geschmeichelt und gebe gerne zu, dass ich den Reizen Ihrer Gattin gegenüber nicht unempfänglich bin.“ Er wehrte Williams Hand mit einem gekonnten Griff ab. Der Mann sollte sich glücklich schätzen mit seiner Frau, statt Händel zu suchen mit imaginären Kontrahenten. „Allerdings sollte ich Sie verprügeln dafür, dass Sie Mrs Pearson zutrauen, bei so etwas mitzumachen. Sie Glückspilz sind der einzige Mann, und werden es wohl in alle Ewigkeit sein, den die Lady auch nur ansieht!“ Mit einem Nicken und einem bedauernden Lächeln in ihre Richtung drehte sich der Duke um und ließ die fassungslosen Pearsons zurück, die sich einer wachsenden, wispernden Zuschauerschar gegenübersahen.
Ein hoffnungsloser Fall
Mittsommernachtsball, London 1807, fünf Minuten später
„Jack, du musst endlich damit aufhören!“
Zur Hölle mit aufdringlichen Schwestern! Jack Dewitt, fünfter Duke of Lamberth, ignorierte Lady Constance Dewitts aufgeregte Stimme und fokussierte sich auf sein Ziel, den Ball schnellstmöglich zu verlassen.
Diese Szene im Garten war unwürdig gewesen. Seiner Stellung und Amelias Familie gegenüber.
Vermutlich mochte er es, sich selbst Schmerz zuzufügen – sonst hätte er sich von diesem Ort, diesem Ball ferngehalten. Zumindest ab dem Moment, an dem er erfuhr, dass SIE anwesend sein würde. Aber nein, er hatte es nicht fertiggebracht abzusagen. Stattdessen hatte er die Frau, die einen anderen liebte, in Begleitung seiner eigenen Schwester in seiner Reisekutsche gefahren und in sein Stadthaus eingeladen. Damit sie sich ihren Gatten zurückholte.
„Jack! Verflixt noch mal!“ Eine Hand ergriff seinen Arm und klammerte sich fest.
„Constance! Lass mich in Frieden!“ Er drehte sich zu seiner Halbschwester und traf auf ihren besorgten Blick. Warum konnten es die Frauen nicht sein lassen, sich einzumischen? Er war fast vierzig Jahre alt, aber seine kleine Schwester, die er als Baby herumgetragen hatte, für deren Ausbildung er gesorgt hatte und die immer noch seinem Haushalt vorstand, sah ihn an, als wäre er ein Kleinkind, das des Trostes bedurfte.
Um sie herum drängten sich betrunkene Gäste und zügellose Paare. Constance setzte an zu sprechen, aber Jack schüttelte den Kopf. „Ich verschwinde von hier.“
Diese Art Vergnügung entsprach nicht Jacks Vorlieben. Nicht, dass er Wein und Frauen gegenüber abgeneigt wäre. Dieser Ball war zu künstlich, die Leute zu aufdringlich und zu verzweifelt in ihrem Streben nach Amüsement. Lady Falstaff scheute keinen Aufwand für ihren alljährlichen Mittsommernachtsball. Kein Wunder, die Frau hatte den alten Lord Falstaff wegen seines Geldes geehelicht und versuchte nun mit allen Mitteln, ihre Langeweile zu bekämpfen. Sie rühmte sich ihrer ausschweifenden Festivitäten, ihrer jungen Liebhaber und sonnte sich im Ruf einer Gastgeberin par excellence. Der Duke hatte nicht den Eindruck, dass es Lady Falstaff glücklich machte.
Er wusste wohl am besten, dass Reichtum allein kein erfüllendes Leben bedeutete.
Aber wer war er, über Glück zu philosophieren? Manche Dinge wurden nur durch Ablenkung erträglich.
Die Gäste dieses Balls scheuten sich vor gar nichts, da sie alle Masken trugen. Jetzt, nachdem das Fest seit einigen Stunden in Gang war, sah Jack im Schein der Leuchter zu viel nackte Haut für seinen Geschmack, die Leute lachten zu laut und tanzten zu ungeniert. Was zu Beginn zauberhaft exotisch gewirkt hatte, wurde zusehends vulgär. Über allem lag der stickige, exotische Duft, der die Dschungelatmosphäre unterstreichen sollte, aber Jack Kopfschmerzen verursachte. Vor seiner großen, breitschultrigen Gestalt wichen die Leute zurück. Vielleicht lag es an seiner finsteren Miene. Kaum jemand wagte es, ihn anzusprechen. Das war auch besser so.
Seine Schwester entzog sich mit einem schnellen Schritt den dreisten Fingern eines römischen Legionärs und folgte ihm in Richtung Flur. „Ich komme mit. Ich habe genug hiervon.“
Na wunderbar, jetzt musste er Constance nach Hause bringen. Aber sie alleine zurückzulassen, stand nicht zur Debatte. Zweifellos konnte sich Constance schützen, dafür hatte er gesorgt, aber wenn sie genug von diesem Ball hatte, so blieb ihm keine Ausrede. Außer ...
„Was ist mit deiner Freundin?“
Constance’ Augenrollen hätte ihr von ihrer früheren Gouvernante schlimme Schelte eingebracht, aber nicht von Jack.
Sie hatten das Foyer erreicht und er ließ seine Kutsche vorfahren. Endlich konnten sie die überfüllte Residenz verlassen. Jack sog die schwüle Nachtluft ein, bevor er eine Zigarre aus seiner Jackentasche holte.
Constance hielt sich zurück, bis sie in der luxuriösen Kutsche saßen. Auf der Hinfahrt waren sie noch zu dritt gewesen. Jetzt saß das Gespenst Amelias zwischen ihnen.
„Amelia wird von ihrem Ehemann nach Hause gebracht werden.“
Jack grunzte etwas. Nach Hause? Ihre Sachen befanden sich in seinem Stadthaus. Sie hatte wie so oft in den Jahren davor in seinem Haus genächtigt und gespeist und war in seinem Wagen zum Ball gefahren.
Und sie hatte sich zum wiederholten Mal für ihren Ehemann William entschieden.
„Jack, die halbe Gesellschaft hat mitangesehen, dass du dich beinahe mit William Pearson geprügelt hast!“
„Nun mach mal halblang. Er wollte mich schlagen. Ich kann nichts dafür! Er sollte dankbar sein, dass ich ihn nicht verprügelt habe!“ Jack verschränkte die Arme und sah in die nächtliche Straße hinaus. Da eine Dame anwesend war, musste er sich mit der Zigarre gedulden.
„Er hat behauptet, du wärst Amelias Liebhaber, und alle Umstehenden haben es gehört! Jack, es kann dir doch nicht gleichgültig sein? Amy ist nicht die Richtige für dich und ich weiß, dass du sie nie gegen ihren Willen zu etwas zwingen würdest! Am Ende fordert er dich noch zu einem Duell!“
„Halt dich aus meinem Liebesleben heraus!“, entgegnete er schärfer als beabsichtigt. Natürlich war Amelia Pearson nicht die richtige Frau für ihn. Schlicht und ergreifend, weil sie einen anderen liebte. Und selbst wenn es so ausgesehen haben mochte, als würde er versuchen, das zu ändern, entsprach das nicht der Wahrheit.
„Was hast du getan, Jack?“
„Was ich getan habe?“ Jetzt hatte er seine teure Zigarre zerbrochen, so fest verkrampften sich seine Finger. Was für ein fürchterlicher Abend. „Ich habe Amelia zu viel Geld für ein Fohlen bezahlt, damit ihre Blagen eine anständige Schulbildung erhalten. Das habe ich getan. Es ist nicht meine Schuld, wenn Pearson nicht mit seiner Frau spricht!“
„Grundgütiger! Das war der Handel? Es ging um ein Pferd?“ Constance selbst schien nur die Gerüchte zu kennen.
„Es kann sein, dass ich Pearson gegenüber erwähnt habe, dass ich mich mit seiner Frau geeinigt habe und er das falsch verstand“, setzte er grummelnd hinzu. Der Moment, als der Nebenbuhler zusammenzuckte und kreidebleich wurde, hatte ihm eine nicht unerhebliche Befriedigung verschafft. Woher hätte er wissen können, dass der dumme Kerl seine Frau daraufhin verließ?
Pearson hatte die falschen Schlüsse gezogen und seine Frau verlassen. Jack hatte ihn dafür verachtet, aber niemals ausgenutzt, dass Mrs Pearson alleine zurückblieb. Nein, er hatte sie sogar auf diesen Ball begleitet, damit sie sich mit ihrem William versöhnen konnte. Ein anderer Mann hätte einer Frau, die einen Duke zugunsten eines Squires abwies, eine Lektion verpasst.
