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Sein Aktbild, in Öl gemalt von einer Lady. Der reiche Gentleman Alexander Sidwell denkt, dass seine Wette für Fortuna’s Lovers im Handumdrehen erledigt wäre. Doch da hat er sich getäuscht. Damen malen nicht in Öl. In ganz London ist keine Lady aufzutreiben, die dieses Gemälde anfertigen könnte. Nicht gewillt kampflos aufzugeben, engagiert er einen jungen Künstler für die Aufgabe. Dass unter dem Schnauzbart die Lösung seines Problems steckt, ahnt er nicht. Rosemary Stockton genießt ihre Saison in London, weil sie dort endlich Zugang zu berühmten Kunstwerken und zu einer Malakademie hat. Als Mann verkleidet natürlich. Ihr ungemein attraktiver Kunde führt sie in Versuchung, noch andere Regeln der Gesellschaft zu brechen. Aber niemand entgeht den ungeschriebenen Gesetzen des Tons. Wird dieses Bild von einem Mann sie ruinieren oder wird er ihr Herz erobern?
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Fortuna’s Lovers
Band 2
Versuchung
Impressum
1. Ausgabe April 2023
© Felicity D’Or 2023
Alle Rechte vorbehalten.
Covergestaltung: Holly Perret, The Swoonies Romance Art
Korrektorat: Sabine Klug
Herausgeberin:
Veronika Prankl
Auenstraße 201
85354 Freising
Sämtliche Texte und das Cover dieses Buches sind urheberrechtlich geschützt. Eine Nutzung oder Weitergabe ohne Genehmigung des jeweiligen Urhebers oder Rechteinhabers ist nicht zulässig und daher strafbar.
Kapitel 1 Prolog
London, April 1810
Alexander Montague Sidwell, für seine Freunde nur Sid, fragte sich, ob er betrunken genug war für so etwas. Er sah auf sein fast leeres Glas. Noch betrunkener wäre gleichbedeutend mit komatös. Daher musste es reichen.
Im opulenten Privatsalon des exklusiven Herrenclubs Salter’s hielten sich die vier Gentlemen auf, die von der Londoner Gesellschaft Fortuna’s Lovers genannt wurden. Die Lieblinge der Schicksalsgöttin waren für ihre Exzellenz im Sport und vor allem ihren Erfolg bei der Damenwelt bekannt, ja beinahe berüchtigt. Der dunkel getäfelte Raum mit den cognacfarbenen Ledersesseln war ihr privater Rückzugsort. Hier verbrachten Sid und seine drei Freunde ihre Zeit, ohne von den anderen Clubmitgliedern belästigt zu werden.
Ein Mann konnte hier in Ruhe eine Flasche vortrefflichen Burgunders trinken, ohne dass jemand darauf bestand, einen der vier Gentlemen zu einer hirnrissigen Wette herauszufordern, oder ihn zu einem Spiel Billard zu nötigen. Geschweige denn die Vorzüge einer Tochter, Schwester oder Nichte als Gemahlin anzupreisen.
Sid stürzte den Brandy, ohne ihn auszukosten, herunter und füllte das Glas aufs Neue. Wie es schien, sorgten an diesem Abend – dass bereits der Morgen graute, war ihm herzlich egal – Fortuna’s Lovers selbst für die hirnverbrannten Wetten.
Womöglich lag es am Brandy und dem Burgunder, den er vor dem Festmahl, dessen traurige Reste auf dem Esstisch standen, getrunken hatte, dass er sich auf Digbys Idee mit dem erotischen Wettstreit eingelassen hatte. Charles-Henry Digby war Halbfranzose und hatte seine drei Freunde davon überzeugt, sinnliche Aufgaben zu bewerkstelligen. Sie hatten den Rest der Nacht über die Wetten, die Einsätze und die Bedingungen diskutiert.
Innerlich schüttelte Sid den Kopf. Kein Alkohol der Welt könnte ihn dazu bringen, etwas zu tun, das er nicht wollte. Nein, dass er erotischen Wetten zugestimmt hatte, lag nicht am Wein, sondern daran, dass ihm langweilig war. So langweilig, wie es einem Lebemann ersten Grades eben sein konnte. Digby hatte sich darüber mokiert, dass ihren Unternehmungen der Glanz und die Aufregung abhandengekommen waren. Und Sid hatte es verstanden.
Die vier wurden längst von ihrem legendären Ruf getrieben. Einer von Fortuna’s Lovers konnte sich schließlich nicht in Ruhe einem Buch widmen oder dem Studium fremder Sprachen. Wo käme man hin? Die Leute erwarteten von ihnen skandalöses Benehmen und waghalsige Aktionen. An diesem Tag – nein, gestern – hatten sie ein Rennen mit ihren Phaetons veranstaltet und die Gesellschaft damit unterhalten. Worüber sollten die Matronen sich empören, die Gentlemen diskutieren und die Jungfern seufzen, wenn nicht über Fortuna’s Lovers und ihre Eskapaden?
Sie hatten schon alles gemacht, was jungen Männern einfiel, die über zu viel Geld und zu viel Zeit verfügten. Eine Schatzsuche in den Katakomben Edinburghs, Kutschenrennen durch halb England, einmal ging es darum, wer am meisten Gläser des Thermalwassers von Bath trinken konnte. Eine grauenvolle Erinnerung. Allein beim Gedanken daran drohte Sidwell das Abendessen wieder von sich zu geben. Er atmete tief ein und wandte sich vergnüglicheren Reminiszenzen zu. Schießwettstreite und die üblichen Orgien mit Ballerinen und Sängerinnen, die sich gerne den vier Gentlemen hingaben, weil sie allesamt schneidig und reich waren.
Nichts davon forderte sie heraus. Längst nicht mehr.
Daher die skandalösen Wetten.
Nur dass Sid nicht der Meinung war, dass ihr Problem mit ein paar frischen Gespielinnen zu beheben sei. Nicht einmal, wenn diese zu erobern eine Herausforderung wäre. Was er bezweifelte.
Einem Mann seines Aussehens, Reichtums und Rufes mangelte es nie an willigen Partnerinnen. Witwen und Huren gleichermaßen waren scharf auf ihn. Weil er wusste, wie er die Frauen befriedigen konnte, und weil er sich großzügig erkenntlich zeigte für geleistete Dienste.
