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Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Ein Sonntag mit einem Bilderbuchwetter neigte sich dem Ende zu. Obgleich Dr. Daniel Norden Bereitschaftsdienst gehabt hatte, war es auch für ihn ein erholsamer Tag geworden. Nur ein Patient, den er sowieso ständig betreute, hatte seine tägliche Spritze bekommen müssen. Fee Norden und die Kinder Danny, Felix und Anneka waren glücklich und zufrieden, denn selten genug waren ihnen solche Tage ungestörten Familienlebens beschert. Nun schliefen die Kinder. Daniel und Fee wollten noch einen Spaziergang nach dem Essen machen, denn die gute Lenni hatte wieder einmal ein köstliches Rezept ausprobiert und ein Abendessen aufgetischt, dem sie beide nicht hatten widerstehen können. »Schauen wir mal bei den Leitners vorbei«, schlug Fee vor. »Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen.« Doch so gut meinte es das Schicksal mit ihnen nun auch wieder nicht, denn in diesem Augenblick läutete das Telefon. Fee seufzte abgrundtief, aber dann sah sie allein schon an Daniels Mienenspiel, daß etwas Schreckliches passiert sein mußte. »Ich komme sofort«, sagte er hastig, »selbstverständlich.« »Ein Unfall?« fragte Fee erschrocken. »Brand in einem Tanzlokal. Muß schlimm sein. Bringst du mir bitte auch den zweiten Koffer, Fee?« Sie eilte schon hinaus.
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Seitenzahl: 152
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Ein Sonntag mit einem Bilderbuchwetter neigte sich dem Ende zu. Obgleich Dr. Daniel Norden Bereitschaftsdienst gehabt hatte, war es auch für ihn ein erholsamer Tag geworden. Nur ein Patient, den er sowieso ständig betreute, hatte seine tägliche Spritze bekommen müssen.
Fee Norden und die Kinder Danny, Felix und Anneka waren glücklich und zufrieden, denn selten genug waren ihnen solche Tage ungestörten Familienlebens beschert.
Nun schliefen die Kinder. Daniel und Fee wollten noch einen Spaziergang nach dem Essen machen, denn die gute Lenni hatte wieder einmal ein köstliches Rezept ausprobiert und ein Abendessen aufgetischt, dem sie beide nicht hatten widerstehen können.
»Schauen wir mal bei den Leitners vorbei«, schlug Fee vor. »Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen.«
Doch so gut meinte es das Schicksal mit ihnen nun auch wieder nicht, denn in diesem Augenblick läutete das Telefon.
Fee seufzte abgrundtief, aber dann sah sie allein schon an Daniels Mienenspiel, daß etwas Schreckliches passiert sein mußte.
»Ich komme sofort«, sagte er hastig, »selbstverständlich.«
»Ein Unfall?« fragte Fee erschrocken.
»Brand in einem Tanzlokal. Muß schlimm sein. Bringst du mir bitte auch den zweiten Koffer, Fee?«
Sie eilte schon hinaus. Da gab es kein Zögern, kein langes Überlegen, keine Fragen. Lenni war sprachlos, als Dr. Norden in höchster Eile davonstürzte.
Fee brachte ihm den zweiten Koffer zum Wagen, und schon brauste er davon. Fee schaltete das Radio ein. Und schon bald kam die Meldung. Das »Kittycat« brannte. Es war ein Lokal, in dem überwiegend junge Leute verkehrten.
»Wenn unserem Doktor nur nichts passiert«, murmelte Lenni.
»Er braucht ja nur die Verletzten zu versorgen«, tröstete sich Fee über ihre eigenen Sorgen hinweg.
Das wurde für Dr. Norden vorerst schwierig, denn Schaulustige versperrten den Weg, und erst eine Funkstreife konnte ihm diesen freimachen.
»Sensationshungrige Meute!« knurrte er zornig. »Es wird höchste Zeit, daß für solche Behinderungen Strafen eingeführt werden.« Er mußte seinem Herzen Luft machen, denn vielstimmige Schreie verrieten schon, daß sich grauenvolle Szenen abspielten. Die Feuerwehren waren im Einsatz, aber das Haus brannte lichterloh.
Er war nicht der erste Arzt am Einsatzort, aber er erfaßte mit einem Blick, daß viele Ärzte gebraucht wurden. Einen sah er, den er kannte. Dr. Martin Fechter, ein noch sehr junger Arzt.
