Ein Mädchen richtet Unheil an - Patricia Vandenberg - E-Book

Ein Mädchen richtet Unheil an E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Dr. Norden war zu Hannelore Wendt gerufen worden. Sie lag bereits drei Wochen in der Behnisch-Klinik. Darmkrebs in fortgeschrittenem Stadium, und sie selbst wußte es auch seit einiger Zeit. Sie ertrug die Schmerzen still und gottergeben. Anders konnte man es nicht nennen, und selbst Dr. Dieter Behnisch, der solche Worte nicht mochte, fand keine andere Bezeichnung für dieses Erdulden. Dr. Daniel Norden wußte, daß es nun bald ein Ende haben würde. Als er am Bett stand und die abgemagerten Hände dieser einstmals so bildschönen Frau hielt, ahnte er schon, daß der Abschied für immer nahe war. »Ich habe diese Strafe verdient, Dr. Norden«, murmelte sie, »ich habe sie ertragen, aber Astrid soll nicht leiden, sie soll sich freimachen von dem despotischen Zwang. Wenn ich nicht mehr die Kraft habe, es ihr selbst zu sagen, bitte sagen Sie es ihr, daß Heinz Wendt nicht ihr Vater ist.« Dr. Norden hielt den Atem an. Ihm wurde erschreckend klar, daß er da etwas erfahren hatte, wofür er keine Beweise hatte und er konnte Hannelore Wendt jetzt keine Fragen mehr stellen, da sie mit einem schmerzhaften Stöhnen ins Koma gesunken war. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft, während er sie betrachtete, ihr schon vom Tode gezeichnetes Gesicht, und sie mußte wohl mit allerletzter Kraft gesagt haben, was sie so lange verschwiegen hatte. Heinz Wendt hatte sich nicht viel um seine kranke Frau gekümmert. Er hatte nicht gezögert, sich nach Düsseldorf versetzen zu lassen, obgleich ihm gesagt worden war, wie es um seine Frau stand.

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Dr. Norden Bestseller – 307 –

Ein Mädchen richtet Unheil an

Patricia Vandenberg

Dr. Norden war zu Hannelore Wendt gerufen worden. Sie lag bereits drei Wochen in der Behnisch-Klinik. Darmkrebs in fortgeschrittenem Stadium, und sie selbst wußte es auch seit einiger Zeit.

Sie ertrug die Schmerzen still und gottergeben. Anders konnte man es nicht nennen, und selbst Dr. Dieter Behnisch, der solche Worte nicht mochte, fand keine andere Bezeichnung für dieses Erdulden.

Dr. Daniel Norden wußte, daß es nun bald ein Ende haben würde. Als er am Bett stand und die abgemagerten Hände dieser einstmals so bildschönen Frau hielt, ahnte er schon, daß der Abschied für immer nahe war.

»Ich habe diese Strafe verdient, Dr. Norden«, murmelte sie, »ich habe sie ertragen, aber Astrid soll nicht leiden, sie soll sich freimachen von dem despotischen Zwang. Wenn ich nicht mehr die Kraft habe, es ihr selbst zu sagen, bitte sagen Sie es ihr, daß Heinz Wendt nicht ihr Vater ist.«

Dr. Norden hielt den Atem an. Ihm wurde erschreckend klar, daß er da etwas erfahren hatte, wofür er keine Beweise hatte und er konnte Hannelore Wendt jetzt keine Fragen mehr stellen, da sie mit einem schmerzhaften Stöhnen ins Koma gesunken war.

Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft, während er sie betrachtete, ihr schon vom Tode gezeichnetes Gesicht, und sie mußte wohl mit allerletzter Kraft gesagt haben, was sie so lange verschwiegen hatte.

Heinz Wendt hatte sich nicht viel um seine kranke Frau gekümmert. Er hatte nicht gezögert, sich nach Düsseldorf versetzen zu lassen, obgleich ihm gesagt worden war, wie es um seine Frau stand.

