Ein Neuanfang im Wachnertal? - Toni Waidacher - E-Book

Ein Neuanfang im Wachnertal? E-Book

Toni Waidacher

0,0
3,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Ulrike Bräuer lenkte ihren Audi auf den Parkplatz des Hotels ›Zum Löwen‹, stellte den Motor ab und stieg aus. Ulrike, etwa eins fünfundsechzig groß und schlank, trug eine eng anliegende Jeans und eine blaue Bluse. Alles in allem war die Zweiundvierzigjährige eine attraktive, bemerkenswerte Erscheinung. Sie schaute sich um, und was sie sah, gefiel ihr. Schon als sie über die Passhöhe gefahren war und den Blick ins Wachnertal frei hatte, war ihr endgültig klar geworden, dass sie an diesem Platz alt werden wollte. Sie hatte, ehe sie sich entschied, hierherzufahren, alles gelesen und verinnerlicht, was es an Broschüren und Berichten über das Wachnertal und seine drei Gemeinden gab, und war zu dem Schluss gekommen, dass die Welt hier noch in Ordnung war. Es gab zwar Fremdenverkehr, aber das Wachnertal war keine Touristenhochburg mit all jenen Attraktionen, von denen in der Regel nur Urlauber, die Remmidemmi suchten, wie die Motten vom Licht angezogen wurden. Die Menschen, die für eine oder zwei Wochen oder zum Teil auch über einen längeren Zeitraum das Wachnertal aufsuchten, wollten diese Zeit in aller Beschaulichkeit und Ruhe genießen. Ein großer Teil kam seit vielen Jahren regelmäßig ins Tal, und dieser Anteil wurde immer größer. Die Menschen waren von der Ursprünglichkeit und Natürlichkeit des Tals begeistert, und dieser Begeisterung verliehen sie auch Ausdruck in den verschiedenen sozialen Medien. Diese Berichte waren maßgeblich gewesen für Ulrikes Entscheidung. Nun also war sie in St. Johann angekommen. Ein Mann namens Horst Huber, der in München lebte, hatte einen alten Bauernhof in der Gemeinde zum Kauf angeboten. Huber hatte den Hof geerbt und wusste damit nichts anzufangen, außer ihn zu versilbern. Ulrike hatte mit ihm Verbindung aufgenommen, und nun war sie hier, um sich das Anwesen anzusehen und mit dem Besitzer wegen eines Kaufs zu verhandeln. Sie ließ ihren Blick die Hauptstraße hinunterwandern. Zu beiden Seiten waren die Gebäude ausschließlich im alpenländischen Stil errichtet. An ihnen war viel Holz verbaut worden, an den Balkonen und auf den Fensterbänken erfreute ein buntes Blumenmeer das Auge, viele Giebel und Fassaden waren mit kunstvollen Lüftlmalereien verziert. Es war kurz nach Mittag und die Außenservicebereiche der Cafés, Eisdielen und Restaurants waren bis auf den letzten Platz besetzt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 130

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Bergpfarrer – 488 –

Ein Neuanfang im Wachnertal?

Zunächst scheint Ulrike nur Pech zu haben …

Toni Waidacher

Ulrike Bräuer lenkte ihren Audi auf den Parkplatz des Hotels ›Zum Löwen‹, stellte den Motor ab und stieg aus. Ulrike, etwa eins fünfundsechzig groß und schlank, trug eine eng anliegende Jeans und eine blaue Bluse. Alles in allem war die Zweiundvierzigjährige eine attraktive, bemerkenswerte Erscheinung.

Sie schaute sich um, und was sie sah, gefiel ihr. Schon als sie über die Passhöhe gefahren war und den Blick ins Wachnertal frei hatte, war ihr endgültig klar geworden, dass sie an diesem Platz alt werden wollte. Sie hatte, ehe sie sich entschied, hierherzufahren, alles gelesen und verinnerlicht, was es an Broschüren und Berichten über das Wachnertal und seine drei Gemeinden gab, und war zu dem Schluss gekommen, dass die Welt hier noch in Ordnung war. Es gab zwar Fremdenverkehr, aber das Wachnertal war keine Touristenhochburg mit all jenen Attraktionen, von denen in der Regel nur Urlauber, die Remmidemmi suchten, wie die Motten vom Licht angezogen wurden.

