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Zwischen Pferderennen und Debütantinnenbällen trifft ein Lord auf seine Jugendliebe. Flammen, die er längst verloschen glaubte, werden neu entfacht. Belinda Dudley hat ihre unglückliche erste Liebe nie vergessen. Eine Vernunftehe hat sie neun Jahre lang von dem Mann ferngehalten, der ihr Herz gebrochen hat. Als sie frisch verwitwet ihre junge Nichte in die Londoner Gesellschaft einführen soll, kann sie ein erneutes Aufeinandertreffen nicht verhindern. Was soll nach so langer Zeit schon passieren? Baron Quentin Trent ist einer der begehrtesten Lords der Londoner Damenwelt. Doch nun wird es Zeit für ihn, sich seinen Pflichten zu stellen, statt mit Fortuna‘s Lovers alberne Wetten abzuschließen und Gelage zu feiern. Das unerwartete Auftauchen seiner Jugendliebe Belinda bringt allerdings eine völlig andere Seite in ihm zum Vorschein. Plötzlich hat Quentin nur noch ein Ziel: die Frau, die ihn vor vielen Jahren so tief verletzt hat, zu erobern. Koste es, was es wolle. Eine spicy Romance im Regency-England.
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Fortuna’s Lovers
Band 3
Erfüllung
Regency Romance
Impressum
1. Ausgabe September 2023
© Felicity D’Or 2023
Alle Rechte vorbehalten.
Covergestaltung: Holly Perret, The Swoonies Romance Art
Korrektorat: Sabine Klug
Herausgeberin:
Veronika Prankl
Auenstraße 201
85354 Freising
Sämtliche Texte und das Cover dieses Buches sind urheberrechtlich geschützt. Eine Nutzung oder Weitergabe ohne Genehmigung des jeweiligen Urhebers oder Rechteinhabers ist nicht zulässig und daher strafbar.
Fortuna’s Lovers
Band 3
Erfüllung
Regency Romance
Kapitel 1
Krachend schlug die Faust von Quentin Trent, elfter Baron Trent, auf die massive Platte des ehrwürdigen Schreibtisches im Arbeitszimmer von Castle Trent. Der Schreibtisch war alt, aber nicht so alt wie die Burg. Für Trent’sche Verhältnisse mochte das schwere Stück, das nur von vier starken Männern zusammen bewegt werden konnte, sogar als modern gelten. Die barocke Nussbaumwucht konnte nicht mit dem Titel und dem dazugehörigen Wehrturm mithalten, die aus dem elften Jahrhundert stammten. Der erste Baron Trent hatte sein Land von William dem Eroberer erhalten.
In der Folge hatten seine Nachkommen sich einen Namen als Kämpfer gemacht, waren in Kreuzzüge gezogen und hatten, falls sie mal lange genug auf englischem Boden weilten, ihre Burg ausgebessert und erweitert.
Leider hatte keiner seiner Vorfahren die alten Mauern abgerissen und neu gebaut. Das jetzige Wohngebäude von Castle Trent stammte aus der Zeit von König Charles II. und schloss über den alten Südturm an die mittelalterliche Halle und ihre Anbauten der Tudorzeit an. Quentins Urgroßmutter hatte dafür gesorgt, dass die Trents im letzten Jahrhundert eine Pferdezucht aufbauten, was dazu führte, dass die Stallungen moderner und komfortabler waren als die Wohngebäude.
Quentin fror. Dieser alte Kasten mit seinen meterdicken Wänden wurde selbst bei Sonnenschein nicht richtig warm. Er musste in den sauren Apfel beißen und selbst jetzt, im April, ein Feuer schüren lassen. Seufzend zog er am Klingelzug neben dem aus Stein gehauenen Kamin.
Wenn er sich schon mit diesem Schreibkram abgeben musste, so wollte er es dazu bequem haben. Er bat nicht nur um ein Feuer, sondern auch um Tee und Kekse.
„Hat die Köchin wieder Zitronenküchlein gebacken?“, erkundigte er sich bei dem Lakaien.
„Ich werde nachfragen lassen, Eure Lordschaft. Ich denke, ja, es duftet heute ganz wunderbar in der Küche.“ Dem Personal war Trents Vorliebe für Süßspeisen wohlbekannt, profitierten sie doch auch davon. Als der Butler vor zwei Monaten einen neuen Mann einstellte, überhörte Trent, wie der alte Mr Albus dem jungen Mann erklärte, dass die Burg zwar kalt sei, es aber dafür immer Kekse in der Küche gäbe. Der Mann war geblieben.
In der Tat brachte der Lakai kurz darauf ein Tablett mit starkem Tee und zwei der Küchlein, die mit einer fluffigen Eischneemütze dekoriert waren. Genau so, wie Trent sie mochte. Er biss hinein und genoss wie beim ersten Mal die Kombination aus saurer Zitrone und süßem Topping, die cremige Konsistenz der Füllung und wie der Zuckerschaum auf seiner Zunge zerging.
Das war das absolut beste Gefühl der Welt! Besser als Sex!
Der Bissen blieb ihm im Hals stecken.
Sex.
Diese vermaledeiten Wetten!
Wie viel hatten sie vorgestern getrunken, dass sie sich auf diesen Wahnsinn eingelassen hatten? Erotische Wetten, um ihrem Ruf als Fortuna’s Lovers gerecht zu werden und um sich zu amüsieren, hatte Trents Freund Henry vorgeschlagen. Und Quentin hatte zugestimmt. In der Annahme, dass gewann, wer die meisten Frauen pro Nacht befriedigte, oder dass er möglicherweise ein kleines Rollenspiel aufführen sollte. Die Damen liebten es, wenn er mit seiner großen, stattlichen Figur und dem langen Haar den Wilden mimte.
Quentins Blick fiel auf die leeren Bögen Papier auf dem Schreibtisch. Simon kam viel zu gut davon. Obwohl es Henry Digby gewesen war, der die Wetten vorgeschlagen hatte, war Trent bewusst, dass die Art der meisten Wetten auf das Konto von Simon, Viscount Ingleford, gingen. Nur Simon käme auf die perfide Idee, ihre Schwächen so auszuspielen. Henry war verziehen – schließlich war seine Aufgabe für ihn unerfüllbar. Nur Betrunkene oder Simon kämen auf die Idee, ihren langjährigen Freund, der unter Höhenangst litt, dazu anzustiften, in einem Heißluftballon eine Dame zu beglücken.
