Eine Woche vor der Hochzeit - Patricia Vandenberg - E-Book

Eine Woche vor der Hochzeit E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Nathalie Engstroem probierte ihr Brautkleid an, und Annabel Brillon betrachtete das grazile, bildschöne Mädchen mit Wohlgefallen. »Bezaubernd«, sagte sie zufrieden, »aber dünner darfst du jetzt nicht mehr werden vor lauter Aufregung, sonst sitzt die Corsage nicht mehr.« Nathalie schenkte ihr ein hinreißendes Lächeln. »Wer hat schon das Glück, eine Freundin zu haben, die eine berühmte Modeschöpferin ist«, sagte sie herzlich. »Übertreib nicht«, lachte Annabel, »du bist bisher meine beste Kundin. Aber ich muß zugeben, daß du auch die beste Werbung für mich bist. Frau Norden und Frau Delorme haben Abendkleider bei mir bestellt, und es macht natürlich Freude, für so schöne Frauen zu arbeiten.« »Es ist auch eine reine Freude, sich von einer schönen Frau beraten zu lassen, die so viel Geschmack hat.« »Jetzt mal Schluß mit der Beweihräucherung«, sagte Annabel. »Wieso mußte Alexander eigentlich so plötzlich nach Spanien?« »Wegen seiner Großmama. Sie ist ein bißchen tyrannisch. Wenn sie pfeift, muß alles springen. Aber sie ist steinreich, und da werden Zugeständnisse gemacht.« Annabel runzelte leicht die Stirn. »Und wie kommst du mit seinen Eltern zurecht, Nathalie?« In Nathalies Augen blitzte es schelmisch. »Wahrscheinlich hätten sie es lieber gesehen, Alexander hätte ihnen eine Prinzessin präsentiert, aber immerhin bin ich ja auch eine ganz gute Partie!« Annabel wußte, daß Nathalie sogar eine sehr gute Partie war, denn sie selbst hatte eine großzügige Starthilfe von der Internatsfreundin bekommen. Freilich stärkte die finanzielle Sicherheit auch Nathalies Selbstbewußtsein, und ihr ererbtes Vermögen hatte ihr wohl auch die Tür zu Schloß Thureck geöffnet. Für Alexander von Thureck zählte jedoch nur, daß er dieses bezaubernde Mädchen

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Dr. Norden Bestseller – 257 –

Eine Woche vor der Hochzeit

Patricia Vandenberg

Nathalie Engstroem probierte ihr Brautkleid an, und Annabel Brillon betrachtete das grazile, bildschöne Mädchen mit Wohlgefallen.

»Bezaubernd«, sagte sie zufrieden, »aber dünner darfst du jetzt nicht mehr werden vor lauter Aufregung, sonst sitzt die Corsage nicht mehr.«

Nathalie schenkte ihr ein hinreißendes Lächeln. »Wer hat schon das Glück, eine Freundin zu haben, die eine berühmte Modeschöpferin ist«, sagte sie herzlich.

»Übertreib nicht«, lachte Annabel, »du bist bisher meine beste Kundin. Aber ich muß zugeben, daß du auch die beste Werbung für mich bist. Frau Norden und Frau Delorme haben Abendkleider bei mir bestellt, und es macht natürlich Freude, für so schöne Frauen zu arbeiten.«

»Es ist auch eine reine Freude, sich von einer schönen Frau beraten zu lassen, die so viel Geschmack hat.«

»Jetzt mal Schluß mit der Beweihräucherung«, sagte Annabel. »Wieso mußte Alexander eigentlich so plötzlich nach Spanien?«

»Wegen seiner Großmama. Sie ist ein bißchen tyrannisch. Wenn sie pfeift, muß alles springen. Aber sie ist steinreich, und da werden Zugeständnisse gemacht.«

Annabel runzelte leicht die Stirn. »Und wie kommst du mit seinen Eltern zurecht, Nathalie?«

In Nathalies Augen blitzte es schelmisch. »Wahrscheinlich hätten sie es lieber gesehen, Alexander hätte ihnen eine Prinzessin präsentiert, aber immerhin bin ich ja auch eine ganz gute Partie!«

Annabel wußte, daß Nathalie sogar eine sehr gute Partie war, denn sie selbst hatte eine großzügige Starthilfe von der Internatsfreundin bekommen. Freilich stärkte die finanzielle Sicherheit auch Nathalies Selbstbewußtsein, und ihr ererbtes Vermögen hatte ihr wohl auch die Tür zu Schloß Thureck geöffnet. Für Alexander von Thureck zählte jedoch nur, daß er dieses bezaubernde Mädchen liebte.

