Eine überraschende Erbschaft - Toni Waidacher - E-Book

Eine überraschende Erbschaft E-Book

Toni Waidacher

0,0

Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Sebastian Trenker ließ die Hand mit dem Telefonhörer sinken und starrte durch das Fenster seines Arbeitszimmers auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne. Der Tag war düster und grau. Von Westen her hatte eine Schlechtwetterfront den Weg über die Berge ins Wachnertal gefunden. Windböen heulten um das Pfarrhaus, ließen das abgefallene Laub durch die Luft wirbeln. Von Zeit zu Zeit ging ein Regenschauer nieder, der Herbst zeigte sich an diesem Tag von seiner ungemütlichen Seite. Aber wenn man den Meteorologen glauben durfte, dann würde es noch einen ›goldenen Oktober‹ geben. Soeben hatte sein Bruder ihm mitgeteilt, dass Heribert Lebegern gestanden hatte, den Mordanschlag auf Hans-Jürgen Schmidt verübt zu haben. Nachdem einer der jugendlichen Randalierer, die einige Verwüstungen auf Schloss Hubertus angerichtet hatten, den Namen Schmidt ins Spiel gebracht hatte, musste Lebegern befürchten, dass Schmidt ihn, seinen Auftraggeber, verraten würde. Und so war ihn ihm der Plan gereift, seinen Handlanger zum Schweigen zu bringen. Der Unternehmer hatte dafür ein Auto aus dem Fuhrpark seines Unternehmens benutzt. In der vergangenen Nacht war Lebegern unter der Last der Indizien und Beweise, die gegen ihn sprachen, zusammengebrochen, und am Morgen hatte der Haftrichter angeordnet, dass Lebegern in die Untersuchungshaft zu nehmen sei. Obwohl nun endgültig geklärt war, wer für die Verwüstungen auf Schloss Hubertus verantwortlich war und außerdem das Projekt Sommerrodelbahn gestorben sein dürfte, verspürte Sebastian keinen Triumph. Er war ganz und gar nicht froh darüber, dass sich Lebegern durch ein blutiges Verbrechen selbst seine Pläne zunichte gemacht hatte. Eine gewisse Erleichterung und Genugtuung verspürte er dennoch. Das Staatsministerium hatte die Genehmigung für den Bau der Rodelbahn im Ainringer Forst auf Eis gelegt. Zusammen mit dem guten Ruf des Unternehmers war das Projekt für sie erledigt, das war eine Sache. Aber am wichtigsten war für ihn, dass der mit allen Mitteln kämpfende Unternehmer Lebegern diesmal für seine Vergehen und sein Verbrechen bezahlen musste. Sebastian wollte das Telefon schon in die Ladestation stellen, überlegte es sich aber anders und rief Markus Bruckner an. Der Bürgermeister meldete sich persönlich: »Habe die Ehre, Hochwürden«, sprudelte er hervor.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 126

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Bergpfarrer – 476 –

Eine überraschende Erbschaft

Toni Waidacher

Sebastian Trenker ließ die Hand mit dem Telefonhörer sinken und starrte durch das Fenster seines Arbeitszimmers auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne. Der Tag war düster und grau. Von Westen her hatte eine Schlechtwetterfront den Weg über die Berge ins Wachnertal gefunden. Windböen heulten um das Pfarrhaus, ließen das abgefallene Laub durch die Luft wirbeln. Von Zeit zu Zeit ging ein Regenschauer nieder, der Herbst zeigte sich an diesem Tag von seiner ungemütlichen Seite. Aber wenn man den Meteorologen glauben durfte, dann würde es noch einen ›goldenen Oktober‹ geben.

Soeben hatte sein Bruder ihm mitgeteilt, dass Heribert Lebegern gestanden hatte, den Mordanschlag auf Hans-Jürgen Schmidt verübt zu haben. Nachdem einer der jugendlichen Randalierer, die einige Verwüstungen auf Schloss Hubertus angerichtet hatten, den Namen Schmidt ins Spiel gebracht hatte, musste Lebegern befürchten, dass Schmidt ihn, seinen Auftraggeber, verraten würde. Und so war ihn ihm der Plan gereift, seinen Handlanger zum Schweigen zu bringen. Der Unternehmer hatte dafür ein Auto aus dem Fuhrpark seines Unternehmens benutzt.

In der vergangenen Nacht war Lebegern unter der Last der Indizien und Beweise, die gegen ihn sprachen, zusammengebrochen, und am Morgen hatte der Haftrichter angeordnet, dass Lebegern in die Untersuchungshaft zu nehmen sei.

