Ein Tag voller Tränen - Patricia Vandenberg - E-Book

Ein Tag voller Tränen E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Fee Norden holte ihre Tochter Anneka vom Kindergarten ab. Diesmal aber schien Anneka sich weitaus schwerer zu trennen als sonst. Sie spielte mit einem Jungen Ball. »Kommst du jetzt, Anneka, wir müssen uns beeilen«, rief Fee. Anneka fasste den Jungen an der Hand. »Das ist meine Mami, Christian«, sagte sie. »Ich habe auch einen kleinen Bruder, der Christian heißt, aber wir sagen nur Jan zu ihm. Er kann auch noch nicht laufen. Er ist noch ein Baby und ein Zwilling. Komm mit, du kannst uns bestimmt bald besuchen. Meine Mami ist sehr lieb.« Und so lernte Fee Norden den kleinen Christian Stenberg kennen, einen dunkelhaarigen kleinen Jungen mit pfiffigem Gesicht. »Das ist Christian, Mami«, erklärte Anneka. »Er ist heute zum ersten Mal hier, aber wir haben uns gleich angefreundet. Darf er uns mal besuchen?« »Aber sicher«, erwiderte Fee. »Da kommt meine Mami auch schon«, sagte Christian leise. Eine junge Frau im grünen Trachtenkostüm stieg aus einem Volkswagen. Lockiges Haar umgab ein schmales Gesicht, das ungeschminkt sehr anziehend auf Fee wirkte. »Hat es dir gefallen, Chris?«, fragte sie, als der Junge sie stürmisch umarmte. »Mit Anneka kann man fein spielen, Mami«, rief er aus. »Die anderen Kinder tun noch fremd mit mir.« »Ich bin Anneka, und das ist meine Mami«, erklärte Anneka. »Und Christian ist ein lieber Junge. Ich mag es nicht, wenn Buben einen bloß ärgern.« »Ich bin Fee Norden. Unsere Kinder haben sich schnell angefreundet«, sagte Fee in ihrer verbindlichen Art. »Sie sind erst neu zugezogen?« »Wir haben die Pension Blume übernommen. Ich habe sie von meiner Patin geerbt. Heidi Stenberg

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Dr. Norden Bestseller – 222 –

Ein Tag voller Tränen

Patricia Vandenberg

Fee Norden holte ihre Tochter Anneka vom Kindergarten ab. Diesmal aber schien Anneka sich weitaus schwerer zu trennen als sonst. Sie spielte mit einem Jungen Ball.

»Kommst du jetzt, Anneka, wir müssen uns beeilen«, rief Fee.

Anneka fasste den Jungen an der Hand. »Das ist meine Mami, Christian«, sagte sie. »Ich habe auch einen kleinen Bruder, der Christian heißt, aber wir sagen nur Jan zu ihm. Er kann auch noch nicht laufen. Er ist noch ein Baby und ein Zwilling. Komm mit, du kannst uns bestimmt bald besuchen. Meine Mami ist sehr lieb.«

Und so lernte Fee Norden den kleinen Christian Stenberg kennen, einen dunkelhaarigen kleinen Jungen mit pfiffigem Gesicht.

»Das ist Christian, Mami«, erklärte Anneka. »Er ist heute zum ersten Mal hier, aber wir haben uns gleich angefreundet. Darf er uns mal besuchen?«

»Aber sicher«, erwiderte Fee.

»Da kommt meine Mami auch schon«, sagte Christian leise.

Eine junge Frau im grünen Trachtenkostüm stieg aus einem Volkswagen. Lockiges Haar umgab ein schmales Gesicht, das ungeschminkt sehr anziehend auf Fee wirkte.

»Hat es dir gefallen, Chris?«, fragte sie, als der Junge sie stürmisch umarmte.

»Mit Anneka kann man fein spielen, Mami«, rief er aus. »Die anderen Kinder tun noch fremd mit mir.«

»Ich bin Anneka, und das ist meine Mami«, erklärte Anneka. »Und Christian ist ein lieber Junge. Ich mag es nicht, wenn Buben einen bloß ärgern.«

»Ich bin Fee Norden. Unsere Kinder haben sich schnell angefreundet«, sagte Fee in ihrer verbindlichen Art. »Sie sind erst neu zugezogen?«

»Wir haben die Pension Blume übernommen. Ich habe sie von meiner Patin geerbt. Heidi Stenberg ist mein Name«, sagte die junge Frau stockend.

