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Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Grüß Gott, Herr Tanner. Herzlich willkommen im Ferienhotel ›Reiterhof‹«, begrüßte Michael Vilsharder den gerade angekommenen Gast. »Hatten S' eine gute Fahrt?« »Danke schön. Ja, ganz wunderbar«, nickte der junge Anwalt. »Es ist ja herrlich hierher zu fahren, besonders über die malerische Berg-straße. Eine wunderschöne Gegend.« Es herrschte ein reger Betrieb in der kleinen Ankunftshalle des Landhotels. Gäste reisten ab, neue kamen an. Gepäckstücke standen herum oder wurden zu den Autos der Abreisenden gebracht. Neuankömmlinge wurden herzlich begrüßt, und die Zimmerschlüssel ausgehändigt. Die Angestellten hatten alle Hände voll zu tun, und Michael Vilsharder war überall dabei und hatte ein wachsames Auge darauf, daß alles zur Zufriedenheit der Gäste ablief. In dem Familienunternehmen war es gar keine Frage, daß alle Hand in Hand arbeiteten, und es verstand sich von selbst, daß auch die Angestellten, die mit dem eigentlichen Hotelbetrieb ansonsten nichts zu tun hatten, überall dort mit einsprangen, wo gerade Hilfe benötigt wurde. Conny Beerlach, Auszubildende zur Pferdewirtin, im letzten Lehrjahr, packte überall mit an. Sie schleppte Koffer, bezog die Betten in den Zimmern neu und war sich auch nicht zu schade, in der Küche beim Abwasch auszuhelfen. Das junge Madl, das mit seiner guten Laune die anderen Mitarbeiter ansteckte, war für die Familie Vilsharder schon fast unentbehrlich geworden. »Conny, bist' so nett und zeigst' dem Herrn Tanner sein Zimmer«, bat Michael Vilsharder und nahm den Schlüssel vom Brett.
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Seitenzahl: 124
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»Grüß Gott, Herr Tanner. Herzlich willkommen im Ferienhotel ›Reiterhof‹«, begrüßte Michael Vilsharder den gerade angekommenen Gast. »Hatten S’ eine gute Fahrt?«
»Danke schön. Ja, ganz wunderbar«, nickte der junge Anwalt. »Es ist ja herrlich hierher zu fahren, besonders über die malerische Berg-straße. Eine wunderschöne Gegend.«
Es herrschte ein reger Betrieb in der kleinen Ankunftshalle des Landhotels. Gäste reisten ab, neue kamen an. Gepäckstücke standen herum oder wurden zu den Autos der Abreisenden gebracht. Neuankömmlinge wurden herzlich begrüßt, und die Zimmerschlüssel ausgehändigt. Die Angestellten hatten alle Hände voll zu tun, und Michael Vilsharder war überall dabei und hatte ein wachsames Auge darauf, daß alles zur Zufriedenheit der Gäste ablief.
In dem Familienunternehmen war es gar keine Frage, daß alle Hand in Hand arbeiteten, und es verstand sich von selbst, daß auch die Angestellten, die mit dem eigentlichen Hotelbetrieb ansonsten nichts zu tun hatten, überall dort mit einsprangen, wo gerade Hilfe benötigt wurde.
Conny Beerlach, Auszubildende zur Pferdewirtin, im letzten Lehrjahr, packte überall mit an. Sie schleppte Koffer, bezog die Betten in den Zimmern neu und war sich auch nicht zu schade, in der Küche beim Abwasch auszuhelfen. Das junge Madl, das mit seiner guten Laune die anderen Mitarbeiter ansteckte, war für die Familie Vilsharder schon fast unentbehrlich geworden.
»Conny, bist’ so nett und zeigst’ dem Herrn Tanner sein Zimmer«, bat Michael Vilsharder und nahm den Schlüssel vom Brett. »Die Nummer dreiundzwanzig.«
»Klar, Chef, mach’ ich«, nickte sie und strahlte den Gast an. »Wenn ich vorangehen darf?«
Claus Tanner nickte und nahm seine Reisetasche auf, bevor sie danach greifen konnte.
»Das geht schon«, lächelte er und folgte ihr durch eine Glaspendeltür in den Zimmertrakt.