Obwohl nun endgültig geklärt war, wer für die Verwüstungen auf Schloss Hubertus verantwortlich war und außerdem das Projekt Sommerrodelbahn gestorben sein dürfte, verspürte Sebastian keinen Triumph. Er war ganz und gar nicht froh darüber, dass sich Lebegern durch ein blutiges Verbrechen selbst seine Pläne zunichte gemacht hatte. Schmidt hätte tot sein können …

Eine gewisse Erleichterung und Genugtuung verspürte er dennoch. Das Staatsministerium hatte die Genehmigung für den Bau der Rodelbahn im Ainringer Forst auf Eis gelegt. Zusammen mit dem guten Ruf des Unternehmers war das Projekt für sie erledigt, das war eine Sache. Aber am wichtigsten war für ihn, dass der mit allen Mitteln kämpfende Unternehmer Lebegern diesmal für seine Vergehen und sein Verbrechen bezahlen musste.

Sebastian wollte das Telefon schon in die Ladestation stellen, überlegte es sich aber anders und rief Markus Bruckner an.

Der Bürgermeister meldete sich persönlich: »Habe die Ehre, Hochwürden«, sprudelte er hervor. »Was haben S’ denn auf dem Herzen, weil S’ mich schon so kurz nach acht Uhr anrufen?«

»Guten Morgen, Markus. Du scheinst ja recht guter Stimmung zu sein.«

»Man sollt’ jeden Tag gutgelaunt beginnen, Hochwürden«, versetzte Bruckner. »Schließlich hat man eh net viel zu lachen im Leben. Also darf man’s sich net auch noch selber vermiesen. Morgenstund’ hat Gold im Mund! So heißt’s doch.«

»Ich fürcht’, dass deine gute Stimmung nimmer lang anhält«, erklärte Sebastian.

»Haben S’ etwa neue Informationen aus München?«, rief Bruckner aus. Es klang fast erschreckt. »Hat man vielleicht einen weiteren Beweis gefunden, der möglicherweise gegen den Lebegern spricht?«

»Der Lebegern hat ein Geständnis abgelegt«, sagte Sebastian.

Ein ächzender Laut, geradezu ein Stöhnen, kam durch die Leitung. »Er – hat – gestanden?«, stammelte Bruckner fassungslos.

»Ja. Er selbst hat versucht, Schmidt totzufahren, um zu verhindern, dass der seinen Namen nennt. Lebegern ist in U-Haft. Ihm drohen viele Jahre Gefängnis.«

Bruckner musste erst einmal das Gehörte verarbeiten. »Ich bin am Boden zerstört«, murmelte er schließlich. »Ich hätt’ meine Hand für den Mann ins Feuer gelegt.«

»So kann man sich in einem Menschen täuschen, Markus. Was das für dein Sommerrodelbahn-Projekt bedeutet, brauch’ ich dir ja wohl net zu sagen.«

»Ich weiß, ich weiß.« Es klang nach Resignation. »Wieder einmal löst sich eine Hoffnung in Rauch auf. Mir, der immer nur darauf bedacht ist, das Wohl der Gemeinde und seiner Bürger zu fördern, wirft man nix als Knüppel zwischen die Beine. Ich bin am Boden zerstört. Das haben S’ wieder sauber gedeichselt, Hochwürden.«

»Ich!?«, entfuhr es Sebastian. »Wie kommst du denn darauf?«

»Sie machen mir alles kaputt.« Wieder kam ein tiefer Seufzer vom Bürgermeister.

»Ich geh nur gegen deine wahnwitzig ehrgeizigen Pläne an, Markus. Und deinen Traum von der Sommerrodelbahn hab’ net ich zerstört, sondern dein guter Freund und Partner, der Heribert Lebegern. Er hat geglaubt, er darf alles, er war der Meinung, dass die Gesetze für ihn net gelten. Nun hat man ihn heruntergeholt von seinem hohen Ross, und er wird in Zukunft ganz kleine Brötchen backen.«

»Hätten S’ ihm halt das Schlössl verkauft, dann wär’s gar net so weit gekommen«, kam es weinerlich von Bruckner.