Die Menschen, die für eine oder zwei Wochen oder zum Teil auch über einen längeren Zeitraum das Wachnertal aufsuchten, wollten diese Zeit in aller Beschaulichkeit und Ruhe genießen. Ein großer Teil kam seit vielen Jahren regelmäßig ins Tal, und dieser Anteil wurde immer größer. Die Menschen waren von der Ursprünglichkeit und Natürlichkeit des Tals begeistert, und dieser Begeisterung verliehen sie auch Ausdruck in den verschiedenen sozialen Medien. Diese Berichte waren maßgeblich gewesen für Ulrikes Entscheidung.

Nun also war sie in St. Johann angekommen. Ein Mann namens Horst Huber, der in München lebte, hatte einen alten Bauernhof in der Gemeinde zum Kauf angeboten. Huber hatte den Hof geerbt und wusste damit nichts anzufangen, außer ihn zu versilbern. Ulrike hatte mit ihm Verbindung aufgenommen, und nun war sie hier, um sich das Anwesen anzusehen und mit dem Besitzer wegen eines Kaufs zu verhandeln.

Sie ließ ihren Blick die Hauptstraße hinunterwandern. Zu beiden Seiten waren die Gebäude ausschließlich im alpenländischen Stil errichtet. An ihnen war viel Holz verbaut worden, an den Balkonen und auf den Fensterbänken erfreute ein buntes Blumenmeer das Auge, viele Giebel und Fassaden waren mit kunstvollen Lüftlmalereien verziert.

Es war kurz nach Mittag und die Außenservicebereiche der Cafés, Eisdielen und Restaurants waren bis auf den letzten Platz besetzt. Stimmendurcheinander und Gelächter erhob sich und bildete eine auf- und abschwellende Geräuschkulisse. Ulrike empfand es nicht als störend. Es zeugte davon, dass der Ort trotz fehlender Attraktionen ein beliebtes Urlaubs- und Ausflugsziel war.

Die bewaldeten Berge rund um das Wachnertal und die Hochgebirgsketten im Hintergrund verliehen allem eine besondere Idylle und einen Reiz, dem sich kaum jemand verschließen konnte. Über allem spannte sich ein blauer Himmel, vor dem einige weiße Wolkenfetzen träge nach Osten trieben. Die Farben Bayerns, dachte Ulrike belustigt. Weiß und blau …

Ulrike nahm alles in sich auf und fühlte sich auf besondere Art frei und leicht, geradezu beschwingt. Falls noch letzte Zweifel bestanden hatten, ob sie den Rest ihres Lebens hier verbringen wollte – jetzt waren sie beseitigt.

Sie begab sich ins Hotel. Susanne Reisinger arbeitete an der Rezeption an ihrem Computer. Nun nahm sie die Finger von der Tastatur und hob den Blick, lächelte und erwiderte Ulrikes Gruß. Ulrike trat an den Tresen.

»Mein Name ist Bräuer. Ich habe für die nächsten zwei Wochen bei Ihnen ein Zimmer gebucht.«

Susanne bemühte ihren PC, und schon im nächsten Moment hatte sie die Anmeldung auf dem Bildschirm. »Richtig, Frau Bräuer aus Fulda. Zwei Wochen Übernachtung mit Halbpension. Willkommen in St. Johann, Frau Bräuer, willkommen im Hotel ›Zum Löwen‹. Ich bin Susanne Reisinger. Sie können das Zimmer sofort beziehen. Ihr Gepäck, nehm‘ ich an, ist noch draußen im Auto. Bewältigen Sie’s allein, es hereinzuschaffen, oder soll ich jemand beauftragen, es aufs Zimmer zu bringen?«