„Jack, du weißt doch, dass die Leute das Schlimmste von dir glauben. Warum machst du so etwas?“
Da er kein Mann vieler Worte war und aufgrund seiner Größe und des schwarzen Haares auf viele Menschen bedrohlich wirkte, nahmen diese Personen gerne an, er sei ein Schurke wie aus dem Lehrbuch. Mehr als einmal hatte Jack diesen Eindruck ausgenutzt. Damit ihn die Leute in Frieden ließen. Er praktizierte einen grimmigen Blick speziell für Matronen, die sich gerne einmischten, und wusste genau, wie er lästige Bittsteller loswurde, die es auf sein Vermögen abgesehen hatten.
„Die Vorurteile der Gesellschaft sind mir egal.“
Aber er hatte sich nie einer Frau aufgedrängt.
Schon gar nicht Amelia, dieser zarten Elfe. Die beste Freundin seiner Schwester mit ihrem mondhellen Haar und der schlanken Gestalt, hell, wo Constance dunkel war, war mit fünfzehn Jahren plötzlich erblüht. Aus dem dünnen Mädchen war eine strahlende junge Frau geworden und Jack hatte beschlossen, dass sie die nächste Duchess of Lamberth werden sollte.
Nur hatte Amelia in ihrem ganzen Leben nie einen anderen Mann angesehen als William Pearson, ebenso blond und blauäugig wie sie und ebenso verliebt. Jack hatte trotzdem seine Fühler ausgestreckt, aber das Mitleid in den Augen von Amelias Mutter hatte ihn davon abgehalten, seine Werbung um die junge Frau zu verstärken. Er gratulierte dem Paar, stürzte sich in die Arbeit oder verbrachte Zeit in London mit dem Parlament und Regierungsangelegenheiten. Seine Mätressen wechselten und niemals wieder erwog er zu heiraten.
Er fand, dass er sich wie ein wahrer Gentleman benommen hatte und schien dennoch der Schurke zu sein. Also durfte er sich auch einmal wie der Schurke benehmen.
Dieses letzte Missverständnis hatte er nicht aufgeklärt. Aber wer hätte gedacht, dass das Traumpaar des Distrikts sich beinahe trennen würde, dass William Pearson für die vermeintliche Gunst des nachbarlichen Dukes sein Unglück in Brandy ertränken und Amelia still für ihre Kinder leiden würde?
„Ich habe deine Versöhnungsmission unterstützt. Die Maskerade ertragen. Es reicht. Schluss mit diesem Thema!“ Er würde den Pearsons zukünftig aus dem Weg gehen.
„Ich weiß, es geht mich nichts an, ...“ Jack zog die Augenbrauen hoch, und wie erwartet fuhr Constance trotzdem fort. „Du bist ein Mann in den besten Jahren und ich finde es unerträglich, dass du die letzte Dekade damit zugebracht hast, einer Frau nachzutrauern, die du nicht haben kannst!“
Pathetisch. Ja. Aber was sollte man machen, wenn keine andere an diese herankam?
„Du hast Amy auf einen Sockel gestellt, auf den sie nicht gehört, Jack! Sie ist auch nur ein Wesen aus Fleisch und Blut!“
„Es reicht jetzt, Constance!“ Jeder andere wäre bei diesem Tonfall zusammengezuckt und hätte es nicht gewagt, weiterzusprechen. Nicht so seine Schwester.
„Nein, das tut es nicht! Amy wäre eine fürchterliche Duchess. Binnen zwei Wochen hättest du genug von ihr. Sie interessiert sich nicht für Gesellschaften, mag es nicht, einen großen Haushalt zu führen, und ist genau dort am glücklichsten, wo Pearson sie wieder hinbringen wird: auf einem kleinen Landgut mit Pferdezucht.“
Er sagte nichts dazu. Jede Bemerkung würde Constance nur anstacheln. Innerlich hoffte er, sie erreichten bald ihr Ziel, damit er sich verabschieden konnte. Er wollte eine frische Zigarre anzünden, im Club eine Karaffe Brandy trinken und dann nach Zerstreuung suchen. Aber bei Constance brachten all seine grimmigen Blicke nichts. Nicht einmal von seinem Knurren ließ sie sich abbringen.
„Du bist ein Duke. Du solltest einen Erben haben, das große Haus mit Leben füllen.“
„Ich habe einen Erben. Freddie ist so ein freundlicher Kerl, er wird sicher bald heiraten und ein paar ebenso fröhliche, nette Kinder machen, wie er es selbst ist. Ist das nicht eine viel angenehmere Aussicht für das Herzogtum als meine Wenigkeit?“ Jack hatte oft genug erklärt, dass er nicht plane, in den Stand der Ehe zu treten. Damit war der ehrenwerte Frederick Burton ein hervorragender Fang auf dem Hochzeitsmarkt und der Duke musste sich nicht mehr mit den Debütantinnen abgeben. Für alle anderen Bedürfnisse gab es die Frauen bei Madame Hélène.
Sie hatten zum Glück endlich die Stadtresidenz erreicht, was ihm den Rest der Tirade ersparte.
„Gute Nacht!“
Constance stieg aus und sah ihn erwartungsvoll an.
„Ich fahre noch in den Club“, erklärte er, holte eine frische Zigarre hervor, biss ein Ende ab und beauftragte den Kutscher. Aber erst, nachdem er das Rauchwerk an einer der Lampen entzündet hatte.
„Du bist ein hoffnungsloser Fall, Jack!“, hörte er seine Schwester noch rufen. Da musste er ihr recht geben.
Der Herrenclub musste für alle Situationen herhalten, in denen Gentlemen nicht von Frauen belästigt werden wollten. Da unterschied Jack sich nicht von anderen Herren. Gott gnade den englischen Aristokraten, falls die Damen jemals diese Bastion überquerten. Jetzt, Ende Juni, war nicht mehr viel los in der Stadt und der vermutlich größte Teil seiner Bekannten verlustierte sich noch bei Lady Falstaffs Maskerade. Er trank einen Brandy und schlug ein Angebot zum Whist aus, bevor er beschloss, sich bei Madame Hélène verwöhnen zu lassen.
Seine letzte Mätresse hatte er um Weihnachten herum verabschiedet. Es war öde geworden, ihr künstliches Lächeln zu sehen, und ihr routiniertes Liebesspiel erregte ihn nicht wirklich. Wie auch? Lisette hätte alles gemacht, was er ihr auftrug, solange er bezahlte und ihr von Zeit zu Zeit ein teures Schmuckstück zukommen ließ. Ein Geschäft, das zusehends vorhersehbarer wurde.
„Ah, mein lieber Duke? Sie sind bei der Maskerade nischt fündisch geworden?“ Madame lachte ihr trillerndes Lächeln und setzte ihren falschen Akzent ein. „Isch abe einen wahren Leckerbissen für Sie! Eine rassige Schönheit mit Zigeunerblut. Gina!“
Hinter einem schweren Samtvorhang trat hüftschwingend eine leicht bekleidete, üppige junge Frau hervor. Goldkettchen klimperten an ihrem Körper, umschmeichelten den Nabel eines runden kleinen Bauches. Alles an dieser Frau schrie danach, Lust zu spenden.
Wenn Gina ihn nicht vergessen lassen konnte, dann war er in der Tat ein hoffnungsloser Fall.
Der rechte Plan zur rechten Zeit
Miss Elinor Harding hatte eine exakte Vorstellung von ihrem zukünftigen Ehemann: Schlicht und ergreifend existierte dieser Herr nicht.
Denn bisher hatte sie nicht einmal in Erwägung gezogen, zu heiraten.
Weshalb auch? Sie war reich, sie war nicht dumm und sie langweilte sich nicht. Zwischen ihrem Landhaus an der Küste und dem Haushalt in London, den sie für ihren Vater führte, gab es genügend, womit sie sich beschäftigen konnte.
„Miss Harding, ich beglückwünsche Sie zu diesem Blumenarrangement“, war daher nichts, das dem Gentleman, welcher an diesem Abend im Hause Harding eingeladen war, einen Vorteil brachte.
Elinor lächelte – nach mehr als einer Stunde nichtssagenden Geplauders über das Wetter, ihre Frisur und die Speisen war der Herr nun bei den Blumen angelangt. „Das Kompliment muss ich an meine Cousine weitergeben, Sir, sie kümmert sich um die Blumendekoration“, erklärte sie mit Blick auf Celia.