Der Bergpfarrer glaubte, sich verhört zu haben. »Manchmal weiß ich net, was ich von dir halten soll, Markus«, knurrte er. »Das kann doch net dein Ernst sein. Falls doch, hab’ ich die allergrößten Zweifel, ob du noch bei klarem Verstand bist. Ich kann’s ja verstehen, dass dich die ganze Sach’ verbittert. Aber dass du immer noch versuchst, die Schuld bei mir und net bei deinem hochgelobten Heribert Lebegern zu suchen, kann ich net nachvollziehen. Muss ich wirklich an dir zweifeln?«

»Schon gut, Hochwürden, schon gut! Ich weiß, dass ich Unsinn geredet hab’. Entschuldigen S’ bitte. Sie sind absolut unschuldig an meinem Desaster. Und der Lebegern soll mir nie wieder unter die Augen kommen! Es wär’ auch besser für ihn …«

»So gefällst du mir schon besser, Markus. Deiner unchristlichen Drohung werd’ ich mich allerdings net anschließen. Mir reicht’s, wenn er die Strafe erhält, die das Gesetz für seine Taten vorsieht.«

»Aus Ihnen spricht wieder mal die Nächstenliebe, Hochwürden. Aber man kann leicht verzeihen, wenn man net direkt betroffen ist. Ich hab’ wieder mal den Kürzeren gezogen und an Gesicht verloren in meiner Gemeinde. Ich will nur, dass der Lebegern für seine Taten vom Schicksal gestraft wird.«

Sebastian lachte. »Markus, mach dir keine unnötigen Gedanken. Niemand wird dich schief ansehen, weil die Rodelbahn net gebaut wird. Und büßen wird der Lebegern. Dafür sorgt die irdische Gerechtigkeit. So, und jetzt will dich net länger aufhalten. Solltest du von der Staatsregierung was hören oder einen Bescheid erhalten, dann sei so gut, und sag Bescheid.«

»Ja, ja, das mach’ ich«, erklärte Bruckner zerknirscht. »Wenn ich Sie net auf dem Laufenden halt’, dann tut’s irgendein anderer.«

»Also dann, Markus, einen schönen Tag noch. Und nimm’s auf keinen Fall persönlich. Es hat einfach net sollen sein.«

»Ein schöner Tag wird das ganz sicher nimmer, Hochwürden. Und Ihre Worte trösten mich ganz und gar net. Denn ich nehm’s sehr wohl persönlich. Ich war so dicht dran. Die mündliche Zusage ist mir schon erteilt worden. Und nun schlägt man mir gewissermaßen die Tür vor der Nase zu.«

»Du wirst drüber hinwegkommen, Markus. Du hast schon ganz andere Dinge weggesteckt. Du bist ein Stehaufmännchen. Und um eine Erfahrung bist du auch wieder reicher geworden.«

»Sie schaffen’s noch Hochwürden, mich dazu zu kriegen, meiner Niederlage noch eine positive Seite abzugewinnen.«

»Denk’ mal nach, Markus, dann kommst von selber zu diesem positiven Schluss.«

*

Am Tag danach wurde Annemarie Schöberl auf dem Friedhof von St. Johann beerdigt. Die dreiundsiebzigjährige Witwe war einem langwierigen Herzleiden erlegen.

Eine große Trauergemeinde wohnte der Zeremonie bei, denn die Verstorbene war im Ort allseits beliebt gewesen, und viele, die sie gekannt hatten, weinten. Nach einem abschließenden Gebet löste sich die Trauergemeinde auf und die Menschen verließen den Friedhof. Die meisten gingen sofort nach Hause, denn es war kalt und regnerisch. Einige aber fanden sich auf dem Kirchplatz zu kleinen Gruppen zusammen, um noch einen kleinen Plausch zu halten.

Auch die alte Traudl Hohenegger, die Bäckermeistersgattin Terzing sowie zwei andere Frauen standen beisammen.

»Wie geht’s denn allweil, Frau Hohenegger?«, fragte einer der Frauen mittleren Alters. Ihr Name war Sieglinde Haas. »Ich hab’ Sie ja schon lang nimmer beim Einkaufen angetroffen. Kommen S’ denn zurecht mit Ihrem Mieter, diesem pensionierten Arzt aus Passau? Wie heißt er doch gleich wieder?«

»Kaltenecker«, antwortete Traudl Hohenegger, die vor längerer Zeit Probleme mit ihrem Sohn und dessen Frau hatte, weil sie ihr das Haus abschwatzen wollten und von ihr verlangten, zu ihnen nach Garmisch zu ziehen. »Severin Kaltenecker heißt er, und ich komm’ ausgezeichnet mit ihm zurecht. Der Severin erledigt für mich alles, was ich selber nimmer machen kann. Ich bin unserem Pfarrer heut’ noch dankbar, denn er hat es eingefädelt, dass der Severin in die leere Wohnung in meinem Haus eingezogen ist.«

Plötzlich näherte sich die Maria Erbling.

