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Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Angelika Hösslin und Franzi Spar hatten sich in Dr. Nordens Praxis kennengelernt, in der Franzi seit einigen Monaten als Arzthelferin ausgebildet wurde. Da war Angelika, die Gutsbesitzerstochter, gekommen, weil ein Pferd sie getreten hatte. Es war ziemlich schmerzhaft gewesen, aber ihr Vater hatte es nicht wissen sollen, weil er dann gleich gesagt hätte, daß sie sich wieder einmal dumm angestellt hätte. Bei Dr. Daniel Norden fand Angelika, die Tiere über alles liebte, mehr Verständnis. Das Verhältnis zu ihrem Vater war schon lange gestört, eigentlich schon von Kindheit an, da er einen Sohn hatte haben wollen und keinen bekommen hatte. Das wußte Franzi freilich nicht, aber Angelika hatte sie von der ersten Minute an gemocht, weil sie überhaupt nicht eingebildet war und mit ihr sprach, als gäbe es da gar keine Unterschiede. Für Angelika gab es keine, und auch deswegen mußte sie oft Vorwürfe von ihrem Vater einstecken. Dr. Norden wußte, daß Arnold Hösslin ein despotischer Mann, aber andererseits auch ein Lebemann war, und ihm tat Angelika in gewisser Weise leid, obgleich sie nicht den Eindruck machte, als würde sie sich unterjochen lassen. Diese Angelika Hösslin, knapp zweiundzwanzig Jahre jung, mußte man erst näher kennenlernen, um in ihr all die liebenswerten Eigenschaften zu entdecken, die sie besaß. Franzi war da nur ihrem Instinkt gefolgt, und für sie war Angelika einfach pfundig. Dr. Norden hatte Angelikas Fuß gut verarztet. Sie war hart im Nehmen, zumindest was körperliche Schmerzen anbetraf. Das hatte Dr. Norden schon öfter feststellen können. Aber er wußte auch, wie sensibel sie war
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Angelika Hösslin und Franzi Spar hatten sich in Dr. Nordens Praxis kennengelernt, in der Franzi seit einigen Monaten als Arzthelferin ausgebildet wurde. Da war Angelika, die Gutsbesitzerstochter, gekommen, weil ein Pferd sie getreten hatte. Es war ziemlich schmerzhaft gewesen, aber ihr Vater hatte es nicht wissen sollen, weil er dann gleich gesagt hätte, daß sie sich wieder einmal dumm angestellt hätte. Bei Dr. Daniel Norden fand Angelika, die Tiere über alles liebte, mehr Verständnis. Das Verhältnis zu ihrem Vater war schon lange gestört, eigentlich schon von Kindheit an, da er einen Sohn hatte haben wollen und keinen bekommen hatte.
Das wußte Franzi freilich nicht, aber Angelika hatte sie von der ersten Minute an gemocht, weil sie überhaupt nicht eingebildet war und mit ihr sprach, als gäbe es da gar keine Unterschiede.
Für Angelika gab es keine, und auch deswegen mußte sie oft Vorwürfe von ihrem Vater einstecken. Dr. Norden wußte, daß Arnold Hösslin ein despotischer Mann, aber andererseits auch ein Lebemann war, und ihm tat Angelika in gewisser Weise leid, obgleich sie nicht den Eindruck machte, als würde sie sich unterjochen lassen. Diese Angelika Hösslin, knapp zweiundzwanzig Jahre jung, mußte man erst näher kennenlernen, um in ihr all die liebenswerten Eigenschaften zu entdecken, die sie besaß. Franzi war da nur ihrem Instinkt gefolgt, und für sie war Angelika einfach pfundig.
