Ein Mann und sein Geheimnis - Patricia Vandenberg - E-Book

Ein Mann und sein Geheimnis E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Dorle Halder schrak aus tiefem Schlummer empor, als ein jammervolles Stöhnen aus dem Nebenzimmer kam, dem ein gequältes Schluchzen folgte. Schnell sprang sie aus dem Bett und lief hinüber zu ihrer Tante Teresa. Aber sie war nicht wach. Sie wurde anscheinend wieder einmal von Albträumen geplagt. »Bringt ihn nicht um, lasst ihn leben«, schluchzte sie. »Fabian, halt durch, komm zurück.« Ganz deutlich kamen die Worte, und sie wiederholten sich. Seit Monaten kannte Dorle diese Angstträume, über die sie anfangs so erschrocken gewesen war. Jetzt fand sie die richtigen Worte, die beruhigten und trösteten. »Fabian wird ja wiederkommen, Tante Tresi«, sagte sie weich, obgleich sie nicht wusste, ob diese Worte jetzt schon in das Bewusstsein der Älteren drangen, und erst recht wusste sie nicht, ob nicht auch diese jäh erwachte Hoffnung, die ein Zeitungsbericht vor ein paar Tagen vermittelt hatte, wieder zunichtegemacht wurde. Fabian Mühlhauser, Teresas Sohn, war seit fast zwei Jahren in Afrika verschollen. Das Schicksal dieses jungen Arztes, der in einem Urwaldhospital tätig gewesen war, bewegte auch Dr. Daniel Norden, den Dorle am nächsten Morgen aufsuchte, da Teresa nach dieser unruhigen Nacht einen völlig apathischen Eindruck machte. Sie hatte ihn nicht ins Haus rufen wollen, weil sie da nicht so mit ihm sprechen konnte, und die von ihr so sehr geliebte Tante sollte nicht denken, dass hinter ihrem Rücken getuschelt wurde. Dorle war ein reizendes Mädchen und bot einen herz­erfrischenden Anblick trotz der kummervollen Augen. Dr. Norden begrüßte sie mit einem aufmunternden Lächeln. »Wo drückt denn der Schuh, Dorle?«, fragte er. »Warum hast du nicht angerufen?« Obgleich

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Dr. Norden Bestseller – 242 –

Ein Mann und sein Geheimnis

Werden die Schatten über Dorle und Fabian weichen?

Patricia Vandenberg

Dorle Halder schrak aus tiefem Schlummer empor, als ein jammervolles Stöhnen aus dem Nebenzimmer kam, dem ein gequältes Schluchzen folgte. Schnell sprang sie aus dem Bett und lief hinüber zu ihrer Tante Teresa. Aber sie war nicht wach. Sie wurde anscheinend wieder einmal von Albträumen geplagt.

»Bringt ihn nicht um, lasst ihn leben«, schluchzte sie. »Fabian, halt durch, komm zurück.«

Ganz deutlich kamen die Worte, und sie wiederholten sich. Seit Monaten kannte Dorle diese Angstträume, über die sie anfangs so erschrocken gewesen war. Jetzt fand sie die richtigen Worte, die beruhigten und trösteten.

»Fabian wird ja wiederkommen, Tante Tresi«, sagte sie weich, obgleich sie nicht wusste, ob diese Worte jetzt schon in das Bewusstsein der Älteren drangen, und erst recht wusste sie nicht, ob nicht auch diese jäh erwachte Hoffnung, die ein Zeitungsbericht vor ein paar Tagen vermittelt hatte, wieder zunichtegemacht wurde.

Fabian Mühlhauser, Teresas Sohn, war seit fast zwei Jahren in Afrika verschollen. Das Schicksal dieses jungen Arztes, der in einem Urwaldhospital tätig gewesen war, bewegte auch Dr. Daniel Norden, den Dorle am nächsten Morgen aufsuchte, da Teresa nach dieser unruhigen Nacht einen völlig apathischen Eindruck machte.