»Es ist nur eine Reisetasche«, erklärte Ulrike. »Wenn ich sie nicht gerade in den dritten oder vierten Stock tragen muss …«

»Nein, Ihr Zimmer befindet sich in der ersten Etage. Unabhängig davon können Sie den Aufzug benutzen.« Susi lächelte entwaffnend. »Außerdem verfügt das Hotel nur über zwei Etagen.«

»Fein«, ging Ulrike auf den scherzhaften Ton ein, »dann weiß ich jetzt über die Beschaffenheit des ›Löwen‹ Bescheid. Vielleicht können Sie mir auch noch den Weg zum Winklmüllerhof beschreiben.«

Susi war ein wenig verdutzt. »Den Weg zum Winklmüllerhof?«, wiederholte sie. »Der Hof ist verwaist. Der Winklmüller-Albin ist vor sechs oder sieben Wochen verstorben. Geerbt hat den Hof ein entfernter Verwandter, der in München lebt. Ich weiß net mal seinen Namen.«

»Er heißt Huber – Horst Huber«, klärte Ulrike die Tochter des Hotelinhabers auf. »Huber hat den Hof zum Verkauf ausgeschrieben«, fuhr sie fort. »Ich habe die Annonce zufällig gesehen und sofort Verbindung zu ihm aufgenommen. Wir wollen uns morgen um zehn Uhr auf dem Anwesen treffen und bezüglich des Verkaufs verhandeln.«

»Oh, das ist ja interessant«, gab Susi zu verstehen. »Dann sind Sie gar net hier, um Urlaub zu machen, Frau Bräuer. Ihr Ziel ist es, bei uns im Tal ansässig zu werden.«

»Ich habe mich kundig gemacht«, erwiderte Ulrike. »Das Wachnertal ist genau der Platz, an dem ich schon immer mein Leben verbringen wollte. Und als ich von der Passhöhe aus auf das Tal schaute, war ich regelrecht verliebt. Ja, ich will hier den Rest meines Lebens verbringen und hoffe, dass ich mit Herrn Huber handelseinig werde.«

»Ich drück‘ Ihnen die Daumen, Frau Bräuer«, sagte Susi, dann nahm sie einen Schlüssel mit Anhänger aus dem Schlüsselregal. »Zimmer hundertfünf«, sagte sie. »Der Aufzug ist gleich neben der Treppe. Frühstück gibt es ab sieben Uhr, Abendessen ab achtzehn Uhr. Wenn’s irgendein Problem geben sollt‘, Frau Bräuer, können S‘ sich jederzeit an mich oder eine meiner Schwestern wenden. Wir werden dann eine Lösung finden.«

»Sie sind sehr nett, Susanne«, sagte Ulrike lächelnd und nahm den Schlüssel. »Ich darf Sie doch mit Ihrem Vornamen anreden?«

»Natürlich, Frau Bräuer. Sagen S‘ einfach Susi zu mir.«

»Schön, Susi, dann will ich mal mein Gepäck aufs Zimmer bringen. Vorher aber bitte ich Sie, mir den Weg zu dem verlassenen Bauernhof zu beschreiben.«

»Natürlich«, antwortete Susi eilfertig. »Folgen S‘ einfach den Hinweisschildern nach Waldeck. Etwa einen Kilometer von St. Johann entfernt zweigt eine schmale Straße nach rechts ab. Von der Abzweigung aus können S‘ den Hof schon sehen. Er befindet sich allenfalls dreihundert Meter von der Landstraße entfernt. Sie können ihn eigentlich gar net verfehlen.«

Ulrike bedankte sich, dann ging sie hinaus, um ihr Gepäck zu holen. Als sie wenig später das Zimmer bezog, war sie angenehm überrascht. Der Raum war blitzsauber und gemütlich. St. Johann behagte ihr wieder ein wenig mehr, falls es für ihre Begeisterung überhaupt noch eine Steigerung gab.