Dr. Norden hatte Angelikas Fuß gut verarztet. Sie war hart im Nehmen, zumindest was körperliche Schmerzen anbetraf. Das hatte Dr. Norden schon öfter feststellen können. Aber er wußte auch, wie sensibel sie war und wie einsam innerlich in diesem feudalen Gutshaus, in dem sie ohne Mutter aufgewachsen war. Sie konnte sich jedenfalls nicht an ihre Mutter erinnern, die gestorben war, als Angelika noch keine drei Jahre alt gewesen war. Sie war vom Pferd gestürzt bei einem wilden Ritt, hatte es geheißen, aber Judith Hösslin war keine wilde Reiterin gewesen. Andere hatten gemunkelt, daß ihr Pferd erschreckt worden wäre, und noch manche anderen Gerüchte kursierten damals. Aber als Angelika erwachsen war, dachte niemand mehr soweit zurück. Über den Hösslin konnte man auch so genug klatschen.
Angelika hörte nicht viel von diesem Klatsch, und wenn doch etwas an ihre Ohren drang, zuckte sie nur die Schultern. Sie liebte das Landleben, das Minchen, das den Haushalt versorgte, und alles, was da kreuchte und fleugte auf Gut Hösslin, nur ihren Vater, den liebte sie nicht.
Dafür aber gab es seit einiger Zeit einen anderen Mann in ihrem jungen Leben, an den sie sehr viel dachte, einen jungen Mann! Der Tierarzt Dr. Florian Malten hatte sich vor vier Monaten im Nachbarort niedergelassen.
Dort traf Angelika eines Tages wieder einmal mit Franzi Spar zusammen, als sich ihr Lieblingshund Fips an der Pfote verletzt hatte. Erste Hilfe hatte Angelika schon selbst geleistet, aber da Fips sich danach in einer so desolaten Verfassung befand, wollte Angelika doch ärztlichen Rat einholen. Aber vielleicht auch deshalb, weil sie eben den jungen Tierarzt so mochte.
Franzi war mit einem jungen Kätzchen, das auch verletzt war, in der Praxis. Es war ihnen zugelaufen, und niemand hatte sich gemeldet. Da hatte Franzi das Kätzchen behalten dürfen, doch für sie war es ein großer Schmerz, daß die Verletzungen so groß waren, daß Dr. Malten das Tierchen einschläfern mußte.
Franzi war in Tränen aufgelöst, und so erkannte Angelika sie zuerst gar nicht, als sie aus dem Behandlungsraum kam.
Angelika sprang gleich so erschrocken auf, daß Fips leise aufheulte, was wiederum Dr. Malten auf den Plan rief, denn andere Patienten waren nicht da.
Aber er hörte zuerst, daß Angelika besorgt fragte: »Was ist denn passiert, Franzi?«
»Mein Pussilein ist tot«, schluchzte Franzi. »Sie war so süß, und ich hätte sie so gern behalten. Sie hätte es bei uns gut gehabt, aber irgend so ein Tierquäler hat auf sie geschossen. Es gibt so gemeine Menschen, Fräulein Hösslin.«
Angelika konnte dazu nur nicken. Sie hatte diesbezüglich schon genug bittere Erfahrungen gesammelt, nicht nur von Fremden, sondern auch von Tierhaltern selbst.
Sie sprach tröstend auf Franzi ein, und die fragte dann unter Tränen, was denn Fips fehle.
»Etwas an der Pfote, aber es ist sicher nicht so schlimm«, erwiderte Angelika, und Fips kroch schon entsagungsvoll zu Dr. Malten hin.
»Bist doch ein Guter«, sagte er, »ich tue dir nicht weh.«
»Wenn du ein Kätzchen haben darfst, bekommst du eins von mir«, sagte Angelika aufmunternd zu Franzi.