»Gut, daß Sie kommen«, sagte der tonlos. »Es ist schlimm.«
Die ersten Verletzten wurden schon mit dem Rettungswagen abtransportiert. Dr. Fechter wandte sich wieder einem jungen Mädchen und einem Mann zu. Das Mädchen war still und preßte die rußgeschwärzten Hände vor das Gesicht. Der Mann stöhnte immer nur einen Namen: »Carmen, Carmen, Carmen!«
Dr. Norden wurde zu einer Frau gewunken, die von Sanitätern gerade auf eine Trage gebettet wurde. Obgleich sie schlimme Verbrennungen aufwies, war sie noch bei Bewußtsein. »Dr. Norden«, flüsterte sie und an der Stimme erkannte sie der Arzt. Es war Ramona Cotta, die als Bardame in diesem Lokal arbeitete. Sie hatte schon ein paarmal seine ärztliche Hilfe in Anspruch genommen.
Sie mußte entsetzliche Schmerzen haben, aber über ihre Lippen kam kein Laut, als Dr. Norden ihr nun eine Injektion verabreichte.
Den ersten Schock hatte Dr. Norden überwunden. Zeit zum Überlegen blieb ohnehin nicht.
»In die Behnisch-Klinik«, sagte er, als sie in den Sanitätswagen gehoben wurde. Das Mädchen, das von Dr. Fechter versorgt worden war und noch zwei andere Verletzte wurden ebenfalls in diesen Wagen geschoben.
Dr. Norden leistete auch weiterhin Erste Hilfe, als der Sanitätswagen davonfuhr. Dann sah er Dr. Fechter, der sich über eine weibliche Gestalt beugte. »Cecile!« rief der junge Arzt erschüttert aus.
Sie hob abwehrend eine Hand. »Nein, nein!« schrie sie gequält.
Dr. Norden reagierte impulsiv. Er schob den jungen Arzt zur Seite. »Kümmern Sie sich um die beiden Männer, Kollege«, sagte er heiser.
Dr. Fechter sah ihn verwirrt an. »Es ist Cecile«, stöhnte er.
»Später«, sagte Dr. Norden, dann beugte er sich zu der Frau hinab, die jetzt das Bewußtsein verloren hatte.
In allen Kliniken der näheren Umgebung herrschte Alarmbereitschaft, auch in der Behnisch-Klinik, die Dr. Nordens Freund, Dr. Dieter Behnisch gehörte. Platzmangel herrschte dort immer, aber in einem solchen Fall mußten noch Betten bereitgestellt werden, und so wurden Ärzte- und Schwesternzimmer zu Krankenzimmern umfunktioniert. Alles geschah in höchster Eile. Medikamente, sofern sie nicht vorhanden waren, wurden angefordert. Auf eine Katastrophe war man nicht vorbereitet, aber später sollte Dr. Behnisch erfahren, daß auch die großen Kliniken auf eine solche fast noch weniger vorbereitet waren.
Nach Mitternacht bekam Fee Norden einen Anruf ihres Mannes, daß sie mit ihm nicht mehr zu rechnen brauche, und sie wußte, daß es für ihn bedeutete, daß er ohne eine Stunde Schlaf am nächsten Morgen in seine Praxis gehen mußte. So konnte auch sie keinen Schlaf finden.
Daniel Norden kam gegen sechs Uhr. Fee bereitete ihm schnell ein Bad, legte frische Kleidung und Wäsche zurecht und stellte keine Fragen.
»Grauenvoll«, war das einzige Wort, das Daniel über die Lippen gebracht hatte.
Das Fazit dieses Unglücks sah so aus: Acht Tote, dreißig Schwer- und über zwanzig Leichtverletzte, und in allem Unglück war es noch ein Glück, daß das »Kittycat« wegen des schönen Wetters nicht so gut besucht war, wie sonst an Sonntagen.
Als es um acht Uhr, wie jeden Abend, geöffnet wurde, hatte Ramona gemeint, daß es wohl ein ganz ruhiger Abend werden würde.