Er faltete den Zettel auf und las seine Aufgabe.
So ein Quatsch!
Er sah auf, weil Ingleford sich verabschiedete. Simon, Viscount Ingleford, hatte Digbys Idee mit den erotischen Wetten nur akzeptiert, weil er das dritte Rennen in Folge gewonnen hatte und glaubte, den anderen etwas schuldig zu sein. Sid kannte ihn gut genug. Ingleford war ehrenhaft. Ehrenhaft und perfektionistisch. Den Viscount sähe man nie in so derangiertem Zustand wie Sidwell. Egal, was Ingleford unternahm, nicht einmal sein Haupthaar wagte es, falsch zu sitzen.
Er sah an sich herab. Die Stiefel waren vom Rennen staubig, die Weste hatte er aufgeknöpft und das Halstuch abgelegt. Wozu sich mit gestärkten Halsbinden herumschlagen, wenn sie unter sich waren? Die vier Fortuna’s Lovers bezahlten ein kleines Vermögen für die Nutzung dieses Privatsalons, da wollte er es bequem haben.
„Na, Sid, wirst du dein Porträt in Somerset House ausstellen lassen?“ Quentin, Baron Trent, der Vierte im Bunde, war ein blonder Hüne, gebaut wie ein Wikinger. Sein langes Haar unterstützte den wilden Eindruck. Dabei war der Mann so lieb wie ein Schoßhund. Trent kümmerte sich rührend um seine Großmutter und die Schwestern. Aber wen interessierte schon die Wahrheit, wenn er einen Liebhaber der Schicksalsgöttin haben konnte?
„Warum nicht?“ Er grinste in sich hinein. Das wäre mal was. Ein männlicher Akt eines bekannten Lebemanns in der jährlichen Gemäldeausstellung. „Die Jungfern wären mir vermutlich dankbar, wenn sie statt Landschaften und Stillleben richtig ‚große‘ Kunst sehen dürften.“
Digby stöhnte. „So groß bist du auch wieder nicht!“
Trent grinste nur wissend. „Ein Feigenblatt würde jedenfalls nicht ausreichen, um das Gemälde tugendhaft zu machen.“
Sie richteten ihre Kleidung, Sid ließ sich von ihrem Diener Smithson den Mantel umlegen und drückte sich einen Hut auf die dunklen Locken. Gemeinsam schickten sie sich an, Ingleford zu folgen. Es wurde höchste Zeit. Die Sonne ging schon auf.
Sid verließ den Raum als Letzter. Er logierte gleich nebenan in der St. James Street, während Digby sich zu seinem schicken Neubau am Hyde Park aufmachte und Trent eine Droschke in die andere Richtung nahm. Die Trents waren ein derart ehrwürdiges Adelsgeschlecht, dass sie in einem stickigen Tudorbau am The Strand wohnten. Aus irgendeinem Grund hatte das große Feuer von 1666 ihr Stadthaus verschont und Quentin hing an dem alten Kasten genau wie an seiner Burg in Essex. Man könnte meinen, die Moderne wäre an Trent vorbeigezogen. Er benahm sich nicht nur wie ein mittelalterlicher Feudalherr, er sah auch so aus.
Sid betrat grinsend sein Apartment im zweiten Stock eines Hauses, das Wohnungen an Junggesellen vermietete. Falls Trent seine Wette verlor, würde alle Welt in den Genuss dieses ritterlichen Anblicks kommen.
Das Junggesellenapartment war schlicht und praktisch eingerichtet. Allerdings war der Salon vollgestopft mit Büchern und Landkarten. Hier wurden keine Gäste empfangen, es war Sidwells privater Rückzugsort. Vom Salon gingen zwei Türen ab, eine zum Schlafzimmer und eine zur Wohnung seines Dieners Clay. Dieser rümpfte gerne die Nase über Sids Schlampigkeit, doch Sid wusste, dass Clay ihm treu ergeben war. Sonst wäre er ihm nicht von Devon hierher gefolgt. In Graceford war er zweiter Lakai gewesen und als Sid ihm angeboten hatte, mit ihm nach London zu ziehen, hatte er sofort eingewilligt. Einer mehr, der die militärische Zucht seines Vaters nicht ertrug.
Clay schlief um diese frühe Morgenstunde, weil sein Herr es nicht einsah, ihn so lange wachzuhalten. Sidwell war nicht Ingleford, der jederzeit wie aus dem Ei gepellt aussah. So viel Perfektion wäre ihm zu aufwendig. Er warf seine Kleidung auf einen Stuhl neben dem Bett und ließ sich in die Laken fallen. Dass General Sidwell, sein Vater, Uniformen und Akkuratesse bevorzugte, erhöhte Alexanders Freude an üppigen Stoffen, langen Haaren und gelegentlichen Auswüchsen von Luxus, wie dem spitzengesäumten Hemd. Er schloss die Augen und verscheuchte das Bild. Graceford und sein Vater waren nichts, an das er denken wollte. Stattdessen rief er sich die einfallsreichen Zwillinge von Madame Jeannette in den Kopf und was sie vorgestern Nacht so alles getrieben hatten.
Doch sein Körper war zu müde, um zu reagieren. Selbst der Gedanke an zwei üppige Huren, die ihm Befriedigung verschafft hatten, war schal. Er hatte gehofft, Digbys Wette könnte ihm in der Tat Ablenkung verschaffen. Pah! Wenn sie ihm nur eine spannendere Aufgabe gestellt hätten. Etwas, das ihm neu war. So wie die Wette, die sie für Digby ausgehandelt hatten. Aber nein, von ihm forderten sie etwas, das der Frau mehr Freude machen würde als ihm.
So ein Blödsinn!
Ein Aktgemälde in Öl, das Alexander Sidwell zeigt, gemalt von einer Lady.
Er müsste stundenlang nackt Modell sitzen und sich von einer Frau begaffen lassen, die, statt seinen Pinsel anzufassen, mit dem ihren ein Bild malte!
Nun ja, immerhin sollte die Sache recht leicht zu erledigen sein.
Das war aber schon das einzig Positive an seiner Wette.
Kapitel 2
Tante Isobels Ball war ein voller Erfolg.
