Er kannte nur ihren Namen - Toni Waidacher - E-Book

Er kannte nur ihren Namen E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Die kleine Kneipe war bis auf den letzten Platz besetzt. Rauchschwaden hingen in der Luft, auf einer kleinen Bühne jazzte eine Dreimann-Combo, und die Bedienungen hatten alle Hände voll zu tun. Dabei herrschte ein unglaublicher Lärmpegel in dem Raum, in dem Kerzen auf den Tischen brannten und die Gäste lebhaft diskutierten. Entweder weltpolitische Ereignisse oder ganz persönliche Probleme. Aber alles in allem war die Gastwirtschaft ›Beim Huber‹ ein gemütliches Lokal, und die meisten, die hier saßen, waren Stammgäste. Genauso, wie die beiden Madln, die am Tresen standen und sich unterhielten. Franzi Lohringer warf nebenbei einen Blick auf die Uhr. »Du, ich glaub', wir müssen bald aufbrechen«, meinte sie. »Die letzte Straßenbahn fährt in zehn Minuten.« Katharina Sonnenlechner seufzte und trank ihr Glas leer. »Schad'«, sagte sie. »Aber du hast Recht. Morgen früh sollt' ich wohl besser ausgeschlafen sein, wenn ich wieder nach Haus' fahr'.« Sie bezahlten ihre Rechnung und verließen das Lokal, das in einer Seitenstraße im Münchner Stadtteil Schwabing lag. Draußen atmeten sie tief durch. Erst jetzt bemerkten die beiden Nichtraucherinnen, wie verqualmt es drinnen gewesen war. »Eine herrliche Nacht«, schwärmte Franzi.

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Der Bergpfarrer – 361 –

Er kannte nur ihren Namen

Der Ritter mit dem gebrochenen Herzen

Toni Waidacher

Die kleine Kneipe war bis auf den letzten Platz besetzt. Rauchschwaden hingen in der Luft, auf einer kleinen Bühne jazzte eine Dreimann-Combo, und die Bedienungen hatten alle Hände voll zu tun. Dabei herrschte ein unglaublicher Lärmpegel in dem Raum, in dem Kerzen auf den Tischen brannten und die Gäste lebhaft diskutierten. Entweder weltpolitische Ereignisse oder ganz persönliche Probleme. Aber alles in allem war die Gastwirtschaft ›Beim Huber‹ ein gemütliches Lokal, und die meisten, die hier saßen, waren Stammgäste. Genauso, wie die beiden Madln, die am Tresen standen und sich unterhielten.

Franzi Lohringer warf nebenbei einen Blick auf die Uhr.

»Du, ich glaub’, wir müssen bald aufbrechen«, meinte sie. »Die letzte Straßenbahn fährt in zehn Minuten.«

Katharina Sonnenlechner seufzte und trank ihr Glas leer.

»Schad’«, sagte sie. »Aber du hast Recht. Morgen früh sollt’ ich wohl besser ausgeschlafen sein, wenn ich wieder nach Haus’ fahr’.«

Sie bezahlten ihre Rechnung und verließen das Lokal, das in einer Seitenstraße im Münchner Stadtteil Schwabing lag.

Draußen atmeten sie tief durch. Erst jetzt bemerkten die beiden Nichtraucherinnen, wie verqualmt es drinnen gewesen war.

»Eine herrliche Nacht«, schwärmte Franzi. »Eigentlich viel zu schad’, um schon schlafen zu gehn.«

Sie sah die Freundin an.

»Aber es stimmt natürlich, ausgeschlafen solltest’ schon haben, und der Zug wartet auch net.«

Kathie hängte sich ihre Tasche über die Schulter, und munter plaudernd gingen die zwei jungen Frauen die Gasse hoch. Bis zur Hauptstraße, wo auch die Straßenbahn hielt, waren es noch gut hundertfünfzig Meter.

»Finster hier«, meinte Kathie und spürte im selben Moment, wie jemand an dem Gurt ihrer Handtasche zog.

Es gab einen Ruck, dann hatte der Fremde die Tasche heruntergerissen und lief damit fort.

