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Privatdetektiv Eric Holler und Kriminalhauptkommissar Werthofen geraten in eine Intrige, bei der nichts so ist, wie es scheint. Die Ermittlungen führen sie schließlich auf die Spur eines Mannes, der in Gelsenkirchen ein Blutbad veranstalten will. Gelingt es dem ungleichen Duo, das geplante Massaker zu verhindern?
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Rückblende
01. Akt
Verfluchte Dreizehn
Order
Top-Secret
Amerika, Chapter Two
02. Akt
Analysen und Rätsel
Paukenschläge
Jäger und Gejagte
Wahre Unwahrheiten
3. Akt
Glockenläuten
Schweigen
Lebensattacken
Wortgefechte
4. Akt
Neun kleine Beamtlein
Hinterhalte
Fallen
Kopf und Kragen
Hinweise:
Veröffentlichungen des Autors
Impressum:
Eric Holler:
Gelsenkiller
Ein Gelsenkrimi
von
Roman Just
E
ric Holler und Kriminalhauptkommissar Werthofen hatten sich zwischen den Weihnachtstagen und Silvester in der ‚Hexe‘ getroffen. Das Date war von dem Beamten wegen eines unerfreulichen Anlasses vorgeschlagen worden. Sie saßen im Nebenzimmer, das eigentlich mehr ein Hinterzimmer war, da es direkt an den Gastraum anschloss. Der Kriminalkommissar wählte einen Tisch, der nur zwei Personen Platz bot. „Wir haben nie darüber gesprochen“, begann Werthofen eine Unterhaltung, nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten. Die nächsten Sätze klangen irgendwie verlegen und schienen dem Kripoangehörigen zuwider zu sein. „Fragen Sie nicht, woher ich es weiß, aber Sie hatten mit Cornelia Hansen eine Affäre. Keine Ahnung, wie die Beziehung begonnen hat und ob sie aufgrund der Umstände je beendet wurde. Hätten Sie sich mit der Frau auf eine längere Lebensgemeinschaft eingelassen?“
„Was geht Sie das an?“
„Nichts, das ist klar. Ich wollte nur hören, wie Sie zu der Dame stehen.“
„Wieso?“
Werthofen schluckte schwer. „Sie ist gestern ihrer Schussverletzung in die Brust erlegen.“ „Es tut mir leid“, fügte er hinzu. Manfred Werthofen kannte Eric erst seit ein paar Monaten. Ihm war bewusst geworden, dass der Privatdetektiv einige Geheimnisse mit sich herumtrug, doch seine Dienstjahre und die damit einhergehende Menschenkenntnis hatten den Schnüffler der Schublade der anständigen Charaktere zugeteilt. Zwar war es dem Kommissar längst noch nicht gelungen, ihn komplett zu durchschauen, aber inzwischen war es ihm gelegentlich möglich, in die Gefühlswelt des scheinbar unnahbaren Eric Holler zu blicken. Im Moment wollte er nicht in der Haut seines Gesprächspartners stecken, immerhin war die Verstorbene durch eine Kugel aus einer Waffe getötet worden, die Eric in der Hand hielt. Der Schuss hatte sich gelöst, als der Privatdetektiv von hinten angegriffen wurde. „Sie können nichts dafür“, fiel dem Kriminalhauptkommissar kein anderer Trost ein.
„Ich weiß“, erwiderte Eric und biss sich auf die Unterlippe. „Das hätten Sie mir auch alles am Telefon sagen können“, entgegnete er ohne jede weitere Regung.