Früher war der Vilsharderhof ein richtiger Bauernhof gewesen. Der Seniorchef hatte schon früh die Zeichen der Zeit erkannt. Ferien auf dem Lande wurden immer beliebter, hinzu kam, daß der Reitsport nicht länger das Privileg einer elitären Gesellschaftsschicht blieb, sondern zunehmend auch die breiten Massen begeisterte. Nachdem zunächst im bescheidenen Rahmen Zimmer vermietet wurden, baute man im Laufe der Jahre den Hof immer weiter zu einem Ferienhotel aus. Passionierte Reiter entdeckten schnell die wunderschöne Gegend. Das Hotel wurde zum Geheimtip, man konnte sein eigenes Pferd mitbringen oder eines aus dem Bestand mieten. Der Erfolg sprach sich weiter herum, so daß man sich schließlich ganz und gar auf den Fremdenverkehr konzentrierte und die Landwirtschaft, die noch einige Zeit nebenher betrieben wurde, ganz und gar abschaffte.
Inzwischen führte Michael Vilsharder den Reiterhof zusammen mit seinem Sohn Florian. Insgesamt acht Angestellte halfen ihnen dabei.
Conny war vor einer Tür stehengeblieben und schloß auf.
»So, da wär’ das Zimmer.«
Claus Tanner schaute sich um und nickte anerkennend.
»Sehr schön. Hier werd’ ich mich bestimmt wohl fühlen.«
»Wie lange bleiben S’ denn?« erkundigte sich das Madl.
»Leider net sehr lange«, sagte der Anwalt bedauernd. »Knapp eine Woche nur. Aber ich mußte einfach mal raus.«
Conny lächelte. So etwas erlebte sie immer wieder. Die Menschen suchten hier Ruhe und Erholung, auch wenn es nur für ein paar Tage war.
»Haben S’ denn schon ein Pferd reservieren lassen?« fragte sie weiter. »Ich will net neugierig sein – es ist nur, weil ich dafür zuständig bin.«
Sie machte eine Handbewegung.
»Das hier mach’ ich nur zur Aushilfe, eigentlich bin ich Pferdewirtin, in der Ausbildung, und sorg’ dafür, daß jeder Gast das richtige Pferd bekommt.«
Claus Tanner schüttelte den Kopf.
»Hab’ ich net. Aber ich komm’ nachher gleich mal in den Stall hinüber«, meinte er. »Vielleicht können wir uns dann gemeinsam eines für mich aussuchen.«
»Gut«, nickte Conny und sah auf die Uhr. »In zehn Minuten bin ich drüben.«
Sie nickte dem Gast zu und ging hinaus.
Der junge Anwalt packte seinen Koffer aus und verstaute die Kleidung im Schrank. Viel war es nicht, was er mitgenommen hatte. Ein paar Polohemden, mehrere Reithosen und legere Freizeitkleidung. Ein Anzug fehlte ganz und gar. Claus wollte die wenigen Tage, die er sich hatte freimachen können, damit verbringen, durch die Gegend zu reiten und wirklich einmal auszuspannen. Zuviel war in den letzten Wochen auf ihn eingestürmt, und er brauchte endlich einmal diese Phase der Ruhe, ohne Termine und den alltäglichen Druck.
Aus diesem Grunde hatte er wohlweislich sein Handy ausgeschaltet, als er am Morgen in München losgefahren war, und er hatte nicht vor, es wieder einzuschalten, bevor er die Rückfahrt antreten würde. Seine Sekretärin hatte strengste Anweisung erhalten, niemandem seine Ferienadresse zu verraten, und anrufen durfte sie ihn nur in wirklich dringenden Fällen.
»Wenn zum Beispiel mein Haus abbrennt«, hatte Claus grinsend beim Abschied gesagt.
Jetzt hoffte er, daß dieser Umstand hoffentlich nicht eintreten würde.
Er ging in das angrenzende Bad und wusch sich die Hände. Als er sie abtrocknen wollte, suchte er vergebens nach einem Handtuch.
»Hm«, meinte er nachdenklich und zog ein Taschentuch aus der Hose.
Er wischte die Hände so gut es ging daran ab, und verließ das kleine Bad. Als er durch die Tür trat, sah er sich unvermittelt einer jungen Frau gegenüber.