Dr. Daniel Norden hatte ihn nicht so gut kennengelernt, daß er sich ein Urteil über ihn erlaubt hätte, aber es hatte ihm nicht gefallen, wie Wendt seine schwerkranke Frau behandelte. Astrid, die jetzt zwanzigjährige Tochter, hatte es Dr. Norden gesagt, und er hatte gespürt, welchen Zorn Astrid empfand.

Mochte Heinz Wendt auch nicht gerade ein liebevoller Ehemann sein, so hatte Dr. Norden doch den Eindruck gewonnen, daß er in seine bildhübsche Tochter vernarrt war. Jedenfalls war das bis vor einiger Zeit so gewesen, aber Astrid hatte dann auch mal verlauten lassen, daß sich das Verhältnis zwischen ihnen geändert hätte, und sie hatte die Vermutung geäußert, daß da eine andere Frau im Spiel sei.

Vieles ging Dr. Norden durch den Sinn, als er Hannelore Wendt betrachtete, und er zuckte zusammen, als nun die Tür aufging. Astrid Wendt war gekommen, aber sie wich gleich wieder einen Schritt zurück, als sie einen Blick auf ihre Mutter geworfen hatte.

»Ist sie…«, stammelte sie, nicht wagend, das Wort tot auszusprechen.

»Sie ist jetzt im Koma, Astrid, aber ich fürchte, daß sie nicht mehr aufwachen wird.«

Astrids Augen füllten sich mit Tränen. »Dann kann ich nur wünschen, daß sie sanft hinüberschlummern kann«, murmelte sie mit einem trockenen Schluchzen.

Nun sollte er ihr etwas sagen, was sie restlos erschüttern konnte? Nein, das brachte er nicht fertig. Wenn Hannelore Wendt solange hatte schweigen können, sollte sie dieses Schweigen auch mit ins Grab nehmen. Wenn es vom Schicksal gewollt war, würde es Astrid auch so erfahren. Aber sie war erwachsen. Sie war ein ehrgeiziges Mädchen und würde sich bald auf eigene Füße stellen, vielleicht auch bald heiraten.

Daniel Norden durchzuckte ein Schrecken. Wollte Hannelore Wendt vielleicht deshalb Astrid die Wahrheit wissen lassen, weil sie fürchtete, sie könnte einem Mann begegnen, der ihre Halbbruder sein könnte? Aber sie hätte den Namen sagen müssen. Er war in eine schwierige Situation gedrängt worden, die ihm sehr mißfiel. Aber ihm kam es auch in den Sinn, daß Hannelore geschwiegen hatte, solange sie lebte, weil sie so schützend die Hände über ihre Tochter halten und Unheil verhüten konnte. Aber warum hatte sie, diese begabte Frau, in dieser Ehe ausgeharrt, da sie sich und auch ihr Kind doch gut allein hätte ernähren können? Sie war eine begabte Visagistin gewesen, und solange ihre Eltern lebten, hatten diese sich auch rührend um Astrid gekümmert.

Was waren das für Ehen, die fünfundzwanzig Jahre hielten und anscheinend doch kaputt waren? Wurden da Konzessionen an die Öffentlichkeit gemacht, oder war es einfach Gleichgültigkeit oder das Unvermögen, Charakterstärke zu beweisen?

»Vielleicht sollten Sie Ihren Vater benachrichtigen, Astrid«, sagte Dr. Norden zögernd.

Ihre feinen Augenbrauen schoben sich zusammen, und ihre Lippen wurden schmal.

»Zur Beerdigung wird er schon kommen, weil sich das wohl so gehört, aber ganz sicher setzt er sich nicht ans Krankenbett. Er hat doch schon bewiesen, wie herzlos er ist.«

Was wird sie sagen, wenn sie die Wahrheit erfährt, ging es ihm durch den Sinn, wie wird sie dann über ihre Mutter denken?