Zum wiederholten Male stockte die Konversation peinlich berührt. Elinor seufzte innerlich. Ihr Vater wollte unbedingt, dass sie einen Ehemann fand, weshalb er immer wieder Herren einlud, die er von seinem Club oder von den Geschäften her kannte. Dieser hier, Edward Carpenter, war ein aufstrebender Kaufmann, der als Gatte der Alleinerbin des reichen Mr Hardings ausgesorgt hätte. Er hatte Elinor einmal am Sonntag hinter der Kirche aufgelauert. Sie war ihm auf den Fuß getreten und blitzschnell auf die Straße, wo sie nicht alleine war, gelaufen. Leider hatte ihn das nicht genügend abgeschreckt und Mr Carpenter hatte eine Einladung zum Dinner ergattert.
Er sah nicht übel aus, nein, man konnte es bedeutsam schlechter treffen mit Ehemännern. Aber Elinor fand die Vorstellung, jeden Tag beim Frühstück schon nach einem gemeinsamen Thema suchen zu müssen, grauenvoll. Außerdem hatte sie ihm deutlich genug gezeigt, dass sie seine Avancen nicht guthieß. Doch er ließ nicht locker. Vorhin, als er ankam, hatte er unbemerkt von den anderen in ihr Ohr geflüstert, dass er die Jagd mochte. Zweifellos betrachtete er sie als seine Beute.
Dem würde sie es zeigen.
„Wissen Sie, Mr Carpenter, dass man aus Kampfer und Thymian den vortrefflichsten Hustensaft herstellen kann?“
Celia sah alarmiert von ihrem Dessert auf, Mr Harding sandte ihr einen verwirrten Blick. Ihr Galan bemühte sich um ein höfliches Lächeln. Gut, warum sollte es ihm besser ergehen als ihr? „Als unsere Haushälterin diesen schrecklichen Husten hatte – im letzten Winter, kurz nach Epiphanias – da half ihr das, erinnert ihr euch, Celia, Papa?“
Die beiden Angesprochenen starrten erstaunt vor sich hin – Mrs Goddard war nie krank – und Elinor fuhr fort. „Das war damals, als sie diese grässlichen Klumpen hustete. Sie hat so geröchelt, die Ärmste, konnte nächtelang nicht schlafen und all dieser Schleim! Ihr wisst, der gelbliche ...“
Mr Carpenter schob das Dessert von sich, aber sein Lächeln blieb festgefroren. Natürlich sagte er nichts zu diesem für ein Dinner völlig unpassenden Thema. Er gehörte zur Gruppe der Hartnäckigen. Elinor war so viel wert, dass Männer bereit waren, dafür auch sehr viel zu ertragen.
„Ich habe ihr also diesen Trank gebraut.“ Sie zählte etliche Kräuter auf, hob lateinische Namen hervor und zitierte willkürlich und wichtigtuerisch. „Die Botanik – ich interessiere mich sehr für Botanik, Mr Carpenter – die Botanik ist nämlich meine Leidenschaft!“ Celia räusperte sich und der Vater versuchte, ihren Monolog zu unterbrechen.
„Liebes, du langweilst unseren Gast.“
„Wie könnte das langweilig sein? Papa, habe ich es nicht wunderbar erreicht, die arme Mrs Goddard von ihrem Schleimhusten zu heilen?“
„Doch, sicher, das hast du, Liebes“, murmelte der liebende Vater, der sich fragte, wann seine Haushälterin jemals so elend gewesen war.
„Ich kann Ihnen zeigen, wie man den Trank braut, Mr Carpenter, und dann können Sie ihn probieren.“ Elinor sah ihn auffordernd an.
Der Gast verlor sein Lächeln und schreckte zurück. „Aber liebe Miss Harding, ich bin wohlauf. Ich versichere Ihnen, dass ich mich bester Gesundheit erfreue!“
„Jeder ist mal krank. Wir finden schon etwas, das ich behandeln kann. Haben Sie vielleicht mit Winden zu kämpfen? Oder falls Sie sich verletzen, da habe ich eine Salbe. Sie ist besonders wirksam in der Wundheilung, weil man zerstoßene Nacktschnecken dazugibt.“
Das war zu viel. Mr Harding erhob sich. „Ich glaube, es ist Zeit für den Tee, meine Herrschaften.“ Der alte Herr bot Mr Carpenter noch einen Sherry im Herrenzimmer an.
Celia begleitete Elinor in den Salon, wo der Tee serviert wurde. „Das hat der arme Mr Carpenter nicht verdient, Elinor.“
Elinor wusste selbst, dass diese Charade kindisch gewesen war. Aber dennoch. „Er? Habe ich nicht etwas Besseres verdient als diesen Kerl? Er will doch nur Papas Partner werden und sich mein Vermögen sichern.“ Sie setzte sich auf eines der hübschen neuen Sofas. „Wenn Papa nur endlich verstünde, dass ich nicht heiraten möchte.“
„Elinor, er will nur, dass du später nicht alleine bist.“ Celia, die deutlich älter war, sah das Thema ein wenig anders.
Elinor war zwanzig Jahre alt und es war ihr schleierhaft, weshalb Frauen eine Ehe in Erwägung zogen, wenn sie nicht finanziell darauf angewiesen waren. Sie war natürlich nicht so weltfremd, dass ihr entging, dass sie sich in einer ausnehmend glücklichen Lage befand. Weder brauchten die Hardings das Geld, noch waren sie auf der Suche nach lukrativen Beziehungen. Ihr Vater hatte sich sein Geschäft und sein Vermögen selbst aufgebaut, indem er seine Ersparnisse und die Mitgift der seligen Mrs Harding schlau nutzte. Sein Genie in Finanzanlagen war bekannt und Einkommen und Ansehen stiegen stetig. Wie das so ist mit Kapital, das sich immer weiter vermehrt, waren die Hardings in den letzten zwanzig Jahren immer reicher geworden. Und weil sie Kaufleute waren, mussten sie sich nicht sorgen um Erben und Geburtsrechte, wie es in der Aristokratie üblich war.
Elinor würde als einziges Kind einmal alles erben.
Und dem Herrn, dem die Ehre ihrer Hand widerfuhr, ein Vermögen einbringen.
Elinor konnte wählen. Sich einen Titel kaufen und einen bankrotten noblen Landsitz retten. Oder Macht steigern, indem sie einen anderen reichen Kaufmann ehelichte. Sie könnte einem aufstrebenden Politiker zu einem Vorsprung verhelfen, den ihm ihr Reichtum einbrachte.
Sie wollte nichts dergleichen.
Sie sah ja überhaupt nicht ein, sich so zu verschachern.
Also hatte sie alle bisherigen Bewerber abgelehnt oder vergrault.
Kurz darauf betrat Mr Harding den Salon. „Elinor, ich fürchte, Mr Carpenter war nicht sehr erbaut von deinem medizinischen Vortrag. Er hat sich entschuldigt und wird nicht wiederkommen. Zweifellos hast du genau das bezweckt mit deinem schrecklichen Benehmen.“ Er wischte sich mit dem Tuch über die Stirn und hustete selbst. „Ich hoffe nur, du musst deine Kenntnisse nicht bald an mir erproben. Ich lege mich zu Bett.“
„Ist dir nicht wohl, Papa?“ Elinor hatte sich erhoben und legte ihre Hand an seine Stirn. Ein wenig hatte sie schon ein schlechtes Gewissen, weil sie sich so unverzeihlich benommen hatte. „Du bist warm. Ich dachte, der Husten vom letzten Monat hätte sich gebessert? Und du weißt genau, dass ich keine Tinkturen selbst herstelle. Ich lasse Dr. Godwin rufen.“
„Nein, nein. Ich muss mich nur ausruhen, Liebes. Gute Nacht.“
Doch am nächsten Morgen war der Husten zurück und Elinor hätte alles gegeben, um ihrem Vater Erleichterung zu verschaffen. Rächte sich ihr Geflunker vom Vorabend auf diese Art? Wollte ihr das Schicksal ein Zeichen geben, dass es etwas anderes mit ihr vorhatte?
„Wie geht es ihm?“ Mit besorgter Miene eilte Elinor zu Doktor Godwin, der das Zimmer des Vaters eben verließ.