Erst vor einem halben Jahr hatten sie sich anläßlich eines Wohltätigkeitskonzertes kennengelernt. David Delorme hatte dirigiert, und Nathalie war von Katja Delorme mit dem jungen Baron Alexander von Thureck bekannt gemacht worden.

Liebe auf den ersten Blick, für Nathalie schien ein Märchen Wirklichkeit zu werden, und in acht Tagen sollte nun Hochzeit sein.

Nathalie Engstroem war eine Waise, aber als arme Waise konnte man sie wahrhaftig nicht bezeichnen, auch nicht, was ihr Naturell betraf. Sie war wohl unter einem glücklicheren Stern geboren als ihre Eltern und hatte wohl einen ganz besonderen Schutzengel, jedenfalls bis zu diesem Tage, an dem sich mit einem heftigen Schlag ihr Leben ändern sollte.

Um Annabel, ihrer einzigen Freundin, nahe zu sein, hatte sie sich nach der Internatszeit entschlossen, in München zu leben und zu studieren, und da sie volljährig war und über sich und ihr Vermögen selbst verfügen konnte, hatte sie sich eine bezaubernde Maisonettewohnung gekauft und eingerichtet.

Dr. Steinberger, ihr Anwalt und väterlicher Freund, und Dr. Daniel Norden, dessen Vater ein Freund ihres Vaters gewesen war, hatten ihr dabei geholfen, und sie wußte auch, daß sie jederzeit zu ihnen kommen und sich Rat holen konnte. Aber besonders wichtig war es für Nathalie, ihrer Freundin Annabel nahe zu sein, die ebenfalls Waise, aber vom Glück nicht so begünstigt war wie Nathalie.

Nathalie studierte Architektur und Kunstgeschichte, und da sie sich um ihren Lebensunterhalt nicht zu sorgen brauchte, konnte sie voller Optimismus in die Zukunft blicken.

Einen Schatten gab es allerdings auch in ihrem Leben, und dieser hieß Valerie und war ihre Stiefschwester. Aber an sie dachte Nathalie nicht, als sie beschwingt und glücklich Annabels Atelier verließ. Sie ahnte auch nicht, daß Annabel von sorgenvollen Gedanken bewegt war, weil es ihr nicht gefiel, daß Alexander von Thureck nur eine Woche vor der Hochzeit nach Spanien reisen mußte. Aber Annabel sollte an diesem Tag auch noch von weit schlimmeren Sorgen bewegt werden.

*

Als Nathalie heimkam, fand sie im Briefkasten mehrere Briefe vor. Einer kam von ihrer schwedischen Großtante Ragna Engstroem, die mit bereits vierundachtzig Jahren alle Geschwister und Geschwisterkinder überlebt hatte, bis auf Nathalie, die die alte Dame in allerbester Erinnerung behalten hatte. Sie hatte Tante Ragna auch oft besucht. Nun schrieb die alte Dame, wie gern sie zur Hochzeit gekommen wäre, aber die Reise würde doch zu beschwerlich sein. Sie hoffe jedoch, daß sie das junge Paar noch in Karlskrona begrüßen könne, bevor sie die Augen für immer schließen würde. Das Hochzeitsgeschenk sei bereits auf dem Wege und würde von einem zuverlässigen Freund des Hauses überbracht werden.

Also werden von meiner Seite aus nur Dr. Steinberger und hoffentlich die Nordens anwesend sein, wenigstens mit Bestimmtheit Annabel, ging es Nathalie durch den Sinn, aber dann betrachtete sie den nächsten Brief mit Beklemmung. Da die Anschrift mit Maschine geschrieben war, fiel es ihr erst jetzt auf, da sie ihn umdrehte, daß er von Schloß Thureck kam. Warum ein Brief, warum nicht ein Anruf, fragte sie sich, und ihre Finger bebten, als sie den Umschlag aufriß. Und dann wurde es ihr schwarz vor Augen.

Das kann nicht wahr sein, dachte sie, das träume ich, oder es erlaubt sich jemand einen bösen Scherz mit mir. Es dauerte lange, bis sie sich soweit gefaßt hatte, daß sie den Brief nochmals lesen konnte, der nicht einmal eine persönliche Anrede aufwies, sondern an Fräulein Nathalie Engstroem gerichtet war.

In Anbetracht besonderer Umstände, von denen wir erst jetzt Kenntnis erhielten, die Ihnen aber bestens bekannt sein dürften, teilen wir Ihnen im Auftrag unseres Sohnes Alexander mit, daß eine Heirat selbstverständlich nicht in Frage kommt, da eine so traditionsreiche Familie es sich nicht leisten könne, erbkranken Nachwuchs zu bekommen. Es wäre uns allen die Peinlichkeit erspart geblieben, hätten Sie sich nicht in Schweigen darüber gehüllt, daß Ihre geisteskranke Mutter noch lebt.