Fees Gesicht überschattete sich. »Wir kannten Frau Blume gut«, meinte sie leise. »Sie war lange Jahre Patientin meines Mannes. Leider war ihr nicht zu helfen, Frau Stenberg.«

Heidi Stenberg nickte. »Tante Maria hat es mir oft geschrieben«, sagte sie leise. »Wenn Dr. Norden mir nicht helfen kann, kann mir niemand helfen. Aber wenn ihr dann das übernehmt, was mir so viel bedeutet hat, und wenn ihr mal einen Arzt braucht, dann wendet ihr euch an ihn. Und nun habe ich Sie schon kennengelernt, bevor wir einen Arzt brauchen, Frau Dr. Norden.«

»Und ich wünsche Ihnen, dass Sie lange keinen brauchen, aber Christian kann wirklich gern zu uns kommen.«

»Ich hab’s ihm schon gesagt«, warf Anneka ein. »Wir haben nämlich viele Kinder. Da kommt es auf eins mehr oder weniger nicht an, sagt Mami immer.«

Ein weiches Lächeln glitt über Heidi Stenbergs Gesicht. »Es ist schön, wenn man so etwas hört«, sagte sie.

»Gell, jetzt freuen wir uns, dass es hier liebe Menschen gibt, Mami?« Fragend sah Christian zu seiner Mutter.

»Es ist wirklich eine große Freude«, sagte Heidi. »Ich danke Ihnen vielmals, Frau Dr. Norden, und dir auch, Anneka. Christian wollte nämlich gar nicht gern in den Kindergarten gehen.«

»Zuerst wollte ich auch nicht«, sagte Anneka, »aber seit heute gefällt es mir ganz gut.«

»Dann können wir Mütter ja zufrieden sein, Frau Stenberg«, meinte Fee. »Wir werden uns sicher öfter sehen.«

»Tschüs, Christian«, verabschiedete sich Anneka.

»Wiedersehn, Anneka«, erwiderte er.

»Gell, er ist lieb, Mami«, sagte Anneka.

Das war der Anfang einer Bekanntschaft, die bald dramatische Formen annehmen sollte, doch das wussten alle Beteiligten zum Glück noch nicht.

*

Für Andreas Stenberg war es kein leichter Entschluss gewesen, nach München zurückzukehren, wenn es auch nahezu ein Geschenk des Himmels gewesen war, dass Heidi die sehr angesehene Familienpension ihrer Patentante geerbt hatte, da er gelernter Hotelkaufmann war, aber noch lange nicht so viel verdient hatte, um sich selbstständig zu machen. Und das war von eh und je sein Wunsch gewesen.

Heidi wusste um seine Bedenken, um sein Zögern. Da gab es nämlich noch einen Michael Stenberg, den um drei Jahre älteren Bruder von Andreas, der in eine reiche Familie eingeheiratet hatte und seither von seiner minderbemittelten Verwandtschaft nichts mehr wissen wollte. Und der lebte auch in München, wenn auch am anderen Ende der Stadt, im Prominentenviertel Geiselgasteig. Und auch diese Stenbergs hatten einen Sohn, der Christian hieß, wovon Andreas und Heidi allerdings ebenso wenig wussten, wie Michael und Denise Stenberg.

Denise wusste nicht einmal, dass der jüngere Bruder ihres Mannes verheiratet war. Über Andreas wurde in ihrem Haus nicht gesprochen. Michael hatte ihn als einen Versager bezeichnet, und er selbst war eben ein Karrieremann.

Zum Glück dieser Ehe trug das nicht bei. Die überaus zarte und empfindsame Denise litt darunter, dass ihrem Mann die Geschäfte wichtiger waren als das Familienleben. Aber ihrem Vater war der so tüchtige Schwiegersohn ganz nach seinem Geschmack. Und seiner Ansicht nach brauchte seine Tochter solch einen starken Mann, in dessen Händen er sein Lebenswerk bestens aufgehoben wusste, wenn er einmal abtreten musste. Und da war auch der kleine Christian, so zart und anfällig wie seine Mutter, und sie wussten alle nicht, wie ähnlich er äußerlich seinem Cousin war. Sie wussten nicht, dass es zwei Christian Stenbergs gab, und dass dies eines Tages zu einem Verhängnis werden würde.

*

Michael Stenberg kam nach Hause und war in Eile wie immer. »Ich habe heute Abend noch eine wichtige Verabredung«, sagte er. »Du solltest dabeisein, Denise.«

»Christian hat Fieber«, sagte sie, »ich möchte bei ihm bleiben.«

»Mein Gott, wann fehlt dem Jungen mal nichts. Du verhätschelst ihn zu sehr. Er muss abgehärtet werden.«

»Mehr weißt du nicht zu sagen«, begehrte sie auf.