„Miss Elinor, er ist schwach geworden.“ Mitleid stand in den Augen des Arztes mit den buschigen Brauen. „Solange er sich keinen weiteren Infekt holt und sich ausruht, kann er noch eine Weile durchhalten.“
Elinor schloss die Augen. Eine Weile, was bedeutete das? Wochen oder gar Monate? Ein Jahr? Ihr Papa war immer für sie da gewesen. Nach dem Tod der Mutter hatten sie sich gegenseitig aufgefangen.
„Es muss doch etwas geben, das ich für ihn tun kann?“, flüsterte sie hoffnungsvoll.
„Seien Sie bei ihm. Machen Sie es ihm leicht.“
Ihr wurde eng ums Herz. Die einzige Sorge des Vaters galt ihr, die er alleine zurücklassen musste.
Der Arzt griff nach seiner Tasche und ließ sich vom Butler den Hut reichen. An der Haustür drehte er sich noch mal um. „Vielleicht hilft ihm Meeresklima. Sie haben doch ein Landhaus an der Küste, Miss Harding!“
Betreten sah Elinor zu, wie sich die schwere Eichentür hinter dem Arzt schloss. Dann schüttelte sie die Lethargie ab und schritt durch das Haus zum Apartment des Vaters.
Es gab nur eine Sache, die sich Mr Harding wünschte.
Stets hatte sie gedacht, schon einen Zweck zu finden, etwas, das sie mit ihrem Erbe anstellen konnte, außer noch reicher zu werden. Sie hatte darauf vertraut, dass die Zeit ihr zeigen würde, was das Schicksal mit ihr vorhatte. Eine Ehe basierend auf der Gier des Ehemanns stand nicht zur Debatte.
Doch nun musste sie einen Gatten finden. Schnellstens.
Sie sah auf das blasse, faltige Gesicht in dem übergroß wirkenden Bett hinab und seufzte, als sie sich daneben auf einem Stuhl niederließ und seine Hand ergriff.
Die Augenlider des alten Herrn flatterten und er erwiderte den Druck ihrer Finger.
„Papa, ...“ Sie räusperte sich. Ihr Hals war trocken. „Papa, was hältst du davon, nach Ayreton zu reisen und der Hitze der Stadt zu entfliehen? Du könntest im Westflügel ein Apartment beziehen, ebenerdig und mit Blick zu Mamas Rosen.“
Der Bankier schlug die Augen auf und lächelte. „Das würde mir sehr gefallen, Ellie, liebes Kind.“ Ihre Freude wurde getrübt, als er den ergrauten Kopf schüttelte. „Aber wie sollst du in Sussex einen Ehemann finden, Liebes? Ich fürchte, ...“
Mr Hardings einziger Wunsch war, seine Tochter in guten Händen zu wissen. Egal, was sie dazu sagte, er bestand darauf, dass er sie nicht alleine auf dieser Welt zurücklassen würde. So schön es wäre, ihn durch pure Sturheit zu halten, so wusste Elinor, dass der Tag kommen würde. Wollte sie ihren Vater in Frieden seine letzte Reise antreten lassen, musste sie ihm diesen Wunsch erfüllen.
„Mach dir keine Sorgen, ich werde ein paar Freunde und Gentlemen einladen, eine Hausparty veranstalten. Nichts Großes und du wirst im Westflügel deine Ruhe haben.“
Der alte Mann hustete röchelnd und Elinor hielt ihm nach dem Abebben des Anfalls ein Glas Wasser an die Lippen. Als er sich gefangen hatte, stimmte er dem Plan zu. Ob aus Müdigkeit oder Überzeugung, konnte sie nicht erkennen.
Ginge es nach Elinor, so bliebe sie unverheiratet. Wozu brauchte sie einen Ehemann? Sie konnte bei der Ehe nur verlieren, außer sie fände eine Liebe, wie ihre Eltern sie erlebt hatten. Bisher hatte sie niemals mehr als freundschaftliche Gefühle einem Mann gegenüber empfunden.
Doch all dies zählte nicht mehr, seit ihr Vater erkrankt war. In dieser einen Sache durfte sie Papa nicht enttäuschen.
Sie war bereit, ihm den Wunsch zu erfüllen, sie abgesichert zu sehen.
„Ellie, Liebes, du bist eine wunderbare Frau geworden. Hübsch und klug wie deine Mutter. Aber eine Frau braucht einen Mann, der sie schützt. Wenn ich nicht mehr da bin, dann wird ein Ehemann dafür sorgen, dass du nicht übervorteilt wirst.“ Wie oft hatte er das schon erklärt.
Sie teilte seine Meinung nicht – weder war sie hübsch, noch brauchte sie einen Mann, der auf sie achtgab – aber Elinor liebte ihren Papa. Sie konnte ihn nicht gehen lassen im Wissen, dass er sich um sie sorgte.
Der Gedanke einer Hausgesellschaft war spontan gewesen. Damit sie ans Meer fahren konnten. Das Landhaus in der Nähe von Bognor an der Küste von Sussex war herrlich, aber sie pflegten dort kaum gesellschaftlichen Umgang.
Wollte sie diesen Sommer heiraten, musste sie schleunigst planen und dafür sorgen, dass sich passende Kandidaten einfanden.
Miss Elinor Harding revidierte ihre Einstellung und die Vorstellung von ihrem zukünftigen Ehemann. Irgendwo gab es ihn. Sie musste ihn nur finden.
Selbstverständlich setzte sie ein ansprechendes Äußeres voraus. Dabei ging es ihr nicht um modisches Aussehen oder ein hübsches Gesicht. Nein, gesund und gepflegt sollte er sein, da ihr für Menschen, die sich gehen ließen, jegliches Verständnis fehlte.
Des Weiteren musste ihr Zukünftiger in der Lage sein, ein Gespräch zu führen, ohne sie zu Tode zu langweilen. Eines Mannes, der nur über sich selbst reden konnte, würde sie allzu schnell überdrüssig werden. Und das wollte sie nun wirklich nicht riskieren. Niemand konnte von ihr erwarten, ihr Leben an der Seite eines Dummkopfs zu verbringen.
Der wichtigste Charakterzug jedoch war, dass der Herr lenkbar sein musste.
Die meisten Männer waren leidlich gut zu handhaben, wenn man sich Mühe gab und ein paar Regeln befolgte. Sie hatte nicht vor, sich den Rest ihres Lebens herumschubsen zu lassen. Daher galt es, einen Gentleman zu finden, der bereit war – wissend oder unwissend – von ihr gesteuert zu werden. Elinor war nicht so töricht, zu glauben, dass alle Gentlemen diese so angenehme Anlage besaßen. Viele der Herren waren arrogant genug, zu denken, die Ehefrau müsse nach ihrem Willen leben, sei dazu da, herumkommandiert zu werden.
Gehorsam etc.
Pah!
Nun, sie würde sich nicht unbedarft fügen, sondern einen Gentleman ehelichen, den sie ebenso subtil lenken konnte wie ihren Vater.
Mäuse lockt man mit Speck
Es galt Herren einzuladen, die zu Elinors Bedingungen passten. Das stellte sich als schwieriger heraus, als sie gedacht hatte.
Die Aristokraten liebten es, sich für die Sommermonate aufs Land zurückzuziehen. Wie passend, dass die Hardings über ein großzügiges Manor Hause mit Parkanlagen an der Südküste von Sussex verfügten.
Es war kein altehrwürdiges Landgut, sondern ein moderner Sommerwohnsitz voller Komfort. Ayreton House hatte Papa für Mama erbaut, damit sie sich im milden Seeklima erholen konnte. Mrs Harding hatte ihre schwachen Lungen aus der Zeit, die sie als Kind im stickigen London verbracht hatte, nie mehr heilen können, aber sie liebten und hegten das Anwesen, auf dem die Mutter begraben war.
Dorthin wollte sie Gentlemen einladen, die als Ehemänner infrage kamen.
Die ganze Nacht hatte Elinor wachgelegen und als der Morgen graute, hatte sie eine Liste mit Gentlemen erstellt, die ihr passabel erschienen.