Sie hatte ihn nicht ins Haus rufen wollen, weil sie da nicht so mit ihm sprechen konnte, und die von ihr so sehr geliebte Tante sollte nicht denken, dass hinter ihrem Rücken getuschelt wurde.

Dorle war ein reizendes Mädchen und bot einen herz­erfrischenden Anblick trotz der kummervollen Augen. Dr. Norden begrüßte sie mit einem aufmunternden Lächeln.

»Wo drückt denn der Schuh, Dorle?«, fragte er. »Warum hast du nicht angerufen?«

Obgleich Dorle mittlerweile fast zwanzig Jahre zählte, war es auf ihr Bitten hin bei dem Du geblieben. Manchmal kam Dorle zum Babysitten zu den Nordens, wenn Fee Norden etwas erledigen musste, denn alle fünf Kinder konnte die gute Lenni, die nun schon einige Jahre den Arzthaushalt versorgte, doch nicht in Zaum halten. Doch lange konnte Dorle ihre Patentante nicht mehr allein lassen.

»Es wird immer schlimmer mit den Träumen«, sagte Dorle beklommen. »Heute Nacht habe ich richtig Angst bekommen, dass sich Tante Tresi was antut, wenn sich die Hoffnung wieder zerschlägt, dass Fabian gefunden wird. Vielleicht ist er tot, so sehr mich das auch treffen würde, aber Tante Tresi ist überzeugt, dass er lebt. Sie leidet nur so entsetzlich unter der Vorstellung, dass er gequält wird. Ich weiß ja nicht, was sie alles träumt.«

»Gibt es denn wirklich eine neue Nachricht, die hoffen lässt, Dorle?«, fragte Dr. Norden.

»Es war ein Zeitungsbericht. Darin wurde geschrieben, dass in Namibia zwei Europäer gefunden worden wären, die möglicherweise zu der Gruppe jener Ärzte und Schwestern gehören könnten, die bei dem Überfall auf das Hospital verschleppt worden sind. Sie sind jedoch in einem schlechten Zustand und konnten noch keine Auskünfte geben. Ich habe sofort alles in die Wege geleitet und auch Fotografien und eine genaue Beschreibung von Fabian weitergegeben, aber die Zeit ist ja noch viel zu kurz, als dass wir schon eine Nachricht haben könnten. Ich habe nur große Angst, dass es dann eine negative Nachricht sein könnte. Tante Tresi hat keine Kraft mehr.«

»Wir sollten sie auf die Insel der Hoffnung bringen, heraus aus den vertrauten Wänden, wo alles an Fabian und vergangene Zeit erinnert.«

»Sie würde nicht gehen«, sagte Dorle leise. »Ich habe sie so lieb, Dr. Norden. Ich kann es nicht mit ansehen, wie sie immer weniger, immer verzweifelter wird.«

»Ich werde versuchen, etwas zu erfahren«, versprach er.

Das hatte er allerdings schon damals versucht, als die erste Nachricht von dem Überfall kam, aber alle Bemühungen waren ergebnislos geblieben. Gerade zu dieser Zeit hatte Teresa Mühlhauser eine Aufgabe bekommen, die sie ablenkte. Dorles Mutter war gestorben, und Teresa war sofort bereit gewesen, die knapp Achtzehnjährige bei sich aufzunehmen. Sie konnten sich gegenseitig trösten, sich Mut machen.

Brigitte Halder war Teresas Freundin gewesen, und deren Mann, Henry Halder, ein Naturwissenschaftler, war auf einer Expedition in Alaska verschollen. Von ihm hatte man allerdings nie mehr etwas erfahren. Dorle war ohne Vater aufgewachsen, nicht gerade in Armut, aber doch in recht bescheidenen Verhältnissen. Teresa hatte aber viel für ihr Patenkind getan, obgleich auch sie ihren Mann früh verloren hatte. Aber Fabian war da wenigstens schon sechzehn Jahre alt gewesen, und sie hatten das Haus und ein gutes Auskommen. Es war Teresa nicht recht gewesen, dass Fabian sich nach dem Studium für zwei Jahre Tätigkeit in einem Entwicklungsland gemeldet hatte, aber er hatte seinen eigenen Willen und war dazu auch ein Idealist.

