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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Es war eine ausgesprochen lustige Reisegruppe, die sich auf dem Weg nach St. Johann befand. Vierunddreißig Wochenendausflügler unterhielten den Busfahrer mit munteren Liedern, und die Stimmung an Bord des komfortablen Reisebusses konnte nicht besser sein. Nur ein einzelner Mann saß in der hintersten Reihe alleine auf seinem Platz und schaute mit düsterem Gesicht zum Fenster hinaus. Er betrachtete die Landschaft, ohne sich um die anderen zu kümmern, und je mehr sich der Bus den Bergen näherte, um so schneller schlug Franz Gronauers Herz. Zum wiederholte Male fragte er sich, ob es richtig war, was er tat. Aber je öfter er sich diese Frage stellte, um so weniger konnte er sich eine Antwort darauf geben. Alles, was er wußte, war, daß es ihn drängte, zurückzukehren in die Heimat, die er so lange nicht gesehen hatte. Doch wie würde der Empfang ausfallen? Würden die Seinen ihn mit offenen Armen aufnehmen oder zurückweisen, so, wie sie seine Briefe, die er immer wieder schrieb, zurückgewiesen hatten. Annahme verweigert – unzählige Male hatte er diese zwei Worte lesen müssen, bis er es endlich aufgab zu schreiben. Auch wenn es ihm das Herz zerriß. Der Reisebus hielt ein letztes Mal, bevor es bis in das Alpendorf weiterging. Die Fahrgäste stiegen aus und vertraten sich die Beine. Einige rauchten, andere gingen ein paar Schritte auf dem Parkplatz und schauten in die Ferne, wo sich schon die Gipfel der Berge erahnen ließen. ›Himmelspitz‹ und ›Wintermaid‹, der Kogler. Als Bub und später als junger Bursche war er oft dort oben herumgekraxelt, und wie hatte er sich in all den Jahren, in denen er von zu Hause fort war, danach gesehnt, die geliebten Berge wiederzusehen. Das Hupsignal, das die Fahrgäste zum Einsteigen rief, riß Franz Gronauer aus seinen Gedanken. Er setzte sich wieder ans Fenster und schaute hinaus. War es ein Zufall, daß er auf der Arbeitsstelle die Zeitung der vergangenen Woche fand, in der das Inserat des Busunternehmens stand, in dem ein vergnügtes Wochenende in St.
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Seitenzahl: 108
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Ein liebendes Herz kennt keine Lüge
Franz Gronauer – ein verlorener Sohn kehrt heim
Roman von Toni Waidacher
Es war eine ausgesprochen lustige Reisegruppe, die sich auf dem Weg nach St. Johann befand. Vierunddreißig Wochenendausflügler unterhielten den Busfahrer mit munteren Liedern, und die Stimmung an Bord des komfortablen Reisebusses konnte nicht besser sein.
Nur ein einzelner Mann saß in der hintersten Reihe alleine auf seinem Platz und schaute mit düsterem Gesicht zum Fenster hinaus. Er betrachtete die Landschaft, ohne sich um die anderen zu kümmern, und je mehr sich der Bus den Bergen näherte, um so schneller schlug Franz Gronauers Herz.
Zum wiederholte Male fragte er sich, ob es richtig war, was er tat. Aber je öfter er sich diese Frage stellte, um so weniger konnte er sich eine Antwort darauf geben. Alles, was er wußte, war, daß es ihn drängte, zurückzukehren in die Heimat, die er so lange nicht gesehen hatte.
Doch wie würde der Empfang ausfallen? Würden die Seinen ihn mit offenen Armen aufnehmen oder zurückweisen, so, wie sie seine Briefe, die er immer wieder schrieb, zurückgewiesen hatten.
Annahme verweigert – unzählige Male hatte er diese zwei Worte lesen müssen, bis er es endlich aufgab zu schreiben. Auch wenn es ihm das Herz zerriß.
Der Reisebus hielt ein letztes Mal, bevor es bis in das Alpendorf weiterging. Die Fahrgäste stiegen aus und vertraten sich die Beine. Einige rauchten, andere gingen ein paar Schritte auf dem Parkplatz und schauten in die Ferne, wo sich schon die Gipfel der Berge erahnen ließen.
›Himmelspitz‹ und ›Wintermaid‹, der Kogler. Als Bub und später als junger Bursche war er oft dort oben herumgekraxelt, und wie hatte er sich in all den Jahren, in denen er von zu Hause fort war, danach gesehnt, die geliebten Berge wiederzusehen.