„Aber du kannst doch nicht einfach Herren einladen und dann auswählen!“ Elinors Cousine Celia, die bei ihnen lebte, sah entsetzt von ihrem Frühstück hoch, als Elinor den Plan erklärte. „Die Herren wählen ihre Gattin – nicht umgekehrt.“
Celia war ihr eine liebe Freundin und fungierte zugleich als Chaperone für sie. Die Tochter von Mr Hardings Schwester war mit ihren zweiunddreißig Jahren unverheiratet und lebte seit dem Tod ihrer Eltern vor sechs Jahren bei den Hardings. Die kleine unscheinbare Miss Grant verstand nicht, weshalb Elinor nicht heiraten wollte. „Du hattest so viele Möglichkeiten, Ellie, hättest du nur Mr Harebotham genommen. Oder den Baron.“
„Ich bitte dich, Celia! Harebotham ist zwanzig Jahre älter als ich und hat Kinder aus erster Ehe. Sir Lynley konnte seine Augen nicht von Lydia Sefton abwenden, die zwar hübsch wie eine Porzellanpuppe ist, aber auch über genauso viel Verstand verfügt. Beide wollten nur mein Geld.“
„Aber ist das nun anders, wenn du heiratest? Wer könnte es sich leisten, deine Mitgift nicht zu beachten? So sind die Dinge nun mal.“
Dass dies die Wahrheit war, zweifelte Elinor nicht an. „Eben darum muss ich selbst wählen – und zwar klug. Ich brauche einen Gatten, der mich nach der Hochzeit nicht aufs Land sendet, um dort zu versauern, während er mein Geld verschleudert. Einen Gentleman, der im besten Fall eigene respektable Interessen hat und mich mein Leben führen lässt, wie es mir gefällt. Ein Ehemann erlangt die volle Gewalt über mich. Da muss ich so sicher wie nur möglich sein, dass er diese Macht nicht missbrauchen wird.“ Elinor zog ihre Liste hervor. „Sieh, Celia. Ich habe ganze fünf Herren meiner erweiterten Bekanntschaft gefunden, die nicht spielsüchtig, geistlos, übergriffig, dominant oder uralt sind. Die muss ich nach Ayreton einladen.“
Celia überflog die Liste und seufzte. „Du kannst Mr Felton streichen. Mrs Felton hat gestern bei der Modistin verkündet, dass er sich mit Mary Wilhart verlobt hat.“
Das ging ja gut los! Elinor verdrängte die Mutlosigkeit, die nach ihr zu greifen drohte, und schnappte sich das Papier. „Dann stehen eben noch vier zur Auswahl. Alle kann ich eh nicht heiraten.“
„Du solltest einen Mann heiraten, den du lieben und respektieren kannst, Elinor.“ Celia glaubte an die große Liebe. Zweifellos las sie zu viele Romane.
„Ich muss mich absichern, Celia. Liebe ist da nur hinderlich.“
Schließlich willigte Miss Grant ein, allerdings ohne ihre Bedenken aufzugeben.
An diesem Abend im Theater trafen die beiden Damen auf Frederick Burton und dessen Cousine. Burton stand ganz oben auf ihrer Liste und seine Tante Lady Constance (die jünger war als er selbst – eine verworrene Familie) hatte Elinor vor ein paar Tagen erzählt, dass sie die Vorstellung besuchen würden.
„Lady Constance, wie schön, Sie zu sehen.“ Burton war wichtig für den Plan, aber seine Cousine anzutreffen, erfreute sie beinahe ebenso sehr. Die Lady war wie Elinor selbst eine große Frau. Ihr nachtschwarzes Haar lief an der Stirn spitz zu, was sie beinahe etwas gruselig wirken ließ. Aber Elinor hatte Lady Constance bisher als gewitzte Gesprächspartnerin kennengelernt, was ihr sehr viel wichtiger war als deren Status oder Aussehen. „Ich freue mich, Sie noch in London anzutreffen. Was für ein glücklicher Zufall!“ Elinor erzählte von ihren Plänen einer kleinen Hausgesellschaft am Meer. „Ayreton ist ein wahres Paradies und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie beide meine Einladung annehmen.“
In Lady Constance’ grauen Augen blitzte etwas auf. „Das hört sich herrlich an, nicht wahr, Frederick? Du liebst das Meer doch so.“
Mr Burton lächelte traurig. „Das ist wahr. Das Meer und Ihre Gesellschaft, Miss Harding, sind eine verlockende Vorstellung. Leider muss ich dennoch ablehnen. Der Duke möchte übermorgen nach Hause, nach Lamberth Castle, reisen. Er hat mich gebeten, ihn zu begleiten.“
„Ich bin mir sicher, dass mein Bruder noch ein wenig auf dich verzichten kann, Frederick.“
„Der Duke wird Ihre Zeit doch nicht völlig beanspruchen, Mr Burton? Jeder darf mal ein paar Tage zur Erholung einschieben, nicht wahr?“
„Sie kennen meinen Onkel nicht, Miss Harding, nicht wahr?“
„Ich hatte noch nicht das Vergnügen.“
„Lamberth ist kein Mann, dem man widerspricht.“
„Ich bitte dich, Freddie, Jack ist kein Oger“, warf Lady Constance ein. „Er nimmt seine Arbeit und die Verantwortung, die er als Duke trägt, sehr ernst. Das ist alles.“
„Natürlich, Constance. Da ich sein Erbe bin, sehe ich das ebenso.“
Elinor schwankte in ihrer Einschätzung von Mr Burton. Der junge Mann war äußerst freundlich und zuvorkommend, ansehnlich und intelligent. Das ja, aber als Erbe von Lady Constance’ Bruder musste er ständig nach dessen Pfeife tanzen. Und was man so über den Duke of Lamberth hörte, war dieser kein angenehmer Zeitgenosse.
Nun war die Einladung aber ausgesprochen und es gab kein Zurück. Vermutlich hatte jeder ihrer Kandidaten irgendwo einen Schwachpunkt. Sie musste nur die Woche auf Ayreton nutzen, um zu entscheiden, mit welchem Makel sie am ehesten leben konnte.
Und um den betreffenden Herrn zur Ehe zu bewegen. Aber diesem Aspekt des Plans würde sie sich später widmen.
„Falls Sie es sich anderweitig überlegen, lassen Sie es mich wissen, Mr Burton. Lady Constance, ich würde mich sehr über Ihre Gesellschaft freuen. Ayreton ist der schönste Ort an der Küste, um sich von den Strapazen der Saison zu erholen.“
Zwei Tage darauf hatte sie tatsächlich nicht nur die Zusagen zweier weiterer Gentlemen ihrer Liste, sondern auch diejenige von Lady Constance und Mr Burton. Lady Constance würde für Ausgeglichenheit zwischen den Geschlechtern sorgen. Als Schwester eines Dukes genoss sie zudem einen hohen Rang, der ihrer Gesellschaft sogar noch mehr Respektabilität und Exklusivität verschaffte.
Elinor lächelte zufrieden, während sie die Vorbereitungen vorantrieb. Mr Burton schien sich tatsächlich gegenüber dem Duke und dessen Ansprüchen durchsetzen zu können. Das war sehr vielversprechend.
Celia und Elinor brachten ihre Garderobe noch auf den neuesten Stand und bestellten Köstlichkeiten, die vor Ort nicht zu haben waren. Die Erfahrung hatte Elinor gezeigt, dass es schwierig wurde, Delikatessen geliefert zu bekommen, sobald der Prinzregent und seine Entourage im nahen Brighton abstiegen. Dann schien sich die gesamte Küste nur noch auf Brighton und Prince George zu konzentrieren.
Sie wollten sichergehen, dass sie ihren Gästen einen perfekten Aufenthalt boten. Die Hardings mochten nur Geschäftsleute sein, aber Elinor verkehrte in den höchsten Kreisen, war tadellos ausgebildet und sich ihrer Vorteile genauso bewusst wie ihrer Schwächen. Obwohl sie nicht nur ihres Geldes wegen erwählt werden wollte, stand sie nicht darüber, besagtes Vermögen für ihre Zwecke einzusetzen. Ein elegantes Haus und erstklassige Verpflegung konnten ihr den Weg ebnen. Konnten das für sie tun, was andere durch ihre Schönheit gewannen.
Sie organisierte die Fahrt für ihren Vater so angenehm wie möglich. Die Vorfreude auf das schöne Anwesen, das seine Gattin so geliebt hatte, schien Mr Harding neue Kraft zu geben. Trotzdem war er nach der Ankunft sehr müde. Sie brachten ihn in einem Teil des Westflügels unter, der sonst für Gäste reserviert war. Hier hatte er Ruhe und einen direkten Zugang zum Garten, ohne Treppen bezwingen zu müssen. Die Räume neben Elinors Appartement, die sonst der Hausherr bewohnte, richteten sie für Viscount Sandring, den höchstrangigen unter den Gästen. Ein paar Tage später war alles bereit. Das Anwesen erstrahlte in der Julisonne, herausgeputzt wie eine Debütantin.