Oder denjenigen ihrer Freunde, der ihre gesamte Studienzeit auf die Hilfe der anderen vertraut hatte, wenn es darum ging, Texte zu verfassen, eine erotische Geschichte schreiben und veröffentlichen zu lassen.
Herrgott noch mal! Trent schrieb ja nicht einmal Briefe, sondern reiste lieber zwischen der Burg und London hin und her. Auf dem Rücken eines Pferdes fühlte er sich deutlich wohler als am Schreibtisch.
Und nun musste er eine Geschichte verfassen und dafür sorgen, dass diese veröffentlicht wurde. Nicht unter seinem Namen, sondern unter dem überaus kreativen Pseudonym, das sich seine Freunde für ihn ausgedacht hatten: A. Goode Lay. Ein guter Beischlaf? Manchmal lag ihr Niveau auf der gleichen Höhe wie damals, als sie sich als grüne Studenten kennengelernt hatten und die Freiheiten und Freizügigkeiten des Lebens in Cambridge genossen hatten.
Eine ganze Stunde hatte er nun schon auf das Papier gestarrt. Sein Kopf war leer.
Erotische Texte? Ovids Ars Amatoria kam ihm in den Sinn, aber Latein war Sidwells – der vierte im Bunde der Fortuna’s Lovers – Stärke. Die weithin erhältlichen, frivolen Traktate über dralle Milchmädchen und die Herren, die ihnen in Büschen am Wegesrand auflauerten, reizten Trent nicht. Er fand das alles so plump und ausgeleiert wie schlüpfrige Seemannslieder.
Der Tee war kalt, die Küchlein vergessen. Trent schloss das Tintenfass.
Schriebe er so einen Text, würde er sich viel lächerlicher machen, als wenn er die Wettschuld einlöste, die sich die Freunde für ihn ausgedacht hatten: als Ritter verkleidet Führungen durch Castle Trent zu geben. In einer Kammer im Wehrturm lagen genug Rüstungsteile und die Sache wäre nach einem Tag erledigt.
Er erhob sich und zog sich seine Jacke über. Es gab Arbeit zu tun. Ein Rennen vorzubereiten und das Rennen auf Platz eins zu beenden. Er wollte den Gold Cup dieses Jahr in Ascot unbedingt gewinnen. Das letzte Mal war es so knapp gewesen. Aber Scheherazade, seine vierjährige Stute, war nun genau auf ihrem Zenit angekommen. In Newmarket hatte sie den zweiten Platz belegt und galt damit als einer der Favoriten für Ascot. Dieses Jahr oder nie. Danach würde sie in die Zucht gehen und niemand konnte voraussagen, wann er den nächsten Champion im Stall haben würde.
Die Verspannungen in Trents Nacken lösten sich, als er den gepflasterten Hof betrat. Hier in der Frühlingssonne war es deutlich wärmer als in dem dunklen Studierzimmer. Von der Rückseite des Hauses vernahm er Stimmen und Lachen. Dort lag ein Rosengarten, der bis zu den Überresten der mittelalterlichen Burgmauer reichte. Die Damen seines Haushaltes liebten den sonnigen Ort mit seinen Bänken und dem Springbrunnen, die eine Lady Trent dort hatte anlegen lassen. Vermutlich saßen seine Schwestern dort und stickten oder arrangierten Blumen oder was Damen eben so machten.
Er mied den Ort und die damit verbundenen Erinnerungen.
Schnellen Schrittes überquerte er den Innenhof zum alten Tor. Wassergraben gab es hier längst keinen mehr, aber noch immer musste man auf dieser Seite eine Brücke überqueren, um die neuen Stallungen und Weiden zu erreichen. Auf der Rückseite hinter dem Rosengarten hatte ein Vorfahr einmal Obstbäume gepflanzt, die sich dort an den sonnigen Hang schmiegten, nur unterbrochen von einem Fußweg. Die offizielle Zufahrt nach Castle Trent führte noch denselben Weg entlang, den vor Jahrhunderten die Ritter genommen hatten. Einmal sogar der König. Die Berichte über den Besuch von Henry VII. wurden in der Bibliothek in einer eigens dafür hergestellten, mit Schnitzereien verzierten Schatulle aufbewahrt.
Bei den Stallungen herrschte emsiger Betrieb. Pferdeknechte putzten die Tiere, führten Einjährige auf die Weiden, die sich über die Hügel bis zum Horizont erstreckten, oder saßen draußen und flickten Sattelzeug und Riemen. Jeder, der konnte, hatte sich einen Platz an der Sonne gesucht.
„Mylord!“ James Watley, Quentins Stallmeister und Verwalter, trat aus dem Schatten des Stalles zu ihm und begrüßte ihn. Watley war ein exzellenter Pferdekenner und es verging kaum ein Tag, an dem Trent nicht dankbar dafür war, dass dieser hervorragende Mann für ihn arbeitete. Ohne Watley stünden sie heute nicht an der Spitze des Rennsports.
„Wie sieht es aus, Watley? Haben Sie schon entschieden, welchen der beiden Jungspunde wir in Ascot auch laufen lassen? Socrates oder Suleiman?“
Watley, der fast ebenso groß war wie Trent selbst, aber mit einem leuchtend roten Haarbusch auf dem Kopf gestraft, führte ihn zu einer Weide, auf der ein prächtiger dunkelbrauner Hengst seine Mähne schüttelte. Das Fell glänzte in der Sonne. „Suleiman ist sich wohl bewusst, wie herrlich er aussieht, aber er ist auch eigensinnig. Obwohl er schneller ist, würde ich Socrates den Vorzug geben. Er ist berechenbarer.“
„Ich muss, sobald ich zurück in London bin, die Anmeldung machen. Wäre das Risiko zu groß? Wenn Sie mit Suleiman arbeiten, ist er fast so gut wie seine Schwester.“
Watley schüttelte den Kopf. „Wenn ich ihn reiten könnte, vielleicht, aber zum Jockey tauge ich nicht. Dazu müsste ich einen Fuß Länge und dreißig Pfund Gewicht weniger haben. Scheherazade hat sowohl das Feuer als auch die nötige Ruhe, um auf einem Turf wie Ascot zu bestehen. Er hier würde zwar eine Schau bieten, aber dadurch abgelenkt werden. Sehen Sie nur, Trent!“
Auf der Koppel neben der des schönen Hengstes, trabten zwei Fohlen und ihre Mutter, eine Fuchsstute, unter den Bäumen hervor. Suleiman warf den Kopf in die Luft und stolzierte mit wehender Mähne in ihre Richtung.
