Erinnerungen an die Zukunft - Rolf Gänsrich - E-Book

Erinnerungen an die Zukunft E-Book

Rolf Gänsrich

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Beschreibung

Ein letztes (?) Mal sind vier Damen aus Atlantis und George Hungerlundt aus Berlin in anderen Zeiten und parallelen Universen unterwegs. Sie sehen, was aus der Erde geworden wäre, wenn sich der Mensch nie entwickelt hätte, wie das zeitgleiche Auftreten von Spanischer Grippe und Corona wirkte, erleben was passiert, wenn das Klima plötzlich umkippt und George macht lange und einsame Reisen zu den Jupitermonden und siedelt zum Mars um. Ich habe zwei alte, unvollendete, kurze Romanteile mit einer Rundumgeschichte zu einem neuen Ganzen verwoben. Greifen Sie Sich also noch eine Dose Chedrunpaste und genießen Sie diesen Roman, der am Ende ein Klima-Drama nicht ohne Happy-End wird!

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Inhaltsverzeichnis

Kurzes Vorwort

Rücksturz zur Erde 1

die letzten Auswanderer

Rücksturz zur Erde 2

der Mann im Mond

Rücksturz zur Erde 3

Daten und nicht verwendetes Material und Ideen, Outtakes

Kurzes Vorwort

Lieber Leser, hier sind drei Romanideen zu einem zusammengefasst. „Der Mann im Mond“ ist die älteste, „die letzten Auswanderer“ die zweitälteste. Die Schreibdaten dafür sind am Ende mal detailliert aufgelistet. Der Rundumtext entstand 2023 /2024. Eigentlich sollte die Trilogie damit auch beendet sein. Beim Schreiben jedoch merkte ich, dass da noch ein paar Keimlinge für weitere Abenteuer in mir schlummern, die aber derzeit noch nicht aus mir heraus wollen. Damit wäre ein vierter Teil möglich, wenngleich auch noch nicht absehbar ist, ab wann ich mich daran setze.

Und wie immer beharrt der alte, weiße Mann und Autor auf der Feststellung: es gibt drei Arten der Rechtschreibung, die alte, die neue und meine, und Punkt- und Komma-Setzung erfolgt bei mir „frei Schnauze“, aus dem Bauch oder aus dem Sprachbild heraus. Wobei ich meine Texte in der Korrekturphase, wegen der Zeichensetzung, laut vor mich hin brubbel.

Viel Vergnügen mit diesem Öko-Thriller!

Rolf Gänsrich am 27.3.2024

*

Rücksturz zur Erde

Ihr Raumschiff trudelte mehr, als dass es flog, durch das Portal im Aldebaraan-System. Dieses Portal verband alle Universen und Zeiten mit- und untereinander. Wer es einmal gebaut hatte? Niemand wusste es. War es eine untergegangene Zivilisation, die sich in einem der parallelen Universen sehr schnell nach dessen Aufploppen gebildet hatte, oder gehörte es zum „Kosmischen Plan“ oder gar einer höheren Macht? Es gab für dieses Portal keine Erklärung. Es existierte einfach nur. Und es brauchte Dilithium-Kristalle aus dem jeweiligen Universum, um dort zu funktionieren, wo es war. Da, wo es keine Zivilisation gab, die es hätte betreiben können, schwebte es einfach nur im Raum, an immer derselben Stelle, unbeeinflusst von Gravitationswellen, Gammablitzen, explodierenden Sonnen oder schwarzen Löchern. Selbst Meteoritenschwärme konnten ihm nichts anhaben. Aber zu seiner Benutzung brauchte man besagte Kristalle und die nächsten dieser Art fanden sich erst in den Plejaden 444 Lichtjahre oder im Orion-Gürtel 420 Lichtjahre von der Erde entfernt. Zum Aldebaraan-System brauchte das Licht hingegen „nur“ 67 Jahre von diesem kleinen, blauen Planeten.

Das Raumschiff, das hier außer Kontrolle geraten durch das Portal trudelte, war von einem Gesteinsbrocken getroffen worden, der in einem Meteoritenschauer durch das dunkle All raste. Die Menschen in dem Schiff waren kurz zuvor von einem galaktischen Kreuzer der Dinosaurier aufgefordert worden, sich entern und anschließend töten zu lassen. Das wollten diese jedoch, aus nur all zu verständlichen Gründen, nicht. Statt dessen hatten sie ihre Triebwerke voll aufgedreht, um durch das Portal zu entkommen. Der Meteoritenschwarm kam ihnen dabei in die Quere, obwohl der gleichzeitig auch das Schiff der Saurier manövrierunfähig machte. In dem allgemeinen Tohuwabohu hatten die Menschen die Kontrolle über ihr eigenes Schiff verloren. Sie purzelten durcheinander wie Sandkörner in einem Wüstensturm.

Wie immer bei ihren Zeitreisen verloren sie dabei ihr Bewusstsein und ihre Orientierung.

Die fünf Menschen konnten unterschiedlicher kaum sein. Ja, sie stammten alle vom gleichen Planeten aus demselben Universum, aber die vier Frauen waren weit mehr als zwanzigtausend Jahre älter, als der einzige Mann an Bord.

Wonach rechnet man bei den vorausgehenden Ereignissen? Nach der Zeit, die sie zusammen unterwegs waren? … einschließlich den vielen Flüge in Kryostasekammern von der Erde zum Aldebaraan? … oder ohne diese? … oder nur ihre Erlebnisse auf der Erde? George hatte im Suff in einer Kneipe am Prenzlauer Berg von jemandem eine Zeitreisen-App auf sein Mobilfunktelefon installiert bekommen.

Das war, nach der Zeitrechnung in seinem Universum, auf der Erde, vielleicht vier Wochen her. Seitdem war er mehrmals zum Aldebaraan geflogen. Pro Richtung dauerte das etwa vierundsiebzig Jahre, da man beim Flug nicht ganz an die Lichtgeschwindigkeit heran kam. In den Kryostasekammern war man eingefroren in einem Scheintod und alterte entsprechend nicht. Ohne die vier Frauen, die ihn begleiteten, war er Anfangs mit der App etwa zwei Jahre lang in verschiedenen Zeiten der Erdgeschichte unterwegs.

Die Damen und er waren auf Atlantis vor etwa vierundzwanzigtausend Jahren auf einander getroffen. Gemeinsam waren sie erneut in der Erdgeschichte, aber auch in mehreren Paralleluniversen für, zusammengerechnet vielleicht vier Jahre unterwegs.

Das war eine dieser Zeitparadoxien: George war seit etwa sechs Jahren unterwegs, dabei nicht gealtert, war aber erst vor vier Wochen von zu Hause aufgebrochen. Herr Hungerlundt, wie er mit Nachnamen hieß, hatte Alexandra auf seinem ersten Besuch in Atlantis kennengelernt. Sie hatte mit dazu beigetragen, dass sie zusammen eine ausgedehntere Expedition sowohl in die Vergangenheit, als auch in Paralleluniversen machten. Dafür hatte aber Alexandra leider ihren Freund Tobias für diese Expeditionen zurück in Atlantis gelassen.

Die Leiterin ihrer kleinen Gemeinschaft hier an Bord war Kristin. Zur Gruppe gehörten noch Pia, die Hauptsächlich das Raumschiff mit den Kryostasekammern flog und Joyce, die sich sehr um den kleinen Raumgleiter, der überwiegend für ihre Transporte vom Boden zum Raumschiff gedacht war, kümmerte.

Da auf Atlantis das Matriarchat als Gesellschaftsordnung herrschte, hatten dementsprechend, wie der Name es vermuten lässt, hier die Frauen „das Sagen“. Die Kriegerkaste im Staate bezeichnete sich selbst als „Amazonen“.

Hier auf dem Schiff taten sie es eher scherzhaft, wenn sie sich mit George unterhielten, denn die Frauen waren in erster Linie Wissenschaftlerinnen. Sie hielt auf dieser Expedition zusammen, dass sie alle ihr eigenes Universum verloren hatten.

Mit den Zeitreisen-Apps auf ihren Geräten, mittlerweile hatte Kristin ihnen allen entsprechende Chips in ihre Körper implantiert, konnten sie zwar immer genau die Zeit einstellen, in die sie reisen wollten, aber dabei wechselte man leider meist das Universum. Man sprang also in eine neue Zeit, aber in welchem der parallelen Universen man dabei heraus kam, war ein Glücksspiel.

Nur am Portal hatte man die Möglichkeit, dies vorher einzustellen. Dabei konnte man indes nicht genau fokussieren, welches es war, denn die Bahnen der Himmelskörper waren alle gleich. Aber man konnte wie durch ein Brennglas die Erde aus der Ferne beobachten und dann an Hand von Licht- und Luftverschmutzung und Ausdehnung der Städte in dem gewünschten Zeitraum in etwa erahnen, ob es das, ihr gesuchtes Universum war. Das war allerdings bereits ein paar mal, wegen kleiner Ungenauigkeiten in den Einstellungen des Portals oder wegen der eigenen Fehlinterpretation ihrer Beobachtungen fehl geschlagen. Jedes mal aber mussten sie dann zurück zum Aldebaraan. Und das hieß auch jedes mal vierundsiebzig Jahre lang in die Kryostasekammer.