Unterzeichnet hatte Baron Karl Friedrich von Thureck, namens seiner Ehefrau Eliane und seines Sohnes Alexander.

Fassungslos starrte Nathalie diesen Brief an. Sie mußte ja fassungslos sein, denn was da stand, war aus der Luft gegriffen, war eine schreckliche Lüge. Und es war infam, ihr solches zu schreiben, womöglich eine Erklärung für etwas anderes zu finden, was sie selbst sich nicht erklären konnte. Aber nach dem Schock regte sich ihr Stolz. Alles in ihr begehrte auf gegen diese Niedertracht, denn etwas anderes konnte sie darin nicht sehen. Ihre Gedanken überstürzten sich.

Sie griff zum Telefon und wählte Annabels Nummer. Die meldete sich mit ihrer warmen dunklen Stimme.

»Das Brautkleid kannst du auf den Müll werfen«, stieß Nathalie außer sich vor Zorn hervor. »Ich fahre jetzt zu Dr. Norden, dann komme ich zu dir und erkläre es dir. Frag jetzt nichts, ich weiß keine Antwort.«

Und es blieb eine konsternierte Annabel am Telefon zurück, die sich allerdings dann fragte, ob all ihre Zweifel, ob Nathalie das wahre Glück finden würde, nicht doch berechtigt gewesen waren.

Nathalie dachte jetzt nur, daß der einzige, der ihr einen ehrlichen Rat geben konnte, Dr. Norden wäre. Erbkranker Nachwuchs, was sollte das bedeuten? Wie konnte man nur auf solch einen unglaublichen Gedanken kommen?

Sie setzte sich in ihren Wagen, aber sie brachte kaum den Schlüssel in den Anlasser, so sehr zitterten ihre Finger. Sie fuhr wie in Trance. Wie kann man mir das antun, wie bringt es Alexander fertig, nichts anderes vermochte sie zu denken.

Sie hätte nicht zu sagen gewußt, wie sie es bis zum Lindenplatz schaffte, ohne daß etwas passiert war, aber als sie dann ausstieg, war sie doch so geistesabwesend, daß sie den Wagen nicht bemerkte, der um die Ecke bog. Es ging alles rasend schnell. Sie merkte noch den Stoß, aber dann verlor sie schon das Bewußtsein. Sie war auf ihren Wagen zurückgeschleudert worden.

Ein paar Schreckensschreie wurden vom Straßenlärm übertönt, doch wenig später nahte schon die Funkstreife mit Blaulicht und Sirene.

*

Die Praxis von Dr. Norden lag keine hundert Meter entfernt, und von den Fenstern aus konnte man auf den Lindenplatz schauen. Als die Sirene zu vernehmen war, eilte Loni ans Fenster.

»Chef, ein Unfall, fast vor der Tür«, rief sie, und Dr. Norden griff gleich nach seinem Arztkoffer. Die Patientin, die eben im Gehen begriffen war, sank erschrocken auf einen Stuhl, so rasch sauste er an ihr vorbei, wußte er doch sehr gut, daß bei einem Unfall Minuten über Leben und Tod entscheiden konnten.

Aber wie entsetzt war er, als er Nathalie erkannte. Da verlor auch er fast die Fassung.

Der Notarztwagen kam. »Sofort zur Behnisch-Klinik«, ordnete Dr. Norden mit heiserer Stimme an. »Ich kenne die Patientin. Ich werde mitfahren.«

Loni beobachtete das vom Fenster aus. Sie sagte den Patienten, die im Wartezimmer saßen, daß Dr. Norden das Unfallopfer in die Klinik bringen würde. Da murrte keiner. Sie kannten ihren Doktor. Er gehörte zu den wenigen, auf die man sich immer verlassen konnte.

Für Loni war es auch ein gewaltiger Schock, als sie erfuhr, wer da so schwer verletzt worden war, denn alle, die Nathalie kannten, mochten dieses bezaubernde, natürliche und immer fröhliche Mädchen. Und Loni wußte auch, daß die Hochzeit in acht Tagen stattfinden sollte. Allerdings wußte für die nächsten Stunden noch niemand, was Nathalie so erschüttert und aus der Fassung gebracht hatte. In der Behnisch-Klinik wurde um ihr Leben gekämpft. Mit Herzmassage und künstlicher Beatmung konnte die allerschlimmste Gefahr gebannt werden, aber was sich noch an Verletzungen herausstellen wurde, von den bereits festgestellten Brüchen abgesehen, konnten auch die Ärzte noch nicht sagen. Vorerst mußte der Kreislauf stabilisiert werden. Das Gesicht war überraschenderweise kaum verletzt. Eine Schramme an der Wange, die aber kaum geblutet hatte und eine kleine Platzwunde an der Lippe, die möglicherweise dadurch entstanden war, daß sich Zähne dort eingegraben hatten.

