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Auriel ist glücklich. Endlich hat Lúthien gelernt, sie mit seinem ganzen Herzen zu lieben – auch über die Grenzen ihrer Kulturen hinweg. Er will sogar mit ihr in die Auen reisen … aber dann kommt alles anders! Das Reich der Hochelfen bittet sie um Hilfe: Überall auf dem Kontinent werden Elfen von schrecklichen Erdspalten verschluckt. Lúthien soll einen Rat leiten, der die ewigen Kriege der Völker beendet und sie gemeinsam gegen die fremde Magie kämpfen lässt. Doch plötzlich wendet sich ihr Feind gegen Auriel ... »Der Kodex« ist der dritte Teil der EISELFEN-Saga, die von verfeindeten Nordvölkern und einer komplizierten Liebe erzählt.
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Josefine Gottwald
EISELFEN
DER KODEX | Band 3
Copyright © 2022 Josefine Gottwald
Markt 9 | 01816 Bad Gottleuba-Berggießhübel | [email protected]
Umschlaggestaltung: Isis Sousa, www.helheimendesign.no
Innenillustrationen: Martin Mächler
Lektorat/Korrektorat: Jana Isabella Treuter
Alle Rechte vorbehalten.
Inhalt
Titel
Prolog
Der Feenschlund
Das Grab im Felsen
Der Kodex
Die Autorin
Zum Weiterlesen …
Haldar trieb das Vieh die grünen Hügel hinab. Von den Sommerstürmen unbeeindruckt, trotteten die Hochlandrinder durchs Gras und stießen sich nur ab und zu mit ihren ausladenden Hörnern an – Haldar hatte sich schon öfter gefragt, ob sie ein wenig beschränkt waren oder einfach durch das zottige Fell nicht viel sehen konnten.
Der Wind wehte ihm sein Haar ins Gesicht, das von derselben rotbraunen Farbe war. Vielleicht hatte man ihm deswegen diese Aufgabe gegeben, dachte er missmutig; er war inzwischen schon fast ein Teil seiner Herde geworden. Aber in letzter Zeit brachte es nicht viel Freude, das Vieh zu hüten. Er suchte in den Hügeln nach der Magie des Landes, doch er fand sie immer seltener. Selbst die Blumen blühten nicht mehr, in den Seen starben die Fische und auffällig viele Bäume verloren ihre Blätter mitten im Sommer und wurden zu kahlen Skeletten. Es war, als hätten die Götter Sidhmor verlassen – ein beunruhigendes Phänomen, das man im ganzen Reich beobachtete, und dem sich nun der König der Hochelfen annehmen wollte.
Haldar trieb die Kühe mit seinem Stecken voran und stützte sich darauf ab, als er den Hang wieder hinunter musste. Auf der anderen Seite des sumpfigen Tals ging es erneut bergan; in der weiten Ebene des Landes konnte man tagelang die Hügel auf und ab wandern. Der Hirte blickte in die Ferne, wo der Grenzfluss zum Reich der Waldelfen floss.
Plötzlich wurden die Kühe unruhig und stießen ein protestierendes Muhen aus. Sie hoben ihre Köpfe, und zwischen den Fellfransen glaubte Haldar panisches Weiß in den Augen zu sehen.
»Schon gut!«, beruhigte er die Tiere und schickte sie weiter, aber die Rinder weigerten sich, vom Fleck zu gehen. Immer enger drängten sie sich zusammen und wichen vor dem Tal zurück, das sie von ihrer Weide trennte.
»Nun geht schon!«, schimpfte Haldar und stemmte sich gegen die Kuh neben ihm, um sie fortzuschieben. Der Wind verwirbelte ihr Fell und klatschte dem Elf einen Kuhschwanz ins Gesicht. Auf der anderen Seite traf ihn ein Horn in die Rippen. Er beschwerte sich lautstark und stieß die Tiere mit dem Stecken an. »Was ist denn los mit euch?«
Dann bebte die Erde. Wie eine Welle fuhr die Panik in die Tiere und verstreute sie in alle Richtungen. Dabei kamen sie sich selbst in die Quere, rannten sich fast um und wurden immer wilder, als es nicht vorwärtsging.
Haldar redete mit ihnen, aber der zitternde Boden nahm ihm die Selbstsicherheit und das Gleichgewicht. Er stolperte den Hügel hinauf und wich den Hörnern nur mit Mühe aus. Als er in das Tal blickte, erstarrte er vor Schreck. Mitten in der feuchten Wiese hatte sich die Erde aufgetan, und ein klaffender Riss zog sich in seine Richtung. Er sah, wie eine mächtige Eiche in der Spalte verschwand, dann ereilte es eine Kuh.