Immerhin hatte Astrid Heinz Wendt zwanzig Jahre als ihren Vater betrachtetet, und zwanzig Jahre waren eine lange Zeit. Sie war kein Kind mehr sondern ein kritischer junger Mensch, manchmal sehr eigensinnig und auch egoistisch. Er wußte von ihrer Mutter, wie sie ihren Willen durchzusetzen verstand. So manches Mal hatte sie gesagt, daß man gegen Astrid nicht ankäme, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hätte. Nur mit Männern hatte es noch keinen Ärger gegeben. Da stellte Astrid schon ganz besondere Ansprüche.

»Wollen Sie hierbleiben?« fragte er zögernd, als es für ihn nun Zeit wurde, sich wieder in seine Praxis zu begeben.

»Ja, ich bleibe«, erwiderte sie.

Daniel Norden dachte dann, daß Hannelore noch einmal aufwachen möge, um ihrer Tochter selbst die Wahrheit zu sagen.

*

Hannelore war aus dem Koma nicht mehr aufgewacht, und wie es Astrid gesagt hatte, kam Heinz Wendt erst, als ihm ihr Tod mitgeteilt wurde.

Er ließ alles von einem Beerdigungsinstitut erledigen. Anzeigen in den Zeitungen hielt er nicht für notwendig, und er erklärte seiner Tochter, noch wußte es Astrid ja nicht anders, daß man kein Aufhebens um die Beerdigung machen wolle, da es auch Hannelore nicht gewünscht hätte.

»Es ist beklemmend, wie kalt es dich läßt«, sagte Astrid zornig.

Er maß sie mit einem langen Blick, sagte aber nichts.

So wurde auch die Trauerfeier sehr nüchtern gehalten, und Dorthe Harling, die Dr. Norden vertrat, gehörte zu dem Dutzend Trauergäste, die peinlich berührt waren.

»Es war sogar mehr als peinlich«, sagte sie später zu Dr. Norden. »Nicht mal die Nachbarn, die gekommen waren, hat er gegrüßt. Wie ein Eisblock stand er da. Mich hat es richtig gefroren, obgleich es so warm war.«

»Was ist eigentlich los mit dir, Papa?« fragte Astrid, als sie zu Hause waren. Sie beherrschte sich maßlos, um keinen heftigen Streit heraufzubeschwören. »Du warst doch früher nicht so. Wenn es um eine andere Frau geht, kannst du es sagen. Mama kannst du nicht mehr weh tun.«

Heinz Wendt starrte Astrid an. »Wenn in unserer Ehe jemand Grund hatte, sich verletzt zu fühlen, dann war es bestimmt nicht deine Mutter«, sagte er heiser. »Aber unsere Wege werden sich sowieso trennen, und du kannst den Grund ruhig erfahren. Ich bin nämlich nicht dein Vater.«

Astrid sah ihn mit schreckensweiten Augen an. »Aber das kannst du doch nicht sagen«, flüsterte sie. »Ihr wart dreiundzwanzig Jahre verheiratet, und ich bin zwanzig.«

»Eben, das ist ja der Beweis, wer in dieser Ehe betrogen wurde, aber ich habe es bedauerlicherweise erst vor einigen Monaten erfahren. Es war ja auch zu bequem für sie, mir das Kind einer Zufallsbekanntschaft unterzuschieben, und sie konnte mit dieser Lüge leben.«

»Sie ist tot, sie kann sich nicht mehr verteidigen«, schluchzte Astrid auf.

»Sie war ja zu feige, wenigstens dir die Wahrheit zu sagen, und als ich sie zur Rede stellte, erklärte sie sogar, daß ich nie erfahren würde, wer dein Vater ist. Sie sei nur froh, daß ich es nicht bin.«

»Das kann ich nicht glauben«, murmelte Astrid.

»Du kannst es ja herausfinden«, sagte er eisig. Dann nahm er aus seinem Schreibtisch ein Kuvert. »Beschäftige dich damit. Ich fahre morgen nach Düsseldorf zurück. Einstweilen kannst du die Wohnung noch benutzen, und auf dem Konto deiner Mutter wird ja noch genug Geld vorhanden sein, daß du über die Runden kommst, bis du selber verdienst.«

Sie sah ihn fassungslos an. »Papa, denkst du nicht daran, daß du zwanzig Jahre lang für mich mein Vater bist?« flüsterte sie.