So purzelten sie jetzt, sie fielen, sie verloren ihr Bewusstsein. Seltsamer Weise schlug ihr Raumschiff aber nicht hart auf, sondern es landete sehr weich. Kristin war dieses mal die Erste, die nach der üblichen Ohnmacht bei diesen Raum-Zeit-Sprüngen wieder halbwegs zu sich kam. Ihr Schiff schaukelte sanft, wie auf einer Dünung und sie hörte Meeresbrandung. Sie rappelte sich vom Boden der Brücke ihres Raumschiffs auf. Neben ihr stöhnte George. Der hatte sich eine ziemliche Brüsche am Kopf eingefangen. Weil der jetzt die Augen öffnete, half sie dem alten, weißen Mann erst einmal auf die Beine.

„Brrr … wo sind wir eigentlich? … oder besser, was sind wir?“, prustete er heraus und schüttelte dabei seinen Kopf, wie ein Hund, der gerade aus dem Regen kam und sich damit das Wasser aus dem Fell trieb. „Lass mich dich erst einmal verarzten.“, sagte Kristin zu ihm. „Mh … geht schon.“, sagte George und schob nach: „Nicht, dass wir auf dem harten Kern eines Gasriesen wie Jupiter aufgeschlagen sind und in fünf Minuten durch dessen Schwerkraft zerdrückt werden.“ Während er nun versuchte, die noch immer bewusstlosen anderen drei in für sie halbwegs bequeme Lagen um zu positionieren, bei den „normalen“ Sprüngen schnallten sie sich sonst in ihren Sitzen grundsätzlich an, betätigte Kristin einen der Passivschilde ihres Raumschiffs. Wie eine Jalousie verschwand es vor einem der Fenster des Schiffes und der Blick nach außen war frei.

Tageslicht ergänzte das Kunstlicht auf der Brücke ihres Fliegers und George, der noch am Boden hockte, um Alexandra in eine stabile Seitenlage zu bringen, grantelte: „Na zumindest ist das Licht nicht lila oder pink.“

Kristin meldete zurück: „Nein! Wir liegen in der Brandung halb auf einem Strand. Die Vegetation kommt mir bekannt vor. Es scheinen Palmen zu sein und weiter hinten sieht es nach Mangroven aus.“ „Also sind wir vermutlich doch nicht auf einem Planeten in den Gaswolken der >Säulen der Schöpfung<, circa siebentausend Lichtjahre von der Erde entfernt.“, sagte George mehr zu sich selbst. Alexandra stöhnte und so eilte er zu ihr, während sich Kristin an die Instrumente setzte und sagte: „Wer weiß, wie es in diesem Universum hier aussieht? Vielleicht sind wir auch nur auf einem erdähnlichen Planeten in der Andromedagalaxie gelandet.“ „Ich geh uns erstmal verarzten.“, sagte George und half Alexandra auf die Beine. Auch die beiden anderen kamen jetzt zu sich und folgten ihnen in den Raum mit den Kryostasekammern, der auch gleichzeitig eine kleine Krankenstation mit allen möglichen Medikamenten, natürlich selbst alle in Dauercrysostase gehalten, hatte. Während dessen hielt Kristin die Stellung auf der Brücke und versuchte so viele Informationen wie möglich heraus zu bekommen. Sie wurde von George abgelöst, nachdem dieser von den Frauen seine Wunden behandelt hatte lassen.

Das was sich hier ermitteln ließ war, dass die Luft atembar war. Aber nicht viel mehr. Für eine exakte Positionsbestimmung brauchten sie eine genaue Zeit und das Funkeln der Sterne. Von diesen konnte man auch wieder auf die Zeit, in der sie waren, Rückschlüsse ziehen, sofern sie sich auf der Erde befanden. Aber dafür musste man die Sterne erst einmal sehen. Und das war mitten am helllichten Tag in der Nähe eines Äquators, wenn der Sonnenstand stimmte, nicht möglich. Sie mussten also die Nacht abwarten.

Als sie alle wieder auf der Brücke versammelt waren wurde nochmals ihre Lage gecheckt. Kristin: „Ich würde ja mit euch sofort in den Orbit starten, um von dort aus die Sterne zu besehen, aber ich bin jetzt mal ein bisschen knausrig mit unserer Energie.“ „Wir haben nicht genug?“, fragte Alexandra. „Doch, schon.“, sagte Kristin und erläuterte: „Ich hab das eben mit George besprochen, wir kämen, falls wir auf der Erde sind, gut anderthalb mal bis zum Portal am Aldebaraan. Aber … aber, falls das Portal keine Energie hat, aus irgendwelchen Gründen, müssten wir weiterfliegen bis zu den Plejaden oder dem Orion-Gürtel. Um bis dahin zu gelangen, das sind etwa vierhundertzwanzig bis vierhundertvierzig Lichtjahre von hier, sollten wir von vorn herein, bereits hier ab der Erde, sofern es die Erde ist, höchstens noch mit einem Zehntel, besser nur mit einem zwanzigstel der Lichtgeschwindigkeit fliegen. Entsprechend länger sind wir unterwegs. Deshalb heißt es Energie sparen, wo es nur geht. Hier auf diesem Planeten können wir gerne die Libellocopter benutzen, denn die fliegen ja mit reiner Lichtenergie, aber wenn wir das Raumschiff starten, dann nur, wenn es in Richtung Aldebaraan geht. Und selbst dafür würde ich dann einen anderen Kurs als bisher programmieren wollen. Einen bei dem wir mit Swing-by-Manövern die Schwerkraft anderer Himmelskörper für eine Erhöhung unserer Geschwindigkeit oder auch zum abbremsen nutzen können.“

„Und wie sieht es mit dem Gleiter aus?“, fragte Joyce. George antwortete: „Wenn ich dessen Technik richtig verstanden hab, nutzt der Gleiter in der Umlaufbahn Lichtenergie, braucht für die Landung aber auch Dilithium-Kristalle.“ „Er kann aber auch nach einigen Umbauten mit Wasserstoff rein chemisch fliegen.“, sagte Pia und Alexandra fügte hinzu: „Dazu brauchen wir dann aber zunächst Energie zur Wasserstofferzeugung und anschließend einen entsprechend großen und stabilen Tank dafür.“

Joyce meldete sich noch einmal zu Wort: „Habt ihr auch das Gefühl, als würde das Schiff langsam immer mehr schwanken?“ Die fünf sahen sich an. George nickte. Pia meinte: „Dann haben wir es vermutlich mit Ebbe und Flut zu tun. Letztere steigt. Und wenn es hier Gezeiten gibt, könnte dies auf einen Mond hindeuten, was wiederum dafür spricht, dass wir auf der Erde sind.“ Die anderen stimmten ihr zu. „Die nächste Frage die sich mir stellt ist, wenn wir es jetzt mit einer steigenden Flut zu tun haben, wollen wir dann mit dem Schiff hier bleiben oder wollen wir es an Land setzen?“, war Georges Wortmeldung. Die Reaktion von Kristin kam prompt: „Starten für einen Flug von vielleicht zweihundert Schritt? Auf gar keinen Fall! Dafür ist mir die Energie zu schade!“

Alexandra wiegte ihren Kopf und machte dann den Vorschlag: „Und wenn wir die vier Libellocopter per Traktorstrahl einsetzen, um das Raumschiff nur leicht anzuheben?“ „Ist vielleicht ein bissel schwach. Aber wenn wir dazu noch den Gleiter nehmen, …“ sinnierte George. Alle schauten zu Kristin. „Ich gebe zu bedenken, dass wir an Land auf Menschen treffen könnten, die uns für Aliens halten … könnten.“, sagte sie.

„Es kann aber auch genau so gut sein, dass der Mensch in diesem Universum seine aquatische Lebensweise aus der Wasseraffenzeit nie aufgegeben hat und sich zu einer intelligenten Wasserspezies, etwas Höher als Delphine entwickelt hat. Dann stehen wir vor dem gleichen Problem.“, setzte Pia dagegen. „Das ist eine zu wichtige Entscheidung. Ich schlage deshalb vor, demokratisch darüber abzustimmen.“, sagte Kristin.

Bis auf Kristin, die sich ihrer Stimme enthielt, waren alle anderen sehr dafür, Das Raumschiff auf den Strand zu setzen.

Da es für die kleineren Fluggeräte an Bord selbst keine Kryostasekammern gab, war es bei jeder neuen Inbetriebnahme ein Abenteuer zu sehen, ob und wie sie nach einem dreiviertel Erdenzeitjahrhundert funktionierten. Sonst prüften sie auch immer die Geräte auf Herz und Nieren durch, doch heute musste es schnell gehen. Joyce setzte sich in den Gleiter, Pia blieb an Bord des Raumschiffes und die anderen nahmen je einen Libellocopter, wobei einer unbemannt und von Pia ferngesteuert werden musste.

Es eilte offenbar, denn das Schwanken des Schiffs wurde immer stärker. Als sie Ladeklappe an seinem Heck öffneten, wurde der Hangar bereits zur Hälfte geflutet und man verriegelte schnell alle Türen ins weitere Innere des Schiffes, damit sich das Salzwasser nicht überall ausbreitete. Die Libellocopter mussten halb tauchen, um aus dem Schiff heraus zu kommen. Der Gleiter war indes Teil des Bauches des Raumschiffs und musste wirklich unter Wasser, direkt vom Meeresboden aus starten.