Haldar rannte so schnell wie nie. Hinter ihm stürzte seine ganze Herde mit quiekenden Schreien in die Schlucht. Er wollte seine Ahnen um Hilfe bitten, einen schnellen Schutzzauber sprechen, aber er fand keine Verbindung, das Land war tot. Er versuchte es verzweifelt noch einmal, aber dabei rutschte er aus und schlitterte über die Kante.
Geistesgegenwärtig krallte er sich in das Gras und suchte mit den Beinen nach Halt. Er drehte den Kopf nach einem knirschenden Geräusch, aber was er sah, überstieg seinen Verstand: Die Ausläufer der Erdspalte verengten sich wieder und verschwanden schließlich, als wäre nichts geschehen.
Er brüllte, als er begriff, dass die Kluft ihn zerquetschen würde. Mit einer Hand glitt er ab. Seine Kühe waren verschwunden, in eine bodenlose Schwärze gestürzt.
Haldar hangelte nach einem neuen Grasbüschel und glaubte, in seinem Rücken schon die andere Wand zu spüren. Vor Panik riss er das Gras aus und sank tiefer. Er fasste nach, krallte seine Finger in den Boden, aber er rutschte weiter. Die nutzlosen Halme in der Hand, fiel er in einen Schlund, der sich über ihm schloss und den Hirten verschluckte, als hätte es ihn nie gegeben.
Ein Lachen erfüllte die Dunkelheit, kraftvoll und heiser – heimtückischer als das der Elfen. Haldar landete zwischen den Leibern der Kühe, die panisch muhten, als er sich befreien wollte.
Das Lachen kam näher, und mit ihm das Glimmen einer Blendlaterne. Es reflektierte sich auf dem ganzen Körper des Wesens und beleuchtete seine schwarze Rüstung, die sogar sein Gesicht verbarg. War das der Herrscher dieser Hölle?
Er überragte Haldar um mindestens zwei Köpfe und schob die Kühe aus dem Weg, als ob es Lämmer wären. Ein Kettenhandschuh packte den Elf am Hemd; er versuchte, rückwärts zu kriechen, und sah in der finsteren Maske glühende Augen, die ihn durchbohrten. Die Laterne fiel zu Boden und erlosch, das Klirren eines Schwerts durchschnitt die Schwärze. Haldar wehrte sich gegen den Griff des Hünen, aber in diesem Moment wurde ihm klar, dass es stimmen musste: Die Götter hatten das Land aufgegeben. Und nun nahte auch sein finsteres Ende.
Sie ritten durch den lichten Sommerwald. Zwei Eichhörnchen jagten über die Äste hinweg und Falter tanzten zwischen schattigen Blüten. Irgendwo rief ein Kuckuck, als ein leiser Wind die Blätter rauschen ließ und die Sonnenstrahlen weich über Auriels Kleid fielen. Sie schloss ihre Augen, atmete den warmen Duft des Waldbodens ein und nahm die Atmosphäre in sich auf. Sie genoss die Stille, den unsterblichen Geist der Natur, der aus immer wiederkehrenden Kreisläufen bestand und sich nicht um die Belange der Königshäuser kümmerte. Die Bäume kannten keine Sorgen, nur das Sein. Sie nahmen die Umstände hin, wie sie waren, und Auriel fühlte, dass sie diese Beständigkeit von ihnen lernen konnte. Sie atmete aus.
Seit sie die Auen verließ, hatte sie nicht mehr so intensiv gespürt, was es bedeutete, ein ewiges Leben zu führen. Sie fühlte die Waldluft in ihrer Brust, roch die Aromen harziger Zweige und wilder Kräuter, und blickte in das Gesicht von Lúthien, als sie fast zu hören glaubte, wie ihre Herzen im Einklang schlugen.
Dieser lächelte verhalten und mit einem amüsierten Zug auf den Lippen, als müsste er daran denken, wie hoffnungslos romantisch sie war. Er hatte sie vor sich auf sein Pferd gesetzt und hielt sie mit einem Arm fest, während er mit dem anderen die Zügel führte. Der Hengst schnaubte und senkte den Kopf dabei; auch er schien sich zu entspannen. Es war bei Weitem etwas anderes, einen Ritt in die Wälder machen zu können, als auf das nächste Schlachtfeld gerufen zu werden.