»Warst, mußt du sagen. Aber du kannst ja unter drei Männern deinen richtigen Vater herausfinden. Und mir brauchst du keinen Vorwurf zu machen, daß ich es nicht bin.«

Eiskalt wurde es Astrid, als er sich nun abwandte. »Keine weitere Diskussion«, sagte er, und dann verließ er den Raum. Astrid war wie versteinert, keiner Bewegung und keines Gedankens fähig. Sie blickte auf das Kuvert, das auf dem Tisch lag, und dann war es ihr, als ginge davon eine magische, aber teuflische Kraft aus.

Sie war nie ein romantisches, sentimentales Mädchen gewesen, aber in dieser Stunde war etwas geschehen, was ihr Leben und sie selbst veränderte. Eine Feindseligkeit wuchs in ihr, die den Schmerz verdrängte, den sie noch bei den aggressiven Worten ihres Vaters empfunden hatte.

Er war ja nicht ihr Vater, das begriff sie, aber er war ihr ein wirklich guter und liebevoller Vater gewesen. Wollte ihre Mutter ihr das erhalten, möglichst lange erhalten? Hatte sie deshalb geschwiegen? War das die Entschuldigung, die es für ihr Verhalten geben konnte?

Astrid empfand nun auch Zorn auf ihre Mutter, und momentan wollte sie gar nicht nach Entschuldigungen und Verstehen suchen. Sie hatte das Gefühl, plötzlich zur Waise geworden zu sein, und ein wilder Trotz erwachte in ihr, sich gegen diese Ungewißheit aufzulehnen. Sie wollte wissen, wer der Mann war, der ihr Vater sein mußte, was für ein Mensch er war, und warum ihre Mutter nicht einmal seinen Namen nennen wollte.

Sie riß den Umschlag buchstäblich an sich, eilte in ihr Zimmer und öffnete ihn sofort.

Ihre Augen weiteten sich, als ihr gleich der Bericht einer Auskunftei in die Hände fiel. Der wies das Datum vom Oktober des vergangenen Jahres auf. Aber was sie las, waren die Namen und Daten von drei Männern.

Lutz Bertram, Fabrikant, wohnhaft seit drei Jahren in München-Grünwald, 42 Jahre, verheiratet, 2 Kinder, Sohn Christopher, 12, Tochter Daniela, 10, Ehefrau Heike, 36, geborene Erlander.

Dann folgte Felix Erlander, 48,

Reeder in Kiel, verwitwet, ein Sohn, 24, Patrick.

Als Dritter: Carlos Bortias, Regisseur, 50, wohnhaft Frankfurt und Mailand, verheiratet, kinderlos.

Auf dem Schreiben stand zu lesen, daß Herr Wendt, falls er umfassendere Auskünfte wünsche, einen weiteren Vorschuß von D 2000,- zahlen möchte.

Weitere Auskünfte fand Astrid von der Auskunftei nicht, aber einige schon recht vergilbte Fotos und ein paar anscheinend aus einem Heft herausgerissene Seiten und eine Geburtstagskarte. Unserer bezaubernden Lo herzlichste Wünsche für die Zukunft, und zur Erinnerung an wundervolle Tage dieses Armband. Carlos, Felix und Lutz.

Es dauerte einige Zeit, bis Astrid auch die Fotos betrachten konnte, die ihre noch junge Mutter im Kreis von drei Männern darstellte. Einmal auf einem Schiff, dann in einer Bar, und es waren alle drei sehr gutaussehende junge Männer. Welcher von ihnen zu welchem Namen gehörte, konnte Astrid nur vermuten. Der Jüngste war dieser Lutz Bertram gewesen, und sie meinte, richtig zu tippen, als sie den zuerst betrachtete, der ihre Mutter im Arm hielt.

Aber sie mahnte sich, erst Ordnung in alle Gedanken zu bringen und sich genaue Notizen darüber zu machen, was sich damals vor mehr als zwanzig Jahren wirklich zugetragen haben könnte, denn einer von diesen drei Männern mußte wohl ihr richtiger Vater sein.