*
Melanie Birkner erschrak, als der Gast so plötzlich und unerwartet im Zimmer stand. Die Vierundzwan-
zigjährige zuckte zusammen und lief rot an.
»Entschuldigen S’«, sagte sie. »Ich hab’ net gewußt, daß das Zimmer schon belegt ist... Ich hab’ geklopft, aber es hat niemand geantwortet...«
Sie deutete auf den Stapel Tücher unter ihrem Arm.
»Ich wollt’ eben noch die Handtücher bringen.«
Claus lächelte.
»Ich war gerad’ im Bad und hab’s Klopfen wohl net gehört. Aber das ist ja auch kein Beinbruch. Geben S’ einfach die Handtücher her.«
Er betrachtete sie genauer, und was er sah, ließ sein Herz höher schlagen.
Hübsch war’s, dieses Zimmer-madl. Mit seinen blonden Locken und dem niedlichen Grübchen am Kinn. Und eine tadellose Figur hatte es! Alles da, wo’s hingehörte.
»Ich räum’ sie schnell ein«, erwiderte Melanie und ging in das Bad.
Sie war froh, diesem Blick entronnen zu sein. Nicht, weil er ihr aufdringlich erschienen wäre. Aber sie war immer noch ganz durcheinander, weil er ihr so unvermittelt gegenüber gestanden hatte, und vor allem, weil er – so gut ausschaute...
Sie warf einen Blick in den Spiegel. Ihr Gesicht hatte immer noch eine rötliche Färbung, und das Herz schlug ihr bis zum Hals hinauf.
Als sie das Bad wieder verließ, stand er am Fenster und blickte hinaus, doch dann hörte er die Tür und drehte sich um.
»Einen schönen Tag noch«, murmelte das Zimmermädchen.
»Danke schön«, lächelte Claus. »Ihnen auch.«
Melanie zog die Tür hinter sich zu und holte erst einmal tief Luft. Sie hatte schon viele alleinreisende, männliche Gäste kennengelernt. Aber so einer war noch nicht darunter gewesen. In den könnte man sich ja glatt verlieben!
Allerdings – so, wie der ausschaute, war es eigentlich nicht anzunehmen, daß er noch nicht verbandelt war.
Das Zimmermädchen seufzte auf und ging dann weiter zur nächsten Tür. Dort klopfte sie vorsichtshalber zweimal an, um sicherzugehen, nicht noch einmal so überrascht zu werden. Als niemand antwortete, öffnete sie und trat ein. Auch hier hatte Conny soweit schon alles hergerichtet, daß nur noch die Handtücher ins Bad gelegt werden mußten. Nachdem sie noch einmal prüfend in die Runde geschaut hatte, nickte Melanie zufrieden und schloß das Zimmer wieder ab.
An der Rezeption wurde sie schon erwartet. Michael Vilsharder winkte ihr zu.
»Telefon für dich«, sagte er und deutete auf den Hörer, der neben dem Apparat lag.
Das Madl meldete sich.
»Ich bin’s«, erkannte sie Tobias’ Stimme.
»Was gibt’s denn?« fragte sie ungeduldig.
Melanie konnte überhaupt nicht verstehen, daß Tobias Hoffner ausgerechnet jetzt anrief. Er wußte doch, daß sie es nicht gern hatte, während der Arbeitszeit gestört zu werden. Außerdem, sie seufzte, immerhin war es schon eine Woche her, daß sie Schluß gemacht hatten.
Weil er es so wollte...
»Ich möcht’ dich noch mal sprechen«, sagte der Bauernsohn. »Es tut mir leid, was ich neulich alles gesagt hab’. Es war wirklich dumm von mir. Können wir uns net irgendwo treffen und mal richtig aussprechen?«
In der Halle kamen immer noch neue Gäste durch die Tür. Melanie rollte mit den Augen. So ein Ab- und Anreisetag war immer anstrengend, und dann noch so ein Anruf!
»Hör’ mal, Tobias«, rief sie, »hier herrscht Hochbetrieb, und ich hab’ jetzt wirklich keine Zeit. Das hätt’st dir auch alles früher überlegen können.«
»Bitt, Meli’, sei net so bös’«, bat er. »Ich weiß, ich hab’ einen Fehler gemacht. Wann kann dich dich sehen?«
Das Zimmermädchen seufzte.
