Ein neuer Anfang mit dir - Patricia Vandenberg - E-Book

Ein neuer Anfang mit dir E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Schwester Anja betrat fünf Minuten vor acht Uhr die Leitner-Klinik. Sie war so pünktlich, daß man die Uhren danach stellen konnte. Dr. Hans-Georg Leitner brauchte es wahrhaftig nicht zu bereuen, daß er Anja Martin eingestellt hatte, obgleich sie ihren Beruf als Krankenschwester sechs Jahre nicht ausgeübt hatte. Innerhalb von vier Monaten hatte Schwester Anja einen Beliebtheitsgrad bei den Patientinnen der Leitner-Klinik erreicht, wie selten eine vor ihr. Daß sie eine Frau Martin war und einen siebenjährigen Sohn hatte, wußten nur wenige. Anja war seit einem Jahr geschieden, aber von einem Eheleben mit Rainer Martin hatte sie schon drei Jahre davor nicht sprechen können. Sie verlor kein Wort darüber, aber sie war aller Illusionen beraubt worden. Sie hatte diese riesengroße Enttäuschung überwunden und war froh, daß ihr Sohn Dominik, den sie liebevoll Nikki nannte, den Vater nicht vermißte. Ganz das Gegenteil war der Fall, denn Nikki sagte öfter, daß sie allein sehr gut zurechtkämen. Ganz allein waren sie ja nicht. Ein bißchen Glück hatte Anja schon gehabt, daß ihre Freundin Melanie Nickel eine echte Freundin war, daß sie ein Haus besaß und darin auch einen sehr gut gehenden Frisiersalon. Melanie war Nikkis Patin, und für sie war das auch eine Pflicht, die sie mit Freude erfüllte. Anja hatte eine hübsche Zweizimmerwohnung für sich und Nikki, und der Junge konnte im Geschäft sein, wenn er aus der Schule kam. Fee Norden war Kundin bei Melanie, und durch sie war Anja zu der Stellung bei Dr. Leitner gekommen. Es war ein Glücksfall, da die Leitner-Klinik so nahe

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Dr. Norden Bestseller – 251–

Ein neuer Anfang mit dir

Anja kann die Angst vergessen

Patricia Vandenberg

Schwester Anja betrat fünf Minuten vor acht Uhr die Leitner-Klinik. Sie war so pünktlich, daß man die Uhren danach stellen konnte. Dr. Hans-Georg Leitner brauchte es wahrhaftig nicht zu bereuen, daß er Anja Martin eingestellt hatte, obgleich sie ihren Beruf als Krankenschwester sechs Jahre nicht ausgeübt hatte.

Innerhalb von vier Monaten hatte Schwester Anja einen Beliebtheitsgrad bei den Patientinnen der Leitner-Klinik erreicht, wie selten eine vor ihr. Daß sie eine Frau Martin war und einen siebenjährigen Sohn hatte, wußten nur wenige.

Anja war seit einem Jahr geschieden, aber von einem Eheleben mit Rainer Martin hatte sie schon drei Jahre davor nicht sprechen können. Sie verlor kein Wort darüber, aber sie war aller Illusionen beraubt worden. Sie hatte diese riesengroße Enttäuschung überwunden und war froh, daß ihr Sohn Dominik, den sie liebevoll Nikki nannte, den Vater nicht vermißte. Ganz das Gegenteil war der Fall, denn Nikki sagte öfter, daß sie allein sehr gut zurechtkämen.

Ganz allein waren sie ja nicht. Ein bißchen Glück hatte Anja schon gehabt, daß ihre Freundin Melanie Nickel eine echte Freundin war, daß sie ein Haus besaß und darin auch einen sehr gut gehenden Frisiersalon. Melanie war Nikkis Patin, und für sie war das auch eine Pflicht, die sie mit Freude erfüllte. Anja hatte eine hübsche Zweizimmerwohnung für sich und Nikki, und der Junge konnte im Geschäft sein, wenn er aus der Schule kam.

Fee Norden war Kundin bei Melanie, und durch sie war Anja zu der Stellung bei Dr. Leitner gekommen. Es war ein Glücksfall, da die Leitner-Klinik so nahe lag, daß Anja zu Fuß dorthin gehen konnte, und sie verlor nicht noch zusätzliche Zeit mit der Herumfahrerei. Allerdings hatte sie sich an großen Kliniken auch vergeblich beworben. Dort nahm man ungern eine Mutter, die ein Kind zu versorgen hatte, wenn noch andere Bewerberinnen vorhanden waren.