Dr. Norden konnte nicht viel sagen. Er war so bestürzt, daß er nicht mal denken konnte, warum das passierte. Er hatte seine Frau kurz angerufen, ihr aber nicht gesagt, wer diesen schweren Unfall gehabt hätte. Gegen halb zwei Uhr kam er dann heim, um ein paar Bissen zu essen, denn um drei Uhr mußte er wieder in der Praxis sein.

Er brachte es Fee dann schonend bei, und sie war genauso fassungslos wie er. Mit großen, erschrockenen Augen starrte sie ihn wortlos an.

»O Gott, so kurz vor der Hochzeit«, flüsterte sie. »Weiß ihr Verlobter schon Bescheid?«

»Ich konnte niemanden erreichen. Die Haushälterin sagte mir, daß die Herrschaften in einer Familienangelegenheit nach Spanien fliegen mußten. Sie war merkwürdig kurz angebunden, als ich ihr erklärte, daß Nathalie einen Unfall gehabt hätte und hat mir auch nicht gesagt, wie man die Thurecks erreichen könnte.«

»Ob die alte Baronin gestorben ist? Sie lebte doch in Spanien«, sagte Fee sinnend.

»Na, das hätte sie doch sagen können«, meinte Daniel.

»Sieht es schlimm aus?« fragte Fee beklommen.

»Sehr schlimm, ich kann es nicht verheimlichen. Sie ist sogar selber schuld, wenigstens zum Teil, weil sie auf der falschen Seite unachtsam aus dem Wagen stieg. Der andere war allerdings ein bißchen zu schnell um die Ecke gebogen. Ich kann nur immer wieder sagen, daß man rüberrutschen soll zum Fußweg.«

»Ich merke es mir nun bestimmt«, sagte Fee kleinlaut, und ein trockenes Schluchzen war in ihrer Stimme. »Nathalie ist so ein liebes Geschöpf, und sie hat doch in ihrem Leben wahrhaftig schon genug aufgeladen bekommen. Soviel, daß es überhaupt ein Wunder ist, daß sie so beglückend lebensfroh wurde.«

Über all das, was Nathalie Engstroems junges Leben schon belastet hatte, sollte in den kommenden Tagen und Wochen noch viel gesprochen werden. Als Dr. Norden jedoch am frühen Nachmittag wieder in die Praxis kam, rief Annabel Brillon an.

Was Loni hörte, ließ sie wieder erschrecken. Annabel nannte ihren Namen und sagte, daß sie die Freundin von Nathalie sei.

»Nathalie sagte mir am Telefon, daß sie zu Dr. Norden fahren wolle und dann zu mir kommen würde, um mir etwas zu erklären«, sagte Annabel weiter. »Ich warte und warte, und nun wollte ich fragen, ob Nathalie in der Praxis war.«

»Es tut mir leid, aber sie hatte einen Unfall«, sagte Loni beklommen. »Sie liegt in der Klinik.«

»In welcher?« fragte Annabel erregt.

»Vielleicht ist es besser, Sie sprechen erst mit Dr. Norden, Frau Brillon«, sagte Loni leise.

»Ich komme, ich fahre sofort los«, erklärte Annabel.

*

Annabel bebte. Sie sah das Brautkleid auf der Puppe, und in ihr kroch ein Gefühl hoch, das sie nicht deuten konnte, das sie auch nicht als Haß bezeichnen wollte, obgleich in ihr der Gedanke übermächtig wurde, daß man Nathalie etwas Grausames zugefügt haben mußte.

Das sollte niemand wagen, der sich Annabel Brillon nicht zur unversöhnlichen Feindin machen wollte. Sie hatte Alexander von Thureck bisher nur einmal gesehen und ihn als einen sympathischen jungen Mann kennengelernt. Aber ob er auch gut genug für Nathalie wäre, wollte sie nicht spontan sagen, das wollte sie erst noch bewiesen bekommen.