»Mutti wäre ein Hund lieber, und jetzt, wo wir einen Garten haben, könnten wir uns auch einen halten. Hunde brauchen Auslauf, das haben Sie mir doch erklärt, Fräulein Hösslin.«
»Das habe ich, und ich habe dir auch gesagt, daß du mich Angelika nennen kannst, Franzi. Wein jetzt nicht mehr. Denk, daß deine Pussi sich nicht mehr quälen brauchte. Dr. Malten hätte sie bestimmt gerettet, wenn es möglich gewesen wäre.«
Halbwegs getröstet verabschiedete sich Franzi, und Angelika ging mit Fips in den Behandlungsraum.
»Es freut mich, daß Sie so viel Vertrauen zu mir haben, gnädiges Fräulein«, sagte Dr. Malten, während er Fips auf den Tisch hob, was sich dieser auch widerstandslos gefallen ließ.
»Ich werde gleich ungnädig, wenn Sie mich so anreden«, sagte Angelika.
»Ich kann doch nicht auch gleich Angelika sagen«, meinte er lächelnd.
»Warum denn nicht? Wenigstens der Name gefällt mir.« Das war ihr so herausgerutscht, und er sah sie nachdenklich an.
»Sie kennen Franzi Spar schon länger?« fragte er ablenkend.
»Aus der Praxis von Dr. Norden. Ich lernte sie kennen, als sie gerade angefangen hatte. Ich mochte sie sofort, und es gibt wenige Menschen, von denen man das sagen kann.«
Fips jaulte leise, als Dr. Malten ihn untersuchte. »Er hat sich etwas eingetreten, das müssen wir entfernen. Aber er ist ein sehr tapferer Hund. Halten Sie ihn bitte, ich muß das Bein betäuben.«
Daß Fips sich alles von ihm gefallen ließ, war für Angelika der beste Beweis, daß man Florian Malten wirklich vertrauen konnte. Jedenfalls hätte sie ihm nicht vertraut, wenn Fips sich gegen ihn gesträubt hätte. Fips war kein Rassehund. Er war ein Mischling, und Arnold Hösslin hatte für Mischlinge nichts übrig. Er duldete Fips nur, weil er todesmutig gegen einen Fuchs gekämpft hatte, der sein Unwesen in den Hühnerställen getrieben hatte.
Für Angelika war Fips der schönste, beste und liebste Hund der Welt, und so mutig sie auch war, Dr. Malten spürte es, daß sie jetzt mehr litt als der Hund.
»Ist gleich geschehen, Angelika«, sagte er, tatsächlich ihren Vornamen nennend. Und er zog einen langen Dorn aus der Pfote. »Ja, wenn Hunde reden könnten, wüßten wir es gleich.«
»Er wollte es mir sagen. Er hat mir immer die Pfote hingehalten«, erwiderte sie. »Aber er hatte auch noch die offene Stelle, und da habe ich nicht gedacht, daß er sich auch noch etwas eingetreten haben könnte.«
Sie sah Florian Malten an, und er sah, daß ihre wunderschönen, warmen grauen Augen feucht waren. Als hübsch konnte man Angelika nicht bezeichnen, aber ihr feines Gesicht hatte edle Züge, und ihr Profil, das er nun betrachten konnte, als sie sich zu Fips beugte und ihm liebevolle Worte ins Ohr flüsterte, konnte man klassisch nennen. Aber ihm gefiel an Angelika am besten ihre Natürlichkeit und daß sie ein so empfindsamer Mensch war.
Wer die Menschen kennt, lernt die Tiere lieben, hatte einst Florians Vater gesagt, als er in den schlimmen Verdacht geriet, als Chirurg durch ein Versehen den Tod eines Patienten verursacht zu haben. Und daraufhin hatte Florian auf Tiermedizin umgesattelt, denn er liebte seinen Vater und wußte, daß er wissentlich nie etwas Falsches getan hätte. Er wurde auch in einem für ihn deprimierenden Prozeß freigesprochen von jeglicher Schuld, aber er kehrte nicht wieder als Chefarzt in die Klinik zurück. In ihm war etwas zerstört worden, auf das er einen Eid geschworen hatte. Aber er hatte ein anderes Leben begonnen, in dem er zufriedener und glücklicher geworden war. Ein Leben mit Tieren.