Im ersten Moment waren die beiden viel zu perplex, um reagieren zu können, doch dann stieß Kathie einen gellenden Schrei aus.

»Meine Handtasche! Der Kerl hat meine Handtasche gestohlen!«

Ratlos sah sie Franzi an.

»Was mach’ ich denn jetzt?« fragte sie. »Da ist doch alles drin: Ausweis, Geldbörse, die Scheckkarte. Sogar die Fahrkarte für morgen.«

»Los«, rief Franzi. »Wir müssen dem Kerl hinterher!«

Der hatte bereits einen beträchtlichen Vorsprung. Schon bald würde er die Kreuzung erreicht haben, und wenn er dann um die Ecke war, auf der Hauptstraße, mit den vielen Leuten – dann würde sie ihn bestimmt nicht mehr zu fassen bekommen.

»Haltet den Dieb!« rief Kathie, als sie eine Gestalt zwischen den parkenden Autos sah.

Sie deutete nach vorne, zu dem Mann, der mit ihrer Tasche davonlief.

Die Gestalt trat in den Lichtschein einer Straßenlaterne und entpuppte sich als ein junger Bursche. Er sah die beiden Madln fragend an.

»Der hat meine Tasche gestohlen«, rief Kathie Sonnenlechner noch einmal.

Der junge Mann begriff und spurtete dem dreisten Dieb hinterher. Der war gerade um die Ecke gebogen und übersah dabei einen großen Müllcontainer. Es gab einen lauten Knall, als er dagegen rannte, und einen Moment blieb er benommen stehen und rieb sich die Stirn.

»So, Bursche, das war’s dann wohl«, hörte er die Stimme seines Verfolgers, der hinter ihm stand und nach seinem Arm griff.

Der Dieb riß sich los, wand sich wie ein Aal und entwischte. Die Handtasche hatte der junge Mann indes festhalten und dem Kerl entreißen können.

Inzwischen waren die beiden Madln herangekommen. Kathie atmete erleichtert auf, als sie sah, daß ihre Tasche gerettet worden war.

»Ich weiß gar net, wie ich Ihnen danken soll, Herr...«, sagte sie.

»Wolfgang Bachmann«, stellte sich der tapfere Ritter vor. »Ist schon gut. Das war doch selbstverständlich.«

»Trotzdem vielen Dank. Ich heiß’ Katharina Sonnenlechner, das hier ist meine Freundin, Franzi Lohringer.«

»Angenehm«, nickte Wolfgang und strahlte die zwei jungen Frauen an. »Wie wär’s, gehn wir noch etwas trinken, auf diesen Schreck in der Abendstunde?«

Kathie zuckte die Schultern.

»Ich weiß net«, erwiderte sie. »Morgen, in der Früh’ geht mein Zug...«

»Ach komm«, meinte die Freundin, »dann nimmst’ eben einen später. Die Straßenbahn ist jetzt eh’ weg.«

Das hübsche Madl sah den gutaussehenden Mann an. Er hatte ihr sofort gefallen. Außerdem gehörte es sich wohl, daß sie sich erkenntlich zeigte und ihren Helfer zu etwas einlud.

»Also gut«, nickte sie »Ist ja auch egal, ob ich ein bissel später in Sankt Johann ankomm’.«

»Sankt Johann?« fragte Wolfgang Bachmann kurz darauf, als sie in einem Nachtcafé saßen. »Wo liegt denn das?«

»In den Bergen« erwiderte Kathie. »Es ist ein hübsches, kleines Dorf, net weit von der Grenze zu Österreich.«

Die drei jungen Leute saßen an einem runden Tisch, der in einer Ecke stand. Das Café war trotz der nächtlichen Stunde immer noch gut besucht, allerdings war hier längst nicht so viel Trubel wie ›Beim Huber‹.

Wolfgang hatte sich ein Weizenbier bestellt, während die beiden Madln Orangensaft tranken. Sie hatten sich schnell darauf geeinigt, sich zu duzen.

»Und was machst’ da, in die-

sem Sankt Johann? Urlaub vielleicht?«

»Nein«, schüttelte Kathie lachend den Kopf. »Ich wohn’ dort. Das Dorf ist mein Zuhaus’.«

»Und ich komm’ auch daher«, ließ sich Franzi vernehmen.