Dorle war vierzehn Jahre alt gewesen, als sie Fabian zum letzten Mal gesehen hatte. Da waren sie auf dem Oktoberfest lustig gewesen, und er, schon zweiundzwanzig, hatte sich wie ein großer beschützender Bruder benommen.

Dorles Mutter hatte da gerade zwanzigtausend Euro von einem Onkel geerbt, der ohne Testament gestorben war, und sie war die einzige lebende Verwandte gewesen. Es war keine große Erbschaft, aber endlich konnten sie sich mal eine Reise gönnen, und die hatte sie über München an den Chiemsee geführt, wo der Onkel gelebt hatte, denn da musste der Haushalt aufgelöst werden, der auch zu der Erbschaft gehörte.

Bald danach musste sich Brigitte Halder einer Brustoperation unterziehen, von der sie sich nicht mehr erholt hatte. Da konnte ihr auch kein Aufenthalt auf der Insel der Hoffnung mehr helfen, so arg das für die Ärzte gewesen war. Aber Dorle war in diesen schweren Wochen wenigstens nicht allein gewesen, sie hatte da schon bei Tante Teresa wohnen können, und nach dem Tode ihrer Mutter sollte sie eine Heimat und mütterliche Liebe in dem hübschen Haus am Stadtrand finden.

Für Teresa war Dorle ein ganz großer Trost, sie war tapfer, und ihre Hoffnung war ungebrochen und unerschütterlich. Doch seither waren nun fast zwei Jahre des vergeblichen Wartens vergangen.

Dorle hatte Fabian noch so in Erinnerung, wie er damals auf dem Oktoberfest gewesen war, lustig und lebensfroh, aber sie hatten so viel über ihn gesprochen, dass ihr auch der gewissenhafte, verantwortungsbewusste junge Dr. Fabian Mühlhauser vertraut geworden war. Sie hatte die Briefe gelesen, die er aus dem Urwald geschrieben hatte, die gro­ßen Idealismus beinhalteten.

Dorle machte noch ein paar Besorgungen, um eine Rechtfertigung für ihr Fernbleiben zu haben. Dr. Norden hatte ihr versprochen, am Nachmittag bei ihnen hereinzuschauen, aber davon sagte sie nichts zu Teresa. Sie saß am Fenster und starrte auf die Straße.

»Da bist du ja wieder, Kleines«, sagte sie. »Hast du Zeitungen mitgebracht?«

»Ja, Tante Tresi«, erwiderte Dorle stockend. »Geht es ein bissel besser?«

»Ich habe dich wohl wieder erschreckt, Dorle«, sagte Teresa schleppend. »Es tut mir leid. Ich sollte dankbar sein, dass ich dich habe.«

»Mir tut es leid, wenn du von schweren Träumen geplagt wirst, Tante Tresi.«

»Es ist seltsam, es sind fast immer die gleichen Träume, aber jetzt weiß ich, dass Fabian bald zurückkommen wird. Er hat es mir zum ersten Mal gesagt.«

Ein Frösteln kroch über Dorles Rücken. Oft hatte sie große Angst, dass sich der Geist dieser gütigen Frau umnachten könnte. Dann kamen wieder ganz klare Stunden, normale Tage, in denen sie dann auch hoffen konnte, dass Teresa dieses quälende Leid überwinden könnte. Aber noch nie hatte sie gesagt, dass Fabian mit ihr gesprochen hätte.

Sie musste sich zusammenreißen, um sich auf andere Gedanken zu bringen.

»Ich habe frische Brötchen mitgebracht, Tante Tresi, die leckeren vom Bäcker Anton. Ich mache dir eins zurecht. Möchtest du Schinken oder Streichwurst?«

»Ich habe keinen Hunger, Kleines«, erwiderte Teresa müde.