Das wußte Angelika noch nicht, denn Florian sprach nicht über seinen Vater. Wie denn auch. Sie kannten sich bisher nur von seinen Besuchen auf dem Gut und ihren Besuchen in seiner Praxis.
Für Angelika war Florian Malten der Mann, von dem sie träumen konnte, und träumen wollte, aber das hätte sie niemandem eingestanden.
»Fips wird bald wieder ganz fidel sein«, sagte Florian. »Sie sind mit dem Wagen da?«
Angelika nickte. »Ich möchte auch gern gleich bezahlen«, sagte sie schüchtern, »mein Vater braucht nicht zu wissen, daß ich mit Fips hier war.«
»Warum denn nicht?« fragte Florian.
»Fips ist ein Mischling, eine untergeordnete Kreatur«, erwiderte sie bitter. »So denkt er. Und wenn es nach meinem Vater geht, brauchen Sie sich keine Mühe zu geben, ein krankes Tier zu retten, Dr. Malten. Die Todesspritze verursachte weniger Kosten. Es sei denn, es handelt sich um einen Zuchthengst oder Zuchtstier.«
Dann wandte sie sich rasch ab. »Ich hätte das wohl nicht sagen sollen«, flüsterte sie bebend. »Bitte, ich möchte die Rechnung gleich begleichen.«
»Das war ein Freundschaftsdienst, Angelika«, sagte er. »Bitte, betrachten Sie es so. Ich mag Fips auch, und er mag mich.«
»Ich kann mich sonst aber nicht erkenntlich zeigen«, sagte sie, und feine Röte stieg in ihre Wangen.
»Weiß man’s?« meinte er mit einem warmen Lächeln. Er trug Fips zum Wagen, und der blinzelte ihm mit seinem pfiffigen Blick zu, als er ihn auf den Rücksitz legte.
»Du bist brav und machst Frauchen keinen Kummer mehr«, sagte Florian. Fips stellte kurz die Ohren auf, und dann schüttelte er sich leicht.
»Ich glaube, man kann richtig mit ihm reden«, sagte Florian. »Kommen Sie noch mal zu mir mit ihm, aber vielleicht haben Sie auch andere Schützlinge, die ärztliche Hilfe brauchen.«
»Ich weiß jedenfalls, wa sie bestens betreut werden«, erwiderte Angelika. »Ganz herzlichen Dank einstweilen, Dr. Malten.«
»Ich heiße Florian, Angelika«, rief er ihr nach.
*
Angelika konnte träumen, aber sie wurde jäh aus diesen Träumen gerissen, als sie den Wagen ihrer Tante Herta vor dem Gutshaus stehen sah.
Sie machte einen Umweg, um ins Haus zu kommen, durch einen Hintereingang. Davon gab es drei, und sie konnte ganz sicher sein, daß sie von niemandem verraten würde, sollte sie gesehen werden. Angelika wußte, daß sie sich auf die Angestellten verlassen konnte. Sie betrachtete diese als Freunde und war von ihnen nie enttäuscht worden.
Vor Tante Herta hatte sie keinen Respekt, nein, so konnte man es nicht nennen. Tante Herta mochte sie einfach nicht, und das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit, denn die Schwester ihres Vaters hatte immer etwas an ihr auszusetzen oder brachte einige Anzüglichkeiten an, die Widerstand in Angelika weckten. Zum Beispiel hatte sie schon mehrmals betont, daß aus ihr nie eine Dame werden und sie ein Mauerblümchen bleiben würde. Angelika ließ sie reden. Sie fand Tante Herta albern in ihrer gewollten Jugendlichkeit, aber sie äußerte sich auch darüber nicht. Zu oft hatte sie in ihrer Kindheit zu hören bekommen, daß sie nur reden solle, wenn sie gefragt würde. Sie hatte sich danach gerichtet, zumindest in ihrem Elternhaus und in Gegenwart naher Verwandter.