»Wenn wir mehr Kinder hätten, würdest du dich nicht so auf Christian konzentrieren«, sagte Michael.

»Ich würde mich um zwei oder drei Kinder genauso sorgen, wie um ihn«, erwiderte Denise.

»Und noch weniger Zeit für deinen Mann haben«, konterte er.

Ein Zucken lief über ihr Gesicht, aber sie sagte nichts. Was war in letzter Zeit eigentlich los, dass diese Spannungen auftraten? Sie hatte es sich schon manches Mal gefragt, doch nun kam ihr der Gedanke, dass es da um eine andere Frau gehen könnte. Es war seltsam, aber es regte sie nicht einmal auf. Sie fühlte sich schon seit ein paar Tagen so müde und abgeschlagen, aber das schien Michael nicht zu bemerken.

Hat er mich eigentlich nur wegen der Firma geheiratet?, fragte sich Denise. Aber manchmal, wie vor drei Wochen, war er wieder so wie der Michael, in den sie sich so stürmisch verliebt hatte. Sie war glücklich gewesen, dass ihr Vater keine Einwände gegen eine Heirat erhob, obgleich Michael ihr gewiss nicht das bieten konnte, was sie gewohnt war, aber Martin Leuken hatte schnell erkannt, dass er da einen außerordentlich tüchtigen und ehrgeizigen Mann als Mitarbeiter gewonnen hatte.

»Ich würde gern mit Christian zu Mama nach Mittenwald fahren«, sagte Denise ganz beiläufig beim Abendessen, bei dem Michael nur ein paar Bissen aß, sozusagen als Unterlage.

»Ja, warum nicht?«, fragte er geistesabwesend.

»Würdest du uns hinbringen?«

»Natürlich. Warum bist du eigentlich so komisch, Denise? Du solltest doch wissen, dass ich meine Schwiegereltern außerordentlich schätze. Dem Jungen wird die Luftveränderung wohl gut bekommen. Nächste Woche muss ich sowieso ein paar Tage nach Wien. Du bist schon wieder so blass. Wenn dir etwas fehlt, sag es doch bitte.«

»Vielleicht steckt in mir auch eine Erkältung«, erwiderte sie.

»Dann ruf doch den Arzt an. Er kann auch gleich den Jungen anschauen.«

»Dr. Neudorf ist im Urlaub, und einen anderen Arzt mag Christian nicht«, erwiderte sie. »Kinder sind nun mal empfindlich.«

»Aber du solltest so vernünftig sein, auch mal einen anderen Arzt zu konsultieren, wenn du dich nicht wohl fühlst«, stellte Michael fest. Er stand auf. »Ich muss jetzt gehen. Ich fürchte, man wird langsam annehmen, dass in unserer Ehe etwas nicht stimmt, Denise, da du dich verkriechst.«

»Kommen die anderen Frauen denn immer mit?«, fragte sie spöttisch.

Nun wurde er leicht verlegen. »In anderen Ehen stimmt es eben oft tatsächlich nicht«, sagte er, »aber ich würde nicht mal meine Sekretärin mitnehmen. Darauf kannst du dich verlassen.«

Es tat ihr hinterher leid, dass sie so kurz angebunden gewesen war. Sie nahm sich vor, das auszugleichen, wenn sie am Wochenende zu ihrer Mutter nach Mittenwald fuhren, die diesen Zweitwohnsitz liebte und immer dort weilte, wenn ihr Mann geschäftlich im Ausland war. Ihm machte das Reisen Spaß, seine Frau Renate hasste das Fliegen, und sie erklärte zu dem auch frank und frei, dass es in ihrer Ehe sicher manche Karambolage geben würde, wenn sie ständig beisammen wären. Früher hatte Denise das nie so recht verstanden, aber jetzt machte sie sich ähnliche Gedanken über ihre eigene Ehe.

*

Bei den anderen Stenbergs ging es ganz anders zu. Man saß gemütlich beim Abendessen. Christian, Kiki, wie er von seinen Eltern genannt wurde, wenn sie allein waren, denn es war sein Wunsch, dass Fremde diesen Kosenamen nicht hörten, hatte mit seinem heißgeliebten Papi Fernsehen anschauen dürfen, da eine Übertragung von der Olympiade war. Es war nicht etwa so, dass Kiki seine Mami weniger liebte, aber über Sport ließ sie nicht mit sich reden. Es war schon das Höchste der Gefühle, wenn sie mal beim Eiskunstlaufen zuschaute, aber da ärgerte sie sich dann auch oft über die Bewertungen.