Werthofen bedankte sich bei der Bedienung für die Getränke und sah sein Gegenüber an. „Hören Sie auf, so zu tun, als ob Ihnen der Tod der Frau gleichgültig wäre.“
„Haben Sie die Einladung zum Essen nur ausgesprochen, um für mich den Seelentröster zu spielen?“
„Nein, mit der Einschränkung, dass Sie vielleicht nach der Todesnachricht nicht allein sein und mit jemandem darüber sprechen möchten.“
„Sehr rücksichtsvoll und entgegenkommend.“ Zähneknirschend prostete Werthofen dem Privatdetektiv zu, stellte nach einem tiefen Schluck sein Pilsglas ab und schwieg beleidigt. „Natürlich bin ich betroffen über den Tod Cornelias, bedauerlicherweise kann ich keine tiefe Trauer empfinden. Die Frau hat mich benutzt, hintergangen und belogen, nur um mit dem Mann ein neues Leben anfangen zu können, der von seinem Vater den Auftrag hatte, mich zu beseitigen. Aus dieser Perspektive fällt es mir schwer, auch nur eine Träne zu vergießen, obwohl ich zugeben muss, dass sie nicht vollkommen verdorben war. Es stimmt: Liebe macht blind und bei ihr traf es zu. Sicher, sie und Richard Tröger hatten vor, auszuwandern, jedoch nicht die Absicht , dem Treiben in der Klinik ein Ende zu setzen. Die Beiden wollten lediglich nichts mehr damit zu tun haben und hätten sich aus dem Staub gemacht, obwohl der Kinderhandel fortgesetzt worden wäre.“
„Ich verstehe. Trotzdem kann ich nicht glauben, dass Sie so abgebrüht sind.“
Eric winkte ab. „Mir fällt es schwer anzunehmen, dass Sie sich deswegen den Kopf zerbrechen. Wie geht es mit der Kinderklinik und den Verantwortlichen weiter?“
„Das Krankenhaus wurde geschlossen, die Beteiligten sitzen in Untersuchungshaft, auch Frau Tröger. Niemand ist bereit, ihr abzukaufen, dass sie von den Vorgängen nichts gewusst haben will.“
„Was passiert mit den Kindern, die den leiblichen Müttern gestohlen worden sind?“
„Es wird Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern, bis alle Namen und Betroffenen ermittelt sein werden. Wie man mit den Erkenntnissen umgehen wird, steht in den Sternen.“
Das Essen kam auf den Tisch, das Gespräch nahm harmonischere Züge an. Mit den besten Wünschen für das Neue Jahr trennten sich die Männer nach den Gaumenfreuden und nahmen sich vor, sich in den nächsten Monaten aus dem Weg zu gehen . Weder Werthofen noch Eric konnten ahnen, dass die Zukunft ihre Wege anders vorgesehen hatte. Ein Aufeinandertreffen ihrerseits war nämlich bereits fest eingeplant. Das Schicksal schien großes Interesse daran zu haben, den Kriminalhauptkommissar und den Privatdetektiv nicht voneinander zu trennen. Wie und zu welchen Gunsten sich die Begegnungen im Lebenspendel des Einen oder Anderen auswirken sollten, wusste jedoch niemand.
Die Tage vergingen. Kurzzeitig hatte Eric in Erwägung gezogen, die Weihnachtstage bei seinen Eltern in Prien am Chiemsee zu verbringen, aber der zu erwartende Verkehr vor den Festtagen hielt ihn davon ab. Er verbrachte die Weichnachtstage überwiegend vor der Flimmerkiste und ärgerte sich maßlos über das entsetzliche Fernsehprogramm. Zig dämliche Wiederholungen, neue Schrottproduktionen und niveaulose Talks, mehr hatten die Sender nicht zu bieten. Selbst die Bezahlsender fielen durch das Raster und waren das Geld nicht wert. Okay, obwohl Atheist, Der kleine Lord musste sein, der wurde sogar in Amerika zu dieser Jahreszeit regelmäßig gesendet, aber ansonsten war das Programm eine Zumutung. Wofür also Pay-TV? Weshalb die Gebühren für die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten? Selbstverständlich um Gehälter, Pensionen und neue Einrichtungen für Büros zu finanzieren. Weniger Programme täten der Fernsehlandschaft gut, davon war er spätestens am zweiten Weihnachtstag überzeugt.
Den Jahreswechsel konnte er nicht feiern, wobei er dazu so oder so keine Lust gehabt hätte. Schon um zehn Uhr abends war er im Bett gewesen und am Neujahrstag früh morgens ohne einen Kater aufgestanden.
Er hatte den Auftrag angenommen, einen Mann während einer Geschäftsreise zu beschatten und dessen Treue zu überprüfen. Für Eric war die Aufgabe lukrativ, allerdings nicht wegen seines Tageshonorars. Die Observation bot ihm die Möglichkeit eines Tapetenwechsels, denn der Kunde hatte angeblich ein fünftägiges Meeting in Amsterdam. Am Ende waren die Angaben des Mannes korrekt, wodurch der Privatdetektiv fünftausend Euro zuzüglich Spesen für einen Bagatellauftrag einstreichen konnte.
Nach seiner Rückkehr begann Holler die Regionalzeitungen der vergangenen Tage zu durchforsten. Als Privatdetektiv musste er informiert bleiben, vor allem über Ereignisse, die sich in der Stadt und in der näheren Umgebung zugetragen hatten. Ein Artikel fiel ihm dabei besonders auf:
Spurlos verschwunden!