Frau Terzing sah sie und murmelte: »Die fehlt uns gerade noch.«

Da ertönte es auch schon: »Grüaß euch Gott, alle miteinander. Seid ihr auch der Meinung, dass es eine recht einfache Beerdigung war? Kein Chor hat gesungen, außer dem Pfarrer hat kein Mensch geredet, net mal ihr einziger näherer Verwandter, der Schöberl-Günter, hat ihr die letzte Ehre erwiesen.«

Sieglinde Haas verdrehte etwas die Augen.

Maria Erbling war die ›Dorfratschn‹ schlechthin. Maria etwas unter dem Siegel der Verschwiegenheit anzuvertrauen war ungefähr das gleiche, als hätte man es am ›Schwarzen Brett‹ des Rathauses öffentlich gemacht.

Frau Terzing zuckte die Schultern und meinte: »Der Günter hat allen Grund, St. Johann fernzubleiben, nachdem fast jeder weiß, dass er für seinen kleinen Buben noch keinen Cent Unterhalt bezahlt hat. Die Annemarie hat der Simeth-Karin immer wieder ein paar Euro für den Bub zugeschoben. In ihrer Pension hat sie halt auch immer nur eine Handvoll Gäst’ unterbringen können, und so waren ihren Einnahmen auch net gerade riesig.«

Jetzt ergriff wieder die Maria Erbling das Wort: »Er hat noch nie was getaugt, der Schöberl-Günter! Wie sich das Simeth-Madel auf diesen Tagedieb hat einlassen können, ist mir heut’ noch ein Rätsel. Der war doch schon als Halbwüchsiger dafür bekannt, dass er nur sein Vergnügen kennt und nix arbeiten will. Weiß jemand von euch, was er jetzt treibt? Wo lebt er überhaupt? Vielleicht hat er zur Beerdigung gar net kommen können, weil er irgendwo im Gefängnis sitzt.«

»Ganz so schlimm war’s auch wieder net mit ihm«, sagte nun die alte Traudl. »Irgendwelche Gelegenheitsarbeiten hat er immer gemacht. Und er ist ja doch ein recht stattliches Mannsbild. Warum sollt’ er net einem Madel wie der Karin den Kopf verdreht haben? Er hat getanzt wie ein Weltmeister, war lustig und unterhaltsam, und so richtig bös’ hat ihm niemand sein können, was immer er auch angestellt hat.«

»Er war ein schlimmes Früchterl«, beharrte die Maria Erbling auf ihrer Ansicht. »Als er gehört hat, dass die Karin ein Kind von ihm kriegt, ist er auf und davon, und kein Mensch weiß, wo er sich herumtreibt. Er hat sich um seinen Buben nie gekümmert. Das ist charakterlos, sag’ ich euch. Das arme Madel hat von daheim auch keine große Unterstützung erwarten können. Der Vater verdient bei der Forstverwaltung auch kein Vermögen.«

»Verhungern haben die Karin und ihr Bub net müssen«, gab die Bäckermeistersgattin zu bedenken. »Dafür hat die Annemarie schon gesorgt. Dass die Karin ihr dafür in der Pension ein bissel zur Hand gegangen ist und die Annemarie am Ende gepflegt hat, war dann selbstverständlich für sie.«

»Ist schon ein gutes Madel, die Karin«, mischte sich jetzt wieder Sieglinde Haas ein. »Sie hätt’ das Geld der Annemarie – Gott hab’ sie selig –, auch nehmen können, ohne dafür einen Finger krumm zu machen. Die Annemarie hat sich nämlich moralisch verpflichtet gefühlt, zum Unterhalt des kleinen Lukas beizutragen, nachdem’s der Erzeuger des Buben, ihr Neffe, net getan hat. Von der Annemarie hätt’ die Karin das Geld auch bekommen, wenn s’ ihr net geholfen hätt’.«

»Ich will ja kein Prophet sein«, stieß Maria Erbling hervor. »Aber ich glaub’ voraussagen zu können, dass sich der Bazi, ich mein’ den Günter, zur Testamentseröffnung beim Nachlassgericht einfinden wird. Der rechnet sich gewiss aus, dass er die Pension hier erbt. Sonst sind ja keine Verwandten da.«

»Das wär’ ja allerhand«, tönte Sieglinde Haas. »Der Günter hat sich in den letzten fünf Jahren kein bissel um seine Tante gekümmert, der hat sich irgendwo in der Weltg’schicht’ herumgetrieben. Es wär’ ungerecht, wenn er dafür noch belohnt werden würd’.«

»Wenn er erbt«, sagte Frau Terzing, »dann bin ich mir sicher, dass er das Anwesen versilbert und sich wieder absetzt, um sich mit dem Geld irgendwo einen schönen Lenz zu machen.«