Bei Dr. Leitner fand Anja nicht nur eine gute Atmosphäre vor, er hatte auch viel menschliches Verständnis, gerade weil sie für ihr Kind sorgen mußte, denn von Rainer Martin bekam sie schon lange keinen müden Euro mehr. Sie wußte nicht einmal, wo er geblieben war, sie wußte nur, daß er nach vielen kurzen Affären eine ganz heiße mit der Schauspielerin Liane Casella hatte. Ob das deren richtiger Name war, wußte sie aber nicht und hatte sich dafür auch nicht interessiert. Anja hatte einen Schlußstrich unter diesen unrühmlichen Abschnitt ihres Lebens gezogen. Sie war zur Einsicht gekommen, daß sie sich von dem attraktiven und cleveren Rainer Martin hatte täuschen lassen. Zu jener Zeit war sie für ihn interessant gewesen, denn sie hatte ein recht hübsches Vermögen von einer verwitweten Tante geerbt. Die Warnungen ihrer Eltern hatte sie in den Wind geschlagen, jung und unerfahren, wie sie gewesen war. Sie war in so soliden Verhältnissen aufgewachsen, daß sie es nicht für möglich gehalten hätte, wie verlogen Männer sein konnten, und dann besonders der, dem sie ihr Jawort gegeben hatte.

Nun hatte sie wieder zu sich selbst gefunden, und sie blickte zuversichtlich ins Leben, und sie meisterte die Gegenwart.

Wie gut sie es mit den Patientinnen verstand; bewies Frau Rappel, die als besonders schwierig galt, und die Anja nun mit einem geradezu liebevollen Lächeln empfing, als sie ihr Krankenzimmer betrat.

Carla Rappel, Anfang Vierzig und eine sehr ansehnliche Person, sollte am nächsten Tag operiert werden. Eine Totaloperation war nötig geworden, aber sie meinte, der totalen Vergreisung entgegengehen zu müssen und nur noch eine halbe Frau zu sein. Dr. Norden hatte auf sie eingeredet, bis sie dann tatsächlich in die Klinik gegangen war. Dr. Leitner redete jetzt noch mit Engelszungen, aber es sollte Anja vorbehalten bleiben, ihr den rechten Mut zu machen.

»Sie werden sehen, daß es Ihnen bedeutend bessergeht nach der Operation, Frau Rappel«, sagte sie aufmunternd.

»Und wenn nun mein Karli nach jüngeren und hübscheren Frauen Ausschau hält?« jammerte Carla Rappel.

Anja hatte Karl Rappel kennengelernt. Ein untersetzter gemütlicher Mann, schon recht phlegmatisch und gewiß nicht der Typ, der sich noch nach jungen Mädchen umdrehte.

»Ihr Mann will doch nur, daß Sie bald wieder zu Hause sind«, sagte Anja fast beschwörend. »Und Kinder wollen Sie doch wohl nicht mehr haben.« Das war das Stichwort. »Gott bewahre«, erwiderte Frau Rappel. »Ich habe doch drei, und Ulla ist schon verheiratet. Vielleicht werde ich bald Oma.«

»Und können sich an Enkeln freuen, ohne daß Sie sich mit Schmerzen herumplagen müssen.«

»Aber wenn es nun Krebs ist?« fragte Frau Rappel kleinlaut.

»Es ist kein Krebs«, sagte Anja mit großer Überzeugungskraft, »und je weniger Sie so was denken, um so schneller werden Sie genesen.«

Frau Rappel tätschelte ihre Hand. »Daß Sie keinen Mann gefunden haben, das kann ich gar nicht begreifen«, sagte sie.

»Ich hatte einen, aber es war der falsche«, erwiderte Anja. »Sie können froh sein, daß Sie Ihren Karli haben.«

Ganz still und nachdenklich blickte Carla Rappel die Jüngere an. »Und Sie denken nicht daran, es noch einmal zu versuchen?« fragte sie.

»Nein, das erspare ich mir lieber«, erwiderte Anja. Und dann mußte sie weiter, denn sie hatte sich ja lange genug bei Frau Rappel aufgehalten.

*

Dr. Leitner war im Kreißsaal. Dort sah eine junge Frau ihrer ersten Geburt entgegen. Sie hatte starke Wehen und stöhnte laut.

»Entspannen Sie sich, atmen Sie tief durch, mit den Wehen gehen und nicht dagegen an.«

Er war ein guter Arzt. Er konnte beruhigen und aufmuntern, er konnte trösten und manchmal auch streng sein, wenn es angebracht war, und auch damit hatte er oft Erfolg gehabt.