»Verrätst du mir nun, wohin du mich bringst, mein König?«, fragte Auriel mit blitzenden Augen. Sie traute sich nur zu flüstern, weil sie glaubte, sonst den Moment zu zerstören.
Lúthien schüttelte den Kopf und schwieg. In den letzten Monaten hatte Auriel gelernt, in seinem Blick zu lesen, was in ihm vorging, aber heute gab er sich Mühe, seine Geheimnisse zu wahren. Er hatte sie am Morgen aus ihren Räumen geholt, forsch und ohne anzuklopfen, und sie hatte mit Mühe ihre Blöße bedeckt, weil sie mit so frühem Besuch nicht rechnen konnte.
»Komm mit mir in die Wälder!«, hatte er gesagt und sie bei der Hand ergriffen. »Ich möchte dir etwas schenken!« Vor Erregung zog er sie fast mit sich und lief unruhig vor der Tür auf und ab, als sie sich noch einen Augenblick erbat.
An seinem Sattel hatte er ein Bündel festgeschnürt: Einen unförmigen Sack, der mit dem Gang des Pferdes pendelte, während sie stetig bergauf kletterten. Sie ließen den Fjord und die Burg Ángthurvest unter sich und drangen immer tiefer in die raue Wildnis der Nordhlande. Aber mit jedem Schritt fühlte Auriel sich freier.
Sie ließ ihre Gedanken schweifen und streichelte den grauen Mähnenkamm. »Du hast mir nie gesagt, wie dein Pferd heißt, Lúthien.«
»Es ist auch kein sehr schöner Name«, antwortete er ebenso leise.
»Hast du es von deinem Vater bekommen?«
»Man könnte das so auslegen.« Sein Blick sprang über ihr Gesicht und zurück auf den Weg. Auriel glaubte schon, er würde sich erneut in Stille kleiden, aber dann schluckte er und erklärte: »Er brachte Thíriel eine stolze Stute aus den Wäldern. Für mich blieb ein graues Fohlen übrig.«
Auriel strich tröstend über sein Gesicht. »Er hat sie dir oft vorgezogen …« Gern hätte sie noch mehr über das Verhältnis zu seiner Schwester gewusst, aber sie fühlte, dass es der falsche Moment war.
Lúthien nickte langsam. Dann gestand er schmunzelnd: »Der kleine Hengst war so wild, dass jeder glaubte, ich könnte ihn niemals reiten – vor allem mein Vater. Aber ich habe das Fohlen beinahe mit der Hand aufgezogen; jeden Tag ging ich zu ihm …« Er sah sie an. »Der Hengst war mein Gefährte, wenn kein anderer da war.«
Seine Worte schmerzten Auriel in der Seele. Sie lehnte ihre Stirn an seinen Kragen und hauchte einen Kuss auf seinen Hals. Sie hätte jahrelang mit ihm so reiten können.
»Sein Name ist Fahlhufer«, ergänzte er, als er merkte, dass er ihr die Antwort schuldig war. »Wie das Pferd des Todes.« Auriel schwieg. »Du hättest ihn sehen sollen, er war ein Skelett! Ich hätte selbst nie gedacht, dass er mal ein Streitross werden könnte.« Lúthien lachte. Er strich dem Grauschimmel über den Hals, und Falhofnir antwortete mit einem Schnauben. Seine wachen Augen folgten jedem Rascheln in den Zweigen und seine Ohren zuckten aufmerksam von den Geräuschen des Waldes zu der vertrauten Stimme seines Herrn.
»Er ist ein gutes Pferd!«, befand Auriel und kraulte die Mähne, die eigentlich nicht besonders hübsch aussah, sich aber glatt und seidig anfühlte – fast wie das Haar des Königs.
Lúthien schien so zufrieden, als ob ihm die Zärtlichkeit galt; in seinem Blick leuchtete die Vorfreude. Auriel gönnte ihm den kleinen Triumph, auch wenn sie in seinem Arm zappelte, weil sie kaum erwarten konnte zu erfahren, was er plante.
Plötzlich hielt Falhofnir an. Lúthien stieg ab und hob seine Gemahlin aus dem Sattel. Auriel sah sich um und entdeckte ein seltsames Gebilde auf der Lichtung, die auf einem Felsplateau lag. Der König band den unförmigen Sack vom Sattel los, warf ihn über die Schulter und führte Auriel näher heran, während er sein Pferd in der Sonne grasen ließ.