Das Hupsignal, das die Fahrgäste zum Einsteigen rief, riß Franz Gronauer aus seinen Gedanken. Er setzte sich wieder ans Fenster und schaute hinaus.
War es ein Zufall, daß er auf der Arbeitsstelle die Zeitung der vergangenen Woche fand, in der das Inserat des Busunternehmens stand, in dem ein vergnügtes Wochenende in St. Johann angeboten wurde? Oder hatte das Schicksal seine Fäden gesponnen, um den Flüchtling zur Heimkehr zu bewegen? Franz brauchte nicht lange zu überlegen. Noch am gleichen Tag, an dem er das Inserat gelesen hatte, rief er den Veranstalter an und buchte einen Platz. Im Fahrpreis enthalten waren die Fahrt, zwei Übernachtungen mit Frühstück im Hotel ›Zum Löwen‹ sowie die Teilnahme an einem Tanzabend mit Blasmusik.
Aber das alles war es nicht, was Franz nach Hause lockte, er wollte sich endlich mit dem Vater aussöhnen und einen Zustand beenden, der für ihn unerträglich geworden war.
Zweiundzwanzig Jahre war er alt, als er davonlief. Vorausgegangen waren ewige Streitereien mit dem Vater, weil ihre Ansichten darüber, wie der Berghof zu bewirtschaften sei, weit auseinanderklafften. Franz, der den Hof einmal erben sollte, wollte schon früh zeigen, was in ihm steckt. Seiner Ansicht nach mußte umfassend modernisiert werden, um aus dem mehr schlecht als recht geführten landwirtschaftlichen Betrieb ein gesundes und gewinnträchtiges Unternehmen zu machen.
Doch da biß er bei Hubert Gronauer auf Granit. Der Bergbauer schien immer noch in der Welt seiner Vorfahren zu leben, die den Hof vor mehr als zweihundert Jahren gründeten. Und so sah es dort heute noch aus. Das einzige Zugeständnis an die Technik war ein uralter Traktor, der immer wieder repariert werden mußte, bevor er eingesetzt werden konnte.
Franz, der die Landwirtschaftsschule besucht hatte, wollte hingegen soviel es nur ging neue Maschinen und Geräte anschaffen, um die Arbeit effektiver zu machen und den Gewinn zu erhöhen. Noch heute erinnerte er sich mit Grausen an die vielen Auseinandersetzungen, die er deswegen mit dem Vater geführt hatte.
Als er schließlich einsehen mußte, daß mit dem Bauern nicht zu reden war, zog er die Konsequenzen und ging auf und davon. Natürlich war ihm dieser Entschluß nicht leicht gefallen. Es war viel, das er zurückließ – ein Madel, das sich die Augen nach ihm ausweinte, die Mutter, die sich gegen ihren Mann nie durchsetzen konnte und nicht zuletzt sein Erbe. Von heute auf morgen stand Franz Gronauer vor dem Nichts. Per Anhalter war er in die Kreisstadt gefahren, von dort ging es weiter mit dem Zug nach München. Nach langem Suchen fand er eine kleine Pension, in der er erst einmal unterkam. Dann brauchte er irgendeine Arbeit, aber einen Landwirt suchte in der Großstadt niemand, und so mußte er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten.
Das gelang ihm recht gut. Ein Jahr lang kellnerte der Bauernsohn in Kneipen, spülte Teller in Hotelküchen und wurde als Aushilfsmechaniker in der Werkstatt einer Tankstelle angestellt, bis er endlich über das Arbeitsamt eine Stelle als Knecht auf einem Hof im Fränkischen fand. Dort lebte und arbeitete er die letzten sieben Jahre.
Der Bauer hatte ihn nur ungern gehen lassen. Er kannte jedoch die Lebensgeschichte seines Knechts und hatte Verständnis dafür, daß dieser endlich nach Hause und sich mit dem Vater aussöhnen wollte.
»Deine anderen Sachen läßt aber hier«, hatte er ihm gesagt, bevor Franz packte. »Wenn dein Vater dich net wieder aufnehmen will, dann hast’ bei mir immer einen Platz. Na ja, und wenn’s denn sein soll, daß du dableibst, dann schick’ ich dir die Sachen halt nach.«
Also war Franz nur mit einer Reisetasche in den Bus gestiegen. Entgegen seiner ersten Absicht, gleich zum Hof hinauszufahren, entschied er sich jetzt doch dafür, erst einmal im Hotel zu schlafen, wofür er ja schon bezahlt hatte. Wenn er schließlich blieb, konnte er immer noch das Zimmer wieder absagen.