In diesem Fall war es, daß der werdende Vater fast noch aufgeregter war als seine Frau, und so sehr es Dr. Leitner sonst auch befürwortete, daß die Ehemänner bei der Entbindung dabei waren, ihn hatte er hinauskomplimentiert, und dann wurde auch die werdende Mutter ansprechbar.

»Er ist ja ein guter Kerl, der Luggi, aber er kann einen schon nervös machen, Herr Doktor«, sagte sie in einer Verschnaufpause. »Wenn die Männer Kinder kriegen müßten, würde die Menschheit bald aussterben, meine ich.«

»Womit Sie recht haben könnten«, gab Dr. Leitner lächelnd zu.

Es ging dann eigentlich doch recht gut, und eine Stunde später konnte sich auch der junge Vater an dem Anblick eines kräftigen Sohnes erfreuen.

Der Vormittag verlief recht ruhig. Gegen zwölf Uhr kam ein Anruf. Den nahm die Oberschwester Hanna entgegen. »Sie kommt jetzt schon«, sagte sie zu Dr. Leitner.

»Wer?« fragte er, weil Hannas Tonfall so abweisend klang.

»Frau Leonhard, sie hätte starke Wehen, hat das Hausmädchen gesagt.«

Dr. Leitners Stirn legte sich in Falten. »Eine Frühgeburt? Sie war schon zwei Monate nicht zur Kontrolluntersuchung.«

»Sie wird mal wieder auf Reisen gewesen sein«, sagte Schwester Hanna spöttisch.

Anja wußte nicht, um wen es ging. Sie lernte die Patientinnen meist erst dann kennen, wenn sie stationär behandelt werden mußten.

Sie erfuhr, daß es sich um Liane Leonhard, die Frau des großen Möbelfabrikanten, handelte. Der Name Liane weckte unliebsame Erinnerungen in ihr, aber sie war dann wie versteinert, als Frau Leonhard gebracht wurde. Es handelte sich um jene Liane, die sie als Liane Casella kennengelernt hatte, und von der sie behandelt worden war, als wäre sie Rainer Martins Dienstmädchen.

Liane Leonhard, in einen kostbaren Luchspelz gehüllt, hatte kein Auge für die Schwestern. »Ich leide«, stöhnte sie, »und Sie stehen herum! Wo ist Dr. Leitner? Warum ist mein Mann noch nicht hier?«

Dr. Leitner kam.

Liane Leonhard wurde in ein Einzelzimmer gebracht, aber dann gleich in den Kreißsaal, und nachdem Dr. Leitner sie untersucht hatte, ordnete er an, daß der Operationssaal bereitgehalten werden solle.

Um all dies brauchte sich Anja nicht zu kümmern. Sie wurde um zwei Uhr abgelöst, und bis dahin war Herr Leonhard noch nicht gekommen. Sie hörte Liane im höchsten Diskant schreien, aber diese Stimme kannte sie und hätte sie niemals vergessen, und während sie heimging, bewegte sie nur der Gedanke, wieso Liane mit dem Möbelfabrikanten Leonhard verheiratet war, da sie damals doch alle List und Tücken angewendet hatte, um die Scheidung zu erreichen, die Rainer ja gar nicht gewollt hatte, weil er Anja ihren Anteil gar nicht auszahlen konnte, er hatte ihr ganzes Geld schon verjubelt.

Anja mußte sich zusammennehmen, als Nikki ihr entgegengelaufen kam.

»Gropi hat geschrieben, Mami!« rief er. »Melli hat gesagt, daß der Brief von Gropi ist.«

Die Schrift konnte er noch nicht lesen, aber Anja erkannte sie natürlich als die ihres Vaters, der sich nach dem Tod seiner zweiten Frau in die Abgeschiedenheit seiner Allgäuer Heimat zurückgezogen hatte.

Ja, auch zwischen ihrem Vater und ihr war es zu Differenzen gekommen, als sie Rainer geheiratet hatte, und mit ihrer Stiefmutter hatte sie sich nie sonderlich gut verstanden. Anja hatte manchmal überlegt, ob das nicht auch ein Grund gewesen war, so schnell wie möglich das Elternhaus zu verlassen. Schließlich hatte es die Stiefmutter verhindert, daß sie das Abitur machen und studieren konnte, so daß sie Krankenschwester geworden war anstatt Ärztin. Und dann, als die Stiefmutter kränkelte, hatte sie verlangt, daß Anja sie pflegen solle, aber das hatte sie dann verweigert. Durch die Erbschaft von Tante Elise war sie dann unabhängig geworden. Glück hatte ihr diese Erbschaft jedoch nicht gebracht, obgleich sie sich damals so glücklich wähnte, daß Rainer Martin sie heiraten wollte.