Und so hatte es begonnen: Ramona erschien wie immer pünktlich. Ihr Äußeres entsprach ihrem Namen. Sie war eine exotische Schönheit. Blauschwarzes Haar, nachtdunkle mandelförmige Augen, bräunliche samtige Haut, ein Körper wie gedrechselt, obgleich sie die Mitte der Dreißig überschritten hatte. Ramona war eine Persönlichkeit, und ihr war es zu verdanken, daß das »Kittycat« florierte und sich auch eines guten Rufes erfreuen konnte. Es war keine billige Disco. Man hatte sein Publikum, und Ramona war stets darauf bedacht, daß der gute Ruf nicht gefährdet wurde.
Wie jeden Abend inspizierte Ramona zuerst die Gläser. Sie fand nichts auszusetzen. Man fürchtete ihren scharfen Blick. Dann ging sie durch das Lokal. Auch da fand sie nichts auszusetzen. Die Tische, die Aschenbecher, alles war sauber.
Der Barkeeper Jonny und die Bedienungen Penny, Silvy und Bella, in ihren hübschen bunten Folklorekleidern, ernteten wohlwollende Blicke.
Ramona war die Geschäftsführerin, wenn sie auch nicht als solche bezeichnet werden wollte.
»Es wird ein ruhiger Abend werden«, sagte sie mit ihrer rauchigen Stimme. Und es ließ sich auch ganz ruhig an. Erst gegen halb neun Uhr kamen die ersten Gäste. Der Discjockey Franco, der wie ein Italiener aussah, aber ein waschechter Bayer war, kam noch fünf Minuten später und bekam einen strafenden Blick von Ramona zugeworfen.
»Ist doch nichts los«, sagte er lässig.
Aber dann strömten die Gäste doch herein, gutgelaunt, von der Sonne gebräunte junge Leute, die einen herrlichen Tag genossen hatten und ihn fröhlich beschließen wollten.
»Hallo, Ramona«, ertönte es immer wieder heiter, und sie lächelte allen zu. Aber dann erstarb ihr Lächeln, denn eine Blondine im tiefausgeschnittenen, durchsichtigen schwarzen Chiffonkleid setzte sich an die Bar. Ramona hatte sie nicht kommen sehen, da sie gerade einen Drink mixte. Als sie sich umwandte, erstarrte sie.
»Du sollst nicht hierherkommen, Cilly«, sagte sie rauh.
»Ich muß mit dir sprechen, Mona«, sagte die andere mit müder Stimme. »Ich muß vor allem Tony sprechen.«
»Er kommt nicht mehr her. Er ist auf Reisen.«
»Ich möchte einen Drink«, sagte die mit Cilly Angeredete.
»Hier machst du kein Geschäft«, sagte Ramona abweisend. »Hier sind nur Pärchen.«
»Sei doch nicht so gemein«, sagte Cilly.
»Ich bin nicht gemein. Ich will, daß mein Laden sauber bleibt.«
»Es ist Tonys Laden«, sagte Cilly.
»Du täuschst dich, seit dem Ersten ist es mein Laden«, sagte Ramona kühl.
Cilly kniff die Augen zusammen. »Dann sitzt du auf einer Zeitbombe«, sagte sie.
»Red’ nicht solchen Unsinn.«
»Laß du dir auch mal was sagen, Mona. Tony sahnt nur ab, aber er ist rachsüchtig.«
»Ich brauche ihn nicht zu fürchten«, sagte Ramona. »Ich habe gezahlt.«
»Alles?« fragte Cilly. Ihre Stimme klang schrill.
»Geh ins Büro«, sagte Ramona barsch. »Hier können wir nicht reden.«
Cilly war gute zehn Jahre jünger als Ramona, aber sie sah älter aus, wenn man genau hinschaute. Ramonas Blick verriet sogar ein wenig Mitleid, als sie ihr nachblickte, als Cilly nun in den hinteren Räumen verschwand.
»Sie war einmal ein sehr hübsches Mädchen«, stellte Jonny fest.
Ramona aber war abgelenkt.
Sie hörte nicht zu, denn jetzt betrat wieder ein Paar das Lokal. Ein auffallend apartes Mädchen an der Seite eines älteren Mannes. Jedenfalls insofern als älter zu bezeichnen, als er ganz bestimmt schon die Vierzig überschritten haben mußte. Er war mit erlesener Eleganz gekleidet und das, was man als attraktiv bezeichnete. Doch davon war Ramona nicht zu beeindrucken, und sie richtete ihre Aufmerksamkeit jetzt auf das Mädchen, das sehr kühl und unnahbar wirkte und nicht auf Amüsement aus zu sein schien.