»Also gut, am Nachmittag. So gegen fünf.«
Sie legte den Hörer auf und schaute in das lächelnde Gesicht ihres Chefs.
»Na, macht er Streß?« fragte Michael Vilsharder.
Melanie Birkner rollte wieder mit den Augen.
»Der weiß ja net, was er will.«
Sie schaute sich um.
»So, was gibt’s zu tun?«
Der Inhaber des Ferienhotels schüttelte den Kopf.
»Für dich jetzt gar nix«, meinte er. »Das hier schaffen wir schon. Du gehst erst einmal frühstücken. Aber eine Bitte hätt’ ich, kannst du vielleicht heute nachmittag die Kindergruppe übernehmen? Die Conny gibt Unterricht, und der Fritz liegt immer noch mit seinem Rheuma im Bett.«
Das Madl legte nachdenklich die Hand an den Mund.
»Ausgerechnet heut’...?«
»Ich weiß«, nickte Michael Vilsharder mit einem schiefen Grinsen. »Du hast’ dich schon mit dem Tobias verabredet. Ich hab’s gehört.«
Melanie schüttelte den Kopf.
»Ach was, ich werd’ ihm absagen«, antwortete sie bestimmt. »Die Arbeit geht vor. Schließlich sind wir hier ja so was, wie eine Familie, und da muß man eben einspringen, wenn Not am Mann ist.«
Ihr Chef lächelte dankbar. Es ist schon ein gutes Gefühl, so eine tolle Truppe zu haben, dachte er. Einer, wie der andere stand zum Betrieb, dafür wußten sie alle, daß Michael Vilsharder sich nicht lumpen ließ, und sich schier ein Bein ausriß, wenn es um seine Angestellten ging.
»Dank’ dir, Melanie«, nickte er ihr zu. »Ich mach’s wieder gut.«
Auf dem Weg zum Personalraum kam sie an der Glaspendeltür vorbei, die sich in diesem Moment öffnete. Claus Tanner hätte sie ihr beinahe vor den Kopf gestoßen, Melanie konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen.
»Oh, pardon«, rief der junge Anwalt erschrocken. »Hoffentlich haben S’ sich net verletzt.«
»I wo«, schüttelte Melanie den Kopf. »Ist gar nix passiert.«
Eine Sekunde standen sie sich gegenüber und sahen sich in die Augen. Dann wendete sie sich, mit einem hastig dahingemurmelten Gruß, schnell ab und verschwand im Personalraum.
Claus blickte ihr lächelnd hinterher.
*
Zufrieden mit sich und der Welt, lag der Münchener Rechtsanwalt im Gras und schaute über die Wiese ins Tal hinunter. Die Stute, die er an einem Strauch angebunden hatte, hielt den Kopf gesenkt und knabberte an dem Gras.
Herrlich, dachte Claus Tanner, so müßte es immer sein!
Er atmete tief durch und sog die würzige Bergluft ein, die nach Wildkräutern roch. Drunten im Tal, läutete die Kirchenglocke, irgendwo tuckerte ein Traktor, und hoch über ihm zog ein Steinadler seine Kreise.
Claus Tanner nahm die Wasserflasche zur Hand und trank einen Schluck. Während er sich umsah, dachte er an die letzten Wochen, die hinter ihm lagen. Angefüllt mit Arbeit waren sie gewesen. Der Fachanwalt, der sich auf Wirtschaftsrecht spezialisiert hatte, betreute mehrere Firmengruppen. Er galt als ausgewiesener Spezialist, wenn es um EU-Subventionen ging, nachdem er einige Male seine Mandanten erfolgreich vor dem europäischen Gerichtshof vertreten und ihnen zu ihrem Recht verholfen hatte.
Es war eine anspruchsvolle Tätigkeit, die sein ganzes Wissen und Können verlangte. Der Ruf, den er sich dadurch erarbeitet hatte, war weit über die Grenzen Deutschlands hinaus gedrungen. Nach einem besonders langwierigen Prozeß, zu dem er für etliche Wochen nach Brüssel gereist war, hatte er sich endlich diese Auszeit gegönnt.