»Du musst aber etwas essen, sonst rufe ich Dr. Norden an.«

»Er hat doch Sprechstunde«, sagte Teresa.

»Er würde dennoch kommen. Du treibst es noch so weit, dass du dann krank bist, wenn Fabian kommt. Was soll er denn sagen, wenn du nur noch ein Strich in der Landschaft bist. Er wird mir die Schuld geben, dass ich nicht besser für dich gesorgt habe.«

»Du sorgst rührend für mich«, sagte Teresa weich. »Verzeih, wenn ich so ungenießbar bin.«

»Das bist du nicht, Tante Tresi. Ich verstehe dich doch, aber du musst dich nicht selbst so sehr quälen.«

»Ich will es ja nicht, aber ich kann nichts für diese Träume, die immer wiederkommen. Wenn Fabian nicht mehr leben würde, könnte ich nicht so träumen.«

Sie befasste sich dann mit den Zeitungen, als sie das eine Brötchen tatsächlich gegessen hatte, und darüber war Dorle schon recht froh.

»Ich werde jetzt die Entwürfe für Frau Sander machen, Tante Tresi. Wenn du etwas brauchst, ruf bitte.«

»Ach ja, da fällt mir ein, Frau Sander hat heute Morgen schon angerufen. Sie hätte auch eine Stellung für dich. Wie bin ich doch vergesslich, und meinetwegen entgeht dir so viel.«

»Mir entgeht gar nichts. Ich bin auch zu Hause gut beschäftigt, Tante Tresi.«

»Aber du hast überhaupt keine Abwechslung, kein Vergnügen. Du bist jung, und du konntest noch gar nicht richtig jung sein.«

»Jetzt mach dir bitt’ schön nicht auch noch um mich Gedanken«, sagte Dorle aufmunternd, »aber ich mache dir einen Vorschlag. Morgen fahren wir mal an den See und essen draußen, wenn wir einen Spaziergang gemacht haben.«

»Und wenn Fabian gerade dann heimkommt?«

Dorle schnürte es die Kehle ein, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Schnell wandte sie sich ab. »Ich denke, dass du erst benachrichtigt wirst, Tante Tresi«, sagte sie tonlos.

Sie rief dann Frau Sander an und sagte ihr, dass sie die Entwürfe am Abend vorbeibringen würde.

»Ist recht, Dorle, dann bleiben Sie zum Essen bei mir, und wir können mal besprechen, welche Chancen Sie haben.«

»Es geht nicht. Ich erkläre es Ihnen«, erwiderte Dorle hastig.

Es fiel ihr jetzt auch gar nicht leicht, genau das zu treffen, was sich Frau Sander vorstellte. Es handelte sich um Entwürfe für eine Porzellanfabrik. Dorle hatte viel Farbensinn und auch großes zeichnerisches Talent. Es war auch ihr Berufsziel gewesen, Designerin zu werden, aber wenn sie die entsprechenden Schulen besucht hätte, wäre Tante Teresa sehr viel allein gewesen. Sie hatte Glück gehabt, Frau Sander kennenzulernen, als sie für ein Wohltätigkeitsfest zwei Aquarelle gemalt hatte. Und Frau Sander hatte ein Naturtalent entdeckt.

Tilli Sander war eine weltoffene Frau, und clever war sie auch. Für Dorle hatte sie sehr viel übrig, da spielte das Herz mit, obgleich sie sonst äußerst reserviert, ja, fast kühl war. Eine Frau von Format, so sah man sie, wenn sie Geschäfte abschloss, wenn sie repräsentierte, aber im Grunde war sie ein einsamer Mensch, dem das Schicksal auch ein Päckchen zu tragen gegeben hatte.

Davon wusste Dorle noch nichts, als sie am Abend zu Frau Sander fuhr. Dr. Norden war gegen sechs Uhr gekommen.