Rosemary hatte sich hinter eine Säule zurückgezogen, von wo aus sie das Gedränge beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Die Dumfries waren angesehene Mitglieder des Tons, ein Grund, weshalb ihre Mutter Rose der Schwägerin anvertraut hatte. Seit dem Tod des Vaters fühlte sich Mrs Stockton noch unwohler als bisher. Der ehrenwerte Michael Stockton war die Seele ihres Haushalts gewesen. Voller Geduld hatte er sich um Frau und Tochter bemüht. Ohne ihn waren sie verloren. Mrs Stockton zelebrierte ihren Kummer und ihre Zipperlein. Rosemary merkte schnell, dass es niemanden mehr gab, den kümmerte, was sie tat.
Sie seufzte und presste sich ein wenig mehr in den Schatten.
Bis Tante Isobel erschien und erklärte, dass ihre Nichte eine Saison in London brauchte und Rosemary ohne Widerstand der Mutter eingepackt und in die Stadt verfrachtet hatte. Zuerst hatte sie sich unbändig auf die Hauptstadt und ihre Sehenswürdigkeiten gefreut. Bis Rose erkannt hatte, dass ihr Tag neuerdings aus Einkäufen und Einladungen bei hochnäsigen, langweiligen Menschen bestand, die sie begutachteten wie einen neuen Hut, den sie erwerben wollten.
Weil Lady Dumfries sie verheiraten wollte.
Rosemary Stockton sollte unter die Haube gebracht werden. Alle waren von der Idee begeistert, nur sie selbst nicht.
So zauberhaft es auch aussah – dieser Ball, die juwelengeschmückten Gäste, die Musik – all das diente dazu, sie anzupreisen. Sie hatte sich bemüht, den Gentlemen zu gefallen, Tante Isobel zuliebe, aber die Herren waren so furchtbar langweilig! Andererseits – wer wollte es ihnen verdenken, dass sie sich keine Mühe gaben, eine dünne, blasse Frau zu beeindrucken. Ohne die Dumfries und ohne ihre Mitgift würde gar keiner mit ihr tanzen.
Rosemary sah Tante Isobels Blick suchend durch den Ballsaal wandern.
Die Tante gab sich so viel Mühe mit ihr und würde doch zwangsläufig enttäuscht werden. Rose wappnete sich innerlich, quälte ein Lächeln auf ihr Gesicht und drängte sich zu ihrer Verwandten durch.
„Rosemary! Da bist du ja!“ Tante Isobel strahlte sie an. „Mein liebes Kind, darf ich dir Lady Ingleford vorstellen, eine alte Freundin?“
Rose verkniff sich das Lachen, als sie sah, wie die prächtige Lady bei der Erwähnung des Wortes „alt“ zusammenzuckte, bevor sie brav knickste und grüßte. „Es freut mich, Sie kennenzulernen, Lady Ingleford.“
Wie üblich sprachen die Damen über sie statt mit ihr. Es störte sie nicht. So hatte sie mehr Zeit, die Gäste zu betrachten. Lady Ingleford war interessant. Eine Schönheit, die über erlesenen Geschmack verfügte und welcher der Adel förmlich aus den Poren troff. Eine Marie Antoinette, die sich ihrer Macht bewusst war – nein, eher eine Madame de Pompadour. Ihre Haltung erinnerte an die Dame auf dem Gemälde von François Boucher, das Rosemary letzte Woche in einer Ausstellung bewundert hatte.
„Es muss dir eine Freude sein, Isobel, endlich ein Mädchen einkleiden zu können. Töchter sind ja so viel interessanter als Söhne!“
„Du sagst es, Charlotte! Ich habe dich immer beneidet, dass du mit deinen Mädchen Schleifen und Kleider einkaufen konntest, während in meinem Haushalt nur über Waffen und Pferde gesprochen wurde.“
Arme Tante Isobel! Rose waren Kleider und Schmuck herzlich egal. Bloß der Tante zuliebe ertrug sie es, herausgeputzt zu werden. Denn selbst die schönsten Kleider machten aus einer dürren Rothaarigen keine Ballschönheit.
„Zeig deine Tanzkarte, Liebes“, forderte Tante Isobel, nachdem ihre beeindruckende Freundin weitergezogen war.
Es ging los. Resigniert hielt Rose das Papier hin.
„Aber die ist ja noch fast leer! Oh, und Bertie sollte gar nicht mit dir tanzen als dein Cousin.“
Gerade weil er ihr Cousin war und nicht als Heiratskandidat infrage kam, mochte Rose Bertie. Er war genauso alt wie sie, zweiundzwanzig Jahre, und würde in ein paar Wochen zu seiner Grand Tour aufbrechen. Da Bertie noch etwas Zeit zugestanden wurde, bis er sich vermählen sollte, war eben Rose das Opfer der Saison. Sein älterer Bruder John hatte letzte Saison geheiratet. Dessen Ehefrau Maud war zum Glück guter Hoffnung und daher auf dem Lande weilend, denn Rose wurde mit ihr nicht warm.
„Komm, wir finden einen Tanzpartner für dich!“ Tante Isobel hatte eine Mission.
Sie waren nur ein paar Schritte weit gekommen, als ein kollektives Raunen durch den Saal ging. Zeitgleich erschien ein triumphierendes Lächeln auf dem Gesicht der Tante. „Fortuna’s Lovers! Alle vier auf meinem Ball!“
Rose wurde an der Hand der Tante durch den Saal gezogen, bis sie sich einer Gruppe Gentlemen näherten, die sie bisher nie getroffen hatte. Sie befand sich seit mehreren Wochen in der Stadt, aber diese Herren waren ihr auf keiner Soiree, keiner Ausfahrt begegnet. Sie strotzten nur so vor Selbstbewusstsein. Oder war es Selbstgefälligkeit?
Vier Herren in Abendkleidung, die von den Ballgästen offen bewundert wurden.
Warum?
Fortuna’s Lovers hörte Rose in den Gesprächen der Umstehenden immer wieder, doch es blieb ihr keine Zeit herauszufinden, was diese Gentlemen so besonders machte oder was der seltsame Spitzname bedeutete.