Und dann diese Familie! Nathalie hatte nicht viel darüber gesprochen, sondern eben nur nachsichtig bemerkt, daß es ziemlich alter Adel sei und entsprechend traditionsbewußt, aber sonst nicht etwa engstirnig. Alexanders Vater machte jedenfalls einen recht lebenslustigen Eindruck. Und scherzhaft hatte sie auch noch bemerkt, daß man sie beschnuppert und wohl für gut befunden hätte.

Für Nathalie zählte Alexander und ihre Liebe. Sie war drei Jahre alt gewesen, als ihre Mutter gestorben war und gerade vierzehn, als der Vater bei einem Hotelbrand in Indien ums Leben kam. Tante Ragna, die sich sehr viel mit Astrologie und den parapsychologischen Wissenschaften befaßte, hatte gesagt, daß ihm das Unglück in die Wiege gelegt worden sei, wie auch seine Großherzigkeit und Menschenfreundlichkeit.

Tatsächlich hatte Magnus Engstroem kein Glück im Leben gefunden, sofern man seinen Reichtum nicht als solches bezeichnen wollte, denn er hatte eigentlich keine Beziehung zum Geld. Die Familie war sehr vermögend gewesen schon seit dem Mittelalter. Riesige Besitzungen in Europa und Übersee hatten der Familie gehört, die immer kleiner wurde, und schließlich war er der einzige männliche Nachkomme, da sein Bruder bereits in jungen Jahren durchgebrannt war und man nie wieder etwas von ihm hörte. Tante Ragna hatte zwar immer behauptet, er würde noch leben, aber Beweise dafür gab es nicht, und Magnus hatte aufgehört, nach ihm zu forschen, weil er mit eigenen Mißlichkeiten genug zu tun hatte. Großherzig und menschlich wie er dachte, heiratete er die hübsche, aber sehr labile Britta Jacobsen, die von Björn Engstroem mit einem Kind sitzengelassen worden war. Das war auch der Grund für seine Flucht gewesen, und später sollte Magnus, der Ältere, verstehen lernen, daß Björn diese Flucht nicht zu verdenken war, denn Magnus lernte die nach außen hin so mimosenhafte Britta so richtig kennen. Die Tochter Valerie wurde geboren, und Magnus Engstroem mußte es oft bereuen, daß er sie als sein Kind ausgegeben hatte. Allerdings hatte ihm dafür sein Schwiegervater dicke Aktienpakete übereignet, die er allerdings nicht anrührte, sondern Britta bei der Scheidung übergab, die drei Jahre später erfolgte, und die sie selbst auch gewünscht hatte.

Von alldem wußte selbst Nathalie nichts Genaues. Ihr Vater hatte nicht darüber gesprochen. Nur die alte Tante Ragna Engstroem wußte davon, aber auch sie bewahrte Schweigen. Doch wie gut wäre es gewesen, hätte Nathalie wenigstens dies gewußt, denn was sonst noch geschehen war, hätte ihr Wesen und ihre Einstellung zum Leben wohl doch verändert.

Jetzt wußte Nathalie aber überhaupt nichts mehr, und die Ärzte hofften inbrünstig, daß das Koma nicht zu lange anhalten würde und dieses so bezaubernde Geschöpf kein wirkliches Leben mehr erwartete.

*

Dr. Norden hatte indessen eine überaus erregte Annabel empfangen. Er hatte ihr den Vorzug gegeben, da es für ihn unglaublich wichtig war zu erfahren, warum Nathalie ihn aufsuchen wollte, denn das hatte er ja nicht gewußt und auch nicht erwartet.

Stockend und unter Tränen erzählte ihm Annabel von dem Anruf.

»Ich solle das Kleid auf den Müll werfen, das Hochzeitskleid«, schluchzte sie auf. »Nathalie wollte zu mir kommen und mir alles erklären. Heute morgen hat sie das Kleid anprobiert und war fröhlich und guter Dinge.«

»Kein Anzeichen von Depression oder Ärger oder wenigstens einem Zweifel?« fragte er.

»Nichts. Als ich sie fragte, warum denn Alexander so kurz vor der Hochzeit noch nach Spanien hätte fliegen müssen, erklärte sie, daß seine Großmutter ihre Eigenheiten hätte und immens reich sei und die Familie damit wohl auch tyrannisiere. Ich muß gestehen, daß ich schon manchmal Bedenken hatte, ob sich Nathalie in dieser Familie wirklich heimisch fühlen könnte, und das sollte man ja wohl auch, wenn man sich zu einer Heirat entschließt. Sie hat so ein liebes, herzliches Wesen, und die Thurecks sind adelsstolz und konservativ.«

»Aber Alexander doch nicht. Wir haben ihn kennengelernt, und wir sind auch überzeugt, daß er Nathalie aufrichtig liebt.«