Aber da war von einem Armband die Rede. Das war nicht in diesem Kuvert, und wieder war da der unbändige Wille, sich über alles Klarheit zu verschaffen.

Sie machte sich etwas Mut und ging dann zum Zimmer von Heinz Wendt. Vater wollte sie ihn nicht mehr nennen. Er wollte es ja auch nicht, aber schließlich hatte sie das Recht, Antwort auf einige Fragen zu bekommen.

»Dürfte ich dich noch einmal sprechen«, sagte sie, als auf ihr Klopfen ein kurzes Herein erfolgte.

»Worum handelt es sich?« fragte er, aber irgendwie klang seine Stimme doch unsicher.

»Ich finde es absolut lächerlich, wenn wir uns jetzt anfeinden«, sagte sie mutig. »Irgendwie scheinen wir ja beide Opfer zu sein, aber ich werde mich bemühen, die Wahrheit zu erforschen.«

Er zuckte leicht zusammen. »Du wirst sicher Enttäuschungen erleben«, sagte er heiser.

»Was mich nicht umbringt, macht mich stärker, aber die Ungewißheit würde mich umbringen.«

»Also, was willst du wissen?«

»Warum hast du erst so spät eine Auskunftei mit Nachforschungen beauftragt?«

»Weil ich bis dahin deiner Mutter nie mißtraute, Astrid.«

Er sah sie mit einem Ausdruck an, der ihr durch und durch ging.

Jetzt spürte sie auch, wie sehr er getroffen war, wie tief verletzt.

»Es tut mir leid, Papa«, sagte sie bebend, »aber ich kann doch nichts dafür. Ich habe dich immer liebgehabt. Ich habe nur nicht verstanden, daß du plötzlich so verändert warst, und ich habe es darauf geschoben, daß Mama so krank war und du dich einer anderen Frau zugewandt hättest.«

»Du wolltest mir Fragen stellen«, sagte er tonlos.

»Was diese drei Männer betrifft, werde ich selbst herausfinden, wie eng ihre Beziehungen zu Mama waren. Es könnte doch alles ganz harmlos gewesen sein, und ich überlege auch, daß Mama vielleicht nicht mehr ganz bei Verstand war durch diese schreckliche Krankheit. Manchmal kommen da doch solche Gedanken, die mal Wunschträume waren, und vielleicht dachte sie auch, daß du eine andere Frau hast. Ich glaube, sie ahnte so etwas.«

Er schrak zusammen und blickte auf seine verkrampften Hände. »Sie sagte klar und deutlich, daß ich nicht dein Vater bin. Hast du die Tagebuchblätter noch nicht gelesen? Daraus kann man wirklich sehr viel entnehmen.«

»Nein, ich habe die Fotos betrachtet, und ich wehre mich noch immer dagegen, es wirklich zu glauben, daß du nicht mein Vater bist. In mir sind so widersprüchliche Empfindungen, und es kommt Haß in mir auf, wenn ich weiterdenke. Ich wollte nie hassen, Papa. Du warst auch immer ein Vorbild für mich, bitte, laß mich das doch sagen.«

Nun wurde ihr bewußt, daß sie etwas ganz anderes sagte, als sie sich vorgenommen hatte. Plötzlich tat er ihr auch leid.

»Da war noch die Rede von einem Armband«, fuhr sie tonlos fort. »Ist es noch vorhanden?«

»Das weiß ich nicht«, erwiderte er. »Vielleicht findest du es in Hannelores Nachlaß. Ich bin durch Zufall auf diese Blätter und die Fotos gestoßen, weil ich Unterlagen für die Versicherungen brauchte, und Hannelore hatte mir sogar selber gesagt, wo die sein könnten. Die Blätter habe ich nicht herausgerissen, das hat sie wohl selber getan, und sie wußte anscheinend gar nicht mehr, daß die noch vorhanden waren, wie die Fotos auch. Ja, sie hatte wohl manches schon vergessen, vielleicht auch nur verdrängt, aber als ich sie auf diese drei Männer ansprach, war sie ganz da. Sie fuhr mich auch gleich an, ob ich ihr jetzt nachspioniere, da sie hilflos ist. Sie war eine andere als die, die ich liebte und geheiratet hatte. Ich habe deine Mutter geliebt, Astrid, aber sie hat wohl auch die Zuneigung anderer Männer gewonnen.«

»Ihr wart doch aber schon verheiratet, als diese Geschichte passierte«, sagte Astrid mit erzwungener Ruhe.