„Meine Herren! Lord Ingleford, darf ich Ihnen meine Nichte vorstellen? Rosemary Stockton. Rose, lerne Viscount Ingleford, Baron Trent, Mr Digby und Mr Sidwell kennen.“
Rose knickste verlegen und hoffte, die Namen korrekt zugeordnet zu haben und nicht sofort wieder zu vergessen. Der Baron war der blonde Hüne und der mit den kalten Augen, Ingleford, musste ein Verwandter der beeindruckenden Freundin von Tante Isobel sein.
Es war der Herr, der wie ein Pirat aussah mit seinen schulterlangen Locken und dem glitzernden Smaragd in seinem Halstuch, der sie zum Tanz aufforderte. Sein verwegenes Lächeln sandte ihr einen Schauer über den Rücken. Der Gentleman war schön, geradezu herausfordernd attraktiv, wenn auch zu flamboyant für die aktuelle Mode. Seine braunen Locken waren üppig, genau wie seine Lippen. Das Türkis seiner Augen funkelte wie der Smaragd der Krawattennadel und erschuf Bilder von paradiesischen Stränden und fernen Welten vor Rosemarys innerem Auge. Diese Farbe war nicht gediegen und englisch, sondern exotisch und aufrührerisch.
„Nun geh schon, Rose! Mr Sidwell wartet!“ Die Tante schob unauffällig an ihrem Ellbogen.
Mr Sidwell.
Er geleitete Rose durch die Masse zur Tanzfläche, wo sich die Paare formierten, und kommentierte die Dekoration. Rose lächelte und stimmte ihm zu. Die meisten Gentlemen erwarteten nichts weiter von ihr. Lächeln und nicken. Gleichzeitig freute es sie, dass ihm die Ausstattung des Saals auffiel. Das Farbschema hatte sie der Tante vorgeschlagen. Rosen und Orchideen sahen überall gleich aus, aber sie hatte grüne Blätter und Ranken mit weißen und gelben Schleifen und Blüten kombiniert. Nicht zuletzt weil sich sämtliche Rot- und Rosatöne mit ihren Haaren nicht vertrugen. Wenn sie schon einen Ballsaal dekorierte, dann nach ihren Vorstellungen.
Erst als die Musik begann und sich eine Hand um ihre Taille legte, bemerkte sie, dass sie einen Walzer tanzen musste.
„Oh, ich, verzeihen Sie, aber Walzer?“ Rosemary beging den Fehler, den Kopf zu heben und Mr Sidwell ins Gesicht zu sehen.
Er lächelte sie voller Schalk an. „Haben Sie noch nie Walzer getanzt, Miss Stockton?“
„Nur mit Bertie, also Bertram Dumfries.“ Sie errötete. Wie dumm. Schnell riss sie sich von seinem Blick los.
„Ihrem jungen Cousin? Dann wird es höchste Zeit, dass Sie dieses Vergnügen mit einem echten Mann erleben.“
Mr Sidwells Griff war fester als Berties und seine Schritte sicherer und länger. Auf der überfüllten Tanzfläche fühlte sie immer wieder seine Schenkel, was in Rose Hitze erzeugte. War das der Grund, weshalb man den Walzer in einigen Kreisen als unanständig empfand? Die Gliedmaßen von Männern und Frauen sollten sich nicht berühren. Aber zugleich fühlte es sich so natürlich an. Mr Sidwells lange Beine glitten mit den ihren im Gleichtakt über die Tanzfläche. Er war größer als sie, größer als Bertie, mit dem sie den Walzer als ungelenk und aufdringlich empfunden hatte.
Lag es nur an den Proportionen, dass sie diesen Tanz so genoss? Weil Sidwells längere Schritte sie wirbeln ließen? Oder an seinem sicheren Griff, der dafür sorgte, dass sie gar nicht mehr über die Schritte nachdenken musste? Sie folgte ihm und ließ sich führen, sich in einer Woge aus Musik und Bewegung davontragen. Als die Musik endete, klopfte ihr Herz ein Stakkato und sie war außer Atem. Welch eine Freude dieser Tanz gewesen war!
„Haben Sie vielen Dank, Sir!“ Ihre Scheu war verflogen und sie strahlte Sidwell an.
Sein türkiser Blick traf auf sie und blieb kurz hängen. Voller Sinnlichkeit und Hitze. Rose hob instinktiv eine Hand und drückte sie auf ihr Dekolleté. Die Bewegung beendete diesen kurzen Austausch und Mr Sidwell empfahl sich mit einer kurzen Verbeugung.
Rose sah ihm verwundert und mit pochendem Herzen nach.
Was war das gewesen?
„Einer von Fortuna’s Lovers? Respekt, Cousine!“
„Bertie!“ Rose wandte sich ihrem Cousin zu. „Was ... was hat es mit diesen Fortuna’s Lovers auf sich?“
Berties Blick wurde sehnsuchtsvoll. „Man nennt sie so, weil sie in allen Dingen Glück haben.“
„Glücksspieler?“ Das konnte sie nicht gutheißen. War es Enttäuschung, was sie verspürte und ihr Hochgefühl verjagte? So einer war er also, ihr Galan.
„Das auch, aber sie sind mehr, sie haben einen Brand gemeinsam überlebt und die Schicksalsgöttin lächelt über ihnen, sagt man. Ihre Pferde gewinnen alle Rennen, Sidwell ist ein Meister mit dem Degen und die Frauen ...“
Frauen?
„Was ist mit den Frauen?“
Berties Wangen röteten sich. „Das ist nichts für tugendsame Jungfern. Komm, dein Tanz mit Sidwell hat die Herren auf dich aufmerksam gemacht.“
In der Tat wurde Rosemary für den Rest des Abends zu jedem Tanz aufgefordert.
Als sie sich im Morgengrauen schlafen legte, erinnerte sie sich nur an Augen in der Farbe von Smaragden.
Kapitel 3
Rosemary Stockton. Eine tugendhafte englische Jungfer. Keine englische Rose. Eher Efeu, das an Hauswänden entlangkroch. Profan und unzerstörbar. Sie sollte Ivy heißen statt Rosemary. Wobei das herbe Gewürz womöglich sogar passte. Ihre Augen erinnerten ihn an Moos und Waldnymphen, genau wie die grünen Stickereien an ihrem weißen Debütantinnenkleid. Sie passte jedenfalls zu der Dekoration. Ob die Idee, einen Ballsaal wie eine Frühlingswiese zu dekorieren, von ihr stammte?