Er wollte nur mal anläuten und nachschauen, wie es geht, da er gerade in der Gegend sei, sagte er, und Teresa nahm es ihm ab und bedankte sich. Ob er auch den Bericht in der Zeitung gelesen hätte, fragte sie auch gleich.

Er bestätigte es und warf dabei Dorle einen verständ­nisinnigen Blick zu. »Ich werde auch sofort Informationen einholen, Frau Mühlhauser«, versprach er, »aber Sie müssen mir jetzt versprechen, dass Sie sich nicht mehr so aufregen. Und ein bissel mehr essen sollten Sie auch. Vielleicht wäre es am besten, wenn Sie doch ein paar Wochen auf die Insel gehen würden. Mein Schwiegervater und Anne würden sich sehr freuen.«

»Ich kann doch nicht, falls Fabian kommt. Ja, wenn er kommt, dann muss er sich auch erholen, dann gehen wir zusammen auf die Insel. Ich war ja gern dort, das dürfen Sie mir glauben, Dr. Norden, aber ich muss wissen, was mit meinem Jungen ist.« Ihre Stimme bebte und sie schaute ihn so verzweifelt und hilfeflehend an, dass es ihm unter die Haut ging.

»Heute nehmen Sie mal ein Beruhigungsmittel, damit Sie durchschlafen können«, sagte er. »Sie brauchen den Schlaf. Und Sie dürfen auch nicht ständig grübeln. Damit ändern Sie gar nichts, liebe Frau Mühlhauser.«

»Ich weiß, dass er lebt, ich weiß, dass er leidet! Es tut so weh«, flüsterte sie.

Ja, Dr. Norden machte sich jetzt genau solche Sorgen wie Dorle, aber dann ließ sich Teresa tatsächlich ein Beruhigungsmittel geben, und erschöpft wie sie war, schlief sie dann auch bald ein.

Dennoch schwang sich Dorle mit gemischten Gefühlen auf ihr Rad. Zum Glück wohnte Frau Sander nicht weit entfernt.

»Sie brauchen sich doch nicht so abzuhetzen, Dorle«, sagte sie besorgt, »noch dazu in dieser Dunkelheit.«

»Ich kann Tante Tresi nicht so lange allein lassen, Frau Sander. Sie ist nicht gut beisammen.«

»Was fehlt ihr denn eigentlich? Am Telefon war sie auch so merkwürdig.«

»Es geht um Fabian. Sie hat immer noch keine Nachricht, und sie schläft kaum eine Nacht richtig. Sie wird von schrecklichen Träumen geplagt, und dann grübelt sie über diese auch noch nach.«

»Ja, das ist ein Teufelskreis, aus dem man so leicht nicht herauskommt«, sagte Tilli Sander leise. »Ich kenne das aus eigener Erfahrung.«

Dorle sah die attraktive Frau überrascht an. Tilli Sander mochte wohl gut Mitte vierzig sein, aber sie wirkte jünger, und man konnte kaum glauben, dass sie viel durchgemacht hatte.

»Sie wundern sich«, sagte Tilli mit einem flüchtigen Lächeln. »Bei mir ist es ja auch schon zwanzig Jahre her, dass ich einen geliebten Menschen verloren habe, und eines Tages fängt man sich eben doch. Es mag auch sein, dass man eher überwindet, wenn man noch jünger ist. Aber wir können uns sicher ein andermal länger unterhalten. Sie haben jetzt nicht die innere Ruhe dafür. Ich hätte viele Aufträge für Sie, Dorle, und ich könnte Ihnen auch eine gut dotierte Anstellung bieten.«

»Wenn Fabian nur zurückkäme«, sagte Dorle leise, »dann wäre das eher möglich, aber wenn Tante Tresi jetzt allein sein müsste, nein, das könnte ich nicht verantworten. Ich habe ja auch sonst niemanden mehr. Sie war immer so gut zu mir.«

»Und wenn Fabian nun nicht wiederkommt?«, fragte Tilli leise.