Seit dem 1. Januar wird Melanie C. vermisst! Wer hat die Frau gesehen oder kennt ihren Aufenthaltsort? Die Kriminalpolizei Gelsenkirchen bittet die Bevölkerung um Mithilfe, da es keine Hinweise zum Verbleib der zwanzigjährigen Studentin gibt. Ein Verbrechen kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden.
Die Zeitung war vom fünften Januar, also eine Woche alt. Eric blätterte die aktuelle Ausgabe durch und stieß auf einen ähnlichen Artikel. In diesem wurde das unerklärliche Verschwinden von Gabriele M. beschrieben. Bei ihr handelte es sich um eine Neunzehnjährige, die am Heilig-Drei-Königs-Tag nicht nach Hause gekommen war.
Weiter hieß es, dass die in Ausbildung stehende Frisörin seitdem niemand gesehen hatte. Unbewusst fielen Hollers Augen auf das Datum in der Kopfzeile: Es war Freitag, Freitag der Dreizehnte!
E
ric Holler wollte den Rest der Tageszeitung studieren, doch entweder die Post oder ein unangemeldeter Gast vor der Haustür hielten ihn davon ab. Er öffnete und sah in ein bekanntes Gesicht. „Es ist wahr, heute ist der Dreizehnte. Treten Sie ein, Herr Kriminalhauptkommissar“, begrüßte er Manfred Werthofen und schritt dem Beamten voraus. Er begab sich nicht zurück in seine Wohnung und dort zu der in der Küche auf dem Esstisch liegenden Zeitung, sondern bog nach rechts in seine Arbeitsräume ab. Er betrat das Büro, in dem sich der Schuss gelöst hatte, von dem Cornelia letztlich getötet wurde. Sofort waren die Bilder jener Nacht präsent, aber Eric ließ es sich nicht anmerken. Er nahm in dem Bürosessel Platz, wo Conny einst saß, als die Kugel in ihre Brust eindrang. Der Privatschnüffler schob die unangenehme Erinnerung zur Seite, wartete, bis Werthofen den Raum betreten und sich gesetzt hatte. „Ihr Vorsatz, mir im neuen Jahr so lange wie möglich aus dem Weg zu gehen, ist kläglich gescheitert“, bemerkte Eric.
„Es war nicht meine, sondern unser beider Absicht“, erwiderte der Kripoangehörige.
„Was führt Sie zu mir oder anders gefragt: Was wollen Sie?“
„Ich habe im Präsidium angefragt und wegen der Brisanz des Falles ausnahmsweise die Genehmigung erhalten, Sie verdeckt in die Ermittlungen einbinden zu dürfen.“
„Sie meinen die Fälle, oder?“
„Sie wissen von den verschwundenen Mädchen?“
Holler nickte. „Eben gelesen.“
„Es wird schon wieder eine junge Frau vermisst.“
„Seit wann?“
„Erst ein paar Stunden. Ulrike Meinhardt ist ihr Name, sie ist in der vergangenen Nacht nicht zu Hause erschienen.“ Eric sah auf die Uhr an der Wand im Rücken des Kommissars, was dem Beamten nicht entgangen war. „Ja, es ist zu früh, um von einem Verbrechen auszugehen, aber in Anbetracht der Umstände haben wir keine andere Wahl und müssen vom Schlimmsten ausgehen.“
„Verstehe. Was soll ich tun, wie kann ich helfen?“
Werthofen schien nicht vorzuhaben, länger zu bleiben, ansonsten hätte er sich des Mantels entledigt. „Um ehrlich zu sein, keine Ahnung. Da ich jedoch ein untrügliches Gefühl nicht loswerden kann, nehme ich an, dass Sie helfen können, wie auch immer.“
„Was soll das für eine emotionale Inspiration sein?“
Der Kommissar zuckte mit den Schultern. „Sie würden es als Bauchgefühl bezeichnen. Kommen Sie, Holler, ich will Ihnen nicht ans Bein pissen, so gut kennen Sie mich inzwischen. Ich wiederum weiß, dass Sie einige Geheimnisse verbergen und kann eins und eins zusammenzählen. Sie verfügen über Kontakte und Möglichkeiten, die uns bei der Suche nach den Mädchen unterstützen würden, dessen bin ich mir sicher. Mich interessieren Ihre Kapazitäten nicht, ich möchte nur zugunsten der verschwundenen Frauen von ihnen profitieren. Sie wissen, dass die Chancen, die Vermissten lebend zu finden, mit jeder Stunde sinken. Also lassen wir jedes Spielchen. Sind Sie dabei? Sie haben freie Hand, unterstehen keinem Kommando. Das Einzige, was wirklich zählt, ist eine im Sinne der Mädchen erfolgreiche Zusammenarbeit.“
„Ich bin dabei, trotzdem die Frage: Was springt für mich heraus?“
Kriminalhauptkommissar Werthofen erhob sich. „Da- rüber unterhalten wir uns, wenn wir sehen, mit wem und mit was wir es zu tun haben. Sie werden nicht leer ausgehen, versprochen. Wann höre ich von Ihnen?“
„Lieber Werthofen! Sie sind geradezu mit der Tür ins Haus gefallen. Ich melde mich, sobald ich kann und es für angebracht halte. Wann bekomme ich Hintergrundinformationen zu den Verschwundenen?“
Der Kripoangehörige zog ein Kuvert aus der Innentasche seines Mantels hervor und legte es auf den Schreibtisch. „Das ist alles, was wir bis jetzt in Erfahrung bringen konnten“, sagte er in einem Ton, der niedergeschlagen klang und verabschiedete sich.
