Eine Lüge kann ich nicht verzeihen - Toni Waidacher - E-Book

Eine Lüge kann ich nicht verzeihen E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. »Ach, Hochwürden, das ist ja schön, dass Sie mich wieder mal besuchen«, freute sich die alte Frau, die im Rollstuhl auf der Terrasse saß und in einer Zeitschrift blätterte. Sebastian Trenker hatte schon vermutet, dass Agnes Hochleitner sich draußen aufhielt und war durch die Gartenpforte hereingekommen. Er reichte ihr die Hand. »Gut schau'n S' aus«, meinte er. »Ich hoff', es geht Ihnen auch gut?« Agnes lächelte. »Ach, ich will net klagen«, antwortete sie. »Natürlich – das ewige Sitzen ist net schön, aber der Doktor Wiesinger hat mir Hoffnung gemacht, dass ich bald wieder laufen kann.« Sie deutete auf einem bequemen Gartenstuhl. »Setzen S' sich doch«, lud sie den Besucher ein. »Danke schön«, der Geistliche nahm Platz. »Ja, ich hab' vorhin gerade erst mit dem Doktor gesprochen. Er meint, wenn S' erst einmal Ihre täglichen Übungen machen, dann können S' schon bald wieder hüpfen, wie ein junges Reh.« Agnes Hochleitner lachte auf. »Ich bin ja schon froh, wenn ich endlich wieder geh'n kann.«

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Der Bergpfarrer – 375 –

Eine Lüge kann ich nicht verzeihen

Andreas Hoffnungen wurden enttäuscht

Toni Waidacher

»Ach, Hochwürden, das ist ja schön, dass Sie mich wieder mal besuchen«, freute sich die alte Frau, die im Rollstuhl auf der Terrasse saß und in einer Zeitschrift blätterte.

Sebastian Trenker hatte schon vermutet, dass Agnes Hochleitner sich draußen aufhielt und war durch die Gartenpforte hereingekommen. Er reichte ihr die Hand.

»Gut schau’n S’ aus«, meinte er. »Ich hoff’, es geht Ihnen auch gut?«

Agnes lächelte.

»Ach, ich will net klagen«, antwortete sie. »Natürlich – das ewige Sitzen ist net schön, aber der Doktor Wiesinger hat mir Hoffnung gemacht, dass ich bald wieder laufen kann.«

Sie deutete auf einem bequemen Gartenstuhl.

»Setzen S’ sich doch«, lud sie den Besucher ein.

»Danke schön«, der Geistliche nahm Platz. »Ja, ich hab’ vorhin gerade erst mit dem Doktor gesprochen. Er meint, wenn S’ erst einmal Ihre täglichen Übungen machen, dann können S’ schon bald wieder hüpfen, wie ein junges Reh.«

Agnes Hochleitner lachte auf.

»Ich bin ja schon froh, wenn ich endlich wieder geh’n kann.«

Vor einem Vierteljahr musste der Achtundsiebzigjährigen, nach einem Sturz, bei dem sie sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hatte, ein neues Hüftgelenk eingesetzt werden. Entgegen der Annahme, schon bald wieder laufen zu können, verzögerte sich der Heilungsprozess bei der alten Frau, und Agnes saß, zu ihrem großen Kummer, immer noch im Rollstuhl.

»Haben S’ denn schon eine Reaktion auf die Anzeige erhalten?«, erkundigte sich Sebastian Trenker.

Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die alte Dame nicht so bald wieder selbstständig gehen würde, hatten der Bergpfarrer und der Dorfarzt, Dr. Toni Wiesinger, gemeinsam überlegt, wie der Frau zu helfen war.

Sie waren übereingekommen, dass es das Beste wäre, wenn sie professionelle Hilfe bekäme. Von einer Altenpflegerin oder Krankenschwester, die ihren Beruf nicht mehr ausübte, aber bereit war, die Pflege der Frau für ein paar Wochen zu übernehmen. In Absprache mit Agnes Hochleitner, hatte Dr. Wiesinger eine Anzeige in einem medizinischen Fachblatt aufgegeben, in der eine solche Kraft gesucht wurde.