*

Nachdem Ulrike die wenigen Habseligkeiten, die sie fürs Erste mitgebracht hatte, im Schrank respektive im Badezimmer verstaut hatte, wollte sie sich den Bauernhof, den sie zu kaufen beabsichtigte, vorab schon mal ansehen. Sie verließ also das Hotel, überlegte kurz, ob sie das Auto nehmen sollte, entschied sich aber für Schusters Rappen und machte sich auf den Weg. Ein Wegweiser wies ihr die Richtung nach Waldeck. Sie schritt auf dem Gehsteig an den Häusern entlang, passierte den Pfarrplatz mit der Pfarrkirche St. Johann und erreichte schließlich den Ortsrand und benutzte den asphaltierten Weg, der parallel zur Landstraße verlief.

Es war warm. Ein lauer Wind wehte von Süden und brachte den Geruch von Heu mit sich. In den Büschen zwitscherten die Vögel um die Wette, und von einem der Bauernhöfe erschallte das heisere Bellen eines Hundes. Ulrike empfand die ganze Atmosphäre wie Balsam für die Seele. Sie ließ ihren Blick schweifen. Die schroffen, teils zerklüfteten Gipfel der Felsgiganten, die die bewaldeten Berge im Vordergrund um ein Vielfaches überragten, gleißten im grellen Sonnenlicht. Scharf und klar hoben sie sich vom azurblauen Hintergrund ab. Sie schienen den Himmel zu berühren. Rund um Ulrike erstreckten sich Viehweiden, Äcker und Felder. Auf den Äckern wuchsen Kartoffeln und Rüben, auf den Feldern färbte sich das Korn langsam von Grün nach Goldgelb.

Verblüfft registrierte Ulrike, dass sie bereits an der von Susanne beschriebenen Abzweigung angekommen war. Hier war der Radweg unterbrochen. Sie war derart in ihren Betrachtungen und Gedanken versunken gewesen, dass sie ihr Ziel völlig aus dem Fokus verloren hatte.

Sie schaute in die Richtung, in die die schmale Zufahrtsstraße abbog, und sah tatsächlich die teils roten, teils grauen Dächer eines landwirtschaftlichen Anwesens. Das muss der Winklmüllerhof sein, dachte sie, bog vom Hauptweg ab und folgte der schmalen, mit etlichen Schlaglöchern versehenen Straße, die offenbar bei dem Gehöft endete. Der Frost im Winter und sommerliche Hitze hatten der Teerdecke arg zugesetzt. Mit dem Auto auf dieser Straße zu fahren, musste für die Stoßdämpfer zu einer einzigen Tortur geraten. Um es auf einen Nenner zu bringen: Die Zufahrtsstraße war völlig heruntergekommen. Wenn es sich um keine Privatstraße handelt, überlegte Ulrike, dann wird die Gemeinde gefordert sein.

Aber noch war sie nicht Eigentümerin des Bauernhofes, also musste sie sich auch nicht den Kopf über die Sanierung der Straße zerbrechen.

Schließlich ging sie durch die Hofeinfahrt, blieb stehen und sah in die Runde. Das Wohnhaus war einstöckig. Um die gesamte erste Etage zog sich ein hölzerner Balkon, der längst einen frischen Schutzanstrich nötig gehabt hätte. Blumenkästen waren daran befestigt, doch sie waren nicht bepflanzt, ebenso wenig die Blumenkästen auf den Fensterbänken. Von den Fensterläden blätterte die Holzschutzlasur ab, ebenso von der hölzernen Giebelverkleidung, die stellenweise schon eine graue Verfärbung angenommen hatte.

Im rechten Winkel zum Wohnhaus schloss sich ein weitläufiger Stall an. Das große, doppelflügelige Tor war verschlossen. Vieh hatte in dem Stall wohl schon lange keines mehr gestanden. Es gab noch eine riesige Scheune und einige Schuppen, deren hölzerne Wände schon seit ewigen Zeiten nicht mehr behandelt worden waren, denn sie waren teilweise schon vom Moder befallen.