„Ah, Suleiman!“ Trent seufzte. „Er ist ein Angeber und das wird ewig seine Schwäche sein.“
„Er ist ein junger Hengst, der weiß, wie er auf andere wirkt. Können wir es ihm vorwerfen?“
Sie lachten und gingen zurück ins Büro des Stallmeisters. Es mussten so viele Dinge organisiert werden für das Rennen, das die Krönung von Trents Zucht werden sollte. Als Trent aufbrach, weil er sich für den Lunch beeilen musste, sah er vor sich auf dem Weg zur Burg eine schmale Gestalt laufen.
Nicht schon wieder! Mit seinen langen Schritten holte er sie unter dem Torbogen ein. „Susanna! Großmutter wird dich ausschimpfen.“
Das Mädchen – sie mochte etwa fünfzehn Jahre alt sein – drehte sich mit keckem Blick zu ihm. „Nur wenn du mich verrätst, Bruder!“
Er zerwühlte ihre schwarzen Locken, die ihr als Einzigen der Trents von der kastilischen Urgroßmutter vererbt wurden.
Alle anderen Familienmitglieder waren blond, wie ihre Mutter es gewesen war.
„Du weißt, dass du nicht ewig so tun kannst, als wärst du ein Stallbursche, nicht wahr? Irgendwann spricht es sich herum, dass Susanna Trent ein Wildfang ist. Wie willst du einen Ehemann finden?“
Sie schob trotzig das Kinn vor, was ihre üppigen Lippen noch betonte. „Ich werde niemals heiraten!“
Trent schüttelte den Kopf und deutete ihr mit einem Klaps an, dass sie verschwinden sollte. „Sieh zu, dass du dich umziehst und mit sauberen Händen zum Essen erscheinst.“
Wie konnten seine Schwestern nur so unterschiedlich sein? Helen war eine feingliedrige Lady, etwas zu ernsthaft und von ruhigem Gemüt. Sie wurde in dieser Saison in die Gesellschaft eingeführt und Trent hatte schon einigen Herren bedeuten müssen, dass er nicht darauf aus war, seine Schwester schnell zu verheiraten. Die hübsche sittsame Helen mit ihrer hervorragenden Abstammung und Mitgift war begehrt. Er wollte ihr jedoch Zeit geben, einen Partner zu finden, den sie auch als Mensch schätzte. Das war anstrengender, als er gedacht hatte, und kostete ihn jede Menge Zeit.
Als er das kleine Speisezimmer betrat, in dem die Familie den Lunch einnahm, wurde er bereits von Helen und der Dowager Lady Trent erwartet.
„Ah, Quentin.“ Die alte Dame sah auf die Uhr, die an einer feinen Kette um ihren Hals hing. „Lasst uns beginnen. Ich möchte nicht auf dieses unartige Kind warten.“
„Susanna ist unterwegs.“
Sie setzten sich an den runden Tisch mit den hochlehnigen Stühlen. Helen schlug widerstrebend das Buch zu, in dem sie gelesen hatte, aber die Großmutter war noch nicht fertig. „Zweifellos hast du sie in den Ställen angetroffen. Quentin, du musst strenger zu ihr sein oder sie wird uns allen auf der Nase herumtanzen!“
„Granny, sei nicht böse!“ Die Delinquentin schlüpfte etwas außer Atem auf ihren Platz, nun in ein einfaches gelbes Kleid gekleidet, die Haare zu einem Zopf geflochten, und drückte Lady Trent einen Kuss auf die Wange. „Quentin kann nichts dafür.“
„Oh doch, das ist seine Schuld, weil er nicht heiratet. Ich bin einfach zu alt, um einen Sack Flöhe zu hüten und euch Mädchen unter die Haube zu bringen. Wenn euer Bruder eine anständige Lady heiraten würde, könnte ich in Frieden mein Alter genießen.“
„Ich dachte, es sei Helen, die sich in London auf dem Heiratsmarkt umsehen soll, Großmutter. Ich habe anderes zu tun, wenn wir Ende der Woche in die Stadt zurückkehren.“ Das fehlte ihm gerade noch, dass er sich mit heiratswütigen Mädchen herumschlagen musste, die es auf ihn abgesehen hatten.
An eine Ehe hatte er seit neun Jahren nicht mehr gedacht.
Kapitel 2
„Du schuldest es uns, Catherine zu einer vorteilhaften Partie zu verhelfen, Belinda!“
„Kitty! Mama, ich mag es nicht, wenn man mich Catherine nennt!“ Catherine Hayworths Einwurf wurde von ihrer Mutter, Lady Larissa Hayworth, ignoriert, was zu einem resignierten Seufzer der jungen Dame führte, der ebenso ungehört verhallte.
Belinda Dudley, geborene Hayworth, ignorierte den Einwurf ihrer Nichte, weil sie zu perplex war über den Zweck dieses Überraschungsbesuchs. Während sie sich sammelte, um sich der Forderung ihrer Schwägerin zu stellen, ließ sie ihren Blick über das zu bunte Kleid mit den üppigen Spitzen und dem völlig überkandidelten Schmuck Larissas gleiten. Nichts hätte mehr den Aufstieg aus einfachen Verhältnissen zeigen können wie dieses Übermaß, das die Schwägerin leider in allem zur Schau stellte. Belinda legte den Keks, den sie hatte zum Mund führen wollen, wieder zurück.
Larissa war ihr schon immer auf den Magen geschlagen. Sie hatte sich mit der Gattin des Bruders nie besonders gut verstanden. Die bürgerliche Larissa Boggerton hatte sich durch die Heirat mit Sir Charles Hayworth mehr Glamour und Verbindungen erwartet, als sie tatsächlich erhalten hatte. Das Landgut der Hayworths, Longford, war ehrwürdig und ertragreich. Auch weil Charles die üppige Mitgift Larissas in den Unterhalt und landwirtschaftliche Verbesserungen gesteckt hatte. Doch obwohl die Familie mit allen großen Familien zwischen Chelmsford und Cambridge verkehrte, waren die Hayworths doch nur von schlichtem Landadel.