Die Großeltern, mit denen sie halbwegs offen hatte reden können, waren mittlerweile schon verstorben, und geblieben waren nur Tante Herta und ihre Tochter Martina, da die Ehe von Arnold Hösslins Schwester nicht glücklich verlaufen war und Manfred Kestner mit seinem Sohn Horst eines Tages das Feld geräumt hatte. Das war auch schon zehn Jahre her, und Angelika wußte nicht, warum es dazu gekommen war. Sie interessierte sich auch nicht dafür, und mit Martina verstand sie sich überhaupt nicht.
Das war bis zu diesem Tage alles, was über Angelikas Interesse an der Familie, sofern man von Interesse reden wollte, gesagt werden konnte.
Sie nahm ihren Fips in die Arme. Er war ziemlich schwer, aber er schmiegte sich an sie, als sie ihn eine recht steile und gewundene Treppe emportrug.
»Hier sind wir in Sicherheit, Fips. Hier sucht uns niemand«, sagte sie, als sie das Turmstübchen erreichten. Angelika war ziemlich außer Atem, aber nun war sie zufrieden, daß niemand sie gesehen hatte, und hier war ihr Lieblingsplatz. Ihr Vater hatte nicht die leiseste Ahnung, daß sie es sich in diesem kleinen Raum so gemütlich gemacht hatte.
Von hier aus konnte sie das Land überblicken, das den Hösslins schon seit Generationen gehörte. Sie liebte diesen Ausblick, dieses Land, die Wiesen und Felder, an die dann auch die dichten Mischwälder angrenzten und zu jeder Jahreszeit ihr eigenes Bild boten. Jetzt wichen langsam die Schneeschollen, die verharscht gewesen waren, und die Tage wurden länger. Die Sonne schien schon wärmer und länger, und manchmal regnete es. Auch darüber war Angelika nicht traurig, weil sie wußte, daß die Erde und alles, was auf ihr gedeihen sollte, auch einen warmen Regen brauchte.
Aber es war kalt hier oben. Für den eisernen Ofen war kein Holz mehr da. Daran hatte Angelika nicht gedacht. Sie war das letzte Mal vor Neujahr hier oben gewesen, als es so sehr geschneit hatte, weil dann die Landschaft so besonders zauberhaft wirkte. Aber mit dem schlimmen Fuß hatte sie die Treppen nicht steigen können.
»Nun habe ich dich heraufgeschleppt, Fips«, sagte sie, »und nun können wir doch nicht länger bleiben. Du wirst auch frieren.« Fips schüttelte den Kopf, daß die langen Ohren flogen.
»Ich kann ja auch Holz holen«, meinte Angelika. »Ist ja egal, wenn man mich sieht. Hauptsache, wir haben unsere Ruhe. Wenn Minchen nicht da ist, vermißt mich sowieso keiner.«
Minchen war bei ihrem Bruder, der zwanzig Kilometer entfernt in einem Altersheim lebte. Zu seinem Geburtstag besuchte sie ihn immer. Dieses Jahr feierte er den achtzigsten, und als Angelika in diesem Zusammenhang daran dachte, daß Minchen nun auch schon fünfundsiebzig war, wurde es ihr schwer ums Herz.
Angelika stieg also die Treppe wieder hinunter, und Fips dehnte sich oben behaglich auf seiner Decke. Er wußte ja, daß sein Frauchen wiederkommen würde.
Im Erdgeschoß unter dem Turm befand sich die Bibliothek, die im Winter aber nur selten aufgesucht wurde, weil sie schwer zu heizen war. Der Kamin konnte nicht mehr benutzt werden, und Arnold Hösslin zeigte auch keine Neigung, diesen Teil des Gutshauses renovieren zu lassen, weil er ein paar kostspielige Ambitionen hatte, die ihn viel Geld kosteten.