Es dauerte deshalb ein wenig, bis sie alle in der richtigen Position waren, gegenseitig zueinander die über den Daumen gepeilten Abstände einhielten und den Traktorstrahl anschalteten. Für eine ordentliche Berechnung aller Daten war schlicht keine Zeit geblieben.

Wie schon Joyce bei der Inbetriebnahme des Gleiters bemerkt hatte, steckte das Raumschiff offenbar mit seinen Landebeinen sehr tief im Schlick des Meeresbodens. Schon allein die Tatsache, dass diese nur durch die Technik auch ohne das Zutun der Menschen ausgefahren worden waren, sprach für eine einstmals vorausschauende Ingenieursleistung. Dieser Schlick war es aber vermutlich auch, der die relativ sanfte Landung ermöglicht und sie vor einem Zerschellen auf dem Boden bewahrt hatte.

Durch das Abdocken des Gleiters allein, war das Schiff schon um ein gutes Drittel leichter. Dennoch dauerte es mehrere Minuten, bevor sie nach Einschalten der Traktorstrahlen eine Aufwärts-Bewegung unter sich feststellen konnten. Und dann musste erst einmal das ganze eingedrungene Wasser aus dem Laderaum hinaus fließen. Schließlich schwebte das Raumschiff einige Meter über dem Meer und wurde sodann durch die Luft bis auf den Strand gezogen. Zwar gab es im All keinen Luft- oder Wasserwiderstand, dennoch war das Schiff, das so hoch war, wie ein zweistöckiges Wohnhaus aerodynamisch geformt, denn bei den hohen Geschwindigkeiten, die es flog, machten sich selbst die relativ geringe Teilchendichte im All aus Neutronen, Protonen, Photonen, interstellaren Gasen und Stauben und vielen anderen Partikeln dennoch bemerkbar, so dass ein aerodynamisches Design des Schiffes notwendig war. Nun stand es also auf seinen sechs teleskopartigen Spinnenbeinen am Strand und sah aus, wie ein übergroßer, schwarzer Käfer. Der Gleiter, der nur knapp eine Hausetage hoch war, nahm etwa ein Drittel der Bauchfläche des Schiffes ein.

Die vier Libellocopter waren dagegen so flach, wie es moderne Ultraleichtflugzeuge heute sind. Wobei ihre Flügel wie bei einer Libelle zusammengefaltet werden konnten, wenn man sie, wie hier im Raumschiff- oder Gleiter-Hangar, wo abstellte. In jedem

Fall war das Raumschiff nun garantiert wie ein Leuchtfeuer in der Nacht von weitem zu sehen.

Während des kurzen Transportes war auch ein mit einem glatten Baumwollfließ ausgelegter Spankorb, in dem einst ein viertel Pfund norwegischer Chedrunpaste aufbewahrt worden war, aus einem Regal gefallen.

Weil unsere Fünf damit rechneten, eventuell von wem auch immer entdeckt zu werden, ließen sie das Schiff in dem Modus, in dem es automatisch einen Annäherungsalarm auslöste, wenn sich ihnen etwas, das größer war als ein Ferkel näherte. Joyce und Pia wurden derweil auf eine kleine Erkundung geschickt, allerdings bewaffnet mit je einer Speerschleuder und einem Handlaserstrahler. Währenddessen versuchte Kristin weitere Daten zu gewinnen und Alexandra und George checkten derweil auf dem Strand die Libellocopter und den Gleiter.

Joyce und Pia blieben bei ihrer Erkundung nur am Strand. Sie fanden nirgends Fußabdrücke von Menschen. Aber dies hatte ja nichts zu besagen, waren doch Wind und Wellen sehr schnell im Fortspülen irgendwelcher Spuren.

Sie kehrten noch vor dem Mangrovendickicht um. Hin und wieder hörte man irgendwelche lauten Schreie aus dem Landesinneren, die die Wucht der Brandung übertönten. Was sie am Rande des Waldes sahen, beunruhigte sie gleichfalls sehr wenig. Sie fanden im feuchten Sand die Spuren kleinerer Paar- und Unpaarhufer und die Abdrücke von Vögeln, teils sehr großen Vögeln. Die konnten von Moas oder von Kasuaren stammen.

Nachdem sich die Aufregung unter den Tieren an dem Strandabschnitt, an dem die Menschen soeben gelandet waren, wieder gelegt hatte, kehrten auch die halbaquatisch lebenden Meerestiere an den Strand zurück. Und als Pia und Joyce wieder zu ihren Gefährten zurück gekehrt waren, bevölkerte er sich bereits.

Während sie nun zu viert all ihre Fluggeräte untersuchten, beobachteten sie ganz nebenbei, was sich da um sie herum an Getier so tat. Alle möglichen Robbenarten, große und kleine, ließen sich nieder.

Durch den von den Menschen aufgewirbelten Schlick waren offenbar Nährstoffe vom Meeresgrund ins freie Wasser hinein befördert worden und ein Schwarm Sardinen hatte dies bereits entdeckt. Die Sardinen wiederum lockten kleine Haie und weitere Robben an. Von den Mangroven her näherten sich einige junge Salzwasserkrokodile und Gaviale.

Und dann kam unvermutet plötzlich ein Schwarm relativ großer, flugunfähiger Vögel, die an Pinguine erinnerten erst an den Strand, dann beteiligten sie sich an der Sardinenjagt. Sie sahen fast so aus wie Pinguine, waren aber mit einer Höhe von einem guten dreiviertel Meter etwas kleiner als der Kaiserpinguin. Für die Frauen schienen diese Tiere zur Normalität zu gehören, George hatte diese Pinguinart jedoch noch nie gesehen. Deshalb ging er näher an sie heran. Sie zeigten keine Scheu vor ihm. Alexandra hatte ihn dabei aus den Augenwinkeln beobachtet. „Es sind doch nur Alks! Was willst du von denen?“, rief sie. George rief zurück: „Ich kenne die nur aus dem Berliner Naturkundemuseum.“ Joyce meldete sich: „Ja, du hast recht. Das kann sein. Diese Riesenalks hier sind in deinem Universum vermutlich um 1850 nach deiner Zeitrechnung ausgestorben. Bei uns waren sie noch so zahlreich, wie Kakerlaken im Kornspeicher.“ George überlegte. Die Vermutung, tatsächlich auf der Erde gelandet zu sein, erhärtete sich. Aber zu welcher Zeit? War es weit in Georges Zukunft und die Erde hatte sich vom letzten Atomschlag erholt? Dann wären die Alks fehl am Platze. Oder war es einige Jahrhunderte oder gar Jahrtausende vor seiner Zeit?

George teilte seine Überlegungen den anderen mit. Aber auch sie wusste noch keine Antwort.

Die Sonne schien den Zenit ihres Laufes bereits überschritten zu haben und sie waren mit der Durchsicht der Fluggeräte fertig, als sich durch Kristin eine Entscheidung anbahnte. Da sie nach jedem Flug in Kryostase ihr Körper erst sehr langsam an Nahrung und Getränke gewöhnen mussten, nahmen sie zunächst nur einen kleinen Imbiss zu sich. George, der Berliner, kannte es als „Eierkuchen“, viele andere eher als Pfannkuchen, Plinse, Palatschinken oder Eierfladen, was sie jetzt aßen. Dabei schlug Kristin vor, dass sie gemeinsam mit Joyce und George mit einem Libellocopter in eine planetennahe Umlaufbahn fliegen sollten, um von dort aus die Sterne zu sehen, damit sie nicht erst am Boden auf die Nacht würden warten müssen. Alexandra und Pia würden derweil am Boden beim Raumschiff bleiben.

Gesagt, getan. Sie bestiegen den Libellocopter und starteten. Joyce schraubte sie in einer immer schneller werdenden Kreisen höher und höher. Zum landen später würde Joyce die Libelle dann einfach fallen lassen.

Während dieses Fluges hinauf bis in eine annehmbare Umlaufbahn, die etwa bei vierhundert Kilometern liegen würde, beobachteten George und Kristin, wie der Planet unter ihnen aussah. Während zeitgleich, automatisch, nach Funkwellenübertragungen und nach Objekten vor oder besser über ihnen im Raum gescannt wurde.

Dabei unterhielten sie sich. Kristin: „Das sieht ja doch sehr nach der Erde aus.“ George: „Ich kann einige Küstenlinien erkennen. Wenn ich mich nicht irre, sind wir auf einer der Inseln im südlichen karibischen Bogen gelandet. Vielleicht Montserrat. Joyce, kannst du so lieb sein und die Schlaufe in Richtung Nordwest ziehen? Hispaniola oder spätestens Jamaika oder Kuba müsste ich auch aus dieser relativ nahen Distanz erkennen.“

Joyce: „Kann ich gerne machen.“ Weil sie durch die kontinuierliche Beschleunigung relativ fest in ihre Sitze gepresst wurden, konnten sie das Geschehen unter sich nur auf Bildschirmen betrachten, die ihnen Kameras im Rumpf des Gleiters lieferten.