Lasset die Spiele beginnen
„Guten Tag, Sir“, begrüßte Elinor Benedict Hunsford, den Bruder eines Viscounts aus Wales. Der Mann war perfekt nach der neusten Mode gekleidet und frisiert und verfügte über angenehme Manieren in Gesellschaft, aber sie musste unbedingt testen, ob er sich führen ließ. Denn in Wales wollte sie keinesfalls residieren. Es galt herauszufinden, wie er sich sein zukünftiges Leben vorstellte. Leider kannte Elinor ihn kaum, aber ihre Liste war so schon mickrig genug gewesen, weshalb sie ihn inkludiert hatte. „Wie schön, dass Sie es einrichten konnten, uns hier zu besuchen! Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise!“
„Miss Harding, ich freue mich sehr, hier sein zu dürfen!“ Hunsfords kühler Blick glitt zufrieden über das dreistöckige Haus mit den beiden wohlproportionierten Seitenflügeln und der gepflegten Auffahrt, bevor er sie ansah und das Strahlen etwas dimmte.
Elinor hatte schon vor Jahren ihren Frieden damit gemacht, zu groß zu sein und zu herb in ihrem Aussehen, um mit den zarten Jungfern der Gesellschaft mitzuhalten. Sie trug ihr schweres braunes Haar in einem Knoten am Hinterkopf und verzichtete auf modische Löckchen ums Gesicht. Zu ihren kantigen Zügen sähe das lächerlich aus. Dafür war ihr pfirsichfarbenes Kleid von der besten Schneiderin Londons angefertigt und ihr Haar mit kostbaren Agraffen geschmückt.
Sie wusste, dass ihr Geld und ihr Status als Alleinerbin ihres Vaters der begehrenswerteste Zug an ihr waren, würde dem Vermögen aber nicht kampflos den Schauplatz überlassen. Hunsford schien anders zu denken. Sie sah ihm mit zusammengepressten Lippen nach, als er dem Butler ins Haus folgte.
Es gab ja noch zwei weitere Kandidaten und sie hatten eine Woche Gelegenheit, sich kennenzulernen. Sie fächerte sich Luft zu. Selbst hier, so nah am Meer, war es heiß. Seit Tagen brannte die Sonne unbarmherzig nieder.
„Elinor, ich hoffe inständig, du weißt, was du da tust!“ Celia blickte zweifelnd zu Elinor hoch. Die kleine Person musste sich jedes Mal strecken, um der hochgewachsenen Cousine in die Augen zu sehen. „Wieso schließt du nur aus, dass eines Tages der rechte Mann kommt und du dich verliebst?“ Die gesamte Fahrt über hatte sie Elinor damit in den Ohren gelegen. Celia war als junges Mädchen verlobt gewesen, aber der Zukünftige starb an einem Fieber.
„Du weißt, dass mir dazu nicht genügend Zeit bleibt. Außerdem habe ich in den letzten drei Jahren keinen Herrn getroffen, den ich lieben konnte, woher soll er denn nun so plötzlich kommen? Nein, nein. Es ist viel sinnvoller, eine Ehe sachlich anzugehen.“
Celia seufzte. „Natürlich. Aber ich hätte mir so gewünscht ...“
Eine weitere Kutsche fuhr durch das Tor und erreichte die gekieste Auffahrt. Elinor beendete das leidige Thema. „Irgendwann muss es doch sein und mir ist es lieber, ich halte dabei die Zügel in der Hand.“ Sie sah auf die Zufahrt. „Wer wird das sein? Erkennst du die Kutsche? Mr Burton und seine Cousine oder Lord Sandring?“
„Das ist eine sehr elegante Kutsche. Weder Mr Burton noch Lord Sandring haben ein solch prächtiges Gespann.“
Elinor gab Celia recht. Ihre Cousine verstand etwas von Pferden, aber dass es sich hier nicht um ein gewöhnliches Gefährt handelte, erkannte selbst sie. Vier Rappen mit weißer Blesse und ebensolchen Strümpfen zogen die schwarz lackierte Kutsche.
„Grundgütiger! Das ist Lamberths Wappen!“, entwich es Celia.
„Natürlich! Lady Constance hat sich die Kutsche ihres Bruders geliehen, um Mr Burton zu begleiten.“ Frederick Burton stand auf Elinors Liste nach wie vor ganz oben. Der junge Herr war ein liebenswürdiger Gesprächspartner, der stets auf den Komfort der Damen bedacht war. Außerdem sollte er seinen Verwandten, den Duke of Lamberth, beerben. Lamberth war als griesgrämiger Einzelgänger bekannt, der offen erklärt hatte, dass er nicht plante, einen Erben zu zeugen. Den Duke selbst wollte sie gar nicht erst kennenlernen. Selbstgefällige Aristokraten, die mit grimmiger Miene über ihr Reich herrschten, waren nichts, was Elinor reizte.
Daher kostete es sie all ihre Selbstbeherrschung, als aus der schwarz lackierten, luxuriösen Reisekutsche mit dem goldenen Wappen des Dukes der Träger des Titels selbst ausstieg. Wer sonst könnte der große Herr sein, dessen Züge so eine Ähnlichkeit mit Lady Constance bargen? Die dunklen Haare und das kräftige Kinn wiesen sie als Geschwister aus.
Celias unterdrückter Seufzer bestätigte, dass es sich bei dem hochgewachsenen Herrn im eleganten, dunkelgrauen Reiseanzug um Lamberth persönlich handelte.
Er half seiner Schwester beim Aussteigen und wandte sich dann den Gastgeberinnen zu.
Elinor und Celia knicksten, während Lady Constance die Vorstellung übernahm. „Meine liebe Miss Harding, mein Bruder hat spontan beschlossen, uns zu begleiten. Ich hoffe, das verursacht Ihnen keine Umstände?“
„Aber selbstverständlich nicht.“ Elinor erhob sich aus dem Knicks. Viel lieber hätte sie die Wahrheit gesagt und den ungebetenen Gast auf seine finstere Burg, oder von woher solche Aristokraten herrschten, zurückgeschickt. „Euer Gnaden, wir heißen Sie auf Ayreton willkommen!“
Mehr brachte sie nicht heraus und das Lächeln schien in ihrem Gesicht einzufrieren. Lamberth sah sie so durchdringend aus seinen grauen Augen an, dass sie meinte, er wolle sie sezieren. Wie Medusa, die ihre Opfer versteinern ließ. Nicht mit ihr! Ihr würde er keine Angst einjagen. Sie nutzte den Moment, um ihn genauer zu betrachten. Der berüchtigte Duke war nicht jung, was sich an den silbernen Schläfen zeigte, die sein ansonsten pechschwarzes Haar zierten, und um seinen Mund lagen harsche Falten. Aber diese Augen!
Durfte ein Mann solche Wimpern haben?
„Miss Harding!“ Frederick Burton war hinzugetreten.
Sie sollte sich von Lamberth nicht ablenken lassen. Elinor unterbrach den Blickkontakt. „Herzlich willkommen auf Ayreton, Mr Burton. Ich freue mich sehr, dass Sie es einrichten konnten!“ Neben seinem Verwandten wirkte er kleiner und unscheinbarer, als sie ihn in Erinnerung hatte, obwohl Mr Burton eine auffällige rosa Weste zum flaschengrünen Rock trug und deutlich herzlicher zu ihr sprach als der Duke.
Elinor beschloss, Mr Burton ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Da ihre Dienstboten hervorragend geschult waren, dauerte es nur wenige Minuten, die Zimmer neu zu verteilen. Der Duke erhielt das beste Apartment mit Meerblick. Lord Sandring würde sich mit einem weniger prächtigen Raum begnügen müssen, aber dieser Gentleman war Elinor mit Mitte vierzig eigentlich sowieso zu alt. Sandring war Nummer drei auf ihrer Liste, hinter Burton und Hunsford.
Nachdem alle zu ihren Zimmern aufgebrochen waren, besprach sich Elinor mit Celia in ihrem kleinen Salon. „Wie unmöglich von Lamberth, einfach hier aufzutauchen. Wir sind eine Dame zu wenig, jetzt, wo der Duke hier ist!“, beschwerte sie sich. „Wen können wir einladen, um die Zahlen auszugleichen?“
„Lady Dunston ist für den Sommer auf ihrem Landgut anwesend“, merkte Celia zögerlich an.
„Oh nein, sie ist so überheblich!“ Ihre nächste Nachbarin, eine Witwe, hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie die Hardings für Emporkömmlinge hielt.