Eric las die Akte durch, notierte sich Daten, die er für wichtig hielt und dachte über alles nach. Zwei junge Frauen waren definitiv und eine wahrscheinlich verschwunden. Die Aussicht, sie alle wohlbehalten zu ihren Familien zurückzubringen, hielt er für gering. Bisher hatte er in seinem Beruf keine Morde, Entführungen und Erpressungen erlebt, damit schien es vorbei zu sein.
Ω
F
reitag, der Dreizehnte! Nicht nur abergläubische Menschen standen dem Tag und Datum skeptisch gegenüber. Eric hätte wegen seiner Vergangenheit, den Erfahrungen und den erlebten Ereignissen durchaus ein Skeptiker und Griesgram sein können, doch es war nicht seine Art. Er sah die Dinge so, wie es von ihm erwartet wurde, sowohl von den Lebenden als auch von den Toten. Dachte er an seine ermordete Frau, wäre er in der Lage gewesen, das Leben in sämtlichen Formen zu verfluchen. Kamen ihm seine Eltern in Erinnerung, hätte er fromm wie ein Lamm sein müssen. All die Gedanken besaßen jedoch keinen Einfluss auf seine Eingebungen und Intuitionen. In Hinsicht auf die drei verschwundenen Frauen, die eigentlich noch Teenager waren, hatte er ein äußerst mieses Gefühl. Sie waren innerhalb von zwölf Tagen verschwunden, was ohnehin ein schreckliches Omen war, doch furchtbarer erschien ihm eine andere Überlegung: Die erste Frau verschwand zu Jahresbeginn, die anderen zwei jeweils in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag in den zwei Wochen danach. Die Abfolge der Vermisstenmeldungen erschien ihm kein Zufall zu sein, viel mehr nahm er an, dass ein Geschöpf des menschlichen Abschaums in der Stadt unterwegs war. Irre gab es überall, nicht nur rund um den Globus, sondern auch dort, wo solche Charaktere keinen Platz hätten finden sollen: Sie standen hinter Rednerpulten, waren in der Politik tätig und breiteten ihre Arme in Sektoren aus, die von einfältigen Leuten als sicher eingestuft wurden. Das hatte nichts mit Horrorvisionen gemeinsam, stattdessen handelte es sich um Tatsachen, die nur wenige Leute akzeptieren wollten.
Dazu kamen Wahnsinnige, die nichts anderes vorhatten, als aus einem Verbrechen in irgendeiner Weise Profit zu schlagen. Meistens drehte es sich dabei um Delikte persönlicher Natur und fast immer hatten sie einen Zusammenhang: die persönliche Befriedigung. Eine Million Euro konnte den einen Idioten befriedigen, eine nackte Frau den anderen, und manche bekamen erst eine Erektion, wenn sie die Macht über den Tod und das Leben innehatten. War ein derart abartiges Individuum in der Stadt der tausend Feuer unterwegs? Die Wahrscheinlichkeit war immens, daran gab es nichts zu rütteln. Die Indizien und die Zeit sprachen dafür, was wiederum eine Frage in den Raum gestellt hatte: warum? weshalb in Gelsenkirchen? War die Stadt nicht arm und gebeutelt genug? Schalke am letzten Tabellenplatz, an allen Ecken Wichtigtuer, dazu Straßen, die an das Mittelalter zu erinnern wussten, jetzt auch noch ein perverser Sadist, von dem niemand wusste, ob ein Missbrauch und der Tod seine Freude oder Hobbys waren.