Während ihr Begleiter sich sehr interessiert umschaute, kam das Mädchen geradewegs auf die Bar zu.
»Guten Abend«, sagte sie höflich, »ist Herr Marek zu sprechen?«
Ramona ließ beinahe das Glas fallen, das sie in der Hand hielt.
»Tony Marek«, sagte das Mädchen.
»Ihm gehört das Lokal nicht mehr«, erwiderte Ramona. »Ich bin die Besitzerin.«
Wunderschöne violette Augen, die sie an jemand erinnerten, musterten Ramona. »Können Sie mir sagen, wo Herr Marek zu erreichen ist?« fragte sie. »Mein Name ist Anja Sontak, mit einem N und einem K am Ende. Ich suche meine Schwester Cecile.«
Ramona erstarrte, und da stand Cilly schwankend in der Tür. »Es brennt, irgendwo brennt es«, lallte sie.
»Cecile«, rief die fremde junge Dame.
Ramona hörte es, aber sie stürzte nach hinten, und da schlugen ihr schon Flammen entgegen.
»Ruhe«, schrie sie. »Geht hinaus, alle. Keine Panik.«
Aber die Panik war schon da. Und die Flammen schlugen ins Lokal. Die ersten stürzten ins Freie, schrien um Hilfe. Immer wieder mahnte Ramona zur Ruhe, doch rasend schnell griff das Feuer um sich.
Das Mädchen, das sich Anja Sontak genannt hatte, versuchte Cilly hinauszuzerren, aber die wehrte sich. Anscheinend begriff sie gar nicht, was um sie vor sich ging.
Dann hörte man schon Sirenen und die Feuerwehr. So hatte es begonnen, und dann herrschte das totale Chaos.
Am Morgen der beginnenden Woche sollte Dr. Norden mancherlei Schicksale beschäftigen.
*
Dr. Norden hatte gebadet und sich angekleidet. Starker Kaffee stand auf dem Tisch.
»Du bist doch müde, Daniel«, sagte Fee leise.
»Ich werde schon durchhalten. Stell bloß nicht das Radio an. Ich kann nichts mehr hören.«
»Ich könnte dich ja mal vertreten«, schlug Fee vor, denn sie war approbierte Ärztin, wenngleich sie schon Jahre nicht mehr praktisch tätig war.
»Meinst du, ich könnte schlafen, Fee?« fragte Daniel. »Es geht schon wieder.«
Aber man sah es ihm doch an, wie es ihn mitgenommen hatte, und Loni, seine tüchtige Praxishelferin, sah ihn erschrocken an, als er die Praxis betrat.
»Es war wohl ein anstrengender Sonntagsdienst?« fragte sie besorgt, da sie ihn so erschöpft gar nicht kannte. Und dann weiteten sich ihre Augen. »Man hat Sie doch nicht etwa zu diesem Unglück geholt?«
Er nickte nur kurz. Loni wußte, daß er nicht darüber reden wollte. Sie konnte sich vorstellen, was er da ausgestanden hatte, seelisch, wie auch körperlich.
»Frau Cotta war auch dabei?« fragte sie nur.
»Ja, sie ist schwer verletzt.«
Diese schöne Frau, dachte Loni bekümmert, denn sie wußte nur zu gut, wie sehr Brandwunden einen Menschen entstellen konnten.
In den Morgenausgaben der Zeitungen stand nur eine kurze Notiz, eigentlich nur zwei Zeilen: Brand im Nachtlokal. Die Katastrophe forderte Tote und Verletzte. Brandstiftung wird nicht ausgeschlossen. Ein genauer Bericht liegt noch nicht vor.
Und nun werden sie sich wieder wie die Aasgeier darauf stürzen und alles ausschlachten, was nur möglich ist, dachte Loni.
Aber sie hatten genug zu tun. Im Wartezimmer war die Brandkatastrophe auch das Gesprächsthema. Mißbilligend wurde auch bemerkt, wie leichtfertig die jungen Leute doch mit den Zigarettenstummeln umgingen. Zum Glück hörte Loni das nicht, sonst hätte sie gesagt, daß es auch schon alte Menschen das Leben gekostet hatte, weil sie noch im Bett rauchten und dabei eingeschlafen waren.