George schüttelte dabei immer wieder den Kopf. „Was ist? Du wirkst verunsichert?“, fragte Kristin. „Die Küstenlinien, alles scheint auf die Karibik hin zu deuten. Aber irgend etwas fehlt.“, murmelte er. „Kannst du irgendwelchen Funkverkehr bemerken?“, fragte Kristin in Richtung Joyce. Die antwortete: „Ich habe bisher, außer dem Grundrauschen des Weltalls, noch nichts bemerkt. … mh … auch scheint es keine Satelliten zu geben, ... außer dem Mond.“ „Entweder sind wir in einer Zeit angekommen, in der die Menschheit noch nicht mit dem Raumflug begonnen hat oder das ist unter uns nicht die Erde.“, sagte Kristin. Es dauerte eine Zeit, bis George murmelte: „Ich erkenne Puerto Rico. Aber jetzt weiß ich, was mir hier fehlt! Es sind die vielen menschlichen Ansiedlungen aus meiner Zeit. Von denen müsste man etwas sehen. … Vielleicht sind wir wirklich nur tausend Jahre zu früh.“ „Ich stimme dir zu, George, aber lass uns erst einmal in den Orbit übergehen, denn ich bin mir noch immer nicht sicher, dass das hier unter uns die Erde ist.“, sagte Kristin.

Es dauerte etwa eine Stunde, bis sie durch ihre schneckenartige Schraubenbewegung ihre gewünschte Umlaufbahn erreicht hatten. In der Schwerelosigkeit arbeitete es sich einfacher. Da sie in Richtung Westen gestartet waren und sich die Erde vom Polarstern aus gesehen Richtung Osten dreht, brauchte es nicht mehr lange, bis sie im Erdschatten waren. Kristin und Joyce konnten die Sterne hier sehr gut sehen und durch den Abgleich mit gespeicherten Sternkarten schon nach kurzer Zeit Rückschlüsse ziehen. Währenddessen beobachtete George den Planeten unter sich. Schließlich setzten sie sich zusammen.

George sprach als erster: „Also der Planet unter uns ist grün. Sehr grün.“ „Es ist definitiv die Erde.“, warf Kristin ein. „Dafür hat er aber verdammt hohe Sauerstoffwerte, die ich gemessen habe. Sie liegen etwa um zehn Prozent höher, als die Werte die mir von uns geläufig sind. Dafür ist der CO2-Gehalt sehr viel niedriger, der Gehalt an Methan aber etwas höher. Was etwa dem Treibhauseffekt in meinem vorindustriellen Zeitalter entspricht. Aber hier gibt es keine Industrie und ich habe bisher keine menschlichen Siedlungen entdeckt.“ Unter ihnen rollte in der Zwischenzeit der afrikanische Kontinent vorbei. Kristin ergriff wieder das Wort: „Aber es ist in etwa die Zeit, in der du von der Erde das erste mal aufgebrochen bist. Vielleicht fünf oder zehn Jahre später.“ Joyce fügte hinzu: „Selbst wenn es einen Atomkrieg in deiner Zeit gegeben haben sollte, dürfte sich die Erde noch nicht in diesem Zustand befinden.“ „Mindestens müssten wir aber dann Ruinen von hier oben sehen oder die Reste von Plantagen.“, sagte George. „Mich würde ja mal interessieren, wie der mittelatlantische Rücken aussieht. Beginne mal bitte mit dem Scan.“, bat Kristin, an Joyce gerichtet. Die Westküste Afrikas rollte dahin.

Unter ihnen lief die gewaltige Wasserfläche des Atlantik hindurch, während Joyce scannte. „Irgend etwas war auch an Afrika anders. Ich hab es nur aus den Augenwinkeln gesehen, aber etwas war anders, als ich es kenne.“, sagte George und fügte hinzu: „Ich weiß nur nicht genau, was.“

Sie drehten den Gleiter nun auf den Rücken, so dass das Weltall unter ihnen und die Erde über ihnen war, um besser aus den Fenstern heraus zu schauen.

„Da!“, sagte George, „Die Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika besteht nur aus einer Inselkette und ist nicht zusammenhängend. Ob der Meeresspiegel höher ist?“, sinnierte er. „Ich habe interessante Ergebnisse über den mittelatlantischen Rücken, die ich aber erst noch einmal überprüfen möchte.“, sagte Joyce in die Stille hinein. Sie schauten weiter. Die unermessliche Wasserfläche des Pazifik streckte sich nun vollständig unter ihnen aus. Kristin wies mit der Hand auf eine bestimmte Stelle und sagte: „Das sieht aus wie Hawaii. Wenn der Meeresspiegel höher wäre, müssten die meisten der Inseln komplett überflutet sein. Aber die Kette kommt mir relativ bekannt vor, … also aus meiner Zeit.“

Weiter ging es. Ihr Kurs war nicht geostationär direkt über dem Äquator, dann hätten sie in etwa sechsunddreißigtausend Kilometern Höhe fliegen müssen, sondern war ja viel, viel niedriger, deshalb änderte sich das Gebiet, das sie überflogen, bei jeder ihrer Umkreisungen. Unsere drei starrten wie gebannt nach unten und vergaßen dabei komplett die Zeit. Erst ein Funkspruch von der Erde ließ sie wieder an anderes denken.

„Pia hier! Kommt ihr bald wieder herunter oder dürfen wir uns im Raumschiff einigeln? Würden gerne die Libellocopter in den Laderaum holen und dann alles dicht machen, denn hier sind sehr nah ziemlich laute Tiergeräusche, die nicht angenehm sind.“ Kristin antwortete, schaute dabei von George zu Joyce hin und her, um sich gewissermaßen deren Einwilligung zu holen und sagte dann bedächtig: „Wir würden für die nächsten Stunden hier im Orbit bleiben.“ Joyce nickte und fügte flüsterte: „Wasser und Nahrung ist aber ein bissel knapp. … also es reicht, aber dann sind morgen Mittag alle Reserven aufgebraucht.“ „Na könnt ihr uns von der Erde einen der Libellocopter mit etwas Wasser und noch einigen Konserven entgegenschicken?“, fragte Kristin in den Äther. Man hörte am anderen Ende Alexandra und Pia tuscheln, dann sagte Alexandra: „Das können wir gerne machen. Ohne große Last und wenn wir das Wasser und etwas Frischfleisch...“ „Wir haben vorhin von vornherein zwei fette Alks filetiert.“

Sie einigten sich darauf, aber es dauerte dennoch sich ziehende rund anderthalb Stunden, bis sie die vom Boden geschickte Libelle einsammeln, andocken und anschließend ihr Abendmahl zu sich nehmen konnten. Dabei beobachteten sie die Erde weiter.

Als sie zum wiederholten mal Afrika überflogen, ging George endlich ein Licht auf, was ihn an dem Kontinent störte. Es war nicht nur seine etwas andersartige Ostküste! George erkannte das Fehlen des Tanganjika- und des Malawisees. Der Ostafrikanische Grabenbruch, das sogenannte Great-Rift-Valley, war südlich des Roten Meeres scheinbar überhaupt nicht vorhanden und begann eigentlich erst dort mit diesem und dem Golf von Aden. Die Arabische Halbinsel und Sinai hatten sich von der afrikanischen Platte getrennt. Aber weiter nach Süden ging der Riss in der Erdkruste offenbar nicht. Deshalb war Afrika entlang des Äquators von der West- bis zur Ostküste bewaldet. Daraus folgerte George und dies teilte er unter den zustimmenden Blicken den beiden Frauen mit, dass die ostafrikanische Savanne, die einer der Auslöser für die Aufspaltung einer gemeinsamen hominiden Ur-Art in Menschen und Schimpansen so wichtig war, ja hier nun nicht existiere, wie man unschwer sehen konnte. Infolge dessen, war auch eine Aufspaltung dieser Art nicht notwendig, so dass man davon ausgehen könne, dass sich der Mensch in diesem Universum bisher noch gar nicht als Art zu entwickeln brauchte.

Auch Joyce benannte nun ihre Ergebnisse bei der Untersuchung des Meeresbodens im Atlantik. Zwar gab es den Mittelatlantischen Rücken, aber seine Erhebungen waren nur marginal, so dass sich eine Inselkette, auf der die Kultur der Atlantier entstanden war, sich selbst innerhalb der aller tiefsten Eiszeit nie hätte bilden können.

Daraus schlossen unsere drei, dass die Plattentektonik auf der Erde in diesem Universum bei weitem nicht so ausgeprägt war, wie in ihrem. Weitere Details fielen ihnen auf. Die Indische Platte war zwar mit der eurasischen verbunden, war aber kaum in sie hinein gerammt. Das bedingte, dass das Himalaya-Gebirge sich nicht so weit gehoben hatte, wie in Georges Universum. Und dies nun wiederum sorgte für eine bessere Zirkulation der Atmosphäre entlang des Äquators, was nun wieder als zusätzliches Plus dazu führte, dass Ostafrika nicht trocken, sondern von einem tropischen Regenwald bewachsen war. Durch diesen Regenwald entfiel für die Schimpansen, sich mit dem Leben in der Savanne auseinander setzen zu müssen. Also auch aus diesem Grund brauchte sich die Art nicht aufzuspalten. Das heißt, die Entwicklung des Menschen fand in diesem Universum nicht statt.