Alles sah ziemlich trostlos und ausgesprochen heruntergekommen aus.

Der Hof war geteert, aber der Teer war an vielen Stellen aufgebrochen. Aus den Bruchstellen wuchs kniehoch das Unkraut.

Obwohl alles aussah, als wäre es seit Längerem dem Verfall preisgegeben, konnte sich Ulrike ohne großes Wenn und Aber mit dem Gedanken anfreunden, hier zu leben. Am kommenden Tag würde sie das Objekt von innen begutachten. Dann wollte sie sich endgültig entscheiden. Ihr war allerdings jetzt schon klar, dass sie eine Menge investieren musste, falls sie den Hof erwarb. Hier lag vieles im Argen. Ulrike gab sich nicht der Illusion hin, dass das Innere des Wohnhauses in einem besseren Zustand sein könnte als das Äußere.

Irgendwie aber hing sie jetzt schon, nach dem ersten groben Augenschein, mit dem Herzen an dem Hof, und es würde keiner großen Überredungskünste des derzeitigen Besitzers bedürfen, um sie dazu zu bringen, sich zum Kauf zu entschließen.

Sie kehrte in den Ort zurück. Im Hotel traf sie Susi an. Die älteste der Haustöchter arbeitete – wie meistens – am Computer. Sie hatte von ihrem Vater, dem Reisinger-Sepp, mehr oder weniger die administrativen Aufgaben übernommen. Ihre beiden Schwestern waren für den Service im Hotel und im Biergarten zuständig. Die Mutter war die Herrin in der Küche. Es war später Nachmittag, die Sonne stand schon sehr weit im Westen, und die Schatten waren lang.

»Na«, empfing Susi die attraktive Zweiundvierzigjährige, »haben S‘ sich ein bissel umgeschaut in unserem schönen Dörfl? Wie gefällt’s Ihnen denn bei uns?«

»St. Johann gehört seit heute mein Herz«, erwiderte Ulrike lächelnd. »Und das sage ich nicht nur so, das ist tatsächlich der Fall. Ein wunderschöner, idyllischer Ort, wie man ihn kaum noch antrifft. Ich bin hellauf begeistert. – Ich habe mir den Winklmüllerhof angeschaut. Er ist ziemlich verwahrlost. Auf dem Bild, das der Annonce beigefügt war, hat er besser erhalten ausgesehen.«

»Ja mei«, kam es von Susi, »der alte Winklmüller-Albin war nimmer in der Lage, den Hof in Schuss zu halten. Seine Frau hat schon einige Jahre vor ihm das Zeitliche gesegnet, Kinder hatten die beiden keine. Der Albin war fast neunzig, als er gestorben ist, außerdem hat er schon jahrelang gekränkelt. Er hat zwar eine Zugehfrau beschäftigt, aber die konnt‘ auch nur für ihn kochen und ihm ein bissel den Haushalt richten. Die Landwirtschaft hat der Albin schon gleich nach dem Tod seiner Frau aufgegeben. Gelebt hat er von der Rente, die ihm die Landwirtschaftliche Alterskasse gezahlt hat. Seine Verwandtschaft in München hat sich nie um ihn gekümmert. Ich glaub‘ aber, dass das der Albin auch gar net gewollt hätt‘. Er wollt‘ nie auf jemand angewiesen sein. Drum hat er sich auch geweigert, ins Altersheim zu gehen. Er war ein echter Sonderling, und mit dem Tod seiner Frau ist das net besser geworden. Im Gegenteil …«

»In der Annonce war kein Kaufpreis genannt«, sagte Ulrike. »Ich werde also morgen mit Herrn Huber verhandeln. Obwohl der Hof ziemlich heruntergekommen ist, hat er es mir angetan. Man kann daraus etwas machen. Das kostet natürlich viel Geld. Wenn mir Herr Huber mit dem Kaufpreis entgegenkommt, werde ich wohl zuschlagen.« Ulrike lachte auf. »Das alte Gemäuer hat etwas an sich, etwas, das mich regelrecht verzaubert hat. Es ist jetzt nur noch eine Frage des Preises.«