Loni mußte immer wieder an Ramona Cotta denken, die sie nur als äußerst liebenswürdige, rücksichtsvolle Patientin kannte. Eine Frau mit Vergangenheit? Auf Loni hat sie nicht den Eindruck gemacht, als hätte sie ein bewegtes oder gar loses Leben geführt.
In der Nachtausgabe konnte man dann schon etwas mehr lesen, vor allem, daß es dem mutigen Einsatz der Geschäftsführerin zu verdanken sei, daß es nicht noch mehr Opfer gegeben hätte.
In der Behnisch-Klinik kämpfte man um das Leben der Verletzten, von denen nur eine ansprechbar war: Anja Sontak. Zwar stand sie noch unter dem schweren Schock, aber ihre Verletzungen waren nicht lebensgefährlich.
Dr. Jenny Behnisch hatte sich zu ihr ans Bett gesetzt. Es war ein leiser Trost für die Ärztin, daß dieses besonders aparte Gesicht nicht zerstört worden war. Die violetten Augen blickten fragend und trostlos.
»Wo ist Cecile?« fragte Anja leise. »Was ist mit meiner Schwester? Warum hat sie sich gewehrt?«
Dr. Jenny Behnisch kannte von drei Patienten die Namen noch nicht. Anja hatte ihren Namen gesagt, aber was sie nun sagte, stimmte Jenny nachdenklich.
»Was meinen Sie damit?« fragte sie sanft.
»Sie hat doch zuerst das Feuer bemerkt, aber irgendwie schien sie es doch nicht wahrzunehmen. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Ich wurde dann von jemandem auf die Straße gezerrt. Es ging alles so schnell, und es war so schrecklich. Endlich hatte ich Cecile gefunden, und nun…« Sie schluchzte trocken auf.
Jenny Behnisch gab ihr eine Beruhigungsspritze. Es war nicht gut, wenn sie sich aufregte. Diese Tragödie konnte für die Beteiligten zu einem Trauma werden. Und noch ahnte niemand, welche menschlichen Tragödien mit diesem Unglück verknüpft sein sollten.
Von der ersten erfuhren Dieter und Jenny Behnisch am späten Nachmittag, als Dr. Martin Fechter in die Behnisch-Klinik kam. Auch er hatte noch kein Auge zugetan, aber nicht allein die Müdigkeit zeichnete sein Gesicht. In seinen Augen konnte man tiefste Verzweiflung lesen.
»Ist Cecile hier? Lebt sie?« fragte er tonlos.
»Wir wissen noch nicht alle Namen«, erklärte Dr. Behnisch.
»Cecile Sontak.«
Überrascht blickte Jenny ihn an. »Eine Anja Sontak ist hier«, sagte sie zögernd.
»Anja? Nein, ich kann mich nicht so getäuscht haben. Sie sehen sich doch gar nicht ähnlich. Es war Cecile. Ich war mit ihr verlobt, vor drei Jahren.«
Jenny und Dieter Behnisch tauschten einen fragenden Blick.
»Anja Sontak ist zum Glück nicht schwer verletzt«, sagte Jenny. »Ich habe mit ihr gesprochen. Sie erwähnte auch eine Cecile, die anscheinend auch in dem Lokal gewesen ist.«
»Ich sagte es doch, daß ich sie gesehen habe. Es war Cecile. Und ich glaube, sie wurde auch in die Behnisch-Klinik gebracht. Es ging alles so durcheinander, aber
Dr. Norden behielt die Nerven. Kann ich mit Anja sprechen?«
»Jetzt nicht. Sie schläft. Sie steht noch unter dem Schock, aber Sie können einen Blick in das Zimmer werfen. Es ist nur ein Notbehelf, aber wir wollten sie nicht zu den Schwerverletzten legen.«
»Ich würde auch diese gern sehen«, bat Dr. Fechter.
Hoffentlich klappt er dann nicht zusammen, dachte Dr. Behnisch, aber schließlich konnte es auch ihnen helfen, wenn ihre Patienten identifiziert wurden.
Zuerst gingen sie zu Anjas Bett.
Sie schlief. »Sie war noch ein halbes Kind, als ich sie zum letztenmal sah«, murmelte Dr. Fechter. »Ein Pummelchen, wie man so sagt. Sie hat sich sehr verändert. Auffallend waren nur ihre Augen, von einem seltenen violetten Blau.«
Er sprach mehr zu sich selbst, und seine Gedanken schienen in der Vergangenheit zu weilen.