Was auch immer Larissa sich vorgestellt hatte, als sie Belindas Bruder heiratete, die Realität war hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Leider bekam Belinda nach so vielen Jahren immer noch den Großteil der Unzufriedenheit der Schwägerin ab.
Belinda nutzte die Zeit, während ein Lakai frischen Tee in ihren Salon brachte, um nachzudenken.
Larissa war nicht davon abzuhalten, wenn sie etwas sagen wollte. „Da du selbst keine Kinder hast, ist es dir ein Leichtes, deine liebe Nichte allen heiratsfähigen Gentlemen vorzustellen, Belinda. Meine Catherine ist hübsch und verfügt über eine erhebliche Mitgift. Dafür hat ihr Großvater gesorgt, wenn schon ihr Vater nichts tut, um die Kinder zu versorgen.“
„Also ich bitte dich, Larissa, Charles hat sicherlich für Kitty vorgesorgt, genau wie für eure anderen Kinder.“ Belindas Bruder war zwar kein sehr liebender Vater, aber genauso wenig ein verantwortungsloser.
Die kalten Augen von Larissa Hayworth funkelten wütend. „Mein lieber Gatte sorgt sich nur um seinen Erben. Ginge es nach ihm, müssten meine Mädchen Krämer heiraten.“ Eine starke Aussage von der Tochter eines Mannes, der mit Seehandel reich geworden war. Der alte Boggerton war der Inbegriff eines Kaufmanns aus der City.
Die Person, derentwegen dieses Gespräch stattfand, Catherine Hayworth, genannt Kitty, ein achtzehnjähriges Mädchen mit regelmäßigen Gesichtszügen und honigblonden Locken, sah stur auf ihren Kuchenteller, während Mutter und Tante über ihre Zukunft diskutierten. Wie weit würde Larissa gehen, um Kitty einen Titel zu verschaffen?
„Larissa, ich weiß nicht ...“
„Du durftest damals einen reichen Gentleman des Hochadels heiraten, Belinda. Ich habe deine Verbindung mit Dudley unterstützt und nun willst du es mir so vergelten?“
Eines musste man Larissa lassen. Sie verhandelte gut, wenn sie auch gerne die Fakten verdrehte. „Edward ist nur der Enkel eines Earls gewesen. Ich trage nicht einmal einen Titel, Larissa.“ Aber es stimmte, seit dieser Heirat gehörte Belinda zu einer mächtigen Familie.
„Ach was, du gehst bei den Dudleys ein und aus!“
Völlig übertrieben und nicht relevant, aber das interessierte Larissa nicht.
Kitty war ein liebes Mädchen, das wusste Belinda, die mit der Nichte eine lockere Korrespondenz unterhalten hatte. Doch dies war ihre erste Saison als Witwe nach der Trauerzeit. Sie hatte sich auf ihre Freiheit gefreut, wollte neue Bekanntschaften schließen und London endlich als freier Mensch genießen. Sie wollte sich Zeit nehmen, um herauszufinden, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen sollte. Eine Debütantin herumzuführen und zu bewachen war das genaue Gegenteil davon.
„Ich könnte Kitty ein paar Freunden vorstellen, das mache ich gerne. Aber eine ganze Saison?“ Sie versuchte es mit einem Kompromiss.
„Falls es dir um das Geld geht, ich besorge Catherines Ausrüstung, das Ballkleid für die Vorstellung bei Hofe ... keine Sorge. Niemand wird uns für arme Leute halten!“ Larissa zückte eine Geldbörse und Belinda erhaschte einen flehenden Blick von Kitty.
Nicht für arm, aber für vulgär, was in den Augen des Tons deutlich schlimmer war. „Eine Vorstellung bei Hofe kann ich Kitty nicht verschaffen, das solltest du wissen. Ich selbst hatte nie eine.“
Larissas Blick zeigte Kampfgeist, aber schließlich gab sie sich geschlagen. „Gut, dann eben nicht die Königin. Aber Almack’s und die anderen Bälle, auf denen meine Catherine Junggesellen kennenlernen kann. Es reicht, wenn du die Kontakte knüpfst. Falls dir die Bälle zu viel sind, dann begleite ich Catherine.“
So würde das nicht funktionieren und die Schwägerin war sich dessen genau bewusst. Sie manipulierte Belinda wie so oft zuvor. Larissas Ansprüche waren nur dann halbwegs erfüllbar, wenn niemand Kitty mit ihrer Mutter in Verbindung brachte. Larissa Hayworth fiele in den Salons der Aristokratie auf wie ein bunter Hund und das wusste sie genau. Eigentlich schade, dass solche Standesdünkel über Kittys Zukunft entscheiden sollten. Das arme Mädchen würde ohne Hilfe zur Schau gestellt und vernichtet werden.
Belinda bemerkte daher sehr wohl, dass sie manipuliert wurde, aber sie erinnerte sich nur zu gut an ihre eigene Heirat und wie diese zustande gekommen war. Das ständige Gemecker, die Seitenhiebe und Anspielungen, dass sie ihrem Bruder zur Last fiele, hatten sie mürbe gemacht. Der Gedanke, dass Kitty so etwas ertragen musste, schmerzte Belinda.
Ohne ihre Hilfe hatte Kitty keine Chance. „Also gut, ich denke darüber nach. Wie lange seid ihr in der Stadt?“
Larissa nickte zufrieden. „Wir bleiben noch zwei Tage. So kann ich für Catherine eine Garderobe anfertigen lassen.“
Grundgütiger!
Es kostete Belinda einiges an Anstrengung, ihr Entsetzen nicht zu zeigen. Larissas Geschmack war abscheulich.
„Ich begleite euch morgen zur Schneiderin.“ Als die Schwägerin ablehnen wollte, fuhr Belinda einfach fort. „Wenn ich Kittys Debüt begleiten soll, dann brauche ich freie Hand. Ich weiß, welche Kleider sie braucht, um von den Matronen akzeptiert zu werden. Wenn alles gut geht, kann ich eventuell sogar eine Einladung für Almack’s erhalten. Das ist es doch, was du willst, Larissa?“
Die Erwähnung von Almack’s, dem exklusiven Heiratsmarkt, bewirkte, dass Mrs Hayworth einwilligte, alles ihrer Schwägerin zu überlassen.