Sid verwunderte es, dass er sie nicht sofort nach dem Tanz vergessen hatte. Sie war eine von vielen. Jung und auf der Suche nach einem Ehemann. Ihre hervorstechendsten Merkmale, rotblondes Haar und eine hochgewachsene Figur, brachten ihr dabei keinerlei Vorteil.
Aber ihr Lachen! Der Herr steh ihm bei, dieses Lachen am Ende ihres Tanzes war so voll und sinnlich gewesen, dass ihm das Blut in den Schwanz geschossen war. Wegen einer nicht mal besonders hübschen Jungfer! Einer Jungfer, die sich von ihm voller Vertrauen hatte führen lassen und in seinen Armen über die Tanzfläche gewirbelt war.
Nein, sicher nicht!
Er hatte andere Dinge zu tun.
„Ah, Sid! Wollen wir ein Spielchen wagen?“
Digby und Trent warteten auf ihn.
„Ist Simon losgezogen, um die Dame zu erobern?“ Der Grund ihrer Anwesenheit war Inglefords Wette. Hatte er verpasst, weshalb er überhaupt diesen anständigen, braven Ball besucht hatte?
Digby nahm mit einer eleganten Handbewegung eine Prise Schnupftabak und deutete zu den Terrassentüren. „Er ist ihr in den Garten gefolgt. Ich nehme an, dass wir in spätestens dreißig Minuten unserem Freund gratulieren werden.“ Er seufzte und verzog das Gesicht.
Sid klopfte ihm auf die Schulter. „Nimm es nicht so schwer. Simon ist eben vollkommen, außer Konkurrenz. Wir werden ihn nie besiegen.“
„Simon ist ein perfides Aas. Und ihr auch. Dass ihr meine Höhenangst gegen mich ausspielt, ist nicht fair!“
„Tja, du wolltest nie da gewesene Wetten, Digby. Lebe damit! Immerhin darfst du dich bei der Erfüllung deiner Wette amüsieren, während ich nicht mal in den Genuss einer Partnerin komme! Das nenne ich perfide!“ Trent schob sie in Richtung Kartenzimmer. „Nun kommt schon, bevor wir alle noch tanzen müssen. Danke übrigens, Sid, dass du dich des Mädels angenommen hast.“
„Einer von uns musste ja mit ihr tanzen.“
„Du bist ein Heiliger, Sid!“
Ganz sicher nicht. Er hatte nur vermeiden wollen, dass Lady Dumfries ihren Schützling Ingleford aufdrängte. Simon war nun mal der begehrteste Junggeselle von ihnen, weil er reich war und dazu einen hohen Titel erbte. Wenn sein Freund in die Finger der Mütter und heiratswilligen Töchter fiele, könnten sie den Zweck dieses Ballbesuchs – die Wette – vergessen. Simon sollte eine Dame verführen, die sie ihm ausgesucht hatten. Je schneller das erledigt war, desto schneller könnten sie sich angenehmeren Beschäftigungen zuwenden.
Sobald Ingleford hier fertig war, würde Sid zu Madame Jeannette fahren und sich dort den Ausschweifungen hingeben, die er so schätzte. Tugendhafte Jungfern würden so etwas nie tun. Es war mit ein Grund, warum er nicht heiraten wollte. Was sollte er mit einer Frau, die er nur unter der Decke um Mitternacht einmal in der Woche besteigen durfte?
Seine aristokratischen Freunde, die für den Fortbestand eines Titels zuständig waren, mussten irgendwann mal eine passende Dame ehelichen und Erben zeugen.
Er musste das nicht.
Er war frei.
„Alexander!“
Eine bekannte Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Musste das sein? „Conrad. Guten Abend.“ Er sah sich um und tatsächlich fand sich auch Conrads Bruder an einem der Spieltische. Seine beiden ledigen Cousins hatten ihm gerade noch gefehlt! Conrad wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und Georges Gesicht war aschfahl. Wie konnte es anders sein? Beide waren miserable Kartenspieler. Ihre Gegner waren ihnen haushoch überlegen.
Wie erwartet winkte ihn Conrad zu sich und bat ihn flüsternd um Kredit. „Alex, nur hundert Pfund? Dann gewinne ich alles zurück, was mir Brethwaite abgeknöpft hat.“
Es war immer dasselbe.
„Hundert Pfund? Du schuldest mir noch fünfhundert, Conny!“
Das Gesicht seines Cousins verzog sich zu einer Grimasse. „Du schuldest uns allen viel mehr! Großmutters Vermögen stand nicht dir alleine zu!“
Die Leute schauten schon neugierig und Sid hatte keine Lust, öffentlich Familienzwist auszutragen. Conrad und George wussten das und setzten genau darauf. Hundert Pfund waren für ihn kaum mehr als Taschengeld, aber er mochte es nicht, wenn man ihn zu manipulieren versuchte.
Sid richtete sich auf und griff nach seiner Brusttasche, als Trent ihm heftig gestikulierend etwas zurief. Erfreut über die Unterbrechung entschuldigte er sich bei den Cousins und folgte Trent und Digby auf die Terrasse, wo es einen Tumult gab.
„Was ist denn passiert? Hat man Simon inflagrante delicto erwischt?“
Im Garten drängten sich Schaulustige.
„Ich weiß nicht, aber ich habe den Namen Ingleford vernommen.“
Sid war dankbar, dass er den Cousins aus dem Weg gehen konnte. Dass Simon seine Wette gewann, war vorherzusehen gewesen. Wenn er sich auch etwas mehr Unterhaltung erwartet hätte bei einer Lady, die als größter Tollpatsch der Stadt bekannt war.
Eine von Trents Schwestern wandte sich zu ihnen und flüsterte ihrem Bruder ins Ohr.
Sid sah sich nach einem Diener mit Getränken um, als Trent zu lachen begann. Seine Schwester tadelte ihn entrüstet. „Was ist daran so lustig, Quentin?“
„Eine Eule?“
Wovon sprachen die?
Aus der Menge löste sich eine hochgewachsene Gestalt und trat zu ihnen. „Jawohl, eine Eule!“ Simons Abendanzug war ramponiert. „Ich treffe euch in einer Stunde bei Salter’s!“ Mit diesen Worten verschwand der Viscount.