»Ja, sie hat solche Augen«, sagte Jenny leise.
»Cecile ist blond und hat grüngraue Augen. Sie hat ein Muttermal am Halsansatz.«
Jenny schrak zusammen, Dieter Behnischs Lippen preßten sich aufeinander.
»Sie liegt im gleichen Raum wie Ramona Cotta«, sagte er heiser. »Es ist besser, wenn Sie sich nicht sehen.«
»Sie war aus meinem Leben gegangen und ist mir ferngerückt«, erklärte Dr. Fechter tonlos. »Sie war untergetaucht, und ausgerechnet dort mußte ich sie wiedersehen, verändert, aber doch Cecile.«
»Es bestehen nur geringe Überlebenschancen«, sagte Dr. Behnisch. »Ich will es Ihnen nicht verschweigen, Herr Kollege, aber wenn sie überleben sollte, wird sie nie mehr die Cecile sein, die Sie kannten.«
»Ich wollte sie nicht wiederfinden, das Schicksal hat es gewollt«, sagte Dr. Fechter. »Aber vielleicht kann mir Anja Auskunft geben, warum sie damals verschwand. Würden Sie ihr bitte sagen, daß ich sie sehr gern sprechen würde, wenn sie dazu in der Lage ist?«
»Ja, gewiß«, erwiderte Jenny.
Eine Tür wurde geöffnet, und eine Krankenschwsester kam heraus. Man hörte eine Stimme, eine gequälten Schrei: »Carmen, wo ist Carmen?«
»Er ruft immer nur nach Carmen«, sagte Schwester Lotte erschüttert.
»Wissen Sie, ob sich unter den Toten ein Mädchen namens Carmen befindet, Herr Kollege?« fragte Dr. Behnisch.
»Nein, unter den Toten wohl nicht, aber vielleicht wurde sie in eine andere Klinik gebracht. Wir haben noch keinen Überblick. Ist Ihnen der Name des Patienten bekannt?«
»Ja, er hatte den Führerschein bei sich. Er heißt Karl Schilling.«
»Ich kann mich erinnern, daß dort schon jemand immer nach Carmen rief«, sagte Dr. Fechter leise. »Wir werden sicher bald mehr erfahren. Ich werde mich auch bemühen.«
»Sie werden erst einmal Schlaf brauchen«, sagte Dr. Behnisch freundlich.
*
Es war kurz vor sechs Uhr, und Dr. Norden war froh, den letzten Patienten abgefertigt zu haben, denn nun konnte er sich wirklich kaum noch auf den Beinen halten. Da kam noch eine junge Frau in die Praxis gewankt. Ihre Augen waren verquollen vom vielen Weinen, sie zitterte am ganzen Körper. Loni sprang auf und stützte sie.
»Ich suche meinen Mann«, flüsterte sie. »Ich war schon in allen Krankenhäusern. Dann sprach jemand von Dr. Norden. Bitte, ich muß ihn sprechen.«
Dr. Norden stand schon bei ihr, fühlte mechanisch ihren Puls, spürte, wie hochgradig erregt sie war.
»Wie heißen Sie?« fragte er.
»Carmen Schilling.«
Auch er erinnerte sich an den Mann, der so verzweifelt diesen Namen gerufen hatte.
»Ich war nur mal rausgegangen«, fuhr die junge Frau hastig fort. »Mir war ein bißchen schlecht. Ich erwarte ein Baby.« Nun rollten wieder die Tränen.
Dr. Norden griff zum Telefon und rief die Behnisch-Klinik an.
»Ja, Daniel hier. Habt ihr unter den Verletzten einen Mann namens Schilling, Jenny? – Oh, das ist gut, seine Frau ist bei mir. Ich bringe sie gleich rüber.«
Carmen blickte ihn fassungslos an. Ihre Tränen versiegten. »Nur ganz ruhig sein«, sagte er tröstend, »jetzt haben wir ihn ja gefunden.«
»Ich werde Frau Schilling hinfahren, Chef«, sagte Loni energisch. »Sie machen sich schnellstens auf den Heimweg. Das fehlte noch, daß Sie am Steuer einschlafen.«