»Wir haben eine Goldmedaille gewonnen, Mami, freust du dich gar nicht?«, fragte Kiki.

»Warum soll ich mich freuen? Ich bin froh, wenn hier alles endlich in Ordnung ist, damit wir Gäste aufnehmen können und Geld verdienen«, sagte Heidi.

»Ist das ein Vorwurf, weil ich ab und zu mal in die Röhre gucke, Schätzchen?«, fragte Andreas Stenberg.

»Blödsinn, ich ärgere mich nur, wie langsam die Handwerker sind und wenn ich dann die Abrechnungen anschaue. Aber du hast dich genug abgerackert, Andy. Ich nähe jetzt noch Gardinen, dabei kannst du mir eh nicht helfen. Bring Kiki zu Bett.«

»Darf ich nicht Eishockey anschauen, Papi?«, fragte der Junge.

»Es wird zu spät, Kiki. Fernsehen oder Kindergarten, was ist dir lieber?«

»Der Kindergarten. Anneka ist so lieb, da macht es richtig Spaß. Stell dir vor, sie hat vier Geschwister, sogar kleine Zwillinge. Kriege ich auch noch Geschwister, Papi?«

»Freuen würden wir uns schon, aber es geht nicht immer so, wie man es möchte, mein Sohn. Wir sind sehr froh, dass wir dich haben.«

»Und nun so ein schönes Haus, auch wenn dann andere Leute mit darin wohnen. Ist das wie ein Hotel, Papi? Ich weiß nicht, wie ich es Anneka erklären soll. Ihr Papi ist nämlich Arzt und hat seine Praxis woanders, damit sie zu Hause nicht gestört werden.«

»Und wir werden hinten im Garten ein Haus für uns allein bauen, wenn wir erst mal schnaufen können«, sagte Andreas.

»Kannst nicht mehr schnaufen, Papi?«, fragte Kiki besorgt.

»Man braucht zu allem Geld, das wirst du schon noch begreifen lernen. Aber wir werden es bald schaffen. Du hast ja eine tüchtige Mutter.«

»Und einen ganz tollen Papi«, sagte Kiki. »Jetzt gehe ich schlafen.«

Natürlich musste Heidi ihm auch noch einen Gutenachtkuss geben, und dann setzte sie sich noch zu ihrem Mann.

Es musste einiges mit der Hand genäht werden, und dabei konnte sie ihm Gesellschaft leisten.

»Schön wird es hier werden, Andy«, sagte sie. »Wir können endlich für uns schaffen, nicht für andere. Freut es dich nicht?«

»Alles Gute kommt von dir, Heidi«, sagte er leise. »Ohne dich hätte ich es nie geschafft.«

»Sag das doch nicht. Du hättest Hanni heiraten und dich ins gemachte Nest setzen können, aber nein, du musstest ja ein Auge auf die Hotelsekretärin werfen, anstatt auf die Tochter des Hauses.«

»Zwei Augen, mein Herzensschatz«, sagte er, »und ich werde es niemals bereuen. Erinnere mich bloß nicht mehr an diesen Drachen.«

Obgleich jetzt wieder ein Tor fiel, war es ihm lieber, dass Heidi ihn umarmte.

»Ich bin ja froh, dass du dich für mich entschieden hast, Butzibärle«, sagte sie. »Wir werden es schon schaffen.«

Sie waren verliebt wie am Anfang ihres Kennenlernens, aber es war auch wirkliche Liebe und der Wille, durch dick und dünn miteinander zu gehen.

»Mich wundert’s nicht, dass Kiki sich so gut mit der Anneka versteht«, sagte Heidi später. »Das ist ein süßes Ding. So eine Tochter möchte ich auch noch haben. Und Frau Dr. Norden, na, da hält man einfach die Luft an, so eine Frau ist das. Und gar nicht eingebildet. Du wirst sie auch noch kennenlernen, Andy.«

Und wie er Fee Norden kennenlernen sollte! Aber es sollte noch zwei Wochen bis dahin vergehen.

Und ein Ereignis sollte eintreten, das von weittragender Bedeutung war.

*

Denise Stenberg wurde am kommenden Morgen mit einem sehr nervösen Ehemann konfrontiert.

»Schlechte Laune?«, fragte sie leichthin, von sich aus jedoch bereit, versöhnlich zu sein.

»Sei froh, dass du gestern Abend zu Hause geblieben bist«, erwiderte er. »Ein paar Geschäftspartner hat dein Vater, mit denen ich wirklich nichts anzufangen weiß.«

»Inwiefern nicht?«, fragte sie.