»Das ist … eine Falle!«, erkannte die Königin und deutete auf den Pferch, dessen Einfriedung mit Ästen und Farnen verkleidet war.
»So leicht macht man dir nichts vor!« Er küsste ihre Hand und sah sie einen Moment an, in dem sie daran dachte, wie schwer es gewesen war, zu ihm zu finden und wie leicht er sich noch immer abwandte, wenn sie ihn zu sehr bedrängte. Sie lächelte verhalten, und er zog sie weiter, ins Innere des Gatters, wo sie ein Podest – wie ein winziges, aber sehr hohes Tischchen – erkannte, von dem aus ein Hanfseil bis zu dem beweglichen Tor gespannt war. Lúthien griff in den Sack und zauberte einen rosafarbenen Kristall von der Größe eines Kinderkopfs heraus.
»Und was ist das, meine schlaue Königin?«, wollte er wissen und hielt es ihr vor die Nase. Sie roch keine bekannte Note, aber das bestätigte ihre Vermutung – obwohl sie nie einen so großen Kristall gesehen hatte. Sie berührte die raue Oberfläche und fuhr die weißen Schattierungen nach, die den Stein wie Eis aussehen ließen. Dann führte sie ihre Finger an die Lippen und benetzte sie vorsichtig mit der Zungenspitze.
»Das ist Salz«, erklärte sie siegesgewiss.
Lúthien verneigte sich spielerisch. »Kein Geheimnis ist vor dir sicher.« Sie fand keine Worte für ihr Glück, als sie sah, wie heiter er gestimmt war. Sie bewunderte seine stattliche Erscheinung, die ungeduldige Art, mit der er sich das Haar aus den Augen wischte. Und sie hing an seinen Lippen, als er von den wilden Pferden sprach und ihr erzählte: »Sie lieben das Salz, aber sie müssen mühevoll im Felsen danach suchen und kommen deswegen gern hierher, wo wir es ihnen geben.«
»Und dann fangt ihr sie ein?«
Der König nickte. »Dadurch, dass alle Pferde Wildfänge sind, bewahren sie … ihr Feuer, könnte man sagen.« Er blitzte sie an.
Auriel lächelte verlegen. Einen kurzen Moment machte es ihr Sorgen, einem wilden Tier die Freiheit zu nehmen, aber dann sah sie zurück zu Falhofnir, der zufrieden weidete, und begriff, dass es in den Nordhlanden andere Methoden gab als in den Auen ihrer Heimat, wo man Pferde in großen Herden züchtete. Ebenso war dort auch ihr Wesen: Gezähmt und genügsam, aber auch eigenartig reserviert. Sie hatten keine Freude daran, den Elfen zu dienen. Der graue Hengst hingegen schien Lúthien als Teil seiner eigenen Herde zu betrachten. Als seine einzige Familie vielleicht.
»Du bekommst ihr Vertrauen nur mit viel Mühe«, erklärte der König weiter, während er das Gatter abging und die Latten überprüfte. Beinahe hätte Auriel einen Vergleich auf ihre Beziehung angestrengt, aber er fuhr fort: »Doch wenn ein Wildpferd dir folgt, bleibt es sein Leben lang treu. Es wird für dich durch Flammen gehen.« Er blieb stehen und sah sie an. In seinem Rücken rauschten die Baumwipfel, und die Schatten tanzten über seinen Umhang. Auriel ging auf ihn zu, mit dem festen Vorsatz, ihn zu küssen für seine Worte, aber er beeilte sich, das Salz auf den Block zu legen und noch einmal die Apparatur des Tors zu kontrollieren. »Sie werden es bald riechen«, versicherte er, »und wir warten so lange.« Dann griff er ihre Hand und zog sie wieder hinaus.
Auriel wollte wissen, ob es die Pferde nicht abschreckte, wenn sie einmal gesehen hatten, wie die Falle zuging, aber Lúthien erklärte, dass ihr Verlangen stärker war.
»Wenigstens eine Sache konnte ich von meinem Vater lernen …« Sein Gesicht verdüsterte sich. »Die Gier nach einer Sache kann dich die Vorsicht für alles andere vergessen lassen.«
Auriel strich zärtlich über seinen Arm, als er die Zügel von Falhofnir aufnahm und sein Pferd und seine Frau von der Lichtung führte.
»Wir müssen noch ein Stück weiter hinauf, von dort können wir sie beobachten!