Und schon mußte sich Wolfgang die Vorzüge des kleinen Ortes in den Bergen anhören. Wie wunderschön es dort sei, und wie liebenswert die Menschen.

Die Unterhaltung wurde so intensiv geführt, daß sie gar nicht bemerkten, wie schnell die Zeit verging. Erst als die Bedienung kam und erkärte, daß man schließen wolle, schreckten sie auf.

»Tja, also dann«, meinte Wolfgang, als sie am Taxistand angekommen waren, »schöne Heimfahrt. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.«

»Eher unwahrscheinlich«, erwiderte Kathie. »Franzi geht in der nächsten Woche aus München fort. Das war sozusagen unser Abschiedsabend.«

»Tatsächlich?« fragte der junge Mann.

Er schien sehr enttäuscht zu sein. Nicht so sehr, weil Franzi Lohringer München offenbar verließ, wie er jetzt erfuhr, sondern weil er Kathie nicht wiedersehen würde. Dabei hatte er so sehr darauf gehofft. Wie es ihm schien, hatte ihn das junge Madl, während sie im Café saßen, immer wieder beobachtet, und in den Blicken glaubte Wolfgang ein gewisses Interesse gesehen zu haben

»Ja, ich geh’ für zwei Jahre nach Frankreich«, erklärte die Freundin. »Als Au pair.«

Der Taxifahrer blickte ungeduldig auf seinen Wagen. Es war das einzige Taxi, das am Stand auf Fahrgäste wartete. Aus dem Lautsprecher seines Funkgerätes quietschte und schnarrte es.

»Wie steht’s, die Herrschaften?« fragte er. »Möchen S’ jetzt einsteigen? Sonst kann ich nämlich auch eine sehr schöne Tour über Funk annehmen.«

Die beiden Madln stiegen schnell ein.

»Wiedersehen, mach’s gut«, riefen sie durch das Seitenfenster.

Dann war das Taxi weggefahren. Wolfgang Bachmann blieb am Straßenrand stehen und schaute den roten Lichtern hinterher. Ihm wurde es schwer ums Herz, als er an die hübsche Kathie dachte.

»Und du weißt nix von ihr, nur den Namen«, murmelte er vor sich hin.

Doch als er langsam weiterging, fiel es ihm ein, daß sie in Sankt Johann wohnt.

Mochte der Himmel wissen, wo das lag!

*

Markus Brandtner deckte den Tisch auf der Terrasse. In der Küche stand Tina Berghofer und kochte Kaffee und Eier, und richtete eine Platte mit Aufschnitt an.

»Hallo, Schatz«, sagte der junge Zahnarzt, der erst vor ein paar Wochen seine Praxis in St. Johann eröffnet hatte, »bist’ soweit? Die Wiesingers können jeden Augenblick da sein.«

»Der Kaffee läuft gerade durch«, erwiderte die junge Frau, die ebenfalls Zahnmedizin studiert hatte. »Die Platte kannst’ schon auf den Tisch stellen.«

Markus deckte den Aufschnitt mit einer Folie ab, bevor er damit nach draußen ging. Er hatte gerade noch einmal überprüft, ob nichts fehlte, als es an der Haustür klingelte.

»Ich mach’ schon auf«, hörte er seine Verlobte sagen.

Kurz darauf traten Elena und Toni Wiesinger auf die Terrasse.

»Guten Morgen«, grüßten sie. »Herzlichen Dank für die Einladung zum Frühstück.«

Die Tierärztin schaute auf den gedeckten Tisch.

»Hmm, das schaut ja prächtig aus.«

»Na ja, es wurd’ ja mal Zeit, daß ich mich für eure Gastfreundschaft bedank’«, lächelte Markus und bat die Gäste, Platz zu nehmen.

Er eilte in die Küche und kehrte gleich darauf zusammen mit Tina zurück. Er trug die gekochten Frühstückseier, während die junge Zahnärztin den Kaffee brachte.