»Ich würd‘ mich für Sie freuen, Frau Bräuer, wenn’s mit dem Erwerb klappen tät‘«, erklärte Susi. »Auch ich denk‘, dass der Hof es wert ist, erhalten zu werden. Wie gesagt: Ich drück‘ Ihnen beide Daumen, dass Sie sich mit dem Herrn Huber auf einen akzeptablen Kaufpreis einigen können.«

»Als ich mit ihm telefoniert habe«, sagte Ulrike, »hatte ich den Eindruck, dass er den Hof unter allen Umständen loswerden will. Möglicherweise ist er sogar auf das Geld angewiesen. Nun, es wird sich sicherlich herausstellen. Ich hab‘ jedenfalls meine Preisvorstellung von dem Anwesen. Es wird sich zeigen, inwieweit sie der Vorstellung des Herrn Huber entspricht.«

»Was ist eigentlich mit den Äckern und Feldern, die zu dem Hof gehören?«, fragte Susanne.

»Die sind verpachtet«, antwortete Ulrike. »Daran hätte ich auch gar kein Interesse. Ich will ja nicht auf Landwirtschaft umsatteln. Ich betreibe einen Onlinehandel mit Körperpflegeprodukten und Parfüms, und den will ich unter keinen Umständen aufgeben. Mich interessiert ausschließlich der Hof und der Garten, der dazugehört.«

»Wenn S‘ kaufmännische Erfahrung haben, Frau Bräuer, dann werden S‘ auch über das nötige Verhandlungsgeschick verfügen, um dem Herrn Huber gegebenenfalls Paroli bieten zu können, sollt‘ er überzogene Preisvorstellungen für den Hof haben. Gibts eigentlich mehrere Bewerber, oder haben bisher lediglich Sie Interesse an dem Anwesen signalisiert?«

»Das weiß ich nicht.« Ulrike zuckte mit den Schultern. »Ich bin an dem Hof interessiert, zahle aber nicht jeden Preis. Der morgige Tag wirds zeigen, ob ich mit dem Herrn Huber einen Kaufvertrag abschließe oder nicht. – Ich schätze, wir sehen uns später noch einmal, Susanne. Jetzt will ich mich duschen und mich ein bisschen für das Abendessen aufhübschen.« Ulrike lächelte hintergründig. »Man will ja schließlich noch gefallen.«

»Dazu müssen Sie sich net aufhübschen, Frau Bräuer«, erwiderte Susanne. »Sie sind so oder so ein Hingucker.«

»Danke. In diesem Zusammenhang will ich nicht verschwiegen, dass ich seit vielen Jahren ein glückliches Singledasein führe. Als ich eben sagte, dass ich noch gefallen will, war das eher scherzhaft gemeint. Tatsächlich lege ich keinen Wert auf eine Bekanntschaft.«

Zuletzt wirkte ihr Gesicht verschlossen, und Susanne war klar, dass dieses Thema unerfreuliche Erinnerungen in Ulrike wachrief. Deshalb stellte sie keine Fragen.

»Bis später«, verabschiedete sich Ulrike, und jetzt lächelte sie wieder. »Ich bin tatsächlich hungrig und freue mich schon auf das Abendessen.« Mit dem letzten Wort setzte sie sich in Bewegung und strebte der Treppe zu.

*

Am folgenden Vormittag traf sich Ulrike mit dem Erben des Bauernhofes. Horst Huber war ein Mann von fünfunddreißig Jahren, der sich ausgesprochen weltmännisch gab, den Ulrike aber sehr schnell durchschaute. Sie vermutete, dass er einen ziemlich aufwendigen Lebensstil praktizierte, was auch der Porsche Cayenne verriet, den er fuhr. Er war ein Lebemann. Und er brauchte Geld.