Wie hatte er doch getönt, wie hatte er sich ins beste Licht zu setzen vermocht, und sie war blindlings darauf hereingefallen.

»Warum bist du so still, Mami?« fragte Nikki.

»Ich bin gespannt, was Gropi schreibt«, lenkte sie ab.

»Brauchst ja nur den Brief aufmachen«, sagte Nikki.

»Das machen wir zu Hause. Ich hatte heute viel zu tun, Nikki.«

»Bist auch ganz blaß, aber Poldi hat ein gutes Essen mitgebracht.«

»Poldi ist da?« fragte sie überrascht.

Leopold Ulrich war Melanies langjähriger Freund, aber zu einer Lebensgemeinschaft hatten sie sich beide noch nicht aufraffen können. Poldi war Pilot, und Melanie fragte sich, was sie mit einem Mann solle, der dauernd unterwegs wäre. Da war es ihr schon lieber, er kam freiwillig auf den Zwischenstationen seines unruhevollen Lebens, und ob er ihr treu wäre, könne sie ja auch nicht kontrollieren, meinte sie.

Anja war zwar nicht überzeugt, daß Poldi treu wie Gold war, denn dazu war sie schon zu mißtrauisch geworden, aber daß er Melanie liebte, hatte er schon bewiesen. Leicht hatte er es mit ihr nämlich auch nicht.

Anja war recht froh, daß es an diesem Tag lebhaft zuging und sie schnell auf andere Gedanken gebracht wurde. Poldi begrüßte sie herzlich, drückte ihr einen Kuß auf die Wange, und er hatte einen Tisch mit Köstlichkeiten aus der Schweiz gedeckt.

Melanie hatte auch Zeit, denn es war Montag, da hatte sie das Geschäft geschlossen.

Als Schönheit konnte man Melanie nicht bezeichnen, aber sie war so ungewöhnlich apart, daß mancher den Atem anhielt, der sie zum erstenmal sah.

Sie war groß und schlank, fast so groß wie Poldi, der recht gewichtig war. Sie hatte blauschwarzes Haar, und tatsächlich war das ihre Naturfarbe, sie hatte schrägstehende Samtaugen, die ihr ein exotisches Flair verliehen, und Melanie hatte schon anzüglich gemeint, daß unter ihren Vorfahren wohl ein Indio gewesen sein müsse. Sie hatte einen umwerfenden Charme, war eine tüchtige Geschäftsfrau, dazu eine Meisterin ihres Fachs, das ihr schon viele Preise eingebracht hatte. Sie hätte sich jetzt tatsächlich zur Ruhe setzen können, aber sie liebte ihren Beruf, ihre Kundinnen, wenigstens die meisten, die anderen schob sie der Susi oder Lissy zu, die auch schon lange ihre Mitarbeiterinnen waren. Aber Massenbetrieb gab es bei ihr nicht.

Vorerst kam Anja wieder nicht dazu, den Brief ihres Vaters zu lesen, und Nikki war durch das gute Essen so abgelenkt, daß er auch nicht fragte. Es ging vergnügt zu. Poldi war bestens gelaunt, aber Anja hatte ihn auch noch nicht anders kennengelernt. Er war eine Frohnatur und konnte andere mit seinem tiefen Lachen anstecken.

Nikkis Augen hingen geradezu schwärmerisch an ihm, aber wie konnte er erst strahlen, als Poldi vorschlug, in den Tierpark zu fahren. Melanie war gleich damit einverstanden.

»Ich würde gern mitkommen, aber ich habe heute noch Nachtdienst«, sagte Anja, »tut mir wirklich leid.«

»Oh, bitte, Mami, ich möchte so gern mit«, flehte Nikki, der sonst wirklich bescheiden war.

»Du darfst ja mit, Nikki«, sagte Melanie. »Anja tut es gut, wenn sie mal ausruhen kann.«

Ihre Stimme klang besorgt, und dann sagte Poldi auch noch, daß Anja sehr blaß sei.

Sie wollte nicht sagen, was sie bewegte, und als sie dann allein war und den Brief ihres Vaters las, war sie froh, daß Nikki nicht dabei war. Es war mal wieder die Duplizität der Ereignisse, die an diesem Tag zusammentraf. Ihr Vater schrieb, daß er Rainer getroffen hätte mit einer sehr eleganten Frau und einem teuren Wagen.