„Sie könnte den Duke ablenken, Ellie!“
„Ablenken?“ Hatte Celia etwa beobachtet, wie der Mann sie betrachtete? Elinor wurde ganz schummrig, wenn sie an ihn dachte. Diese Augen ... Sie selbst brauchte Ablenkung!
„Ach, Ellie, es ist offensichtlich, dass er prüfen möchte, ob du gut genug bist für seinen Erben.“
„Wie bitte? Das ist doch wohl die Höhe!“, rief sie aufgebracht. Aber plötzlich ergab dieser Überraschungsbesuch Sinn. Der Duke ahnte etwas und wollte ein Wörtchen mitreden, wer die nächste Duchess wurde. Was für ein selbstgefälliger Wichtigtuer! Er hätte schließlich selbst heiraten und Nachwuchs zeugen können. Frau und Kinder, die sich nach Herzenslust von ihm herumkommandieren ließen.
„Dann nichts wie her mit Lady Dunston. Diese beiden haben sich verdient!“
Elinor beschloss, dem Duke aus dem Weg zu gehen. Er würde sie nicht von ihrem Ziel abbringen. Das wäre ja noch schöner!
Bevor sich alle Gäste vor dem Dinner im Salon trafen, besuchte Elinor Mr Harding, der im, dem Rosengarten zugewandten, ruhigen Westflügel untergebracht war. Der einst so tatkräftige Mann wirkte blass und klein in dem großen Bett. Sie sah, dass er schlief, und wollte ihn nicht wecken. Geschweige denn mit der Kunde beunruhigen, dass ein waschechter Duke ihr Hausgast war.
„Wie geht es ihm?“, erkundigte sie sich bei seinem Kammerdiener Briggs. „War der Arzt heute schon da?“
„Er ist schwach, Miss Elinor, aber unbedingt gewillt durchzuhalten, bis er Sie versorgt weiß. Die Reise hat ihn angestrengt, aber ich meine auch gesehen zu haben, dass ihm die Aussicht in den Garten Kraft schenkt.“ Briggs sah zu den bodentiefen Terrassentüren, durch die man den Rosengarten sehen konnte. Der Diener war im selben Alter wie ihr Vater und mehr als nur ein Angestellter. „Sobald er kräftig genug ist, werde ich ihn mit dem Rollstuhl an die frische Luft bringen.“
Elinor erklärte Briggs die Situation mit dem Duke. „Sagen Sie Papa bitte nichts davon. Ich möchte nicht, dass er sich aufregt.“
Mr Harding wusste, dass sich Gäste im Haus befanden, und wollte sie unbedingt begrüßen. Elinor hatte ihm erzählt, dass sie drei Kandidaten und Begleitung geladen hatte, aber nichts von ihren Kriterien erwähnt. Mr Harding hielt die Gäste für ehrliche Galane, die seine Tochter umwarben. Liebender Vater, der er war, verstand er nicht, dass die Gentlemen sich nicht für eine zu selbstsichere, zu groß gewachsene und zu willensstarke junge Frau interessierten, sondern aufgrund der anderen Vorteile einer Ehe mit ihr die Reise auf sich nahmen. Mr Harding hatte sein Leben mit Kaufleuten verbracht. Die Traditionen und Ansichten des Adels waren ihm fremd. Obwohl seine Tochter bei einigen Aristokraten empfangen wurde, hatte er kaum gesellschaftliche Beziehungen dorthin gepflegt.
An diesem Punkt seines Lebens würde ihn Elinor nicht mehr mit einem Herzog beunruhigen.
Briggs und Elinor hatten ihn davon überzeugt, mit der Begrüßung der Gäste zu warten, bis es ihm besser ging. Beide hofften sie auf das Wunder des Seeklimas. Falls es nicht eintreffen sollte, so konnten sie das nicht ändern. Aber zu riskieren, dass sich sein Zustand verschlechterte, kam genauso wenig infrage.
Briggs stimmte zu, die Anwesenheit des Dukes vorerst für sich zu behalten, und Elinor begab sich auf ihr Zimmer, um sich für das Dinner umzukleiden.
Elinor gab sich, völlig untypisch, besondere Mühe mit ihrer Garderobe für das Dinner am Ankunftstag der Gäste. Die neuen Kleider lagen selbstverständlich bereit und waren von auserlesener Qualität. Aber sie wählte zu der rosenholzfarbenen Seide nicht wie geplant das schlichte Medaillon, sondern die Perlen ihrer Mutter. Zwischen den beiden Reihen samten schillernder Kugeln funkelte ein diamantgefasster Rubin.
„Cross, bitte suchen Sie die Perlmuttkämme heraus und stecken Sie meine Haare etwas höher!“, verlangte sie von ihrer Zofe, die erstaunt aufsah und mit dem Kämmen von Elinors langen, dicken Strähnen innehielt. Weil ihr Haar so schwer war, trug sie meist einen schlichten Knoten, aber an diesem Abend musste sie ihre Kandidaten beeindrucken.
„Sehr wohl, Miss Elinor!“
Während Cross den Haarschmuck suchte, ließ Elinor die Perlen durch ihre Finger gleiten. Wie kühl und weich sie sich anfühlten. Kostbar und edel. Schmuck, der selbst einem Duke imponieren sollte!
Erschrocken legte sie die Juwelen zurück in ihr Kästchen zu den passenden Ohrringen. Wo kam dieser Gedanke her? Sie hatte es noch nie nötig gehabt, jemanden zu beeindrucken, schon gar nicht einen Gentleman, der uneingeladen auftauchte und aufgrund seines Titels eine Vorzugsbehandlung erwartete. Sie hatte sich nichts anmerken lassen und die Raumbelegung geändert, aber hier in ihren Privatgemächern konnte sie es zugeben.
Lamberth störte ihre Pläne allein durch seine Anwesenheit. Es war wirklich lästig.
Selbstverständlich würde sie sich keine Blöße geben. Elinor war davon überzeugt, dass sie genauso gut war wie diese Blaublüter. Sollte er es nur wagen, auf sie herabzusehen!
Mit diesen stahlgrauen, kalten Augen, die so durchdringend wirkten, als wollten sie ihre tiefsten Gedanken und Gefühle prüfen. Ein Schauder lief über ihren Körper. Sie durfte sich von Lamberth nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Ehrengast
Worauf hatte er sich da nur eingelassen?
Lamberth war überrascht. Nach allem, was ihm Constance erzählt hatte, erwartete er eine gierige, sozial aufstrebende Person, die sich an den Erben seines Titels heranmachte. Die Ankunft auf Ayreton hatte ihn eines Besseren belehrt.
Natürlich hatte seine Schwester andere Worte gewählt. Hatte er sie missverstanden?
Sie hatte vor ein paar Tagen, nachdem die Pearsons sich endlich versöhnt hatten, gefragt, ob er Freddie noch ein wenig entbehren konnte. Diese Miss Harding wäre sehr enttäuscht, wenn Constance ohne ihn bei der Gesellschaft auftauchte. Nun war Jack daran gewöhnt, dass junge Damen es auf ihn oder, wenn sie bemerkten, dass sie da auf Granit stießen, auf Freddie abgesehen hatten.
„Harding?“, hatte er hinter seiner Tageszeitung gemurmelt. „Müsste ich sie kennen?“
„Als ob du heiratsfähige junge Ladys kennen würdest, Jack! Miss Harding ist das einzige Kind eines Bankiers und Kaufmanns. Genau weiß ich nicht, worin ihr Vermögen besteht, aber man sagt, es sei enorm.“
„Ach, und damit will sie sich meinen Titel kaufen?“
Constance hatte seelenruhig weiter gegessen und getrunken und nur mit den Schultern gezuckt. „Das musst du sie fragen. Jedenfalls hat Miss Harding, die dem Haushalt ihres Vaters vorsteht, mich und Freddie eingeladen, einige Zeit in ihrem Anwesen am Meer zu verbringen.“
„Typisch“, hatte Jack gedacht. Mit Hausgesellschaften hatte er genügend Erfahrung. Wenn man nicht achtgab, so fanden sich dabei oft Gelegenheiten, jemanden zu kompromittieren. Die perfekte Umgebung, um einen zukünftigen Duke einzufangen. Zumal so einen gutgläubigen und naiven wie Freddie.
„Auf Lamberth Castle gibt es viel zu tun. Da muss diese Dame eben auf ihn verzichten.“ Gut, dass sich seinem Wort niemand widersetzen würde.