Da George und die vier Frauen aber sicher in der einen oder anderen Form auch in diesem Universum vertreten waren, beschlossen sie, erst am anderen Morgen zu zweit mit der Libelle in Richtung Berlin-Warschauer-Urstromtal zu fliegen. Und weil sie nun schon weit mehr als sechzehn Stunden auf den Füßen waren, war klar, dass sie die Nacht in der Erdumlaufbahn blieben.

Schlafen in der Schwerelosigkeit, daran konnte sich George nie gewöhnen. Rollte er sich in einen irgendwo angeleinten Sack, dann fehlte ihm ein Gewicht auf seinem Körper, das er zum Einschlafen brauchte. Band er sich auf eine Liege fehlte ihm a) dieses Gewicht genau so und b) fühlte er sich irgendwie gefesselt und das mochte er genau so wenig. Aber in der einen oder anderen Form fixieren musste er sich, sonst würde er im Schlaf sonstwohnin treiben und vermutlich aus Versehen technisches Gerät zerstören und sich dabei verletzen. So nahm er den Sack, denn die Kryostasekammern, in denen sie im Normalfall auch schliefen, waren ja auf dem Raumschiff. So schwebten sie dann also wie Raupen in ihren Kokons, angeleint an den Haltestangen, an des Libellocopters. Wie Joyce das immer, wenn sie teilweise über Wochen im Orbit blieb, es so lang im Gleiter bei diesen Schlafbedingungen aushalten konnte, war George ein Rätsel.

Nach ihrem Frühstück und noch bevor Kristin und George zur Erde zurück gestürzt waren, um sich im nicht existierenden Berlin umzuschauen, meldeten sich unabgesprochen Alexandra und Pia.

„Wisst ihr, gut dass wir den Annäherungsalarm bei uns eingeschaltet und um das Raumschiff herum ein Kraftfeld errichtet hatten!“, erzählte Pia ganz aufgeregt und fuhr fort: „Bereits mit der Dämmerung gestern Abend schlich hier irgend etwas herum, das wir nicht einordnen konnten. Wir wunderten uns nur, dass plötzlich alle Alks und Robben im Meer verschwanden.“ „Und dann haben wir sie gesehen, irgendwelche vierfüßigen Tiere. Wir haben dann einen unserer Außenscheinwerfer angemacht und den Lichtkegel auf sie geworfen, um sie besser selbst zu sehen und auch für euch zu filmen. Ich überspiele mal.“, sagte Alexandra. Nachdem sie dies gemacht hatte und alle die bewegten Bilder sahen, erklärte sie: „Diese eigenartigen Viecher haben eine Schulterhöhe wie die Haus-Ziegen aus deiner Zeit, George, sind komisch gefiedert, sehr schlank und windschnittig und haben, ihr seht es jetzt in dieser einen Nahaufnahme, einen kräftigen Schnabel. Die vorderen Extremitäten benutzen sie nur, wenn sie hocken, sich in ihre Beute krallen oder ganz normal laufen. Bei der Jagd rennen sie nur auf ihren Hinterbeinen und heben mit den vorderen Beinen etwas ab, so als wollten sie fliegen oder gleiten. An diesen vorderen Extremitäten haben sie drei kräftige Krallen, mit denen sie ihre Beute packen. Seht ihr? Sie halten sich mit ihren vorderen Gliedmaßen in ihrer Beute fest und zerreißen mit ihrem kräftigen Schnabel seinen Hals. Dabei wird die Beute getötet. Sie stützen sich aber beim Fressen nicht auf ihre Krallen, sondern eher auf ihren Federkielen ab. Wir haben vorhin ein paar der von ihnen am Strand heute Nacht zurückgelassenen Flaumfedern, die sie bei ihren Aktionen verloren haben, eingesammelt und Genproben daraus entnommen.“

Pia ergänzte: „Du wirst es nicht glauben, George, aber es sind Karakaras!“ „Oh!“, sagte George. „Die gehörten im Tierpark Berlin zu meinen Lieblingsvögeln!“ „Hier scheint ja in der Evolution einiges anders gelaufen zu sein.“, sagte Joyce.

„Das wird wohl so sein.“, sagte Kristin und fuhr fort: „Wenn es nach den ungeschriebenen Gesetzen der Zeit- und Universumssprünge geht, müssten auch wir hier alle fünf in irgendeiner Form in dieser Welt zu finden sein. Da es hier aber Atlantis nicht gibt und ich jetzt nicht noch einen Zeitsprung direkt von hier aus machen will, weil bei dessen Ergebnis es unsicher ist, in welchem Universum wir letztlich dabei ankommen, schlage ich vor, mal zu schauen, ob wir nicht in Mitteleuropa das frühe Hominiden-Pedant zu George finden.“ „... immer diese Zeitparadoxien … gewöhne ich mich nie dran. ...“, murmelte George.

Nach dem Frühstück machten sie sich auf den Weg. Zunächst flogen sie zurück zum Raumschiff, wo sie nun doch noch den Gleiter holten und mit nur einer Libelle, wegen des Gewichts, beluden. Dann stiegen sie nur vom Elektroantrieb getrieben bis zur Exosphäre auf. Joyce ließ den Gleiter über dem Harz bis in die höhere Stratosphäre fallen und setzte dort die Libelle mit Kristin und George ab. Die ließen sich bis auf etwa fünfzig Meter über dem Boden sacken und kamen in etwa dort an, wo die Bode den Harz verlässt. Auch hier wieder, wie bereits von ihnen vermutet, keine Anzeichen für menschliche Ansiedlungen. Statt dessen breitete sich unter ihnen ein Mischwald aus, der gelegentlich von prärieartigen Wiesen, die wie einzelne winzige Tupfen auf dem Fell eines Rehkitz aussahen, unterbrochen wurden. Auf diesen Flecken grasten das Ur (Auerochse), Wisente, Mammuts und Hirsche. Eine ungewöhnliche Jagdszene fiel ihnen indes bei einer dieser Wiesen, die oft einen Durchmesser von anderthalb bis zwei Kilometern hatten, auf. Nicht Löwen, Wölfe oder Bären beobachteten sie dabei. Diese Tiere waren anders.

George zoomte mit den Kameras auf Details. Diese Jäger sahen den jagenden Vögeln, die Alexandra und Pia beobachtet hatten, sehr ähnlich. Nur waren diese hier um einiges größer, als die, die man ihnen gezeigt hatte. Diese unter ihnen jagenden vierbeinigen Vögel hatten eine Schulterhöhe wie Haflinger Pferde und waren ähnlich muskulös.

Das Bett der Elbe mäanderte und hatte an seinen Rändern breite Schilfgürtel und Wiesen, auf denen Nashörner und Flusspferde grasten. Im Überflug beobachteten sie, wie ein Rudel oder sagte man in diesem Fall Schwarm, der vierbeinigen Vögel einen Elch hetzten. Und da! Was war das? Auf einer Sandbank in einem Seitenarm der Elbe sahen sie eine Horde aus vielleicht fünf oder sechs behaarter, zweibeiniger Wesen, die wie Primaten aussahen. Sie fokussierten ihre Kameras darauf und blieben für einen ganzen längeren Augenblick im lautlosen Stehflug über der Szenerie. Die Primaten unter ihnen nahmen einen gefangenen Fisch auseinander und verzehrten ihn roh. „Da hast du deine Menschen.“, flüsterte unnötiger Weise Kristin. „Es sieht mir hier so aus, als sei die Natur in diesem Universum mit sich besser im Reinen, als in unserem.“, gab George zurück.

Sie nahmen wieder Geschwindigkeit auf. Unter ihnen rasten Wälder, Wiesen, Hügel und Feuchtgebiete dahin. Der Fläming war als Erhöhung kaum auszumachen. Schließlich erreichten sie den Wannsee und von dort die Spree. Die Fischerinsel war leicht zu erkennen. Aber wie in diesem anderen Universum, das George schon kennen gelernt hatte, so war die Stralauer Halbinsel auch hier gar keine solche, sondern sie war nur eine weitere Spree-Insel. Dabei war die Rummelsburger Bucht ein vollkommen eigener Spreearm, der etwa zweihundert Meter flussauf der Fischerinsel in den Hauptstrom mündete, um sich dort dann wieder in den Arm mit dem Mühlendamm und den Kupfergraben zu teilen.

Auf der Fischerinsel wuchs nur lockeres, lichtes Buschwerk. Die Ufer waren gesäumt von dicken Schilfgürteln, die nur an wenigen Stellen von Weiden durchbrochen waren. Sie sahen von oben auch eine Horde Primaten, die die Insel offenbar zu ihrem Lebensmittelpunkt auserkoren hatten. Kristin und George gingen wieder einmal in den lautlosen Standflug über und beobachteten aus etwa fünftausend Metern Höhe mit Hilfe ihrer technischen Geräte das, was unter ihnen geschah. Sollten sie landen oder nicht, das war die Frage! Sie sahen von oben einige Trampelpfade, die die gesamte Insel durchzogen. An den beiden Furten, wo sich in Georges Universum die Rathaus- und die Schleusenbrücke befanden, sah man diese Pfade … oder musste man in diesem Fall vielleicht eher von „Wildwechsel“ reden? … am jeweils anderen Ufer fortgeführt, aber wesentlich dünner. Man konnte deshalb davon ausgehen, dass diese „Affen“ ihre Insel vermutlich zwar regelmäßig, aber eher selten verließen. Die ganze Horde von vielleicht fünfzehn oder achtzehn Individuen schien sich am Nordende des Kupfergrabens aufzuhalten. Die Infrarot Abtastung bestätigte dies.