Belinda genoss das Theater an diesem Abend ganz besonders. Wer konnte schon sagen, wie viele freie Abende ihr noch blieben? Mit ihrer Freundin Lady Isobel Dumfries und deren Nichte Rosemary besuchte sie die Aufführung.
„Nun, dann werden wir demnächst beide also eine junge Lady unter unseren Fittichen haben!“ Lady Dumfries war eine Dekade älter als sie, und Belinda hatte sie als Nachbarin in Surrey schätzen gelernt. Seit der junge Lord Dumfries geheiratet und den Stammsitz übernommen hatte, verweilte die Freundin allerdings in London. Sie war Belindas erster Kontakt in der Stadt.
„Isobel, du genießt es, Rosemary herumzuführen, aber ich wollte eigentlich meine erste freie Saison selbst bestimmen.“ Belinda seufzte. So viel hatte sie sich vorgenommen. Das Leben mit Edward war kein schlechtes gewesen, aber sie hatten aus privaten Gründen eher zurückgezogen gelebt. Edward war so viel älter gewesen als sie und hatte es sich auf seinem Landsitz bequem eingerichtet. Als junge frischgebackene Ehefrau hatte sie es nicht gewagt, um Aufenthalte in der Stadt zu bitten, und später fehlte ihr der Anreiz, sich in Gesellschaft zu begeben. Es war mit jedem Jahr schwieriger geworden, ihr Zuhause zu verlassen.
„Ach Belinda, du wirst sehen, dass die Saison auch so aufregend genug ist.“
Auf jeder Veranstaltung ein Auge auf ein junges Mädchen haben zu müssen, statt sich selbst zu amüsieren, Menschen kennenzulernen und Neues zu erleben, das hielt Belinda nicht für aufregend.
Aber sie war nun mal keine besonders aufregende Person. Vermutlich waren die zaghaften Fantasien zu ihrer Freiheit als Witwe lediglich das: überspannte Fantasien einer Frau, die sich nie begehrt oder interessant gefühlt hatte. Sie war viel zu praktisch veranlagt für so etwas. Hatte sie am Vormittag wirklich der Schwägerin erklärt, sie wisse, was die Mode verlange? Dabei trug sie selbst nur hochgeschlossene Kleider in gedeckten Farben.
Belinda sah über den Zuschauerraum hinüber zur Loge der Inglefords, wo die Lady, die zwanzig Jahre älter war als sie, in einer glitzernden, tief dekolletierten Robe Hof hielt. Junge Gentlemen und modebewusste Gecken gaben sich dort die Klinke in die Hand. Beschämt sah Belinda auf ihr Kleid. Dunkelbrauner Taft ohne Borten mit einem zarten Spitzenkragen am züchtigen Halsausschnitt. Sie hatte gedacht, es wäre elegant und würde ihren Status als reife Persönlichkeit zeigen. Jetzt fühlte sie sich wie eine rückständige, alte Frau.
Aber es kam noch schlimmer.
Nach der Vorstellung winkte Lady Dumfries freudig einer Bekannten zu. Belinda erkannte sie zu spät, um sich zu verstecken.
„Meine liebe Lady Trent, wie geht es Ihnen? Und das ist Ihre reizende Enkelin, nicht wahr? Darf ich meine Nichte Rose vorstellen und Mrs Dudley, eine liebe Freundin?“
Belinda lächelte gequält. „Wir kennen uns. Die Trents sind Nachbarn meiner Familie in Essex. Guten Abend, Lady Trent, und Sie müssen Helen sein. Es ist lange her.“
Die junge Dame, die bisher so abwesend gewirkt hatte, lächelte erfreut auf. „Linda? Linda Hayworth? Sie haben mit uns im Rosengarten Verstecken gespielt.“ Helen Trents Blick glitt zu einem Punkt hinter Belinda. „Schau mal, wer hier ist, Quentin! Linda Hayworth! Ist das nicht großartig?“
Belindas Herz rutschte ihr in die Kniekehlen. Das Letzte, was sie an diesem Abend gebrauchen konnte, war, ihn zu sehen.
„Ihr Name lautet Dudley, Helen. Belinda Dudley, seit sie geheiratet hat.“ Diese Stimme. Würde sie niemals gegen ihn immun werden? Quentin Trent, der Schwarm ihrer Jugend, der Mann, der ihr Herz gebrochen hatte.
„Guten Abend, Baron.“ Belinda drehte sich zu ihm und nickte zur Begrüßung. Ihre Hände hatten sich um die Schnur des Retiküls gekrallt, so viel Kraft kostete es sie, ruhig zu bleiben. Da stand er. So gut aussehend wie immer, nein, er hatte Muskelmasse zugelegt in den Jahren, die sie sich nicht gesehen hatten. Noch immer trug er das blonde Haar lang, obwohl es nicht der Mode entsprach. Wie konnte es sein, dass er besser aussah denn je, während sich Belinda nicht wie siebenundzwanzig, sondern wie siebenundfünfzig fühlte?
Helen errötete peinlich berührt. „Natürlich, Quentin. Verzeihen Sie mir, Mrs Dudley. Ich habe nur so viele schöne Erinnerungen an unsere Kindheit. Warum besuchen Sie uns nicht einmal? Wenn Sie das nächste Mal bei Ihrer Familie in Longford verweilen, lassen Sie es uns bitte wissen. Sie müssen zum Tee kommen.“
„Es tut mir leid, ich plane in nächster Zukunft keine Reise nach Essex.“ So wie sie die letzten neun Jahre vermieden hatte, die Orte ihrer Jugend zu besuchen. „Meine Nichte Catherine wird sich mir für ihr Debüt hier in der Stadt anschließen.“
„Kitty wird debütieren? Wie schön. Dann ist sie also vom Pensionat zurück? Nun, man wird sich gewiss auf dem ein oder anderen Ball über den Weg laufen.“ Helen Trent war eine ausnehmend höfliche und freundliche Person. Belinda brachte es nicht übers Herz, sie abzulehnen, bloß weil ihr Bruder ein arroganter Mistkerl war.
„Ich freue mich darauf.“ Außerdem wurde Helen Trent von ihrer Großmutter begleitet. Ihr Bruder, der zu den berüchtigten Fortuna’s Lovers zählte, würde kaum seine Abende damit zubringen, heiratswillige Ladys zu bewachen. Er gehörte der Sorte Mann an, vor denen besagte Damen beschützt werden mussten.