Der Bus hatte das Ortsschild passiert und bog auf den Parkplatz des Hotels ein. Franz Gronauers Beine zitterten, als er die Stufen des Ausstiegs hinunterging.
Draußen blieb er stehen und atmete tief ein. Wenigstens die Luft hatte sich in all den Jahren nicht verändert. Sie roch immer noch frisch und nach würzigen Kräutern.
*
Sepp Reisinger, Inhaber vom Hotel ›Zum Löwen‹, empfing und begrüßte seine Gäste schon draußen am Bus. Der Wirt hatte sich dieses Wochenendarrangement ausgedacht, um seine Zimmer auch außerhalb der Saison belegt zu haben. In dem Busunternehmen hatte er einen soliden und zuverlässigen Partner gefunden, und die Kurzreisen in das idyllische Alpendorf erfreuten sich immer größerer Beliebtheit.
Franz hielt sich im Hintergrund. Er wußte zwar nicht, ob Sepp sich überhaupt an ihn erinnerte, als junger Bursche war der Bauernsohn nicht sehr oft zum samstäglichen Ball gegangen, aber er wollte nicht, daß seine Ankunft in St. Johann womöglich gleich herumposaunt wurde.
Doch die Furcht war unbegründet. Als während der Zimmervergabe die Namen der Reisenden aufgerufen und die Schlüssel verteilt wurden, war Sepp Reisinger nicht dabei.
Nach der Ankunft im Hotel konnten sich die Mitglieder der Reisegruppe im Clubraum an Kaffee und Kuchen laben. Franz blieb jedoch auf seinem Zimmer. Nachdenklich stand er am Fenster und blickte zu den Bergen hinüber, die in greifbarer Nähe schienen. Irgendwo da drüben stand der Hof der Eltern.
Wie es ihnen wohl ergangen war? Dachten sie manchmal an ihn oder hatten sie ihn schon ganz vergessen?
Voller Wehmut hatte er immer an die Mutter gedacht. In seiner Erinnerung war sie eine kleine, verhärmte Frau, gebeugt von der Last der Arbeit. Angst stand ihr oft ins Gesicht geschrieben, Angst vor den Wutausbrüchen des Vaters, der nur sein Wort gelten ließ.
Wie es ihr jetzt wohl ging? Hatte sich etwas am Verhalten ihres Mannes geändert oder stand sie immer noch so unter seinem Regiment?
Eigentlich hatte er sich von ihr Antwort auf seine Briefe erhofft. Sie war der einzige Grund, warum er immer wieder schrieb. Er konnte sich nicht vorstellen, daß sie es war, die die Annahme verweigerte.
Als Franz jetzt an seine Mutter dachte, wurde sein Herz ganz weit. Nie hatte er in all den Jahren aufgehört, sie zu lieben, und wenn er sich auch eine Aussöhnung mit dem Vater wünschte, so war es doch der Gedanke an die Mutter gewesen, der den Ausschlag dazu gab.
Sein Blick fiel auf die Reisetasche. Sie war noch gar nicht ausgepackt. Franz öffnete sie. Obenauf lag das Bild in einem Rahmen. Eine kleine Fotografie. Sie zeigte Burgl Gronauer als junge Frau, mit ihm, Franz, auf dem Arm.
Eine Schönheit war sie da gewesen, und bestimmt war der Vater damals sehr stolz, daß er von all den anderen Burschen beneidet wurde.
Franz küßte das Bild seiner Mutter und legte es zurück in die Reisetasche. Er beschloß, sie erst einmal nicht auszupacken. Wenn das, was er sich vorgestellt hatte, klappte, dann würde er noch heute abend zum Gronauerhof gehen.
Aber dazu benötigte er Hilfe. Franz wußte auch schon, wen er darum bitten wollte. Wenn es einem gelingen konnte, Vater und Sohn wieder zu versöhnen, dann war es der Seelsorger des Dorfes, Pfarrer Sebastian Trenker. Deshalb sollte Franz’ erster Weg zu ihm führen. Er wußte, daß der Geistliche ein offenes Ohr für sein Anliegen haben würde. Franz war nicht nur sein Pfarrkind, oft waren sie zusammen in den Bergen unterwegs gewesen, denn Hochwürden war von derselben Leidenschaft gepackt wie Franz.
Ob sie ihn immer noch den Bergpfarrer nannten?
Der junge Mann schmunzelte. Wahrscheinlich schon. Sebastian Trenkers Ruf als Bergsteiger und Kletterer war legendär. Kaum jemand kannte sich in den Bergen so gut aus wie der Gottesmann, der wahrlich nicht so aussah, wie man sich landläufig einen Pfarrer vorstellte.