Aber diese Abtastung gab auch Aufschluss darüber, dass die Primaten nicht allein waren. Auf der Insel selbst befanden sich mehrere, relativ kleine Säugetiere, die nach Marder, Biber, Otter, Schafen oder Ziegen aussahen. Am anderen Ufer des Kupfergrabens hingegen schienen sich mehrere, jetzt waren sie auch ohne Infrarot zu sehen, zweibeinige, etwa mannshohe Tiere, die George wegen ihrer großen und massiven Schnäbel sofort als flugunfähige Raubvögel klassifizierte, zu versammeln und zu überlegen, wie sie auf diese Insel kämen, um die Primaten zu jagen.

Deren Beute schien allerdings schon längst bemerkt zu haben, dass sie von den Raubvögeln ausspioniert wurden. Einer der Affen hatte sich in die Äste einer der Weiden gehängt und beobachtete die Szenerie am anderen Ufer. Der Rest des Trupps schien etwas zu tun. George und Kristin gingen mit ihren Teleobjektiven weiter heran und schauten auf Details.

Einige der Affen waren dabei, mit offenbar scharfkantigen Steinen dünne Äste von Weiden und Hasel zu schneiden, andere zupften einige Blätter Schilf. Und nun verschlug es George und Kristin fast den Atem, denn sie sahen, wie im Mittelpunkt der Gruppe zwei Tiere dabei waren, offenbar Reusen aus den gelieferten Ästen und Schilfteilen zu flechten. Wieder andere waren damit beschäftigt, den Fang aus einer gerade aus dem Wasser des Kupfergrabens gezerrten Reuse zu entleeren und sie anschließend zu flicken. George unterschied aus der Höhe Forelle, Elritze, Plötze und Rotfeder. Das große Zappeln auf dem Fangplatz wurde beendet, als ein grauhaariges, offenbar schon älteres Männchen mit einem Knüppel auf die Fische eindrosch.

Ohne George darüber zu informieren, setzte Kristin mit ihrer Libelle zur Landung an. In einer Entfernung von gut zweihundertfünfzig Schritt zu den Affen ließ sie die Libelle langsam und seicht und so, dass möglichst wenig Luft um sie her verwirbelt wurde, auf einem sandigen Platz der Insel niedergehen. Sie schaltete sodann die Tarnung ab mit den Worten: „Wir finden die nachher einfacher wieder und die Primaten können die Libelle ja doch nicht in ihrem Denken einordnen.“ Allerdings verriegelte Kristin das Cockpit als sie gingen. Auf einem der Trampelpfade näherten sie sich der Gruppe.

Aber die Affen schienen sie bereits bemerkt zu haben, kurz nachdem sie den Libellocopter verlassen hatten, denn jemand vom Ausguck aus den Weiden gab einen Alarmruf. Darauf hin machten Kristin und George absichtlich Lärm und gingen aufrecht, als sie sich dem Lagerplatz der Primaten näherten.

Als sie ihn schließlich erreicht hatten und aus dem Sumpfund Schilfgrasdickicht traten, standen diese bereits, einige mit Knüppeln bewaffnet, abwehrbereit. George und Kristin duckten sich als Zeichen der Unterwerfung als sie dies sahen sofort. Noch immer ihre Knüppel in der Hand, kamen die Affen nun einer nach dem anderen auf unsere beiden zu. Ein Männchen berührte mit einem Finger sanft den Kopf von Kristin, andere taten es ihm nach und sie berührten auch George. Eine Schrecksekunde gab es für den Trupp, als sich George und Kristin langsam erhoben. Die beiden Menschen überragten die Affen doch um einiges. Höchstens auf 1,2 m schätzte George deren Größe ein. George und Kristin gingen nun langsam die letzten paar Schritte bis zum Lagerplatz. Dort setzten sich beide. Eines der Weibchen nahm einen der Fische, schlitzte ihn mit der Kante eines Steines auf und entnahm diesem die Innereien, die es einem Männchen gab, das diese wiederum in einen grob aus Schilf geflochtenen Korb gab und zum Kupfergraben brachte, wo sich Möwen begierig darauf stürzten. Aber dies war nur eine Falle, denn beim dritten oder vierten Ablegen der Fischinnereien, griff sich ein junges Weibchen eine der Möwen, drehte der mit einem Knacks den Hals um und begann sie an Ort und Stelle zu rupfen. Die flugunfähigen Raubvögel auf der anderen Seite des Kupfergrabens beobachteten alles ganz genau, wurden andererseits aber auch von den Primaten auf den Bäumen nicht aus den Augen verloren.

George besah sich die Steine, die die Primaten benutzten etwas genauer. Es war, wie er vermutet hatte, ehemaliges Vulkangestein. Er nahm sich zwei der Steine, schlug sie aufeinander und splitterte etwas von einem dabei gezielt ab. Von den umsitzenden Primaten wurde er dabei ganz genau beobachtet. Kristin begann nun mit zwei weiteren dieser Steine Funken zu erzeugen.

George bekam das mit, stand schnell auf, holte etwas trockenes Schilf und schichtete ein Häuflein vor Kristin auf. Die schickte nun die Funken direkt in dieses Häuflein. Es dauerte nicht lange bis sich eine kleine Rauchsäule daraus erhob, die man zunächst mehr roch, als dass man sie sah. Sie mussten noch etwas blasen und bald zuckelten die ersten kleinen Flämmchen aus dem trockenen Schilf hervor. George rannte zurück ins Unterholz und sammelte etwas dürres Reisig. Auch schnitt er mit seinem Messer zwei frische aber stämmigere Zweige von einem Hasel, spitze sie an, spießte darauf zwei der durch die Primaten bereits ausgenommenen Fische und stellte diese Spieße so an das Feuerchen, dass sie schnell durchgarten. Als die beiden Fische so geröstet waren, teilten sich George und Kristin den einen der beiden und aßen ihn, gaben den anderen aber an das nächst sitzende Weibchen. Dieses kostete von dem gebratenen Fisch nur und gab den Rest des Fisches ihrerseits an andere weiter. Große Aufregung entstand in der Affenhorde.

George und Kristin wiederholten, was sie soeben getan hatten. Zunächst löschten sie das Feuerchen mit etwas Wasser, das George mit einem der Körbe der Primaten aus der Spree geholt hatte. Dann sammelten sie erst trockenes Reisig bei dem sie zeigten, dass es trockenes Reisig war, danach setzten sie sich an eine trockene Stelle des Platzes und schlugen mit beiden Feiersteinen erneut Funken in trockenes Moos und Schilfgeflecht. Mit den von den Feuersteinen abgeschlagenen größeren Stücken hieben sie weitere Äste einer Hasel und machten daraus Spieße, nahmen selbst mit ihren eigenen Messern einige Fische aus und rösteten sie am Feuer und verteilten sie anschließend.

Das ganze Spiel wiederholten sie den Vormittag lang, die ganze Zeit dabei genau beobachtet von den Primaten, die sogar von selbst daran dachten, ihre Wachen in den Bäumen zum Kupfergraben hin regelmäßig abzulösen.

Ab Mittag forderten schließlich Kristin und George die Horde auf, das Feuermachen und Braten von Fischen selbst zu probieren.

Als George und Kristin sich am späten Nachmittag ganz offensichtlich daran machten, den Kreis der Primaten zu verlassen, indem sie sich von der Horde abkehrten und in Richtung des Wildwechsels gingen, auf dem sie am Vormittag gekommen waren, stellte sich ihnen kurz bevor sie im Unterholz verschwanden, auf einmal eines der grauhaarigen, älteren Männchen in den Weg. Es schaute George so tief in die Augen, als wolle es mit ihnen beiden in ihre Herzen und Seelen sehen. George erwiderte den Blick. Etwas sehr, sehr vertrautes lag in dessen Antlitz. George verstand! Dies war offenbar sein Pedant in diesem Universum. Beide berührten nun noch mit ihrer rechten Hand jeweils die Stirn des anderen. Das war es! Tiefe Emotionen durchflossen beide Individuen. Das ganze dauerte ein, zwei, drei längere Augenblicke. Die Horde hatte währenddessen um sie herum aufgeschlossen und all das still beobachtet. Noch einmal schauten sich George und sein Gegenüber tief in die Augen, ließen einander los, schauten sich erneut an, nickten sich für die anderen kaum merklich zu, gegenseitig wissend, wer der andere war und dann trennten sich ihre Wege.

Wie benommen trabte George hinter Kristin zur Libelle hinterher und wortlos ließen sie sich bei der nächsten Gelegenheit von Joyce einsammeln.