Kapitel 3
Belinda Dudley!
Trent hatte selbstverständlich gesehen, dass sie im Theater war. Er hatte sie sofort erkannt. Selbst in diesem altbackenen Kleid, das vermuten ließ, dass sie auch dreizehn Monate nach dem Tod ihres Ehemannes noch Trauer trug. Diese großen, warmen Augen und die dunklen Haare, deren Ansatz leicht herzförmig war, würde er überall erkennen. Und trotzdem hatte sie sich verändert. Wo waren die Leichtigkeit und die Abenteuerlust, die er von ihr kannte? Sie waren als Kinder durch die Wiesen gestrichen und Belinda hatte alles entdecken wollen. Sie konnte nie still sitzen, wenn er angeln wollte. „Sieh nur, Quentin, da ist ein Vogelnest! Ich sehe die Schnäbelchen der Jungen!“ Er hatte ihr geholfen, auf den Baum zu klettern und die Vögel zu beobachten.
„Wie schön, Mrs Dudley wiederzusehen, nicht wahr, Quentin?“ Sie saßen in der Kutsche, die sie zurück ins Stadthaus der Trents brachte. Im Gegensatz zu anderen Aristokraten lebten die Trents in London in einem alten Kasten in der Nähe des Strands, der wie durch ein Wunder vom Großen Brand von 1666 verschont geblieben war.
Natürlich hatte Helen es auch nicht vergessen, dass Belinda mit ihr und Susanna Verstecken gespielt hatte, wenn sie ihren Vater oder Bruder nach Castle Trent begleitet hatten. Das Landgut der Hayworths lag nur vier Meilen von der Burg entfernt, aber in den letzten Jahren war der Umgang zwischen den Hayworths und den Trents zum Erliegen gekommen. Watley übernahm seit Jahren den geschäftlichen Teil mit Sir Charles, weil Quentin selbst oft in der Stadt weilte. Dort traf er seine Freunde, lebte sein Leben als einer von Fortuna’s Lovers. Er hatte sich von Hayworth ferngehalten, von allen Nachrichten über Belinda und ihre Ehe.
Mit dem Landvolk hatte er nur mehr wenig zu tun.
„Kitty ist im gleichen Alter wie du, wenn ich mich nicht irre.“ Trent lenkte von Belinda ab.
Helen nickte. „Sie war lange Zeit auf einem Pensionat. Die Hayworths haben keine Gouvernante. In den letzten Jahren habe ich Kitty kaum gesehen, aber was man so hört, ist sie sehr hübsch.“
„Mit einem hübschen Gesicht und all der Ausbildung soll Kitty Larissa Hayworth vermutlich einen Schwiegersohn aus der Aristokratie verschaffen.“ Die Großmutter verzog das Gesicht. „Die Frau ist so vulgär. Einmal hat sie doch tatsächlich gefragt, was der Aubusson im gelben Salon gekostet hat!“
„Ach Granny, sie weiß es halt nicht besser. Mrs Hayworth ist kein böser Mensch.“
„Das habe ich auch nicht gesagt, Helen. Sie ist sich ihres Status nicht bewusst und versucht krampfhaft, für die Familie eine Verbindung zum Hochadel zu schaffen. Belinda hat sich ihr entzogen und nun muss Kitty herhalten.“
„Nun, ich gönne es Kitty jedenfalls, eine gute Partie zu machen. Wenn Mrs Dudley sich ihrer annimmt, wird sie sicher ein Erfolg auf dem Heiratsmarkt.“
„Du, meine Liebe, solltest dich mehr um deinen eigenen Erfolg kümmern als um den deiner Konkurrentinnen.“
Quentin griff ein. „Wir hatten uns darauf geeinigt, Helen nicht zu drängen. Sie hat Zeit, sich für einen Mann zu entscheiden.“
Seine Schwester drückte ihm dankbar die Hand. Helen war schüchtern und mochte den Trubel Londons nicht. Das war der Grund, weshalb er sie so oft wie möglich begleitete und sie immer wieder ein paar Tage nach Castle Trent zurückkehrten, damit Helen Ruhe fand.
Nachdem er die Damen zu Hause abgeliefert hatte, begab er sich noch in den Club. Fortuna’s Lovers verfügten im noblen Club Salter’s über einen eigenen Salon. Ingleford war sicher schon da. Es war Trent nicht entgangen, dass der Viscount im Theater Belinda Dudley gemustert hatte. Trent hatte ihn noch in der Pause zur Rede gestellt. So leicht würden sie es dem Freund nicht machen. Eine trauernde Witwe zu verführen, um eine Wette zu gewinnen!
Er presste die Kiefer aufeinander. Nein, Belinda würde nicht die Geliebte Inglefords werden. Wenn sich einer von Fortuna’s Lovers an sie heranmachte, dann war er das!
Trent hatte den Club erreicht und blieb perplex vor dem Portal stehen. Wo war dieser Gedanke hergekommen? Seit Jahren hatte er nicht mehr in dieser Art an sie gedacht.
„Mylord?“
„Was? Ach ja, danke.“ Der Butler des Clubs hielt ihm die schwere Holztür auf. Wie mechanisch betrat er die opulenten Räume und marschierte die Treppe zum Salon hinauf, ohne auch nur einen Blick in die öffentlichen Clubräume, das Speisezimmer oder den Billardsalon zu werfen.
Belinda. Er hatte sie geliebt, als er kaum einundzwanzig gewesen war, war fest davon überzeugt gewesen, dass sie eines Tages heiraten würden. Wer sonst kam denn infrage, wo sie einander so lange Zeit kannten, die Geheimnisse des anderen wussten? Es war ihm immer klar gewesen. Die Nachricht ihrer Verlobung so kurz nach dem Tod seiner Eltern hatte Trent damals aus der Bahn geworfen. Lediglich der Unterstützung seiner guten Freunde hatte er es zu verdanken, dass er nicht im Whisky ertrunken war.
Das war lange her.
Sein Verlangen nach Belinda Hayworth, oder richtigerweise Dudley, war mit ihrem Verrat damals gestorben.
Im Salon erwartete ihn Henry Digby. Digbys Mutter stammte aus französischem Adel und eigentlich hieß er Charles-Henri. Digby war allerdings britischer als so mancher Londoner, selbst wenn er gerne den Franzosen mimte. „Ah, Trent! Endlich ein wenig Unterhaltung. Was fangen wir mit dem Abend an?“
„Hallo! Ist Ingleford nicht hier?“ Es roch noch nach Simons Zigarren.