»Und sein Bub würd’ leer ausgehen«, erregte sich die alte Traudl. »Meint ihr, dass der Günter wirklich dermaßen egoistisch ist?«

»Ich hoff’, dass die Karin so schlau ist«, sagte Maria Erbling, »und rechtzeitig die richtigen Schritte einleitet, damit sie wenigstens die Unterhaltsrückstände erhält, falls der Günter die Pension tatsächlich erben sollt’. Wenn s’ das nämlich verschläft, dann schaut s’ wieder in die Röhre. Freiwillig wird ihr der Filou keinen Cent geben.«

»Ich muss jetzt gehen«, sagte die alte Traudl. »Wir können zwar drüber reden, aber ändern können wir auch nix. Außerdem geht’s uns im Endeffekt nix an. Hoffen wir, dass die Annemarie ihren Nachlass so geregelt hat, dass der kleine Bub net leer ausgeht. Ich wünsch’ euch einen schönen Tag. Pfüat euch.« Gebeugt ging die alte Traudl davon.

»Ich muss auch weiter«, erklärte Frau Terzing. »Ich hab eine Aushilfe im Laden stehen. Ich wünsch’ auch einen schönen Tag. Ade!« Sie eilte davon.

»Ich muss meinen Enkel aus dem Kindergarten abholen«, gab Sieglinde Haas zu verstehen. »Es ist allerhöchste Zeit … Servus, Brigitte, auf Wiedersehen, Frau Erbling.«

»Wart’, Sieglinde!«, rief Brigitte. »Nimm’ mich mit. Dann brauch ich net zu Fuß bis zu unserem Hof gehen.« Auch die beiden Frauen ergriffen die Flucht, um Maria Erblings Getratsche zu entgehen.

»Na, so pressant wird’s auch wieder net sein«, murmelte diese vor sich hin und schickte den Frauen giftige Blicke hinterher.

*

Karin Simeth war eine hübsche, dunkelhaarige Frau von sechsundzwanzig Jahren. Sie lebte mit ihrem Buben, dem kleinen Lukas, in der Dachgeschosswohnung im kleinen Haus ihrer Eltern. Bis zu ihrer Schwangerschaft vor mehr als fünf Jahren hatte sie in der Gemeinde Waldeck in einem großen Restaurant als Bedienung gearbeitet. Nachdem Lukas auf die Welt gekommen war, konnte sie wegen seiner Erziehung nicht mehr in Vollzeit arbeiten und so versuchte sie, sich und ihren Sohn mit Gelegenheitsjobs und dem, was sie von Annemarie Schöberl an Zuwendungen erhielt, über Wasser zu halten. Auch ihre Eltern unterstützten sie, so gut sie konnten, allerdings waren deren finanzielle Möglichkeiten auch beschränkt.

Sie hatte an Anneliese Schöberls Beerdigung teilgenommen, sich aber im Hintergrund gehalten. Danach hatte sie sofort den Nachhauseweg angetreten. Als sie in die schmale Straße einbog, in der das Haus ihrer Eltern lag, sah sie auf der Bank, die neben der Haustür an der Wand stand, Gerhard Lindner sitzen.

Er nahm sie ebenfalls war, erhob sich, und erwartete sie stehend. Gerhard wirkte etwas verlegen.

»Grüaß di, Gerd«, grüßte Karin den Dreißigjährigen. »Du warst wohl net auf der Beerdigung?«

»Servus, Karin. Ich hab’ nur am Gottesdienst teilgenommen. Die Leut’ haben ja gar net in die Kirche reingepasst. Da hab’ ich’s vorgezogen, net mit auf den Friedhof zu gehen. Sicher hätt’ die Annemarie dafür Verständnis gehabt, dass ich net hingegangen bin, hat sie doch selbst Zeit ihres Lebens große Menschenansammlungen gemieden.«

»Das stimmt«, pflichtete Karin bei. »Sie mochte die Menschen, aber keinen großen Trubel.« Karins Stimme klang wehmütig. »Aber sie war ein herzensguter, hilfsbereiter Mensch, der viel zu früh hat sterben müssen. Der Tod fragt halt net nach gut oder schlecht.«

»Das ist so«, stimmte Gerd zu, »und man wird’s net ändern können. Mein Vater hat immer gesagt, der Tod ist die einzige Gerechtigkeit auf dieser Welt. Er ist unbestechlich und ihm entkommt keiner.«

»Um mit mir über den Tod zu reden, hast du sicher net auf mich gewartet, Gerd«, wechselte Karin das Thema.