Es war in der Karibik früher Nachmittag, als sie dort mit dem Gleiter landeten. Sie tauschten zunächst ihre Messergebnisse aus und kamen dann zu dem Schluss, dass es auf der Erde noch keine hoch entwickelte Zivilisation gab und sie noch heute mit dem Raumschiff starten könnten. George sprach auch ganz offen seine Bedenken über das aus, was sie den Tag über getan hatten, nämlich dass sie den Primaten der Erde in diesem Universum heute das Feuer gebracht hatten. Aber Kristin beruhigte ihn. Erstens seien ihre Handlungen quasi aus der Bewegung heraus entstanden und zweitens gehörte es ja vielleicht sogar zum kosmischen Plan, dass sie „versehentlich“ in diesem Universum gelandet waren. Mit diesen Gedanken gingen sie für die nächsten rund fünfhundert Jahre in ihren Kryostasekammern schlafen.

Etwa vierhundertfünfundvierzig Lichtjahre waren die Plejaden von der Erde entfernt. Da es die Physik es ihnen nicht erlaubte, mit voller Lichtgeschwindigkeit zu fliegen, blieben sie etwa zehn Prozent darunter, weshalb sich der Flug dort hin um genau diese Zeit verlängerte. Sie checkten alle Instrumente vorher zweimal, bevor sie sich ihr für diese lange Reise anvertrauten. Aber was hatten sie sonst für eine Wahl? Sie brauchten Dilithium-Kristalle für das Portal in diesem Universum und diese gab es nur bei den Plejaden.

Das Aufwachen war dieses mal anders, als bei den anderen Flügen. Kein Wunder, er dauerte ja auch fast sieben mal so lang. George wurde von Kristin geweckt. Und er fühlte sich wie gerädert. Die anderen drei Frauen waren offenbar noch im Tiefschlaf. Kristin sah schrecklich abgemagert aus. Beim Blick in die noch geschlossenen Kryostasekammern sah er bei den anderen die gleiche Erscheinung. Auch um ihn selbst schien seine Haut nur so herum zu flattern.

„Sind wir da?“, fragte er, noch halb benommen. „So gut wie.“, antwortete Kristin.

„Was ist mit uns geschehen?“, fragte er. Kristin antwortete: „Ich hatte die Weckzeit meiner Kammer sicherheitshalber, einfach um zwischendurch mal den Kurs zu überprüfen, auf einhundert Jahre eingestellt. Als ich aufwachte, fühlte ich mich etwas Matter, als sonst. Waren da ja auch schon zwanzig Prozent an Zeit mehr, als sonst unterwegs. Ich hab dann mal sicherheitshalber erstmal meine Körpermasse überprüft. Dabei hab ich festgestellt, dass ich insgesamt etwa fünf Prozent davon verloren hab. Darauf hin hab ich auch euch geprüft und kam zu dem gleichen Ergebnis. Nun hab ich das mal hochgerechnet auf die gesamte Flugdauer und fand diesen Masseverlust mehr als Besorgnis erregend. Außerdem teilte mir die KI des Systems mit, dass wir würden langsamer fliegen müssen, denn unsere Energie würde sonst nicht reichen. Der Grund dafür lag darin, dass die automatische Flugkontrolle einige Umwege hatte fliegen müssen, um Kometen, Strahlen, Sternsystemen mit ihren Planeten und so weiter aus zu weichen. Die Flugzeit zu den Plejaden würde sich deshalb etwa verdoppeln, wenn unsere Energie bis hier her nicht ausgehen sollte.“ „Dann waren wir also nicht nur fünfhundert Jahre unterwegs?“, fragte George. „Die doppelte Zeit.“, sagte Kristin und fuhr fort: „Nachdem ich den körperlichen Verfall bei euch gesehen habe, beschloss ich, euch für mehrere Tage per Nadel künstliche Nährstoffe zukommen zu lassen. Aber das kostete natürlich weiter Energie für den 3-D-Drucker.“ „Nährstoffe über den 3-d-Drucker?“, fragte George skeptisch nach.

„Ja, na ob er Kohlehydrate, Mineralien, Spurenelemente, Proteine und Fett in fester Form oder flüssig, eher als viskosisch-zähflüssiges Fluid herstellt, ist dem Drucker letztlich egal. Aber es kostet auf jeden Fall Energie.“ „Ah, ich verstehe. Und damit hast du uns dann mehrere Tage lang künstlich ernährt:“, sagte George. Kristin nickte: „Genau so ist es. Ich blieb während ich euch ernährte, wach, hab Karten studiert und mich durch, ... ich sag mal … richtiges Essen … feste Nahrung wieder aufgepäppelt. … Das ganze immer so zwei Wochen am Stück.“

„Immer?“, hakte George nach. „Alle fünfundzwanzig Jahre hab ich mich zur Sicherheit aufwecken lassen, um Sternkarten zu vergleichen und um uns für je zwei Wochen zu ernähren.“

„Und warum haben wir jetzt sooo sehr abgenommen und warum sind die anderen drei noch nicht längst wach?“ „In den letzten fünfzig Jahren sind wir nur noch Dank der eigenen Trägheit des Raumschiffs geflogen. Unsere Energie ist so gut wie aufgebraucht. Sie reicht nur noch für zwei oder drei kleine Manöver und für die Scanns nach den Dilithium-Kristallen. Zu ihrem Abbau müssen wir den Gleiter nehmen. Nicht einmal mehr für die Ernährung der anderen drei reicht sie. Deshalb hab ich sie im Tiefschlaf gelassen.“, sagte Kristin und schob hinterher: „Und da werde ich sie auch nach Möglichkeit belassen, bis wir wieder im Aldebaraan-System sind.“

George, der bisher nur aufrecht in seiner Kryostasekammer gesessen hatte, spürte mit einem mal die Schwerelosigkeit. „Die künstliche Gravitation ist auch aus?“, fragte er. Kristin nickte und reichte ihm die Schuhe mit der Klettsohle. „Beweg dich vorsichtig. Es ist wirklich fast alles an Technik ausgeschaltet. Bin schon seit einem Tag wach und mit mir selbst in Klausur und hab sogar die gepressten Urin- und Kotreste von uns, die bisher angefallen sind, nach hinten aus der Schleuse gejagt, um dadurch noch ein wenig Rückstoß zu bekommen.“

„Dann fliegen wir derzeit wirklich nur noch mit dem letzten Hauch von was auch immer. Können wir nicht den Gleiter mit seinem Traktorstrahl einsetzen?“, fragte er. Sie schaute ihn schief an: „Du meinst wegen der anderen Energieversorgung?“ Er nickte. Darauf gab sie zurück: „Wir wissen nicht, was uns in dem System der Plejaden noch erwartet. Ich würde es als Notfalloption im Hinterkopf behalten. Was wir auf jeden Fall jetzt gleich machen müssen, ist, dass wir uns beide in den Gleiter begeben, um das Lebenserhaltungssystem dort zu nutzen und um darin irgendwie Nahrung anzubauen. Außerdem werden wir ihn zum Schlafen und zum Aufenthalt nutzen.“

„Wie lang brauchen wir denn noch?“ „Na wir erreichen in einer Woche die Ausläufer der Oortschen Wolke des Systems. Weil Dilithium ja nur in Verbindung mit Elementen wie Silizium, Eisen, aber auch Kohlenstoff und Sauerstoff entsteht, liegt meine Hoffnung darin, bereits auf dem Weg ins Innere des Systems ein wenig davon einzusammeln, falls wir welches in unserer Nähe entdecken. Aber wir müssen eigentlich noch in den inneren Bereich des Systems, um unsere Geschwindigkeit für eine Planetenumlaufbahn irgendwie abzubremsen.“ George sah sie an: „Verstehe. Und für das Abbremsen sollten wir nach Möglichkeit wiederum die Gravitation der Planeten für uns nutzen, um Energie zu sparen.“ „Richtig. Ich schätze, dass wir etwa anderthalb Jahre benötigen, um zunächst auf den Kuipergürtel zu stoßen und von dort zwei weitere Wochen, bis zu den ersten Planeten.“ „Ja, mir ist so etwas noch in Erinnerung, dass sich Oortsche Wolken, je nach Größe und Schwere des jeweiligen Zentralsterns, etwa ein bis anderthalb Lichtjahre davon entfernt befinden.“

„Ja, in dieser Oortschen Wolke sind gewissermaßen die letzten Objekte, die so ein Stern mit seiner Gravitation um sich herum hält. Durch den Einfluss von Nachbargestirnen, aber auch ganz normal durch Gravitationswellen im Universum selbst, durch die Schwarzen Löcher im Zentrum der Galaxis oder schlicht durch Zusammenstöße der Objekte einer Oortschen Wolke untereinander, können einzelne dieser Brocken auch in den interstellaren Raum geschleudert werden oder auch einfach nur abdriften und so möglicher Weise gar in andere Sternsysteme gelangen.“

„Wollen wir nicht die Oortsche Wolke durchschlafen? Wäre das energetisch nicht günstiger?“ „Naja, George, das hatte ich mir auch überlegt, aber mir ist daran gelegen, schon mal in irgendeiner Form Nahrung für uns fünf anzubauen und einzulagern. Das könnte ich auch durchaus allein, aber ich fürchte mich ein wenig vor der Einsamkeit über anderthalb Jahre hinweg.“

„Das kann ich vollkommen nachvollziehen. Weißt du, wir hatten in meiner Zeit mal eine Pandemie, bei der wir uns alle isolieren mussten und nur noch per Telefon oder Internet mit einander kommuniziert haben. Wir hatten alle Atemmasken bei unseren wenigen Aktivitäten an. Man hat nur noch Augen und keine Gesichter und somit leider auch keine Mimik der anderen Menschen auf der Straße oder so gesehen und die einzigen Worte, die ich manchmal über Tage hinweg zu anderen ganz persönlich gesagt hab, waren im Supermarkt beim Einkauf >ich zahle mit Karte<, >vielen Dank< oder >ihnen auch noch einen schönen Tag<. Das hat einen so unglaublich mürbe gemacht. Aber meinst du, dass wir beide es über so einen langen Zeitraum nur allein mit uns, miteinander aushalten?“ „Ja, George, mit dir schon.“, antwortete Kristin und half ihm aus dem Sarkophag seiner Kryostaseeinheit.