Die alte Dame deutete zur Wohnzimmertür.

»Drinnen liegen drei Bewerbungsschreiben«, erwiderte sie. »Und, ehrlich gesagt, ich kann mich net entscheiden. Um so glücklicher bin ich über Ihren Besuch. Vielleicht können wir uns die Bewerbungen einmal gemeinsam ansehen. Frau Steirer hat sie auf den Schrank gelegt.«

»Sehr gern«, antwortete der Bergpfarrer und ging hinein, um die Unterlagen zu holen.

Maria Steirer war die Haushaltshilfe, die dreimal in der Woche herkam, um zu putzen und Essen zu kochen. Da sie allerdings keine medizinische oder krankentherapeutische Kenntnisse besaß, kam sie als »Rund-um-die Uhr-Betreuung« nicht in Betracht.

Um Agnes zu helfen, musste schon jemand her, der etwas davon verstand. Ein Fehler bei der Gymnastik konnte fatale Folgen haben.

Sebastian fand die Bewerbungsunterlagen und nahm sie mit nach draußen. Sorgfältig las er die einzelnen Schreiben, mit den beigefügten Lebensläufen und Fotos durch.

»Hm«, sagte er nach einer Weile, »so, wie’s ausschaut, scheinen mir alle drei Bewerberinnen qualifiziert zu sein. Allerdings könnt’s mit der Frau Junginger ein Problem geben. Sie schreibt, dass sie verheiratet ist und drei Kinder hat. Sie wird also bestimmt net hierherziehen wollen, und vierundzwanzig Stunden kann sie dann wohl net für Sie da sein.«

Der Geistliche legte das Schreiben aus der Hand und widmete sich erneut der Bewerbung, die ihm schon beim ersten Durchlesen ins Auge gestochen war.

»Die hier heißt Andrea Burger. Wie sie schreibt, ist sie ledig und unabhängig. Bis vor Kurzem hat sie noch in einem Krankenhaus gearbeitet. Zwar steht hier nix über die Gründe, warum das Arbeitsverhältnis beendet wurde, aber das muss wirklich nix bedeuten.«

Sebastian sah die alte Dame an.

»Also, ich muss sagen, auf den ersten Blick würd’ ich die Frau Burger den beiden and’ren vorzieh’n«, meinte er. »Die Erste scheidet, wie gesagt, wohl eher aus, dann ist da noch die Frau Meyerling … – aber irgendwie hab’ ich das sichere Gefühl, dass die Andrea Burger die Richtige ist.«

Agnes Hochleitner schmunzelte.

»Es freut mich, dass Sie das sagen, Hochwürden«, meinte sie. »Die Bewerbung hat mir nämlich auf den ersten Blick auch am besten gefallen.«

»Dann sollten S’ sich auch für sie entscheiden«, stimmte der gute Hirte von St. Johann der alten Dame zu. »Schließlich werden S’ eine Zeit lang mit ihr zusammen leben müssen, und da ists net unwichtig, ob der Mensch, auf den man dann ja auch angewiesen ist, sympathisch ist.«

»Gut«, stimmte Agnes Hochleitner zu, »dann werd’ ich den beiden anderen absagen, und die Frau Burger bitten, so schnell wie möglich herzukommen.«

*

Andrea schaute unwillig auf das Telefon, das unablässig klingelte. Seit zehn Minuten bereits. Wenn er es wieder war, der anrief, dann wollte sie am liebsten gar nicht erst abheben. Die junge, hübsche Krankenschwester bedauerte, sich keinen Anrufbeantworter zugelegt zu haben.