Angelika war es nie bewußt geworden, daß und warum man jedes Wort verstehen konnte, das in der Bibliothek gesprochen wurde, weil sie nie zuvor ein Gespräch gehört hatte, wenn sie im Turm war, und sie verharrte erschrocken auf der Mitteletage, als sie Stimmen vernahm. Es waren die Stimmen ihres Vaters und ihrer Tante Herta.
»Du bist doch aus dem Dilemma heraus, wenn du Alice heiratest, Arnold«, sagte Herta, und ihre hohe Stimme war sehr deutlich zu vernehmen. Angelika wußte, daß von Alice von Middelstedt gesprochen wurde, und sie wußte auch, daß es durchaus nicht nur Freundschaft war, was ihren Vater mit dieser Frau verband, die ihr noch unsympathischer war als Tante Herta.
»Sie kann nur über ihr Privatvermögen verfügen, das habe ich schon herausgebracht«, sagte nun Arnold Hösslin, und auch das konnte Angelika deutlich verstehen, und sie lauschte gebannt. »Albert hat alles unter Kontrolle. Er ist schlauer, als man denkt.«
»Und er ist scharf auf Angelika«, sagte Herta anzüglich. »Weiß der Himmel, warum gerade auf sie, aber es ist so. Und warum sollte aus den beiden nicht ein Paar werden?«
Kälte kroch durch Angelikas Körper bei diesen Worten, denn sie verabscheute den jungen Baron von Middelstedt, ja, sie hatte sogar Angst vor ihm, seinen Blicken und der ganzen Art, wie er sich gab.
»Darüber wäre nachzudenken«, sagte Arnold Hösslin, und nun kroch in Angelika ein wilder Zorn empor. Die Ruhe, mit der sie sich nach außen hin stets zeigte, war nur durch ihre Selbstbeherrschung möglich. Sie wollte sich mit niemandem anlegen, aber sie war auch nicht geneigt zu kuschen, wie ihr Vater es wohl erwartete.
Und eins wußte sie ganz genau, diesen Albert Middelstedt würde sie niemals heiraten. Was sie aber dann noch hörte, stürzte sie in tiefste Resignation.
»Angelika scheint zwar sehr an Florian Malten interessiert zu sein«, sagte Herta Kestner, »aber das hätte ihr Martina sowieso versalzen.«
»Wie kommst du überhaupt darauf?« fragte Arnold Hösslin.
»Nun, sie benutzt doch ihren Köter dafür, um sich an Malten heranzumachen, das weiß ich von Martina. Sie hat Angelika schon öfter beobachtet.«
»Und woher kennt Martina Malten?«
»Schon von früher.«
»Aber ein Tierarzt wird doch kaum ihren finanziellen Ansprüchen Rechnung tragen können.«
»Oh, da brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Hinter den Maltens steht eine Menge Geld. Sie tragen es nicht zur Schau. Jedenfalls ist Martina ganz sicher, daß Florian bald um ihre Hand anhält. Sie treffen sich oft.«
Das war für Angelika ein herber Schlag. Eine tiefe Traurigkeit erfaßte sie. Freilich hatte sie noch nicht daran gedacht, daß Florian mehr für sie empfinden könnte, aber er war immer so nett zu ihr gewesen und besonders heute. Etwa deshalb, weil sie Martinas Cousine war?
Martina war bildhübsch, das hätte Angelika nie weggeredet, aber sie war auch sehr auf Äußerlichkeiten bedacht, und ein armer Schlucker hätte bei ihr nie eine Chance gehabt, auch kein Tierarzt, der nur von seinem Verdienst lieben mußte.
Der Gedanke, daß Florian Malten Martina tatsächlich heiraten könnte, war für Angelika so schrecklich und beklemmend, daß es ihr ganz übel wurde.