„Nein. Er ist schon wieder weg.“ Digby schwenkte sein Weinglas und schüttelte den Kopf. „Dem ist eine Laus über die Leber gelaufen. Hat was vom Heiraten schwadroniert.“
Trent entwich ein Schnauben, während er sich einschenkte. „Das hast du sicher falsch verstanden. Meine Großmutter liegt mir auch ständig damit in den Ohren und ich werde trotzdem nichts dergleichen tun. Im Theater hat Ingleford die Witwen beäugt. Vermutlich arbeitet er an einer Strategie, wie er seine Wette gewinnen kann.“ Nicht mit Belinda Dudley, dafür würde Trent sorgen.
„Für diese Wetten, die er sich für uns ausgedacht hat, wird er büßen. Ich meine, wie perfide kann man sein? Warum hast du zugelassen, dass er meine Höhenangst gegen mich ausspielt?“
„Warum hast du zugelassen, von mir einen Text zu verlangen, wo du genau weißt, dass meine Aufsätze in Cambridge immer Sid verfasst hat?“
„Ja, es ist müßig, einen Schuldigen zu suchen. Wir müssen aber dennoch die unwahrscheinlichste Dame für Ingleford aussuchen, die man sich vorstellen kann. Jemand, den Ingleford niemals anfassen würde.“
Sie stießen an. „Das zahlen wir ihm heim. Aber wo finden wir diese Person? Man müsste die Gästeliste des Dumfries-Balls kennen ... warte, ich habe eine Idee.“ Trent klingelte und einen Moment später betrat Smithson, der Lakai, der ihnen zugeteilt war, den Salon.
„Sie wünschen?“
„Smithson, mein Guter. Ich habe einen etwas delikaten Auftrag für Sie.“
„Delikater als einen wütenden Ehemann von dieser Tür fernzuhalten?“ Der hagere Diener verzog keine Miene.
Digby stöhnte. „Es war nur das eine Mal! Werden Sie es mich niemals vergessen lassen?“
„Smithson, können Sie an die Gästeliste zu Lady Dumfries Ball kommen?“
Nur wenn sie wussten, wer dort erwartet wurde, konnten sie die unwahrscheinlichste Lady für Simon auswählen.
„Lady Dumfries? Aber sicher. Was möchten Sie wissen?“
„Die Namen aller verheirateten und alleinstehenden Damen, die man nicht als Debütantin betrachtet.“ Smithson zog eine Braue hoch und Trent verbesserte sich. „Und die nicht schon mit einem Bein im Grabe stehen. Können Sie das bis morgen schaffen?“
„Falls Sie nicht hier sein sollten, sende ich Ihnen einen Boten, Mylord.“
„Perfekt.“ Trent rieb sich die Hände und Digby ergänzte: „Kein Wort davon bitte zu Ingleford!“
Sie entschieden sich, in den öffentlichen Clubräumen eine Runde Whist zu spielen. Trent gewann wie üblich. Zahlen und Mathematik fielen ihm deutlich leichter, als Texte zu verfassen. Die Buchstaben mochten ihn nicht. Ständig verdrehte er etwas, wenn er schrieb, und es strengte ihn unheimlich an. Karten zu spielen oder die Buchhaltung zu überprüfen war dagegen ein Kinderspiel für ihn.
Als er sich in den frühen Morgenstunden von Digby verabschiedete und eine Droschke bestieg, wog sein Beutel deutlich schwerer als zu Beginn des Abends. Nicht, dass Trent das Geld benötigt hätte. Die Pferdezucht, die sein Urgroßvater begonnen hatte, und ein paar geschickte Ehen seiner Vorgänger hatten Quentin und seine Familie ausreichend versorgt zurückgelassen. Zwar hatte Trents Vater eine Entsendung im diplomatischen Dienst akzeptiert, aber nicht ohne einen fähigen Verwalter für die Güter einzustellen. Sein Sohn, der sein Erbe antrat, als Baron und Baronin Trent auf der Rückfahrt von Jamaika schiffbrüchig wurden, hatte es ihm gleichgetan.
Trotz des Spielerfolges überkam Trent ein melancholisches Gefühl. Die vielen Jahre, in denen er mit Fortuna’s Lovers keinem Spiel aus dem Wege gegangen war, Rennen gefahren und Schießwettstreite abgehalten hatte, waren nicht spurlos an ihm vorübergezogen. Mehr als zehn Jahre kannten sie sich nun. Seit damals in Cambridge.
Sie alle hatten ihre Gründe gehabt, sich zu beweisen, neben der Tatsache, dass junge Männer gerne in Wettstreit traten. Nachdem sie wie durch Zufall einen verheerenden Brand in einer Gaststätte überlebt hatten, begannen die Leute, sie mit ihrem Spitznamen zu bezeichnen. Die Gerüchte über sie wurden immer ausufernder und alle vier genossen sie es, derart berüchtigt zu sein.
Ihre Rennen wurden waghalsiger. Ihre amourösen Abenteuer wandelten sich von Schankdirnen zu reichen Witwen und hochklassigen Kurtisanen. Die Spieleinsätze wuchsen.
Schneller, weiter, höher.
Und sie gewannen immer.
Fortuna’s Lovers.
Die Geliebten der Schicksalsgöttin, die ihnen Glück brachte.
Warum war er dann nicht glücklich?
Warum gingen sie aus Langeweile Wetten ein, die ihre Schwächen zum Vorschein brachten?
Kapitel 4
Ein halber Tag mit Einkäufen für Kitty und Belinda fühlte sich bereits völlig ausgelaugt. Aber was half es denn? „Larissa, du kannst einer Achtzehnjährigen keine apfelgrüne Samtrobe anziehen!“ Sie nahm ihrer Schwägerin den Stoffballen ab.
Diese verzog missbilligend das Gesicht. Nicht zum ersten Mal, seit sie bei der Schneiderin saßen. Bei einer Schneiderin, die Belinda gewählt hatte, wohlgemerkt. „Diese faden Gewänder mögen für dich akzeptabel sein, Belinda, aber meine Catherine muss sich nicht verstecken.“
„Nicht so laut, Larissa! Zum letzten Mal: Wenn du möchtest, dass ich Kitty unter meine Fittiche nehme, dann musst du auf mich hören!“
„Wehe, du stellst das Licht meiner Tochter unter den Scheffel.“ Immerhin schrie Larissa nicht mehr herum, aber das Zischen war nicht besonders angenehm.