„Das lief wohl nicht wie geplant, meine Herren! Ein Punkt für uns!“ Digby freute sich diebisch.
Die junge Dame, die Simon auf dem Ball verführen sollte, war ebenfalls fort. Schade. Sie war ein ausnehmend hübsches Appetithäppchen und für ihre lose Moral bekannt. Also genau Sids Beuteschema. Andererseits, wer wollte schon eine Frau, der das Unglück auf dem Fuße folgte? Die gesamte Gesellschaft sprach von nichts anderem mehr als darüber, dass Miss Falworth sich mit Viscount Ingleford im Gras gewälzt habe. Einige meinten, sie sei lediglich von einem Vogel erschreckt worden, andere vermuteten Schlimmeres.
Zu dritt fuhren sie in den Club und freuten sich, dass der perfekte Viscount diesmal nicht so leicht davongekommen war.
Nachdem sie Ingleford eine weitere Chance eingeräumt hatten, da dieser aufgrund des Unglücks seiner Partnerin keine Möglichkeit gehabt hatte, seine Wette zu erfüllen, fuhr Sid endlich mit Digby ins Bordell. Madame Jeannette hatte die teuersten Frauen, aber dafür wurden alle medizinisch überwacht und es wurde dafür gesorgt, dass die Gäste sie gut behandelten.
Sie wurden wie alte Freunde begrüßt.
„Die Herren Sidwell und Digby! Wonach steht Ihnen heute der Sinn?“ Die Madame war eine attraktive Mittvierzigerin, die sich umtriebig um das Wohl ihrer Gäste kümmerte. Sie führte die beiden in den großen Salon, wo sich die Gentlemen auf gemütlichen Sesseln niederließen. Ein Lakai brachte Brandy für Sid und Cognac für Digby. Hier kannte man den Geschmack der Kundschaft. „Fleur ist heute noch frei und Letisha auch.“
Beides waren wunderschöne Frauen, die eine blond und zierlich mit großen Brüsten, die andere langbeinig mit rabenschwarzem Haar. Letisha winkte ihm von der Bühne aus zu, wo sie ihren orientalischen Schleiertanz zum Besten gab. Wogende Hüften, klimpernde Armreifen und eine Frau, die tabulosen Sex liebte.
In Sid regte sich nichts. Was waren Tabus wert, wenn man sie alle schon gebrochen hatte?
Selbst diese Liebesspiele waren vorhersehbar geworden.
Fleur hatte es sich auf Digbys Schoß bequem gemacht, während Sid darauf wartete, dass seine Lust entfacht wurde.
„Darf ich Ihnen Jenny vorstellen? Sie ist ganz neu hier.“ Jeannette präsentierte ihm eine üppige Blondine mit rosigen Wangen.
Sie war hübsch und er stellte sich vor, wie sie zwischen seinen Beinen kniete. Irgendwie konnte er ihre frische Rosigkeit nicht mit diesem Bild zusammenbringen. Doch lieber Letisha, die es liebte, wenn er mit ihrem Hinterteil spielte? Ein Blick zur Bühne zeigte verführerische Rundungen, nacktes Fleisch. Auch sein Schwanz regte sich. Und trotzdem war er nicht bei der Sache.
Sid schüttelte den Kopf. „Nein, heute nicht. Ich ...“ Er erhob sich und bat um Mantel und Hut.
„Gehst du schon?“ Digby sah nur kurz auf von den entblößten Brüsten, die er streichelte.
„Gute Nacht.“
Madame Jeannette brachte ihn persönlich zur Tür. War sie ihm böse? Machte sie sich Sorgen, dass er ihre Damen schlecht fand? Sid suchte nach einer Erklärung, doch sie kam ihm zuvor.
„Wir werden Sie vermissen, Mr Sidwell. Die Frauen haben Ihre Fähigkeiten als Liebhaber geschätzt und dass Sie sie immer freundlich und großzügig behandelt haben.“
„Aber ...“ „Ich komme wieder“, wollte er sagen.
Sie hob eine Hand und unterbrach ihn. „Ich kenne diesen Blick. Wir werden Sie hier nicht mehr sehen. Das, was Sie suchen, gibt es in diesem Haus nicht. Alles Gute, Sir! Gehaben Sie sich wohl.“
Sid trat perplex aus dem Portal. Hinter ihm fiel die Tür zu. Die Tür zu einem Etablissement, das für ihn immer das Paradies gewesen war. Nach Herzenslust hatte er sich hier ausgetobt, nächtelang eine einzige Frau befriedigt, bis sie um Gnade bettelte, mit Digby und Trent Fleur geteilt, sich in den Armen der Frauen vergessen.
Und dennoch wusste er, dass es vorüber war.
Wusste es schon lange.
Er war nicht mehr mit dem Herzen dabei. Lust empfand er zwar durchaus noch, welcher heißblütige Mann würde das nicht? Bloß was zählte das, wenn es keine Freude mehr bereitete?
Nachdenklich spazierte er durch die dunklen Straßen zu seinem Apartment. Es wurde Zeit für eine Veränderung. Der Plan, England zu verlassen und zu reisen, spukte seit Längerem in ihm herum. Ja, der Zeitpunkt war gekommen. Nichts außer seinen Freunden hielt ihn hier. Sobald er seine Wette gewonnen hatte, würde er ein Schiff besteigen und die Welt erkunden. Der Gedanke, etwas Neues zu erleben, entfachte seinen Antrieb. Wie lange es dauern würde, dieses Gemälde zu erhalten?
Ein Aktbild in Öl, gemalt von einer Lady? Das konnte so schwierig nicht sein.
Der nächste Morgen brachte ihn in den Salon von Mrs Blunt, einer reichen Witwe, mit der er vor Jahren sinnliche Stunden verbracht hatte. „Mein lieber Sid! Welch eine Überraschung. Wie lange ist es her?“ Sie lächelte süffisant.
„Liebste Georgina, es kann nicht mehr als ein Augenblick gewesen sein. Du bist schön wie eh und je.“
Sie schlug ihm mit dem Fächer auf den Arm. „Schmeichler! Es sind mindestens zwei Jahre! Was führt dich zu mir nach all der Zeit?“ Eher fünf Jahre, aber er würde eine Dame nie auf ihr Alter hinweisen.