»Ich weiß nicht, was dann wird. Ich weiß es wirklich nicht.« Sie warf Tilli einen schüchternen Blick zu. »Hoffentlich entsprechen die Entwürfe wenigstens einigermaßen Ihren Vorstellungen.«

Tilli warf nur einen kurzen Blick darauf. »Sehr schön, wie immer«, stellte sie fest, »sogar besonders schön, Dorle.«

Aber wenn es auch nicht so gewesen wäre, hätte sie es in dieser Stunde nicht über sich gebracht, eine Kritik zu üben.

»Wenn Sie das Geld brauchen, kann ich Sie auch sofort bezahlen«, sagte Tilli.

»O nein, das ist nicht nötig. Ich bin so froh, dass ich für Sie arbeiten kann. Das lenkt mich ab. Da kann ich manchmal ganz abschalten.«

»Ich hoffe, dass eine Zeit kommt, in der Sie auch an sich denken können, Dorle. Und wenn Sie Hilfe brauchen, ich bin immer für Sie da.«

»Danke, vielen Dank«, flüsterte Dorle, »Sie sind so verständnisvoll.«

»Ich sollte Sie lieber mit dem Wagen heimbringen«, schlug Tilli vor.

»Ich brauche das Rad, es ist ja nicht weit. Nochmals vielen Dank.«

Daheim angekommen, konnte sie erleichtert aufatmen, denn Teresa schlief jetzt ganz ruhig, und sie schaltete den Fernsehapparat an, um die Tagesschau zu sehen, was Teresa sich sonst auch nicht entgehen ließ, weil sie immer hoffte, dass sie irgendwie Nachricht über die Vermissten in Afrika bringen würden.

Daran glaubte Dorle schon nicht mehr, und sie fürchtete insgeheim auch, dass der Bericht in der Zeitung auch wieder mal nur so ein Lückenfüller war von einem Reporter, der sich am Rande damit beschäftigt hatte.

Was die Tagesschau brachte, war auch nicht gerade erfreulich. So viel Terror und Brutalität herrschte in der Welt, dass man es oft mit der Angst bekam.

Das Telefon läutete, und ganz schnell war Dorle dort, damit Teresa davon nicht noch aufgeschreckt werden sollte. Doch die Injektion schien diesmal sehr gut zu wirken, und Dorle konnte froh darüber sein, denn es war Fee Norden, die jetzt anrief.

»Mein Mann muss noch Hausbesuche machen, soll er noch einmal vorbeikommen, Dorle?«, fragte Fee.

»Tante Tresi schläft ganz ruhig«, erwiderte Dorle. »Es wird nicht nötig sein, dass Dr. Norden kommt.«

»Sie können ja anrufen, wenn etwas sein sollte. Ich weiß, wo mein Mann zu erreichen ist. Aber noch etwas, Dorle, was Ihre Tante besser noch nicht wissen sollte. Daniel hat erfahren, dass die beiden Europäer nächsten Dienstag nach München ins Klinikum gebracht werden, da sie anscheinend aus Bayern stammen. Sie haben aber anscheinend ihre Identität vergessen.«

»Gibt es das?«, fragte Dorle beklommen.

»O ja, und dafür gibt es auch verschiedene Ursachen. Aber wir sollten uns darüber jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Es werden Angehörige bemüht werden, die sie identifizieren sollen. Sie sind immer noch in einem schlechten Zustand. Wir meinen, dass Ihre Tante davon besser noch nichts erfahren sollte. Es wäre ja schrecklich für sie, wenn Fabian nicht dabei ist. So meint mein Mann, dass Sie ihn identifizieren sollten.

»Ich?«, fragte Dorle atemlos, »aber ich habe ihn so viele Jahre nicht gesehen, sechs Jahre, Frau Norden, und ich kenne jetzt auch nur Fotos von ihm, die schon ein paar Jahre alt sind.«