Belinda zwang sich, innerlich bis zehn zu zählen. Sie tat das nur für ihre Nichte, die mit unglücklichem Gesicht von einer Schneidergehilfin ausgemessen wurde. „Die Gesellschaft schreibt für Debütantinnen weiß oder zarte Pastellfarben vor. Wir können aber Samtjäckchen in kräftigen Farben wählen und bestickte Schals. Nimm den Musselin dort, dieser Elfenbeinton würde mit blauen Bändern und Stickerei Kittys Augen betonen. Und keine Lady könnte daran etwas auszusetzen haben.“
Larissa zuckte zusammen und wurde still. Schließlich nickte sie. „Ich bin keine Lady und werde es wohl nie sein, Belinda, das musst du mir nicht ständig vorhalten. Aber ich habe verstanden. Ich lasse dir freie Hand, damit meine Tochter die bestmögliche Partie finden kann. Versprichst du mir, alles für ihr Glück zu unternehmen?“
Sofort hatte Belinda ein schlechtes Gewissen, weil sie hart mit der Schwägerin ins Gericht gegangen war. „Ich weiß, dass du nur das Beste für Kitty willst, und ich werde dafür sorgen, dass sie von der Gesellschaft akzeptiert wird. Sie ist ein hübsches und höfliches Mädchen mit guter Ausbildung und ihr Vater ist ein Gentleman. Niemand wird etwas an ihr auszusetzen finden.“
Sie war müde, nachdem sie noch Schuhe, Hüte und Accessoires erstanden hatten. Die Hayworths waren in ihr Hotel zurückgekehrt, von wo aus sie am nächsten Morgen die Heimreise nach Longford antreten würden, bis Kitty zu Belinda ziehen würde. Ein paar Tage blieben ihr noch.
Da sie bisher selten am gesellschaftlichen Leben teilgenommen hatte, hatte Belinda nie in London eingekauft. Sie hatte nicht geahnt, dass Einkäufe in der Stadt derart anstrengend sein konnten. In Surrey hatten sie ruhig und zurückgezogen gelebt. Das Können der Schneiderin aus Guildford war völlig ausreichend gewesen. Obwohl Edward zu Beginn ihrer Ehe oft versucht hatte, Belinda zu mehr Ausgaben zu überreden. Wozu hätte sie Ballkleider gebraucht oder modische Hofroben?
Außer gelegentlichen Besuchen von Edwards Verwandten hatten sie nur mit den Menschen der Gegend zu tun gehabt. Wenn sie ihre Nachbarn, die Dumfries, mal besuchten, so fand Belinda ihre Kleider passend genug.
Sie plumpste erschöpft in einen Sessel im Salon ihres Stadthauses. Wie sollte sie in diesem Zustand auf einen Ball gehen?
Nach einem Nickerchen sowie ein paar Keksen und etwas Tee ließ sie sich von ihrer Zofe zurechtmachen. Die Dienerin war neu in ihrem Haushalt. Zu Hause in Mayfield hatte sie keine Zofe benötigt.
Mayfield. Dieses friedliche, wunderschöne Anwesen. Ihre Zeit dort war trotz der unerwarteten Umstände ihrer Ehe wunderbar und Edward ihr ein guter Ehemann gewesen. Sie hatten Bücher gelesen, er hatte sie ermuntert zu lernen und ihr stets zugehört. Sie vermisste die Hunde und ihre Hauskatze Andromeda. Ausritte in Hosen im Herrensitz. Obwohl Belinda Edwards Antrag nur akzeptiert hatte, um so weit wie möglich von Quentin fortzukommen, war es doch eine gute Zeit gewesen.
Quentin.
Sie würde ihn wiedersehen. Vielleicht sogar an diesem Abend. Gänsehaut überzog ihren Körper. Wie konnte das sein?
Es fühlte sich an, als wäre sie die letzten zehn Jahre im Kreis gelaufen.
„Mylady, möchten Sie wirklich dieses Kleid tragen?“ Die Zofe hob mit spitzen Fingern Belindas bestes Abendkleid aus schwerer silberner Seide hoch.
„Daran gibt es nichts auszusetzen. Es ist aus kostbarer Seide und die Opale passen sehr gut dazu, Smithson. Ich bin schließlich keine Debütantin, die ihre Vorzüge ins Licht setzen muss.“
„Wie Sie wünschen, Mylady.“ Belinda sah ihr an, dass sie gerne mit ihr gestritten hätte, aber zum Glück blieb Smithson stumm und half ihr in das Kleid. An diesem Abend hatte sie keine Kraft mehr, über ihre Garderobe zu diskutieren.
Als sie ein paar Stunden später die aufreizend gekleideten Damen beobachtete, die auf dem Ball von Lady Dumfries um die vier Herren, die man Fortuna’s Lovers nannte, herumscharwenzelten, bereute sie ihre Entscheidung beinahe.
Beinahe, wohlgemerkt.
Es war vulgär, wie die Damen unverhohlen um die Gunst der vier Lebemänner buhlten. Lady Brethwaites Ausschnitt schien bis zum Bauchnabel zu reichen. Angewidert sah sie, wie die Dame ihr ausladendes Dekolleté an Trents Arm rieb, der einer anderen Lady zuprostete. Was war nur aus ihm geworden? Wie hatte sie jemals glauben können, ihn zu lieben?
Belinda zitterte. Sie musste sich zusammenreißen und jemand anders beobachten. Jeder war besser als er.
„Hast du das gesehen, Belinda? Fortuna’s Lovers auf meinem Ball! Und Sidwell tanzt mit Rosemary!“ Selbst Isobel Dumfries konnte sich den berüchtigten Gentlemen nicht entziehen. Sie strahlte über das ganze Gesicht und sah zufrieden auf die tanzenden Paare.
„Hältst du es denn für sinnvoll, dass deine Nichte mit einem stadtbekannten Lebemann tanzt?“
Lady Dumfries winkte ab. „Keine Sorge, auf der Tanzfläche, vor aller Augen, macht es Rosemary interessant. Natürlich lasse ich sie nicht mit Mr Sidwell alleine.