In den nächsten Tagen hatten sie sehr gut zu tun. Sie sammelten alles, was sich an Wasser in den Libellen, dem Gleiter und dem Raumschiff finden ließ und was entbehrlich war und begannen in der Schwerelosigkeit ein Gewächshaus als hydroponischen Garten anzulegen.

Die Sämereien für ihre Pflanzen erstellten sie im 3-D-Druck. Immer mehrere von ihnen banden sie durch Zwirn im ein kleines Stück Schwamm aneinander, den sie auch druckten, tränkten das ganze dann mit einer Nährlösung und hingen diese Gebilde dann gewissermaßen in den schwerelosen Raum, in einiger Entfernung zu den nächsten Samenknäulen fixiert durch weiteren Zwirn.

Letzterer diente schlussendlich dann auch zur weiteren Versorgung der Gebilde mit Nährstoffen. Die Kapillarität der Fäden sorgte dabei von ganz allein für die Versorgung der Pflanzen.

Kristin und George hielten sich bei diesen Arbeiten fast ausschließlich im Gleiter auf. Im gesamten Raumschiff schalteten sie, bis auf die Sarkophage, die komplette Lebenserhaltung ab. Für die mehrmals täglich stattfindenden Kontrollsitzungen auf der Brücke des Raumschiffs schlüpften sie in ihre Skaphander. Nun waren weder Schiff noch Gleiter dafür ausgelegt, dass Menschen mehrere Wochen darin Schwerelos arbeiteten. Somit gab es auch nirgends an die Nullgravitation angepasste Sportgeräte. Einige Tage lang tüftelten und bastelten sie, bis sie etwas zusammengebaut hatten, das ihrem täglichen Training dienlich war. Anderenfalls wäre ihr Muskelabbau zu dramatisch.

Ein Annäherungshinweis auf einem Monitor machte sie nach einem halben Monat darauf aufmerksam, dass sie sich jetzt Wohl allmählich in die Oortsche Wolke hinein bewegten und das erste Gestein auf sie zu kam. Der etwa Einfamilienhaus große Brocken stellte keine Gefahr für sie dar, denn er kreuzte nur entfernt ihren Kurs, aber er war für sie das gute Zeichen, dass sie auf dem richtigen Weg waren und ihre Berechnungen, auch über diese Wolke an sich, zumindest nicht falsch waren.

Dennoch schlich die Zeit förmlich dahin. In den unendlichen Weiten des Universums war die Bezeichnung >Wolke< ein relativer Begriff. Es dauerte oft mehrere Tage, bis der nächste Brocken aus Eis, Methan, Staub und was auch immer für anderen Substanzen, in die Reichweite ihrer Sensoren kam.

Um nicht ständig alles miteinander zu machen, suchten sich Kristin und George eigene Projekte, an denen sie arbeiteten, um schlicht die Zeit tot zu schlagen. Während sie sich begann mit der Literatur aus Georges Zeitalter, gespeichert in ihrem Bord-Computer, zu befassen, begann er damit, ihre Erlebnisse aufzuschreiben und in Romanform zu gießen. Dennoch schlich die Zeit förmlich dahin. Wurde sie immer gesprächiger, wurde er immer knurriger. Aber letztlich passte es zusammen. Ihr Gemüse gedieh und immer, wenn etwas erntereif war, gefriertrockneten sie es, weil es so besser zu lagern war und weil sie das Wasser davon für das nächste Gemüse zur Anzucht brauchten.

Zwei Jahre, das ist wenn man nur zu zweit allein ist, eine sehr lange Zeit, brauchte es, bis sie den Kuipergürtel erreichten und sie damit beginnen konnten, durch von Hand gesteuerte Manöver ihre Geschwindigkeit ein wenig zu drosseln. Zwei Jahre, in denen sie sich an ihre gegenseitigen Marotten gewöhnten und daran erstarkten. Bereits im Kuipergürtel machten sie die Planeten aus, auf denen sie die Dilithium-Kristalle finden würden. Es dauerte aber noch ein weiteres halbes Jahr, bis sie diese dann erreichten. Es waren ein leichter Gasriese und ein wesentlich kleinerer Gesteinsplanet, die sich um einen gemeinsamen Schwerpunkt herum umtanzten. Erst zwei Wochen bevor sie dieses Planetensystem erreichten, weckten sie die anderen aus ihrer Stasis, fütterten sie mit den mittlerweile gelagerten Lebensmitteln, päppelten sie regelrecht auf und begannen, sich auf die Landung vorzubereiten. Buchstäblich mit dem letzten Hauch von Nichts, erreichten sie das Planeten-System. Zum Abbremsen fehlte es ihnen indes bereits an Energie und so bremste man, indem man immer wieder durch die obere Atmosphäre beider Planeten driftete. Kurs hielt man nur noch durch den Gleiter, der mit Traktorstrahlen wie ein Schlepper in einem großen Seehafen am Schiff zerrte. Auch diese Manöver waren langwierig und brauchten mehrere Tage. Aber dann hatten sie es.

Für den Abbau des Dilithiums mussten sie auf dem Gesteinsplaneten landen. Der hatte eine giftige Atmosphäre aus Schwefelverbindungen. „In meiner Zeit haben wir das Zeugs mit automatischen Stationen hier abgebaut und zu uns zum Aldebaraan transportiert.“, erklärte Kristin.

Sie landeten von vornherein mit dem Gleiter auf dem Planeten und lösten sich bei der Außenarbeit, natürlich nur im Skaphander, ab. Es war eine schweißtreibende Arbeit, die Dilithium-Kristalle aus dem schwefeligen Vulkangestein heraus zu lösen.

Die erste Ladung der Kristalle wurde umgehend aufs Schiff gebracht und dort weiter verarbeitet und für die Energieversorgung nochmals gereinigt und nachgetrimmt. Das dauerte weitere Tage. Als aber die Lichter im Schiff im Wortsinne wieder angingen und sie sich die ersten gerösteten Mammutsteaks aus ihrem 3-D-Drucker holten, war das ein wahrer Festtag für sie.

Fast zwei Monate blieben sie im System. Die Schwerkraft des Planeten auf dem sie arbeiteten, tat ihren Körpern sehr gut und kräftigte sie. Schließlich quoll ihr Laderaum förmlich über vor Dilithium-Kristallen und sie machten sich auf den Rückweg zum Aldebaraan-System. Mit genügend Kraftstoff konnten sie sich höhere Geschwindigkeiten erlauben, sie brauchten aber dennoch ein knappes Jahrtausend, bis sie das Portal im Aldebaraan erreichten.

Auch hatten sie aus ihren bisherigen Fehlern mit ihrem physischen Körperabbau gelernt. Deshalb ließen sie sich alle fünfundzwanzig Jahre zum Essen wecken, immer im Wechsel je einen Tag und je eine Woche. So dass sie als sie am Aldebaraan ankamen, jeder um rund vierundzwanzig Wochen gealtert war.

Sie wurden wie immer bereits eine gute Woche bevor sie das Portal erreichten aus ihren Kryostase-Sarkophagen geweckt und konnten sich somit, nach ein paar Tagen gekräftigt, ihren nächsten Aufgaben widmen.

Aus dem Dunkel des Alls schob sich ihr Raumschiff in das Hell der Sonnen des Systems. Dunkel prangte das Portal. Es schien in Raum und Zeit zu schweben. Die dichte pinke Atmosphäre des Planeten, um den das Portal wie in jedem der Universen, in das es führte, wie ein Mond beständig kreiste, verhüllte, dass es in diesem Universum hier weder saurisches, noch menschliches oder sonst wie irdisches intelligentes Leben gab und der Planet einzig von einheimischer Flora und Fauna bevölkert war.

Die Fünf Menschen starrten wortlos auf die Anzeigen in ihrem Raumschiff. Joyce meldete sich als erste: „Ich kann nichts erkennen. Das Portal ist einfach nur still.“ George stimmte ihr zu: „Keine Energiefluktuationen, nichts.“ Kristin schaltete weitere Geräte dazu. Noch mehr Bildschirme flimmerten auf und sie verkündete: „Ich weiß, das wir das Portal immer mit den Dilithium-Kristallen versorgt haben. Aber das geschah automatisch.“ Pia schlug vor: „Zwei Personen im Raumanzug mit einer Libelle? …