Eric konnte die Vorgänge der ersten dreizehn Tage des neuen Jahres in seiner Stadt und seinem Umfeld nicht einfach aus seinem Gehirn schütteln. Er sah die Ereignisse aus einem anderen Blickwinkel, nämlich aus dem, der ihm gelehrt wurde, als er noch für die CIA tätig war: „Nichts und niemand ist sicher, wenn wir nicht für die Sicherheit sorgen“, hatte ihm sein Ausbilder beigebracht. Er hatte die Art der Ausbildung verinnerlicht und, ohne Werthofen und die deutsche Polizei abwerten zu wollen, im Moment sah er die Institution und manch einen Mitarbeiter für naiv beziehungsweise überfordert an.
Unabhängig davon, es ging nicht um Behörden oder ihn, es ging um drei vermisste Frauen, aus denen keinesfalls vier werden sollten. Der Privatdetektiv war nicht so vernarrt in die Stadt, dass er bereit gewesen wäre, sich zu outen, aber er hatte Freunde und Bekannte gefunden, die es wert waren, sich für die City und ihren Ruf einzusetzen. Es war Freitag, der Dreizehnte, und aus Privatdetektiv Eric Holler wurde in der Nacht zum Vierzehnten der Mann, der seine Frau durch einen Mord bei einem Tankstellenüberfall verloren hatte. Er hatte es nie vorgehabt, doch es war für ihn ein Muss, der Mann zu werden, der er früher gewesen und nach dem Verlust von Abby für kurze Zeit wieder geworden war: ein Jäger und Rächer, der keine Gnade kannte. Früher hatte er Menschen mit den Fingern, der Handkante, mit dem Ellenbogen und Waffen aller Art getötet, jetzt war er bereit, mit den gleichen Methoden drei Leben zu retten, wenn sie noch zu retten waren.
Wegzusehen, sich rauszuhalten, nicht hinzuhören und einfach so zu tun, als ob nichts geschehen wäre, hätte viele Vorteile, doch Eric war die unbedeutenden Alternativen leid. Es hatte nichts mit seinem Ego zu tun, sondern lag an dem Verantwortungsbewusstsein, welchem er untergeben war. Nie wieder, nie wieder würde er gehen, nur wegen der Gefahr, sich selbst verletzen zu können. Dabei ging es nicht um die Narben am Körper, sondern um den Blick in den Spiegel. In ihn zu sehen, sich ansehen zu können, es hätte das Leben sein können, mit dem die seelische Freiheit zu vergleichen war. Fest entschlossen, Kriminalhauptkommissar Manfred Werthofen und die Sondereinheit zu unterstützen, begab er sich in seinem Büro in das Zimmer, in dem er seinen Freund Andy in den Vereinigten Staaten um Unterstützung bitten konnte. Er ließ den Laptop hochfahren, gab einige Informationen ein und bat seinen Kumpel, umgehend tätig zu werden.
Ziemlich unbekannt waren die Kapazitäten der CIA dem deutschen Büroapparat, erst recht den Bürgern. Geriet einmal eine Person in das Visier des Geheimdienstes, fiel der Betroffene in das Raster der NSA und es war vorbei mit dem Datenschutz. Die Folge: eine Überwachung auf Schritt und Tritt. Dazu waren keine Überwachungskameras notwendig. Ausreichend Material bekamen die Institutionen durch die Kontobuchungen, die damit verbundenen Zeitabläufe, die Aufnahmen der Videos in Geschäften aller Art, die Ampeln und die Firmen, wo irgendwelche persönlichen Daten notwendigerweise hinterlegt werden mussten. Die Überwachten liefen angezogen umher und hatten keine Ahnung, wie nackt sie durch die Observationen wurden. Ein falsches Wort in der Google-Suche besaß die Kraft, ein unschuldiges Leben in seiner Existenz zu zerstören.
Für Mitarbeiter wie Eric Holler besaßen die übermittelten Erkenntnisse der in den Büros sitzenden Späher damals wie heute ein Potenzial, welches das eigene Leben, das der Weggefährten und der Gefährdeten retten konnte.
Ω
D
er Samstag begann wie die Tage zuvor: Dunkle Wolken zogen unter einem grau bedeckten Himmel dahin und ließen hin und wieder ein paar Regentropfen auf die Erde des Ruhrpotts fallen. Sie hatten nichts mit einem Dauerregen, Nieselregen oder einem Platzregen zu tun, sondern waren für die Natur nichts anderes als der berühmte ‚Tropfen auf den heißen Stein‘.
Es war sieben Uhr morgens und Eric hatte die von Andy zwei Stunden zuvor erhaltenen Informationen über die drei Vermissten und ihre Familien bereits studiert.