Sie mochte diese »Blechkisten«, wie sie die doch eigentlich praktischen Helfer moderner Telekommunikation nannte, nicht und hatte es stets abgelehnt, sich ein solches Gerät anzuschaffen. Jetzt sah sie allerdings ein, dass es auch nützlich sein konnte, um unliebsame Anrufe herauszufiltern.

Insbesondere jetzt, sie seufzte, Frank Willinger besaß eine bemerkenswerte Sturheit. Seit Andrea ihm den Laufpass gegeben hatte, rief er sie mehrmals am Tage an, obwohl sie ihn ernstlich darum gebeten hatte, sie in Ruhe zu lassen.

Ärgerlich nahm sie den Hörer ab.

»Hör’ zu Frank«, rief sie ärgerlich, »ich hab’ dir doch deutlich gesagt, dass du mich net mehr anrufen sollst. Kannst du es net begreifen oder willst du’s net?«

»Hallo?«, hörte sie zu ihrer Verblüffung eine Frauenstimme. »Bin ich mit Burger verbunden?«

Andrea stutzte. Das war gewiss nicht Frank, der da anrief.

»Ja, Andrea Burger«, antwortete sie schnell.

»Hier ist Hochleitner. Agnes Hochleitner«, sagte die Anruferin. »Sie haben sich als Pflegerin auf meine Anzeige beworben.«

Die junge Frau durchfuhr es siedendheiß.

Um Himmels willen, was mochte die alte Dame wohl jetzt von ihr denken, dass sie so einen barschen Ton anschlug?

Sie glaubte, nicht richtig zu hören, als die Anruferin weitersprach: »Ich hab’ mich für Sie entschieden, Frau Burger. Deshalb ruf’ ich an, um zu klären, wann S’ bei mir denn eigentlich anfangen können.«

Andrea spürte, wie ihr Herz einen Hüpfer tat. Seit sie vor einer Woche die Bewerbung abgeschickt hatte, wartete sie auf eine Antwort. Sehnlichst, denn die Situation war unmöglich geworden. Gewiss konnte man von München nicht behaupten, dass es eine Kleinstadt wäre, aber überall, wohin die junge Krankenschwester kam, lief sie ehemaligen Kollegen und Kolleginnen aus dem Krankenhaus über den Weg. Und wenn es ganz besonders schlimm war, dann begegnete sie Frank Willinger auch zweimal am Tag.

Um das zu ändern, hatte sie nur noch einen Gedanken: Fort aus München. Irgendwohin, wo sie niemand kannte und wo sie einen Neuanfang wagen konnte. Die Anzeige in dem medizinischen Fachblatt, die sie an ihrem letzten Arbeitstag im Krankenhaus gelesen hatte, war ihr wie ein Wink des Schicksals erschienen. Es hatte nicht lange gebraucht, bis Andrea sich entschieden hatte. Noch am selben Abend setzte sie sich hin und schrieb die Bewerbung. Die Annonce versprach eine ruhige Arbeitsstelle. Es ging darum, eine gehbehinderte, ältere Dame zu pflegen und ihr bei den notwendigen krankentherapeutischen Übungen zu helfen. Zwar würde die Arbeit auf etwa sechs bis acht Wochen begrenzt sein, aber bis dahin konnte Andrea sich wieder nach etwas Neuem umgesehen haben.

»Oh, Frau Hochleitner, das ist ja sehr schön«, antwortete sie. »Ich hab’ gar net damit gerechnet, so schnell einen Bescheid zu bekommen. Und dann auch noch einen positiven.

Also – wie ich Ihnen geschrieben hab’ – ich bin jederzeit abkömmlich. Von mir aus könnt’ ich schon gleich morgen losfahren.«

»Das wär’ ja wunderbar«, freute sich die alte Dame. »Je eher wir mit den Übungen anfangen, umso schneller bin ich wieder auf den Beinen.«

»Ja, dann fang’ ich gleich zu packen an, und morgen früh fahre ich los.«

»Prima, Frau Burger«, rief Agnes Hochleitner. »Ich freu’ mich.«

Innerlich jubilierend legte Andrea auf. Sie drehte sich in der kleinen Stube ihrer Zweizimmerwohnung, zu der noch ein kleines Bad gehörte, und wäre am liebsten vor Freude in die Luft gesprungen.