„Du wirst mir nicht glauben, dass ich eine alte Freundin besuchen möchte?“
„Ich verwehre mich gegen das Wort ‚alt’, und nein, ich weiß, dass du etwas von mir willst.“ Sie lachte und setzte sich. „Spuck es aus, mein Lieber!“
„Du bist eine Künstlerin, Georgie. Ich möchte ein Bild malen lassen.“
„Ein Bild?“
„Ja, ein Akt in Öl von meiner Wenigkeit.“
Ihr Lachen erhellte den Raum. „Oh ja, diesen Körper für die Nachwelt zu erhalten, ist eine gute Idee. Aber du bist bei mir falsch, Sid. Ich male Landschaftsbilder, Aquarelle.“
„Du könntest es versuchen, Georgie! Etwas Neues.“
Sie winkte ab. „Ölmalerei ist etwas völlig anderes als Zeichnungen mit Wasserfarben. Genau wie sich der Körper nicht wie ein Gebirge oder eine Flusslandschaft darstellen lässt. Menschen, Porträts zu malen, ist eine Kunst.“
„Ich erwähnte bereits, dass du eine Künstlerin bist.“
Es lag Bedauern in ihrer Stimme. „Keine, die dieser Aufgabe gerecht wird.“
„Dann empfiehl mir eine andere Dame!“
„Aber das ist es ja, Sid! Damen malen nicht in Öl. Ölmalerei wird von Männern betrieben, von Männern unterrichtet und nur von Männern erlernt. Mir ist keine einzige Lady bekannt, die mit Öl malt.“
„Das kann ich nicht glauben. Warum sollte eine Frau mit Aquarellfarben und Kohle umgehen können, aber nicht mit Ölfarben?“
Georgina Blunt lächelte mitleidig. „Warum sollte eine Frau reiten können, aber nur im Damensattel? Warum sollte eine Frau lesen dürfen, aber keine Literatur verfassen? Erklär du es mir.“
„Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.“
„Natürlich nicht. Du bist ein Mann. Dir setzt niemand Grenzen.“
Sid hatte sich erhoben und lief im Salon auf und ab. „Es kann nicht sein, dass es nicht eine Dame in London gibt, die in Öl malt!“
„Selbst wenn, dann würde sie niemals dieses Sujet in Betracht ziehen. Wie bist du nur auf diese aberwitzige Idee gekommen? Hast du Angst, wenn ein Mann dich malt, dass er deinem Charme nicht widerstehen kann?“
„Blödsinn, ich habe schon mit Männern ... aber darum geht es nicht.“
Mrs Blunt hatte sich erhoben und schenkte ihm ein weiteres Lächeln. „Ich kann dir nicht helfen, Sid. Es sei denn, du möchtest um der alten Zeiten willen …?“
Sid schüttelte den Kopf. „Lass uns nicht die guten Erinnerungen durch etwas Aufgewärmtes verwässern.“
Dann drückte er einen Kuss auf ihr Handgelenk und verabschiedete sich. „Alles Gute, Georgie.“
Kapitel 4
Als Rose spät am Morgen nach dem Ball das Frühstückszimmer betrat, strahlte ihr eine überglückliche Tante entgegen. „Was für ein überragender Erfolg, mein Kind!“
Sie wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte oder nicht, weshalb sie sich am Büffet bediente und setzte. „Dein Ball war in der Tat überaus gut besucht, Tante.“
„Ein herrliches Gedränge und alle vier Fortuna’s Lovers anwesend! Oh, wie man mich beneidet!“ Tante Isobel konnte kaum an sich halten vor Freude.
„Die Geschichte mit Ingleford und dem Falworth-Mädel ist skandalös!“ Ihr Sohn John, Lord Dumfries, war für den Ball in die Stadt gereist. Er war ebenso blond wie sein jüngerer Bruder Bertie, aber lachte deutlich weniger. „Maud wird es nicht gutheißen, dass unser Name in den Klatschblättern auftaucht und mit Menschen von lockerer Moral in Verbindung gebracht wird.“
„Oh, John, nun sei kein Langweiler!“ Tante Isobel verzog das Gesicht. „Du tust geradewegs, als wäre das hier ein verrufener Ort. Es ist nichts weiter passiert. Belinda Dudley hat es genau gesehen: Eine Eule hat das Mädchen erschreckt und sie ist über Ingleford gestolpert.“
Bertie mischte sich jetzt auch in das Gespräch ein. „Dass einer der vier Fortuna’s Lovers mit Rose getanzt hat, war jedenfalls hervorragend. Sie war danach den ganzen Abend sehr begehrt!“
„Es wäre mir lieber, Cousine Rosemary würde mit weniger, aber dafür passenderen Herren tanzen. Diese Fortuna’s Lovers sind eine Bande Spieler und Taugenichtse ohne Anstand.“
„Also wirklich, John! Es reicht. Lord Ingleford ist der Sohn meiner guten Freundin Charlotte Hexham, Baron Trent kenne ich ebenfalls von Kindesbeinen an und Sidwell stammt genau wie Digby aus einer sehr wohlhabenden und geachteten Familie.“
„Es kann nicht jeder so eine Spaßbremse sein wie du, Bruder.“ Bertie sprang mal wieder zu Rosemarys Verteidigung ein. Dafür war sie ihm dankbar. Sie könnte das auch selbst, aber es tat Bertie gut, sich gegen seinen älteren Bruder zu behaupten.
