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Die 23jährige Mona Minter unterbricht ihr langweiliges BWL-Studium in Deutschland und wandert für ein Jahr nach Kanada aus – als Au-Pair. Schon bei ihrer Ankunft erwartet sie die erste Überraschung... niemand holt sie am Flughafen in Calgary ab. Die Familie Winter hat ihre Ankunftsdaten verwechselt. Der fast gleichaltrige Nachbarsohn Michael Baker holt sie stattdessen ab und bald ist sie in Mikes Freundeskreis integriert. In jenem Sommer erlebt Mona einige Abenteuer – nicht immer ohne Gefahren. Mike, der sich zum kanadischen Mounty ausbilden lässt, begleitet sie meist auf ihren Ausflügen und rettet sie mehr als einmal – nicht nur vor Schwarzbären oder Grizzlys, sondern besonders vor Matthew... dem Womanizer in der Clique.
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Der Koffer war gepackt. Der Flugschein in der Tasche. Das Visum im Pass. Jetzt fehlte nur noch das Taxi, das Mona zum Bahnhof bringen sollte. Es war kurz vor 6 Uhr morgens an diesem kühlen Freitag im April. Der Tag versprach, sonnig und frühlingshaft zu werden.
Mona war nervös. Ein ganzes Jahr in Kanada als Au-pair war für sie ein Abenteuer. Aber, dachte Mona, wenn nicht jetzt, wann dann? Ihr Abi hatte sie in der Tasche. Es war gar nicht mal so schlecht ausgefallen. Ihr Vater, Josef Minter, hätte gern gesehen, wenn sie Architektur studiert hätte. Er träumte davon, dass seine Tochter eines Tages seinen Laden übernehmen würde. Ihre Mutter Doris wünschte sich einen Schwiegersohn und viele Enkel, die sie betüddeln konnte.
Mona dachte nicht daran, sich den Wünschen ihrer Eltern zu unterwerfen. Es zog sie in die Ferne. In dieser Kleinstadt im Westerwald mit seinen etwas mehr als 4.000 Einwohnern würde sie ersticken. Dieses Spießertum, dieses kleinbürgerliche Denken ging ihr unsäglich auf die Nerven.
Die zwei Jahre auf der Uni in Köln waren zwar zunächst eine Abwechslung, aber irgendwann ging ihr das Lernen ebenfalls nur noch auf die Nerven. Nein, vom Lernen hatte sie die Nase gestrichen voll. Außerdem fand sie BWL langweilig. Stinklangweilig.
Mit ihren 23 Jahren träumte sie von der großen, weiten Welt. Es musste doch noch was anderes geben als das, was sie bisher erlebt hatte.
Doris Minter knetete ununterbrochen ihre Finger. „Du musst sofort anrufen, wenn du angekommen bist. Versprich es mir.“
Mona sah ihre Mutter an. „Das sagst du mir jetzt schon zum hundertsten Mal. Ja, Mama. Ich ruf dich sofort an. Versprochen!“
„Dein Vater hätte dich gern zum Flughafen gebracht, aber du weißt ja… sein Beruf…“
„Ja, ja, Mama.“
War es nicht schon immer so?, fragte sich Mona.
Wie hält sie das aus? Nein. Immer so allein zu sein, das wär nichts für mich.
Doris Minter schüttelte zum wiederholten Mal den Kopf. „Wie willst du mit so wenig Gepäck ein ganzes Jahr auskommen?“
„Ach, Mama. Ich brauche doch nur zwei, drei Jeans, ein paar Sweatshirts, eine Handvoll T-Shirts und Socken. Ich kann doch jede Woche waschen. Und wenn mir wirklich was Wichtiges fehlt, kann ich es auch da kaufen, oder?“
Endlich bog das cremefarbene Auto in die Nebenstraße ein. Mona griff nach ihrem dicken Parka und der Taxifahrer verstaute ihr Gepäck im Kofferraum. Eine letzte Umarmung von ihrer Mutter, die mächtig mit den Tränen kämpfte. Das Taxi setzte sich in Bewegung. Ein rasches Winken… und das Abenteuer konnte beginnen.
Der Berufsverkehr hatte noch nicht begonnen. Sie war pünktlich am Bahnhof in Bonn. Selbst der Intercity hatte ausnahmsweise keine Verspätung und der Zug rollte fahrplanmäßig am Frankfurter Flughafen ein. Sie war früh da. Aber wer wusste schon im Voraus, wie lange die Sicherheitskontrolle dauern würde? Lieber zu früh als zu spät, dacht Mona.
Obwohl sie schon viele Male in Urlaub geflogen war und die Hektik am Flughafen kannte, war das Fliegen immer noch interessant. Spannend. Kurzweilig. Reizvoll.
Mona schaute auf den Monitor für die Abflüge.
Caracas. Sao Paulo. Anchorage. Kapstadt. Recife. Tokyo. Budapest. Athen. Paris. Helsinki. London …
Ja, London und Paris kannte sie. An die Trips mit ihren Freunden erinnerte sie sich nur allzu gern. In der Carnaby Street shoppen gehen. Das war Klasse. Am Trafalgar Square in die roten Doppelstöcker springen. Das hatte Spaß gemacht.
Oder die Stufen rauf nach Sacre Coeur. Anschließend an der Seine entlang spazieren und in einem der vielen Cafés auf der Champs Elysee einen Café au lait trinken. Das Croissant stippen. Stark!
Und Rom erst! Wie sie abends rund um das Kolosseum gelaufen waren. Faszinierend, wenn es angestrahlt wurde. Oder der Trevi Brunnen. Sie hatten in einer der vielen Marktkarees ihren Hunger gestillt, draußen gesessen und das pralle Leben an sich vorbeiwallen lassen. Sie selbst mittendrin. Ja, Mona hatte schon einiges gesehen und erlebt.