Claus bedauerte, daß Corinna es abgelehnt hatte, ihn zu begleiten. Dabei wäre es eine wunderbare Gelegenheit gewesen, endlich einmal ein paar Tage alleine mit ihr zu verbringen, ohne die ständigen Gesellschaften und Empfänge, die sie besuchen mußten.
Corinna Vandeeren war die Tochter eines Münchener Großindustriellen, für dessen Firma Claus einige Male tätig war. Die sehr schöne junge Frau hatte von Anfang an ein Auge auf den gutaussehenden Anwalt geworfen, und auch Claus war für ihre Avancen anfällig gewesen. Nachdem sie sich ein drittes Mal begegnet waren, kamen sie sich näher. Seit einem halben Jahr waren sie offiziell verlobt, und nach der Hochzeit sollte Claus Tanner als Anwalt in die Firma seines Schwiegervaters eintreten.
Corinnas Absage sorgte indes für eine kleine Verstimmung zwischen den Verlobten. Ohne sich von ihr zu verabschieden, war Claus losgefahren, und Corinna selbst befand sich zu diesem Zeitpunkt mit Freunden auf dem Weg nach Griechenland, wie er von ihrer Mutter erfahren hatte.
Während er im Gras saß und darüber nachdachte, fragte er sich, ob es wirklich für eine Beziehung gut war, wenn einer der beiden Partner so sehr auf seine eigenen Interessen bedacht war, wie Corinna Vandeeren.
Wohl nicht, dachte er nun, und insgeheim fragte er sich weiter, ob er wirklich den richtigen Schritt tat, wenn er seine eigene Kanzlei aufgab. Immerhin begab er sich dann ganz und gar in die Hände seines Schwiegervaters, mit dem er zwar blendend auskam, aber dessen
Haltung sich bestimmt ändern würde, sollte es einmal zwischen
ihm und Corinna zum Bruch kommen.
Es waren sehr viele Unabwägbarkeiten, die da immer noch im Raum standen, und der Anwalt wurde sich bewußt, daß er nur sehr zögerlich bereit war, seine Freiheit und Unabhängigkeit aufzugeben. Er konnte nur hoffen, daß er sich, nach dem Ende dieses Kurzurlaubs, darüber Klarheit verschafft hatte, was er tun sollte.
Die Wasserflasche war leer. Claus steckte sie in die Satteltasche und band die Stute los. Lakmar hob den Kopf und schnaubte leise, als er ihr über die Mähne strich. Dann stieg er auf und ritt langsam los.
Am Ende der Almwiese hörte er lautes Kindergeschrei, und im nächsten Augenblick kam eine Horde Indianer über den Hügel gejagt. Zehn oder zwölf Kinder auf Ponys, mit Federschmuck und Kriegsbemalung, die johlend den Reiter umringten und drohend ihre Holzmesser und Beile schwangen.
»Der weiße Mann möge sich ergeben«, tönte eine helle Kinderstimme. »Sonst werden wir ihn an den Marterpfahl binden und uns seinen Skalp holen!«
Amüsiert hob Claus Tanner die Arme und ließ sich langsam vom Pferderücken rutschen.
»Ich ergeb’ mich ja«, meinte er kleinlaut, das Spiel mitspielend.
Ein Bub, der allem Anschein nach der Häuptling war, stieß einen gellenen Pfiff aus. Er hielt einen Strick in der Hand, dem er einem anderen ›Krieger‹ zuwarf.
»Fesselt ihn«, rief er. »›Weiße Feder‹ entscheidet später, was mit dem Bleichgesicht geschieht.«
Bereitwillig ließ sich Claus an den Händen fesseln. Er erinnerte sich, mit welcher Begeisterung er früher, als Bub, Cowboy und Indianer gespielt hatte, und es machte ihm einen Heidenspaß, jetzt gefangengenommen worden zu sein.
Die anderen Buben und Madeln waren von ihren Ponys gesprungen und tanzten laut kreischend um ihn herum. Der Anwalt spielte mit und macht ein ängstliches Gesicht.
»Wenn der Häuptling, ›Weiße Feder‹, mein Leben verschont, werd’ ich mich erkenntlich zeigen«, rief er durch das Kriegsgeschrei des kleinen Indianerstammes.
Der Bub hob die Hand, und augenblicklich verstummten die Schreie.
»Was würde der weiße Mann denn tun?« fragte der Kleine.
Claus überlegte.