»So, laßt es euch schmecken«, forderte Markus sie zum Essen auf. »Ich hoff’, es wird ein gemütliches Frühstück.«

Der junge Zahnarzt spielte damit auf die Möglichkeit an, daß einer der beiden Gäste, entweder die Tierärztin, oder deren Mann, der parktischer Arzt in St. Johann

war, zu einem Notfall gerufen wurde.

In der Zeit vor der eigenen Praxiseröffnung hatte Markus Brandtner ein paar Tage bei den Wiesingers logiert, ehe sein Haus bezugsfertig war. In diesen Tagen hatte er oft genug erlebt, daß einer seiner beiden Gastgeber aus einer gemütlichen Runde herausgerufen wurde, weil entweder Toni oder Elena Notdienst hatte.

»Ach ja, hoffen wir das Beste« meinte Elena Wiesinger und streute etwas Salz auf ihr Frühstücksei. »Und ab morgen hat’s, zumindest bei mir, ein End’ damit. Vorläufig jedenfalls. Heut’, im Laufe des Tages, kommt der Herr Angerer an. Er wird bei mir seine Ausbildung vollenden.«

»Angerer?« fragte Tina Berghofer. »Heißt er etwa Thomas, mit Vornamen, und kommt er aus München?«

»Ja«, nickte die Tierärztin. »Kennst’ ihn etwa?«

»Ich glaub’ ja«, erwiderte Tina. »Wenn’s net nur eine zufällige Namensgleichheit ist. Der, den ich mein’, ist der Sohn unserer Nachbarin in München.«

»Na, das wird ja eine Überraschung, wenn er’s wirklich ist«, lachte Toni Wiesinger und sah Markus fragend an. »Sagt mal, wie steht’s denn eigentlich mit eurer Hochzeit? Noch nix geplant?«

»Doch«, nickte der Zahnarzt. »Allerdings ist’s net so einfach, die ganze Verwandschaft unter einen Hut zu bringen. Immerhin kommen so an die hundertzwanzig Leut’ zusammen.«

»Du lieber Himmel!« entfuhr es Elena, »wo wollt ihr die denn alle unterbringen?«

»Tja, das ist ein weiteres Problem«, meinte Tina. »Wir müssen nämlich einen Termin haben, wenn hier die Saison so langsam zu Ende geht. Ganz vorüber darf sie natürlich auch net sein, weil dann das Wetter net mehr mitspielt. Auf der anderen Seite brauchen wir viele Zimmer in den Pensionen, und die sind noch für Wochen ausgebucht. Frühestens Anfang Oktober ist was frei.

Na ja, ein paar bringen wir auch unter und Pfarrer Trenker hat uns angeboten, ebenfalls zwei Zimmer zur Verfügung zu stellen.«

»Also, die haben wir auch frei«, sagte Elena Wiesinger. »Selbst wenn der Herr Angerer bei uns wohnt. Das Haus ist groß genug.«

»Das ist lieb von euch«, freuten sich Tina und Markus.

Das gemeinsame Sonntagsfrühstück zog sich gut zwei Stunden hin, und natürlich stand die geplante Hochzeit im Vordergrund der Unterhaltung. Während die Frauen sich – wie konnte es anders sein! – über Hochzeitskleider unterhielten, sprachen die beiden Männer über den Ablauf der Feier. Wahrscheinlich würde man gezwungen sein, den Saal des Hotels ›Zum Löwen‹ zu mieten. Zwar war Markus Brandtner erst relativ kurze Zeit in St. Johann ansässig, doch hatte der Zahnarzt schon sehr an Beliebtheit bei den Dörflern gewonnen. Nicht wenige würden an der Hochzeit ›ihres Doktors‹ teilnehmen wollen und wären sehr enttäuscht, würden sie nicht eingeladen werden

»Himmel, wenn ich da noch an unsere Hochzeit denk’«, sagte Toni Wiesinger. »Das ganze Dorf war auf den Beinen und hat das ganze Wochenende gefeiert.«

»Das kommt auf euch auch zu«, meinte Elena. »Ich schlag’ vor, wir gründen eine Hochzeitsplanungsgesellschaft, damit auch ja nix schiefgeht dabei.«

»Eine gute Idee«, lachte Tina Berghofer, »und wir zwei bilden den Vorstand.«

Die Glocken von St. Johann riefen zur Sonntagsmesse. Die beiden Frauen räumten rasch den Tisch ab, dann gingen sie gemeinsam zur Kirche hinüber.