Doch dann legte sich ihre Aufregung schnell wieder und machte nüchternen Überlegungen Platz.

Was brauchte sie alles? Was konnte sie entbehren, was musste unbedingt mit?

Auf jeden Fall persönliche Dinge. Kleidung, Schuhe, das Toilettentäschchen. Medizinische Fachbücher, die Fotos der verstorbenen Eltern und viele andere tausend Dinge.

Am späten Abend saß die junge Frau in ihrem Wohnzimmer und starrte entsetzt auf Berge von Taschen, Koffern und Pappkartons, und sie fragte sich, wie das, um alles in der Welt, in ihr kleines Auto passen sollte.

Zwischendurch war Andrea schnell in die Innenstadt gefahren und hatte ein paar Kleinigkeiten gekauft, von denen sie glaubte, sie unbedingt mitnehmen zu müssen. Außerdem musste der Telefonanschluss für die Zeit gesperrt werden, in der sie nicht zuhause war.

Es war unglaublich, an was man alles denken musste!

Zu guter Letzt setzte sie sich mitten im Chaos hin und rief Birgit an. Die Kollegin und beste Freundin, die in der schweren Zeit immer zu ihr gehalten hatte.

*

»Was, so schnell?«, fragte Birgit Stadtler erstaunt.

»Ja, ich hab’ auch net damit gerechnet. Aber heut’ mittag rief die Frau Hochleitner mich an und fragte, wann ich anfangen könne.«

»Und jetzt hast’ schon alles gepackt. Jedenfalls wünsch’ ich dir viel Glück in diesem …, wie heißt der Ort?«

»Sankt Johann. Liegt ganz romantisch in den Bergen. Ich glaube’, dass es mir dort gefallen wird.«

»Das hoff’ ich für dich. Und vor allem, dass du ein bissel Abstand von allem gewinnst. Du hast es ja gewiss net leicht gehabt, in der letzten Zeit.«

»Das hoff’ ich auch sehr«, sagte Andrea leise und fügte hinzu: »Aber bitte, sag’ niemandem, wo ich bin.«

»Natürlich net, und ihm schon gleich gar net!«

Die Freundin machte eine kurze Pause.

»Er fragt mich übrigens ständig nach dir«, sagte sie dann. »Ob wir uns seh’n, und wie’s dir geht. Und das mit der Gisela sei auch schon wieder vorbei.«

»Von mir aus. Irgendeine Dumme wird ihm schon wieder über den Weg laufen …«

Die beiden Freundinnen sprachen noch sehr lange, und Andrea musste versprechen, sich auch sofort zu melden, wenn sie in St. Johann angekommen war, und auch sonst regelmäßig ein Lebenszeichen von sich zu geben.

Birgit hingegen versprach, ab und an nach der Wohnung zu schauen und sich um die Post und die kleinen Pflanzen zu kümmern. Andrea hatte ihr vor einiger Zeit einen Zweitschlüssel anvertraut, sodass die Freundin keine Schwierigkeiten haben würde, hereinzukommen.

Als sie später auflegte, hatte die Krankenschwester das Gefühl, jetzt wirklich alles hinter sich gelassen zu haben.

Nach einem unruhigen Schlaf stand sie schon sehr zeitig auf. Das Frühstück bestand aus den letzten Resten, die noch im Kühlschrank waren. Im Laufe des Tages wollte die Freundin herkommen, den Kühlschrank abtauen und sich auch sonst um alles kümmern.

Es war Schwerstarbeit, all die Koffer, Taschen und Kartons die Treppe herunterzuschleppen und im Auto zu verstauen. Aber schließlich war es geschafft, und Andrea konnte sich hinter das Lenkrad setzen.