Er hat mich übersehen, aber Du solltest nun doch mal daran gehen, zu deinem Recht zu kommen, Anja, schrieb ihr Vater, vor allem Nikkis wegen. Ich sehe nicht ein, daß Dir alles gestohlen wurde und es ihm jetzt anscheinend mehr als gutgeht. Für mich ist es arg, daß ich Dir nicht helfen kann, aber ich habe ja auch allzuviel Lehrgeld zahlen müssen. Ich bin schon dankbar, daß Du Deinem alten Vater verzeihst, daß er Dir eine Stiefmutter gab, die ja auch alles tat, um mich ärmer zu machen. Ich kann nur dankbar sein, daß mir nun wenigstens die Rente bleibt, von der ich leben kann. Ich würde mich dennoch sehr freuen, wenn Du und Nikki mich wieder mal besuchen würdet, denn so viel ist schon noch da, daß Ihr auch satt werdet. Und wenn ich meine Augen schließe, wirst Du wenigstens meine Lebensversicherung bekommen. Ja, am Ende eines Lebens sieht man ein, was man falsch gemacht hat, meine liebe Anja, aber Dir wünsche ich doch, daß Du ein wahres Glück mit einem anständigen Mann finden wirst, ich bete dafür und umarme Euch beide, Euer Gropi, der sich immer wieder freut, daß Nikki diesen Namen für ihn gefunden hat.

Anja lehnte sich zurück. Rainer hatte also eine andere gefunden, und Liane hatte einen reichen Mann geheiratet. Bäumchen wechsle dich, dachte sie dann sarkastisch. Und der arme, alte Papa machte sich Gedanken. Dabei war er doch noch gar nicht so alt, daß er so wunderlich wurde. Vielleicht zählten die Jahre mit der flotten Irene doppelt, die es ja verstanden hatte, ihre Vorteile auszunutzen. Anja hatte noch nicht vergessen, welche Abneigung sie gleich gegen diese Frau empfunden hatte, als sie ihr als »Mutter« präsentiert worden war.

Nikki kriegt keinen Stiefvater, sagte sie jetzt laut vor sich hin, und dann streckte sie sich im Bett aus, schaltete ab und schlief ein.

Sie hatte es durch autogenes Training gelernt, völlig abschalten zu können. Sie hatte das gebraucht, weil es ihr viel mehr unter die Haut gegangen war, was Rainer ihr angetan hatte, als sie zugeben wollte.

Sie dachte nichts mehr und träumte auch nicht. Jedenfalls merkte sie es nicht, falls sie tatsächlich träumte. Sie wachte erst auf, als die kleine Gesellschaft mit großem Hallo heimkehrte.

Da konnte Nikki erzählen. Seine Augen lachten, seine Wangen glühten, und es herrschte eine ganz fröhliche Stimmung.

»Poldi hat zu Melli gesagt, daß er gern einen Sohn wie mich haben würde«, erklärte er seiner Mami ganz unbefangen, »und da hat sie gesagt, daß er doch dich heiraten könnte.«

»Ach was«, sagte Anja verlegen, »sie machen doch Spaß.«

»Aber so einen Papi wie Poldi hätte ich sehr gern«, sagte Nikki.

»Du hast oft gesagt, daß wir gut allein zurechtkommen, Nikki«, erinnerte sie ihn.

»Sind wir ja auch, und eigentlich ist Poldi ja auch viel zu selten da. Das sagt Melli auch, sonst würde sie ihn wohl sicher heiraten, meinst du nicht?«

»Ich finde, daß sie sehr gut zueinander passen«, erklärte Anja.

»Rede du mal mit Melli. Poldi meint nämlich, daß er ja auch nicht verlangen würde, daß sie gleich ihren Beruf aufgibt. Und er will auch nicht abhängig sein. Was bedeutet das eigentlich, Mami, abhängig?«

»Wenn ein Mann vom Geld seiner Frau lebt.«

»Ein richtiger Mann macht das doch nicht«, sagte Nikki.

»Ein richtiger Mann macht das nicht«, bestätigte Anja.

»Und was hat eigentlich Gropi geschrieben?« fragte Nikki nach einer kleinen Pause.

»Daß wir ihn besuchen sollen und er sehr glücklich ist, daß du ihn Gropi nennst.«

»Großpapa wär mir zu lang gewesen, und Opa sagen die meisten. Ich mag ihn gern, Mami, den Gropi. Besuchen wir ihn?«

»Sobald ich ein Wochenende frei habe.«

»Versprochen?«

»Ja, fest versprochen, Nikki.«

Er legte seine Arme um ihren Hals und schmiegte sich an sie. »Du bist die liebste und beste Mami«, flüsterte er. »Und ich will nie wieder, daß ein Mann böse zu dir ist.«