»Wann trifft der Thomas Angerer denn ein?« erkundigte sich Tina.

Die Tierärztin schaute auf die Uhr.

»Der müßt’ jetzt eigentlich im Zug sitzen«, antwortete sie. »So gegen halb eins holt Toni ihn von der Bahn ab.«

*

Kathie Sonnenlechner stand am Fenster ihres Abteils und schaute hinaus. Draußen stand Franzi und winkte ihr zu. Das junge Madl zog die Scheibe herunter.

»Schreib’ mir bloß, wenn du in Frankreich angekommen bist«, rief sie hinaus.

»Ganz bestimmt«, versicherte die Freundin und wischte sich eine Träne aus dem Auge.

Praktisch seit dem Kindergarten kannten sie sich, hatten in der Schule zusammengesessen und waren auch später nie getrennt gewesen. Zumindest so lange, bis Franzi aus St. Johann fortging, um in München Erzieherin zu werden. Aber auch dann hielten Kathie und Franzi Kontakt. Entweder kam die eine nach St. Johann, wo auch immer noch die Eltern lebten, oder die andere fuhr für ein Wochenende nach München, so wie auch dieses Mal, das allerdings für lange Zeit auch das letzte Mal gewesen sein dürfte, denn Franzi Lothringer hatte, nachdem sie lange warten mußte, endlich eine Stelle als Aupairmädchen bei einer französischen Familie gefunden.

Und da fuhr man nicht mal eben übers Wochenende hin, der Ort, Saint Pee sur Nivelle, lag an der französischen Atlantikküste, unterhalb der Pyrenäen, und bis nach Spanien war es nur ein Katzensprung.

»Ich glaub’, damit hab’ ich wirklich ein Glückslos gezogen«, hatte Franzi noch am Vorabend gejubelt. »Schließlich werd’ ich da arbeiten, wo andere Leute Urlaub machen. Besser kann’s mir wohl net gehn.«

Und trotz der Freude auf das, was sie in der Fremde erwartete, schmerzte der Abschied doch sehr.

»Und paß auf dich auf«, schniefte Kathie. »Ich werd’ dich vermissen!«

»Ich dich auch«, rief Franzi zurück und zog ein Taschentuch zum Winken hervor.

Der Zug hatte sich ruckelnd in Bewegung gesetzt. Hinter Kathie öffnete sich die Abteiltür, doch sie achtete nicht darauf, sondern schaute auf die immer kleiner werdende Gestalt ihrer Freundin, die winkend auf dem Bahnsteig stand und das Taschentuch schwenkte. Erst als Franzi nicht mehr zu sehen war, schloß Kathie das Fenster und drehte sich um.

»Grüß Gott«, sagte der junge Mann freundlich lächelnd, der zu ihr in das Abteil gekommen war.

Er hatte seinen Koffer in das Gepäcknetz gewuchtet und sich gesetzt. Kathie nahm ebenfalls Platz und erwiderte den Gruß.

»Abschied schmerzt immer, was?« meinte der Mann.

Offenbar hatte er ihre Tränen bemerkt.

»Ja, vor allem, wenn man sich lange Zeit net sehn wird«, nickte das Madl. »Meine Freundin, der ich eben gewunken hab’, geht für zwei Jahre nach Frankreich.«

Sie lächelte.

»Tja, und ich kehr’ nach Sankt Johann zurück, in mein kleines Dorf.«

Der junge Mann beugte sich interessiert vor.

»Sagten S’ wirklich Sankt Johann?« vergewisserte er sich. »Na, so ein Zufall. Da fahr’ ich auch hin.«

Er deutete im Sitzen eine Verbeugung an.

»Gestatten – Thomas Angerer. Ich fang’ in der Praxis von Frau Doktor Wiesinger an. Die kennen S’ doch sicher?«

»Kathie Sonnenlechner«, antwortete sie. »Freilich kenn’ ich die Frau Doktor. Dann sind S’ also Tierarzt?«