Franz erinnerte sich an einen sportlichen und durchtrainierten Mann, dessen Gesicht von der Sonne stets leicht gebräunt war. Man hätte Sebastian Trenker eher für einen prominenten Filmstar halten können, als zu glauben, daß er in der Kirche die Messe las.
Vielleicht, dachte Franz Gronauer, wenn alles so wird, wie ich’s mir gedacht hab’, vielleicht werd’ ich dann auch mal wieder mit dem Herrn Pfarrer eine Tour machen.
Von der Kirche her schlug die Glocke. Vielleicht sollte ich gleich hinübergehen, überlegte er. Vor der Abendmesse wird er bestimmt Zeit für mich haben.
In der Halle lief ihm Ludwig Sterzanger über den Weg. Der Reiseleiter sprach ihn an.
»Sagen S’, Herr Gronauer, machen S’ denn morgen früh auch die Wanderung auf die Spitzer-Alm mit?« erkundigte er sich. »Wissen S’, ich frag’, weil ich der Wirtin die Anzahl der Lunchpakete sagen muß.«
Der junge Mann schüttelte den Kopf.
»Ich denk’ net, Herr Sterzanger. Ich hab’ was and’res vor.«
*
Marie Weißlinger knetete den Teig für das Brot. Immer wieder hob sie ihn hoch, warf ihn auf den Tisch und walkte ihn durch. Dabei ächzte sie, denn es war eine anstrengende Arbeit. Endlich schien ihr der Teig elastisch genug. Sie zerteilte ihn in drei Stücke, aus denen sie Laibe formte, die sie auf ein großes Backblech legte, das sie eingefettet und mit Mehl bestäubt hatte. Sie deckte ein Handtuch darüber und wandte sich dem altertümlichen Hof zu, der noch mit Holzfeuer arbeitete. Eine halbe Stunde mußten die Brote ruhen, ehe sie in das Rohr geschoben werden konnten.
Marie legte zwei Holzscheite nach und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Die Küchentür ging auf, und Wastl Stöckler kam herein. Der Knecht schneuzte sich die Nase und ging an den Wasserhahn. Gierig trank er aus der hohlen Hand.
»Himmelsakra«, schimpfte er anschließend, während er Gesicht und Hände wusch. »Dieser Traktor bringt mich noch ins Grab.«
»Ist er etwa schon wieder kaputt?« fragte die Magd.
»Kaputt? Hinüber ist er. Ich versteh’ net, warum der Bauer net endlich einen neuen anschafft. Das Ding ist so vorsintflutlich, daß man glauben könnt’, sein eigener Urgroßvater wär’ schon darauf gefahren.«
Von der Diele her erklangen Schritte. Marie legte ihren Zeigefinger an die Lippen.
»Pst, er kommt.«
Wastl zuckte die Schultern.
»Na und? Soll er! Ich werd’ ihm schon meine Meinung sagen.«
»Was willst’ mir sagen?« fragte Hubert Gronauer, der eben durch die Tür trat. »Bist unzufrieden mit deiner Arbeit? Dann geh! Ich find’ jederzeit Ersatz.«
Der Knecht sah den Bauern an.
»Ich mein’ ja nur… es ist wegen dem Traktor. Also, lang’ macht er’s net mehr, Bauer. Da muß was geschehen.«
Der hochgewachsene Mann mit dem kantigen, harten Gesicht wandte sich um.
»Deine Meinung interessiert mich net«, gab er zurück, während er sich an den Tisch setzte, den die Magd schnell abwischte. »Der Traktor wird überholt, dann macht er’s wieder. Man muß nur mit ihm umgehen können. Aber wenn du zu dumm dazu bist, dann spannst’ eben die Pferde vor den Pflug, so wie früher.«
Er nahm die Zeitung und vertiefte sich darin, ohne sich weiter um den Knecht zu kümmern. Wastl stand einen Moment sprachlos da, dann drehte er sich um und ging hinaus.
Marie Weißlinger schüttelte den Kopf und widmete sich den Broten. Sie schob das Blech in die Backröhre und stellte eine feuerfeste Schüssel mit Wasser darunter.
Warum mach’ ich das bloß, überlegte sie dabei. Warum hab’ ich’s beinahe acht Jahre bei diesem alten Tyrannen ausgehalten?
Sie warf einen Blick auf ihn und wußte die Antwort – sie hatte Mitleid mit ihm.