Constance hatte genickt und sehnsüchtig geseufzt. „Und ich wohl auch, da ich kaum ohne Freddie hinfahren kann. Als Verwandter repräsentiert er meine Familie und macht meinen Besuch respektabel. Dabei wollte ich so gerne ans Meer. Das Anwesen der Hardings soll überaus komfortabel und modern sein. In der Burg dagegen ist es stickig und finster um diese Jahreszeit und weit und breit findet man keine Erfrischung.“
„Lamberth Castle ist nicht halb so schrecklich, wie du behauptest!“ Es lag zwar im Landesinneren, aber immerhin gab es einen Teich im Park.
„Ach nein? Durch die Butzenscheiben dringt nicht gerade viel Licht. Und weil die Fenster so klein sind, kann auch keine Wärme in das Gebäude. Jack, du selbst jammerst darüber, dass du im Sommer Feuer machen musst.“
„Ich kann es mir leisten.“
„Du könntest es dir auch leisten, einen modernen Flügel anzubauen.“ Das hatte gesessen, weil er diesen Flügel fertig geplant in der Schublade seines alten Schreibtisches liegen hatte. Für seine Ehefrau hatte er die Burg umgestalten lassen wollen. Aber da es keine Duchess gab, waren die Pläne langsam verstaubt.
Doch was, wenn dieser Emporkömmling, diese Miss Harding, tatsächlich Freddie heiraten wollte? Zum ersten Mal wurde ihm wirklich deutlich, dass die Zukünftige seines Erben auch seine Burg erhalten würde. Eine vulgäre, neureiche Person, die die altehrwürdigen Hallen von Lamberth mit Kitsch vollstellte? Er kannte sie, die aufstrebenden Händler, die in ihrem Bedürfnis nach Anerkennung jeder Mode nacheiferten und keinen Sinn für das Alte, die Traditionen hatten.
Das musste er verhindern.
„Ich begleite euch.“
Constance hatte die Augen aufgerissen. „Das geht nicht! Du bist nicht eingeladen!“
„Wenn diese Miss Harding denkt, sie sei eines künftigen Dukes wert, dann wird sie kein Problem damit haben, einen aktuellen Duke zu empfangen.“
Er hatte sich darauf gefreut, die Dame gehörig aus dem Tritt zu bringen.
Doch statt einer vulgären Debütantin hatte er eine elegante junge Frau vorgefunden, deren Blick ihn schier erdolchen wollte. Für einen kurzen Moment zumindest, bis sie sich wieder gefangen hatte und ihn so höflich und distanziert unterbringen ließ, als wäre sein Besuch immer schon geplant gewesen.
Ganz offensichtlich hatte er die besten Räume des Hauses erhalten. Er sah sich um. Weshalb bewohnte Mr Harding dieses großzügige Apartment mit Blick aufs Meer nicht? So fix konnte sie ihren alten Vater nicht aus seinen Zimmern geworfen haben. Vermutlich musste sich ein anderer Gast nun mit einer Unterkunft in Richtung der Stallungen begnügen. Er schritt durch den Privatsalon und öffnete die Flügeltüren zu einem kleinen Balkon. Eine Terrasse, an die ein gepflegter Park anschloss, lag unter ihm. Dahinter konnte er das Meer glitzern sehen.
Dieses Anwesen war in der Tat wie geschaffen für Erholung während der heißen Monate und nicht zu vergleichen mit einer muffigen alten Burg – mochte sie noch so geschichtsträchtig sein. Ganz sicher zog hier kein Kamin und die Bewohner hatten es sogar im Winter warm und angenehm. Es gab einiges, das für moderne Neubauten sprach.
Neben seinem Balkon gab es nur einen weiteren. Er war nur ein paar Schritt entfernt. Jack sah sich um und stellte fest, dass die Symmetrieachse des Hauses genau zwischen den beiden kleinen Balkons lag.
Wer wohl das Apartment nebenan bewohnte?
Die hochgewachsene Elinor Harding mit ihrer statuenhaften, üppigen Figur? Constance hatte erzählt, dass Mrs Harding nicht mehr lebte und die junge Dame das Haus führte. Sein Blick blieb an den sich in einer leichten Brise bauschenden Vorhängen vor der Nachbarstür hängen. Stimmengemurmel bedeutete, dass sich dort jemand aufhielt.
Kleidete Miss Harding sich an? Er versuchte, sich die Lady im Negligé vorzustellen. Die vollen runden Brüste, nicht durch ein Mieder gebändigt und die rosige Haut ihrer Beine zwischen den losen Falten aufblitzend. Wie weit ihr Haar offen wohl über den Rücken fiel? Ob sie diesen strengen Knoten jemals herabließ? Ob sie jemals ein Negligé trug?
Sie verwirrte ihn. Höflich und sachlich sorgte sie dafür, dass er untergebracht wurde. Aber ihre Figur und die Emotionen, die sie hinter der Fassade versteckte, hatten seine Neugier geweckt. Was bezweckte sie wirklich mit dieser Gesellschaft?
Es gelüstete ihn nach einer Zigarre, aber dazu blieb keine Zeit mehr. Später würde er die Ruhe und die Aussicht genießen. Jetzt hatte er zu tun. Er seufzte und ging zurück in seine Räume, wo er sich von seinem Kammerdiener rasieren und umkleiden ließ.
„Der Dienstbotentrakt ist genauso modern wie der Rest das Hauses, Mylord“, erklärte dieser begeistert.
Es war ärgerlich. Jeder lobte diesen Ort. Constance und Frederick konnten nicht schnell genug hierherfahren, statt den Sommer auf seiner Burg zu verbringen.
„Dann genieße die Zeit hier, sie wird schnell genug vorüber sein“, erklärte er mit einem dunklen Unterton.
Viel lieber wäre Lamberth gewesen, hier eine schmachtende Jungfer vorzufinden, die versuchte, Gentlemen zu umgarnen, statt dieser ...
... dieser nach außen so perfekt und respektabel wirkenden Frau, von deren Manieren und Geschmack sich einige Aristokratinnen eine Scheibe abschneiden könnten.
Aber vielleicht war das alles nur ein Schauspiel? Musste es das nicht sein, wenn sie es auf Freddie abgesehen hatte? Eine Frau wie sie würde den armen Jungen zum Frühstück verspeisen. Freddie war zweifellos intelligent, aber er liebte auch seine Ruhe, gab im Zweifel nach und richtete sich nach den Wünschen der anderen. Nicht weil er so wenig Rückgrat hatte, sondern weil es ihm meist gleichgültig war. Deshalb wollte Jack ja mit seinem Erben nach dieser Gesellschaft nach Lamberth zurückkehren und ihn weiter mit den Ländereien vertraut machen.
Eine Ehefrau, die sich plötzlich über das Herzogtum hermachen und dort alles umkrempeln würde, ohne dass ihr Freddie etwas entgegensetzen konnte, war das Letzte, was er für den Neffen wollte.
Nicht mit ihm!
Voller guter Vorsätze, Miss Harding von seinem Erben abzulenken, betrat der Duke mit Constance und Frederick den Salon. Zuerst galt es zu prüfen, ob ihn sein erster Eindruck der jungen Dame getäuscht hatte. Lamberths Blick fiel allerdings auf Hunsford, und seine Brauen zogen sich verärgert zusammen. Was tat der denn hier? Jeder wusste, dass der Mann verzweifelt Geld heiraten musste. Und so wie er Miss Hardings Ausschnitt und die Perlen beäugte, an denen ein Rubin im Tal zwischen ihrer prächtigen Auslage baumelte, hatte er sich vorgenommen, damit sein zukünftiges Leben zu finanzieren.
In Jack regte sich etwas. Ärger über diesen Mitgiftjäger? Ärger über sie, die sich und ihren Reichtum so zur Schau stellte?
„Diese Juwelen sind übertrieben“, murmelte er an Constance gerichtet.
„Findest du? Ich meine, sie passen perfekt zum Farbton von Miss Hardings Kleid.“
Jack warf seiner Schwester einen Blick zu und Freddie meinte, dass Constance’ Schmuck sicher mehr wert sei als die Perlen ihrer Gastgeberin.
Ein weiterer Blick auf diesen Rubin und es war Jack gleichgültig. Eine Vision des Schmuckstückes und seiner Trägerin ohne störende andere Kleidung blitzte in Lamberths Kopf auf.
Von wegen schmachtende Jungfer! Das hier war eine Verführerin, eine Sirene!
Und sie nutzte alles, was ihr zur Verfügung stand.