»Sie war damals noch viel unterwegs, mit dem Theaterensemble auf Tournee durch ganz Deutschland. Sie hat sehr gut verdient, und wir brauchten das Geld. Ich leugne das nicht. Aber ich habe ihr immer vertraut. Ich wußte, daß sie ihren Beruf liebte, daß sie einen gewissen Spielraum brauchte. Sie hat immer gesagt, daß sie den erst aufgeben würde, wenn wir Kinder hätten. Und dann wurdest du geboren. Sie war so glücklich wie ich auch, Astrid, und unsere Ehe schien vollkommen glücklich zu sein. Deshalb ist es ja für mich so schrecklich zu denken, daß sie mich all die Jahre täuschte.« Er stand auf. »Ich war vorhin hart, ich weiß es, und ich war ungerecht dir gegenüber. Verzeih es mir bitte. Wenn ich auch nicht dein Vater bin, wenn du in einer ausweglosen Situation bist, möchte ich dir doch helfen.«

»Nein, du brauchst mir nicht zu helfen. Ich bin erwachsen. Ich möchte nur nicht, daß restlos zerstört wird, was zwanzig Jahre Bestand hatte. Immerhin hast du sehr viel für mich getan, und wenn es stimmt, daß du nicht mein Vater bist, werde ich es zurückzahlen, was mit Geld rückzahlbar ist.«

Jetzt war er aus der Fassung gebracht. »Aber so meinte ich es nicht, Astrid«, sagte er tonlos.

»Aber ich meine es so. Ich werde dann meinen richtigen Vater zur Kasse bitten.«

»Aber das wäre falsch«, widersprach Heinz Wendt. »Er hat vielleicht auch keine Ahnung.«

Er ist fair, dachte Astrid. Sein Zorn ist schon ein bißchen verraucht, aber vielleicht war es gar nicht der Zorn, sondern das Gefühl, in seinem Stolz so verletzt worden zu sein.

»Ich werde es herausfinden«, sagte Astrid. »Ich werde jetzt Mamas Sachen durchsehen, vielleicht finde ich noch Hinweise. Und dann werde ich starten.«

Man sah ihm an, daß es ihm unbehaglich wurde. »Eigentlich habe ich das gar nicht gewollt, Astrid«, sagte er heiser, »aber weil ich nicht mehr hier in diesem Hause bleiben kann, weil ich Abstand gewinnen muß, war ich wohl zu hart und ungerecht.«

»Ich verstehe das«, erwiderte sie. »Plötzlich sehe ich alles klarer, auch von deinem Standpunkt aus. Würdest du mir bitte noch eine Frage ehrlich beantworten?«

»Wenn ich es kann?«

»Hattest du das Gefühl, daß Mama damals nicht zufrieden war in der Ehe, daß sie den Beruf unbedingt brauchte?«

»Sie liebte ihren Beruf, und mir gefiel es, daß sie die Ehe nicht als Versorgung betrachtete. Es gab nie Streit zwischen uns, und deshalb hat es mich wohl besonders tief getroffen, daß ein anderer Mann in ihrem Leben eine bedeutende Rolle spielen konnte. Eigentlich änderte sich ja alles erst durch ihre Krankheit, ja sie veränderte sich psychisch.«

»Das weiß ich doch auch, aber vielleicht hat dieser Mann gar keine bedeutende Rolle in ihrem Leben gespielt, vielleicht war das nur ein Ausrutscher, und sie wollte dich nicht verlieren. Und als sie dann krank wurde, kamen Schuldgefühle auf.«