Lord Dumfries legte seine Serviette beiseite und erhob sich. „Dann wird es dich freuen, zu vernehmen, dass diese Spaßbremse heute noch aufs Land zurückreist. Dort werde ich meiner Gattin bis zur Niederkunft zur Seite stehen und dafür sorgen, dass diese Familie genug Geld hat, um weiterhin deine Späße zu bezahlen, Bruder!“
Die Stimmung war nach seinem Abgang deutlich gesetzter. Tante Isobel seufzte. „Ich hätte ihn nicht diese sauertöpfische Maud heiraten lassen sollen. Wenn doch nur mein seliger Johnnie noch bei uns wäre!“
„Aber Mutter, dein Ball war ein Erfolg, Rosemary kann sich vor Verehrern nicht retten, da wollen wir uns von John nicht den Tag verderben lassen.“
Bei dem Wort Verehrer in Zusammenhang mit ihrem Namen sah Rose auf. Sie mischte sich nicht in die häuslichen Angelegenheiten der Dumfries ein, aber nun drehte sich das Gespräch um sie. „Ein paar Tänze machen noch keine Scharen von Bewunderern, Bertie!“
Tante Isobel lachte, weil das Thema sie von Johns bissigen Bemerkungen ablenkte. Das wiederum freute Rose, die ihre Tante ins Herz geschlossen hatte. „Mr Sidwell hat dich in Mode gebracht, Kind. Seit den frühen Morgenstunden werden Bouquets für dich geliefert.“
„B... Bouquets? Blumen? Für mich?“ Es musste sich um einen Irrtum handeln. Keiner der Gentlemen, denen sie die letzten Wochen über vorgestellt worden war, hatte sich darum bemüht, ihr aufzuwarten. Ob Mr Sidwell ihr einen Strauß geschickt hatte?
„Hast du es nicht gerochen? Die Eingangshalle stinkt wie ein Blumenladen!“
„Bertram Dumfries! Mäßige deine Ausdrucksweise.“
Nicht nur war bis zum Mittag jede Konsole und jedes Tischchen in den Empfangsräumen mit gefüllten Vasen bestückt, nein, Rose erhielt zum ersten Mal Besuche von Gentlemen. Hatte sie sich bisher an Besuchsstunden mit ihrem Skizzenblock oder Büchern beschäftigt, so wurde sie an diesem Tag mit Konversation gequält.
Die Themen wiederholten sich. Die jungen Herren sprachen über das Wetter oder über den Ball.
„Es ist recht warm für April, Miss Stockton, finden Sie nicht auch?“
„Ein formidabler Tanzabend war das gestern!“
Ein dreister Jüngling präsentierte ihr gar ein Gedicht. Für so viel Mut und Kreativität schenkte Rose ihm ein echtes Lächeln. Der junge Mann war kaum älter als sie und wurde prompt von Bertie entführt, der sich königlich über das Machwerk seines Freundes amüsierte.
Rose fühlte sich bedrängt und überfordert, während Tante Isobel zwischen Tee und Gebäck die Vorzüge der Gentlemen wenig diskret anpries.
„Lord Whigby ist ein hervorragender Reiter, Rosemary. Du reitest doch so gerne!“ Eine grobe Übertreibung. Rose verbrachte zwar gerne Zeit in der Natur und ritt dazu aus, aber Pferdenärrin war sie weiß Gott keine.
„Ah, Mr Derry. Sind die Orchideen aus ihrem berühmten Gewächshaus? Unsere liebe Rose liebt Blumen.“ Welche Frau mochte keine Blumen?
Hoffentlich war die Stunde bald vorüber. Rose schmerzte der Kiefer bereits vom vielen Lächeln. Sicher hatte bald auch der letzte dieser Gentlemen bemerkt, wie langweilig und unscheinbar sie war. Sie antwortete einsilbig, nickte meist nur. Es gestaltete sich als enorm anstrengend, so nichtssagend zu sein.
„Miss Stockton, kennen Sie Sidwell schon lange?“
Die Erwähnung seines Namens ließ sie aufblicken. Lord Whigby sah sie erwartungsvoll an. Keines der Bouquets stammte von diesem Herren und Rose erwartete auch nicht, ihn hier zu sehen. Es stimmte: Ein Tanz mit einem der Fortuna’s Lovers hatte sie ins Rampenlicht katapultiert.
„Ich wurde ihm gestern vorgestellt, Mylord.“
„Hat er von seinen Pferden erzählt?“
„Ja, ich habe gehört, er möchte seine Füchse verkaufen, nachdem er neulich wieder gegen Ingleford verloren hat.“ Ein anderer Herr riss das Gespräch an sich, was Rose nur recht war. An Sidwells Pferde hatte sie keinen Gedanken verschwendet. Welche Frau konnte an Rösser denken, wenn einer wie er sie in den Armen herumwirbelte?
„Die Füchse wären was für mich!“
„Miss Stockton, könnten Sie ein gutes Wort für mich einlegen?“
Sie verkniff sich einen Seufzer. Diese armen Männer! „Ich fürchte, ich kenne Mr Sidwell nur flüchtig und kann Ihnen nicht behilflich sein.“
Nach dieser Aussage leerte sich der Salon. Rose versetzte es einen Stich, dass die Gentlemen Mr Sidwell so verehrten. Sie waren seinetwegen auf sie aufmerksam geworden. Dabei war er der Einzige, von dem ihr nichts gesandt wurde, der nicht auftauchte. Vermutlich war das besser, als seine aufreizend türkisen Augen zu sehen und seinem abenteuerlichen Sog ausgesetzt zu sein. Männer wie er waren gefährlich.
War es das, was seine jungen Bewunderer umtrieb?
„Mach dir nichts draus, Rose, die Zeit war um. Höflichkeitsbesuche dauern nie länger.“ Tante Isobel sah sie aufmunternd an und plapperte weiter. „Mr Derrys Orchideen sind in der Tat wundervoll, findest du nicht?“
Diese Gentlemen hatten sie besucht, weil Rose für einen kurzen Moment den Weg der sagenhaften Fortuna’s Lovers gekreuzt hatte. Zufällig und längst vergessen für Mr Sidwell. Das einzig Ärgerliche daran war, dass Tante Isobel enttäuscht sein würde, wenn die Herren nicht mehr wiederkamen.
„Sie sind herrlich“, bewunderte Rose die Blüten, die in einem kräftigen Pink leuchteten. Mr Derry hatte sich nicht mal Mühe gegeben, eine Farbe zu wählen, die zu ihr passte. „Ich gehe in den Park zum Malen. Ruh dich aus, Tante. Es war alles sehr aufregend.“
Lady Dumfries gähnte. „Ja, das werde ich tun. Bis nachher, mein Kind!“
Eine Stunde später flitzte Rose auf ihren Platz in Maître Dutrouts Klasse. Sie war verschwitzt und die Perücke kratzte. Der Schnauzbart juckte, ein lästiger Teil ihrer Verkleidung. Aber in den Hosen war sie viel flinker unterwegs als in langen Röcken.