Doch wie es in Helsinki oder Budapest aussah, wusste sie nur von Fotos. Und … Caracas oder Recife? Oder gar Sao Paulo oder Anchorage? Nein. Von diesen Städten kannte sie nur die Namen. Mehr nicht.
Und heute sollte es über den großen Teich gehen. Nach Kanada.
Der Flug würde knapp zehn Stunden dauern. Wahnsinn!
Mona fand den Flug auf dem Monitor und zog den Koffer hinter sich her. Schon von weitem konnte sie die lange Schlange am Check-in Schalter von Air Canada ausmachen. Sie stellte sich an.
Das Ehepaar in etwas fortgeschrittenem Alter vor ihr schien ebenso nervös zu sein wie Mona selbst.
„Hast du daran gedacht, die Kühlschranktür offen stehen zu lassen?“, hörte Mona den Mann mit dem Schnauzbärtchen fragen.
„Was denkst du denn?“, bedachte ihn seine rotwangige Frau mit einem strengen Blick. „Noch bin ich nicht senil.“
Es ging nur langsam voran. Hinter Mona hatten sich weitere Passagiere aufgestellt, die offenbar alle nach Kanada wollten.
Endlich war sie an der Reihe. Der Koffer wog 20,5 Kilogramm. Genau wie zu Hause auf der Waage. Das Handgepäck wurde nicht gewogen, obwohl es mächtig an Monas Schulter zerrte. Es wog, laut Waage daheim, fast 12 Kilogramm. Hoffentlich wurde das nicht auch gewogen.
Der Pass wurde kontrolliert, eine Seite des Tickets rausgerissen und sie bekam ihre Bordkarte. Sofort machte sich Mona auf den Weg zum Gate. An der Sicherheitskontrolle hatten sich noch längere Schlangen gebildet. Es gab zwar fünf Scanner, aber davon waren nur drei besetzt. Es dauerte fast eine halbe Stunde, ehe Mona die Sicherheitskontrolle passiert hatte.
Im Duty Free Shop kaufte sie eine Flasche Moselwein und eine Schachtel belgischer Schokolade. Ein kleines Mitbringsel für die Gastgeberfamilie musste sein. Für die beiden älteren Kinder kaufte sie zwei Überraschungseier. Für das Jüngste, gerade mal drei Monate alt, war ein Geschenk wohl überflüssig.
Als sie sich auf ihrem Platz in der Economy Klasse angeschnallt hatte, das Flugzeug von der Gangway geschoben wurde und zur Runway rollte, dachte Mona erleichtert: Jetzt geht es endlich los. Kanada – ich komme!
Sie hatte einen Fensterplatz ergattert. Schon längst waren sie über den Wolken und sie konnte sich an den Formationen unter sich nicht satt sehen. Die Frau neben sich, im Mittelsitz, hatte sich in ein Buch vertieft. Und der junge Mann, im Sitzplatz am Gang, lauschte dem, was er auf seinem MP3 Player gespeichert hatte.
Nein, dachte Mona, ich könnte jetzt weder lesen noch Musik hören.
Sie dachte daran, wie alles angefangen hatte. Die kleine Anzeige in der Zeitung hatte ihre Freundin entdeckt. Felicitas wusste, dass Mona unbedingt für ein Jahr ins Ausland wollte. USA wäre ihr zwar lieber gewesen, aber der Name in der Anzeige – eine Familie Winter – erinnerte sie an ihren eigenen Nachnamen: Minter.
Warum also keine Bewerbung schicken? Es war ein Versuch wert.
Offenbar hatte ihre Bewerbung Anklang gefunden. Und so hatte sie die Familie, bei der sie mehr als ein Jahr verbringen würde, über Skype live kennengelernt. Mr. Winter war ein hohes Tier in der Forstwirtschaft. Er hatte mit den Waldflächen in den Rocky Mountains zu tun. Mrs. Winter war Medizinerin und Mutter von drei Kindern im Alter von drei Monaten, zweieinhalb und fünf Jahren. Das älteste ein Junge, die beiden jüngeren Mädchen.
Mrs. Winter wollte wieder in eine Praxis einsteigen. Deshalb suchte sie ein Au-pair. Und weil die Großeltern von Mrs. Winter aus Deutschland kamen, wollte sie unbedingt ein deutsches Kindermädchen.
Mona fand die Familie ausgesprochen sympathisch. Die Kinder waren süß und das Zimmer, das sie bewohnen sollte, war sehr geschmackvoll eingerichtet. Ja, dachte Mona, es ist alles so wie ich es mir vorgestellt habe.
Nach einer Weile musste Mona zur Toilette. Der junge Mann mit dem MP3 Player und die Frau mit dem Taschenbuch schälten sich aus ihren Sitzen und ließen Mona vorbei. An der Bordtoilette hatte sich eine kleine Schlange gebildet. Erst nach zwanzig Minuten kehrte Mona zu ihrem Platz zurück. Nachdem sie sich wieder in ihren Sitz fallen gelassen hatte, kramte sie aus ihrem Handgepäck eine Kladde und notierte, was sie seit dem Verlassen ihres Elternhauses erlebt hatte. Ja. Sie wollte jeden Tag ihre Eintragungen machen. Sie wollte sich an alles erinnern, was ihr widerfahren war auf dieser Reise. In zwanzig oder dreißig Jahren wollte sie sich unbedingt auch noch an Einzelheiten erinnern können. Wer weiß, wo sie dann war. Ob sie verheiratet war, ob sie Kinder hatte oder ob sie einen tollen Job hatte, der sie forderte.
Aber… das war ja jetzt noch nicht wichtig. Jetzt galt es, das Leben zu genießen. Und zwar in vollen Zügen.