»Mir zu schleimig und undurchsichtig, aber Papachen ist ja nicht zu erreichen. Ich weiß nicht, was da los ist, Isi. Weißt du es?«

»Ich? Von Papas Geschäften erfahre ich doch so wenig wie von deinen.«

»Dafür hast du ja auch nie Interesse gezeigt. Und Mama auch nicht.«

»Mama steht über den Dingen, ich nicht, Michael. Ich möchte gern ein ganz normales Familienleben haben, und wenn ich auch nichts von Geschäften verstehe, so würde ich doch gern an deinen Sorgen teilnehmen.«

»Sorgen habe ich nicht, mir gefallen nur diese merkwürdigen Leute nicht, die mit uns ein Millionengeschäft abschließen wollen. Aber ich schließe es nicht ab, wenn dein Vater nicht sein Ja und Amen gibt, auch wenn ich dann von ihm eins auf den Deckel kriege.«

»Worum geht es?«, fragte Denise.

»Um Steuerhinterziehung, um eine ganz gewaltige sogar.«

»Damit kann Papa doch nicht einverstanden sein«, sagte sie.

»Anscheinend doch, obgleich ich es mir schwer vorstellen kann. Aber reden wir nicht mehr davon. Wir fahren zu Mama. Vielleicht hat sie direkte Verbindung zu Papa und kann ihn veranlassen zurückzukommen.«

Denise war sehr nachdenklich geworden. Und nun kam Christian. »Fahren wir zu Omi?«, fragte er, ohne seinen Vater eines Blickes zu würdigen.

»Bekomme ich keinen Morgengruß?«, fragte Michael rau.

»Du hast mir gestern auch nicht gute Nacht gewünscht«, erwiderte Christian trotzig.

»Das tut mir leid, ich dachte, du schläfst schon, Chris«, sagte Michael.

»Reinschauen kannst du wenigstens«, meinte der Kleine. »Fahren wir jetzt zu Omi?«

»Ja, wir fahren«, erwiderte Michael. »Ich muss nur noch telefonieren.«

»Wie immer«, murmelte Christian.

»Such jetzt das Spielzeug zusammen, das du mitnehmen willst«, sagte Denise zu dem Jungen.

»Omi hat genug«, bekam sie zur Antwort. »Oder bleiben wir länger?«

»Vielleicht«, erwiderte sie zögernd.

Sein Gesichtchen hellte sich auf. »Das wäre prima«, sagte er.

Denise ging zu ihrem Mann, aber er telefonierte noch. »Das verstehe ich einfach nicht. Er kann doch nicht einfach verschwunden sein«, hörte sie ihn sagen. »Ich muss ihn unbedingt sprechen. Suchen Sie ihn, Gerring. Sagen Sie ihm, dass ich nicht für dieses Geschäft allein verantwortlich zeichne.«

Denise befand sich in einem Zwiespalt. Sie hatte plötzlich Angst, aber auch davor, dass Michael wieder sagen könne, sie solle sich da nicht einmischen, weil sie ohnehin nichts verstehe.

Aber dann stand Christian schon wieder an der Treppe. »Telefoniert Papa immer noch?«, fragte er. »Ich bin fertig.«

Nun kam Michael heraus. »Ich muss schleunigst mit Mama sprechen«, sagte er. »Fahren wir.«

»Ist doch etwas mit Papa?«, fragte sie leise.

»Ich begreife nicht, dass er sich nicht meldet. Gerring hat auch noch keine Nachricht aus Denver.«

»Wieso ist er in Denver?«

»Das weiß ich auch nicht.«

Er macht sich Sorgen, dachte Denise, aber sie wollte sich solche ausreden.

»Papa hat seinen eigenen Dickschädel«, sagte sie. »Vielleicht macht er wieder einmal einen kleinen Ausflug auf eine Südseeinsel.«

Michael äußerte sich nicht dazu. Er wusste, dass sein Schwiegervater die Abwechslung liebte und auch einem kleinen Seitensprung nicht abhold war, mit aller Diskretion natürlich, und Renate Leuken ahnte es wohl, ohne dies zu dramatisieren.

Sie brauchten nicht lange bis Mittenwald, die Straßen waren frei, der Wochenendverkehr hatte auch noch nicht eingesetzt. Der Fasching neigte sich dem Ende zu, und da wurden wohl lieber Feste gefeiert, als sich bei Tauwetter auf eine Skipiste zu begeben.

Mittenwald lag allerdings noch in tiefstem Schnee und bot einen zauberhaften Anblick.

»Ich kann verstehen, dass Mama so gern hier ist«, sagte Denise leise.